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Pressespiegel Der Ignorant und der Wahnsinnige - Thomas Bernhard

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Die Presse 02.01.2013<br />

Erscheinungsland: Österreich | Auflage: 86.165 | Reichweite: Reichweite: 261.000 (3,6%) | Artikelumfang: 46.703 mm²<br />

Seite: 21 1/1<br />

Thema: Burgtheater<br />

Autor:<br />

NORBERT MAYER<br />

<strong>Bernhard</strong> schneidet noch immer tief<br />

Burgtheater. <strong>Der</strong> <strong>Ignorant</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Wahnsinnige</strong>" fesselt auch noch nach vierzig<br />

Jahren. Regisseur Jan Bosse <strong>und</strong> ein erstklassiges Ensemble beleben diesen Klassiker.<br />

VON NORBERT MAYER<br />

Anfragen für weitere Nutzungsrechte an den Verlag<br />

<strong>Bernhard</strong> hatte einen angenehmen<br />

Bass. Als junger Mann nahm<br />

<strong>Thomas</strong> er in Salzburg Gesangsst<strong>und</strong>en. Einmal<br />

sang er 1950 dem damals berühmten<br />

Dirigenten Josef Krips vor. Dessen Urteil war<br />

vernichtend. Laut <strong>Bernhard</strong> empfahl er ihm,<br />

lieber Fleischer zu werden. Das saß. Gott sei<br />

Dank! <strong>Bernhard</strong> wurde kein zweitklassiger<br />

Sänger, son<strong>der</strong>n ein erstklassiger, weltberühmter<br />

Schriftsteller, aber die Zurückweisung<br />

hat er noch zwei Jahrzehnte später thematisiert,<br />

im ersten seiner großen Dramen,<br />

das bei den Salzburger Festspielen uraufgeführt<br />

wurde: Dort sagt die Hauptfigur, ein<br />

Arzt, <strong>der</strong> angeblich eine schöne Bassstimme<br />

hat, in <strong>der</strong> Gar<strong>der</strong>obe <strong>der</strong> Königin <strong>der</strong> Nacht,<br />

dass <strong>der</strong> Dirigent bei dieser Zauberflöte"<br />

wie ein Fleischhauer agiere.<br />

Verletzungen gab es auch 1972: <strong>Der</strong><br />

<strong>Ignorant</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Wahnsinnige</strong>" wurde in<br />

Salzburg mit Claus Peymann zum Skandal,<br />

weil die Behörden untersagten, dass bei <strong>der</strong><br />

Aufführung am Ende zwei Minuten absolute<br />

Finsternis" herrschte. Peymann bestand<br />

darauf, dass auch das Notlicht gelöscht werde.<br />

Das ging aber nicht. Daraufhin sagte er<br />

nach <strong>der</strong> Premiere alle weiteren Vorstellungen<br />

ab. <strong>Bernhard</strong> war solidarisch mit dem<br />

Regisseur <strong>und</strong> telegrafierte: Eine Gesellschaft,<br />

die zwei Minuten Finsternis nicht<br />

verträgt, kommt ohne mein Schauspiel aus."<br />

Viel Gespür für die Musikalität des Textes<br />

Im Wiener Burgtheater hat man das Drama,<br />

das die Kunst <strong>und</strong> ihr Scheitern in artifizieller<br />

Vollendung seziert, soeben zum Jahreswechsel<br />

erstmals aufgeführt, in prominenter<br />

Besetzung. Wie hat sich dieses Stück, das<br />

zum Großteil aus Monologen des Doktors<br />

besteht, gehalten? Es ist noch immer großartig,<br />

wenn es so intensiv wie hier gespielt<br />

wird. Jan Bosse hat mit viel Gespür für <strong>Bernhard</strong>s<br />

Musikalität inszeniert. Souverän gibt<br />

Joachim Meyerhoff den Arzt, kunstvoll zurückhaltend<br />

<strong>und</strong> doch stark präsent ergänzt<br />

ihn Peter Simonischek als Schnaps trinken<strong>der</strong><br />

Vater <strong>der</strong> Sängerin, die von Sunnyi Melles<br />

herrlich überspannt gespielt wird. Stefan<br />

Wieland gewinnt <strong>der</strong> assistierenden Doppelrolle<br />

als Gar<strong>der</strong>obiere <strong>und</strong> Kellner sinnvoll<br />

Bizarres ab - kurz, dieser Abend ist diesem<br />

Quartett <strong>und</strong> <strong>der</strong> Regie gelungen. Sie haben<br />

einen Klassiker erfolgreich belebt.<br />

Simonischek tritt anfangs vorsichtig auf<br />

die Bühne, schwarz gekleidet, dunkle Brille,<br />

weiße Schuhe. Er hat eine fast volle Flasche<br />

<strong>und</strong> einen Blindenstock in <strong>der</strong> Hand. Das<br />

Bühnenbild von Stephane Lairne zeigt die<br />

Gar<strong>der</strong>obe <strong>der</strong> Sängerin. Ihr Schminktisch<br />

hat riesige Spiegel, links hängen Mengen an<br />

Pelzen, rechts Perücken. <strong>Der</strong> Vater setzt sich<br />

Presseclipping erstellt am 02.01.2013 für Burgtheater Wien zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG.<br />

Ein Galaabend mit toller Besetzung: Peter Simonischek als Vater <strong>und</strong> Sunnyi Melles als Königin <strong>der</strong><br />

Nacht in "<strong>Der</strong> <strong>Ignorant</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Wahnsinnige</strong>" zum Jahreswechsel im Burgtheater.<br />

ApA, Georg enmull I<br />

rechts in ein Sofa. Sein Part: Er wird oftmals<br />

Phrasen aus dem Wortschwall des Arztes,<br />

<strong>der</strong> gleich nach ihm auftritt, wie zur Bestätigung<br />

wie<strong>der</strong>holen, meist aber vor sich hin<br />

brüten. Dieses Echo des Vaters aber gibt den<br />

Kaskaden des Arztes Struktur. Um den Wortschwall<br />

zu dirigieren, schlägt er immer wie<strong>der</strong><br />

mit dem Stock auf den Tisch, nimmt immer<br />

wie<strong>der</strong> Züge aus <strong>der</strong> Flasche.<br />

Die beiden Herren warten auf die Sängerin,<br />

die - immer im letzten Augenblick<br />

kommt. Wie ein Raubtier streicht <strong>der</strong> streng<br />

gekleidete Doktor über die Bühne, streift<br />

sehnsüchtig über die Pelze, setzt sich zum<br />

Vater, spielt mit dessen Trunksucht. Die ganze<br />

Zeit aber doziert er in rasendem Tempo,<br />

sein Monolog handelt vom Sezieren <strong>und</strong><br />

von <strong>der</strong> Kunst, eine Sektion des künstlerischen<br />

Menschen, eine Elegie auf die Hinfälligkeit,<br />

eine Litanei versagen<strong>der</strong> Organe. Um<br />

dieses Stakkato effektvoll darzubieten,<br />

braucht es Wachheit <strong>und</strong> Intelligenz <strong>und</strong><br />

Geschmeidigkeit im Ausdruck. Meyerhoff<br />

hat all das im Übermaß. Es ist schmerz- <strong>und</strong><br />

lustvoll, ihm bei dieser Vorführung <strong>der</strong> Conditio<br />

humana zuzusehen <strong>und</strong> vor allem<br />

auch zuzuhören. Er setzt die Pointen genau,<br />

Simonischek harmoniert dabei w<strong>und</strong>erbar.<br />

Gerade dann, als die Spannung unerträglich<br />

wird, stelzt Frau Vargo daher <strong>und</strong><br />

bereitet die Gar<strong>der</strong>obe für die Königin <strong>der</strong><br />

Nacht vor, die an diesem Abend zum 222.<br />

Mal diese Vorstellung gibt. Gerade dann, als<br />

das Orchester im Hintergr<strong>und</strong> längst spielt<br />

<strong>und</strong> man die Hoffnung auf den rechtzeitigen<br />

Auftritt <strong>der</strong> weltbesten Sängerin aufgeben<br />

will, erscheint diese. Ja, Melles ist tatsächlich<br />

eine Erscheinung <strong>und</strong> jeden Zoll eine Königin,<br />

schon hinter <strong>der</strong> Bühne. Die Rolle, die<br />

das Verletzliche, Überspannte <strong>und</strong> Tragische<br />

einschließt, passt ihr perfekt, sie trifft<br />

<strong>Bernhard</strong>s Ton, spielt, mühelos diese Koloratur-Maschine,<br />

die natürlich selbst mitten<br />

im Triumph immer ans Scheitern denkt.<br />

Totale Finsternis - bis auf das Notlicht<br />

Versagen <strong>und</strong> Abhängigkeit bestimmen wie<br />

ein dunkler Epilog auch den zweiten Akt.<br />

Die weiß geschminkte, schwarz-silberne Königin<br />

ist spektakulär an Seilen himmelwärts<br />

entschwebt, das Bild dreht sich, die kleine<br />

Gesellschaft nimmt an einem Tisch des Nobelrestaurants<br />

Drei Husaren" Platz. Melles<br />

sinkt auf ihren Sessel hernie<strong>der</strong>. Sie essen<br />

Beef Tatar, trinken reichlich Champagner,<br />

das unterstreicht die barbarischen anatomischen<br />

Ausführungen <strong>und</strong> die zwanghafte<br />

Erotik. Die Sängerin, von hartnäckig bösem<br />

Husten befallen, entschließt sich spontan zu<br />

Absagen, Kellner Winter exekutiert sie beflissen.<br />

Hoffnungslos die Liebe, ein einziges<br />

Trauma die Kunst. Nur <strong>der</strong> Alkohol tröstet<br />

<strong>und</strong> hilft. Dann wird es nach knapp zwei<br />

St<strong>und</strong>en endlich finster. Fast. Auch im Burgtheater<br />

kommt man nicht ohne Notlicht aus.<br />

Termine: 3./5./26. I. (19.30h), 8. (20 h)<br />

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