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Pressespiegel Der Ignorant und der Wahnsinnige - Thomas Bernhard

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Wiener Zeitung 02.01.2013<br />

Erscheinungsland: Österreich | Auflage: 22.000 | Reichweite: Reichweite: k.A. | Artikelumfang: 45.597 mm²<br />

Seite: 22 1/2<br />

Thema: Burgtheater<br />

Autor:<br />

Hilde Hai<strong>der</strong>-Pregler<br />

Gnadenlose Tragikomik: <strong>Der</strong> <strong>Ignorant</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Wahnsinnige</strong>" im Burgtheater<br />

Anfragen für weitere Nutzungsrechte an den Verlag<br />

Defizite als Scherzmaterial<br />

Von Hilde Hai<strong>der</strong>-Pregler<br />

Mit einem pointierten Witz über<br />

einen blamierten Unternehmensberater<br />

stimmte Burgtheater-Direktor<br />

Matthias Hartmann das<br />

Publikum auf die Silvester-Premiere<br />

von <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong>s Frühwerk<br />

<strong>Der</strong> <strong>Ignorant</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Wahnsinnige</strong>" (1972) ein. Für einen<br />

smarten Kulturmanager von<br />

heute wäre die als Koloraturrnaschine"<br />

funktionierende Sängerin<br />

gewiss eine Idealfigur: Sie<br />

schnurrt ihre einzige Partie - die<br />

Königin <strong>der</strong> Nacht in Mozarts<br />

Zauberflöte" - quasi auf Knopfdruck<br />

seit einem Jahrzehnt an allen<br />

großen Opernhäusern dieser<br />

Welt mit unverän<strong>der</strong>ter Perfektion<br />

ab.<br />

Aber ist die Reproduktion des<br />

einmal Erreichten wirklich noch<br />

Kunst? O<strong>der</strong> ist für den wahrhaft<br />

künstlerischen Menschen das<br />

Scheitern an <strong>der</strong> Realisierbarkeit<br />

seiner idealen Vision <strong>der</strong> wesentliche",<br />

zu stets neuen Versuchen<br />

herausfor<strong>der</strong>nde Gedanke? Diese<br />

Frage, die <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> in<br />

seinen Theater- <strong>und</strong> Prosatexten<br />

immer wie<strong>der</strong> beschäftigt hat,<br />

wird in <strong>Der</strong> <strong>Ignorant</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Wahnsinnige</strong>" mit unvergleichli<br />

cher Radikalität abgehandelt, im<br />

Wissen, dass <strong>der</strong> Tragik des<br />

Scheiterns auch provokante Komik<br />

immanent ist.<br />

In schwindeln<strong>der</strong> Höhe<br />

Dieses Oszillieren zwischen einer<br />

Tragödie, die auch eine Komödie<br />

sein kann, deckt Jan Bosse in einer<br />

<strong>Bernhard</strong> beim Wort nehmenden<br />

Modellinszenierung in einem<br />

das (Burg)-Theater ästhetisch gekonnt<br />

spiegelnden Bühnenraum<br />

(St4hane Lairn) exemplarisch<br />

auf. Dank eines in Höchstform<br />

agierenden Ensembles mit komödiantisch<br />

unterhalten<strong>der</strong> Leichtigkeit,<br />

die dennoch Hintersinn signalisiert.<br />

Zum Tross <strong>der</strong> Königin<br />

<strong>der</strong> Nacht gehören <strong>der</strong>en halbblin<strong>der</strong>,<br />

versoffener Vater <strong>und</strong> ein<br />

seltsamer Pathologe, die ungeduldig<br />

auf das Eintreffen des Stars in<br />

<strong>der</strong> Wiener Staatsoper warten: Joachim<br />

Meyerhoff als hagerer, hektisch<br />

herumschusseln<strong>der</strong> Doktor<br />

- im altväterischen schwarzen<br />

Anzug, Brille mit Goldrand - <strong>und</strong><br />

Peter Simonischek als dickbäuchiger<br />

Vater mit Blindstock <strong>und</strong> -binden.<br />

Gemäß <strong>Bernhard</strong>s Komik-<br />

Perfidie nützt das grandiose Komödianten-Duo<br />

den defizitären<br />

Körper als Scherzmaterial.<br />

Während Meyerhoffs Doktor,<br />

den nicht <strong>der</strong> Mensch, son<strong>der</strong>n<br />

nur dessen Organe als zu untersuchende<br />

Materie interessieren,<br />

sprachgewaltig mit einem privaten<br />

Sezierkurs auftrumpft, leistet<br />

Simonischek als wortkarger Partner<br />

auf seine Art Wi<strong>der</strong>stand. Als<br />

gälte es zu beweisen, dass die<br />

sprachreduzierten Rollen bei<br />

<strong>Bernhard</strong> die eigentlich den Ton<br />

Angebenden sind, dirigiert er das<br />

Geschehen mit seinem Blindenstock,<br />

zeigt mit heimtückisch<br />

überlegenem Lächeln, was er von<br />

<strong>der</strong> gelehrten Suada des Doktors<br />

o<strong>der</strong> von dessen verschämt-koketter<br />

Reminiszenz an eigene Künstler-Träume<br />

als Bassist hält. Sunnyi<br />

Melles als verspätet eintreffende<br />

Sängerin wird da in <strong>der</strong> Tat<br />

als Kunstfigur zum Objekt <strong>und</strong><br />

schwebt schließlich während ihrer<br />

Arie wie eine an Schnüren<br />

hängende Marionette in schwindeln<strong>der</strong><br />

Höhe im Bühnenraum.<br />

Auf dem Seziertisch<br />

Bei <strong>der</strong> Premierenfeier im Nobelrestaurant<br />

zu den Drei Husaren"<br />

wird <strong>der</strong> - alsbald verwüstete -<br />

Esstisch, wie so oft bei <strong>Bernhard</strong>,<br />

zum Ort <strong>der</strong> Katastrophe. Das<br />

Husten <strong>der</strong> - plötzlich alle Engagements<br />

stornierenden - Sängerin<br />

signalisiert vielleicht nicht<br />

nur totale Erschöpfung, son<strong>der</strong>n<br />

auch eine nahende Todeskrankheit.<br />

Statt <strong>der</strong> von <strong>Bernhard</strong> gefor<strong>der</strong>ten,<br />

einstmals einen Skandal<br />

Presseclipping erstellt am 02.01.2013 für Burgtheater Wien zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG.<br />

auslösenden totalen Finsternis"<br />

zeigt Jan Bosse ein in seiner Intensität<br />

unüberbietbares Schlusstableau:<br />

<strong>Der</strong> Luster senkt sich im<br />

Dämmerlicht auf die bewegungslos<br />

auf dem Tisch ausgestreckte<br />

Königin <strong>der</strong> Nacht herab - <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> Doktor doziert präzise, wie<br />

man bei einer Obduktion den<br />

Kehlkopf zu präparieren hat.<br />

Dass <strong>Bernhard</strong>s beim Wort genommene<br />

Theatertexte <strong>der</strong> Zeit<br />

standgehalten haben, hat Regisseur<br />

Jan Bosse mit seiner kongenialen<br />

Inszenierung nachdrücklich<br />

bewiesen.<br />

Theater<br />

<strong>Der</strong> <strong>Ignorant</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>der</strong> <strong>Wahnsinnige</strong><br />

Von <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong><br />

Jan Bosse (Regie)<br />

Burgtheater<br />

Mit: Joachim Meyerhoff u.a.<br />

Wh.: 3., 5., 8., 26. Jänner<br />

* * * * *<br />

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