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Pressespiegel Der Ignorant und der Wahnsinnige - Thomas Bernhard

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<strong>Der</strong> Standard 02.01.2013<br />

Erscheinungsland: Österreich | Auflage: 83.862 | Reichweite: Reichweite: 341.000 (4,8%) | Artikelumfang: 52.586 mm²<br />

Seite: 24 1/2<br />

Anfragen für weitere Nutzungsrechte an den Verlag<br />

Thema: Burgtheater<br />

Autor:<br />

Margarete Affenzeller<br />

Eine Diva entschwebt ihrer letzten Opernnacht<br />

Silvesterpremiere am Burgtheater:<br />

Bei <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong>s Kunst- <strong>und</strong><br />

Körper-Suada <strong>Der</strong> <strong>Ignorant</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong><br />

<strong>Wahnsinnige</strong>" zog Regisseur Jan Bosse<br />

die Künstlichkeitsschraube an.<br />

Margarete Affenzeller<br />

Wien Die Stücke von <strong>Thomas</strong><br />

<strong>Bernhard</strong> machen sich auf den<br />

Spielplänen von heute rar. Auf die<br />

hohen Töne <strong>der</strong> Erregungskunst<br />

scheinen sich Dramaturgen <strong>und</strong><br />

Schauspieler nicht mehr vorrangig<br />

zu verstehen. Doch in einem<br />

Jahr, in dem <strong>der</strong> Burgtheaterdirektor<br />

einen Spielplan mit Österreich-Schwerpunkt<br />

ausgerufen<br />

hat, vermag ein <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong><br />

eine <strong>Thomas</strong>-Vinterberg-Lücke<br />

gut <strong>und</strong> gern zu stopfen.<br />

Ursprünglich war für die Silvesterpremiere<br />

nämlich eine Trinkerinnentragikomödie<br />

des dänischen<br />

Film- <strong>und</strong> Theaterregisseurs<br />

<strong>Thomas</strong> Vinterberg angesetzt<br />

gewesen. Sie wurde verschoben.<br />

Regisseur Jan Bosse eilte zu<br />

Hilfe. <strong>Der</strong> <strong>Ignorant</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Wahnsinnige</strong>,<br />

eine nicht gerade wechselvolle<br />

Suada über die Mühen<br />

<strong>der</strong> (Sanges-)Kunst, <strong>der</strong> Künstler<br />

<strong>und</strong> ihrer mitleidenden Angehörigen,<br />

verhandelte wenige St<strong>und</strong>en<br />

vor Jahresende das schrecklich<br />

Empörende am Leben einer sogenannten<br />

Künstlerexistenz.<br />

Ein pingeliger Anatom (Joachim<br />

Meyerhoff) ergeht sich da in <strong>der</strong><br />

Künstlergar<strong>der</strong>obe einer Operndiva<br />

(Sunnyi Melles) zur Unterhaltung<br />

von <strong>der</strong>en Vater (Peter Simonischek)<br />

in Ausführungen über<br />

die Leichensektion. Was wird da<br />

nicht alles mit Darmschere <strong>und</strong><br />

Hirnmesser getrennt <strong>und</strong> angesägt,<br />

um sich <strong>der</strong> Täuschung hinzugeben,<br />

den Körper durchschauen<br />

zu können. Den Körper als Objekt<br />

<strong>der</strong> Kunst wie <strong>der</strong> Medizin.<br />

Vor einem hoch aufragenden<br />

Schminktisch mit vielen, dem<br />

Konterfei <strong>der</strong> Sängerin gleichenden<br />

Perückenbüsten (Bühne: Stöphane<br />

Laimä) warten Doktor <strong>und</strong><br />

Vater auf den Star. An diesem<br />

Abend wird die Koloratursopranisten<br />

zum 222. Mal die Partie<br />

<strong>der</strong> Königin <strong>der</strong> Nacht singen.<br />

Während <strong>der</strong> Vater (Simonischek)<br />

seine (ausgestopfte) Körperfülle<br />

träge gerade noch in den Clubsessel<br />

hieven konnte <strong>und</strong> fortan seine<br />

weißen Mokassins weit von<br />

sich streckt, aber heftig an <strong>der</strong><br />

Schnapsflasche nippt sowie mit<br />

dem Blindenstock Terror macht,<br />

tänzelt <strong>der</strong> Doktor (Meyerhoff)<br />

den Tanz eines über seinen<br />

Schützlingen wahnsinnig gewordenen<br />

Meister Lämpel. Mit spitzen<br />

Schritten vollführt er ein artifizielles<br />

Ungeduldstänzchen, verknotet<br />

bei Bedarf seine nervösen<br />

Kniegelenke o<strong>der</strong> bringt die Hose<br />

seines redefaulen Gesprächspartners<br />

zum Quietschen, bis dann<br />

endlich die Königin erscheint.<br />

Sunnyi Melles tritt gefolgt von<br />

ihrer Gar<strong>der</strong>obiere Frau Vargo<br />

(Stefan Wieland) ganz bodenständig<br />

im Backstage-Outfit mit Thermoskanne<br />

<strong>und</strong> Pelz-Boots aus<br />

ihrem Klei<strong>der</strong>schrank. In diesem<br />

Moment wird nach <strong>der</strong> Mitte dieser<br />

Inszenierung noch gesucht, die<br />

sich dann doch dem Schabernack,<br />

wenn auch recht edel, übergibt.<br />

An die ironiefreie Deklamationskunst<br />

glaubt Jan Bosse nicht. Er<br />

zieht vor allem an <strong>der</strong> Figur des<br />

Doktors die Sätze <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong>s<br />

ins Klamaukige. Das beeinträchtigt<br />

die Sprache in ihrer eigenen<br />

Künstlichkeit erstaunlicherweise<br />

nicht. Es bleibt ein Vergnügen,<br />

dem Fatalismus dieser Monologe<br />

zu folgen. Beispielsweise<br />

heißt es einmal. Wenn wir den<br />

Schwachsinn / <strong>der</strong> in dieser Kunstgattung<br />

herrscht / geehrter Herr /<br />

mit <strong>der</strong> Gemeinheit! <strong>der</strong> Zuschauer<br />

verrechnen /kommen wir in den<br />

Wahnsinn [Königin hustetr .<br />

Hat die Uraufführung von <strong>Der</strong><br />

<strong>Ignorant</strong> <strong>und</strong> <strong>der</strong> <strong>Wahnsinnige</strong><br />

1972 bei den Salzburger Festspielen<br />

durch ein nicht abgedrehtes<br />

Notlicht <strong>und</strong> die darin begründete<br />

sofortige Absetzung des Stücks<br />

einen Skandal verursacht, so quittierte<br />

man die Silvestervorstellung<br />

am Burgtheater nun mit<br />

knappem, aber wohlwollendem<br />

Applaus.<br />

Theater als Apöro für einen langen<br />

Abend? Nicht nur. Allein im<br />

Presseclipping erstellt am 02.01.2013 für Burgtheater Wien zum eigenen Gebrauch nach §42a UrhG.<br />

großen Bühnen-Flug <strong>der</strong> Königin<br />

<strong>der</strong> Nacht vom Schauplatz Oper<br />

im ersten Akt zum Schauplatz<br />

Restaurant im zweiten Akt liegt<br />

das genial Einfache dieses<br />

Abends. Jan Bosse war bewusst:<br />

An <strong>Thomas</strong> <strong>Bernhard</strong> kann man<br />

zwar nicht groß herumdoktern,<br />

aber es kann gelingen, ihn aufzupolieren.<br />

Und hier hat er immerhin<br />

ein wenig gestrahlt.<br />

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