Automobilindustrie Europa. - Osec
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<strong>Automobilindustrie</strong> <strong>Europa</strong>.<br />
Aktuelle <br />
und künftige Entwicklung der Europäischen <strong>Automobilindustrie</strong>.<br />
Dezember 2009<br />
osec.ch <br />
<br />
IWK - Institut <br />
für Wirtschaftsanalyse<br />
und <br />
Kommunikation – Dr. Helmut Becker
<strong>Automobilindustrie</strong> <strong>Europa</strong>.<br />
Aktuelle <br />
und künftige Entwicklung der Europäischen <strong>Automobilindustrie</strong>.<br />
Dezember 2009<br />
osec.ch <br />
<br />
IWK - Institut <br />
für Wirtschaftsanalyse<br />
und <br />
Kommunikation – Dr. Helmut Becker
Vorwort<br />
Einhergehend mit der Weltwirtschaftskrise hat die <strong>Automobilindustrie</strong><br />
in den letzten Monaten einschneidende Veränderungen erlebt. Das<br />
Premiumsegment erlitt einen in der Automobilgeschichte nie da<br />
gewesenen Einbruch. GM wurde als langjährige No. 1 nicht nur<br />
abgelöst sondern regelrecht gelähmt. Ebenso mussten etablierte<br />
geographische Märkte wie die USA einen starken Absatzrückgang<br />
verzeichnen während China als einer der neuen Märkte auch in<br />
Zeiten der Krise weiterhin Zuwachsraten aufwies und noch immer<br />
aufweist. Neben diesen Veränderungen in Markt- und<br />
Industriestruktur schreiten Entwicklungen neuer Technologien mit<br />
grossen Schritten voran, wie z.B. in den Bereichen Antriebsstrang,<br />
Fahrzeugkommunikation oder Fahrzeugsicherheit. Hinzu kommt,<br />
dass die Mobilität und Mobilitätsanspruch in Zukunft eher zu- als<br />
abnehmen und sich eher evolutionär als revolutionär entwickeln<br />
werden. Damit bieten sich - wie in jeder Krise oder Veränderung –<br />
nicht zuletzt den Schweizer Zulieferern der <strong>Automobilindustrie</strong><br />
zahlreiche Chancen. Es lohnt sich also, den Blick nach vorne zu<br />
richten.<br />
Viele Firmen in der Schweiz sind als Zulieferer von der Krise und den<br />
genannten Entwicklungen der <strong>Automobilindustrie</strong> betroffen. Bereits<br />
2008 hat sich unser Forschungsteam intensiv mit den Schweizer<br />
Automobil(zuliefer)industrie beschäftigt und damit die Ausgangslage<br />
für eine systematische Branchenbeobachtung geschaffen. Dabei<br />
wurde deutlich, welche ökonomische Bedeutung diese Industrie für<br />
die Schweiz hat und wie erfolgreich Schweizer Firmen sich in der<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> positioniert haben. Vor dem Hintergrund der<br />
aktuellen Entwicklungen stellt sich die Frage nach den<br />
Konsequenzen und den für jede Firma individuell zu bestimmenden<br />
Schlüssen. Während für die einen eine Festigung ihrer Position<br />
zukunftssichernd wirkt, ist es für die anderen eine Re-Positionierung.<br />
Die vorliegende Untersuchung analysiert die wesentlichen<br />
Veränderungstreiber der <strong>Automobilindustrie</strong> vor dem Hintergrund der<br />
aktuellen weltweiten Entwicklungen und beschreibt deren<br />
Auswirkungen auf die Europäischen Firmen. Sie dient als Grundlage,<br />
um effektive Massnahmen für eine Weiterentwicklung und Stärkung<br />
der Schweizer Firmen zu<br />
definieren.<br />
Wir wünschen Ihnen viel Spass<br />
bei der Lektüre.<br />
Dr. Anja Schulze<br />
Leiterin des swiss CAR<br />
2
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort ..................................................................................... 2<br />
Inhaltsverzeichnis ................................................................... 3<br />
Abbildungsverzeichnis ........................................................... 5<br />
Tabellenverzeichnis ................................................................ 6<br />
1. Die Rahmenbedingungen der <strong>Automobilindustrie</strong> ........ 7<br />
1.1. Struktur der Weltautomobilindustrie ............................. 8<br />
1.1.1. Nachfrageseite (Absatzmärkte) .............................................. 8<br />
1.1.2. Produktionsseite ................................................................... 13<br />
1.2. Konjunkturelle, weltwirtschaftliche Einflussfaktoren 16<br />
1.3. Bevölkerungsentwicklung in den Weltregionen ........ 20<br />
1.3.1. Langfristige demographische Entwicklung ........................... 20<br />
1.3.2. Einkommens- und Kaufkraftentwicklung .............................. 22<br />
1.4. Analyse und Prognose der weltweiten<br />
Automobilmärkte .......................................................... 27<br />
1.4.1. Abwrackprämien als staatliche Subventionsprogramme ...... 28<br />
1.4.2. Triade bis 2015 ..................................................................... 32<br />
1.4.3. Wachstumsmärkte (BRIC-Staaten) bis 2015 ....................... 34<br />
2. Ext. Veränderungstreiber in der <strong>Automobilindustrie</strong> ... 40<br />
2.1. Entwicklung der Rohstoff- & Energiepreise ............... 40<br />
2.2. Neue Anforderungen zur Umweltverträglichkeit ........ 44<br />
2.2.1. Aktuelle und künftige gesetzliche Auflagen .......................... 44<br />
2.2.2. Entwicklungen in der Motoren- / Antriebstechnologien ........ 48<br />
2.2.3. Strukturveränderung durch Elektromobilität ......................... 57<br />
2.2.4. Einsatz neuer Materialien / Werkstoffe im Fahrzeug ............ 61<br />
2.3. Veränderungen in den gesellschaftlichen<br />
Mobilitätsansprüchen ................................................... 63<br />
3. Brancheninterne Einflussfaktoren der<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> ................................................................ 67<br />
3.1. Analyse der aktuellen Entwicklung in der<br />
Branchenstruktur .......................................................... 67<br />
3.1.1. Fusionen und Insolvenzen bei den Herstellern .................... 67<br />
3.1.2. Veränderungen in der Zuliefererstruktur............................... 72<br />
3.2. Veränderungen innerhalb der Wertschöpfungskette 74<br />
3.2.1. Fertigungsstrukturen ............................................................. 74<br />
3.2.2. Fertigungstiefen .................................................................... 75<br />
3.3. Technische Entwicklung im Fertigungsprozess ........ 76<br />
3.4. Trend zu Kooperationen und strategischen Allianzen<br />
........................................................................................ 78<br />
3
3.4.1. Im Einkauf ............................................................................. 80<br />
3.4.2. In der Entwicklung ................................................................ 80<br />
3.4.3. In der Fertigung .................................................................... 81<br />
4. Auswirkungen auf die <strong>Automobilindustrie</strong> in <strong>Europa</strong> . 83<br />
4.1. Zukünftige Struktur der supply chain ......................... 83<br />
4.2. Prognose der europäischen Produktionsstandorte/ -<br />
netzwerke ...................................................................... 84<br />
4.3. Veränderte Anforderungen an Hersteller und<br />
Zulieferer ....................................................................... 90<br />
5. Zusammenfassung und Fazit der künftigen<br />
Entwicklungen in der europäischen <strong>Automobilindustrie</strong> .. 93<br />
5.1. Handlungsfelder für Europäische Firmen ................... 94<br />
5.2. Handlungsfelder für (teil)staatliche und private<br />
Institutionen zur Unterstützung der<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> ....................................................... 97<br />
Anhang ................................................................................... 99<br />
Tabelle 12: Produktion in den EU-Beitrittsländern nach<br />
Hersteller 2008 ....................................................................... 99<br />
Tabelle 13: Produktion in Osteuropa nach Hersteller 2008<br />
.............................................................................................. 100<br />
Literaturverzeichnis ................................................................... 101<br />
4
Abbildungsverzeichnis<br />
Abbildung 1-1: Entwicklung der Pkw-Neuzulassungen in Mio.<br />
Einheiten in der Triade ........................................................ 9<br />
Abbildung 1-2: Pkw-Dichten nach Weltregionen ............................... 10<br />
Abbildung 1-3: Regionale Verteilung der Kfz Neuzulassungen ......... 11<br />
Abbildung 1-4: Pkw-Bestand in der Triade und in den BRIC-<br />
Staaten .............................................................................. 12<br />
Abbildung 1-5: Neuzulassungen in Deutschland nach<br />
Bestandszugang und Ersatzbedarf (in Mio. Einh.) ............ 13<br />
Abbildung 1-6: Entwicklung der Pkw-Produktion in Mio. Einheiten<br />
in der Triade ...................................................................... 14<br />
Abbildung 1-7: Entwicklung der Fahrzeugproduktion ........................ 15<br />
Abbildung 1-8: Fahrzeugproduktion nach Herstellern, 2008 ............. 15<br />
Abbildung 1-9: Exportanteil an der Inlandsproduktion der<br />
deutschen Hersteller ......................................................... 16<br />
Abbildung 1-10: Auftragseingang der <strong>Automobilindustrie</strong> in<br />
Deutschland ...................................................................... 17<br />
Abbildung 1-11: Entwicklung der Weltbevölkerung ........................... 21<br />
Abbildung 1-12: Bevölkerungspyramide Deutschland für die Jahre<br />
2005 und 2050 .................................................................. 22<br />
Abbildung 1-13: Prognose der langfristigen Wachstumsaussichten . 24<br />
Abbildung 1-14: Entwicklung der Reallöhne ...................................... 25<br />
Abbildung 1-15: Langfristige Entwicklung der Pro-Kopf-<br />
Einkommen ....................................................................... 26<br />
Abbildung 1-16: Pkw-Absatz – Entwicklung nach Regionen ............. 28<br />
Abbildung 1-17: Auswirkungen der Abwrackprämie in Deutschland . 32<br />
Abbildung 1-18: Prognose Triade ...................................................... 33<br />
Abbildung 1-19: Prognose Pkw-Absatz in Deutschland .................... 34<br />
Abbildung 1-20: China: Neuzulassungen und Produktion im<br />
internationalen Vergleich ................................................... 36<br />
Abbildung 1-21: Prognose BRIC-Staaten .......................................... 39<br />
Abbildung 2-1: Anstieg der Rohstoffpreise ........................................ 40<br />
Abbildung 2-2: Weltenergienachfrage 2005-2020 ............................. 43<br />
Abbildung 2-3: Energieeffizienz......................................................... 43<br />
Abbildung 2-4: Langfristige Ölpreisentwicklung ................................ 44<br />
Abbildung 2-5: Geforderte CO2-Reduzierung nach Herstellern ........ 46<br />
Abbildung 2-6: CO2-Ausstoss der neuzugelassenen Pkw in<br />
<strong>Europa</strong> in g/km .................................................................. 47<br />
Abbildung 2-7: Batterietechnologien im Vergleich ............................. 52<br />
Abbildung 2-8: Fahrzeugherstellerkosten nach<br />
Antriebstechnologie ........................................................... 53<br />
5
Abbildung 2-9: Lebenszykluskosten im Vergleich ............................. 53<br />
Abbildung 2-10: Trend in Industriestaaten ........................................ 64<br />
Abbildung 2-11: Megastädte der Welt von 1950 - 2015 in Mio. ........ 65<br />
Abbildung 3-1: Konzentration auf OEM Ebene ................................. 67<br />
Abbildung 3-2: Konzentration in der Automobilbranche .................... 72<br />
Abbildung 3-3: Verlagerung der Wertschöpfung ............................... 76<br />
Abbildung 3-4: Plattformstrategie bei Renault – Nissan .................... 77<br />
Abbildung 4-1: Kfz-Produktion weltweit ............................................. 85<br />
Abbildung 4-2: Deutschland als Premium-Standort .......................... 86<br />
Abbildung 4-3: Pkw-Produktion in Westeuropa und den EU-<br />
Beitrittsländern bis 2012 .................................................... 87<br />
Abbildung 4-4: Produktionswachstum in der EU nach Ländern ........ 88<br />
Tabellenverzeichnis<br />
Tabelle 1: BIP-Wachstum, real .......................................................... 18<br />
Tabelle 2: reales Wirtschaftswachstum nach Regionen .................... 19<br />
Tabelle 3: Langfristiges BIP-Wachstum ............................................ 24<br />
Tabelle 4: Verschrottungsprämien richten sich nur nach Alter des<br />
Alter des Altwagens ........................................................... 29<br />
Tabelle 5: Verschrottungsprämien richten sich zusätzlich nach<br />
CO2-Ausstoss des Neuwagens ........................................ 30<br />
Tabelle 6: Überblick der Funktionen je Hybrid-Art ............................. 51<br />
Tabelle 7: Staatliche Förderprogramme für Elektroautos in<br />
einzelnen Ländern ............................................................. 57<br />
Tabelle 8: Prämien für Elektroautos .................................................. 58<br />
Tabelle 9: Geplante Produktion in Tsd. Stück in Osteuropa nach<br />
Hersteller ........................................................................... 89<br />
Tabelle 10: Produktion in den EU-Beitrittsländern nach Hersteller<br />
2008 .................................................................................. 99<br />
Tabelle 11: Produktion in Osteuropa nach Hersteller 2008 ............. 100<br />
6
1. Die Rahmenbedingungen der <strong>Automobilindustrie</strong><br />
Das Automobil und die dazugehörige <strong>Automobilindustrie</strong> haben dem<br />
20. Jahrhundert ihren Stempel aufgedrückt. Der Aufstieg der heute<br />
hoch entwickelten Industrienationen (G 8) wäre ohne die<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> mit ihren weit reichenden Wachstums- und<br />
Wohlstandeffekten in der gesamten Wirtschaft nicht möglich<br />
geworden. Die <strong>Automobilindustrie</strong> wurde zu einer der wichtigsten<br />
Branchen weltweit, zunächst in den USA, <strong>Europa</strong> und Japan (die so<br />
genannte „Triade“), mittlerweile immer stärker zunehmend auch in<br />
den Schwellenländern wie China, Indien, Russland und Brasilien (die<br />
so genannten „BRIC-Staaten“).<br />
Aktuell, zur Jahresmitte 2009, jedoch befindet sich die gesamte<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> in einer tiefen, nie da gewesenen Krise. Die<br />
Hersteller und Zulieferunternehmen sind von einem konjunkturellen<br />
und strukturellen Nachfrageeinbruch betroffen, der auf allen<br />
Absatzmärkten weltweit gleichzeitig auftritt. Drastische<br />
Absatzrückgänge und erhebliche Beschäftigungsprobleme mit<br />
massenweiser Kurzarbeit und Werkschliessungen bis hin zu<br />
Zuliefererinsolvenzen prägen das aktuelle Bild der Branche. Noch ist<br />
nicht absehbar, wann diese Krise überstanden sein wird, und welche<br />
Unternehmen dann noch auf dem Markt übrig sein werden. Es<br />
werden aber mit Sicherheit nicht alle überleben können. Denn bereits<br />
vor Ausbruch der Finanz- und Wirtschaftskrise stand der Welt-<br />
Automobilmarkt unter einem harten globalen<br />
Verdrängungswettbewerb, der von Sättigungstendenzen,<br />
Überkapazitäten, verfehlter Modellpolitik und von neuen auf den<br />
Markt drängenden Anbietern aus China, Indien und Osteuropa<br />
geprägt war. Der hohe Wettbewerbsdruck hatte somit über die<br />
gesamte automobile Wertschöpfungskette hinweg bei allen<br />
Beteiligten - OEMs wie Zulieferern - zu deutlich gesteigertem<br />
Ertragsdruck geführt.<br />
Durch die aktuelle Wirtschaftskrise kam seit Ende 2008 noch ein<br />
erheblicher Absatzeinbruch hinzu, weltweit verzeichneten die<br />
Neuwagenverkäufe im ersten Halbjahr 2009 ein Minus von mehr als<br />
20% gegenüber der ersten Jahreshälfte 2008. Für das Gesamtjahr<br />
2009 wird mit einem Rückgang der Neuzulassungen in der Höhe von<br />
bis zu 15 Millionen gerechnet – ein Markteinbruch in noch nie da<br />
gewesenem Ausmass.<br />
Unabhängig von diesen konjunkturellen Belastungsfaktoren befindet<br />
sich die <strong>Automobilindustrie</strong>, mit den grossen Herstellern an der<br />
Spitze, in jüngster Vergangenheit in einem elementaren<br />
Veränderungsprozess ihrer Geschäftsgrundlagen: Der<br />
Weltautomobilmarkt befindet sich einer strukturellen Umbruchphase.<br />
Während die Automobilproduzenten über Jahrzehnte hinweg auf ein<br />
beträchtliches Wachstum der Triade-Märkte in den USA, Japan und<br />
Westeuropa bauen konnten, wächst hier die Zahl der<br />
7
Neuzulassungen schon seit Beginn des 21. Jahrhunderts nicht mehr<br />
in nennenswertem Umfang. Diese Märkte sind in eine Phase der<br />
Sättigung eingetreten, während gleichzeitig das Aufstreben neuer<br />
Märkte in Asien und auch Osteuropa zu einer deutlichen regionalen<br />
Verschiebung der Wachstumsdynamik auf dem Weltautomobilmarkt<br />
führte. Die entsprechenden Folgen für die Produktionsstandorte und -<br />
kapazitäten haben bereits begonnen, werden aber noch zu weiteren<br />
deutlichen strukturellen Veränderungen führen. Die Globalisierung<br />
zwingt die Unternehmen zur Verlagerung und Aufbau von<br />
Produktionskapazitäten in den Regionen, wo der Absatz vor Ort noch<br />
wächst oder wo Produktion zu wettbewerbsfähigeren Preisen möglich<br />
ist, als an den bisherigen Standorten in den etablierten<br />
Industrieländern.<br />
Diese konjunkturellen und strukturellen Veränderungen wirken sich<br />
entlang der gesamten Wertschöpfungskette innerhalb der Branche<br />
aus. Alle Beteiligten unterliegen einem starken Anpassungsdruck an<br />
diese veränderten Rahmenbedingungen.<br />
1.1. Struktur der Weltautomobilindustrie<br />
1.1.1. Nachfrageseite (Absatzmärkte)<br />
Die Absatzmärkte der weltweiten <strong>Automobilindustrie</strong> befanden sich<br />
bis zum Jahr 2000 fast ausschliesslich in den etablierten<br />
Industrieländern der so genannten Triade (USA, Westeuropa und<br />
Japan). Rund drei Viertel aller weltweit jährlich produzierten Pkw<br />
(2008: rd. 66 Mio.) wurden in diesen drei Märkten verkauft. Die<br />
restlichen Länder der Welt spielten bis zu diesem Zeitpunkt, obwohl<br />
sie knapp 90% der Weltbevölkerung stellen, allenfalls eine<br />
untergeordnete Rolle für die <strong>Automobilindustrie</strong>.<br />
Die Automobilhersteller konzentrierten sich auf die Triade-Länder, in<br />
denen die Absatzzahlen im Trend – von konjunkturellen<br />
Schwankungen abgesehen – Jahr für Jahr stetig anstiegen und<br />
dadurch über ein Mehr an Verkaufsvolumen ein profitables<br />
Wachstum ermöglichten. Man war unter sich,<br />
Aussenseiterwettbewerb gab es infolge der ideologischen freiwilligen<br />
Selbstabschottung und Kasteiung nicht.<br />
Diese seit Ende des Zweiten Weltkrieges gültige globale Aufteilung<br />
der Welt hat sich innerhalb der letzten 10 Jahre erheblich verändert.<br />
Seit Beginn des 21. Jahrhunderts herrscht in den Kernmärkten der<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> eine ausgeprägte Nachfrageflaute – unabhängig<br />
von der aktuellen Weltwirtschaftskrise, die den Trend noch weiter<br />
verschärft hat. Mit einer normalen konjunkturellen<br />
Nachfrageschwäche lässt sich dieser seit Jahren anhaltende Trend<br />
einer Stagnation allein nicht mehr erklären. Vielmehr sind die hoch<br />
entwickelten Volumenmärkte der Triade voll gesättigt. Der Absatz in<br />
der Triade hatte mit 39, 8 Millionen verkauften Pkw (inkl. leichter<br />
Nutzfahrzeuge) seinen Höchstwert im Jahr 2000, seitdem stagniert<br />
der Wert zwischen 38 und 39 Millionen Fahrzeugen pro Jahr, ein<br />
8
allgemeines Marktwachstum findet hier kaum noch statt. Im Jahr<br />
2008 brach der Absatz in der Triade durch die Auswirkungen der<br />
weltweiten Finanzkrise auf 33,6 Millionen Pkw ein (vgl. Abbildung<br />
1-1).<br />
Die Hersteller können in diesen Regionen ihren Absatz nur noch<br />
durch einen wachsenden Marktanteil steigern und somit nur zu<br />
Lasten ihrer Wettbewerber. Als Folge entstand in den Triade-Ländern<br />
seit der Jahrtausendwende ein verstärkter Verdrängungswettbewerb<br />
zwischen den Herstellern, mit teilweise ruinösen Rabattschlachten.<br />
20<br />
18<br />
16<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
Pkw-Neuzulassungen in Mio. Einheiten<br />
1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />
Westeuropa USA (light duty) Japan<br />
Quelle VDA, eigene Darstellung<br />
Abbildung 1-1: Entwicklung der Pkw-Neuzulassungen in Mio. Einheiten in der<br />
Triade<br />
Während die etablierten Absatzmärkte der <strong>Automobilindustrie</strong> seit<br />
Jahren stagnieren oder teilweise sogar schrumpfen fand eine<br />
Verlagerung der Wachstumszentren der Branche in die Boom-<br />
Regionen der Weltwirtschaft statt. Diese regionale Verschiebung<br />
erfolgte einerseits innerhalb <strong>Europa</strong>s in die Staaten des ehemaligen<br />
Ostblocks, andererseits aber auch weltweit in Richtung Asien, allen<br />
voran die Bevölkerungsriesen China und Indien.<br />
In den hoch entwickelten westlichen Industriestaaten der Triade, ist<br />
neben ökonomischen Faktoren (stagnierende Realeinkommen,<br />
steigende Rohstoffpreise, etc.) eine wesentliche Ursache für die<br />
Marktsättigung vor allem der hohe Motorisierungsgrad der<br />
Bevölkerung. Bei einer Dichte von 800 Pkw pro 1000 Einwohner in<br />
den USA und 500 Pkw in Westeuropa und Japan ist in der Triade<br />
bereits ein Niveau erreicht, das nur noch wertmässige, aber kaum<br />
noch volumenmässige Wachstumspotenziale bietet.<br />
Die neuen Wachstumsmärkte in Osteuropa, Asien und Südamerika<br />
weisen dagegen einen hohen Aufholbedarf in der Motorisierung und<br />
entsprechend geringe Pkw-Dichten auf. In China und Indien hat<br />
statistisch gesehen bisher nur jeder 100. bzw. 50. Einwohner ein<br />
Pkw, und in den osteuropäischen Ländern liegt die Pkw-Dichte in der<br />
Bevölkerung bei weniger als der Hälfte des deutschen Niveaus (vgl.<br />
Abbildung 1-2). Im Zuge der wirtschaftlichen Entwicklung und dem<br />
9
fortschreitendem Wohlstand in diesen Wachstumsregionen ist daher<br />
auch mit einem starken Anstieg der Pkw-Verkäufe zu rechnen. In<br />
China beispielsweise hat sich die PKW-Dichte innerhalb eines<br />
Jahrzehnts fast vervierfacht.<br />
Zusätzlich wächst in vielen Regionen, wie beispielsweise Indien oder<br />
Brasilien auch die Bevölkerungszahl (im Gegensatz zu <strong>Europa</strong> und<br />
Japan) noch stark an, sodass hier die Zahl der Pkw selbst dann<br />
ansteigt, wenn der Mobilitätsgrad auf dem niedrigen Ausgangsniveau<br />
bleiben würde. Was er aber nicht tut!<br />
Pkw-Dichte 2007<br />
Anzahl Pkw/Light Vehicles pro 1000 Einwohner<br />
USA<br />
804<br />
Westeuropa<br />
Deutschland<br />
504<br />
501<br />
Japan<br />
451<br />
Osteuropa<br />
Russland<br />
199<br />
228<br />
Brasilien<br />
Südamerika<br />
95<br />
109<br />
China<br />
Indien<br />
17<br />
11<br />
0 100 200 300 400 500 600 700 800 900<br />
Quelle: VDA, eigene Darstellung<br />
Abbildung 1-2: Pkw-Dichten nach Weltregionen<br />
Dementsprechend gewinnen mit steigendem wirtschaftlichem<br />
Aufstieg der Emerging/Rising Countries auch die dortigen<br />
Automobilmärkte wesentlich an Gewicht, vor allem angesichts der<br />
Stagnation auf den traditionellen Märkten. Die Länder Asiens und<br />
Osteuropas sind innerhalb der Weltautomobilindustrie nicht länger auf<br />
die Rolle billiger Produktionsstandorte für einfache Zulieferteile<br />
beschränkt, sondern sind schon heute die wichtigsten<br />
Wachstumstreiber bei der lokalen Produktion und dem Absatz der<br />
Endfahrzeuge und bieten auch in Zukunft die weitaus grössten<br />
Wachstumspotentiale für die Branche als Ganzes. Nur dank dieser<br />
neuen Märkte konnte die <strong>Automobilindustrie</strong> auch im 21. Jahrhundert,<br />
trotz der Stagnation in der Triade, insgesamt weiterhin kräftig<br />
wachsen, von rund 56 Millionen verkaufter Fahrzeuge im Jahr 2000<br />
auf mehr als 66 Millionen in 2007 und 63 Millionen in 2008.<br />
Die wichtigsten Wachstumsmärkte sind dabei die so genannten<br />
BRIC-Staaten: Brasilien, Russland, Indien und China. Allein in China<br />
stieg der Absatz innerhalb der vergangenen acht Jahre um mehr als<br />
7 Millionen Fahrzeuge an, von 2 Millionen Fahrzeugen im Jahr 2000<br />
auf über 9 Millionen Fahrzeuge im Jahr 2008) Damit ist China<br />
mittlerweile hinter den USA der zweitgrösste Absatzmarkt in der<br />
<strong>Automobilindustrie</strong>. In Russland verdreifachte sich der Fahrzeug-<br />
Absatz von 0,8 Millionen in 2000 auf 3,2 Millionen in 2008, in<br />
10
Brasilien verdoppelte sich der Absatz von 1,4 Millionen in 2.000 auf<br />
2,8 Millionen Fahrzeuge in 2008 und in Indien legte der<br />
Fahrzeugabsatz von 850.000 Stück auf etwa 2 Millionen Stück zu.<br />
Allein in diesen vier Ländern stieg der Absatz seit dem Jahr 2000<br />
somit um mehr als 12 Millionen Fahrzeuge, während die weltweiten<br />
Verkäufe in Summe lediglich um 7 Millionen wuchsen. Das bedeutet,<br />
ohne die BRIC-Staaten wären die Automobilhersteller weltweit schon<br />
seit Jahren einem schrumpfenden Absatzmarkt ausgesetzt gewesen.<br />
Dementsprechend gravierend stellen sich die Veränderungen in der<br />
regionalen Aufteilung des Weltautomobilmarkts dar. Der Anteil der<br />
Triade an den weltweiten Fahrzeug-Neuzulassungen sank von 75%<br />
im Jahr 2000 auf nur noch 55% im Jahr 2008 (vgl. Abbildung 1-3) und<br />
durch die aktuellen Auswirkungen der weltweiten Wirtschaftskrise<br />
werden im Jahr 2009 voraussichtlich erstmals weniger Fahrzeuge in<br />
der Triade verkauft als im Rest der Welt.<br />
Für die etablierten Hersteller bedeuten diese Verschiebungen in der<br />
regionale Struktur der weltweiten Automobilnachfrage neben den<br />
neuen Wachstumschancen auch ein erhebliches<br />
Bedrohungspotenzial für ihre Geschäftstätigkeit. Denn während auf<br />
ihren traditionellen Absatzmärkten der Konkurrenzkampf um die<br />
stagnierende Käuferzahl zunehmend steigt, müssen sie sich in den<br />
Wachstumsmärkten mit neuen Anforderungen an das Produkt und<br />
vor allem mit neuen einheimischen Wettbewerben<br />
auseinandersetzen. So ist der chinesische Markt beispielsweise nach<br />
wie vor nur über Joint-Ventures mit chinesischen Partner-Herstellern<br />
zu bedienen und in Indien muss hauptsächlich die Nachfrage nach<br />
preiswerten Einstiegsfahrzeugen für Erstkäufer abgedeckt werden,<br />
die westliche Hersteller aber nicht zu bieten haben.<br />
Top 10 Absatzmärkte 2008<br />
Kfz insgesamt, in Mio. Stück<br />
Kfz-Neuzulassungen 2008 nach<br />
Weltregionen<br />
insg. rd. 63 Mio. Fahrzeuge<br />
USA<br />
China<br />
Japan<br />
5,1<br />
9,4<br />
13,5<br />
Japan<br />
8%<br />
China 15%<br />
Deutschland<br />
Russland<br />
3,4<br />
3,2<br />
Westeuropa<br />
26%<br />
USA<br />
22%<br />
Rest der Welt<br />
45%<br />
Indien 3%<br />
restl. Asien 6%<br />
neue EU-Beitrittsl.<br />
2%<br />
restl. Osteuropa<br />
6%<br />
restl. NAFTA 4%<br />
Brasilien<br />
Frankreich<br />
Großbritannien<br />
Italien<br />
2,8<br />
2,6<br />
2,5<br />
2,4<br />
Mercosur 6%<br />
Indien<br />
2,0<br />
Sonstige 2%<br />
0 2 4 6 8 10 12 14 16<br />
Quelle: VDA, eigene Darstellung<br />
Abbildung 1-3: Regionale Verteilung der Kfz Neuzulassungen<br />
Im Gegensatz zu den Wachstumsmärkten tendieren in den<br />
westlichen Industriestaaten der Triade die Zuwachsraten beim<br />
Bestand an Kraftfahrzeugen (und damit bei der Pkw-Dichte) aufgrund<br />
des bereits erreichten hohen Niveaus im längerfristigen Trend gegen<br />
Null. In Deutschland wuchs der Pkw-Bestand innerhalb der<br />
11
vergangenen zehn Jahre lediglich um 10% auf 41 Millionen Pkw, in<br />
den letzten Jahren überhaupt nicht mehr.<br />
In Westeuropa und USA lag der Bestandszuwachs nur unwesentlich<br />
höher. Das grösste Bestandswachstum in den vergangenen Jahren<br />
war in China zu verzeichnen, wo sich die Anzahl der Pkw seit 1999<br />
nahezu verfünffacht hat, von 4,5 Millionen auf 22 Millionen im Jahr<br />
2008. In Indien war ein ähnlich starkes Wachstum zu verzeichnen, in<br />
Russland und Brasilien waren die Zuwächse etwas geringer.<br />
Allerdings bleibt festzuhalten, dass diese Länder aufgrund ihres<br />
niedrigen Ausgangsniveaus bezüglich ihrer Flottengrösse noch immer<br />
eine untergeordnete Rolle im Vergleich zu den Triade-Märkten<br />
spielen. Der Bestandszuwachs in allen vier BRIC-Staaten zusammen<br />
war – trotz der sehr hohen relativen Zuwachsraten – in absoluten<br />
Stückzahlen mit rund 50 Millionen Pkw gerade einmal so gross wie<br />
das Bestandwachstum in den USA im selben Zeitraum (vgl.<br />
Abbildung 1-4). Die hohen Zuwachsraten des Bestands in den BRIC-<br />
Staaten werden aber in Zukunft noch weiterhin anhalten, da in diesen<br />
Ländern die Neuwagenverkäufe infolge nahezu fehlender<br />
Verschrottungen den Fahrzeug-Bestand eins zu eins erhöhen.<br />
In Deutschland dienen indessen bereits weit über 90% der verkauften<br />
Neufahrzeuge lediglich dem Ersatz von Altfahrzeugen und führen<br />
somit nicht mehr zu Bestandswachstum. Die Nachfrage nach<br />
Neufahrzeugen entsteht hier fast ausschliesslich durch den<br />
Ersatzbedarf (vgl. Abbildung 1-5). Angesichts der zunehmenden<br />
Lebensdauer der Fahrzeuge (Qualitätsfortschritt, abnehmende<br />
Fahrleistung, Einschränkung der Nutzung in Ballungsgebieten etc.)<br />
verschiebt sich die Anschaffung dieses Ersatzbedarfs allerdings<br />
immer weiter hinaus. Das Durchschnittsalter des Fahrzeugbestands<br />
stieg in der Vergangenheit stetig an, im Jahr 2008 waren bereits mehr<br />
als 16 Millionen Pkw – fast ein Drittel des Bestandes - in Deutschland<br />
älter als neun Jahre. Dies erklärt auch den Erfolg der Abwrackprämie,<br />
durch die 2 Millionen Altfahrzeuge durch neue ersetzt wurden. Durch<br />
die Abwrackprämie hat sich der Bestand so wieder ein wenig<br />
verjüngt, entsprechend geringer wird der Ersatzbedarf hier in den<br />
kommenden Jahren ausfallen.<br />
250<br />
200<br />
+ 19%<br />
Triade Pkw-Bestand<br />
+ 16%<br />
1999 2008<br />
30<br />
25<br />
+ 44%<br />
BRIC Pkw-Bestand<br />
+ 386%<br />
+ 46%<br />
1999 2008<br />
20<br />
Millionen Stück<br />
150<br />
100<br />
+ 13%<br />
Millionen Stück<br />
15<br />
10<br />
+ 179%<br />
50<br />
+ 10%<br />
5<br />
0<br />
USA<br />
Westeuopa (EU-<br />
15)<br />
Japan<br />
Deutschland<br />
0<br />
Russland China Brasilien Indien<br />
Quelle: VDA, eigene Darstellung<br />
Abbildung 1-4: Pkw-Bestand in der Triade und in den BRIC-Staaten<br />
12
Pkw-Ersatzbedarf in Deutschland<br />
5<br />
4<br />
Mio. Stück<br />
3<br />
2<br />
Neuzulassungen<br />
Ersatzbedarf<br />
(Löschungen)<br />
1<br />
0<br />
1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008<br />
Quelle: VDA, eigene Darstellung<br />
Abbildung 1-5: Neuzulassungen in Deutschland nach Bestandszugang und<br />
Ersatzbedarf (in Mio. Einh.)<br />
1.1.2. Produktionsseite<br />
Während auf der Absatzseite alle Triadeländer eine Stagnation an<br />
der Sättigungsgrenze aufweisen und ein Wachstum fast<br />
ausschliesslich ausserhalb der hoch entwickelten Industrieländer<br />
stattfindet, sieht das Bild auf der Produktionsseite etwas<br />
differenzierter aus. Unabhängig von der aktuellen Branchenkrise, von<br />
der die USA, aber auch <strong>Europa</strong> besonders stark getroffen sind,<br />
herrschen deutliche strukturelle Unterschiede. Dies hat viele Gründe.<br />
In Japan wurden die stagnierenden Neuzulassungen auf den<br />
Heimatmärkten durch gesteigerten Export in andere Absatzmärkte<br />
mehr als ausgeglichen, die japanischen Hersteller konnten ihr<br />
Exportgeschäft in den vergangenen zehn Jahren stetig ausbauen und<br />
so die Produktion an ihren Heimatstandorten kräftig steigern, auf<br />
knapp 10 Millionen Pkw im Jahr 2008.<br />
Auch in Westeuropa, wo in den letzten Vorkrisen- Jahren mit<br />
deutlichem Abstand die meisten Fahrzeuge in der Triade produziert<br />
wurden, konnte der stetig wachsende Exportanteil die schwache<br />
Binnennachfrage grösstenteils kompensieren. Daher stagnieren die<br />
Produktionszahlen hier seit mehreren Jahren auf einem Niveau<br />
zwischen 14 und 15 Millionen Pkw, im Jahr 2008 ging die Produktion<br />
allerdings in Folge der Weltfinanzkrise auf nur noch 13 Millionen Pkw<br />
zurück. Langfristig ist in Westeuropa mit keinem nennenswerten<br />
Produktionswachstum mehr zu rechnen, da die europäischen<br />
Hersteller immer stärker dazu übergehen, einen Teil ihres Exports<br />
durch den Aufbau von Produktionsstätten vor Ort in den weltweiten<br />
Wachstumsmärkten zu ersetzen. Die asiatischen Hersteller, die auf<br />
dem europäischen Markt zunehmend aktiv sind, bauen ihre<br />
Produktion am Hochlohnstandort Westeuropa nur geringfügig aus,<br />
ihre neuen Werke werden eher im osteuropäischen Ausland<br />
(Tschechin, Slowakei, Ungarn, Polen, Russland) aufgebaut, und<br />
natürlich in Asien selber, vor der eigenen Haustüre.<br />
13
In den USA hat die Automobilproduktion bereits Ende der Neunziger<br />
Jahre ihren Höhepunkt überschritten und ist seit dem deutlich<br />
rückläufig, von 12,6 Millionen (1999) auf 10,5 Millionen (2007), bzw.<br />
ist im Zuge der aktuellen Krise auf nur noch 8,5 Millionen Fahrzeuge<br />
gesunken. Dieser Produktionsrückgang in den USA fand bei den drei<br />
grossen US-Herstellern (GM, Ford, Chrysler) mit ihren Werken für<br />
SUV´s noch deutlich stärker statt. Denn die asiatischen Hersteller<br />
bedienten die wachsende Nachfrage nach ihren verbrauchsärmeren<br />
Fahrzeugen nicht nur durch Exporte dorthin, sondern auch<br />
kontinuierlich durch den Aufbau eigener Produktionsstätten in den<br />
USA. Aufgrund der Finanz- und Wirtschaftskrise hat sich seit Mitte<br />
2008 auch die Lage der japanischen und koreanischen Hersteller in<br />
den USA im Zuge des allgemeinen Markteinbruch deutlich<br />
verschlechtert, auch deshalb, weil sie sich ebenfalls sehr stark mit<br />
ihren US-Werken auf den SUV-Bereich nach amerikanischem<br />
Geschmack auf- und eingestellt haben. So hat mittlerweile auch<br />
Toyota mit einem Teil seiner Produktpalette ähnliche Probleme wie<br />
die „Big Three“. Die Produktion der deutschen Hersteller in den USA<br />
spielt (bislang) volumenmässig keine nennenswerte Rolle, andere<br />
europäische Hersteller sind mit eigener Produktion in den USA seit<br />
langem nicht mehr vertreten. Lediglich Fiat wagt aktuelle mit der<br />
Übernahme von Chrysler ein Comeback.<br />
16<br />
15<br />
14<br />
13<br />
12<br />
11<br />
10<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6<br />
Quelle: VDA, eigene Darstellung<br />
Pkw-Produktion in der Triade<br />
in Mio. Stück<br />
1996 1997 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />
Westeuropa USA (light duty) Japan<br />
Abbildung 1-6: Entwicklung der Pkw-Produktion in Mio. Einheiten in der Triade<br />
Folgend dem globalen Strukturwandel der Nachfrage hat sich die<br />
regionale Verteilung der Weltautomobilproduktion im Laufe der<br />
Jahrzehnte erheblich verändert und passt sich nach und nach der<br />
regionalen Nachfrageverteilung an. Immer mehr Autos werden<br />
ausserhalb der Triade produziert, im Jahr 1970 waren es noch 10%,<br />
mittlerweile wird schon jedes Dritte Fahrzeug in mehr in den USA,<br />
Japan oder Westeuropa produziert. Noch bis zum Jahr 2000 fanden<br />
die regionalen Verschiebungen in der Produktion vornehmlich<br />
innerhalb der Triade statt, da beispielsweise die Japanischen<br />
Hersteller die Absatzmärkte in den USA und Westeuropa weniger<br />
durch den Export aus Japan, sondern vermehrt durch Produktion vor<br />
Ort bedienten. Dasselbe passiert nun seit einigen Jahren mit den<br />
Märkten ausserhalb der Triade, sodass die Produktion und damit<br />
auch die Beschäftigungssituation in der Branche in den westlichen<br />
Industrieländern stagnierend bis rückläufig sind.<br />
14
Fahrzeugproduktion 1970-2008<br />
10,6%<br />
15,9% 15,6%<br />
22,3%<br />
32,6%<br />
RoW<br />
38,8% 30,7% 30,7%<br />
29,6%<br />
Western<br />
Europe<br />
25,5%<br />
North<br />
America<br />
25,2% 25,8%<br />
Japan<br />
32,7%<br />
30,5%<br />
17,3%<br />
17,9%<br />
28,2% 27,8%<br />
17,5% 17,3%<br />
1970 1980 1990 2000 2008<br />
Quelle: VDA<br />
Abbildung 1-7: Entwicklung der Fahrzeugproduktion<br />
Ein kurzer Blick auf die Skala der Hersteller: Mit dem Rückgang der<br />
amerikanischen Automobilproduktion verlor auch General Motors<br />
seine jahrzehntelang angestammte Position als weltweit grösster<br />
Automobilhersteller. Auf Rang 1 liegt seit dem Jahr 2008 der<br />
japanische Toyota-Konzern (9,2 Mio. Fahrzeuge), vor GM (8,3 Mio.)<br />
und Volkswagen (6,4 Mio.), die erstmals Ford (5,4 Mio.) überholen<br />
konnten. Dieses Bild wird sich in den nächsten weiter zugunsten von<br />
Volkswagen verschieben.<br />
Millionen Einheiten<br />
10<br />
9<br />
8<br />
7<br />
6<br />
5<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
Produktion der globalen OEMs 2008 69,6 Mio.<br />
Quelle: OICA<br />
Abbildung 1-8: Fahrzeugproduktion nach Herstellern, 2008<br />
Insgesamt ist festzustellen, dass die <strong>Automobilindustrie</strong> trotz ihrer<br />
derzeitigen konjunkturellen und strukturellen Probleme unverändert<br />
eine wichtige Wachstumsbranche geblieben ist. Die Auswirkungen<br />
auf die einzelnen Hersteller sind allerdings sehr unterschiedlich. Die<br />
US-Hersteller, die stark von ihrem Heimatmarkt abhängig sind,<br />
mussten ihre Produktion erheblich kürzen, während beispielsweise<br />
die deutschen Hersteller stark von ihrer globalen Aufstellung<br />
15
profitieren konnten. Im Jahr 2008 lag der Absatz der deutschen<br />
Automobilhersteller 1 auf ihrem Heimatmarkt bei ca. 2 Millionen Pkw,<br />
weltweit konnten sie aber 12 Millionen Fahrzeuge produzieren und<br />
absetzen (Weltmarktanteil: 18%). Knapp die Hälfte dieser Fahrzeuge<br />
wurde in den deutschen Werken dieser Hersteller produziert und von<br />
dieser Inlandsproduktion gingen wiederum drei Viertel der Fahrzeuge<br />
in den Export, überwiegend in andere westeuropäische Länder<br />
(58%), sowie in die USA (12%), nach Asien (11%) und Osteuropa<br />
(5%).<br />
Inlandsproduktion aller Deutschen Hersteller<br />
6<br />
5<br />
Millionen Stück<br />
31%<br />
4<br />
3<br />
2<br />
1<br />
0<br />
Quelle: VDA<br />
1950<br />
1953<br />
1956<br />
1959<br />
1962<br />
1965<br />
1968<br />
1971<br />
1974<br />
1977<br />
1980<br />
1983<br />
1986<br />
Produktion Export<br />
1989<br />
1992<br />
1995<br />
1998<br />
2001<br />
2004<br />
2007<br />
Abbildung 1-9: Exportanteil an der Inlandsproduktion der deutschen Hersteller<br />
1.2. Konjunkturelle, weltwirtschaftliche Einflussfaktoren<br />
Die Auswirkungen der weltweiten Finanzkrise trafen die<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> besonders hart, die ohnehin vorhanden<br />
strukturellen Überkapazitäten der Hersteller wurden durch den<br />
konjunkturellen Nachfrageeinbruch noch deutlich verschärft. Die<br />
Wachstumsdynamik der Weltwirtschaft begann bereits ab dem Jahr<br />
2006 sich langsam abzuschwächen, was nach mehreren Jahren des<br />
weltweiten Booms einen nicht sonderlich aussergewöhnlichen<br />
Vorgang im normalen Konjunkturzyklus darstellt. Durch das Platzen<br />
der Blase an den Immobilienmärkten in USA und den dadurch<br />
ausgelösten Turbulenzen bei den Banken und Versicherungen kam<br />
es daraufhin jedoch zu einer weltweiten Finanzkrise, die voll auf die<br />
Realwirtschaft – und die <strong>Automobilindustrie</strong> als eine ihrer wichtigsten<br />
Branchen – durchgeschlagen hat.<br />
Wie in der Vergangenheit zeigt sich auch diesmal wieder, dass sich in<br />
Rezessionszeiten der konjunkturelle Abschwung in den<br />
Industrieländern besonders stark auf die Nachfrage nach langlebigen<br />
Konsumgütern auswirkt. Entsprechend stark betroffen ist die<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> von dieser Krise, zumal sich die Qualität und<br />
75%<br />
1 Die deutschen Konzerne, inkl. ihrer ausländischen Tochtermarken, sowie die deutschen<br />
Töchter der US-Hersteller, also: Volkswagen, Daimler, BMW, Opel, Ford (Deutschland),<br />
Porsche<br />
16
damit auch die Lebensdauer von Automobilen im letzen Jahrzehnt<br />
erheblich verbessert haben. Weltweit mussten Hersteller wie<br />
Zulieferer der Branche ihre Produktion empfindlich drosseln oder<br />
teilweise ganze Werke stilllegen. In der deutschen <strong>Automobilindustrie</strong><br />
brachen die Auftragseingänge ab Mitte 2008 dramatisch ein, im<br />
Januar 2009 lagen sie 40% unter dem Vorjahresmonat (Januar<br />
2008). Besonders stark war der Rückgang der Aufträge aus dem<br />
Ausland, die in den vergangenen Jahren der wesentliche<br />
Wachstumstreiber der Branche waren. Mit der Einführung staatlicher<br />
Konjunkturmassnahmen speziell für die <strong>Automobilindustrie</strong><br />
(„Abwrackprämien“ s. Kap. 1.4.1) konnte im Frühjahr 2009 in vielen<br />
Ländern der Einbruch der Branche gestoppt werden.<br />
Auftragseingang Herstellung von Kraftwagen und Kraftwagenteilen<br />
(Volumen, 2000 = 100)<br />
180,0<br />
Ausland Inland Gesamt<br />
170,0<br />
160,0<br />
150,0<br />
140,0<br />
130,0<br />
120,0<br />
110,0<br />
100,0<br />
90,0<br />
80,0<br />
70,0<br />
60,0<br />
2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009<br />
Quelle: Statistisches Bundesamt<br />
Abbildung 1-10: Auftragseingang der <strong>Automobilindustrie</strong> in Deutschland<br />
Eine vergleichbare Situation derart drastisch verschlechterter<br />
weltwirtschaftlicher Rahmenbedingungen gab es seit der<br />
Weltwirtschaftskrise Anfang der 1930er Jahre nicht mehr. Die für die<br />
Nachkriegszeit beispiellose Finanzkrise und die Konjunkturkrise<br />
verstärkten sich gegenseitig und haben einen globalen Einbrauch der<br />
Weltwirtschaft bewirkt, von dem niemand genau sagen kann, wann er<br />
wieder überwunden sein wird. Zum Zeitpunkt der Erstellung dieser<br />
Studie – im Herbst 2009 – sieht es so aus, als läge das Schlimmste<br />
hinter uns und komme die Welt noch einmal mit dem Schrecken einer<br />
schweren, aber doch beherrschbaren Rezession davon. Zumindest<br />
das zwischenzeitlich befürchtete Szenario einer jahrelang<br />
anhaltenden, schweren wirtschaftlichen Depression scheint<br />
mittlerweile dank riesiger staatlicher Konjunkturpakete und<br />
Schutzschirme für die Banken gebannt.<br />
In allen grossen westlichen Industrieländern ist die<br />
Wirtschaftsleistung seit mindestens drei Quartalen in Folge rückläufig,<br />
mit extremen Einbrüchen im ersten Quartal 2009. Im zweiten Quartal<br />
fiel der Rückgang in den – aufgrund ihrer Exportorientierung – am<br />
stärksten betroffenen Ländern Japan und Deutschland bereits wieder<br />
17
ein wenig schwächer aus, in den USA und anderen<br />
westeuropäischen Ländern verschärfte sich die Lage bis zum<br />
Sommer 2009 noch leicht. Eine nachhaltige und kräftige<br />
Konjunkturerholung ist bei Abgabe der Studie weit und breit nicht in<br />
Sicht. Allenthalben wird damit gerechnet, dass frühesten in<br />
2012/2013 das alte volkswirtschaftliche Produktionsniveau wieder<br />
erreicht werden wird.<br />
Tabelle 1: BIP-Wachstum, real<br />
BIP-Wachstum,<br />
real in % geg. Vj.<br />
Q3/08 Q4/08 Q1/09 Q2/09<br />
Prognose<br />
Gesamtjahr<br />
2009<br />
U.S.A. 0,0 -1,9 -3,3 -3,9 -2,5<br />
E.W.U. 0,5 -1,7 -4,9 -4,7 -4,0<br />
Deutschland 0,8 -1,8 -6,7 -5,9 -4,6<br />
Japan -0,3 -4,5 -8,3 -6,5 -5,8<br />
Alle westlichen Industrieländer befinden sich somit mitten in einer<br />
tiefen Rezession, die noch wesentlich stärker ausfallen würde, wenn<br />
die Regierungen und Notenbanken weltweit nicht in nie zuvor da<br />
gewesenem Ausmass interveniert hätten. Die Zentralbanken mit der<br />
amerikanischen Fed an der Spitze haben ihre Leitzinsen nahezu auf<br />
Null gesenkt und den Kapitalmärkten massiv mit Geld überflutet.<br />
Allerdings: Zentralbankgeld ist und bleibt Fremdkapital; es ersetzt<br />
kein Eigenkapital und keine Rentabilität!<br />
Zusätzlich wurden weltweit staatliche Konjunkturprogramme<br />
eingeführt, die in ihrer Grösse beispiellos sind. Allein die USA haben<br />
für 2009 und 2010 eine staatliche Ausgabenerhöhung in Höhe von rd.<br />
800 Mrd. US$ beschlossen, um die Konjunktur anzukurbeln. Diese<br />
Massnahme würde rein rechnerisch einen Anstieg des<br />
amerikanischen BIP um 3,5% pro Jahr ausmachen. In Deutschland<br />
und den europäischen Nachbarstaaten wurden ebenfalls gewaltige<br />
Wirtschaftsförderungsprogramme aufgelegt, um den negativen<br />
Folgen der Weltwirtschaftskrise entgegenzuwirken. In der gesamten<br />
EU summieren sich die Massnahmen der Konjunkturankurbelung auf<br />
insgesamt 2,1% des BIP und inkl. automatischer Stabilisatoren wie<br />
Arbeitslosengeld und anderen Sozialleistungen ergeben sich für 2009<br />
und 2010 sogar 600 Mrd. Euro (5% des BIP). Neben den westlichen<br />
Industrieländern setzen auch viele Schwellenländer auf staatliche<br />
Unterstützungsmassnahmen für die Konjunktur, allen voran China mit<br />
rd. 450 Mrd. Euro, sodass sich weltweit die öffentlichen Fördermittel<br />
auf rd. 2.000 Mrd. Euro summieren<br />
Diese massiven politischen Konjunkturprogramme entfalten aktuell<br />
ihre Wirkung und werden 2009 und 2010 helfen, diese Krise in ihrer<br />
Schärfe abzumildern, allerdings auf Kosten einer langfristig extrem<br />
hohen staatlichen Schuldenlast. Die Industrieproduktion wird nach<br />
dem starken Einbruch in der ersten Jahreshälfte 2009 zum<br />
18
Jahresende wieder ansteigen, ebenso wird sich der Welthandel<br />
wieder beleben, da einzelne Weltregionen (z.B. China) bereits wieder<br />
ein kräftiges Wirtschaftswachstum und steigende Importe<br />
verzeichnen. Gedämpft wird das weltweite Wachstum weiterhin vom<br />
schwachen privaten Konsum in den Industrieländern, da hier ein<br />
deutlicher Anstieg der Arbeitslosigkeit, stagnierende bzw. sinkende<br />
Realeinkommen und negative Vermögenseffekte aufgrund der<br />
Finanzkrise zu verzeichnen sind. Angesichts absehbar hoher<br />
Überkapazitäten bleibt die Investitionstätigkeit weiterhin verhalten, zu<br />
verhalten jedenfalls, um einen kräftige Konjunkturerholung zu<br />
bewirken.<br />
Unklar ist nach wie vor, in welchem Umfang noch weiterer<br />
Abschreibungsbedarf bei Banken und Versicherungen besteht, wie<br />
gross die Zweitrundeneffekte bei den Finanzinstituten (beispielsweise<br />
über die Kreditkartenfirmen) ausfallen und in welchem Umfang<br />
notwendige Unternehmensinvestitionen durch die neue<br />
Zurückhaltung der Banken bei der Kreditvergabe verhindert werden.<br />
Alle Banken bemühen sich - freiwillig oder aufgrund neuer<br />
internationaler Vorschriften – ihre Eigenkapitalquoten zu erhöhen.<br />
Teilweise geht dies auch zu Lasten der Kreditengagements.<br />
Insgesamt wird im zweiten Halbjahr 2009 aufgrund der genannten<br />
Effekte ein kräftiges Wachstum, aber noch kein nachhaltiger<br />
Aufschwung erzielt werden und im Jahresverlauf 2010 wird es mit<br />
dem Auslaufen der Konjunkturprogramme wieder zu einer<br />
Abschwächung des Wirtschaftswachstums kommen.<br />
Tabelle 2: reales Wirtschaftswachstum nach Regionen<br />
2008 2009 2010<br />
U.S.A. 0,4 -2,5 2,2<br />
E.W.U. 0,6 -4,0 1,0<br />
Deutschland 1,3 -4,6 1,6<br />
Japan -0,7 -5,8 1,3<br />
China 9,0 8,0 8,9<br />
Welt 1,5 -2,5 2,4<br />
Wie lang die Auswirkungen der aktuellen Krise andauern werden,<br />
kann derzeit nur schwer abgeschätzt werden. Nur als Anhaltspunkt:<br />
Die Weltwirtschaftskrise von 1929 ff. dauerte in den USA rd. 6 Jahre.<br />
Die <strong>Automobilindustrie</strong> hat in einigen Ländern (z.B. Deutschland) von<br />
den staatlichen Konjunkturprogrammen stark profitieren können, die<br />
inzwischen zum Grossteil ausgelaufen sind. In anderen Ländern<br />
wartet nach der Krise eine immense aufgestaute Nachfrage, die dann<br />
abgearbeitet werden muss, auf die Hersteller wie Zulieferer.<br />
Schliesslich altert der vorhandene Fahrzeugbestand bei den<br />
Besitzern auch in Krisenzeiten weiter und muss irgendwann ersetzt<br />
werden. Ganz zu schweigen von den Impulsen für den<br />
Automobilabsatz, wenn Automobile mit wesentlich höherer<br />
19
Energieeffizienz und geringeren Verbräuchen endlich – wie seit<br />
langem angekündigt - auf den Markt gebracht werden. Allein in<br />
Deutschland muss ein Bestand von rd. 45 Mio. Fahrzeugen auf die<br />
energetischen Anforderungen der Zukunft „umgerüstet“, sprich<br />
ersetzt, werden. Wenn denn die richtigen Autos da wären, gäbe es<br />
also für die Branche viel zu tun!<br />
Hinzu kommt der langfristige Trend, dass die so genannten Emerging<br />
Markets aufgrund ihrer strukturellen Gegebenheiten weiterhin<br />
Wachstumstreiber der Weltwirtschaft bleiben werden. China und<br />
Indien gelingt es sogar während der aktuellen Krise eine weltweite<br />
Wachstumsstütze zu bilden, Russland und Brasilien dagegen<br />
erleiden gegenwärtig eine deutliche Wachstumsdelle. In Zukunft<br />
werden aber alle diese Länder riesige Wachstumsmärkte darstellen,<br />
von denen die westliche Wirtschaft und besonders die<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> im Zuge fortschreitender Handelsverflechtungen<br />
erheblich profitieren können. Trade creation ist und bleibt eines der<br />
hervorragenden positiven Merkmale der Globalisierung, daran wird<br />
sich auch in Zukunft nichts ändern.<br />
1.3. Bevölkerungsentwicklung in den Weltregionen<br />
1.3.1. Langfristige demographische Entwicklung<br />
Ein wichtiger Faktor für die <strong>Automobilindustrie</strong> ist neben der<br />
Entwicklung der Kaufkraft die demographische Entwicklung der<br />
Bevölkerung. Es ist generell davon auszugehen, dass bei einer<br />
wachsenden Bevölkerung auch die absolute Nachfrage nach<br />
Fahrzeugen in einer Gesellschaft ansteigt. Aus diesem Grund besteht<br />
für die Branche zunächst einmal kein nachhaltiger Anlass zur Sorge,<br />
denn weltweit steigt die Bevölkerungsanzahl weiter stark an. Von<br />
derzeit rund 6,5 Milliarden. Menschen wächst die Weltbevölkerung<br />
allein in den nächsten 15 Jahren um eine weitere Milliarde auf 7,5<br />
Milliarden an. Für das Jahr 2050 wird mit über 9 Milliarden Menschen<br />
gerechnet.<br />
Allerdings bestehen dabei deutliche regionale Unterschiede. Auf den<br />
heute wichtigen Absatzmärkten der <strong>Automobilindustrie</strong> in <strong>Europa</strong> und<br />
Japan findet kein Wachstum der Bevölkerung mehr statt, die Anzahl<br />
der Menschen wird hier in Zukunft sogar schrumpfen. In Nordamerika<br />
steigen die Bevölkerungszahlen zwar auf Grund von Zuwanderung<br />
noch weiter an, aber auch in einem schwächeren Ausmass als in der<br />
Vergangenheit. Südamerikas Bevölkerung wächst weiterhin deutlich<br />
an, von einem global gesehen aber eher niedrigen Niveau aus.<br />
Das grösste Wachstum findet in Asien statt, wo bereits heute über die<br />
Hälfte der Weltbevölkerung lebt. In China, dem<br />
bevölkerungsreichsten Land der Erde, verlangsamt sich das<br />
Wachstum aufgrund der staatlich geregelten „Ein-Kind-Politik“. Indien<br />
weist – politisch gewollt - die grösste Wachstumsrate auf und wird im<br />
20
Jahr 2020 mit dann knapp 1,4 Milliarden Einwohner beinahe zu China<br />
aufgeschlossen haben. Das sonstige Asien wächst ausser in Japan<br />
ebenfalls stark an, genauso wie die restliche Welt (hauptsächlich<br />
Afrika). Die Bevölkerung in Japan schrumpft noch stärker als in<br />
<strong>Europa</strong>.<br />
8.000<br />
Weltbevölkerung nach Regionen, in Mio.<br />
7.000<br />
+59% RoW<br />
6.000<br />
restl. Asien<br />
5.000<br />
+45%<br />
Indien<br />
4.000<br />
+61%<br />
China<br />
3.000<br />
+24%<br />
2.000<br />
Südamerika<br />
+48%<br />
1.000<br />
+35%<br />
Nordamerika<br />
0<br />
+6% <strong>Europa</strong><br />
1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020<br />
Quelle: Feri<br />
Abbildung 1-11: Entwicklung der Weltbevölkerung<br />
Das Wachstum der Bevölkerung findet somit hauptsächlich in den<br />
Regionen der Welt statt, die ein geringes Einkommen und damit eine<br />
geringe Kaufkraft aufweisen. Ein Grossteil des afrikanischen<br />
Kontinents wird aus diesem Grund auch trotz des hohen<br />
Bevölkerungswachstums auch in Zukunft keine wesentlich grössere<br />
Bedeutung für die <strong>Automobilindustrie</strong> erhalten als heute. In Asien<br />
findet dagegen in vielen Regionen parallel zum<br />
Bevölkerungswachstum auch ein hohes wirtschaftliches Wachstum<br />
statt, sodass sich der Wohlstand der Bevölkerung und deren<br />
Kaufkraft im Durchschnitt erhöhen. China weist eine stetig<br />
wachsende Mittelschicht auf, die zunehmend in der Lage ist, sich ein<br />
eigenes Auto zu kaufen, was sich in den gewaltigen<br />
Wachstumszahlen des chinesischen Automobilmarkts der<br />
vergangenen Jahre niedergeschlagen hat.<br />
Neben den bevölkerungsreichen Schwellenländern besteht aber auch<br />
in den westlichen Industrieländern, trotz stagnierender oder<br />
rückläufiger Bevölkerungszahlen, durchaus ein Wachstumspotenzial<br />
für die <strong>Automobilindustrie</strong>. Denn die Bevölkerung schrumpft nicht<br />
über alle Altersklassen gleichmässig, sondern aufgrund der geringen<br />
Kinderzahlen zuerst in den jungen Altersklassen, während der Anteil<br />
der älteren Bevölkerung zunächst noch weiter anwächst. Da der<br />
Grossteil der Neuwagenkäufer – je nach Marke unterschiedlich –<br />
eher der mittleren bis älteren und damit in der Regel kaufkräftigen<br />
Altersklasse angehört, wird die Fahrzeugnachfrage rein quantitativ<br />
auch in den westlichen Industriegesellschaften trotz rückläufiger<br />
Gesamtbevölkerung aus rein demographischen Gründen zunächst<br />
21
ansteigen. Das Premium-Segment hat dabei überproportionale<br />
Wachstumschancen, allerdings in einer anderen Auslegung der<br />
Modellpalette als heute („downsizing“).<br />
In der Betrachtung der deutschen Bevölkerung nach Altersklassen für<br />
die Jahre 2005 und 2050 zeigt sich deutlich, dass zunächst der Anteil<br />
der jungen Bevölkerung weiter abnimmt, während die heute grössten<br />
Altersklassen im mittleren Altersbereich im Laufe des Zeit älter<br />
werden und nach oben wandern.<br />
Quelle: Destatis<br />
Abbildung 1-12: Bevölkerungspyramide Deutschland für die Jahre 2005 und<br />
2050<br />
Für die Produkt- und Absatzplanung der <strong>Automobilindustrie</strong> steht<br />
daher (noch) nicht der Bevölkerungsrückgang in den westlichen<br />
Industrieländer im Vordergrund, sondern die zunehmende Alterung<br />
der Gesellschaft. Der wachsende Anteil der älteren Bevölkerung hat<br />
ganz andere Anforderungen an die Fahrzeuge, vor allem in Punkto<br />
Komfort, Ausstattung und Sicherheit. Die wesentliche Aufgabe der<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> ist daher die technologische Anpassung ihrer<br />
Modellpalette an die Erfordernisse einer alternden und älteren<br />
Bevölkerung! Vereinfacht ausgedrückt: An die Stelle eines Maximums<br />
an PS tritt ein Maximum an Airbags!<br />
1.3.2. Einkommens- und Kaufkraftentwicklung<br />
Losgekoppelt von der gegenwärtigen weltweiten Wirtschaftskrise und<br />
den entsprechend unsicheren kurzfristigen Prognosen, lassen sich<br />
mit wesentlich höherer Zuverlässigkeit die langfristigen<br />
Entwicklungen der Weltwirtschaft voraussagen. Die langfristigen<br />
Trends wurden zwar von der aktuellen Wirtschaftskrise kurzzeitig<br />
22
unterbrochen, sind aber von bleibender Dauer und daher erheblich<br />
sicherer zu prognostizieren.<br />
Der langfristige Wachstumstrend der Weltwirtschaft wird anhalten, vor<br />
allem durch die anhaltende Globalisierung und den weiterhin<br />
ansteigenden Welthandel, wobei die Emerging Markets<br />
überdurchschnittlich stark wachsen und gegenüber den etablierten<br />
Industriestaaten weiter aufholen werden. Mit China und Indien an der<br />
Spitze, werden die BRIC-Staaten und Osteuropa für weiteres<br />
Wachstum sorgen, sowohl innerhalb ihrer eigenen Grenzen, als auch<br />
in den westlichen Exportländern, für die sie wichtige<br />
Abnehmerstaaten aber auch Hightech-Lieferanten sind. Einerseits<br />
profitieren die Emerging-Markets von ihren niedrigen<br />
Produktionskosten, die ausländische Investitionen anziehen,<br />
andererseits werden im Zuge des wirtschaftlichen Aufholprozesses<br />
die asiatischen Binnenmärkte deutlich stärker wachsen. Die Rohstoffexportierenden<br />
Länder wie Brasilien und Russland, die von und in<br />
der aktuellen Krise besonders stark getroffen sind, werden von den<br />
mittelfristig wieder ansteigenden Rohstoffpreisen profitieren können<br />
und ebenfalls wieder auf einen deutlichen Wachstumstrend<br />
einschwenken. Langfristig werden die Wachstumsraten in diesen<br />
Ländern aufgrund ihrer schlechteren strukturellen Bedingungen<br />
allerdings nicht mit China und Indien mithalten können.<br />
In den USA wird sich das Potenzialwachstum nach der aktuellen<br />
Wirtschaftskrise auf einem etwas niedrigeren Niveau einpendeln als<br />
in den vergangenen Jahrzehnten, als sich der amerikanische Staat im<br />
Ausland und die amerikanischen Verbraucher bei ihren Banken<br />
nahezu grenzenlos verschulden konnten. Hier geht dem<br />
kreditgetriebene privaten Verbrauch für längere Zeit die Puste aus, ist<br />
solideres Haushaltsgebahren – privat wie öffentlich - und eine<br />
höhere Ersparnisbildung: kurz: Konsolidierung, angesagt.<br />
Deutschland weist aufgrund eines insgesamt solideren<br />
volkswirtschaftlichen Datenkranzes – analog zur Schweiz – ein<br />
strukturell niedrigeres Wachstum auf, wird aber als wichtiger Lieferant<br />
von Investitionsgütern von der wirtschaftlichen Entwicklung in den<br />
Emerging Markets im nahen und fernen Osten profitieren können.<br />
23
14,0<br />
BIP-Wachstum, real in %<br />
12,0<br />
10,0<br />
8,0<br />
6,0<br />
4,0<br />
2,0<br />
0,0<br />
-2,0<br />
-4,0<br />
-6,0<br />
China<br />
Indien<br />
Russland<br />
Brasilien<br />
USA<br />
E.W.U.<br />
Japan<br />
-8,0<br />
2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014 2016 2018 2020<br />
Quelle: IWK<br />
Abbildung 1-13: Prognose der langfristigen Wachstumsaussichten<br />
In Tabelle 3 ist der langfristige Entwicklungstrend der Wirtschaftskraft<br />
in den verschiedenen Regionen der Welt, mit einem jeweils<br />
unterstellten konstanten Wachstumspfad, schematisch dargestellt.<br />
Während die westlichen Industrieländer langfristig mit 2,0% bis 2,5%<br />
wachsen werden, können die BRIC-Staaten mit deutlich höheren<br />
Wachstumsraten aufwarten. Bei einem anhaltenden<br />
Wirtschaftswachstum von 7,5 % in China würde es aber trotzdem<br />
noch fast 25 Jahre dauern, bis das 1,3 Mrd-Volk in der<br />
Wirtschaftsleistung zu den USA aufgeschlossen hat. Indien hätte<br />
auch bei einem anhaltend hohen Wachstum von 7,0 % erst in 25<br />
Jahren die Wirtschaftskraft Deutschlands erreicht – bei 1,3 Mrd.<br />
Indern und nur 80 Mio. Deutschen. Russland und Brasilien werden<br />
auch langfristig trotz hoher Zuwachsraten hinter Deutschland<br />
zurückbleiben.<br />
Tabelle 3: Langfristiges BIP-Wachstum<br />
BIP in Mio.<br />
Russland<br />
n<br />
hland<br />
Brasilie<br />
Deutsc<br />
China Indien<br />
EMU<br />
US$<br />
USA<br />
Wachstumsra<br />
te, real, in %<br />
7,5 7,0 4,5 3,5 2,0 1,9 2,5<br />
2007 4.328 1.223 1.675 1.675 13.638 3.670 14.441<br />
In 5 Jahren 6.213 1.715 2.087 2.038 15.057 4.032 16.339<br />
In 10 Jahren 8.920 2.405 2.601 2.479 16.624 4.430 18.486<br />
In 15 Jahren 12.806 3.373 3.241 3.016 18.354 4.867 20.915<br />
In 20 Jahren 18.384 4.731 4.039 3.669 20.265 5.347 23.664<br />
In 25 Jahren 26.393 6.636 5.033 4.464 22.374 5.875 26.774<br />
In 30 Jahren 37.891 9.307 6.272 5.432 24.703 6.454 30.292<br />
Quelle: IWK<br />
Der Abstand im durchschnittlichen Pro-Kopf-Einkommen der BRIC-<br />
Staaten zu den hoch entwickelten westlichen Industriestaaten wird<br />
sich aber auch trotz der deutlich höheren Zuwachsraten in<br />
absehbarer Zukunft nicht gravierend verringern. Selbst wenn sich in<br />
Indien und Russland das BIP pro Kopf bis zum Jahr 2020 verdoppelt<br />
und in China nahezu verdreifacht, bleibt das Niveau aber trotz allem<br />
24
noch sehr niedrig, verglichen mit Deutschland oder den USA. So wird<br />
der Durchschnitts-Deutsche auch in mehr als zehn Jahren noch rund<br />
fünf bis zehnmal so reich sein, wie ein durchschnittlicher Chinese<br />
oder Inder. In diesen Ländern wächst das Pro-Kopf-Einkommen zwar<br />
bei weitem nicht so schnell wie in China, sondern lediglich um rund<br />
25% in den nächsten 10 Jahren, die Bevölkerung wird aber auch<br />
dann noch im Durchschnitt um ein zehnmal höheres Einkommen<br />
verfügen, wie ein Inder oder Chinese.<br />
Vor allem in China, aber auch in Russland ist bereits ein deutlicher<br />
Anstieg der Reallöhne in den letzten Jahren zu verzeichnen<br />
gewesen, der auch (in Russland nach einer kurzen Delle 2009) noch<br />
in den kommenden Jahren anhalten wird. Im Jahr 2015 werden dort<br />
die Reallöhne bis zu viermal so hoch sein, wie im Jahr 2000, in Indien<br />
und Brasilien fällt der Anstieg dagegen deutlich niedriger aus. In den<br />
westlichen Industriestaaten findet bereits seit einigen Jahren so gut<br />
wie überhaupt kein realer Einkommensanstieg mehr statt, die Löhne<br />
stagnieren oder sind real sogar zum Teil rückläufig (z.B. in Japan).<br />
450<br />
400<br />
350<br />
300<br />
250<br />
200<br />
150<br />
100<br />
50<br />
BRIC - Entwicklung der Reallöhne<br />
(2000=100)<br />
0<br />
2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014<br />
Brasilien Russland Indien China<br />
150<br />
140<br />
130<br />
120<br />
110<br />
100<br />
90<br />
80<br />
70<br />
60<br />
Triade - Entwicklung der Reallöhne<br />
(2000=100)<br />
50<br />
2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014<br />
Europ. Währungsunion Vereinigte Staaten Japan<br />
Quelle: Feri<br />
Abbildung 1-14: Entwicklung der Reallöhne<br />
Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass es in der Realität kaum<br />
einen Durchschnitts-Chinesen oder -Inder gibt, sondern immer mehr<br />
Chinesen der wirtschaftlichen Aufstieg in eine deutlich<br />
wohlhabendere Mittelschicht gelingt und vor allem dadurch das<br />
durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen ansteigt. Kurz: Die heute<br />
schon grosse Disparität in der Einkommensverteilung nimmt dort eher<br />
weiter zu. Vom kommunistischen Ideal der Einkommens-<br />
Gleichverteilung ist China weiter weg als es Mitteleuropa jemals war!<br />
Die Anzahl der Millionäre übertrifft bereits heute jene in Deutschland<br />
25
erheblich; das Gleiche gilt im Übrigen auch für Russland mit seinen<br />
Oligarchen. In dieser stetig wachsenden Mittelschicht in den BRIC-<br />
Staaten zeigt sich auch das Potenzial, das diese Staaten für die<br />
westliche Wirtschaft haben, gerade auch für den Absatz langlebiger<br />
und hochwertiger Konsumgüter, die überdies – anders als in<br />
Mitteleuropa – auch noch als Statussymbole gelten, mit denen man<br />
seinen Reichtum ungehemmt darstellen kann. Bisher kann sich dort<br />
nur ein kleiner Teil der Bevölkerung westliche Wohlstandsgüter –<br />
beispielsweise ein Auto – leisten. Doch diese Mittelschicht wird<br />
langfristig weiter anwachsen, ein Ende dieses Trends ist nicht in<br />
Sicht, denn das westliche Wohlstandsniveau ist auch in Jahrzehnten<br />
noch nicht annähernd erreicht.<br />
55.000<br />
50.000<br />
45.000<br />
40.000<br />
35.000<br />
30.000<br />
25.000<br />
20.000<br />
15.000<br />
10.000<br />
5.000<br />
0<br />
Quelle: IWK<br />
Indien<br />
2008 2020<br />
China<br />
Russland<br />
BIP pro Kopf<br />
real (Preise aus 2000) in US$<br />
+19%<br />
+14%<br />
+18%<br />
+16%<br />
+87% +151% +63% +41%<br />
Brasilien<br />
Frankreich<br />
Deutschland<br />
Großbritannien<br />
USA<br />
Japan<br />
+16%<br />
Abbildung 1-15: Langfristige Entwicklung der Pro-Kopf-Einkommen<br />
Ausgehend von einem sehr niedrigen Einkommen werden viele<br />
Menschen vor allem in Asien in den nächsten Jahren und<br />
Jahrzehnten zu einem bescheidenen Wohlstand kommen, der ihnen<br />
oftmals den Umstieg vom Motorrad zum Auto als primäres<br />
Fortbewegungsmittel ermöglicht. Diese Bevölkerungsschichten<br />
werden allerdings andere Anforderungen an ein Auto stellen als die<br />
Bevölkerung in den westlichen Industrieländern, sodass hier ein völlig<br />
neues Marktsegment im Bereich der so genannten „Billig-Autos“<br />
entsteht. Bestes Beispiel ist der Tata Nano, der in Indien für<br />
umgerechnet 1.700 Euro als Einstiegsauto und Motorradersatz für<br />
breite Bevölkerung auf den Markt kommen soll. Und auch in <strong>Europa</strong><br />
zeigt der Erfolg von Dacia, dass das Konzept von „Billigautos“ für<br />
einen Teil der Bevölkerung funktioniert. Die aktuelle<br />
Weltwirtschaftkrise scheint auch hier in der Skala der Konsumenten-<br />
Präferenzen einiges durcheinander gewirbelt zu haben! Für manche<br />
deutsche Automobilhersteller stellt dies eine völlig neue<br />
Herausforderung dar, da für diese Fahrzeuge zwar auch innovative<br />
und fortschrittliche Technologien zum Einsatz kommen müssen, dies<br />
aber in Autos, von denen man dachte, sie wären in ihrer Auslaegung<br />
für den europäischen Markt und Geschmack ungeeignet. Hier ist man<br />
26
dabei, umzu denken, auch in Richtung der technologischen<br />
Entfeinerung der heutigen Palette.<br />
1.4. Analyse und Prognose der weltweiten Automobilmärkte<br />
Die Weltautomobilindustrie befindet sich stärker noch als der Rest der<br />
Weltwirtschaft mitten in einer tiefen Rezession. Zusätzlich zu den<br />
strukturellen Sättigungstendenzen in den etablierten Absatzländern<br />
der Triade (s.o.), ist die Fahrzeug-Nachfrage in Folge der weltweiten<br />
Finanz- und Wirtschaftskrise auf allen wichtigen Märkten<br />
weggebrochen. Der US-Automobilmarkt weist schon seit längerer Zeit<br />
deutliche Sättigungs-/ Bremsspuren auf und wird sowohl strukturell<br />
als auch kurzfristig konjunkturell besonders hart getroffen. Auf den<br />
europäischen Absatzmärkten brechen die Pkw-Neuzulassungen vor<br />
allem in jenen Staaten ein, wo die Immobilienmarkt- und Finanzkrise<br />
besonders verheerend wirkt, wie in Spanien, Grossbritannien und<br />
Irland.<br />
In vielen Ländern wurden mit Hilfe staatlicher Fördermassnahmen,<br />
z.B. Abwrackprämien, die Neuzulassungen künstlich erhöht, was<br />
aber nur ein kurzfristiges Strohfeuer in der Krise darstellt. Immerhin<br />
wurden mit diesen „Brückenmassnahmen“ schlimmeres verhindert, in<br />
der Hoffnung, 2010 würden die konjunkturellen Auftriebskräfte<br />
Unterstützung bieten. In den BRIC-Staaten hat sich die Situation sehr<br />
uneinheitlich entwickelt, während Russland dramatische<br />
Absatzeinbrüche von mehr als -50% verzeichnete, erwies sich China<br />
nach kurzzeitigem Einbruch mit wieder erstarktem Wachstum als<br />
Stabilisator für die weltweite Branche.<br />
Es ist unwahrscheinlich, dass sich die Lage in der globalen<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> rasch aufhellen wird. Für das Gesamtjahr 2009<br />
rechnet das IWK in Summe mit einem Rückgang des weltweiten<br />
Absatzes um rd. 9 – 10 Mio. Fahrzeuge (-14%). 2010 wird in den<br />
meisten Automärkten der Welt ein weiteres schwieriges Jahr, auch<br />
wenn die Gründe dafür durchaus nicht nur konjunkturell sind. Die<br />
Gesamtnachfrage wird sich nur geringfügig auf 60 Mio. Einheiten<br />
erhöhen und somit noch immer deutlich unter dem Niveau von 2008<br />
(66 Mio. Stk.) liegen.<br />
Doch trotz dieser getrübten kurzfristigen Perspektiven darf die<br />
langfristige Zukunftsfähigkeit der <strong>Automobilindustrie</strong> insgesamt nicht<br />
pessimistisch gesehen werden. Nach dem tiefen konjunkturellen<br />
Einbruch wird eine entsprechend kräftige Nachfrageerholung<br />
einsetzen, der auch in den gesättigten Absatzmärkten der Triade die<br />
Neuzulassungen wieder deutlich ansteigen lassen wird. Langfristig<br />
weisen diese Märkte allerdings kein strukturelles Wachstum auf, der<br />
Pkw-Absatz wird auch im Jahr 2015 noch geringfügig unter dem Wert<br />
aus dem Jahr 2000 liegen. Das zukünftige Wachstum wird dagegen<br />
ausserhalb der Triade stattfinden, mit einem Zuwachs von ca. 16 Mio.<br />
Pkw im Jahr 2015 gegenüber 2000.<br />
27
Pkw-Absatz - Entwicklung nach Regionen<br />
Triade<br />
Rest<br />
2005/2015:<br />
Ø +5,5 %<br />
90<br />
80<br />
79<br />
2005/2015:<br />
Ø +13,3 %<br />
70<br />
60<br />
64<br />
66<br />
57<br />
60<br />
41<br />
Millionen Stück<br />
50<br />
40<br />
30<br />
25<br />
32<br />
29<br />
31<br />
2005/2015:<br />
Ø -0,7 %<br />
20<br />
10<br />
39<br />
34<br />
28 29<br />
38<br />
0<br />
2005 2008 2009* 2010* 2015*<br />
* - Prognosezahlen<br />
Quelle: Global Insight, IWK<br />
Abbildung 1-16: Pkw-Absatz – Entwicklung nach Regionen<br />
1.4.1. Abwrackprämien als staatliche Subventionsprogramme<br />
Um die aktuelle Krise in der <strong>Automobilindustrie</strong> abzumildern,<br />
beschloss eine Vielzahl westlicher Industrieländer im Rahmen der<br />
staatlichen Konjunkturmassnahmen die Subventionierung von<br />
Neuwagenkäufen. Diese staatlichen Verschrottungsprämien sollen für<br />
die Besitzer alter Fahrzeuge einen Anreiz zum Neuwagenkauf bieten<br />
und somit tatsächliche Zusatz-Nachfrage schaffen, da die Zielgruppe<br />
dieser Prämienzahlungen normalerweise keine Neuwagenkäufer<br />
sind. Reine Mitnahme- und Vorzieh-Effekte werden durch ein<br />
Mindestalter der Altfahrzeuge weitestgehend verhindert. Seit Anfang<br />
des Jahres 2009 wurden solche Abwrackprämien bereits in über<br />
einem Drittel der EU-Mitgliedstaaten eingeführt, die Höhe der<br />
Prämien und die Bedingungen sind dabei aber sehr unterschiedlich<br />
gestaltet. Mehrheitlich wird versucht, mit dem wirtschaftspolitischen<br />
Anreiz gleichzeitig Umweltziele zu verknüpfen, indem der Kauf<br />
energiesparenderer und damit umweltfreundlicherer Autos gefördert<br />
werden soll. Aber nicht in allen Ländern werden strenge<br />
Abgasnormen oder Grenzwerte für den CO 2 -Ausstoss als Kriterien<br />
herangezogen So waren beispielsweise die so genannte<br />
„Umweltprämie“ in Deutschland und die „Ökoprämie“ in Österreich,<br />
die beide seit Anfang des Jahres 2009 galten, nicht an den CO 2 -<br />
Ausstoss gekoppelt. Ebenso in anderen europäischen Ländern (vgl.<br />
Tabelle 4).<br />
In Deutschland erhielt man ab dem 14. Januar für die Verschrottung<br />
seines mindestens neun Jahre alten Pkw 2.500 Euro (europaweit die<br />
grösste Prämie), wenn der Neuwagen zumindest der seit 2005<br />
28
gültigen Euro 4-Norm entsprach 2 . Die staatlichen Mittel für die Prämie<br />
wurden wegen der unerwartet grossen Nachfrage im April von<br />
ursprünglich 1,5 Milliarden auf fünf Milliarden Euro erhöht und waren<br />
bis zum 2. September ausgeschöpft. In Österreich reichte das<br />
Kontingent von 45 Millionen Euro für die Verschrottungsprämie im<br />
Zeitraum vom 1. April bis zum 8. Juli 2009 für 30.000 Neuwagen. Für<br />
den Eintausch eines mindestens 13 Jahre alten Pkw gegen einen<br />
Neuwagen mit Euro 4 lag in Österreich die Prämie mit 1.500 Euro im<br />
europäischen Mittelfeld. Der Bund trug nur mit 50% zur Zahlung der<br />
Prämie bei, die andere Hälfte wurde von der Kfz-Branche<br />
übernommen. Auch in Grossbritannien, Rumänien, den Niederlanden<br />
und in der Slowakei gelten keine bestimmten Umwelteigenschaften<br />
für den Neuwagen, um die staatlichen Zuschüsse zu erhalten.<br />
Anders gestaltet sind die Bedingungen für die Verschrottungsprämien<br />
in den Vereinigten Staaten, Frankreich, Italien, Luxemburg, Spanien<br />
und Portugal. Dort dienen die Prämien nicht alleine der<br />
Konjunkturbelebung, sondern fördern durch die Bedingung eines<br />
niedrigen CO 2 -Ausstosses zusätzlich den Klimaschutz. Die US-<br />
Regierung verknüpft ihre Prämie „Cash for Clunkers“ an den<br />
Verbrauch des Alt- und Neuwagens. Der Käufer eines Neuwagens<br />
erhielt vom 24. Juli bis zum 24. August 2009 je nach<br />
Verbrauchsersparnis des Neuwagens zwischen 3.500 und 4.500<br />
Dollar Prämie. Das Altauto musste dafür mehr als 13 l auf 100 km<br />
und der Neuwagen nicht mehr als 10,7 l verbrauchen und weniger als<br />
45.000 Dollar kosten. Insgesamt hatte die US-Regierung rund zwei<br />
Milliarden Euro für die Prämie bereitgestellt, die innerhalb eines<br />
Monats aufgebraucht waren. Um einen plötzlichen<br />
Nachfrageeinbruch zu verhindern, werden in Frankreich und<br />
Grossbritannien die Verschrottungsprämien verlängert.<br />
Tabelle 4: Verschrottungsprämien richten sich nur nach Alter des Alter des<br />
Altwagens<br />
Land<br />
Geltungsdauer<br />
Prämie<br />
(€)<br />
Deutschland 14.Jan – 2.Sep 2009 2.500<br />
Staat (€) # Pkw<br />
5.000<br />
Mio.<br />
Alter<br />
Pkw<br />
Anteil*<br />
2 Mio. > 9 100%<br />
Österreich 1.April – 8.Juli 2009 1.500 22,5 Mio. 30.000 > 13 50%<br />
Grossbritannien 18.Mai – 28.Feb 2009 2.250 340 Mio. 300.000 > 10 50%<br />
Rumänien 1.Feb – 31.Dez 2009 915 60 Mio. 60.000 > 10 100%<br />
Niederlande<br />
29.Mai 2009<br />
- 29.Mai 2010<br />
750 –<br />
1.000<br />
85 Mio. 80.000<br />
> 9<br />
(Benzin)<br />
> 13<br />
(Diesel)<br />
100%<br />
2 Erst die seit September 2009 vorgeschriebene Abgasnorm Euro 5 erfordert<br />
beispielsweise einen Dieselpartikelfilter, der für einen fünf Mal geringeren<br />
Russpartikel Ausstoss sorgt als ein Diesel-Pkw mit Euro 4.<br />
29
Slowakei<br />
3. – 25.März 2009<br />
6.Apr – 31.Dez 2009<br />
1.000 -<br />
1.500<br />
1.000<br />
Japan Seit März 2009 2.200<br />
55 Mio. 40.000 > 10 100%<br />
2.700<br />
Mio.<br />
1.000.000 > 13 100%<br />
Tabelle 5: Verschrottungsprämien richten sich zusätzlich nach CO 2 -Ausstoss<br />
des Neuwagens<br />
Land Geltungsdauer Prämie (€) Staat (€) # Pkw CO 2 (g/km) Anteil*<br />
USA<br />
24.Juli – 24.Aug<br />
2009<br />
2.400<br />
3.100<br />
2.000<br />
Mio.<br />
700.000<br />
Rückgänge bei seiner Premiummarke Audi, kann jedoch Dank seiner<br />
Kleinwagenpalette noch einen leichten Zuwachs (0,4%) erzielen, im<br />
deutschen Heimatmarkt sogar stark wachsen (+32%). Das Gleiche<br />
gilt für Ford und Opel, die alle von der Prämie profitierten. Die<br />
Verschrottungsprämie hat also trotz der nicht vorhandenen<br />
Umweltauflagen in vielen Ländern vorwiegend den Verkauf von<br />
umweltfreundlichen Klein –und Kleinstwagen bewirkt, da hier eine<br />
Prämie von 1.500 Euro oder auch 2.500 Euro einen wesentlich<br />
grösseren Kaufanreiz bildet als bei den (verbrauchsintensiveren)<br />
Premiumfahrzeugen der Oberklasse.<br />
Offen ist, wie sich die Autoindustrie ohne die Verschrottungsprämien<br />
entwickelt, die in vielen Ländern inzwischen ausgelaufen sind. Sicher<br />
ist, dass gegenüber dem staatlich gespushten, subventionierten<br />
Absatz in 2009 die Märkte im Jahr 2010 einen deutlichen Rückgang<br />
verzeichnen werden, allerdings wird der Einbruch niedriger ausfallen,<br />
als er 2009 ohne die staatliche Förderung gewesen wäre. Per saldo<br />
über zwei Jahre gerechnet, hat die Prämie also eine deutliche<br />
Marktstützung erreicht, das Ziel der Verschrottungsprämie, die<br />
kurzfristige konjunkturbelebende Wirkung, um einen temporären<br />
drastischen Nachfrage-Einbruch zu verhindern, wurde also erreicht.<br />
Ab 2010 ist wieder mit verbesserten Konjunktur- und damit<br />
Absatzaussichten zu rechnen, auch wenn die Auswirkungen der<br />
Finanzkrise noch lange nicht überwunden sind.<br />
Für das Jahr 2010 ist mit einem Einbruch der Neuzulassungen in<br />
Deutschland um 22 Prozent zu rechnen. Ohne die Prämie, wäre der<br />
Absatz bereits 2009 massiv auf ca. 2,3 Mio. Pkw 3 eingebrochen.<br />
Somit handelt es sich im Jahr 2010 nur um einen scheinbaren<br />
Rückgang, eigentlich findet ein Zuwachs um 0,5 Mio. gegenüber dem<br />
unverzerrten Jahreswert 2009 statt. Ein Vorzieheffekt, bei dem die<br />
ohnehin geplante Nachfrage nur wegen der Prämie auf das Jahr<br />
2009 vorgezogen wurde, kann weitestgehend ausgeschlossen<br />
werden, aufgrund des vorgeschriebenen Mindestalters von 9 Jahres<br />
für das zu verschrottende Auto. Der klassische Neuwagenkäufer<br />
behält sein Fahrzeug wesentlich kürzer, während die Besitzer älterer<br />
Autos grösstenteils Gebrauchtwagenkäufer sind. Somit wurde durch<br />
die staatliche Förderung eine tatsächliche Zusatznachfrage<br />
geschaffen, die konjunkturstabilisierend wirkte (Zweiteffekte auf dem<br />
Gebrauchtwagenmarkt und die zusätzliche Staatsverschuldung<br />
ausser Betracht gelassen).<br />
3 Es können nicht die kompletten 2 Mio. Autos, für die die Prämie ausgezahlt<br />
wurde, als Absatzzuwachs verbucht werden, da ca. 700.000 Fahrzeuge<br />
bereits als Jahreswagen zugelassen waren und somit den tatsächlichen<br />
Zuwachs der Neuzulassungen auf ca. 1,3 Mio. verringert.<br />
31
Pkw-Neuzulassungen in Deutschland<br />
5.000.000<br />
5.000.000<br />
4.500.000<br />
4.500.000<br />
4.000.000<br />
3.500.000<br />
+ 16,5%<br />
3,6 Mio.<br />
+ 1,3 Mio. E.<br />
Abwrackprämie<br />
4.000.000<br />
3.500.000<br />
3.000.000<br />
2.500.000<br />
3,15 Mio.<br />
- 25%<br />
3,09 Mio.<br />
2,8 Mio.<br />
- 22,2% 3,1 Mio.<br />
+ 21%<br />
3,2 Mio.<br />
3.000.000<br />
2.500.000<br />
2.000.000<br />
2,3 Mio.<br />
2007 2008 2009 2010 2011 2012<br />
2.000.000<br />
IWK-Prognose ohne Abwrackprämie<br />
mit Abwrackprämie<br />
Quelle: IWK<br />
Abbildung 1-17: Auswirkungen der Abwrackprämie in Deutschland<br />
Eine Ausweitung oder Verlängerung der Abwrackprämie im<br />
kommenden Jahr ist daher nicht mehr gerechtfertigt, sinnvoll kann<br />
eine staatliche Unterstützung höchstens für den Absatz<br />
umweltfreundlicher Fahrzeuge sein, um die technische Neuerung in<br />
der <strong>Automobilindustrie</strong> voranzubringen, z.B. im Bereich der<br />
Elektrofahrzeuge (vgl. Kapitel 2.2.2.).<br />
1.4.2. Triade bis 2015<br />
Die USA waren bis zum Ausbruch der Finanzkrise mit 16 - 17 Mio.<br />
verkauften Pkw (inkl. light vehicles) der grösste Automobilmarkt der<br />
Welt. Im Jahr 2008 fiel der Absatz auf nur noch 13,2 Mio. Stück und<br />
in den ersten acht Monaten 2009 war ein Rückgang um weitere 28%<br />
zu verzeichnen. Auch die „Cash for Clunkers“-Prämie konnten diesen<br />
Abwärtstrend nur vorrübergehend stoppen, für das Gesamtjahr 2009<br />
wird mit weniger als 10 Mio. verkauften Pkw gerechnet, wovon allein<br />
2 Mio der Prämie zu verdanken sind. Mit anderen Worten: Am US-<br />
Markt hat sich 2008/2009 ein fundamentaler Wandel vollzogen, der<br />
Züge der Jahre 1929/30 aufweist.<br />
Bis ins Mark getroffen von diesem Markteinbruch sind vor allem die<br />
ehemals „Big-Three“ US-Autobauer (GM, Ford und Chrysler), mit<br />
ihren heimischen Werken für SUV´s und „light duty vehicles“ (leichte<br />
Nutzfahrzeuge). Aufgrund ihrer verfehlten Modellpolitik verlieren sie<br />
bereits seit Jahren auf ihrem Heimatmarkt an Boden gegenüber ihren<br />
Wettbewerbern aus Asien, in der aktuellen Krise noch stärker als<br />
vorher. Ihr Marktanteil lag im Jahr 2008 erstmals unterhalb der 50%-<br />
Marke und im Jahr 2009 unterhalb der japanischen „Big-Three“<br />
(Toyota, Honda, Nissan), Toyota hat in den ersten acht Monaten<br />
2009 GM in den USA sogar überholt – die Sinkgeschwindigkeit bei<br />
32
GM war grösser. Allerdings hat sich ebenfalls die Lage der<br />
japanischen und koreanischen Hersteller, die ihre Produktion in den<br />
USA sowie ihre Exporte dorthin immer kontinuierlich steigern<br />
konnten, in den USA deutlich verschlechtert, auch deshalb, weil sie<br />
sich ebenfalls sehr stark mit ihren US-Werken auf den SUV und light<br />
vehicle Bereich nach amerikanischem Geschmack auf- und<br />
eingestellt haben.<br />
Die langfristigen Aussichten auf dem amerikanischen Automobilmarkt<br />
sind zwar besser als der aktuelle Eindruck, er wird über die<br />
kommenden Jahre hinweg aber kaum mehr der weltweit grösste<br />
Absatzmarkt für die <strong>Automobilindustrie</strong> sein. China rückt auf Platz 1.<br />
Unabhängig von dem derzeitigen Einbruch, werden die<br />
Neuzulassungen in den USA im langfristigen Trend jedoch leicht<br />
ansteigen, während sie in Westeuropa eher stagnieren und in Japan<br />
sogar rückläufig sein werden. Als Gründe hierfür sind vor allem der<br />
höhere Mobilitätsbedarf in den USA, das Bevölkerungswachstum und<br />
das langfristig höhere Potenzialwachstum der US-amerikanischen<br />
Wirtschaft anzuführen. Das IWK rechnet daher mit einem<br />
langfristigen Trend von durchschnittlich über 14 Millionen<br />
Neuzulassungen in den USA, während sich der Pkw-Absatz in<br />
Westeuropa trendmässig auf einem Niveau zwischen 14 und 15<br />
Millionen Einheiten einpendeln wird und in Japan langfristig in<br />
Richtung der 4 Millionen-Marke sinkt.<br />
Mio. Stück<br />
20<br />
18<br />
16<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
USA (+ light duty) Westeuropa Japan<br />
Trend Amerika Trend Westeuropa Trend Japan<br />
Quelle: VDA, IWK-Prognose<br />
Abbildung 1-18: Prognose Triade<br />
Pkw-Neuzulassungen Triade - 2015<br />
2009 - 2015:<br />
Ø +4,9 % p.a.<br />
2009 - 2015:<br />
Ø +1,6 % p.a.<br />
2009 - 2015:<br />
Ø -0,4 % p.a.<br />
0<br />
1980 1982 1984 1986 1988 1990 1992 1994 1996 1998 2000 2002 2004 2006 2008 2010 2012 2014<br />
Der westeuropäische Markt zeigt aufgrund der aktuellen staatlichen<br />
Abwrackprämien momentan eine sehr heterogene Entwicklung auf.<br />
Der Gesamtmarkt ist 2009 (durch die künstlich erhöhte Nachfrage in<br />
einzelnen Volumen-Ländern) nur leicht rückläufig und wird im Jahr<br />
2010 wegen des Auslaufens der Sonderkonjunktur stärker<br />
einbrechen, wenn andere Regionen bereits wieder einen Anstieg<br />
verzeichnen. Die durch die Krise aufgestaute Nachfrage (vor allem<br />
bei gewerblichen Nutzern) wird mit verbesserten<br />
Konjunkturaussichten erst ab dem Jahr 2011 greifen und für einen<br />
Anstieg bis 2015 sorgen.<br />
33
In <strong>Europa</strong> nimmt Deutschland, als grösster Absatzmarkt und<br />
Produktionsstandort, eine wichtige Stellung in der <strong>Automobilindustrie</strong><br />
ein. Ebenso wie die anderen westeuropäischen Länder weist auch<br />
Deutschland eine seit Anfang 2000 anhaltende Absatzschwäche auf,<br />
die durch die Abwrackprämie nur künstlich unterbrochen wurde. Das<br />
IWK sieht einen langfristigen Trend der Neuzulassungen in<br />
Deutschland zwischen 3,0 bis 3,3 Millionen Pkw liegen. Gegenüber<br />
den schwachen Absatzzahlen in den Jahren 2007 und 2008 bedeutet<br />
dieser Trend zwar zunächst eine Steigerung, die mit Steuergeldern<br />
künstlich erhöhte Nachfrage 2009 liegt allerdings über diesem Trend.<br />
Mit dem Abklingen der Negativwirkungen der Weltwirtschaftskrise<br />
wird voraussichtlich in den Jahren zwischen 2011 bis 2013<br />
vorübergehend aufgrund des aufgestauten Ersatzbedarfs sogar<br />
temporär fast wieder das hohe Neuzulassungsniveau von Ende der<br />
Neuziger Jahre (3,8 Mio. Pkw) erreicht werden können – allerdings<br />
nicht dauerhaft. Dass es dazu kommt, dafür spricht die anhaltende<br />
Alterung der deutschen PKW-Flotte und der inzwischen seit fast<br />
einem Jahrzehnt zurück gestaute Ersatzbedarf. Ab dem Jahr 2014<br />
wird die strukturelle Stagnation der Nachfrage durchschlagen, mit<br />
konjunkturellen Schwankungen um den langfristigen Trend.<br />
Deutschland - Pkw-Absatz<br />
4.500<br />
4.000<br />
Prognose<br />
3.500<br />
Tausend Stück<br />
3.000<br />
2.500<br />
2.000<br />
1.500<br />
1.000<br />
500<br />
0<br />
1970<br />
1973<br />
1976<br />
1979<br />
1982<br />
1985<br />
1988<br />
1991<br />
1994<br />
1997<br />
2000<br />
2003<br />
2006<br />
2009<br />
2012<br />
2015<br />
2018<br />
Quelle: IWK<br />
Abbildung 1-19: Prognose Pkw-Absatz in Deutschland<br />
1.4.3. Wachstumsmärkte (BRIC-Staaten) bis 2015<br />
Die wesentlichen Wachstumsmärkte der <strong>Automobilindustrie</strong> werden<br />
die BRIC-Staaten sein, die gegenwärtig zwar unterschiedlich stark<br />
von der Wirtschaftskrise getroffen sind, aber einen strukturellen Trend<br />
auf ihren Automobilmärkten aufweisen, der steil nach oben geht.<br />
Entsprechend der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (vgl. Kapitel<br />
1.2.) werden die Emerging Countries der <strong>Automobilindustrie</strong> ein<br />
immenses Wachstum bescheren, das allerdings zunehmend von der<br />
lokalen <strong>Automobilindustrie</strong> vor Ort bedient wird und nicht mehr über<br />
den Export von den etablierten Produktionsländern.<br />
Die Volksrepublik China ist nicht nur der am schnellsten wachsende<br />
Automobilmarkt weltweit, sondern mittlerweile auch die wichtigste<br />
34
Stütze für die gesamte <strong>Automobilindustrie</strong>. In den ersten acht<br />
Monaten verzeichnete China einen Absatzzuwachs von 30%<br />
gegenüber dem Vorjahreszeitraum und war damit erstmals weltweit<br />
grösster Automobilmarkt, noch vor den USA. Während viele wichtige<br />
Absatzregionen in Folge der weltweiten Wirtschaftskrise starke<br />
Einbrüche verzeichneten, war in China nur eine kurze Stagnation<br />
Anfang 2009 zu bemerken und ab Frühjahr konnte mit Hilfe der<br />
staatlichen Konjunkturmassnahmen aus Peking (v.a.<br />
Steuererleichterungen beim Kauf von kleinmotorigen Autos) das<br />
rasante Wachstum der Vorjahre fortgesetzt werden. Mit jährlichen<br />
Wachstumsraten von über 20% hat sich der chinesische<br />
Automobilmarkt in einem atemberaubenden Tempo innerhalb von<br />
zehn Jahren quasi aus dem Nichts zu einem der grössten<br />
Absatzmärkte weltweit entwickelt, auf dem jeder der weltweiten<br />
Hersteller präsent sein muss. In der aktuellen Krise ist der florierende<br />
chinesische Markt für die Hersteller umso wichtiger, der Volkswagen-<br />
Konzern setzt beispielsweise inzwischen mit über einer Million<br />
Fahrzeugen mehr als 15 % seiner Fahrzeuge in China ab. Das<br />
Absatzvolumen von VW ist damit in China um ein Vielfaches grösser<br />
als in bereits entwickelten Märkten wie den USA oder Japan.<br />
Das Potenzial des chinesischen Automobilmarkts ist trotz der bereits<br />
erzielten Zuwächse weiterhin hoch, der Ausstattungsgrad der<br />
Bevölkerung mit einem eigenen Pkw ist noch immer extrem niedrig.<br />
Berechnungen des Internationalen Währungsfonds zufolge würde<br />
sich in China die Zahl der Automobile pro 1.000 Einwohner bei gleich<br />
bleibender wirtschaftlicher Entwicklung von derzeit 20 auf 267 bis<br />
zum Jahr 2035 erhöhen. Das wären dann rund 350 Millionen Autos<br />
auf Chinas Strassennetz, das bereits heute mit den vorhanden 30<br />
Millionen Fahrzeugen teilweise hoffnungslos überfordert ist. Da die<br />
wirtschaftlichen Wachstumsraten nicht auf dem jetzigen Niveau<br />
bleiben werden, ist von einer langsameren Zunahme der Fahrzeuge<br />
in China auszugehen, die in ihrem absoluten Ausmass<br />
nichtsdestotrotz alles bisher da gewesene übertrumpfen wird.<br />
Diese gigantischen Wachstumsaussichten des chinesischen<br />
Automobilmarktes – bei gleichzeitig gesättigten Märkten in den<br />
Industrieländern – haben zu einer „herdenartigen Flucht“ der globalen<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> nach China geführt. Der chinesische<br />
Automobilmarkt ist für alle westlichen Automobilkonzerne ein<br />
entscheidendes Unternehmensstandbein geworden und hat sich<br />
dementsprechend zu einem hart umkämpften Markt entwickelt.<br />
Parallel zur Absatzentwicklung wurde in China auch die<br />
Automobilproduktion aufgebaut. Da nur wenige Autos aus dem<br />
Ausland nach China importiert werden und die Exporte von<br />
chinesischen Produktionsstandorten auch (noch) sehr gering sind,<br />
wächst die Fahrzeug-Produktion in China im Gleichschritt mit der<br />
Nachfrage auf dem chinesischen Markt. Seit 1998 hat sich die Pkw-<br />
Produktion bis zum Jahr 2008 mehr als verzehnfacht. Allein von 2006<br />
bis 2007 stieg die Anzahl der in China produzierten Fahrzeuge um<br />
35
1,5 Millionen Einheiten, im Jahr 2008 um weitere 500.000. China<br />
steht damit mittlerweile hinter Japan und noch vor den USA weltweit<br />
an zweiter Stelle und hat sich als wichtiger Produktionsstandort für<br />
alle grossen Automobilkonzerne etabliert. Im Jahr 2008 wurden<br />
insgesamt 9,3 Millionen Fahrzeuge in China hergestellt, in<br />
Deutschland ging die Automobilproduktion im Vergleich dazu um 3%<br />
auf 6 Millionen Fahrzeuge zurück.<br />
Neuzulassungen, Fahrzeuge insgesamt<br />
Millionen Stück<br />
Millionen Stück<br />
20<br />
18<br />
16<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
14<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
1998<br />
1999<br />
Japan<br />
2000<br />
2001<br />
2002<br />
2003<br />
2004<br />
2005<br />
Produktion, Fahrzeuge insgesamt<br />
Deutschland<br />
USA<br />
China<br />
Deutschland<br />
2006<br />
2007<br />
2008<br />
USA<br />
China<br />
Japan<br />
4<br />
2<br />
0<br />
1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008<br />
Quelle: VDA<br />
Abbildung 1-20: China: Neuzulassungen und Produktion im internationalen<br />
Vergleich<br />
In seinem absoluten Ausmass übertrumpft der chinesische<br />
Automobilmarkt alle anderen Wachstumsländern bei weitem und in<br />
Zukunft wird dies noch deutlich stärker der Fall sein. In den<br />
kommenden Jahren werden die Wachstumsraten voraussichtlich<br />
deutlich unterhalb der im ersten Halbjahr 2009 erreichten 25% liegen<br />
und nur 6% -8% betragen. Aber selbst dann wird der Absatz in China<br />
im Jahr 2015 bei über 14 Mio. Fahrzeugen liegen.<br />
Der zweite wichtige asiatische Wachstumsmarkt Indien wird diese<br />
Grössenordnung bei weitem nicht erreichen können, spielt für die<br />
internationalen Herstellerkonzerne aber trotzdem eine zunehmend<br />
wichtigere Rolle. Davon zeugt auch die Eröffnung des neuen<br />
Volkswagen Werks in Pune im Frühjahr 2009, wo der Skoda Fabia<br />
und ab Anfang 2010 der VW Polo produziert werden. Der Boom des<br />
indischen Automobilmarktes mit Zuwachsraten von 15% - 25% in den<br />
vergangenen 5 Jahren wurde durch die weltweite Finanzkrise nur<br />
kurzzeitig gestoppt, mit einem Wachstum von lediglich 1% im Jahr<br />
2008. In den ersten acht Monaten 2009 konnte der Pkw-Absatz<br />
bereits wieder um 8% zulegen, für das Gesamtjahr 2009 rechnet das<br />
IWK mit einem Anstieg der Pkw-Verkäufe um 10% auf 1,9 Mio. Stück.<br />
In den nächsten Jahren ist in Indien mit einer wachsenden<br />
Mittelschicht mit erhöhter Kaufkraft zu rechnen, sodass bei einer<br />
36
Motorisierungsdichte von 11 Pkw pro 1.000 Einwohner in diesem<br />
Subkontinent anhaltend lebhafte Wachstumsraten des<br />
Automobilmarktes geradezu vorprogrammiert sind. Der Pkw-Absatz<br />
wird sich innerhalb der nächsten 5 Jahre auf über 4 Mio. Einheiten<br />
mehr als verdoppeln. Eine wichtige Bedeutung wird dabei den<br />
Billigautos des Einstiegssegmentzukommen, wie dem Nano von Tata,<br />
aus heimischer Produktion und mit westlicher Technik (Bosch).<br />
Generell steht ausser Zweifel, dass Indien dank seiner geografischen<br />
Lage und seiner Kostenvorteile als Produktionsstandort immer<br />
wichtiger wird. Mit einer Produktion von 2,3 Millionen Kraftfahrzeugen<br />
und einem Export von gerade einmal 260.000 Einheiten, steht das<br />
Land eher noch am Anfang eines dynamischen<br />
Entwicklungsprozesses. Dabei ist an der Entschlossenheit der<br />
einheimischen Anbieter, künftig auch auf internationalem Parkett auf<br />
sich aufmerksam zu machen, nicht zu zweifeln.<br />
Der Automobilmarkt Russland war dank hoher Zuwachsraten ersten<br />
Halbjahr 2008 bereits kurzzeitig grösster Neuwagenmarkt <strong>Europa</strong>s<br />
(vor Deutschland) bis der Absatz in Folge der globalen<br />
Wirtschaftskrise dramatisch einbrach. Seit Ende 2008 sind hier<br />
Rückgänge im Pkw-Verkauf um 50% zu verzeichnen und 2009 wird<br />
der Absatz nur noch bei rd. 1,5 Mio. Pkw liegen, nach 2,9 Mio. im<br />
Jahr 2008. Damit fällt der Markt unter das Niveau des Jahres 2005<br />
und erreicht im europäischen Vergleich nur den fünften Platz. Ab<br />
Frühjahr 2010 ist mit einer Erholung des russischen<br />
Automobilmarktes zu rechnen, aufgrund einer generellen leichten<br />
wirtschaftlichen Erholung (steigende Rohöl- und Erdgas-Einnahmen)<br />
und der von der Regierung beschlossenen Massnahmen zur<br />
Stützung des Kfz-Absatzes. Hierzu zählen subventionierte Kredite für<br />
den Kauf von in Russland montierten Neuwagen in- und<br />
ausländischer Marken und ein aktuell beschlossenes<br />
Abwrackprogramm. Längerfristig werden dem Absatzmarkt Russland<br />
weiterhin gute Perspektiven eingeräumt, im Jahr 2013 könnte das<br />
Niveau von 2008 bereits wieder übertroffen werden und nach 2015<br />
sogar die 4 Mio.-Marke. Die Zukunft des russischen Pkw-Markts<br />
gehört eindeutig den ausländischen Herstellern, die die russischen<br />
Marken zunehmend verdrängen und ihren Marktanteil innerhalb<br />
weniger Jahre auf über zwei Drittel steigern konnten. Ein Grossteil<br />
der westlichen Marken wird dabei in Kooperation mit den<br />
einheimischen Herstellern produziert, immer mehr westliche OEMs<br />
bauen aber auch eigene Werke in Russland auf (vgl. Kap. 4.2).<br />
Als vierter grosser Wachstumsmarkt der Welt gilt Brasilien. Nach<br />
einigen Turbulenzen in den 1990er Jahren weist der brasilianische<br />
Automobilmarkt mittlerweile ein stabiles Wachstum auf und der<br />
Absatz konnte sich innerhalb von fünf Jahren mehr als verdoppeln,<br />
auf 2,7 Mio. light vehicles (2008). Die Auswirkungen der weltweiten<br />
Finanzkrise sind allerdings auch am brasilianischen Automobilmarkt<br />
nicht spurlos vorbeigegangen, im Jahr 2009 gibt es eine<br />
Wachstumspause auf in etwa gleichem Niveau, wie im Vorjahr. In<br />
37
Anbetracht der dramatischen Einbrüche auf den anderen süd- und<br />
nordamerikanischen Automobilmärkten, sowie der hohen<br />
Abhängigkeit der brasilianischen Wirtschaft von Einnahmen aus dem<br />
Rohstoffgeschäft (s. Russland) ist das Verharren bei 2,7 Mio.<br />
verkauften light vehicles als Beweis für die Stabilität und das weitere<br />
Wachstumspotenzial des brasilianischen Automarktes zu werten.<br />
Langfristig sind in Brasilien zwar keine vergleichbaren Zuwachsraten<br />
wie in den anderen drei oben aufgeführten Ländern zu erwarten, mit<br />
durchschnittlich 5 % Wachstum wird der brasilianische Markt bis 2015<br />
immerhin auf 3,5 Mio. Einheiten anwachsen können. Als regionale<br />
Besonderheit verzeichnen in Brasilien so genannte Flexi-Fuel-<br />
Fahrzeuge 4 ein hohes Wachstum. Der Anteil dieser Fahrzeuge stieg<br />
in den vergangen Jahren an, auf über 2 Mio. Einheiten im Jahr 2008,<br />
mehr als 80% des Gesamtabsatzes. Die wichtigsten Akteure in<br />
Brasilien sind die drei Hersteller Fiat, VW und GM, die jeweils ca. ein<br />
Viertel der dortigen Nachfrage abdecken. Aber auch andere<br />
Hersteller wie Toyota, Hyundai oder der chinesische Hersteller Chery<br />
wollen in Brasilien verstärkt aktiv werden und planen den Aufbau<br />
eigener Werke vor Ort. Denn neben dem Wachstum des dortigen<br />
Marktes sind auch die Exportmöglichkeiten in den gesamten süd- und<br />
mittelamerikanischen Raum ein wichtiges Standortkriterium für<br />
Brasilien.<br />
Insgesamt bleibt festzuhalten, dass allein diese vier BRIC-Staaten für<br />
einen bisher unbekannten Wachstumsschub in der<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> sorgen werden. Im Jahr 2015 wird der Pkw-Absatz<br />
in diesen vier Märkten zusammen ein Niveau von mehr als 25 Mio.<br />
Fahrzeugen erreicht haben, zehn Millionen mehr als 2009. Von<br />
diesem Zuwachs entfallen allein fünf Millionen auf China, den mit<br />
Abstand wichtigsten und grössten Markt der Zukunft. Indien,<br />
Russland und Brasilien werden zusammengenommen aber ebenfalls<br />
um rund fünf Millionen Einheiten wachsen können. Alle in der<br />
globalen <strong>Automobilindustrie</strong> tätigen Unternehmen (Hersteller wie<br />
Zulieferer) müssen auf dieses Wachstum vorbereitet und in den<br />
entsprechenden Märkten aktiv sein, wenn sie den Anschluss nicht<br />
verpassen wollen.<br />
4 Diese Fahrzeuge können alternativ mit Benzin, Ethanol sowie einer<br />
beliebigen Mischung der beiden Treibstoffe betrieben werden. Die<br />
entsprechende Technik wurde in den Neunziger Jahren bei Bosch entwickelt<br />
und 2003 eingeführt.<br />
38
16<br />
Pkw (light vehicle)-Verkäufe in den BRIC-Staaten<br />
14<br />
12<br />
Millionen Stück<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015<br />
Brasilien Russland Indien China<br />
Quelle: VDA; Global Insight; Eigene Berechnung IWK<br />
Abbildung 1-21: Prognose BRIC-Staaten<br />
39
2. Externe Veränderungstreiber in der <strong>Automobilindustrie</strong><br />
2.1. Entwicklung der Rohstoff- & Energiepreise<br />
Die turbulente Entwicklung der Rohstoff- und Energiepreise in den<br />
letzten Jahren war – neben anderen Faktoren – ein wesentlicher<br />
Grund für die derzeitige strukturelle Krise der <strong>Automobilindustrie</strong>. Die<br />
Produktionskosten der Hersteller und Zulieferer nahmen aufgrund<br />
stark steigender Preise für Rohmaterialien, wie beispielsweise für<br />
Stahl, und einem dramatischen Anstieg der Energiepreise erheblich<br />
zu. Innerhalb von nur sechs Jahren hatte sich bis Mitte des Jahres<br />
2008 der Preis für Edelmetalle mehr als verdreifacht und die<br />
Energiepreise waren sogar sieben Mal so hoch wie Anfang 2002. Als<br />
Vergleich, im Zeitraum von 2002 bis 2008 fand bei den Lebensmitteln<br />
„nur“ einer Verdoppelung der Preise statt.<br />
Ausgelöst wurde dieser enorme Preisanstieg vor allem durch die<br />
steigende Rohstoffnachfrage der wirtschaftlichen Schwellenländer,<br />
allen voran China und Indien. Das rasante Wachstum der dortigen<br />
Industriezweige verursachte eine stark erhöhte Nachfrage nach den<br />
nötigen Rohstoffen, mit der das Angebot auf dem Weltmarkt nicht<br />
mehr mithalten konnte.<br />
Ab der zweiten Hälfte des Jahres 2008 machte sich die<br />
Weltwirtschaftskrise bemerkbar und die Rohstoff- und Energiehausse<br />
fand ein abruptes Ende. Dieses war allerdings nur von kurzer Dauer:<br />
Seit Anfang 2009 ziehen die Energiepreise auf dem Weltmarkt bereits<br />
wieder an und liegen wieder dreieinhalb Mal so hoch wie Anfang<br />
2002. Die Lebensmittelpreise haben ebenfalls ab Mitte 2008 deutlich<br />
nachgelassen, der Preis für Edelmetalle wich dagegen nur kurz von<br />
seinem Aufwärtstrend ab.<br />
Entwicklung der Rohstoffpreise<br />
Jan 2002 = 100; Basis: US$<br />
800<br />
700<br />
600<br />
500<br />
400<br />
300<br />
200<br />
100<br />
0<br />
2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009<br />
Energie Edelmetalle Lebensmittel<br />
Quelle: FERI, eigene Darstellung<br />
Abbildung 2-1: Anstieg der Rohstoffpreise<br />
Für die <strong>Automobilindustrie</strong> ging dieser starke Anstieg der Einkaufsund<br />
Produktionskosten über die gesamte Wertschöpfungskette<br />
gesehen nahezu ungebremst direkt zu Lasten der Gewinnmarge, da<br />
die meisten Unternehmen die gestiegenen Kosten kaum an ihre<br />
Kunden weitergeben konnten, der hohe globale Wettbewerbsdruck<br />
40
und die schwache Nachfrage an den Absatzmärkten liessen das nicht<br />
zu. Denn die Autokäufer waren als Konsumenten von dem starken<br />
Anstieg der Energiekosten ebenfalls betroffen, der bei ihnen für einen<br />
realen Kaufkraftentzug und einen entsprechenden Rückgang der<br />
Mineralölverbräuche und der PKW-Nutzung sorgte. Allein in<br />
Deutschland belief sich der Kaufkraftentzug zeitweise auf bis zu 15<br />
Milliarden Euro. Die Verbraucher sahen sich Mitte 2008 mit einem<br />
Rohölpreis konfrontiert, der mit bis zu 130 US$ pro Barrel sogar<br />
inflationsbereinigt deutlich über dem Höchstwert der letzten Ölkrise<br />
im Jahr 1979 lag.<br />
In den USA waren die Autofahrer von diesem Ölpreisanstieg gleich<br />
dreifach betroffen:<br />
<br />
Der Grossteil der amerikanischen Pkw-Flotte besteht aus<br />
schweren, grossmotorigen Off-Road-Fahrzeugen, wie Pick-ups<br />
und SUVs (Sport Utility Vehicle), die einen sehr hohen<br />
Kraftstoffverbrauch haben und nach 2002 durch heftige<br />
Rabattschlachten der US-Hersteller weit über den Normalbedarf<br />
hinaus in den Markt gedrückt wurden. Entsprechend ist der Pkw-<br />
Bestand in den USA aktuell vergleichsweise jung.<br />
Aufgrund des relativ niedrigen Steueranteils für Benzin in den<br />
USA, schlug sich der Ölpreisanstieg an den amerikanischen<br />
Tankstellen überproportional auf die Budgets der Konsumenten<br />
durch – da brachten auch „prayer at the pump“ 5 keine Hilfe,<br />
während beispielsweise in <strong>Europa</strong> der hohe fixe Steueranteil<br />
(Mineralölsteuer) wie ein Puffer wirkte.<br />
Der sinkende Wechselkurs des US-Dollars sorgte ebenfalls für<br />
eine stärkere Auswirkung in den USA als in <strong>Europa</strong>. So stieg<br />
Rohölpreis im Zeitraum 2002 bis 2008 von 20 Euro auf einen<br />
Höchststand von 90 Euro (+350%), während er im gleichen<br />
Zeitraum von 20 US$ auf 140 US$ anstieg (+600%).<br />
Dementsprechend war der US-Markt der erste grosse Absatzmarkt,<br />
auf dem die Neuwagenverkäufe seit 2006 bereits zurück gingen, in<br />
den Jahren 2006 und 2007 noch in geringem Ausmass, gegen Mitte<br />
des Jahres 2008, als auch der Höchststand des Ölpreises erreicht<br />
war, dann mit einem Rückgang um zeitweise bis zu 50%. Besonders<br />
getroffen von dieser Entwicklung waren die drei grossen US-<br />
Hersteller + Toyota, mit ihrer auf „Spritfresser“ ausgerichteten<br />
Modellpolitik. Die asiatischen Anbieter mit ihren überwiegend kleinen<br />
5 Als Mitte 2008 der Preis für eine Gallone (3,79 Liter) Kraftstoff auf vier<br />
Dollar (rund 2,60 Euro) anstieg, bildete sich in den USA die religiöse<br />
Bewegung „Prayer at the pump“, die an den Tankstellen für billigeres<br />
Benzin betete.<br />
41
Autos, konnten dagegen zunächst noch profitieren und Marktanteile<br />
hinzugewinnen.<br />
Blickt man zurück, so stellt der Rohölpreis einen klassischen systemimmanenten<br />
Konjunkturstabilisator dar, da er eine boomende<br />
Wirtschaft mit entsprechend hoher Ölnachfrage durch einen hohen<br />
Preis abbremst und bei einer konjunkturellen Abschwächung und<br />
damit verbundenem niedrigeren Ölbedarf durch einen sinkenden<br />
Preis den Druck auf die Wirtschaft verringert. In der gegenwärtigen<br />
Situation ist dies zwar auch der Fall, die <strong>Automobilindustrie</strong> kann von<br />
diesem Effekt allerdings nur in einem geringen Umfang profitieren.,<br />
da die negativen Effekte der weltweiten Wirtschaftskrise schwerer<br />
wogen. Die Nachfrage nach Fahrzeugen ging in den Industrieländern<br />
(ohne staatliche Fördermassnahmen) stark zurück und in einigen<br />
vorherigen Boomregionen wie Russland oder Brasilien brach die<br />
Nachfrage weg. Dort hatten die hohen Rohstoffpreise für ein starkes<br />
Wachstum der Wirtschaft, und auch der Neuzulassungen, gesorgt,<br />
das plötzlich aufgrund der sinkenden Einnahmen aus dem<br />
Rohstoffexport gestoppt wurde.<br />
Eine Prognose, wie sich der Ölpreis kurzfristig entwickeln wird, ist<br />
gegenwärtig äusserst schwierig, da er im Wesentlichen von der<br />
weiteren konjunkturellen Entwicklung der Weltwirtschaft abhängt.<br />
Wichtiger als die kurzfristige Sicht ist jedoch die Erkenntnis, dass die<br />
Zeiten billigen Öls langfristig vorbei sind, da die weltweiten Reserven<br />
knapper werden und nur bei entsprechend hohen Ölpreisen lukrativ<br />
zu fördern sind. Obwohl sich die Konjunkturaussichten in den<br />
Industrieländern noch nicht dauerhaft erholt haben, stieg der Ölpreis<br />
seit seinem Tiefststand von 34 US$ (Dez. 2008) mittlerweile wieder<br />
auf über 70 US$ (Sept. 2009) an. Ein weiterer Anstieg gilt bei<br />
verbesserter wirtschaftlicher Lage als sicher.<br />
Im langfristigen Trend wird also die weltweite Energienachfrage<br />
ansteigen, hauptsächlich getrieben von den Ländern ausserhalb der<br />
OECD. In den letzten Jahren hatten diese Entwicklungs- und<br />
Schwellenländer einen Beitrag von 90% zum Wachstum des<br />
weltweiten Energieverbrauchs, d.h. der Anstieg der weltweiten<br />
Energienachfrage kam nahezu komplett aus den Nicht-OECD-<br />
Ländern, während in den westlichen Industrieländern kaum ein<br />
Anstieg im Energiebedarf festzustellen war. Dieser Trend wird auch in<br />
Zukunft weiter anhalten, die Energienachfrage in der OECD wird<br />
nahezu konstant bleiben, ausserhalb der Industrieländer wird die<br />
Nachfrage dagegen bis zum Jahr 2020 um rund 50% ansteigen.<br />
42
in Brd. (10 15 ) Energieeinheiten (Btu)<br />
700,0<br />
600,0<br />
500,0<br />
400,0<br />
300,0<br />
200,0<br />
100,0<br />
Energienachfrage<br />
Nicht OECD<br />
OECD<br />
339<br />
303<br />
263<br />
221<br />
241 250 261 269<br />
0,0<br />
2005 2010 2015 2020<br />
Quelle: EIA, eigene Darstellung<br />
Abbildung 2-2: Weltenergienachfrage 2005-2020<br />
Zusätzlich zu ihrem höheren Wirtschaftswachstum weisen die<br />
grossen Wachstumsländer China und Indien bisher eine höhere<br />
Energieintensität ihres Wachstums auf. Der Energieaufwand, der für<br />
die Produktion einer BIP-Einheit benötigt wird, ist in China mehr als<br />
viermal und in Indien fast dreimal so hoch wie in Deutschland. Die<br />
Energieeffizienz ihrer Produktionsprozesse erheblich zu verbessern<br />
wird also in Zukunft eine zentrale Aufgabe für die betreffenden<br />
Länder sein – sehr zum Wohl des deutschen Maschinenbaus, der in<br />
solchen Dingen führend ist. Die beiden Faktoren hohes BIP-<br />
Wachstum und niedrige Energieeffizienz in den Emerging Countries<br />
werden indessen im Trend für einen stark wachsenden Energiebedarf<br />
weltweit sorgen, der mit den knapper werdenden Ressourcen<br />
gedeckt werden muss. Dies wird sich entsprechend auf den Ölpreis<br />
auswirken, aber auch andere Energieträger wie Erdgas, das preislich<br />
an den Ölpreis gekoppelt ist, und Kohle werden sich wieder<br />
verteuern.<br />
40.000<br />
35.000<br />
30.000<br />
25.000<br />
20.000<br />
15.000<br />
Energieintensität<br />
Energieverbrauch (BTU) je BIP-Einheit (US$)<br />
35.766<br />
24.799<br />
Welt: 12.749<br />
10.000<br />
9.113<br />
7.396<br />
6.539<br />
5.000<br />
0<br />
USA Deutschland China Indien Japan<br />
Quelle: EIA, eigene Darstellung<br />
Abbildung 2-3: Energieeffizienz<br />
43
Kurzum: Ein langfristiger Ölpreisanstieg ist trotz temporärer<br />
Abweichungen unausweichlich. Der Preiseinbruch im Zuge der<br />
Wirtschaftskrise oder durch die Entdeckung neuer Ressourcen kann<br />
nur kurzfristig sein. Auch andere Rohstoffe, die für die industrielle<br />
Produktion nötig sind, werden einen ähnlichen langfristigen Trend<br />
aufweisen, ebenfalls im Wesentlichen getrieben durch die steigende<br />
Nachfrage in den Emerging Countries. Der Preisanstieg wird für diese<br />
anderen Rohstoffe durchschnittlich etwas weniger steil ausfallen als<br />
im Energiebereich, da mehr weltweite Ressourcen vorhanden sind.<br />
200,00<br />
180,00<br />
160,00<br />
140,00<br />
120,00<br />
100,00<br />
80,00<br />
60,00<br />
40,00<br />
20,00<br />
Ölpreis - langfristige Entwicklung<br />
(US$/barrel)<br />
Prognose<br />
langfr. Trend<br />
0,00<br />
1970 1975 1980 1985 1990 1995 2000 2005 2010 2015 2020<br />
Quelle: FERI, eigene Darstellung<br />
Abbildung 2-4: Langfristige Ölpreisentwicklung<br />
Die <strong>Automobilindustrie</strong> muss sich also auf ein deutlich höheres<br />
Ölpreisniveau als in der Vergangenheit einstellen und ihre<br />
Modellpolitik und Antriebstechnologie entsprechend anpassen. Für<br />
die Endkunden wird der Benzinverbrauch ein zunehmend wichtigeres<br />
Entscheidungskriterium beim Autokauf werden. Zumal die aktuelle<br />
Krise der Weltwirtschaft vielfach Anlass zu künftig rationalerem<br />
Verbraucherverhalten sein dürfte. All dies läuft auf eine<br />
überproportionale Bevorzugung der unteren PKW-Marktsegemente<br />
hinaus. Und auch in der Produktion werden die langfristig steigenden<br />
Rohstoffpreise bei Zulieferern und Herstellern für einen weiter<br />
anhaltenden Kostendruck wirken, so dass sich die Branche in der<br />
gegenwärtigen Phase nicht auf den niedrigen Kosten ausruhen darf,<br />
sondern die nötigen technologischen Anpassungen an hohe<br />
Rohstoffpreise weiter vorantreiben muss.<br />
2.2. Neue Anforderungen zur Umweltverträglichkeit<br />
2.2.1. Aktuelle und künftige gesetzliche Auflagen<br />
Einer der wichtigsten zukünftigen Technologietreiber in der gesamten<br />
Automobilbranche ist die Fokussierung auf die zunehmend<br />
erforderliche Umweltverträglichkeit. Einerseits hat die<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> durch die oben beschriebene Verteuerung der<br />
Rohstoffe aus Kostengründen ein Eigeninteresse an diesem Thema,<br />
44
zweitens spielt bei den Kunden der Umweltaspekt beim<br />
Neuwagenkauf eine zunehmend wichtigere Rolle, und drittens<br />
müssen in Zukunft wesentlich strengere gesetzliche Vorschriften und<br />
Auflagen zum Umweltschutz eingehalten werden. Dies alles wird<br />
erhebliche strukturelle Auswirkungen auf die gesamte Branche<br />
haben. Die Automobilhersteller und Zulieferer müssen ein<br />
entsprechendes Umweltkonzept entwickeln, das alle Phasen von der<br />
Entwicklung, Produktion, Nutzung bis hin zur Verwertung eines<br />
Automobils einschliesst, wobei die Schwerpunkte in folgenden<br />
Bereichen liegen:<br />
Minderung der Schadstoff-Emissionen und des<br />
Kraftstoffverbrauchs<br />
Schonender und effizienter Einsatz der Ressourcen<br />
Umweltfreundliche Produktion<br />
Geschlossener Materialkreislauf (Recycling und Entsorgung)<br />
Der wichtigste Ansatzpunkt für die gesetzliche Umweltpolitik ist dabei<br />
mit Sicherheit der Schadstoffausstoss der Fahrzeuge. Im Rahmen<br />
der globalen Klimaerwärmung und des Treibhauseffekts erhält die<br />
Reduzierung des CO 2 -Ausstosses eine zunehmende politische<br />
Bedeutung. Der Verkehr trägt dabei mit 26% erheblich zu den CO 2 -<br />
Gesamtemissionen in der Europäischen Union bei, und für etwa die<br />
Hälfte dieser Emissionen ist der Pkw-Verkehr verantwortlich.<br />
Bei den staatlichen Abwrackprämien knüpfen nur einzelne Ländern<br />
die Prämienzahlung an strenge Umweltauflagen, in den meisten<br />
Ländern (wie Deutschland) wurde diese Massnahme aber trotz der<br />
offiziellen Bezeichnung als „Umweltprämie“ nur als Konjunkturhilfe für<br />
die <strong>Automobilindustrie</strong> eingeführt (vgl. Kapitel 1.4.1.). Die<br />
französische Regierung verfolgt zusätzlich schon seit Januar 2008<br />
ein Bonus-Malus-System, bei dem der Kauf schadstoffniedriger<br />
Neuwagen mit bis zu 5.000 Euro subventioniert und der Kauf CO 2 -<br />
intensiver Neuwagen mit bis zu 2.600 Euro Strafzahlung belegt wird.<br />
Dies kann aber ebenfalls als staatliche Subventionierung für die<br />
nationalen Hersteller betrachtet werden, da vor allem die<br />
französischen Kleinwagen von dieser Regelung profitieren.<br />
Innerhalb der Europäischen Union haben sich die Mitgliedsstaaten<br />
inzwischen auch auf einheitliche langfristige Vorgaben zur CO 2 -<br />
Reduzierung im Strassenverkehr geeinigt. Nachdem die<br />
europäischen Pkw-Hersteller ihre freiwillige Selbstverpflichtung von<br />
140 g/km CO 2 bis 2009 nicht einhalten konnten, hat das EU-<br />
Parlament im April 2009 erstmals ein Emissionslimit erlassen. Der<br />
CO 2 -Ausstoss von Neuwagen innerhalb der EU soll ab 2012<br />
schrittweise sinken, von derzeit knapp 160 g/km auf 130 g/km 6 im<br />
6 weitere 10 g/km sollen zusätzlich durch den Einsatz von Biokraftstoffen<br />
45
Jahr 2012. Für jeden grossen Hersteller wird ein Flottenzielwert<br />
ermittelt, der von dem Produktportfolio, also dem<br />
Durchschnittsgewicht der Flotte der Hersteller abhängig ist. Für<br />
Hersteller von schweren Premiumfahrzeugen bedeutet das eine<br />
Senkung des CO 2 -Ausstosses auf einen Wert, der etwas über dem<br />
EU-Zielwert von 130 g/km liegt, für Kleinwagenhersteller etwas<br />
darunter. Da es bei grossen, schweren Autos mit einem hohen<br />
Verbrauch mehr Möglichkeiten zur CO 2 -Senkung gibt, müssen diese<br />
Hersteller nach den EU-Vorgaben den Flottendurchschnitt nicht nur<br />
absolut in g/km stärker senken, sondern auch relativ zu ihrem<br />
derzeitigen Ausgangswert. Für Premiumanbieter wie Daimler und<br />
BMW bedeutet dies eine Reduzierung um ca. 25% auf 135 g/km bzw.<br />
138 g/km, während Hersteller von kleineren Fahrzeugen 12% bis<br />
16% CO 2 -Minderung durchführen müssen, um dann einen Zielwert<br />
deutlich unter 130 g/km zu realisieren.<br />
Um die branchentypischen Produktionszyklen zu berücksichtigen,<br />
wird diese neue EU-Regelung gestaffelt eingeführt. Damit<br />
Fahrzeugmodelle, die heute neu in den Markt eingeführt werden,<br />
auch noch die nächsten Jahre unverändert vom Band laufen können,<br />
müssen im Jahr 2012 erst 65% der Neuwagenflotte die Werte<br />
erfüllen. In den Folgejahren steigt die Quote zunächst auf 75% und<br />
später auf 80%, und bis zum Jahr 2015 haben 100% der<br />
Neuwagenflotte das Ziel zu erfüllen. Zusätzlich soll langfristig bis<br />
2020 der durchschnittliche CO 2 -Ausstoss auf 95 g/km gesenkt<br />
werden.<br />
Abbildung 2-5: Geforderte CO 2 -Reduzierung nach Herstellern<br />
Für den Fall, dass der jeweilige Grenzwert für die Flotten-Emissionen<br />
überschritten wird, sieht die EU-Kommission Strafzahlungen für den<br />
entsprechenden Hersteller vor. Ab 2012 muss für jedes Gramm CO 2 -<br />
und so genannten Ökoinnovationen eingespart werden.<br />
46
Ausstoss über dem Grenzwert Strafe gezahlt werden. Zunächst<br />
gestaffelt, 5 Euro für das erste Gramm, 15 Euro für das zweite, 25<br />
Euro für das dritte und ab vier g/km über dem Flottenziel sind 95 Euro<br />
pro verkauftem Fahrzeug fällig. Bei einem Absatzvolumen von 2,5<br />
Millionen Pkw kostet ein um drei Gramm erhöhter Flottenverbrauch<br />
den Hersteller somit 112 Millionen Euro, bei 5 Gramm zu viel beträgt<br />
die Strafe bereits 590 Millionen Euro.<br />
Die Hersteller werden erhebliche Anstrengungen unternehmen<br />
müssen, um diese zukünftigen Vorgaben zu erreichen. Im Jahr 2008<br />
sank der durchschnittliche CO 2 -Ausstoss bei Neuwagen in der EU um<br />
5 g/km auf 154 g/km. Mit einem relativ hohen Anteil an grossen,<br />
schweren Fahrzeugen der Premiumanbieter lag der Wert im Jahr<br />
2008 in Deutschland mit 165 g/km auf dem höchsten Niveau der<br />
westeuropäischen Industrieländer.<br />
180<br />
170<br />
160<br />
150<br />
140<br />
130<br />
183<br />
181<br />
169<br />
165<br />
165<br />
158<br />
2007 2008<br />
153<br />
148 147<br />
145<br />
149<br />
140<br />
144<br />
138<br />
158,7<br />
153,5<br />
120<br />
Lettland Deutschland Großbritannien Spanien Italien Frankreich Portugal Total<br />
Quelle: Transport & Environment<br />
Abbildung 2-6: CO 2 -Ausstoss der neuzugelassenen Pkw in <strong>Europa</strong> in g/km<br />
Neben diesen ab 2012 geltenden CO 2 -Vorschriften begrenzt<br />
ebenfalls die im September 2009 europaweit eingeführte Abgasnorm<br />
Euro 5 den Schadstoffausstoss. Gegenüber der Euro 4 Norm wird der<br />
Grenzwert für Stickstoffoxide von Pkw mit Benzinmotor von 80 auf 60<br />
mg/km und der von Dieselfahrzeugen von 250 auf 180 mg/km<br />
verringert. Kohlenwasserstoffe und Stickstoffoxide dürfen dabei<br />
zusammen den Wert von 230 mg/km nicht überschreiten. Im<br />
September 2014 tritt die Euro 6 Norm in Kraft, die den Grenzwert für<br />
Stickstoffoxide von Dieselfahrzeuge auf 80 mg/km senkt und die<br />
Obergrenze für die Summe von Stickstoffoxiden und<br />
Kohlenwasserstoffen auf 170 mg/km festschreibt.<br />
Eine weitere Massnahme zur Schadstoffreduzierung ist die Änderung<br />
der Kfz-Steuer, die in vielen Ländern mittlerweile auch an den CO 2 -<br />
Ausstoss gekoppelt ist. So gilt in Deutschland seit dem ersten Juli<br />
2009, und in Frankreich schon seit dem ersten Januar 2006, eine<br />
neue Kfz Steuer, die sich nicht mehr allein nach dem Hubraum eines<br />
Autos, sondern zusätzlich nach dessen CO 2 -Ausstoss bemisst. In<br />
Deutschland ist ein CO 2 -Ausstoss von 120 g/km bis 2011 kostenfrei.<br />
Diese Regelung gilt für Neuwagen und wird in den nächsten Jahren<br />
schrittweise auf 95 g/km CO 2 gesenkt. Fahrzeuge mit weniger<br />
Emissionen werden ausschliesslich nach dem Hubraum versteuert.<br />
Ältere Pkw fallen erst ab dem Jahr 2013 unter die neue Kfz Steuer.<br />
47
Die Automobilhersteller müssen sich aber auch ausserhalb der EU<br />
auf verschärfte Schadstoffvorschriften einrichten. Die US-Regierung<br />
verschärfte im März 2009 die seit 1985 unverändert geltenden<br />
„Corporate Average Fuel Economy“ (CAFE) - Standards, das sind die<br />
durchschnittlichen Meilenstrecken, die ein Automobil per Gallone<br />
Benzin verbraucht. Die Änderung verringert den Benzinverbrauch pro<br />
100 km für das Modelljahr 2011 umgerechnet von derzeit<br />
durchschnittlich 9,5 l auf 8,8 l Benzin für Pkw. Zudem beschloss die<br />
US-Regierung im Mai, die von Kalifornien vorgeschlagenen<br />
Grenzwerte für den CO 2 -Ausstoss und Benzinverbrauch nicht, wie<br />
geplant bis 2020, sondern bis 2016 umzusetzen. Der<br />
Verbrauchsstandard für Fahrzeuge wird dann um knapp 30% auf 6,7 l<br />
pro 100 km gesenkt. Damit werden auch CO 2 -Emissionen auf etwa<br />
150 g/km von derzeit rund 210 g/km begrenzt. Die neuen Vorschriften<br />
sind allerdings noch deutlich milder als die CO 2 -Grenzwerte in der<br />
Europäischen Union.<br />
Auch China, das inzwischen mehr CO 2 als die USA verursacht, hat<br />
inzwischen strengere Umweltvorschriften eingeführt, darunter auch<br />
Grenzwerte für den Treibstoffverbrauch von Pkw und verbietet damit<br />
den Verkauf von Neuwagen, die je nach Gewicht, mehr als 7,7 l auf<br />
100 km verbrauchen. Im Jahr 2008 wurden die Werte auf 7,2 l<br />
verschärft. In Japan gelten ab 2010 ähnliche Werte.<br />
2.2.2. Absehbare Entwicklungen in der Motoren- /<br />
Antriebstechnologien<br />
Die <strong>Automobilindustrie</strong> reagiert auf diese zunehmende Bedeutung<br />
von Verbrauchs- und Schadstoffreduzierung vor allem mit einer<br />
weiter fortschreitenden Optimierung ihrer Motortechnik, die<br />
insbesondere auf Effizienzsteigerung und Downsizing abzielt, sowie<br />
mit der Entwicklung und Integration neuer Antriebstechnologien.<br />
Gestiegene Energiepreise, schärfer werdende gesetzliche<br />
Vorschriften, veränderte Kundenpräferenzen, neue technologische<br />
Möglichkeiten und staatliche Fördermittel zur Forschung und<br />
Innovation für die Elektromobilität forcieren dieses Thema, das aktuell<br />
die grösste Herausforderung für die Automobilhersteller und<br />
Zulieferer darstellt und für die zukünftige Überlebensfähigkeit vieler<br />
Unternehmen der Branche entscheidend ist.<br />
Einen einheitlichen Technologietrend gibt es nicht, die Möglichkeiten<br />
auf diesem Gebiet sind extrem vielfältig und es wird in der gesamten<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> in verschiedene Richtungen entwickelt. Dazu<br />
nachfolgend ein Überblick über aktuelle Tendenzen:<br />
Dieselmotor:<br />
Die Dieseltechnologie hat in den vergangenen Jahren in <strong>Europa</strong> und<br />
in Deutschland eine wesentliche technologische Verbesserung<br />
erhalten und eine entsprechend hohe Akzeptanz beim Kunden<br />
48
erzielen können. Der Kraftstoffverbrauch und die Emissionen wurden<br />
signifikant reduziert, was einer verbesserten innermotorischen<br />
Verbrennung zugeschrieben werden kann. Ausserdem wurden die<br />
Akustik und der Sound dem Ottomotor angenähert. Die zukünftig<br />
entwickelten Dieselmotoren zielen schwerpunktmässig auf eine<br />
weitere Reduzierung der Emissionswerte und Partikel ab.<br />
Insbesondere sollen hohe Einspritzdrücke geringe Toleranzen für<br />
Einspritzmenge und Spritzbeginn gewährleisten, so dass bei der<br />
Verbrennung weniger Schadstoffe entstehen. Dabei werden folgende<br />
technische Aspekte aufgegriffen:<br />
<br />
Neue Brennverfahren (homogene Verbrennung): Es wird hierbei<br />
eine Verbrennung unter hohem Motorwirkungsgrad bei sehr<br />
niedrigen Stickstoffoxidemissionen (NOx) angestrebt.<br />
Abgasnachbehandlung: Dies ist ein Verfahren, das<br />
Verbrennungsgase, nachdem sie den Brennraum oder die<br />
Brennkammer verlassen haben, entweder auf mechanischem<br />
(Katalysator, DPF) oder chemischem Weg (SCR – Selective<br />
Catalytic Reduction) reinigt.<br />
<br />
<br />
Höhere Einspritzdrücke über 2000 bar: Die Vorteile liegen dabei<br />
in der sehr feinen Kraftstoffverteilung im Brennraum und einer<br />
guten Gemischbildung mit den Zielen von optimierter<br />
Verbrennung, besserem Abgas und niedrigeren<br />
Partikelemissionen.<br />
Optimierte Aufladesysteme (2 Turbolader): Eruierung des<br />
Potentials hoher Spitzendrücke, mit doppelter Aufladung und<br />
Zylinder - Innendrücken von rund 350 bar.<br />
Ottomotor:<br />
Auch beim Ottomotor wird zukünftig eine weitere Reduzierung des<br />
Kraftstoffverbrauchs, vor allem hinsichtlich der CO 2 -Emissionsziele,<br />
angestrebt. Selbst wenn die Popularität des Dieselmotors gegenüber<br />
dem Ottomotor seit Mitte der 90er Jahre überproportional<br />
angestiegen ist, wird oftmals ein Comeback des Ottomotors<br />
vorhergesagt. Dies gründet zum einen auf das noch vorhandene<br />
Optimierungspotenzial, zum anderem auf der immer komplexeren<br />
und kostenaufwändigeren Abgasnachbehandlung bei Dieselmotoren.<br />
Im Bereich der Kraftstoffverbrauchseinsparung könnte der<br />
Benzinmotor durch effizientes Downsizing den Dieselmotor durchaus<br />
einholen. Wesentliche Verbesserungen wurden dabei bereits mit<br />
verschiedenen technischen Massnahmen erreicht:<br />
<br />
Direkteinspritzung: Ermöglicht höheres Verdichten und eine<br />
höhere Leistungsentfaltung als die Saugrohreinspritzung.<br />
Abgasturboaufladung: Verringerung des Verbrauchs, da ein Teil<br />
der Abgasenergie zur Leistung des Motors beiträgt.<br />
49
Schichtladung: Kraftstoffaufbereitung für ein zündfähigeres<br />
Gemisch im Bereich der Zündkerze.<br />
Combined Combustion System (Diesotto):<br />
Verbrennungsverfahren, das die Prinzipien von Otto- und<br />
Dieselmotor miteinander verbindet und die Vorteile beider<br />
Prozesse (Ottomotor: gutes Emissionsverhalten, homogene<br />
Gemischbildung, wenig Schadstoffe, kein Russ – Dieselmotor:<br />
hoher Wirkungsgrad, Selbstzündung, niedriger Verbrauch)<br />
vereinigt.<br />
Dabei haben alle genannten Bereiche noch weiteres<br />
Optimierungspotential, beispielsweise durch höhere Einspritzdrücke,<br />
Weiterentwicklungen im Bereich der Aufladung, höhere Verdichtung,<br />
Bi-Turbo, regelbarer Turbolader, variabler Ventilantrieb<br />
(Steuerzeiten/Hübe) oder verbessertes Energie/Wärmemanagement.<br />
Hybridtechnologie:<br />
An der Hybridtechnologie kommt inzwischen kein Hersteller mehr<br />
vorbei, sie wird als die wesentliche Brückentechnologie beim<br />
Übergang vom Verbrennungsmotor zum Elektrofahrzeug angesehen.<br />
Der Hybridantrieb besteht hierbei aus einem Verbrennungs- und<br />
einem Elektromotor, die unterschiedlich kombiniert sein können und<br />
gemeinsam für den Fahrzeugbetrieb sorgen. Durch den Elektromotor<br />
und die zugehörige Batterie soll der Verbrennungsmotor unterstützt,<br />
bzw. teilweise oder ganz ersetzt werden. Dies führt in erster Linie auf<br />
kurzen Strecken oder im Verkehr in Ballungsräumen zu<br />
Effizienzsteigerungen, während bei längeren Überlandstrecken<br />
dagegen die Verbrennungsmotoren einen Vorteil haben.<br />
Grundsätzlich unterscheidet man drei Hauptformen der<br />
Hybridisierung:<br />
Micro – Hybrid: Der Micro–Hybrid ist die erste Stufe der<br />
Hybridisierung und ist nur mit geringen Fahrzeugmodifikationen im<br />
Vergleich zu einem konventionellen Fahrzeug verbunden. Im<br />
Allgemeinen wird der konventionelle Anlasser durch eine<br />
leistungsfähigere Variante ersetzt. Dieser verfügt über eine Start-<br />
Stopp Automatik und eine Bremsenergierückgewinnung zum<br />
Laden der Batterie, dessen Leistung 2 bis 3kW beträgt. Dadurch<br />
kann der Verbrennungsmotor auch bei kurzen Standzeiten des<br />
Fahrzeuges, wie beispielsweise im Stau oder an der Ampel,<br />
abgeschaltet und beim Anfahren ohne spürbare zeitliche<br />
Verzögerung wieder gestartet werden. Allerdings besteht ein<br />
erhöhter Verschleiss und die Energieersparnis beträgt im<br />
Stadtverkehr maximal 10%. (Beispiel: BMW 1er, seit 2007)<br />
Mild – Hybrid: Der Elektroantriebteil des Mild-Hybrids ist im<br />
Vergleich zum Micro-Hybrid gross genug, um den<br />
50
Verbrennungsmotor zu unterstützen. Somit kann<br />
Effizienzsteigerung und eine elektromotorische Leistung zwischen<br />
6 und 14 kW erreicht werden. Hierbei nutzt das System neben der<br />
Start-Stopp Automatik und der um die Generatorregelung<br />
erweiterten Funktion die Bremswirkung der elektrischen Maschine<br />
im Generatorbetrieb zum Wiederaufladen des Energiespeichers<br />
(Rekuperation). Das 14-V-Bordnetz wird um diesen<br />
entsprechenden Energiespeicher erweitert. Für verbesserte<br />
Fahrleistungen stellt die elektrische Maschine im motorischen<br />
Betrieb ein zusätzliches Drehmoment (Boost) zur Verfügung und<br />
unterstützt damit, beispielsweise in der Anfahr- oder<br />
Beschleunigungsphase, den Verbrennungsmotor. Das<br />
Verbrauchseinsparpotential liegt durchschnittlich bei 15% bis<br />
20%. (Beispiel: Honda Civic Hybrid)<br />
Full – Hybrid: Voll-Hybridfahrzeuge können wahlweise rein<br />
elektrisch oder per Verbrennungsmotor angetrieben werden und<br />
benötigen daher eine elektrische Leistung von etwa 30 - 50kW mit<br />
einem ähnlich dimensionierten elektrischen Energiespeicher, um<br />
somit bei Bremsvorgängen einen Grossteil der kinetischen<br />
Energie des Fahrzeugs durch die Rekuperation in der Batterie zu<br />
speichern. Beim rein elektrischen Betrieb im Stadtverkehr<br />
entstehen dabei keinerlei Emissionen. Bei der Konstruktion muss<br />
tiefer in die Antriebsstrang- und Fahrzeugstruktur eingegriffen<br />
werden als bei den Micro- und Mild-Hybriden. Je nach<br />
Ausprägung kann bei einem Voll-Hybridfahrzeug der<br />
Verbrennungsmotor oder der Elektroantrieb überwiegen. Der<br />
Verbrennungsmotor kann auch als Range Extender im<br />
Elektrofahrzeug eingesetzt werden und erst dann einspringen,<br />
wenn die Speicherkapazität des Akkus erschöpft ist. (Beispiel:<br />
Toyota Prius)<br />
Da Full–Hybride bislang noch sehr kostenintensiv sind, ist davon<br />
auszugehen, dass sich im Volumensegment vorerst der Mildhybrid<br />
durchsetzen wird. Die nachstehende Tabelle gibt einen<br />
zusammenfassenden Überblick über den Stand der Technik und die<br />
realisierten Funktionen hybrider Antriebsstränge.<br />
Tabelle 6: Überblick der Funktionen je Hybrid-Art<br />
Funktionen Micro Mild Full<br />
Start – Stopp X X X<br />
Erweiterte Generatorregelung X X X<br />
Rekuperation X X<br />
Betrieb<br />
elektrischer<br />
Nebenaggregate<br />
X<br />
X<br />
Elektrisches Fahren kurz X<br />
Aktiver Boostbetrieb<br />
X<br />
Quelle: IWK<br />
Elektroantrieb:<br />
Die Vorteile eines Elektrofahrzeugs werden in der heutigen Zeit<br />
insbesondere aufgrund steigender Energiekosten fossiler Brennstoffe<br />
51
immer bedeutsamer. Daneben dominieren die geringen Betriebs- und<br />
Instandhaltungskosten. Die <strong>Automobilindustrie</strong> arbeitet zusammen<br />
mit Batterieherstellern, Energieversorgern und wissenschaftlichen<br />
Instituten mit Hochdruck am Elektromotor und –antrieb. Allerdings<br />
muss bedacht werden, dass zum einen die nötige Infrastruktur zum<br />
Aufladen eine grosse Herausforderung darstellt, zum anderen die<br />
Batterietechnologie aufgrund der hohen Akkukosten auch noch für<br />
das Volumensegment rentabel sein muss. Ausserdem stellen die<br />
Reichweite der Batterien und ihr Gewicht die Industrie vor weitere<br />
Herausforderungen.<br />
Zur Diskussion stehen derzeit verschiedene Hochleistungsakkus, vor<br />
allem Lithium-Ionen Batterien (Li-Ionen) werden in Elektrofahrzeugen<br />
(EV) verwendet. Daneben gibt es Nickel-Metall-Hydride (N-Mh) oder<br />
Supercapacitors (Supercaps). Während die N-Mh und Li-Ionen<br />
Systeme genügend Energie für längeres elektrisches Fahren liefern,<br />
werden Supercaps eher für den kurzfristigen Energiebedarf, z.B. für<br />
Start-Stopp-Funktionen, favorisiert. N-Mh werden z.B. auch im Prius<br />
von Toyota verwendet, der mit Hybridantrieb fährt.<br />
Abbildung 2-7: Batterietechnologien im Vergleich<br />
Die Li–Ionen Technologie wird aufgrund ihrer guten Eigenschaften,<br />
wie hohe Leistungs- und Energiedichte, für den zukünftigen Einsatz<br />
im Elektroauto bevorzugt. Momentan stellt allerdings neben der<br />
Reichweite, die im reinen EV in der heutigen Entwicklung bei bis zu<br />
160 km liegt, insbesondere der hohe Preis eine wesentliche Barriere<br />
für den Kauf eines Elektrofahrzeugs dar. Zurzeit liegen die erwarteten<br />
Batteriekosten zwischen 10.000 und 15.000 Euro bei einer<br />
Lebensdauer von bis zu 100.000 km. Eine Senkung der Kosten auf<br />
5.000 Euro ist geplant. Ein weiteres Problem stellt das Volumen der<br />
Batterien dar. Zurzeit wiegt die Batterie noch mindestens 200 kg, wie<br />
im i-MiEV von Mitsubishi. Die Batterie, Elektromaschinen und<br />
Leistungselektronik steigern die Kosten für das EV erheblich. Derzeit<br />
sind die Kosten für ein Elektroauto in etwa zweieinhalb Mal so hoch<br />
52
wie bei einem herkömmlichen Auto, und sogar im Jahr 2025 wird das<br />
umweltfreundliche Elektrofahrzeug noch 60% mehr kosten.<br />
Fahrzeugherstellerkosten nach Antriebstechnologie<br />
Durchschnittlicher Pkw, Verbrennungsfahrzeug 2010 = Index 100<br />
Elektrofahrzeug<br />
Plug-in-Hybridfahrzeug<br />
Voll-Hybridfahrzeug<br />
Mild-Hybridfahrzeug<br />
Verbrennungsfahrzeug<br />
230<br />
180<br />
130<br />
247<br />
235<br />
225<br />
201,5<br />
190<br />
168<br />
168<br />
154<br />
144<br />
137<br />
146<br />
130<br />
122 122 118,5 115<br />
100<br />
80<br />
104 103,5 103<br />
2010 2015 2020 2025<br />
Quelle: Oliver Wyman-Studie „Elektromobilität 2025“<br />
Abbildung 2-8: Fahrzeugherstellerkosten nach Antriebstechnologie<br />
Den teuren Anschaffungskosten für ein Elektrofahrzeug stehen<br />
jedoch niedrige Betriebskosten gegenüber. Ein Benziner verbraucht<br />
auf seine gesamte Lebensdauer umgerechnet rund 10.000 Euro für<br />
Tankfüllungen, während sich die Stromkosten für ein Elektroauto auf<br />
rund 2.000 Euro belaufen. Die Gesamtkosten für ein elektrisch<br />
betriebenes Auto bleiben aber trotz der niedrigeren Betriebskosten in<br />
absehbarer Zukunft noch deutlich höher als bei einem<br />
Verbrennungsfahrzeug. Für den Autokäufer fallen für ein<br />
Elektrofahrzeug in den ersten vier Jahren durch den Wertverlust des<br />
Fahrzeugs, der hauptsächlich durch die Batterie verursacht wird,<br />
Mehrkosten von mehr als 12.000 Euro an, das sind fast 50%. Erst in<br />
15 Jahren könnte sich der Erwerb eines Elektroautos über 4 Jahre<br />
rechnen. Dann liegen die Lebenszykluskosten um rund 3.500 Euro<br />
unter denen eines Verbrennungsfahrzeugs.<br />
Lebenszykluskosten im Vergleich: Elektro- vs. Verbrennungsfahrzeug<br />
In Euro, durchschnittlicher Pkw, Haltedauer 4 Jahre, 15.000 km Laufleistung pro Jahr<br />
Wertverlust<br />
Kraftstoff-, bzw. Stromkosten<br />
Sonstiges*<br />
2010<br />
Verbrennungsfahrzeug<br />
12.100 6.000 8.000 = 26.100<br />
Elektrofahrzeug 27.200 9.000 = 38.200<br />
2.000<br />
2025<br />
Verbrennungsfahrzeug 16.600 9.000 11.000 = 36.600<br />
Elektrofahrzeug 18.900 11.300 = 33.100<br />
2.900<br />
*) Fixkosten (inkl. Steuer, Versicherung), Wartung und Reparatur, Fahrzeugpflege<br />
Quelle: Oliver Wyman-Studie „Elektromobilität 2025“<br />
Abbildung 2-9: Lebenszykluskosten im Vergleich<br />
Der Batterieantrieb wird langfristig einer der grossen<br />
Zukunftsoptionen sein, auch wenn zurzeit die Li-Ionen Batterie noch<br />
53
zu schwach, zu schwer und zu teuer ist. Es ist festzuhalten, dass die<br />
Entwicklung auf diesem Bereich unaufhaltsam voranschreitet und die<br />
Ingenieure bestrebt sind, diese Technologie serienreif werden zu<br />
lassen. In Deutschland waren im Januar dieses Jahres knapp 1.500<br />
Elektrofahrzeuge unterwegs. Weltweit werden im Jahr 2009 rund<br />
10.000 rein elektrisch betriebene Fahrzeuge abgesetzt. Bis zum Jahr<br />
2025 rechnet man mit weltweit 15 Millionen Elektrofahrzeugen auf<br />
den Strassen, das sind etwa 1,5% des zukünftigen<br />
Fahrzeugbestands. Bis das E-Auto vorherrschende Antriebstechnik<br />
ist, wird es also noch Jahrzehnte dauern. Um diese Zeit zu verkürzen<br />
sind staatliche Fördermassnahmen für die Erforschung und<br />
Verbreitung von Elektroautos von entscheidender Bedeutung (s. Kap.<br />
2.2.3).<br />
Alternative Kraftstoffe:<br />
Neben neuen Antriebstechniken, gibt es einen weiteren<br />
umweltschonenden Ansatz. Die Einbeziehung alternativer<br />
Energiequellen zur Kraftstoffherstellung gewinnt zunehmend an<br />
Bedeutung, sowohl für Diesel- wie auch Ottomotoren. Die leicht<br />
förderbaren Ölquellen werden bald versiegen und der Aufwand für die<br />
Erschliessung und Nutzung abgelegener Quellen wird rapide<br />
zunehmen, was unweigerlich wiederum einen steigenden Ölpreis<br />
nach sich zieht. Daher wird neben der Notwendigkeit zur<br />
Verbesserung der CO 2 -Bilanz die begrenzte Verfügbarkeit als<br />
wesentlicher Treiber alternativer Kraftstoffe angesehen.<br />
Erdgas (CNG) ist seit den neunziger Jahren in Deutschland<br />
verfügbar und verbrennt weitaus weniger CO 2 als ein<br />
Verbrennungsmotor. Erdgas ist jedoch auch eine begrenzte<br />
Ressource und schätzungsweise bis 2050 in grossen Mengen<br />
verfügbar. Die Umrüstungskosten betragen zwischen 1.500 und<br />
2.700 Euro, aber dafür sind die Antriebskosten mit 60 bis 70 Cent<br />
Euro für 1 l sehr günstig. Im August 2008 waren 75.000<br />
Erdgasfahrzeuge auf deutschen Strassen unterwegs. In<br />
Argentinien, Brasilien und Italien ist der Erdgasantrieb mit<br />
mehreren Millionen Fahrzeug schon wesentlich stärker verbreitet.<br />
<br />
<br />
Ethanol-Kraftstoff (Bio-Ethanol) wird aus Zuckerrüben oder<br />
Weizen gewonnen. Seit 2005 wird es in Deutschland bis zu 5%<br />
dem normalen Benzin beigemischt. Gegenüber Ottokraftstoff kann<br />
eine CO 2 -Minderung von 30% bis 70% erzielt werden. In Brasilien<br />
kann bereits ein Grossteil der Fahrzeuge mit diesem Biotreibstoff<br />
fahren (Flexible Fuel Vehicle). Wegen Startschwierigkeiten bei<br />
kalten Temperaturen ist Bio-Ethanol aber kein potenzieller Antrieb<br />
in kälteren Ländern.<br />
Biodiesel wird aus mit Methanol veresterten Pflanzenölen<br />
hergestellt. Basis der Pflanzenöle ist unter anderem der Samen<br />
der Rapspflanze. Er wird auch dem mineralischen Diesel<br />
beigemischt. Da die Eigenschaften von Biodiesel in vielen<br />
54
Punkten denen von mineralischem Diesel sehr ähneln, können<br />
auch viele nicht umgerüstete Dieselmotoren mit diesem Kraftstoff<br />
betrieben werden. Aus Umweltsicht ist Biodiesel jedoch nicht zu<br />
befürworten, da es bei den benötigten Monokultur-Anbauflächen<br />
schnell zur Bodenversauerung kommen kann und ein hoher<br />
Düngemitteleinsatz den Treibhauseffekt stärker verursacht als<br />
Kohlendioxid.<br />
Biogas kann für stationäre Motoren und zu Heizzwecken in der<br />
Nähe der Erzeugeranlagen eingesetzt werden, aber auch<br />
Erdgasfahrzeuge können damit betankt werden.<br />
<br />
Biomass to Liquid (BtL) - Kraftstoff wird auch unter dem<br />
Markennamen SunDiesel vertrieben. Er ist einer der viel<br />
versprechendsten Optionen der alternativen Antriebe, da er den<br />
CO 2 -Ausstoss im Vergleich zu Verbrennungsmotoren bis zu 90%<br />
senken kann.<br />
Pflanzenöle (Raps oder Sonnenblume), auch Naturdiesel<br />
genannt, können als Kraftstoff in Dieselmotoren eingesetzt<br />
werden. Insbesondere die höhere Viskosität gegenüber<br />
Dieselkraftstoff führt dazu, dass zum dauerhaften Betrieb von<br />
Dieselmotoren mit Pflanzenöl eine Anpassung des Kraftstoff- und<br />
Einspritzsystems notwendig wird. Die Vorteile von Pflanzenölen<br />
liegen in der CO 2 -Neutralität, der Möglichkeit zur dezentralen<br />
Herstellung, der hohen Energiedichte und dem geringen<br />
Gefahrenpotential für Mensch und Umwelt (wasserkompatibel,<br />
kein Gefahrgut, ungiftig, hoher Flammpunkt).<br />
<br />
Wasserstoff (H 2 ) kann aus Strom mittels Elektrolyse gewonnen<br />
werden. Kostengünstiger ist allerdings die Gewinnung durch<br />
direkte chemische Umwandlung von Biomasse bei hohen<br />
Temperaturen (Steam-Reforming). Wasserstoff lässt sich mit<br />
Verbrennungsmotoren oder Brennstoffzellen nutzen.<br />
Die Palette alternativer Kraftstoffe ist sehr breit – mit<br />
unterschiedlichen Auswirkungen auf die Technik der<br />
Verbrennungsmotoren, von der Korrosionsbeständigkeit der<br />
Komponenten bis hin zur Alterung der Dichtungen. Die Bewertung<br />
der unterschiedlichen Kraftstoffe erfolgt in der Regel nach den<br />
folgenden Kriterien: CO 2 -Bilanz, Ressourcenverfügbarkeit,<br />
Substitutionsfähigkeit bestehender Kraftstoffe (Diesel, Benzin) und<br />
vorhandene Infrastruktur. Bei der weiteren Bewertung alternativer<br />
Kraftstoffe wie H 2 , Biodiesel, Ethanol, Pflanzenöl und BtL sind neben<br />
deren Vorteile auch entsprechende Einschränkungen zu<br />
berücksichtigen, wie geringe Energiedichte, höhere Aggressivität und<br />
anderes Brennverhalten. Eine andere Problematik stellt bei vielen<br />
Biokraftstoffen die Verdrängung der Anbauflächen für Lebensmittel<br />
dar. Da in der EU die landwirtschaftliche Fläche nicht ausreicht, um<br />
die steigende Nachfrage nach Biokraftstoffen zu decken, werden die<br />
Anbauflächen in Entwicklungsländer verlegt. Das zieht nicht nur eine<br />
55
enorme Preiserhöhung der Grundnahrungsmittel nach sich, sondern<br />
belastet zudem die Umwelt, da aus Kostengründen hauptsächlich<br />
Monokulturen angebaut werden und Dünger eingesetzt wird. Das<br />
versauert den Boden und erhöht den Treibhauseffekt. Mittelfristig<br />
werden insbesondere Biokraftstoffe und BtL als Beimischung zu<br />
konventionellen Kraftstoffen weiter voranschreiten, wie dies<br />
beispielsweise beim Flexi Fuel Vehicle der Fall ist.<br />
Flexi-Fuel-Vehicle:<br />
Das Flexible-Fuels-Vehicle (FFV) ist ein Fahrzeug, das sowohl mit<br />
Benzin als auch mit verschiedenen ähnlichen Kraftstoffen, wie<br />
beispielsweise Ethanol-, Bioethanol- oder Ethanol-Benzin-<br />
Gemischen, betrieben werden kann. Dabei wird das Ethanol in einem<br />
bestimmten Verhältnis dem fossilen Kraftstoff zugeführt, der unter<br />
Umständen auch vollständig substituiert werden kann. Das gängige<br />
Mischverhältnis enthält bis zu 85% Ethanol und wird mit E85<br />
bezeichnet. Technisch gesehen erfordert die FFV-Technologie nur<br />
geringe Änderungen am Fahrzeug. Ventile und –sitze des FFV-<br />
Motors sind aus härterem Stahl gefertigt. Tank, kraftstoffführende<br />
Bauteile und Dichtungen müssen eine höhere<br />
Korrosionsbeständigkeit aufweisen. Die Motorsteuerung muss hierbei<br />
das Benzin-, Ethanol-Mischungsverhältnis erkennen und die<br />
Zündzeitpunkte festlegen. Das Bioethanol ist in jenen Ländern von<br />
hohem Interesse, in denen die Landwirtschaft einen hohen Anteil an<br />
Zuckerrohranbau enthält, beispielsweise in Brasilien und Argentinien.<br />
Die Produktionskosten von Ethanol sind in Entwicklungs- und<br />
Schwellenländern sehr niedrig. Brasilien ist zurzeit der weltweit<br />
grösste Bioethanolerzeuger.<br />
Wasserstoffmotor:<br />
Langfristig kann Wasserstoff als nachhaltiger Energieträger eine<br />
Schlüsselrolle spielen. Wasserstoffmotoren besitzen eine günstige<br />
Emissionslage, da sie vor allem Wasserdampf und keinerlei<br />
Feinstaub ausstossen. Ein weiterer Vorzug im Gegensatz zum<br />
klassischen Verbrennungsmotor liegt im höheren Wirkungsgrad, der<br />
bis zu 45% beträgt und weit über dem liegt, was Benzinmotoren<br />
(25%) erreichen. Die Leistung des H 2 -Motors ist trotz des höheren<br />
Wirkungsgrades niedriger als bei Ottomotoren. Das liegt am<br />
niedrigeren Energiegehalt des Wasserstoffs pro Kubikmeter Gas.<br />
Eine der grossen Herausforderungen bleibt die Speichermöglichkeit<br />
des hochsensiblen, flüchtigen Kraftstoffs. Mit der Nutzung von<br />
flüssigem Wasserstoff ist wegen des niedrigen Siedepunktes (-<br />
253 °C) ein erheblicher Aufwand verbunden, sowohl beim<br />
Tankvorgang als auch am Fahrzeug selbst, für das spezielle<br />
Materialien gewählt werden müssen, die solchen Temperaturen gut<br />
standhalten. Zudem erhitzt sich Wasserstoff mit der Zeit und benötigt<br />
dadurch ein grösseres Volumen. Dies führt dazu, dass der<br />
Wasserstoff an die Umwelt abgegeben werden muss und sich der<br />
56
Tank entleert. Die Einführung dieser Fahrzeuge erfordert eine sehr<br />
teuer und bisher praktisch nicht existente Infrastruktur, um eine<br />
flächendeckende Versorgung mit Wasserstoff gewährleisten zu<br />
können.<br />
Brennstoffzellenantrieb:<br />
Der Brennstoffzellenantrieb verwendet ebenfalls H 2 als Treibstoff, der<br />
hier aber nicht verbrannt, sondern über die Brennstoffzelle direkt in<br />
elektrischen Strom umgewandelt wird. In den neunziger Jahren war<br />
die Euphorie gross, die Automobilkonzerne forcierten die Entwicklung<br />
von Brennstoffzellenfahrzeugen und schickten ihre Konzeptfahrzeuge<br />
auf die Strasse. Auch heute arbeiten die Hersteller weiterhin an<br />
alltagstauglichen Fahrzeugen mit Brennstoffzellenantrieb. Die<br />
Technik ist jedoch nach jetzigem Stand viel zu teuer, um für den<br />
normalen Autobetrieb in Frage zu kommen. Zweitens stellt sich hier<br />
ebenfalls die gleiche Frage, wie H 2 in ausreichender Menge<br />
produziert und zur Verfügung gestellt werden soll.<br />
2.2.3. Strukturveränderung durch Elektromobilität<br />
Die Entwicklung von Elektrofahrzeugen ist und bleibt zunächst noch<br />
sehr teuer. Es besteht ein enormer Investitionsbedarf, dem kurzfristig<br />
ein geringes Ertragspotenzial gegenüber steht. Weltweit unterstützten<br />
viele Staaten die Autoindustrie, Batteriehersteller, Energieversorger<br />
und wissenschaftliche Institute in der Forschung und Entwicklung<br />
(F&E) von Hybrid- und Elektrofahrzeugen. Die Zusammenarbeit<br />
zwischen den einzelnen Mitspielern ist dabei unumgänglich, um die<br />
Zukunftsfähigkeit der Industrie zu gewährleisten.<br />
Der politische Beitrag für umweltfreundliche Fahrzeuge wächst in<br />
vielen Ländern und auf EU-Ebene. In einem Konjunktur-Paket der EU<br />
von 2008 sind 5 Milliarden Euro für die „Green Cars Initiative"<br />
vorgesehen. Ziel der Initiative ist die Förderung von F&E im Bereich<br />
der sicheren, effizienten und umweltfreundlichen Mobilität,<br />
insbesondere der Elektromobilität und der dazu benötigten<br />
Technologien und Infrastrukturen. Zudem gibt es in einzelnen<br />
Ländern Förderprogramme für die Elektromobilität. So stehen in<br />
Deutschland bis 2011 insgesamt 500 Millionen Euro aus dem zweiten<br />
Konjunkturpaket im „Nationaler Entwicklungsplan für Elektromobilität“<br />
zur Verfügung. Innerhalb der EU unterstützen auch Frankreich und<br />
Grossbritannien die nationale F&E für Hybrid- und Elektroautos durch<br />
staatliche Subventionen.<br />
Tabelle 7: Staatliche Förderprogramme für Elektroautos in einzelnen Ländern<br />
Land Name Ziel<br />
Betrag<br />
(€)<br />
Dauer<br />
Vereinigte<br />
Staaten<br />
Teil des amerikanischen<br />
Konjunkturprogramms<br />
2009<br />
F&E für Batterie,<br />
Hybrid-<br />
&<br />
Elektroautos<br />
1,6<br />
Mrd.<br />
Seit<br />
August<br />
2009<br />
Japan<br />
Entwicklung verbesserter<br />
Batterien<br />
Zellkosten bis 2010<br />
halbieren<br />
140<br />
Mio.<br />
Seit<br />
2006<br />
57
China<br />
Europäische<br />
Union<br />
Deutschland<br />
Frankreich<br />
Grossbritannien<br />
Antriebstechnologien<br />
10 Pilotregionen,<br />
10.000 Pkw<br />
1 Mrd.<br />
2 Mrd.<br />
Green Cars Initiative Ausschreibung 5 Mrd.<br />
Teil des 2.<br />
Konjunkturprogramms<br />
„Nationaler<br />
Entwicklungsplan für<br />
Elektromobilität“<br />
„Low Carbon Vehicle<br />
Programme“ von<br />
Regierung & Industrie<br />
1 Mio.<br />
Elektrofahrzeuge bis<br />
2020<br />
F&E für Hybrid- &<br />
Elektroautos<br />
E&F<br />
von<br />
Komponenten für<br />
Hybrid-<br />
&<br />
Elektroautos<br />
500<br />
Mio.<br />
400<br />
Mio.<br />
220<br />
Mio.<br />
2009 -<br />
2011<br />
Seit<br />
Juli<br />
2009<br />
August<br />
2009 -<br />
2011<br />
4 Jahre<br />
2009 -<br />
2014<br />
Zu den staatlichen Förderprogramme, die vorwiegend der F&E von<br />
Elektroautos und deren Bestandteilen zu Gute kommen, damit also<br />
besonders den Herstellern und Zulieferern helfen, gibt es in einigen<br />
Ländern bereits Prämien für den Kauf von Hybrid- und<br />
Elektrofahrzeugen, in anderen Ländern sind solche Prämien geplant.<br />
Diese staatlichen Fördermassnahmen sollen den enormen<br />
Kostenunterschied verringern und den Kauf von umweltfreundlichen<br />
Fahrzeugen vorantreiben.<br />
Tabelle 8: Prämien für Elektroautos<br />
Land Prämie (€) Bedingung Geltungsdauer<br />
Vereinigte<br />
Staaten<br />
Grossbritannien<br />
China 6.200<br />
Japan<br />
Deutschland<br />
Quelle: FTD<br />
1.800 -<br />
5.300<br />
2.300 –<br />
5.800<br />
50%<br />
Mehrkosten<br />
14.700<br />
3.000 -<br />
5.000<br />
Höchstsatz für Elektroautos<br />
von den US Herstellern<br />
Chevrolet und Tesla<br />
Seit September 2008 –<br />
beide Hersteller jeweils<br />
250.000 Autos verkauft<br />
haben<br />
Für Elektroautos April 2009 - 2016<br />
An Stadtbehörden und<br />
Taxiunternehmen<br />
Für Elektroautos<br />
Für Elektroauto i-MiEV<br />
Für Hybrid- und<br />
Elektroautos<br />
Seit April 2009<br />
Seit 1996<br />
Seit März 2009<br />
2012 - 2014<br />
Testphasen von fast allen Herstellern laufen weltweit. Im Januar 2009<br />
fuhren auf deutschen Strassen insgesamt 1.500 rein elektrisch<br />
angetriebene Fahrzeuge, alle rein zu Testzwecken.<br />
Während Hybridfahrzeuge schon seit einigen Jahren für Privatkunden<br />
erhältlich sind, ist mit den ersten elektrischen Serienfahrzeugen nicht<br />
vor 2011 zu rechnen, zunächst für Firmenflotten und Pilotprojekte,<br />
Privatverbraucher werden sich noch weitere Jahre gedulden müssen.<br />
In der Entwicklung des elektrischen Fahrens sind viele vertikale und<br />
horizontale Kooperationen zwischen den Herstellern untereinander<br />
und zu den Zulieferern, sowie eine zunehmende Beteiligung der<br />
Stromkonzerne zu beobachten, für die sich durch die Verbreitung von<br />
Elektroautos vollkommen neue Geschäftsbereiche ergeben. Dabei<br />
spielt nicht nur der Zuwachs des Stromabsatzes eine entscheidende<br />
Rolle, sondern auch die Errichtung und der Betrieb von<br />
Ladeinfrastrukturen. Um ein flächendeckendes Tankstellennetz für<br />
58
EV zu entwickeln, ist es wichtig, dass sich die Stromanbieter<br />
frühzeitig um Kooperationen mit den Ölkonzernen, die dominierenden<br />
Kräfte der bestehenden Tankstellenstruktur, bemühen. Ein weiteres<br />
Potenzial liefern Elektrofahrzeuge, indem sie als riesiger Speicher<br />
zum Ausgleich von Schwankungen in der Stromerzeugung (z.B.<br />
durch Windkraft) und der Stromnachfrage dienen. Auch die<br />
Möglichkeit des Batterieleasings ermöglicht Stromkonzernen neue<br />
Geschäftsfelder.<br />
In <strong>Europa</strong> sieht man reine Elektrofahrzeuge in diversen Testgebieten<br />
und EV-Pilotprojekten; beispielsweise testet BMW seit Anfang 2009<br />
gemeinsam mit dem Stromerzeuger Vattenfall 100 E-Minis in Berlin,<br />
um mehr über Lebensdauer der Akkus, Ladezeiten, Stromverbrauch,<br />
Reaktion auf Hitze, Kälte und vieles mehr zu erfahren. In<br />
Zusammenarbeit mit E.on werden seit Juli 2009 in München 15 E-<br />
Mini erprobt. Mit einem 204 PS starken Elektromotor ausgestattet<br />
kommen sie auf eine Höchstgeschwindigkeit von 150 km/h, und die<br />
Li-Ionen Batterie sorgt für eine Reichweite von 250 km. Auch Daimler<br />
startete bereits in London für Verwaltung und Geschäftsleute eine<br />
Elektro-Smart Fortwo Offensive, welche in Zusammenarbeit mit RWE<br />
und Siemens in Berlin unter dem „E-Mobility Berlin“–Konzept seit<br />
September 2008 weiter fortgesetzt und von der Bundesregierung<br />
unterstützt wird. In Deutschland sollen in diesem Projekt insgesamt<br />
40 Ladestationen aufgebaut werden, 20 davon in Berlin. Die<br />
Erkenntnisse sollen dem Aufbau einer grösseren Infrastruktur für<br />
Elektrofahrzeuge dienen. Seit kurzem ist Daimler mit 10% an dem<br />
kalifornischen Autohersteller Tesla beteiligt, der seit 2004<br />
Elektroautos entwickelt und Ende des Jahres die Batterien für die<br />
ersten 1.000 Elektro-Smarts liefern soll, die dann in Berlin und Italien<br />
getestet werden. Tesla produziert bereits seit Anfang 2008 den<br />
vollelektrischen Tesla Roadster und hatte bis September 2009<br />
insgesamt 700 Stück an Kunden ausgeliefert. In Norwegen gibt es<br />
den vollelektrischen Think, der in ausgewählten europäischen<br />
Ländern wie Norwegen, Dänemark, Schweden, den Niederlanden,<br />
der Schweiz, Österreich und kürzlich auch Spanien auf Testfahrten<br />
unterwegs ist.<br />
Eine weitere Allianz zwischen Energieunternehmen und Konzern der<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> besteht bei EWE und der insolventen Automobilund<br />
Karosseriebaufirma Karmann. Sie entwickeln zusammen eine<br />
elektrische Sportlimousine, den E3. Anders als bei sonstigen<br />
derartigen Kooperationen, ist nicht der Automobilkonzern, sondern<br />
EWE der eigentliche Hersteller des E-Autos. EWE sieht in<br />
Elektrofahrzeugen grosses Potenzial für die mobile Speicherung von<br />
Strom und Einbindung ins Telekommunikationsnetz, um<br />
Energieprobleme der Zukunft zu lösen. Auch General Motors wird<br />
zukünftig kooperieren, und zwar mit der Electric Car Company Reva,<br />
die sich seit 14 Jahren mit dieser Antriebsart beschäftigt. Ziel ist die<br />
Entwicklung elektrischer Fahrzeuge für den indischen Markt. Sie<br />
59
werden dabei von der indischen Regierung unterstützt, die den<br />
Aufbau der nötigen Infrastruktur vorantreibt<br />
Ein anderes Projekt läuft in Dänemark. Dort entwickelt man unter<br />
dem Namen „Electric Vehicles in a Distributed and Integrated Market<br />
Using Sustainable Energy and Open Networks” (EDISON) eine<br />
Energieinfrastruktur für den breiten Einsatz von Elektrofahrzeugen.<br />
Auch in diesem Projekt spielt Siemens als Partner eines<br />
internationalen Konsortiums eine Rolle.<br />
Die japanisch-französische Allianz Renault-Nissan kündigt eine<br />
ganze Flotte von Elektrofahrzeugen an. Kleinwagen,<br />
Mittelklasselimousinen und Mini-Vans wollen sie entwicklen. Die<br />
ersten Fahrzeuge sollen Ende 2010 zu Preisen ab 20.000 Euro auf<br />
den Markt kommen. Renault-Nissan kooperiert zusätzlich mit der<br />
kalifornischen Firma Better Place, die 2007 gegründet wurde und<br />
eine flächendeckende Infrastruktur für Elektroautos aufzubauen<br />
beabsichtigt. Better Place konnte bereits einige Regionen zu einer<br />
Zusammenarbeit gewinnen. In Israel werden vier Elektroautos<br />
getestet und bis 2011 sollen 150.000 Ladestationen aufgebaut<br />
werden, für die seit zwei Jahren 140 Millionen Euro zur Verfügung<br />
stehen. Spezielle Leasing-Elektromobile mit Wechselbatterien sollen<br />
lange Ladezeiten umgehen und die Aktionsradien erhöhen. Es ist<br />
geplant, dass unter dem Leasingmodell das EV nicht gekauft wird,<br />
sondern in einer Art Mobilitätsvertrag nur eine Grundgebühr und die<br />
gefahrenen Kilometer bezahlt werden. Die Batterie soll dann auch<br />
nicht vom Kunden geladen, sondern an der Tankstelle gegen einen<br />
geladenen Akku getauscht werden. Unter anderem soll für dieses<br />
Projekt das Elektroauto Z.E. Concept von Renault weiterentwickelt<br />
werden. Die Antriebskomponenten für das Elektrofahrzeug werden<br />
voraussichtlich von Continental entwickelt. Der Zulieferer kündigte die<br />
Grossserienproduktion eines EV für 2011 an. Better Place konnte<br />
neben Israel, dem Heimatland Agassis, auch Dänemark von seinen<br />
Zielen überzeugen. Geplant ist ausserdem, dass Hawaii, San<br />
Francisco Bay Area, Ontario, und die Südostküste Australiens mit<br />
Better Place zusammen arbeiten. Nissan kooperiert zugleich mit<br />
Showa Shell, um ein schnelles Ladesystem für EV unter der<br />
Benutzung von Shells neu entwickelten Solarzellen und Nissans Li-<br />
Ionen Batterien zu fertigen. Erneuerbare Solarenergie soll dazu<br />
beitragen, dass nicht nur abgasfrei gefahren, sondern Energie auch<br />
ohne CO 2 -Emission produziert wird. Die Li-Ionen Batterien werden<br />
aktiv, wenn die Solarenergie erschöpft ist.<br />
Fazit und Ausblick:<br />
Vorrangiges Entwicklungsziel in der Motorentechnologie ist eine<br />
weitere Erhöhung der Effizienz der Antriebsaggregate mit attraktiver<br />
Dynamik, Agilität, sparsamen Kraftstoffverbrauch bei gleichzeitig<br />
reduzierten Emissionen. Verbrennungsmotoren werden auch in den<br />
60
nächsten Jahren die Hauptantriebstechnologie bleiben und besitzen<br />
weiterhin grosses Entwicklungspotential im Bereich Downspeeding<br />
und Downsizing.<br />
Die Hybridtechnologie schreitet weiter voran in den Micro-, Mild- und<br />
Full- Hybridsegmenten. Allerdings geht man davon aus, dass es kurzbis<br />
mittelfristig zu keiner Marktdurchdringung des Hybrids kommen<br />
wird, da systembedingte Grenzen gesetzt sind. Nur wo deutliche<br />
Vorteile durch Emissionsreduzierung zu vertretbaren Kosten zu<br />
erzielen sind, wird sich der Einsatz dieser Technologie rechnen. Ein<br />
Hybrid mit einem Range Extender, einem so genannten PHEV<br />
(Partial Hybrid Electric Vehicle) wird die Übergangslösung zu dem<br />
reinen EV sein. Das EV wird auf lange Sicht den Verbrennungsmotor<br />
ersetzen, doch auch 2015 wird der Anteil reiner Elektrofahrzeuge<br />
weltweit einen Marktanteil von nur etwa 3% erhalten. Das liegt zum<br />
einen an den hohen Mehrkosten und zum anderen an den noch<br />
geringen Reichweiten, die ein Elektroauto höchstens als Zweitwagen<br />
qualifizieren. Das Energiemanagement im Antriebsstrang wird für<br />
viele Applikationen an Bedeutung gewinnen. Dabei ist die<br />
Entwicklung leistungs- und marktfähiger Technologie, wie<br />
beispielsweise der Einsatz von Li-Ionen Batterien notwendig.<br />
Der Anteil an alternativen Kraftstoffen wird zunehmen. Die<br />
Motorentechnologie wird sich darauf ausrichten, Gemische von<br />
herkömmlichen und alternativen Kraftstoffen in jedem beliebigen<br />
Verhältnis verbrennen zu können.<br />
2.2.4. Einsatz neuer Materialien / Werkstoffe im Fahrzeug<br />
In der <strong>Automobilindustrie</strong> kommen verstärkt Ökoinnovationen zum<br />
Einsatz, die neben neuen Antriebsformen ebenfalls helfen können<br />
den Kraftstoffverbrauch zu senken. Die Umstellung von Klimaanlagen<br />
von fluorhaltigen Gasen auf klimafreundliche Kältemittel, die weniger<br />
klimawirksam und nicht so viel Kraftstoff verbrauchen, ist ein Beispiel.<br />
Da ein zu geringerer Reifendruck zum Kraftstoffmehrverbrauch führt,<br />
sind Systeme, die den Reifendruck überwachen, ein anderes Mittel<br />
den Verbrauch zu senken. Eine weitere Verbrauchsminderung von<br />
1% bis 2% kann durch Leichtlauföle und -reifen erreicht werden.<br />
Andere Ökoinnovationen sind Schaltzeitpunktanlagen, LED und<br />
Solardächer. Schaltzeitpunktanlagen zeigen den optimalen<br />
Schaltzeitpunkt an und ermöglichen so Einsparungen von bis zu 5%<br />
bei Otto- und bis zu 3% bei Dieselmotoren. Beleuchtung durch LED-<br />
Lampen ist um rund 20 Mal effizienter als mit herkömmlichen<br />
Lampen. Solardächer können die Batterie laden und so Kraftstoff<br />
sparen. Eine weitere Möglichkeit bieten Thermogeneratoren, die<br />
Abwärmeenergie in nutzbare Energie wandeln und so Kraftstoff<br />
zurück gewinnen.<br />
Neben den Ökoinnovationen werden zunehmend Leichtbauwerkstoffe<br />
in der <strong>Automobilindustrie</strong> verwendet und bewirken eine Reduzierung<br />
des Energie- und Materialbedarfs sowie eine Verbesserung der<br />
61
Wirtschaftlichkeit der Systeme. Vor allem wegen zunehmend<br />
strengeren Umweltvorschriften und niedrigeren Verbrauchswünschen<br />
der Kunden setzt die <strong>Automobilindustrie</strong> verstärkt auf schlanke<br />
Bauteilkonstruktion. Ob Aluminium, Magnesium, hochfester und<br />
höchstfester Stahl, neuartige Faserverbundwerkstoffe – Werkstoffe<br />
sind ein wesentlicher Innovationstreiber im Fahrzeugbau. Als<br />
Zielsetzung gilt es, neue Werkstoffe mit spezifischer Funktionalität bei<br />
gleichzeitig geringerem Gewicht zu entwickeln. Es sollen dabei<br />
optimale Gewichtsverteilungen erreicht werden, mit den primären<br />
Zielen von wirtschaftlichen Verbrauchs- und Emissionswerte,<br />
Fahrdynamik, hoher Stabilität, Zuverlässigkeit und Sicherheit.<br />
Stahl könnte seine Bedeutung innerhalb der <strong>Automobilindustrie</strong><br />
mittelfristig merklich verlieren. Der Rohstoff Stahl ist in den letzten<br />
Jahren deutlich teurer geworden und die hohen Energiepreise, für<br />
die auf längere Sicht keine Entspannung zu erwarten ist, haben<br />
die sehr energieintensive Verarbeitung von Stahl zusätzlich<br />
verteuert. Gleichzeitig werden für die <strong>Automobilindustrie</strong> spezielle<br />
Stähle entwickelt, die eine hohe Verformbarkeit und Festigkeit<br />
aufweisen, insbesondere für den Einsatz in crashrelevanten<br />
Zonen im Fahrzeug. Besondere Aufmerksamkeit kommt den<br />
hochfesten Stählen zu, welche die Eigenschaften hoher Festigkeit<br />
bei gleichzeitiger Dehnbarkeit besitzen und damit leichtere<br />
Bauteile als herkömmliche Stähle sind, aber trotzdem die<br />
vorgegebenen erforderliche Festigkeit und Dehnbarkeit besitzen.<br />
Aluminium steht im Karosseriebau hinsichtlich des<br />
Leichbaupotentials und der Effizienz in direkter Konkurrenz zu<br />
hochfesten Stählen. Motor-, Getriebegehäuse und komplexe<br />
Karosserieteile wie Einspritzpumpengehäuse und Zylinderköpfe<br />
können aus Aluminium aufgrund seines geringen Schmelzpunktes<br />
und guter Wärmeleitfähigkeit im Druckgussverfahren hergestellt<br />
werden. Dabei wird die Aluminiumschmelze unter hohen Druck in<br />
ein Formteil gepresst. Im Bereich des Motorenbaus steht<br />
Aluminium in Konkurrenz zum Grauguss. Steigende Zünddrücke,<br />
geringes Gewicht und vorgegebener Baugrösse kennzeichnen<br />
das komplexe Anforderungsprofils eines Motorblocks. Auch das<br />
Verbundkurbelgehäuse aus Magnesium und Aluminium von BMW<br />
in Form eines 6-Zylinders mit einer Gewichtsersparnis von 24%<br />
zeigt Entwicklungspotential in diesem Bereich.<br />
Kunststoffe nehmen im Anwendungsbereich des Automobilbaus<br />
kontinuierlich zu. Heute befinden sich 50% der<br />
Kunststoffanwendungen im Interieur, 21% im Exterieur und 15%<br />
in Elektrik und Antrieb und ungefähr 10% im Fahrwerk. Das<br />
Konstruktionspotential dieses Werkstoffes kann sich durch die<br />
vielfältigen Anforderungen hinsichtlich Optik, Haptik und vor allem<br />
Funktionalität und Zuverlässigkeit entfalten. Es wird erwartet, dass<br />
der Kunststoffanteil im Pkw-Fahrzeugbau von derzeit 12% auf<br />
20% ansteigen wird. Kohlefaserverstärkte (CFK) und<br />
62
glasfaserverstärkte Kunststoffe (GFK) sind Verbundwerkstoffe, die<br />
aus Einzelwerkstoffen bestehen. Sie zeichnen sich aus durch<br />
hohes Gewichteinsparpotential, gute Korrosionseigenschaften und<br />
geringe Materialermüdungserscheinungen. Der Rohstoff CFK ist<br />
jedoch teuer und Einsatzbereiche sind vorwiegend im High-Tech-<br />
Bereich zu erzielen.<br />
2.3. Veränderungen in den gesellschaftlichen Mobilitätsansprüchen<br />
Mobilität ist das Kennzeichen aller modernen Gesellschaften. Trotz<br />
des krisenbedingten Nachfrageeinbruchs und auch ohne staatliche<br />
Förderprogramme, wie Verschrottungsprämien, bleibt das<br />
Mobilitätsbedürfnis weltweit nicht nur hoch, sondern wird mittelfristig<br />
sogar überproportional wachsen.<br />
Treiber der künftigen gesellschaftlichen Mobilitätsansprüche gibt es<br />
in drei Hinsichten:<br />
zum einen wächst ein neuer Markt in Asien heran<br />
zum anderen ändert sich die Ausrichtung der Mobilitätspalette in<br />
den westlichen Industriestaaten<br />
<br />
und zuletzt erfordert die Entstehung zahlreicher Megastädte<br />
weltweit für ein neues Segment von Autos.<br />
Industriestaaten versus Asien<br />
Für die Autoindustrie ergeben sich aufgrund demographischer<br />
Faktoren (vgl. Kap.1.3) zwei wesentliche Trends. Wichtig sind die<br />
Tendenzen der asiatischen Länder, in denen mit dem<br />
Bevölkerungswachstum ein intensives wirtschaftliches Wachstum<br />
stattfindet, und dadurch die Nachfrage nach Mobilität rasch steigt. Vor<br />
allem das Marktsegment der „Billig-Autos“ wird damit in den nächsten<br />
Jahren boomen, und das nicht nur in den Wachstumsstaaten<br />
Russland, Indien und China. Auch in <strong>Europa</strong> verkauft sich die<br />
rumänische „Billig-Marke“ Dacia zunehmend erfolgreicher. In diesem<br />
Segment sind nicht mehr die innovativsten und fortschrittlichsten und<br />
damit teuersten Technologien gefragt, sondern Technologien und<br />
Massnahmen, die das Auto vereinfachen. Der Trend geht hin zum<br />
kleinen Auto mit geringem Verbrauch und Materialeinsatz.<br />
Minimierung statt Maximierung ist das neue Gebot, damit der Preis<br />
für das Endprodukt sinkt. Beispielhaft in diesem Segment ist der<br />
indische Nano, den Tata für 1.700 Euro verkauft. Als problematisch<br />
könnten sich dabei für die westlichen Automobilhersteller die<br />
begrenzten Ertragspotentiale bei verschärfter Konkurrenz mit<br />
asiatischen Herstellern erweisen. Um wettbewerbsfähig zu bleiben,<br />
bedarf es bei den westlichen Herstellern – OEM´s wie Zulieferern -<br />
Kosteninnovation und grundsätzlich neuer Konzepte, um die gesamte<br />
63
Modellpalette für die Anforderungen der Zukunft wettbewerbsfähiger<br />
zu machen.<br />
Noch gibt es im Bereich der „Billig-Autos“ keine direkte regionale<br />
Konkurrenz zwischen lokalen asiatischen Anbietern und grossen<br />
Automobilherstellern. Dies verschafft den westlichen Herstellern<br />
einen gewissen Wettbewerbsvorsprung an Komfort,<br />
Umweltverträglichkeit und Sicherheit, was sich preislich (noch) positiv<br />
niederschlägt.<br />
Neben dem Billig-Segment gibt es eine weitere Parameter-Änderung<br />
für die Autoindustrie. In den westlichen Industriestaaten werden die<br />
Hersteller ihre Fahrzeugpalette nach den Bedürfnissen einer älteren<br />
und alternden Bevölkerung ausrichten müssen. Dabei kommt ihnen<br />
entgegen, dass - obwohl das Bevölkerungswachstum stagniert und in<br />
einigen Teilen sogar zurückgeht – dies zunächst nicht mit einem<br />
Rückgang der Kaufkraft verbunden ist. Kurz: Das Käuferpotenzial<br />
wird zwar kleiner, das Kaufkraftpotenzial dagegen grösser.<br />
Die ältere Bevölkerung macht in Zukunft einen immer grösseren<br />
Anteil an den Neuwagenkäufern aus und durch die Verschiebung der<br />
Alterspyramide nach oben ist per Saldo sogar mit einem erhöhten<br />
Fahrzeugabsatz zu rechnen. Vor allem das Premium-Segment wird<br />
dabei überproportionale Wachstumschancen erfahren, allerdings in<br />
einer anderen Modellpalette als heute. Im Vordergrund für die<br />
alternde Gesellschaft stehen Einsteige- und Bedienungs-Komfort,<br />
Ausstattung und Sicherheit. Der Erfolg City-Off-Roader liegt vor allem<br />
darin begründet.<br />
100%<br />
90%<br />
80%<br />
70%<br />
Neuzulassungen in Westeuropa nach Segmenten, in %<br />
12% 10%<br />
13%<br />
17% 15%<br />
23%<br />
Others*<br />
Executive<br />
60%<br />
50%<br />
40%<br />
30%<br />
20%<br />
10%<br />
0%<br />
28%<br />
30%<br />
Quelle: ACEA<br />
1990<br />
1991<br />
1992<br />
1993<br />
1994<br />
1995<br />
1996<br />
Abbildung 2-10: Trend in Industriestaaten<br />
29%<br />
32%<br />
39% 45%<br />
1997<br />
1998<br />
1999<br />
2000<br />
2001<br />
2002<br />
2003<br />
2004<br />
2005<br />
2006<br />
2007<br />
2008<br />
2009 (I-VI)<br />
Upper-Medium<br />
Lower-Medium<br />
Small<br />
*) z.B. Cabriolets, Sport-, Geländewagen, Wohnmobile; Ab 2007 den verbliebenen Kategorien zugeordnet<br />
Megastädte<br />
Neben den beiden genannten demographischen Tendenzen wirkt<br />
sich das Entstehen von immer mehr Megastädten auf die<br />
Mobilitätsansprüche aus. Megastadt ist ein quantitativ bestimmter<br />
Begriff, dessen Schwellenwert nicht genau definiert ist. Die UN-<br />
64
Statistik betrachtet Städte über 10 Millionen Einwohner als<br />
Megastadt. Im Jahre 2000 registrierte die UN weltweit bereits 18<br />
Megacities. Der Grossraum Tokio als der Welt grösste Megacity hat<br />
mit rd. 27 Millionen Menschen fast soviel Einwohner wie ganz<br />
Kanada (31 Mio.). Das urbane Wachstum ist real und kaum zu<br />
bremsen, geschweige denn umkehrbar. Lebten im Jahre 1800 erst<br />
3% der Weltbevölkerung in Städten, waren es im Jahr 1950 bereits<br />
rund 30%. Im Jahr 2007 lebten weltweit erstmals mehr Menschen in<br />
Städten als auf dem Lande. Nach Schätzungen der UN werden es im<br />
Jahr 2030 bereits zwei Drittel der Weltbevölkerung sein und bis 2050<br />
circa 70%, die nicht auf dem Land, sondern in einer Stadt leben.<br />
Allerdings dürfte sich die Ballung in Megacities vor allem in Asien und<br />
auf der südlichen Halbkugel abspielen, nicht in Mitteleuropa.<br />
Stadt<br />
1950<br />
Bevölkerung<br />
Stadt<br />
1975<br />
Bevölkerung<br />
Stadt<br />
2000<br />
Bevölkerung<br />
Stadt<br />
2015<br />
Bevölkerung<br />
New York<br />
12,3<br />
Tokyo<br />
New York<br />
Shanghai<br />
Mexico City<br />
Sao Paulo<br />
19,8<br />
15,9<br />
11,4<br />
11,2<br />
10,0<br />
Tokyo<br />
Mexico City<br />
Bombay<br />
Sao Paulo<br />
New York<br />
Lagos<br />
Los Angeles<br />
Kalkutta<br />
Shanghai<br />
Buenos Aires<br />
Dhaka<br />
Karachi<br />
Delhi<br />
Jakrta<br />
Osaka<br />
Metro Manila<br />
Peking<br />
Rio de Janeiro<br />
Kairo<br />
26,4<br />
18,1<br />
18,1<br />
17,8<br />
16,6<br />
13,4<br />
13,1<br />
12,9<br />
12,9<br />
12,9<br />
12,3<br />
11,8<br />
11,7<br />
11,0<br />
11,0<br />
10,9<br />
10,8<br />
10,6<br />
10,6<br />
Tokyo<br />
Bombay<br />
Lagos<br />
Dhaka<br />
Sao Paulo<br />
Karachi<br />
Mexico City<br />
New York<br />
Jakrta<br />
Kalkutta<br />
Delhi<br />
Metro Manila<br />
Shanghai<br />
Los Angeles<br />
Buenos<br />
Aires<br />
Kairo<br />
Istanbul<br />
Peking<br />
Rio de<br />
Janeiro<br />
Osaka<br />
26,4<br />
26,1<br />
23,2<br />
21,1<br />
20,4<br />
19,2<br />
19,2<br />
17,4<br />
17,3<br />
17,3<br />
16,8<br />
14,8<br />
14,6<br />
14,1<br />
14,1<br />
13,8<br />
12,5<br />
12,3<br />
11,9<br />
11,0<br />
10,7<br />
10,5<br />
Quelle: Megastädte der Welt von 1950 - 2015 in Mio. (Klett)<br />
Abbildung 2-11: Megastädte der Welt von 1950 - 2015 in Mio.<br />
Diese Entwicklung wirkt sich neben vielen verschiedenen<br />
Konsequenzen auch auf die Autoindustrie aus. In Städten existiert ein<br />
anderer Bedarf an anderen Autos als auf dem Land. Die Folgen für<br />
die Mobilität sind vielfältig. Neben dem massiven Ausbau der<br />
öffentlichen Verkehrsmittel und allgemeinen Verkehrsinfrastruktur,<br />
müssen neue Autokonzepte für Megastädte entwickelt werden. Im<br />
Kern müssen sie klein und flexibel sein und abgasfrei oder -arm<br />
fahren. Für die Autoindustrie heisst das, dass sie Emissionen und<br />
Energieverbrauch extrem verringern müssen und ihre alte Flotte<br />
„downsizen“. In den Städten werden nur geringe<br />
Durchschnittsgeschwindigkeiten gefahren und die Technik muss an<br />
die vielen Start- und Stopp-Situationen angepasst werden.<br />
Ausserdem müssen völlig neue Mobilitätskonzepte angeboten<br />
werden, die sich an den neuen Bedürfnissen der urbanen<br />
Bevölkerung orientieren. Ein Beispiel ist das von Daimler in Ulm unter<br />
dem Namen car2go gestartete Modellprojekt mit 200 Smart -<br />
65
Fahrzeugen. Das Projekt funktioniert ähnlich wie das „Call a Bike“<br />
System der Deutschen Bahn. Die Smarts sind quer über die gesamte<br />
Stadt verteilt, können von jedem registrierten Kunden rund um die<br />
Uhr zu einem Minutenpreis von 19 Cent beliebig lange gemietet und<br />
anschliessend im gesamten Stadtgebiet wieder abgestellt werden.<br />
Der Smart eignet sich vor allem in der Elektroversion auf Grund<br />
seiner Grösse als Stadtauto.<br />
Generell sind elektrische Fahrzeuge wegen niedrigen bzw. keinen<br />
Schadstoffemissionen vorteilhaft für den innerstädtischen (Mega-)<br />
Stadtverkehr. BMW nutzt beispielsweise die Ergebnisse aus den<br />
Studien zum E-Mini für die Entwicklung von so genannten „Megacity-<br />
Vehicles“, deren Einführung für 2015 geplant ist.<br />
Fazit:<br />
Die Otto- und Dieselmotoren werden zunehmend durch<br />
Hybridtechnologie und Elektroantriebe ersetzt werden, auch wenn der<br />
Verbrennungsmotor die erste Hälfte des 21.Jhd. weiterhin dominieren<br />
wird. Das anhaltende Bevölkerungswachstum sowie die<br />
Konzentration derselben in immer mehr Megacities wird nicht nur<br />
dem Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) eine grössere<br />
Bedeutung zukommen lassen, sondern lässt auch den Welt-<br />
Fahrzeugbestand in wenigen Jahren von derzeit 910 Millionen auf<br />
über 1 Milliarden Einheiten anwachsen. Man rechnet sogar mit einem<br />
überproportional schnellen Wachstum der Welt-Pkw-Flotte in den<br />
BRIC-Staaten; für das Jahr 2030 wird eine Verdoppelung des<br />
heutigen Bestands prognostiziert. – Einzuräumen ist allerdings dass<br />
diese Prognosen frei von Überlegungen gemacht wurden, wo das<br />
Mineralöl zum Betrieb dieser Flotte herkommen kann. Die Trends<br />
steigender Energiepreise und wachsender Hinwendung zu<br />
alternativen Antriebstechnologien werden durch diese Aussichten<br />
jedenfalls nur noch weiter verstärkt.<br />
66
3. Brancheninterne Einflussfaktoren der <strong>Automobilindustrie</strong><br />
3.1. Analyse der aktuellen Entwicklung in der Branchenstruktur<br />
3.1.1. Fusionen und Insolvenzen bei den Herstellern<br />
In der Vergangenheit war in der <strong>Automobilindustrie</strong>, sowohl auf OEMals<br />
auch auf Zuliefererebene, ein eindeutiger und intensiver<br />
Konzentrationsprozess durch Übernahmen und Fusionen zu<br />
beobachten. Strategisch falsch aufgestellte, wirtschaftlich unprofitable<br />
Unternehmen oder mittelständische Zulieferer ohne gesicherte<br />
Nachfolger wurden insolvent oder durch stärkere Wettbewerber,<br />
teilweise auch durch Finanzinvestoren, übernommen.<br />
Von den mehr als 30 eigenständigen OEMs, die 1970 auf dem Markt<br />
tätig waren, existieren in der industrialisierten Welt heute nur noch<br />
13-14 7 global operierende, rechtlich und wirtschaftlich unabhängige<br />
Hersteller (siehe Abb. 3.1). Diese Marktentwicklung wurde vor allem<br />
durch die für diesen Industriezweig typischen Merkmale erzwungen:<br />
– hohe, inflexible, langfristige Kapitalbindung für den Aufbau von<br />
Produktionskapazitäten,<br />
– die hohe Abhängigkeit von Mindeststückzahlen für die Deckung<br />
der laufenden Produktionskosten (Skalenerträge),<br />
– hohe Wettbewerbsintensität aufgrund der Transparenz im<br />
Angebot.<br />
Quelle: IWK<br />
1970 1980 1990 2009 2015<br />
• Albarth<br />
• Alfa-Romeo<br />
• Alpine<br />
• AMC<br />
• Aston Martin<br />
• BLMC<br />
• BMW<br />
• Chrysler<br />
• Citroen<br />
• Daimler-Benz<br />
• De Tomaso<br />
• Fiat<br />
• Simca/Chrysler<br />
• Ford<br />
• Fuji H.I.<br />
• GM<br />
• Honda<br />
• Innocenti<br />
• Isuzu<br />
• Lamborghini<br />
• Lotus<br />
• Maserati<br />
• Mazda<br />
• Mitsubishi<br />
• Nissan<br />
• Peugeot<br />
• Porsche<br />
• Prince<br />
• Renault<br />
• Rolls-Royce<br />
• Saab<br />
• Seat<br />
• Suzuki<br />
• Toyota<br />
• Volvo<br />
• VW<br />
• Alfa-Romeo<br />
• AMC<br />
• Aston Martin<br />
• BL<br />
• BMW<br />
• Chrysler<br />
• Daimler-Benz<br />
• De Tomaso<br />
• Fiat<br />
• Ford<br />
• Fuji H.I.<br />
• GM<br />
• Honda<br />
• Isuzu<br />
• Lamborghini<br />
• Lotus<br />
• Mazda<br />
• Mitsubishi<br />
• Nissan<br />
• Peugeot/Citroen<br />
• Porsche<br />
• Renault<br />
• Rolls-Royce<br />
• Saab<br />
• Suzuki<br />
• Talbot/Matra<br />
• Toyota<br />
• Volvo<br />
• VW<br />
• BMW<br />
• Chrysler<br />
• Daewoo<br />
• Daimler-Benz<br />
• Fiat<br />
• Ford<br />
• GM<br />
• Honda<br />
• Hyundai<br />
• Isuzu<br />
• Mitsubishi<br />
• Nissan<br />
• PSA<br />
• Porsche<br />
• Renault<br />
• Rolls-Royce<br />
• Rover<br />
• Suzuki<br />
• Toyota<br />
• Volvo<br />
• VW<br />
• BMW<br />
• Daimler-Benz<br />
• Fiat-Chrysler<br />
• Ford<br />
• GM<br />
• Honda<br />
• Hyundai<br />
• Mitsubishi<br />
• PSA<br />
• Renault-Nissan<br />
• Suzuki<br />
• Toyota<br />
• VW-Porsche<br />
?<br />
Abbildung 3-1: Konzentration auf OEM Ebene<br />
7 Eine genaue Abgrenzung ist momentan schwierig, durch den Einstieg von<br />
Fiat bei Chrysler und den geplanten Verkauf von Opel durch GM.<br />
67
Im Zuge dieses Konzentrationsprozesses verschwanden allerdings<br />
bei den OEMs im Gegensatz zu den Zulieferern keine Marken vom<br />
Markt. Da die Kundenbindung an eine Automarke meist sehr<br />
langfristig ist und einen wichtigen Entscheidungsfaktor beim<br />
Neuwagenkauf darstellt, wurden die lange etablierten Marken auch<br />
nach einer Übernahme unter dem Dach der neuen Konzernmütter<br />
weitergeführt.<br />
In den letzten Jahren hat die Intensität dieser<br />
Konzentrationsprozesses auf Herstellerebene stark abgenommen<br />
und mittlerweile ist im Westen ein Konzentrationsniveau erreicht, bei<br />
dem kaum noch weitere grosse Übernahmen zu erwarten sind. Zum<br />
einen haben die Konzerne aus den Fehlern der gescheiterten<br />
Fusionen in der Vergangenheit (z.B. BMW-Rover, Daimler-Chrysler 8 )<br />
gelernt. Zum anderen haben die verbliebenen Automobilhersteller<br />
inzwischen eine derartige Grösse, und volkswirtschaftliche<br />
Bedeutung erreicht – zahlreiche Arbeitsplätze hängen direkt und<br />
indirekt von jedem einzelnen Grosshersteller ab – dass ihr<br />
Ausscheiden oder eine Übernahme zu starke negative<br />
Konsequenzen für die betroffenen Länder mit sich bringen würde,<br />
und daher zunehmend auf wirtschaftspolitischen Widerstand stösst<br />
(„too big to fail“). Die nationalen Regierungen sind daher eher bereit,<br />
Steuergelder in die Stützung einzelner Unternehmen zu stecken, um<br />
auf diese Weise die bestehenden Unternehmen mit ihren<br />
Arbeitsplätze zu erhalten. Dies trifft besonders in wirtschaftlichen<br />
Krisenzeiten (wie aktuell) zu, wenn es nicht nur den<br />
Automobilherstellern schlecht geht und die wirtschaftspolitischen<br />
Auswirkungen einer Insolvenz auf die gesamte Volkswirtschaft<br />
gerade auch bei bevorstehenden Wahlen besonders schwer zu<br />
verkraften wäre.<br />
Aktuell ist diese Situation vor allem bei der stark geschwächten<br />
amerikanischen <strong>Automobilindustrie</strong> zu beobachten. Zwei der drei<br />
grossen US-Hersteller konnten nur durch staatliche Subventionen<br />
und Beteiligungsprogramme am Leben erhalten werden. Chrysler,<br />
vom dem sich Daimler nach der missglückten Fusion 2007 wieder<br />
getrennt hatte, erhielt 4 Milliarden US$ staatlicher Unterstützung und<br />
musste im April 2009 Insolvenz anmelden, bevor der italienische Fiat-<br />
Konzern im Juni mit 35% Aktienanteilen als Investor die industrielle<br />
Führung übernahm. Noch schlimmer erging es General Motors (GM),<br />
mit zuletzt 9 Millionen produzierten (aber nicht abgesetzten)<br />
Automobilen der grösste Hersteller der Welt und Flagschiff der<br />
8 1998 fusionierten Daimler Benz und Chrysler; Daimler bezahlte 36<br />
Milliarden und war im Mai 2007 froh, Chrysler für 5,5 Milliarden an<br />
Finanzinvestor Cerberus zu verkaufen. Ähnlich erging es BMW, die mit der<br />
Übernahme der Rover Group scheiterten, viel Geld verloren und nur die<br />
Marke Mini behielten.<br />
68
amerikanischen Wirtschaft. GM hatte Ende 2008 insgesamt 13<br />
Milliarden US$ Staatshilfen erhalten, um den laufenden Betrieb<br />
aufrechterhalten zu können. Im Juni 2009 musste der Konzern<br />
trotzdem Insolvenz beantragen und wurde schliesslich<br />
teilverstaatlicht, der US-Staat übernahm 60% der Anteile und sicherte<br />
Staatshilfen in Höhe von weiteren 30 Milliarden US$ zu. Die deutsche<br />
GM-Tochter Opel erhielt von der deutschen Bundesregierung<br />
Kreditzusagen über 3,5 Milliarden US$, um eine Insolvenz zu<br />
verhindern und sollte schliesslich an den Zulieferer Magna (27,5%)<br />
und die russische Sberbank (27,5%) verkauft werden; das Verfahren<br />
war bei Fertigstellung dieser Studie - noch immer - nicht<br />
abgeschlossen<br />
Bei den grossen Automobilherstellern finden, ausgelöst durch die<br />
aktuelle Krise, zwar erhebliche Umwälzungsprozesse statt, es ist<br />
aber trotz allem nicht mit einer grundlegenden Veränderung der<br />
oligopolistisch geprägten Wettbewerbsstruktur zu rechnen. Einzelne<br />
Marken werden zwar teilweise komplett übernommen, wie z.B.<br />
Porsche und möglicherweise auch Suzuki durch VW, oder<br />
aufgegeben (z. b. Pontiac von GM); andere werden verkauft (z.B.<br />
Jaguar, Volvo, Saab, Hummer) oder es findet eine Teil-<br />
Verselbständigung statt, wie bei Opel. Im Grossen und Ganzen wird<br />
die westliche Automobilwelt aber auch weiterhin aus der Gruppe der<br />
derzeit existierenden 13-14 grossen Automobilhersteller-Konzernen<br />
bestehen.<br />
Der aktuelle Trend in der Wettbewerbstruktur ist, nach den<br />
Übernahmen und Fusionen in der Vergangenheit, mehr und mehr<br />
dadurch geprägt, die notwendigen Kosten- und Losgrössenvorteile<br />
durch Kooperationen zu erlangen. In Form von strategischen<br />
Allianzen und Joint Ventures zwischen den Herstellern wird in der<br />
heutigen Zeit der globalisierten Märkte die Sicherung von Economies<br />
of Scale und Wettbewerbsfähigkeit und Rentabilität zu erreichen<br />
versucht (vgl. Kapitel 3.4.). Fazit: Die „Alte Welt“ ist saturiert, alle<br />
Hersteller sind so gross, dass ein allgemeines, aber labiles<br />
Machtgleichgewicht zwischen den Herstellern besteht. Über<br />
Kooperationen versucht man eine Art “ Als-ob-Wettbewerbsstärke“ zu<br />
inszenieren.<br />
Während in den grossen westlichen Industrieländern ein Ende des<br />
Konzentrationsprozesse unter den etablierten Herstellern erreicht zu<br />
sein scheint, treten auf dem globalen Automobilmarkt zunehmend<br />
auch neue „Player“ aus den Emerging Markets in Erscheinung. Der<br />
Zugang zu den grossen Wachstumsmärkten (v.a. China, Russland,<br />
Indien) ist den westlichen Herstellern meist nur über Kooperationen<br />
und Joint Ventures mit den heimischen Herstellern möglich 9 , die sich<br />
9 Einige Beispiele - BMW Group - Brilliance China Automotive, SAIC-GM-<br />
Wuling Automobile Co., Dongfeng Honda Automobile (Wuhan) Co. in China<br />
und Maruti Suzuki in Indien.<br />
69
dadurch das westliche Know How aneignen und zu eigenständigen<br />
Wettbewerbern aufsteigen können. Chinesische und indische<br />
Hersteller kaufen seit einigen Jahren zudem unprofitable westliche<br />
Marken (z.B. Tata: Land Rover & Jaguar; BAIC: Saab¸ SAIC: Rover),<br />
um sich dadurch neben dem Know-How auch die physische<br />
Produktionstechnik anzueignen und einen späteren Zugang zu den<br />
westlichen Absatzmärkten zu eröffnen 10 .<br />
Durch das starke Wachstum der Emerging Markets werden vor allem<br />
einige der indischen und chinesischen Hersteller in den kommenden<br />
Jahren auf ihren Heimatmärkten weiter kräftig aufsteigen können.<br />
Ihnen gelingt es oftmals besser als den grossen westlichen<br />
Herstellern, sich an die Gegebenheiten und Bedürfnisse auf ihren<br />
Heimatmärkten anzupassen, z.B. Tata mit dem „Billig-Auto“ Nano.<br />
Die etablierten westlichen Hersteller müssen sich daher auf<br />
wachsende Konkurrenz aus diesem Bereich einstellen, zunächst in<br />
den Heimatländern dieser Emporkömmlinge, dann in den<br />
umliegenden Schwellenländern und schliesslich auch im unteren<br />
Bereich der westlichen Triademärkte. Dies gilt vor allem für die<br />
OEM´s aber auch zunehmend für bestimmte Zulieferteile, wenn des<br />
den heimischen Lieferanten gelingt, die wesentlichen Produzenten in<br />
ihren Heimatländern zu verdrängen. Bislang jedoch ist die<br />
Zulieferindustrie noch weitgehend fest in westlicher/japanischer<br />
Hand.<br />
In Russland, obwohl ebenfalls Schwellenland mit bester<br />
Wachstumsperspektive, ticken die Uhren anders. Während die<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> in China und Indien blüht und gedeiht, steht sie in<br />
Russland infolge Unfähigkeit, Missmanagement und politischer<br />
Vetternwirtschaft vor dem Abrund. AvtoVaz hat Insolvenz<br />
angemeldet, Gaz steht kurz davor. Der Abbau von Arbeitsplätzen<br />
geht in die Zehntausende.<br />
In Indien und Russland existieren nur wenige unabhängige<br />
Automobilhersteller, in China werden laut unterschiedlichen Angaben<br />
noch ca. 200-300 Hersteller gezählt. Hier hat bereits ein<br />
Konzentrationsprozess eingesetzt, wie er im Westen zu Beginn des<br />
vorigen Jahrhunderts stattgefunden hat. Mit dem Unterscheid, dass in<br />
China der allmächtige Staat diesen Prozess zu grossen Teilen<br />
kontrolliert steuert. Die beiden russischen Automobilkonzerne<br />
stammen noch aus der kommunistischen Vergangenheit des Landes<br />
und sind technisch, wie wirtschaftlich nicht konkurrenzfähig. Der<br />
ehemalige Wolga-Hersteller GAZ wird über die Beteiligung der<br />
russischen Sberbank voraussichtlich zum Opel-Produzenten für den<br />
russischen Markt aufsteigen.<br />
10 Bis jetzt sind alle Versuche chinesischer Hersteller ihre Autos nach<br />
<strong>Europa</strong> zu verkaufen, aufgrund der miserablen technischen Standards<br />
grandios gescheitert, z.B. mit verheerenden Ergebnissen bei Crashtests des<br />
Geländewagens „Landwind“ oder des „Brilliance BS6“.<br />
70
Die wichtigsten Newcomer aus den BRIC-Staaten:<br />
Indien:<br />
1. Maruti Suzuki India Ltd. – gegründet 1981; 54,2% hält Suzuki<br />
Gruppe; Produkte: Kei Cars/City Cars, Compact Cars,<br />
Microvans, Compact SUVs; Absatz Apr. 2008 bis Feb. 2009 –<br />
570.267 Stück<br />
2. Tata Motors Ltd. – gegründet 1945; gehört mehrheitlich zur Tata<br />
Group; Produkte: Pkw und Nutzfahrzeuge; Pkw-Absatz Apr.<br />
2008 bis Feb. 2009 – 178.849 Stück<br />
3. Mahindra & Mahindra Ltd. – gegründet 1945; 51% Mahindra<br />
und 49% Renault; Produkte: Pkw, Nutzfahrzeuge, SUVs; Pkw-<br />
Absatz Apr.2008 bis Feb. 2009 – 92.023 Stück<br />
China:<br />
1. Liuzhou Wuling Motors Co. Absatz 2008 545.239 Stück (JV<br />
16% an SAIC-GM-Wuling Automobile Co.)<br />
2. Chery Automobile Co. Absatz 2008 356.093 Stück<br />
3. Chongqing Changan Automobile Co. Absatz 2008 276.519<br />
Stück<br />
4. China FAW Group Corp. Absatz 2008 – 228.454 Stück (JV:<br />
40% an Tianjin FAW Toyota Motor Co.( Absatz 2008 543.106<br />
stück), 50% an Sichuan FAW Toyota Motor Co., 50% an<br />
Changchun Fengyue Company of SFTM, 60% an FAW-<br />
Volkswagen Automotive Co.(Absatz 2008 983.436 Stück))<br />
5. Zhejiang Geely Automobile Group Abastz 2008 – 221.151<br />
6. Shanghai Automotive Industry Corp. Absatz 2008 – 35.208<br />
Stück (JV: 50% an Shanghai General Motors Corp. .(Absatz<br />
2008 485.545 Stück), 25% an Sahnghai GM Dongyue Motors<br />
Co., 50% an SAIC-GM-Wuling Automobile Co., 25% an<br />
Shanghai GM (Shenyang) Nersom Motors Co., 50% an<br />
Shanghai Volkswagen Automotive Co. .(Absatz 2008 983.436<br />
Stück))<br />
7. Dongfeng Motor Corp. Absatz 2008 – 23.611 Stück (JV: 50%<br />
an Dongfeng Honda Automobile (Wuhan) Co. (Absatz 2008<br />
470.033 Stück), 25% an Dongfeng Yueda Kia Automobile Co.,<br />
50% an Dongfeng MotorCo./Dongfeng Nissan Passenger<br />
Vehicle Co. (Absatz 2008 361.015 Stück), 50% an Dongfeng<br />
Peugeot Citroen Automobile Co. (Absatz 2008 178.308 Stück),<br />
80% an Zhengzhou Nissan Automobile Co.)<br />
Russland:<br />
71
1. AvtoVAZ – gegründet 1966; Der russische Staatskonzern<br />
Rostechnologii, das Investmenthaus Troika Dialog und der<br />
französische Autobauer Renault halten je 25% plus 1 Aktie von<br />
Avtovaz; JV: mit GM gegründet 2001, Suzuki Montage, Peugeot;<br />
Absatz 2008 622.000 Stück<br />
2. GAZ – gegründet 1932; ist insolvent; Absatz in 2007 (Januar bis<br />
September) – 30.847 Stück<br />
3.1.2. Veränderungen in der Zuliefererstruktur<br />
Im Gegensatz zur Ebene der OEMs wird in der Zulieferindustrie der<br />
Konzentrationsprozess infolge des verschärfte Kostendrucks von<br />
seiten der Abnehmer – OEM oder nachgelagerten Abnehmer aus der<br />
Zulieferkette - auch in den nächsten Jahren weiterhin anhalten (siehe<br />
Abb. 3-2). Dabei werden kleinere Zulieferer vom Markt verschwinden<br />
(TMD, Geiger, Wagon Automotive, Kittel), andere werden durch<br />
grössere (oder kleinere) Konkurrenten übernommen – Siemens VDO<br />
wurde 2007 durch Continental übernommen, Continental wurde 2009<br />
durch die Schäffler-Gruppe übernommen.<br />
40000<br />
Anzahl Zulieferer<br />
30.000<br />
(1988)<br />
8.000<br />
(1998)<br />
8000<br />
5000<br />
500<br />
500<br />
(1910)<br />
Anzahl Automobilhersteller<br />
5.600<br />
(2000)<br />
~2.800<br />
(2015)<br />
30<br />
0<br />
1900<br />
30<br />
(1900)<br />
1950<br />
50<br />
(1950)<br />
1980<br />
30<br />
(1980)<br />
13<br />
(2009)<br />
2009 2015<br />
?<br />
(2015)<br />
Quelle: IWK<br />
Abbildung 3-2: Konzentration in der Automobilbranche<br />
Neben dem Konzentrationsprozess gibt es auch hier den<br />
gegenläufigen Trend, dass neue Anbieter auf dem Weltmarkt<br />
hinzukommen. Diese neuen Marktteilnehmer kommen weniger aus<br />
geographisch neuen Regionen (die „neuen“ OEMs arbeiten zum<br />
Grossteil auch mit den etablierten Zulieferern zusammen), sondern<br />
vor allem aus technologisch neuen Regionen. Speziell in dem<br />
Bereich des Elektroantriebs entwickelt sich ein komplett neuer<br />
Zulieferbereich für die <strong>Automobilindustrie</strong>. Die klassischen Automobil-<br />
Zulieferer müssen sich in diesem Bereich das nötige Know-how<br />
72
grösstenteils durch Übernahmen oder Kooperationen mit<br />
entsprechenden Unternehmen sichern und ehemals branchenfremde<br />
Unternehmen werden plötzlich zu einem Bestandteil der<br />
<strong>Automobilindustrie</strong>. Beispielsweise vereinbarten vor kurzem Süd-<br />
Chemie und Evonik eine Lieferantenpartnerschaft bei neuen<br />
Batteriematerialien für Elektroantriebe in Automobilen - für den<br />
Einsatz neuer Materialien in der nächsten Generation von Lithium-<br />
Ionen-Batterien; oder Bosch, das mit dem südkoreanischen<br />
Elektronikkonzern Samsung ebenfalls ein Joint Venture für Lithium-<br />
Ionen-Batterien bildet.<br />
Bedingt durch die aktuelle Marktschwäche und durch die hohen<br />
Kapitalanforderungen für Innovationen der Zukunft gewinnen<br />
Kooperationen auch für die Zulieferer weiterhin an Wichtigkeit.<br />
Zusammenarbeit und Gemeinschaftsprojekte werden in Zukunft<br />
sowohl mit anderen Zulieferern, als auch mit Herstellern, aber auch<br />
branchenübergreifend z.B. mit Batterieherstellern oder<br />
Stromanbietern immer intensiver in Anspruch genommen -<br />
beispielsweise kooperieren Karmann und der Energiekonzern EWE<br />
bei mehreren Forschungsaktivitäten im Bereich Elektrofahrzeuge,<br />
Magna und der Schweizer Leistungselektronik-Spezialist Brusa<br />
haben eine Kooperation vereinbart, um gemeinsam Komponenten<br />
und Systeme für Elektro- und Hybridfahrzeuge zu entwickeln und zu<br />
produzieren, Continental und ZF Friedrichshafen bilden eine Allianz<br />
zur Entwicklung eines Hybrid-Antriebs, und viele mehr.<br />
Ausserdem versuchen Zulieferer auch verstärkt entlang der<br />
klassischen Wertschöpfungskette zu expandieren, ihre<br />
Geschäftsfelder also auszuweiten. Am spektakulärsten ist dies aber<br />
bei dem österreichisch-kanadischen Zulieferer Magna zu beobachten,<br />
der durch den Kauf von Opel zum eigenständigen Hersteller<br />
aufsteigen möchte. Dies ist allerdings auch mit erheblichen Risiken<br />
verbunden. Dadurch, dass Magna durch diese Übernahme zum<br />
Konkurrenten für andere Hersteller wird, die bislang Kunden des<br />
Zulieferers Magna waren, sind diese bisherigen<br />
Lieferantenbeziehungen mit anderen OEMs hochgradig gefährdet. So<br />
wollen laut Presseberichte BMW, VW und Chrysler ihre Aufträge an<br />
Magna in Zukunft überprüfen. Bei strategischen Entscheidungen<br />
solcher Art ist aus diesem Grund eine genaue Abwägung zwischen<br />
den zu erwartenden Vorteilen und den möglichen Schäden für das<br />
bestehende Geschäftsfeld sehr wichtig. Das Kerngeschäft kann<br />
unter Umständen stark leiden, sodass die Existenz des<br />
Unternehmens langfristig nicht gesichert werden kann. Diese Gefahr<br />
ist weniger bei Familienunternehmen gegeben als bei<br />
Kapitalgesellschaften mit angestellten Managern, deren Verträge<br />
bekanntlich zeitlich limitiert sind, und deren Interessen gelegentlich<br />
eher auf kurzfristige Maximierung der eigenen Bezüge als auf die<br />
langfristige – und zeitraubende - Steigerung des<br />
Unternehmenswertes ausgerichtet sind.<br />
73
3.2. Veränderungen innerhalb der Wertschöpfungskette<br />
3.2.1. Fertigungsstrukturen<br />
Durch den starken Verdrängungswettbewerb auf den weltweiten<br />
Absatzmärkten sahen sich die Automobilhersteller in den<br />
vergangenen Jahren zunehmend gezwungen, neue Modelle,<br />
Konzepte und Strategien zu entwickeln. Neue Technologien und<br />
verbesserte Produktionsprozesse, wie Modul- oder Plattformkonzept<br />
wurden eingeführt, um die Kosten zu senken, die Ausweitung von<br />
Finanzdienstleistungen wurde zunehmend zum wichtigsten<br />
Ertragsgenerator.<br />
Schrumpfende Erträge im Kerngeschäft werden die<br />
Automobilhersteller auch in Zukunft zwingen, sich in Zukunft noch<br />
stärker auf möglichst profitable Aufgaben zu konzentrieren. Das führt<br />
im Wesentlichen zu:<br />
Outsourcing von allen Aktivitäten, die von vorgelagerten Gliedern<br />
der Wertschöpfungskette (i. d. R. Zulieferer, Entwicklungs und<br />
Spezialdienstleister etc.) kostengünstiger hergestellt oder<br />
erbracht werden können als vom Hersteller selbst. Dazu gehört<br />
auch eine Produktions-Verlagerung an Niedriglohnstandorte, die<br />
zwar der Zulieferer, nicht aber der Hersteller aufgrund politischer<br />
Zwänge leichter durchführen kann.<br />
Insourcing von hochprofitablen Aktivitäten, die der Produktion<br />
nachgelagert sind, vor allem Vertrieb und Kundenbetreuung<br />
sowie Financial Services (Finanzierung, Leasing etc.). Über 50%<br />
der Gewinnmarge bei den Herstellern stammt inzwischen aus<br />
dieser Quelle.<br />
Allerdings werden als Folge der aktuellen Absatzkrise von einzelnen<br />
Herstellern auch vordem ausgelagerte Produktionen aus Gründen der<br />
internen Beschäftigungssicherung wieder inhouse zurückverlagert.<br />
Dies ist aber nicht als langfristiger, strategischer Trend zu sehen,<br />
vielmehr als eine temporäre Anpassungsstrategie.<br />
Während die OEMs strategisch versuchen, den heute so wichtigen<br />
Markenwert ihrer Modelle zu steigern, übernimmt die Zulieferindustrie<br />
immer mehr Aufgaben im eigentlichen Produktionsprozess. Es<br />
entwickelt sich eine zunehmende Spezialisierung aller am<br />
Leistungserstellungsprozess eines Automobils beteiligten<br />
Unternehmen. Damit ändern sich auch die Wertschöpfungsanteile an<br />
der gesamten Prozesskette. OEMs geben immer mehr Aufgaben an<br />
Drittunternehmen weiter und verlagern ihre eigenen Kompetenzen in<br />
neue Bereiche. Auf diese Weise erfährt die <strong>Automobilindustrie</strong>, allen<br />
voran die deutsche, eine strukturelle Veränderung im gesamten<br />
Wertschöpfungsprozess, die wiederum innovativen<br />
Aussenseiterunternehmen zugute kommen. So werden sich die<br />
74
Wertschöpfungsaktivitäten der OEMs auf Module, Komponenten und<br />
Technologien mit hoher und für den Kunden wahrnehmbarer<br />
Bedeutung für den Kern der Marke und das Markenimage reduzieren,<br />
um die Markenprofile zu schärfen. Mit der zunehmenden<br />
Konzentration der Automobilhersteller auf das "Downstream"-<br />
Geschäft (Marken- und Imagepflege, Finanzierung, Versicherung,<br />
Entsorgung) verlagern sich im eigentlichen Kerngeschäft sowohl die<br />
Entwicklung von Innovationen als auch die Produktion zunehmend in<br />
die Zulieferindustrie. Dabei drängen auch branchenfremde<br />
Unternehmen plötzlich in den Automobilbereich, wie die<br />
Kooperationen von OEMs mit Energieunternehmen im Zuge der<br />
Entwicklung elektrischer Antriebe und der dazu notwendigen<br />
Batterietechnologie deutlich machen.<br />
3.2.2. Fertigungstiefen<br />
Während die Hersteller auch in Zukunft ihre Fertigungstiefe<br />
kontinuierlich verringern werden, übernehmen Zulieferer und<br />
Dienstleister schrittweise alle nicht markenprägenden Aufgaben im<br />
Automobilbau. Bereits im Jahr 2002 entwickelten und bauten die<br />
Hersteller ihre Autos nur noch zu 35% selbst – pro<br />
"Durchschnittsauto" betrug die Eigenleistung nur noch 4.000 Euro.<br />
Mittlerweile ist der Verlagerungstrend trotz krisenbedingtem<br />
Insourcing-Effekt weiter vorangeschritten. Bis zum Jahr 2015 wird mit<br />
einem Rückgang des Wertschöpfungsanteils auf 2.670 Euro oder<br />
23% gerechnet, der Rest wird durch Zulieferer und Dienstleister<br />
erbracht.<br />
Je nach Fahrzeugbereich fällt die Fertigungstiefe der OEM sehr<br />
unterschiedlich aus. In den Bereichen Antrieb und Fahrwerk ist die<br />
Wertschöpfungstiefe der Hersteller deutlich geringer und in Zukunft<br />
werden die Zulieferer hier nahezu die komplette Fertigung<br />
übernehmen, ähnlich ist es im Bereich des Interieurs. Beim<br />
Karosseriebau liegt der Anteil beim Hersteller dagegen noch<br />
wesentlich höher und wird auch in Zukunft noch deutlich über 50%<br />
betragen.<br />
75
Wertschöpfung<br />
(Wert-Index)<br />
140<br />
100<br />
Fertigungstiefe der OEM 2002 2015<br />
65%<br />
Zulieferer<br />
(inkl. Dienstleister)<br />
+ 68%<br />
77%<br />
Generell 35% 23%<br />
Antrieb 24% 9%<br />
Fahrwerk 31% 13%<br />
Ausstattung 17% 12%<br />
Karosserie 72% 66%<br />
35%<br />
OEM<br />
-10%<br />
23%<br />
2002 2015<br />
Quelle: FAST-Studie<br />
Abbildung 3-3: Verlagerung der Wertschöpfung<br />
Die OEMs verlagern in diesem Zusammenhang nicht nur<br />
Produktions-, sondern immer mehr Entwicklungsverantwortung für<br />
neue Modelle auf die Zulieferer. Auf diese Weise übernehmen die<br />
Zulieferer sukzessive die Verantwortung für Innovationen im Produkt<br />
Automobil, so wie der Maschinenbau die Verantwortung des<br />
Produktionsprozesess bereits übernommen hat. Als Folge müssen<br />
Zulieferer in Zukunft neben der Bereitstellung fertiger<br />
Produktinnovationen vor allem das Know-how in der Organisation<br />
und die Realisierung von Serienanläufen durch entsprechendes<br />
Schnittstellenmanagement entlang der Wertschöpfungskette<br />
sicherstellen und die Komplexität managen können<br />
3.3. Technische Entwicklung im Fertigungsprozess<br />
Eine kontinuierliche, technische Weiterentwicklung und eine stark<br />
zunehmende Individualisierung der Fahrzeuge werden zukünftig noch<br />
flexiblere und effizientere Organisationsstrukturen von Materialfluss,<br />
Produktion und Logistik erfordern. Die Beherrschung von Komplexität<br />
und Schnittstellenmanagement sind die Schlüsselworte, die die<br />
Arbeitsteilung in der <strong>Automobilindustrie</strong> im 21. Jahrhundert<br />
beherrschen werden (zumindest in den nächsten Jahrzehnten).<br />
Innerhalb der Produktion kommt dabei insbesondere der Plattformund<br />
Modulstrategie die wichtigste Rolle zu, mit dem Ziel, die Effizienz<br />
zu erhöhen und die Kosten zu senken. Durch eine konsequente<br />
Umsetzung der Plattformstrategie werden erhebliche<br />
Entwicklungskosten eingespart und hohe – und damit kostengünstige<br />
– Stückzahlen realisiert (economies of scale). Sie bietet eine<br />
wesentliche Grundlage, die notwendige Flexibilität und für die hohe<br />
Vielfalt kundenspezifischer Fertigung zu ermöglichen. Daher wird die<br />
Modularisierung und Standardisierung von Produkten und Prozessen<br />
76
auch künftig weiter voranschreiten. Die Kapazitäten der einzelnen<br />
Werke können durch vereinheitlichte Fertigungsstrukturen und die<br />
Möglichkeit, unterschiedliche Modelle über die gleichen Bänder<br />
laufen zu lassen, optimal ausgelastet werden. Als Erfinder dieser<br />
Strategie kann Ferdinand Piech, vormaliger Vorstandsvorsitzender<br />
von Audi und dann Volkswagen, genannt werde – ein begnadeter<br />
Enkel eines begnadeten Onkels. Dass die konsequente Anwendung<br />
dieser Strategie funktioniert, haben die grossen Volumenhersteller<br />
über Jahrzehnte vorgemacht. Hierbei sei als bestes Beispiel der Golf<br />
von VW angeführt. Mit Einführung des Golf V entstanden auf<br />
derselben Plattform acht Derivate, verteilt auf vier Marken (Škoda<br />
Octavia, Audi TT, Audi A3, Seat Leon, Seat Toledo, VW New Beetle,<br />
VW Passat und VW Eos). Das führt zu einem hohen Anteil an<br />
Gleichteilen für alle Konzern-Parallelmodelle und<br />
Ausstattungsvarianten.<br />
Auch bei Renault-Nissan wird das Baukastensystem inzwischen in<br />
Vollendung angewendet und besteht im Wesentlichen aus zwei<br />
wichtigen Plattformen, auf denen letztendlich alle Volumenmodelle<br />
basieren: die B-Plattform bildet die Basis für die Kleinwagen und die<br />
C-Plattform für die kompakten Modelle:<br />
Quelle: Renault-Nissan<br />
Abbildung 3-4: Plattformstrategie bei Renault – Nissan<br />
Die Plattformstrategie birgt allerdings auch ein nicht zu verachtendes<br />
Gefahrenpotential in sich. Eine gemeinsame Plattform, die ein<br />
beträchtliches Mass an Wertschöpfung nach sich zieht, führt bei den<br />
Ableitungen zu einer hohen Zahl an Gleichteilen. Dies ist aus<br />
Kostengründen zwar gewollt, aber die grosse Herausforderung für die<br />
Hersteller besteht darin, den Unterschied der verschiedenen Marken<br />
und Modelle einer Plattform für den Kunden in den Vordergrund zu<br />
stellen, um eine interne Kannibalisierung zwischen den Marken zu<br />
verhindern.<br />
Ein weiterer wichtiger Trend im Fahrzeugbau ist die zunehmende<br />
Flexibilisierung der Produktion. Eine flexible Gestaltung der<br />
Produktionslinien bedeutet das höchste Mass an Effizienz. Flexibilität<br />
bedeutet in diesem Fall, dass mehrere Modelle gleichzeitig auf dem<br />
Band gefertigt werden können. Die dafür notwendige Logistik wird<br />
dabei durch modernste Informationstechnologie gesteuert. Die<br />
77
einzelnen Komponenten und Module werden „just in sequence“, also<br />
punktgenau und fahrzeugspezifisch, direkt an das Montageband<br />
angeliefert. Ohne ausgeklügelte IT-Technik wäre dies nicht möglich<br />
gewesen – bestes Beispiel dafür, wie die Anwendung exogener<br />
technologischen Innovationen gerade den Automobilbau immer<br />
weiter nach vorne treibt. Dies geht nun schon seit über 100 Jahren<br />
so.<br />
Der Hersteller Audi erhöht seine Effizienz beispielsweise durch das<br />
sogenannte Drehscheibenkonzept. Es ermöglicht durch die<br />
Produktion von Volumenmodellen an zwei Standorten - wie dem Audi<br />
A3 Sportback in Ingolstadt und Brüssel - die flexible Reaktion auf<br />
Veränderungen bei der Nachfrage. Sämtliche Prozesse in<br />
Karosseriebau, Lackierung und Montage sind standardisiert. Selbst<br />
die Anlagetechnik ist dieselbe. Die Werke werden besser ausgelastet,<br />
weil saisonale Schwankungen oder Schwankungen im<br />
Produktlebenszyklus eines Fahrzeugs ausgeglichen werden können.<br />
Und gleichzeitig bewahrt diese Technologie die Werke davor, bei<br />
unvorhergesehen Absatzeinbrüchen völlig vom Markt genommen zu<br />
werden.<br />
3.4. Trend zu Kooperationen und strategischen Allianzen<br />
Als Folge der strukturellen Umwälzungen und des verschärften<br />
Ertragsdrucks in der weltweiten <strong>Automobilindustrie</strong> bei gleichzeitig<br />
oligopolistischen Strukturen, die einer weiteren Konzentration im<br />
Wege stehen, gewinnen „Als-Ob-Konzentrationen“, sprich<br />
Kooperationen und strategische Allianzen zunehmend an Bedeutung.<br />
Diese finden weniger auf den unteren Ebenen der<br />
Wertschöpfungskette bei den Zulieferern statt, sondern vor allem bei<br />
den Automobilherstellern selbst. Dies ist insofern überraschend, als<br />
alle beteiligten OEMs untereinander in scharfem Wettbewerb stehen.<br />
Eine Zusammenarbeit zwischen zwei Unternehmen kommt in der<br />
Regel dann zustande, wenn für beide Kooperationspartner reale<br />
Vorteile erzielbar sind. Die Gründe für diese Bereitschaft, mit direkten<br />
Konkurrenten am Markt dennoch zu kooperieren, sind von<br />
Unternehmen zu Unternehmen unterschiedlich, aber vom Grundsatz<br />
immer gleich, nämlich Stärkung der eigenen Position im<br />
internationalen Verdrängungswettbewerb durch Kostensenkung und<br />
Ertragssicherung infolge<br />
Konzentration von Kompetenzen,<br />
bessere Auslastung von Leerkapazitäten,<br />
Realisierung von Grössenvorteilen (Economies of Scale),<br />
räumliche Abdeckung relevanter Märkte<br />
78
Verbesserung der eigenen strategischen Marktposition durch<br />
gekaufte und schnellere Ausweitung der eigenen Modellpalette<br />
statt mühsamer und kostenintensiver Eigenentwicklung.<br />
Die praktische Umsetzung und der tatsächliche Gegenstand<br />
strategischer Kooperationen können äusserst unterschiedlich sein<br />
und auf verschiedenen Ebenen stattfinden. Die gängigsten<br />
strategischen Inhalte solcher Allianzen und<br />
Kooperationspartnerschaften liegen in folgenden Bereichen:<br />
Austausch von Aggregaten und Komponenten<br />
gemeinsame Entwicklung von Fahrzeugen und kostenintensiven<br />
Komponenten, wie z.B. Motoren<br />
gemeinsame Forschungsaktivitäten<br />
gemeinsame Produktions- und Montagewerke<br />
gemeinsame Vertriebsaktivitäten.<br />
Meist beruhen diese Allianzen auf klar abgegrenzten<br />
Kooperationsverträgen, zusätzlich können sie jedoch auch durch<br />
gegenseitige Kapitalbeteiligungen oder Gründung von Joint-Venture-<br />
Unternehmen gestützt werden. Die Kooperationen können auch<br />
regional oder auf Tochterunternehmen begrenzt sein. Strategische<br />
Allianzen werden normalerweise nicht mit dem Ziel verfolgt, in<br />
weiterer Folge zu einer Fusion oder Übernahme zu führen. Sie sind<br />
vielmehr eine stabile Art der Zusammenarbeit, beispielsweise bei<br />
nicht markenprägenden Komponeneten, um über Losgrössenvorteile<br />
in der Produktion oder Kostenteilung in der Entwicklung<br />
Kostensenkungen oder die Erschliessung neuer Märkte zu erreichen.<br />
Kooperationen in der Autobranche sind endlich und im Unterschied<br />
zu Fusionen auf einen bestimmten Zeitraum begrenzt.<br />
Mittlerweile gewinnt dieser Trend, durch Kooperationen Kosten und<br />
Zeit zu sparen, zunehmend an Bedeutung und hat die früher gängige<br />
Praxis der Übernahmen und Fusionen weitestgehend abgelöst. Alle<br />
grossen Automobilhersteller sind durch Entwicklungskooperationen,<br />
strategische Allianzen, Joint Ventures oder andere<br />
Gemeinschaftsprojekte mit einem oder mehrerer ihrer Konkurrenten<br />
verbunden. Teilweise entwickeln und nutzen die Hersteller<br />
gemeinsame Plattformen für ihre Autos und produzieren sie in<br />
gemeinsamen Werken, ebenso kann auch nur der Einkauf für einige<br />
Komponente zusammen erfolgen. Der französische PSA-Konzern hat<br />
– der Not gehorchend - eine konsequente Kooperationsstrategie in<br />
Entwicklung und Produktion sogar zum expliziten Unternehmensziel<br />
erklärt und betreibt Gemeinschaftsprojekte auf verschiedenen<br />
Geschäftsfeldern unter anderem mit Toyota (gemeinsames Werk im<br />
tschechischen Kollin), BMW (gemeinsame Motorenentwicklung und -<br />
produktion), aber auch mit Ford, Mitsubishi, Renault und Fiat. Bei<br />
79
Kooperationen dieser Art handelt es sich um eine weniger enge<br />
Verflechtung als bei Fusionen oder Übernahmen. Hersteller<br />
verschwinden nicht mehr vom Markt, sondern die strategischen<br />
Allianzen ermöglichen kleineren Herstellern auf verschiedenen<br />
Ebenen, wie dem Einkauf, der Entwicklung und der Fertigung, ein<br />
enormes Sparpotenzial. Eine langfristige Sicherung des Überlebens<br />
ist dadurch allerdings nicht gewährleistet. Nur Sicherung gegebener<br />
Absatzvolumen ohne weiteres Mengenwachstum wird auf die Dauer<br />
am Weltmarkt zur Sicherung der Rentabilität nicht ausreichen.<br />
3.4.1. Im Einkauf<br />
Durch Kooperationen beim gemeinsamen Einkauf können Hersteller<br />
auch bei niedrigen Stückzahlen günstigere Bedingungen bei ihren<br />
Zulieferern erreichen und so mit den Skalenvorteilen der grossen<br />
Volumenhersteller mithalten. Die Premiummarke Audi beispielsweise<br />
kann auf die Einkaufsmacht und -fähigkeit der Konzernmutter VW<br />
zugreifen, die über ein Absatzvolumen von mehr als 6 Mio.<br />
Fahrzeugen im Jahr und entsprechend gute Einkaufsbedingungen bei<br />
den Teilelieferanten verfügt. Die anderen beiden kleinen deutschen<br />
Premiumhersteller BMW und Daimler haben dazu im Vergleich zu<br />
Audi erhebliche Wettbewerbsnachteile, die man mittlerweile sehr<br />
mühsam über Einkaufskooperationen auszugleichen versucht.<br />
Fünfzig Jahre Wettbewerbsmentalität lassen sich indessen so leicht<br />
nicht überwinden, erst die künftige Not wird da für Abhilfe sorgen.<br />
Der gemeinsame Einkauf ist vor allem bei den Teilen möglich, die<br />
nicht markendifferenzierend sind. Bei BMW und Daimler handelt es<br />
sich beispielsweise hauptsächlich um Basisfunktionen wie<br />
Fensterheber, Zugangssysteme, Verstellmotoren, Lüftungssysteme<br />
oder Sitzgestelle. Hier ist die Gefahr der Offenlegung sensibler Daten<br />
eher gering, oftmals beziehen die Hersteller ohnehin das gleiche Teil<br />
von demselben Zulieferer und können durch eine<br />
Einkaufskooperation ihre Marktmacht gegenüber dem Lieferanten<br />
verbessern. Durch den gemeinsamen Einkauf erwarten BMW und<br />
Daimler Kosteneinsparungen in dreistelliger Millionenhöhe – zu<br />
wenig, um auf Dauer fehlende Absatzvolumen wettmachen zu<br />
können.<br />
3.4.2. In der Entwicklung<br />
Die <strong>Automobilindustrie</strong> ist weltweit die Branche mit den höchsten<br />
Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (F&E), allein in<br />
Deutschland betrugen die F&E Ausgaben von Automobil-Herstellern<br />
und -Zulieferern im Jahr 2008 insgesamt 18,9 Milliarden Euro. Trotz<br />
massiven Ertragseinbrüchen bei den Herstellern und Zulieferern der<br />
Branche, kann es sich kein Unternehmen leisten, seine F&E-<br />
Aufwendungen zu reduzieren. Technische Innovationen sind ein<br />
80
wesentlicher Wachstumstreiber und singuläres Wettbewerbskriterium,<br />
um sich von der Konkurrenz absetzen zu können. Zudem besteht die<br />
Gefahr, beim Verpassen von gravierenden technologischen<br />
Neuerungen, schlagartig nur noch ein veraltetes Produktprogramm im<br />
Angebot zu haben. Um die hohe Kosten für die Erforschung und<br />
Entwicklung komplexer Technologien auf mehrere Schultern verteilen<br />
zu können, schliessen sich Hersteller (und Zulieferer) zunehmend zu<br />
Entwicklungskooperationen zusammen. Was natürlich zur Folge hat,<br />
dass die Anforderungen an die technologische Kompetenz der<br />
Zulieferunternehmen wachsen.<br />
Dies kann zum einen bei der Weiterentwicklung bestehender<br />
Technologien erfolgen, wie beispielsweise bei der Kooperation<br />
zwischen BMW und PSA zur Entwicklung von 4-Zylinder-<br />
Benzinmotoren. BMW ist dabei mehr auf die Entwicklung grosser<br />
Motoren spezialisiert, während Peugeot die kleineren Motoren<br />
weiterentwickelt, die bei BMW beim Mini zum Einsatz kommen.<br />
Von besonders hoher Bedeutung sind Kooperationen aber auch bei<br />
der Entwicklung von Zukunftstechnologien, die enorm<br />
kostenaufwendig sein können. Speziell bei der Entwicklung von<br />
neuen Antriebstechnologien haben viele Hersteller dieses Potenzial<br />
erkannt und arbeiten bei der Erforschung von Hybridisierung und<br />
Elektromobilität zusammen. So gründeten GM, Daimler und BMW<br />
eine gemeinsame „Hybrid-Allianz“, um den Vorsprung der<br />
japanischen Konkurrenten Toyota und Honda auf diesem Gebiet<br />
aufzuholen, und dabei das vorhandene Knowhow zu bündeln und die<br />
hohen Kosten zu teilen. Des Weiteren kooperieren PSA mit<br />
Mitsubishi und VW mit dem chinesischen Hersteller BYD auf dem<br />
Gebiet der Elektromobilität. Bei diesen neuen technologischen<br />
Entwicklungen kommen über Kooperationsvereinbarungen und<br />
Bildung von Allianzen auch komplett neue „Player“ auf den<br />
Automobilmarkt, die das nötige Knowhow in diesen Technologie-<br />
Bereichen mitbringen. Speziell im Bereich der Antriebselektrifizierung,<br />
die in Kapitel 2.2.3. aufgeführt ist, werden von vielen<br />
Automobilunternehmen neue Partnerschaften auch mit<br />
Batterieherstellern und Stromanbietern eingegangen, um nicht den<br />
Anschluss an wichtige Entwicklungen zu verpassen, die den<br />
gesamten Automobilmarkt verändern werden. Der Übergang zur<br />
Elektromobilität zwingt die <strong>Automobilindustrie</strong>, sich neu zu erfinden,<br />
vieles, was heute an Aktivitäten rund um den Verbrennungsmotor<br />
angesiedelt ist, wird überflüssig und wird vom Markt verschwinden –<br />
Neues kommt hinzu.<br />
3.4.3. In der Fertigung<br />
Neben Kooperationen in Einkauf und Entwicklung gibt es auch<br />
vermehrte Zusammenarbeit in der Produktion von Komponenten oder<br />
auch ganzer Fahrzeugmodelle. So besteht z.B. seit 2005 ein<br />
Kooperationsvertrag zwischen Fiat und Ford zur gemeinsamen<br />
Entwicklung von Kleinwagen. Die Modelle Ford Ka und Fiat 500<br />
81
werden zusammen entwickelt und von Fiat in Polen produziert. Auch<br />
PSA ist in diesem Bereich sehr aktiv und stellt zusammen mit Toyota<br />
im gemeinsamen Werk im tschechischen Kollin die baugleichen<br />
Modelle Peugeot 107, Citroen C1 und Toyota Aygo her. Dabei steht<br />
nicht nur die Kostensenkung durch grössere Produktionsvolumina im<br />
Vordergrund, sondern zusätzlich auch das Aneignen von<br />
spezifischem Knowhow des jeweiligen Partners. PSA profitiert dabei<br />
von Toyotas Produktionssystem, das in der gesamten Branche als<br />
Benchmark gilt und andererseits erhält Toyota von PSA einen<br />
besseren Einblick und Zugang zum europäischen Markt und den hier<br />
ansässigen Zulieferern. Was Toyota nach dem Einbruch auf dem<br />
amerikanischen Markt auch bitter nötig hat!<br />
Um Zugang zu den Emerging Markets zu bekommen gingen die<br />
meisten etablierten OEMs Kooperationen und Joint Ventures mit den<br />
heimischen Herstellern ein. Teilweise aber auch nicht ganz freiwillig,<br />
weil dies in den entsprechenden Ländern gesetzlich vorgeschrieben<br />
war (z.B. China) oder aber auch um die vorhandenen Strukturen<br />
nutzen zu können. In China sind nahezu alle grossen OEMs mit<br />
mindestens einem Joint Venture mit einem lokalen Partner vertreten,<br />
z.B. VW mit SAIC und FAW, BMW mit Brilliance, GM mit SAIC oder<br />
Honda mit Dongfeng. In Indien ist Suzuki-Maruti der Marktführer und<br />
Fiat kooperiert bei der Produktion und dem Vertrieb mit Tata Motors.<br />
Auf dem russischen Automarkt hat z.B. Renault Anteile am<br />
russischen Lada Hersteller Avtovaz erworben, um im russischen<br />
Werk auch Renault und Nissan Modelle bauen zu können – einen<br />
Schritt, den Vorstandsvorsitzender Ghosn inzwischen allerdings<br />
heftig bereut.<br />
Die genannten Kooperationen sind nur einige der wichtigsten in der<br />
Branche. Dieser Trend ist sowohl bei jedem einzelnen Hersteller als<br />
auch auf jedem einzelnen Markt erkennbar. Wichtig für Zulieferer ist<br />
es, solche Kooperations- und Konzentrationsbewegungen auf OEM-<br />
Ebene sehr genau zu verfolgen und wenn möglich, zu antizipieren,<br />
um von dieser Weise der Marktentwicklungen nicht abgeschnitten zu<br />
werden.<br />
82
4. Auswirkungen auf die <strong>Automobilindustrie</strong> in <strong>Europa</strong><br />
4.1. Zukünftige Struktur der supply chain<br />
Bei der zunehmend erforderlichen Flexibilisierung der Fertigung in<br />
der <strong>Automobilindustrie</strong> sind reibungslose und effiziente<br />
Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette von<br />
besonderer Bedeutung, um gleichzeitig hohe Produktivität, kurze<br />
Durchlaufzeiten und niedrige Lagerbestände erreichen zu können.<br />
Das dazu erforderliche Supply Chain Management (SCM) zielt auf<br />
eine langfristig-strategische Verbesserung von Effektivität und<br />
Effizienz der Wertschöpfungskette ab, und dient der Integration aller<br />
Aktivitäten von der Rohstoffbeschaffung bis zum Verkauf an den<br />
Endkunden in einen nahtlosen Prozess, über alle beteiligten<br />
Unternehmen hinweg. Das SCM setzt dabei die Erkenntnis um, dass<br />
nicht nur die Einzelunternehmen, sondern komplette<br />
Wertschöpfungsketten im Wettbewerb zueinander stehen. Daher ist<br />
ein aktives Management der gesamten Lieferkette erforderlich, das<br />
nach folgenden Aspekten ausgerichtet werden muss:<br />
strikte Orientierung am Endkunden, zur Steigerung der<br />
Kundenzufriedenheit durch bedarfsorientierte Lieferung<br />
Realisierung von Kosten- und Qualitätsvorteilen durch eine<br />
Vereinfachung des Güterflusses und die ganzheitliche<br />
Optimierung des Lieferprozesses über mehrere Stufen hinweg<br />
Senkung der Lagerbestände und Verkürzung von Lieferzeiten, bei<br />
gleichzeitiger Vermeidung von Wartezeiten und -kosten<br />
Ein aktueller Trend in der Automobillogistik ist das Collaboration<br />
Management. Darunter versteht man das Zusammenarbeiten der<br />
Partner in einer Supply Chain (logistischen Kette) oder einem Supply<br />
Network. Hierbei ist der OEM der zentrale Kunde der<br />
Produktionskette, der die Ausrichtung der gesamten Supply Chain<br />
forciert. Aufgabe ist es, komplexe Lieferketten mit internen und<br />
externen Lieferanten mit kontinuierlichem Materialstrom aufzubauen.<br />
Der Informationsfluss zwischen OEM und Tier-1-Zulieferer<br />
funktioniert aufgrund des direkten Kontakts meist noch sehr gut. Die<br />
Herausforderung einer optimierten Supply Chain ist es, die<br />
Zusammenarbeit über den Tier-1 hinaus auch mit vorgelagerten<br />
Stufen der Zulieferkette enger zu verknüpfen. Das Supply-Chain-<br />
Design hat die Aufgabe, die Variantenvielzahl am Beginn der<br />
logistischen Kette möglichst lang gering zu halten und diese erst in<br />
einer späteren Stufe der Wertschöpfung entstehen zu lassen. Hierzu<br />
wird die gesamte Prozesskette, beginnend mit der Entwicklung, in<br />
das Supply Chain-Design einbezogen. Damit können Economy of<br />
Scale – Effekte, Komplexitäten weiter reduziert und<br />
Kostensenkungspotenziale stärker genutzt und auch die<br />
Versorgungssicherheit erhöht werden.<br />
83
Ein entscheidendes Kriterium für die Versorgungssicherheit ist die<br />
Bestandshöhe. Dies gilt sowohl beim Erstlieferanten als auch bei den<br />
einzelnen Abschnitten am Montageband. Dabei existiert ein<br />
Zielkonflikt zwischen Bestandssenkung und der gleichzeitig<br />
geforderten Prozesssicherheit durch die Gewährleistung der<br />
Materialverfügbarkeit. Dieser Konflikt lässt sich jedoch durch<br />
konsequenten Einsatz bedarfsgesteuerter Belieferungsformen wie<br />
„Just-in-Time“ und „Just-in-Sequence“ auf Seite des OEM<br />
beherrschen.<br />
Die kontinuierliche Weiterentwicklung einer optimalen<br />
Zusammenarbeit von der Entwicklung bis zur Fertigung bei allen<br />
beteiligten Partnern innerhalb der Wertschöpfungskette muss daher<br />
das entscheidende Kriterium sämtlicher technologischen<br />
Entwicklungen im Fahrzeugbau sein.<br />
4.2. Prognose der europäischen Produktionsstandorte/ -netzwerke<br />
Der Aufbau neuer Produktionskapazitäten in der Welt-<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> wird in Zukunft überwiegend in Osteuropa und<br />
Asien stattfinden, die Triade-Märkte werden ihr bisher erreichtes<br />
Niveau allenfalls halten.<br />
Auf dem amerikanischen Kontinent gibt es Verschiebungen Richtung<br />
Süden, einem strukturellen Produktionsabbau in den USA steht der<br />
Ausbau der Fertigung in dem preisgünstigeren Mexiko gegenüber,<br />
sowie die wachsende Fertigung in Brasilien zur Befriedigung der dort<br />
ansteigenden Nachfrage. In Summe wird die automobile Fertigung in<br />
Amerika auf ihrem bereits Mitte der Neunziger Jahre erreichten<br />
Niveau stagnieren.<br />
In <strong>Europa</strong> wird die Automobilproduktion bis zum Jahr 2015 ein<br />
moderates Wachstum von 36 % verzeichnen können, aber nicht an<br />
den etablierten westeuropäischen Standorten, sondern vor allem in<br />
den neuen EU-Beitrittsländern und dem fernen Osteuropa.<br />
Der eigentliche Produktionszuwachs in der <strong>Automobilindustrie</strong> findet<br />
seit dem Jahr 2000 fast ausschliesslich in Asien statt und wird dort<br />
auch weiterhin zulegen können, vor allem in China, und Indien. Im<br />
Jahr 2015 werden rund 38 Mio. Fahrzeuge in Asien produziert<br />
werden, 8 Mio. mehr als 2008 und mehr als doppelt soviel wie im<br />
Jahr 2000. Somit wird 2015 knapp die Hälfte aller Neuwagen der Welt<br />
aus asiatischer Produktion stammen.<br />
84
45<br />
40<br />
Kfz-Produktion weltweit<br />
1995/2015<br />
+138%<br />
Millionen Einheiten<br />
35<br />
30<br />
25<br />
20<br />
15<br />
10<br />
5<br />
17<br />
17<br />
19 20<br />
20<br />
16 17<br />
17<br />
30<br />
1995/<br />
2015<br />
+36%<br />
23<br />
1995/<br />
2015<br />
+14%<br />
19<br />
38<br />
0<br />
Quelle: VDA<br />
1995 2000 2008 2015*<br />
<strong>Europa</strong> (West und Ost) Amerika (Nord und Süd) Asien<br />
* Prognose<br />
Abbildung 4-1: Kfz-Produktion weltweit<br />
In Westeuropa, und speziell am Standort Deutschland, hat die<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> ein erhebliches Kostenproblem, das die preisliche<br />
Wettbewerbsfähigkeit bei Null-Acht-Fünfzehn-Automobilen vor allem<br />
gegenüber den asiatischen Herstellern stark belastet. Die Thematik<br />
der hohen Lohn- und Fertigungskosten sowie der mangelnden<br />
Flexibilität des Faktors Arbeit ist nicht neu, aber mit der<br />
fortschreitenden Globalisierung immer wichtiger geworden.<br />
Schliesslich entstanden mit dem Fall des Eisernen Vorhangs quasi<br />
über Nacht in Osteuropa, vor der Haustür der entwickelten<br />
Industrieländern, potentielle Produktionsstandorte in<br />
Billiglohnländern, die in der Mehrzahl der Fälle eine problemlose<br />
Belieferung der westeuropäischen Märkte binnen Tagesfrist<br />
ermöglichten.<br />
Dass Lohnkosten nicht alles sind beweist die Stellung der deutschen<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> im Export, schliesslich gingen gut 75% der im Jahr<br />
2008 in Deutschland produzierten Fahrzeuge in den Export. Faktoren<br />
wie Produktqualität und -zuverlässigkeit, Innovationsfähigkeit,<br />
Kundenservice, Liefertreue, Systemsicherheit, Umweltverträglichkeit<br />
etc. zeichnen speziell den Standort Deutschland, aber auch ganz<br />
Westeuropa aus und haben es bislang ermöglicht, die zweifellos<br />
hohen Kosten der Fertigung in dieser Region zu kompensieren –<br />
nicht zurechtfertigen. Kurz- und mittelfristig ist eine nachhaltige<br />
Gefährdung des Produktionsstandortes Deutschlands oder der<br />
Schweiz für die <strong>Automobilindustrie</strong> auszuschliessen. Die<br />
Bindungskraft der hier vorhandenen Automobil-Cluster ist zu stark,<br />
um auch durch extreme Lohnkostenunterschiede ausgehebelt zu<br />
werden. Zudem hat die Kostenschere zwischen Ost und West bereits<br />
längst begonnen sich zu schliessen (Lohnzurückhaltung im Westen<br />
und teilweise deutliche Lohnsteigerungen in den osteuropäischen<br />
EU-Beitrittsländern), auch wenn es noch sicherlich mehr als ein<br />
Jahrzehnt dauern wird, bis sie tariflich geschlossen sein wird.<br />
Allerdings flüchtet sich speziell die deutsche <strong>Automobilindustrie</strong> dabei<br />
zunehmend in den Premiumsektor, wo die hohen Lohnkosten leichter<br />
85
zu tragen sind. Mittlerweile sind bereits knapp 60% aller in<br />
Deutschland produzierten Fahrzeuge dem Premiumsegment<br />
zuzurechnen, die einfachen Massenfahrzeuge werden zunehmend<br />
woanders hergestellt.<br />
Diese Strategie gleicht dem Ritt auf dem Tiger – die globale<br />
Weltwirtschaftskrise hat die Fragilität einer solch einseitigen<br />
Produktionsausrichtung brutal deutlich gemacht. Die grössten<br />
Absatzeinbrüche hatten 2009 gerade die deutschen Premium-<br />
Hersteller zu verzeichnen.<br />
120%<br />
Deutschland als Standort für die Produktion von<br />
Premiumfahrzeugen<br />
100%<br />
80%<br />
60%<br />
40%<br />
20%<br />
48,8 %<br />
58,7 % 57,5 %<br />
0%<br />
Quelle: R. L. Polk Germany<br />
1998 2006 2008<br />
Audi BMW Mercedes Porsche VW Premium Sonstige<br />
Abbildung 4-2: Deutschland als Premium-Standort<br />
Deutschland und auch die anderen westeuropäischen<br />
Automobilstandorte sind in der Entwicklung und technologisch<br />
weiterhin führend und werden dies aufgrund der jahrzehntelang<br />
gewachsenen Cluster auch weiterhin sein. Aber insgesamt hat die<br />
westeuropäische <strong>Automobilindustrie</strong> ihren Produktions- und<br />
Beschäftigungszenit eindeutig überschritten. Stilllegung von<br />
Kapazitäten und drastischer Beschäftigungsabbau bei<br />
traditionsreichen westeuropäischen Automobilherstellern (wie z.B.<br />
Opel), ebenso wie eine schleichende Produktionsverlagerung oder<br />
der Aufbau neuer Kapazitäten in Osteuropa lassen erkennen, dass<br />
zunächst die Zulieferindustrie aber auch die Hersteller in Teilen den<br />
Standort Westeuropa schleichend verlassen. Alle westeuropäischen<br />
Volumenhersteller haben in den vergangenen Jahren Werke in den<br />
osteuropäischen EU-Beitrittsländern bzw. dem weiteren Osteuropa<br />
aufgebaut, in denen sie meist ihre Klein- und Kompaktwagenmodelle<br />
für den westeuropäischen Markt produzieren.<br />
Die lohnintensiven, nicht technologiegetriebenen und<br />
clustergebundenen Fertigungen wandern aus Wettbewerbs- und<br />
Kostengründen nach und nach allesamt in Niedriglohnstandorte ab –<br />
oder sind schon da. Dies geht eindeutig zulasten der Beschäftigung<br />
am Standort Westeuropa. Alle Zulieferunternehmen, die lohnintensive<br />
86
Einzelteile herstellen und nicht notwendigerweise integrierter<br />
Bestandteil eines Wertschöpfungs-Clusters sind, werden – soweit sie<br />
es nicht schon getan haben – die Fertigung nach Osteuropa und/oder<br />
China verlagern. Systemlieferanten, die im unmittelbaren<br />
Fertigungsverbund mit den OEMs an deren westeuropäischen<br />
Standorten arbeiten, bleiben hier. Modul- und Einzelteillieferanten<br />
wandern ab, soweit Aspekte der Liefersicherheit und Höhe der<br />
Transportkosten dem nicht entgegenstehen. Sind Lieferanten zu klein<br />
und kapitalschwach, um die Produktionsverlagerung zu<br />
bewerkstelligen, werden sie in der Regel von grösseren<br />
Wettbewerbern übernommen oder scheiden ganz aus dem Markt<br />
aus. Vor allem Finanzinvestoren tun sich beim „Zulieferer-Picking“<br />
besonders hervor – was dann zumeist mit dem Exit des betreffenden<br />
Unternehmens endet.<br />
Bis zum Jahr 2007 lag die Pkw-Produktion in Westeuropa konstant<br />
bei rund 16 Mio. Fahrzeugen, ein Rückgang in der Produktion war<br />
also nicht zu verzeichnen, während in den neuen EU-Beitrittsländern<br />
die Produktion auf knapp 3 Mio. Einheiten anstieg. Die aktuelle Krise<br />
trifft jetzt aber vor allem den Standort Westeuropa, hier sinkt 2009 die<br />
Produktion auf voraussichtlich nur noch 12 Mio. Einheiten und wird<br />
auch in den kommenden Jahren das frühere Niveau nicht mehr<br />
wieder erreichen können. In Osteuropa ist dagegen aktuell kein<br />
Rückgang der Produktion zu bemerken, hier profitiert man von der<br />
strukturellen Nachfrageverlagerung hin zu kleinen, sparsamen Autos,<br />
die aufgrund des hohen Kostendrucks vor allem in Osteuropa<br />
produziert werden. Bis zum Jahr 2012 wird der Anteil der neuen EU-<br />
Beitrittsländer an der gesamten Pkw-Produktion in <strong>Europa</strong> auf über<br />
20%, bzw. 3,5 Mio. Stück weiter ansteigen.<br />
20<br />
18<br />
16<br />
14<br />
Pkw / Light Vehicle Produktion in der EU<br />
Mio. Stück<br />
12<br />
10<br />
8<br />
6<br />
4<br />
2<br />
0<br />
2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012<br />
Westeuropa<br />
Neue Beitrittsländer<br />
Quelle: PwC Automotive Institute 2009 Q2 Data Release<br />
Abbildung 4-3: Pkw-Produktion in Westeuropa und den EU-Beitrittsländern bis<br />
2012<br />
In den neuen EU-Beitrittsländern, angeführt von der Slowakei,<br />
Tschechien und Polen, sind die ersten Automobilcluster schon weit<br />
fortgeschritten. (siehe Tabelle 1 im Anhang) Die Belieferung des<br />
87
westeuropäischen Absatzmarktes aus dieser Ländern, vor allem<br />
durch japanische und koreanische, aber auch französische und<br />
italienische Hersteller wird weiter zunehmen, auch durch deutsche<br />
Hersteller, wie Opel und Volkswagen (Skoda), ist voll im Gange und<br />
sehr erfolgreich. Die Ansiedlung mehrerer OEM in einer Region<br />
macht diese automatisch besonders attraktiv als möglicher neuer<br />
Standort für die Zulieferunternehmen.<br />
Das zukünftige Wachstum in Osteuropa wird vor allem in Rumänien<br />
(Renault/Dacia und Ford), sowie der Slowakei (VW/Skoda, PSA,<br />
Hyundai) stattfinden, in geringerem Umfang auch in der<br />
tschechischen Republik (PSA, Toyota, Hyundai). Der Trend ist<br />
allerdings nicht einheitlich, andere osteuropäische EU-Staaten, wie<br />
Polen, Ungarn oder Slowenien werden in den kommenden Jahren<br />
eher einen Produktionsrückgang verzeichnen. Hier sind neben<br />
schlechteren wirtschaftlichen Rahmenbedingungen (Wechselkurs,<br />
Lohnniveau) vor allem herstellerspezifische Gründe verantwortlich,<br />
beispielsweise bei GM/Chevrolet in Polen. Von dem strukturellen<br />
Trend zum Kleinwagen wird dagegen in Westeuropa auch Italien<br />
profitieren können, wo der heimische Hersteller Fiat seine Produktion<br />
bis 2012 leicht steigern können wird. Dies dient allerdings alles nur<br />
dem Erhalt der vorhandenen Produktion am Standort,<br />
Kapazitätserweiterungen werden nichtsdestotrotz in Osteuropa<br />
errichtet werden. Die Verlierer in Westeuropa werden vor allem die<br />
Länder sein, die keine nationalen Hersteller mehr haben<br />
(Grossbritannien, Spanien) oder als frühere europäische<br />
Niedriglohnländer nun von Osteuropa abgelöst wurden (Portugal).<br />
Produktionsveränderungen in der EU 2012 vs. 2008<br />
Rumänien<br />
Slowakei<br />
Italien<br />
Tschech. Republik<br />
Frankreich<br />
Deutschland<br />
Österreich<br />
Portugal<br />
Polen<br />
Slowenien<br />
Spanien<br />
Großbritanien<br />
-350 -250 -150 -50 50 150 250 350<br />
Tausend Stück<br />
Quelle: PwC Automotive Institute 2009 Q2 Data Release<br />
Abbildung 4-4: Produktionswachstum in der EU nach Ländern<br />
Auch im weiter entfernten Osteuropa bauen die grossen<br />
Automobilhersteller Produktionsstätten auf und aus. Hier steht im<br />
88
Gegensatz zu den osteuropäischen EU-Ländern nicht die Bedienung<br />
der westeuropäischen Nachfrage im Vordergrund, vielmehr wird hier<br />
für den osteuropäischen Markt selbst, allen voran den grossen<br />
Wachstumsmarkt Russland produziert. Vor allem in Russland, aber<br />
auch in der benachbarten Ukraine haben sich einige regionale<br />
Automobil-Cluster gebildet, bzw. wurden alte Strukturen aus der<br />
Sowjet-Zeit übernommen. So sind in Russland mehrere Hersteller<br />
rund um die Städte Kaliningrad, Moskau, St. Petersburg, Perm und<br />
Samara angesiedelt, in der Ukraine hat sich der zentral-östliche Teil<br />
als attraktiver Automobilstandort etabliert (siehe Tabelle 2 im<br />
Anhang). Zusammen mit den Zulieferern, die ihre OEM-Kunden an<br />
deren Produktionsorte begleiten, bilden sich in diesen Regionen<br />
regionale Automobil-Cluster, die allerdings nur der Fertigung dienen<br />
und für die hoch komplexen westeuropäischen Cluster aus<br />
Forschung, Entwicklung und anspruchsvoller Produktion keine<br />
Konkurrenz darstellen können. Ähnlich ist die Situation in der Türkei,<br />
wo ebenfalls ein Produktionsausbau stattfindet, teilweise für den<br />
Export nach Westeuropa, aber ebenso für die Belieferung der<br />
osteuropäischen, zentralasiatischen und nordafrikanischen<br />
Randmärkte.<br />
Für 2009 und 2010 planen die grossen Automobilhersteller jährlich<br />
rund 2 Mio. Autos in Osteuropa ausserhalb der EU (inkl. Türkei) zu<br />
produzieren (siehe Tabelle 9). Für 2011 beträgt die geplante Menge<br />
rund 2,9 Mio. Fahrzeuge und ein weiteres Wachstum gilt als sicher.<br />
Tabelle 9: Geplante Produktion in Tsd. Stück in Osteuropa nach Hersteller<br />
Produktion in Tsd. Stück<br />
Hersteller 2009 2010 2011<br />
Toyota 112,2 142,7 237,8<br />
GM 301,2 383,5 482,9<br />
Renault- 965,2 992,4 1.266,7<br />
Nissan<br />
VW 121,3 121,8 192,5<br />
Ford 258,3 264,9 283,1<br />
Hyundai 224,4 200,7 334,5<br />
Honda 33,4 32,5 70,8<br />
Suzuki 11,2 22,6<br />
BMW 3,7 3,9 5,2<br />
Summe 2.019,7 1.973,6 2.896,1<br />
Quelle: PwC Automotive Institute 2009 Q2 Data Release<br />
Eine Gefahr für den Automobilstandort Westeuropa ergibt sich daraus<br />
nicht zwangsläufig. Kritisch wird es erst, wenn der eigentliche Kern<br />
der Automobilproduktion – Endmontage nebst Entwicklung – zu<br />
nennenswerten Teilen aus den westeuropäischen Hochlohnländern<br />
abgezogen würde. Das heisst, wenn die OEMs ihre<br />
westeuropäischen Werke sukzessive ausdünnen und letztendlich<br />
89
ganz schliessen würden. Dies würde dann automatisch auch die<br />
grösseren 1st-tier als Modul- und Systemlieferanten zur<br />
Abwanderung zwingen. Solange die OEMs mit wesentlichen<br />
Funktionen „der realen Welt“ – Produktion und Entwicklung – (noch)<br />
am Standort Westeuropa bleiben, solange bleibt auch ein<br />
nennenswerter Teil der Zulieferindustrie in dieser Wirtschaftsregion<br />
erhalten.<br />
Dreh und Angelpunkt ist daher die Wettbewerbs- und Ertragslage bei<br />
den OEMs selbst, die Endabnehmer bestimmen den Takt! Sie sind<br />
die Achillesferse in der Stabilität des Produktionsstandortes<br />
Westeuropa, nicht die Zulieferindustrie. Die deutschen und<br />
westeuropäischen Hersteller stehen unisono unter erheblichem<br />
Wettbewerbs- und Kostendruck. Die seit einigen Jahren bei allen<br />
westeuropäischen Herstellern durchgesetzten massiven<br />
Kostensenkungs- und Restrukturierungsprogramme lassen hohes<br />
Erkenntnisniveau und erheblichen Handlungsbedarf zur Sicherung<br />
der internationalen Wettbewerbsfähigkeit bzw. der schieren Existenz<br />
erkennen. Langfristig wird der Standort Westeuropa beibehalten –<br />
allerdings werden hier ausschliesslich hochkomplizierte<br />
Technologien, deren Produktion automatisiert werden kann,<br />
hergestellt. Ausserdem wird die Forschung und Entwicklung<br />
hauptsächlich in den entwickelten Industrieländern stattfinden. Die<br />
Zulieferer, die eng mit den OEMs arbeiten und direkt an diese liefern<br />
werden auch ihre Standorte in Westeuropa behalten. In den neuen<br />
EU-Beitrittsländern und Osteuropa werden Standorte hauptsächlich<br />
zur Erweiterung der Produktion und Erschliessung der neuen Märkte<br />
aufgebaut.<br />
4.3. Veränderte Anforderungen an Hersteller und Zulieferer<br />
Aufgrund der krisenhaften Zuspitzung der weltwirtschaftlichen<br />
Rahmenbedingungen ist Automobilabsatz im Ende 2008, Anfang<br />
2009 in beinahe allen Regionen der Welt in atemberaubendem<br />
Tempo eingebrochen. In USA werden Werke dauerhaft stillgelegt, In<br />
<strong>Europa</strong>, allen voran Deutschland, wurde die Fertigung bei allen<br />
Automobilherstellern durch verlängerte Werksferien und Kurzarbeit<br />
für Wochen gestoppt. Im laufenden Jahr werden deutlich weniger<br />
Autos weltweit die Produktionsbänder verlassen. In <strong>Europa</strong> wird mit<br />
Rückgängen um bis zu 20% auf 12 – 13 Millionen gerechnet, in den<br />
USA dürfte die Situation noch dramatischer ausfallen – die letzten<br />
Schätzungen liegen bei nur noch 10 Millionen Neuzulassungen nach<br />
15 Millionen im Vorjahr. Auch die ehemaligen Wachstumsmärkte in<br />
den BRIC-Staaten legen momentan ebenfalls mindestens eine<br />
Verschnaufpause ein, China weitgehend ausgeklammert. Weltweit<br />
liegen die Produktionsschätzungen für 2009 bei rund 53 Millionen,<br />
d.h. etwa 20% weniger als 2008 (65 Millionen).<br />
90
Vor allem die Zulieferindustrie ist durch entsprechend niedrigere<br />
Stückzahlabrufe der Hersteller massiv betroffen. Für die deutschen<br />
Automobilhersteller und ihre Zulieferer stellt diese Situation die<br />
grösste Herausforderung seit der Krise 1993 dar, aber nicht nur für<br />
sie, auch für den Rest der Wirtschaft.<br />
Und dennoch gibt es auch positive Nachrichten zu vermelden, denn<br />
mittel- und erst recht langfristig bleibt die <strong>Automobilindustrie</strong> eine<br />
Wachstumsbranche. Nach einer weltwirtschaftlichen<br />
Rezessionsphase, von der auch Experten nicht ganz genau wissen,<br />
wie lange sie anhalten wird, wird eine vom Ersatzbedarf angetriebene<br />
Nachfragewelle erheblichen Ausmasses auf die Branche zukommen.<br />
Kurz: Auf den Rezessions-Tsunami folgt mit grosser<br />
Wahrscheinlichkeit der Boom-Tsunamie – das war in allen fünf<br />
Nachkriegszyklen der Automobilkonjunktur so. Denn der weltweite<br />
Bestand an Automobilen in Höhe von derzeit rund 700 Millionen Pkw<br />
und über 900 Millionen Fahrzeugen insgesamt muss irgendwann<br />
erneuert werden. Dies kann sukzessive geschehen oder im Falle der<br />
sich abzeichnenden technologischen Revolution im Fahrzeugantrieb<br />
auch sehr plötzlich.<br />
Zusätzlich besteht weltweit weiterhin ein hohes Mobilitätsbedürfnis,<br />
das noch lange nicht befriedigt ist. Viele der Wachstumsländer<br />
weisen eine steigende Bevölkerung auf (z.B. Indien), sodass die<br />
Absatzmärkte dort selbst dann weiter anwachsen, wenn die Pkw-<br />
Dichte in diesen Ländern weiterhin auf dem heutigen niedrigen<br />
Niveau bleibt. Mittelfristig ist aber mit einer steigenden Mobilität und<br />
damit einem überproportional starken Wachstum der<br />
Fahrzeugnachfrage zu rechnen.<br />
Ein kritischer Faktor für die <strong>Automobilindustrie</strong>, der im Moment<br />
allerdings gerade etwas an Schärfe verloren hat, ist der Energiepreis.<br />
Ein entsprechendes Umdenken hat in vielen Bereichen der Industrie<br />
leider zu spät eingesetzt, aber gerade in den deutschen<br />
Unternehmen der Branche wird nun umso intensiver in dem Bereich<br />
der Energieeinsparung geforscht. Dies wird der wichtigste<br />
technologische Treiber in der <strong>Automobilindustrie</strong> für die nächsten<br />
Jahrzehnte sein. Die auf fossilen Brennstoffen beruhende Energie ist<br />
weltweit knapp (Peak-Oil ist nach Expertenmeinung bereits<br />
überschritten oder sehr nahe) und die Umweltbelastung durch fossile<br />
Verbrennung kann nicht mehr wie bisher stattfinden. Die globale<br />
Klimaerwärmung, mit absehbar grösseren und immer heftiger<br />
werdenden Naturkatastrophen werden diese Erkenntnis<br />
beschleunigen.<br />
Die technologische Antwort der <strong>Automobilindustrie</strong> auf dieses<br />
Problem ist aller Voraussicht nach die Elektrifizierung des Antriebs.<br />
Das reine Elektroauto wird allerdings in absehbarer Zeit (nächste 10<br />
– 15 Jahre) nicht für den Massenmarkt reif sein, dazu ist die Batterie-<br />
Technik noch zu teuer und zu wenig ausgereift. Stattdessen wird eine<br />
91
Optimierung der vorhandenen Verbrennungsmotoren stattfinden, die<br />
durch Micro- und Mild-Hybride unterstützt werden. Für die Hersteller<br />
und Zulieferindustrie bedeutet das, einerseits die technologische<br />
Weiterentwicklung der bestehenden Produkte weiter voranzutreiben<br />
und andererseits auf die zunehmende Elektrifizierung der Branche<br />
vorbereitet zu sein. Diese findet nicht nur im Antriebsbereich statt,<br />
sondern auch in Sicherheitskonzepten und im Komfortbereich wird<br />
das Automobil immer stärker von der Elektronik getrieben.<br />
Durch den strukturellen Rückzug der OEMs aus immer mehr<br />
Bereichen der Wertschöpfung findet auch in Zukunft ein vermehrtes<br />
Outsourcing von Fertigungs- und Entwicklungsleistungen der<br />
Hersteller an die Zulieferer statt. Aktuelle Insourcing-Tendenzen der<br />
OEMs sind nur temporär und sollen der Auslastung ihrer eigenen<br />
Kapazitäten dienen, eine strukturelle Trendwende ist dies aber nicht.<br />
Für die Zulieferer und Entwicklungsdienstleister schlägt sich die<br />
langfristige strukturelle Entwicklung in den folgenden wesentlichen<br />
Herausforderungen nieder:<br />
Entwicklung von qualitativ hochwertigen und vor allem<br />
innovativen Produkten<br />
Beherrschung der Anforderungen an eine moderne<br />
Produktionsflexibilität und perfekte Einbindung in den<br />
Wertschöpfungsprozess der Kunden<br />
Sicherstellung des Potenzials für deutliches Volumenwachstum<br />
<br />
Bereitschaft zur Übernahme neuer Geschäftsfelder in der<br />
Wertschöpfungskette<br />
Bildung von Entwicklungs- und Produktions-Kooperationen<br />
(„Cluster“) zur Gewinnung von Synergie-Effekten.<br />
Für die <strong>Automobilindustrie</strong> und speziell für die Zulieferunternehmen<br />
der Branche bestehen also mittel- und langfristig hervorragende<br />
Wachstumspotenziale, wenn es ihnen gelingt, die aktuelle<br />
Schwächephase zu überstehen.<br />
92
5. Zusammenfassung und Fazit der künftigen Entwicklungen in<br />
der europäischen <strong>Automobilindustrie</strong><br />
Die <strong>Automobilindustrie</strong> steht am Beginn des 21. Jahrhunderts vor der<br />
grössten Herausforderung seit ihren Anfängen. Der Siegeszug des<br />
Automobils und seiner Branche wird erstmals seit 100 Jahren von<br />
Ökonomen sowie Umwelt- und Gesellschaftsanalysten nicht ohne<br />
wachsende Zweifel in die Zukunft fortgesetzt. Ironie der Geschichte:<br />
Das Automobil droht an seinem eigenen Erfolg zugrunde zu gehen.<br />
Dabei wird von Kritikern nicht das Bedürfnis der Menschen nach<br />
individueller Mobilität in Frage gestellt: Seit Ardi und Lucy 11 Ostafrika<br />
verliessen, um sich die Erde untertan zu machen, hat sich daran<br />
wenig geändert! Das Mobilitätsbedürfnis wird mit wachsender<br />
Weltbevölkerung und Erschliessung neuer Mobilitätspotentiale sogar<br />
weiter überproportional zunehmen. Und damit wächst auch der<br />
Weltautomobilbestand, der heute rund 900 Millionen Fahrzeuge<br />
beträgt.<br />
Als Konsequenz auf die in dieser Studie dargestellten erkennbaren<br />
Zukunftstrends bei wichtigen Rahmenbedingungen, muss die<br />
westeuropäische <strong>Automobilindustrie</strong> in den nächsten Jahrzehnten mit<br />
folgenden Herausforderungen fertig werden:<br />
1. Ökologie und limitierte Ressourcenverfügbarkeit verlangen<br />
nach neuen Antriebstechnologien: Neue Autos braucht die<br />
Welt, will sie nach 2050 immer noch Auto fahren!<br />
2. Die Globalisierung erzwingt eine strukturelle Veränderung der<br />
internationalen Arbeitsteilung in der Branche.<br />
3. Gesättigte Märkte erfordern eine Neu-Justierung der<br />
bisherigen Wachstumsphilosophie der Nachkriegszeit.<br />
(1) Im Mittelpunkt der Zukunftskritik steht zunächst das Produkt selbst<br />
– das Automobil in seiner jetzigen Auslegung. Es verbraucht zu viel<br />
fossile Energierohstoffe, die nur noch begrenzt zur Verfügung stehen,<br />
und trägt mit 26% erheblich zu den CO 2 - Gesamtemissionen der EU,<br />
und damit natürlich auch zur globalen Erderwärmung bei.<br />
Schlussfolgerung: Die herkömmliche Verbrennungstechnologie, mit<br />
der die Weltautomobilflotte heute und auf absehbare Zeit noch<br />
angetrieben wird, ist technologisch wie ökologisch überholt und hat<br />
keine Zukunftschancen. Kurz: Etwas Neues muss her, eine neue,<br />
innovative Antriebstechnologie, sei es Wasserstoff, Brennstoffzelle<br />
oder Hybrid- und Elektroantrieb in jedweder Form.<br />
(2) Des Weiteren aber wird vor allem die Zukunft der Hersteller sowie<br />
der beteiligten Unternehmen der vor- und nachgelagerten<br />
Wertschöpfungsstufe, wie Zulieferer und Handelsunternehmen, in<br />
11 Die ältesten bekannten Funde menschlicher Vorfahren.<br />
93
den industriell hoch entwickelten Industriestaaten zunehmend kritisch<br />
gesehen. Fakt ist, dass sich die industrielle Grossfertigung<br />
hinsichtlich einer Neuordnung der globalen industriellen Arbeitsteilung<br />
zunehmend aus den westlichen, teuren Standorten der nördlichen<br />
Halbkugel in den bevölkerungsreichen süd-östlichen Teil des Globus<br />
verlagert. Dort ist das Kapital in der Regel knapp, Arbeit hingegen<br />
(noch) reichlich und billig verfügbar. Die technologisch wenig<br />
komplexen und arbeitsintensiven Vorprodukte werden dort bereits<br />
heute auch für den westlichen Markt hergestellt, zusätzlich wird auch<br />
die Fahrzeugproduktion in diesen Ländern zunehmen, um die<br />
wachsende Nachfrage vor Ort zu bedienen.<br />
(3) Die dritte grosse Herausforderung, gerade für die europäischen<br />
Automobilhersteller stellt die Sättigung ihrer angestammten<br />
Hauptabsatzmärkte dar. Der Wachstumsprozess geht hier zu Ende.<br />
Und gleichzeitig stehen die Wachstumsmärkte in den Emerging<br />
Countries der BRIC-Staaten für Wachstumskompensation nicht mehr<br />
zur Verfügung, da mit wachsender Marktgrösse die Eigenproduktion<br />
vor Ort immer rentabler wird. Die Folge ist ein gnadenloser<br />
Verdrängungswettbewerb auf allen automobilen<br />
Wertschöpfungsstufen bis hin zum Handel. Davon sind alle<br />
Industriestaaten mit <strong>Automobilindustrie</strong> betroffen. In Deutschland<br />
lieferte dazu im Herbst 2009 die so genannte „Rettung“ von Opel<br />
durch die Bundesregierung ein düsteres Beispiel.<br />
Kurz: Weltwirtschafts- und Finanzkrise 2008/2009 hin oder her: Die<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> als Rückgrat und Paradebranche der westlichen<br />
Industriestaaten steht gegenwärtig nicht vor ursächlich<br />
konjunkturellen, sondern strukturellen Herausforderungen von bislang<br />
nicht gekanntem Ausmass.<br />
Die vorliegende Studie soll dazu beitragen, die Problemfelder zu<br />
analysieren und Lösungsmöglichkeiten aufzuzeigen.<br />
5.1. Handlungsfelder für Europäische Firmen<br />
Würde man aus dem Orbit einen Blick auf die gegenwärtige<br />
Industriestruktur der Welt 12 und die heutige industrielle Arbeitsteilung<br />
zwischen Kontinenten und Ländern werfen, käme man zu folgender<br />
groben Struktureinteilung:<br />
<br />
<br />
Fabrik (Massenproduktion): Asien, Schwellenländer<br />
Boutique (tailored by…): <strong>Europa</strong><br />
12 Der Primärsektor als Lieferant von Rohstoffen, Energie und<br />
landwirtschaftlichen Erzeugnissen wird aus dieser Betrachtung<br />
ausgeklammert, da die Aktivitäten auf diesen Feldern stochastisch über den<br />
Globus und auf Volkswirtschaften verteilt sind.<br />
94
Service, Wissenschaft (Hightech): USA<br />
Legt man dieses Grobschema den künftigen Entwicklungstrends der<br />
europäischen <strong>Automobilindustrie</strong> zugrunde, so ergeben sich folgende<br />
Ableitungen:<br />
- Alle Produkte und Produktionsprozesse, die relativ einfach<br />
sind und einen hohen Lohnanteil bei geringer Kapitalintensität<br />
aufweisen, wandern aus dem teuren Westeuropa ab in die<br />
bevölkerungsreichen und billigen Regionen der Emerging<br />
Countries im Nahen und Fernen Osten sowie im Süden. Der<br />
Radius der Abwanderung reicht so weit, wie der Vorteil<br />
niedriger Lohnskosten in der Produktion grösser ist als der<br />
Nachteil, der durch die Logistik zunehmender Transportkosten<br />
und Verarbeitungsferne entsteht.<br />
- Das gilt auch für alle Produkte und Produktionsprozesse, die<br />
unabhängig von ihrer Lohnkostenintensität im unmittelbaren<br />
regionalen oder technologisch / wissenschaftlichen<br />
Wertschöpfungsverbund mit einem OEM erbracht werden<br />
müssen, wie beispielsweise infolge von Just in time (JIT) oder<br />
Just in Sequence (JIS) Produktionen. Auch für Unternehmen,<br />
die zur Leistungserbringung auf einen unmittelbaren Kontakt<br />
mit einem Automobilcluster angewiesen sind, ist das gültig.<br />
- Innovative und hochkomplexe Produkte und<br />
Produktionsprozesse, deren Erstellung in der Regel eine enge<br />
Zusammenarbeit zwischen OEM, Hochschule und Zulieferer<br />
voraussetzen, sind zur Verlagerung aus Kostengründen nicht<br />
geeignet. Sie sind und bleiben die Domäne der<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> in den hoch entwickelten Industrieländern.<br />
Legt man dieses Schema einer künftigen Arbeitsteilung in der<br />
Weltautomobilindustrie zugrunde, so kommt die westeuropäische<br />
<strong>Automobilindustrie</strong>, und vor allem jene im deutschsprachigen Raum<br />
(Deutschland, Schweiz, Österreich) vergleichsweise günstig weg.<br />
Die Gründe dafür sind:<br />
- Der Prozess der Abwanderung bzw. Verlagerung von<br />
einfachen und lohnintensiven Produkten aus der automobilen<br />
Wertschöpfungskette hat bereits weitgehend stattgefunden<br />
und ist als nahezu abgeschlossen zu betrachten. Zwar<br />
werden auch heute und in Zukunft von OEMs und Zulieferern<br />
aus der westlichen Region weiterhin Produktionen in die<br />
Schwellenländer und nach Osten verlagert. Allerdings wandelt<br />
sich die Motivation solcher „Standortarbitrage-Investitionen“:<br />
An die Stelle reiner Kostengründen tritt zunehmend der<br />
Aspekt der lokalen und regionalen Markterschliessung für die<br />
wachsenden Märkte vor Ort, wie in den BRIC-Staaten.<br />
Unabhängig davon geht der Prozess der Standortoptimierung<br />
95
westlicher Investoren aus der Automobilzulieferindustrie unter<br />
Kostengesichtspunkten innerhalb der Emerging Countries<br />
unvermindert weiter: Aus dem unmittelbaren<br />
Erfahrungsumfeld des IWK sind Zulieferunternehmen<br />
bekannt, die ihre Fertigungen aus Bayern zunächst nach<br />
Ungarn, von Ungarn nach Malta, von Malta nach China und<br />
inzwischen von China nach Vietnam verlagert haben<br />
(„Investitions-Nomaden“).<br />
- Die Faszination des Automobils als High-Tech Produkt beruht<br />
auf dem Zusammenspiel von drei Technologie-Treibern:<br />
o Das Produkt Automobil als Ergebnis eines seit über<br />
100 Jahren anhaltenden kontinuierlichen Stroms<br />
technologischer Innovationen<br />
o<br />
Der Produktionsprozess, dessen stetige innovative<br />
Weiterentwicklung zu unentwegten innovativen<br />
Rückkopplungen auf das Produkt Automobil führen<br />
o Die Einführung der IT im Produkt und in der Steuerung<br />
des Produktionsprozesses, die ein weites Spektrum<br />
von Individualisierungsmöglichkeiten im Automobil und<br />
innovative Prozesssteuerung ermöglichen<br />
Waren in den letzen 100 Jahren Marktumfeld und Wettbewerb die<br />
Treiber von Innovationen, so treten in Zeiten der globalen<br />
Umweltkrise und sich erschöpfender Rohstoffreserven staatliche<br />
Vorgaben und Reglementierungen als Innovationspeitsche für die<br />
Unternehmen hinzu.<br />
Gerade der unaufhörliche Drang und Zwang zu innovativen Lösungen<br />
im Produkt wie im Produktionsprozess haben bisher und werden<br />
auch in Zukunft darauf hinwirken, dass der Lebenszyklus des<br />
Automobils als Industriegut unentwegt verlängert wird. Die<br />
Erfolgsgeschichte des Automobils geht also weiter, auch wenn sich<br />
die ökonomischen und ökologischen Rahmenbedingungen seiner<br />
Produktion und Nutzung dramatisch ändern werden. Das heisst<br />
nichts anderes, als dass sich das Produkt Automobil erheblich ändern<br />
muss. Das gilt auch für seine Erfinder und Produzenten, sowie für die<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> selbst.<br />
Genau dies ist die Herausforderung, vor der die Automobilbranche<br />
heute weltweit steht. Und es ist absehbar, dass am besten die<br />
Automobilunternehmen mit dieser Herausforderung fertig werden, die<br />
seit 100 Jahren im engen Innovations-, Forschungs- und<br />
Produktionsverbund stehen. Automobile bauen, Fabriken,<br />
Fliessbänder und ausgeklügelte Produktionssysteme hochziehen und<br />
transferieren kann man heute nahezu überall auf der Welt,<br />
vorausgesetzt, eine kontinuierliche, störungsfreie Energieversorgung<br />
96
für Maschinen und Computer ist gesichert. Das Know-How dazu ist<br />
kopierbar, erlernbar, übertragbar.<br />
Jedoch sind Regionen, in denen tief verwurzelte, breit vernetzte<br />
automobile Cluster und die Grundlage jahrzehntelanger geübter und<br />
kultivierter Kenntnisse im Automobilbau bestehen, die<br />
Voraussetzung, um Automobile und die dazugehörigen<br />
Produktionsprozesse innovativ zu entwickeln und an die<br />
Erfordernisse der Zukunft anzupassen.<br />
Und das sind vor allem die Regionen West- und Mitteleuropa. Es gibt<br />
keine Region auf der Welt, wo auf einer Fläche von rund 500.000 km²<br />
mehr automobiles und industrielles KnowHow konzentriert ist als in<br />
Westeuropa, und hier insbesondere in den Ländern, wo das<br />
Automobil erfunden worden ist.<br />
Innovationen und Wissen, Kreativität und Motivation, Zähigkeit und<br />
Geduld sind die Schlüssel für eine weiter erfolgreiche Zukunft der<br />
europäischen <strong>Automobilindustrie</strong> – Hersteller wie Zulieferer.<br />
5.2. Handlungsfelder für (teil)staatliche und private Institutionen zur<br />
Unterstützung der <strong>Automobilindustrie</strong><br />
Die Schweiz mit ihrer gewachsenen industriellen Hochkultur ist<br />
konstituierender Bestandteil der europäischen Automobilgeschichte.<br />
Wie die swiss CAR Studie der ETH Zürich über die<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> Schweiz (Branchenanalyse 2008) belegt, ist der<br />
Anteil der automobilen Wertschöpfung am Schweizer BIP mit 16 Mrd.<br />
CHF (3%) auch ohne Existenz grösserer schweizer OEMs durchaus<br />
bemerkenswert.<br />
Wie in der vorliegenden Studie dargelegt, gehören Innovationen auf<br />
der Grundlage einer exzellenten Wissenschafts- und<br />
Hochschullandschaft, gepaart mit flexiblen, kreativen und motivierten<br />
anwendenden Unternehmen zu den Garanten einer auch künftig<br />
erfolgreichen Entwicklung. Innovationen gründen auf Wissen und<br />
Ausbildung. Das Rüstzeug dafür liefern Hochschulen und<br />
wissenschaftliche Institute, gepaart mit Freiheit im Denken und<br />
Handeln.<br />
Die Schweizer <strong>Automobilindustrie</strong> verfügt über eine Vielzahl von hoch<br />
effizienten und flexiblen Hightech-Unternehmen, die diese<br />
Anforderungen erfüllen. Darüber hinaus hat die Schweiz den Vorteil,<br />
keinen wirtschaftlichen Ballast mit grossen und schwer beweglichen<br />
Automobilkonzernen schultern zu müssen. Hinzu kommen die<br />
exzellente technische Hochschullandschaft und die traditionell hohe<br />
Lebensqualität in der Schweiz, die es auch kleineren Automobil- und<br />
Ingenieurunternehmen immer wieder ermöglicht, die besten Köpfe ins<br />
Land zu holen. Dieser Kampf um qualifizierte Fachleute wird in den<br />
97
nächsten Jahrzehnten in <strong>Europa</strong> zum Wettbewerbsfaktor schlechthin,<br />
auch in der Schweiz.<br />
Die Zukunft des Automobils und der <strong>Automobilindustrie</strong> liegt nicht in<br />
der endlosen Reproduktion des Altbekannten, sondern in der<br />
Erfindung von Neuem. Hightech Innovationen sind in der<br />
<strong>Automobilindustrie</strong> der Schlüssel zum nachhaltigen Erfolg.<br />
Elektromobilität und Energiespeicherung werden zu den<br />
Schlüsseltechnologien im 21. Jahrhundert.<br />
Die Zukunft der westeuropäischen <strong>Automobilindustrie</strong> liegt nicht in<br />
der Grossserienproduktion des Endproduktes Automobil. Die Zukunft<br />
der westeuropäischen <strong>Automobilindustrie</strong> liegt in der permanenten<br />
Verbesserung und Verfeinerung, kurz der Innovation wesentlicher<br />
Automobilteile oder Systeme wie der Antriebstechnologie, der<br />
Energiespeicherung, des Energietransportes etc. oder der Innovation<br />
der Produktions- und Logistikprozesse in der Automobilfertigung.<br />
Kurz: Innovation is a never ending story!<br />
Das heisst vereinfacht ausgedrückt: Die Zukunft des<br />
westeuropäischen <strong>Automobilindustrie</strong> liegt im Hirn, nicht in der Hand.<br />
Wenn die Sicherstellung der künftigen Mobilität einer wachsenden<br />
Weltbevölkerung neue Mobilitätssysteme oder Infrastrukturen, z.B. E-<br />
Tankstellen oder Wasserstoffbetankung etc. erfordert, ist<br />
europäischer Erfindergeist gefragt, auch in Tüftlerbuden oder in<br />
Hinterhof-Unternehmen. Grosskonzerne der <strong>Automobilindustrie</strong> sind<br />
dazu offenbar nicht in der Lage, wie GM, Volkswagen et. al. zeigen.<br />
Die eigentlichen Innovationen kommen heute fast ausschliesslich aus<br />
dem Zulieferbereich, benötigen dann allerdings zur Marktreife meist<br />
die Kapitalkraft der Grosskonzerne.<br />
Die Schweizer <strong>Automobilindustrie</strong>, die in der Regel aus kleinen und<br />
mittelständischen Technologieführern besteht, erfüllt die aufgezeigten<br />
Voraussetzungen in hohem Mass. Sie hat damit gute Chancen, auch<br />
in den nächsten 100 Jahren mit an der europäischen<br />
Automobilgeschichte zu schreiben.<br />
Und offen gesagt: Diese ist keineswegs zu Ende, sondern hat –<br />
genau genommen – gerade erst mit dem nächsten Kapitel begonnen.<br />
Überschrift: Wie ist die individuelle Massenmobilität zu niedrigen<br />
Kosten und bei geringst möglicher Umweltbelastung sicherzustellen?<br />
98
Anhang<br />
Tabelle 10: Produktion in den EU-Beitrittsländern nach Hersteller 2008<br />
Hersteller Standort Modelle Stückzahl,<br />
tsd.<br />
Toyota<br />
Kolin, Tschechische<br />
Republik<br />
Aygo 108<br />
GM Gliwice, Polen Opel-Vauxhall Astra, Zafira,<br />
Aglia<br />
171,6<br />
GM Warsaw, Polen Chevrolet Aveo 43,7<br />
Renault-<br />
Nissan<br />
Renault-<br />
Nissan<br />
Pitesti, Romänien<br />
Novo Mesto,<br />
Slowenien<br />
VW-Porsche Bratislava #1,<br />
Slowakei<br />
VW-Porsche Kvasiny,<br />
Tschechische<br />
Republik<br />
VW-Porsche Malda Boleslav #1,<br />
Tschechische<br />
Republik<br />
VW-Porsche Mlada Boleslav #2,<br />
Tschechische<br />
Republik<br />
VW-Porsche Vrchlabi,<br />
Tschechische<br />
Republik<br />
Dacia Pickup, Logan, Logan<br />
PU, Logan Van, Sandero<br />
242,4<br />
Reno Clio, Twingo 199,5<br />
Audi Q7, VW Touareg, Polo 138,8<br />
Skoda Superb, Roomster 76,7<br />
Skoda Fabia 244,6<br />
Skoda Octavia 158,9<br />
Skoda Octavia 78,6<br />
VW-Porsche Gyor, Ungarn Audi A3, TT 60,4<br />
VW-Porsche Poznan, Polen VW Transporter, Caddy 174<br />
Ford Tychy, Polen Ford Ka 20,5<br />
Hyundai<br />
Nosovice,<br />
Tschechische<br />
Republik<br />
Hyundai i30 12,1<br />
Hyundai Zilina, Slowakei Kia Cee´d, Sportage 172,5<br />
PSA<br />
Kolin, Tschechische<br />
Republik<br />
Citroen C1, Peugeot 107 216,3<br />
PSA Trnava, Slowakei Citroen C3 Picasso,<br />
Peugeot 207<br />
196,8<br />
Fiat Tychy, Polen Fiat Panda, 500, Seicento 472,3<br />
Fiat Esztergom, Ungarn Fiat Sedici 33<br />
Suzuki Esztergom, Ungarn Suzuki Splash, Swift, SX4 178,8<br />
Quelle: PwC Automotive Institute 2009 Q2 Data Release
Tabelle 11: Produktion in Osteuropa nach Hersteller 2008<br />
Hersteller Standort Modelle Stückzahl,<br />
tsd.<br />
Toyota Shushary, Russland Camry 6,3<br />
Toyota Adapazari, Türkei Auris, Corolla, Corolla Verso 126,5<br />
GM Togliatti, Russland Chevrolet 54,7<br />
GM Kaliningrad, Russland Cadillac, Hummer,<br />
Chevrolet<br />
65,1<br />
GM Shushary, Russland Opel-Vauxhall, Chevrolet 41,1<br />
GM Zaporozhye, Ukraine Opel-Vauxhall, Chevrolet 50,7<br />
GM LLichevsk, Ukraine Chevrolet 80,9<br />
Renault-<br />
Nissan<br />
Renault-<br />
Nissan<br />
Renault-<br />
Nissan<br />
Renault-<br />
Nissan<br />
Renault-<br />
Nissan<br />
Renault-<br />
Nissan<br />
Renault-<br />
Nissan<br />
Renault-<br />
Nissan<br />
Renault-<br />
Nissan<br />
Renault-<br />
Nissan<br />
Togliatti, Russalnd<br />
Lada Kalina, Nova/zhiguli,<br />
110, Priora, Samara, Niva<br />
799,2<br />
Moskow, Russland Renault Logan 72,6<br />
Izhevsk, Russland Lada, Nova/Zhiguli 20,9<br />
Serpukov, Russland Lada Oka 1,3<br />
Argun, Russland Lada Nova/Zhiguli 0,7<br />
Kremenchug, Ukraine Lada Nova/Zhiguli 2,8<br />
Lutsk, Ukraine Lada Nova/zhiguli, Niva, 110 22,7<br />
Cherkasy, Ukraine Lada 110 4,5<br />
Llichevsk, Ukraine Lada Samara 22,8<br />
Bursa, Türkei<br />
VW-Porsche Sarajevo, Bosnien<br />
und Herzegovina<br />
VW-Porsche Zkarpatye, Ukraine<br />
VW-Porsche Kaluga, Russland<br />
Ford<br />
Vsevolozhsk,<br />
Russland<br />
Renault Clio, Symbol,<br />
Megane<br />
Aud Q7,A4, A6, Skoda<br />
Superb, Fabia, Oktavia, VW<br />
Polo, Golf, Passat<br />
VW Touareg, Passat, Polo,<br />
Golf, Golf Plus, Jetta, Audi<br />
A6, Skoda Superb, Fabia,<br />
Roomster, Octavia, Seat<br />
Altea, Leon, Toledo<br />
Skoda Fabia, Octavia, VW<br />
Passat, Tiguan<br />
286,7<br />
3,8<br />
35,8<br />
62,3<br />
Ford Focus 65<br />
Ford Golcuk, Türkei Ford Transit, Transit<br />
Connect<br />
262,9<br />
Hyundai Rostov, Russland Hyundai Santa Fe, 100,6
Sonata/i50, Accent,<br />
Elantra/i40, Porter<br />
Hyundai Izhevsk, Russland Kia Sorento, Rio 38,4<br />
Hyundai Kaliningrad, Russland Kia Magentis, Sportage,<br />
Cee´d, Opirus, Carnival<br />
Hyundai Cherkasy, Ukraine Kia Sorento, Opirus, Cerato,<br />
Ria, Santa Fe, Picanto,<br />
Hyundai Lavita,<br />
Tucson/iX35,<br />
Hyundai Lutsk, Ukraine Kia Sorento, Opirus, Rio,<br />
Picanto, Santa Fe, Cerato,<br />
Hyundai Lavita,<br />
Tucson/iX35,<br />
31,2<br />
10<br />
50,5<br />
Hyundai Izmit, Türkei Hyundai Matrix, Accent 81,5<br />
Hyundai Bursa, Türkei Hyundai HD35/45 1,4<br />
Honda Gebze, Türkei Honda City, CIvic 50,1<br />
PSA Bursa, Türkei Peugeot Partner, Bipper, J9,<br />
Citroen Nemo<br />
Fiat Bursa, Türkei Fiat Sahin, Albea, Doblo,<br />
Fiorino, Linea<br />
Fiat<br />
Naberezhniye<br />
Chelnye, Russland<br />
71,9<br />
204,2<br />
Fiat Albea, Doblo 20,7<br />
Fiat Yelabuga, Russland Fiat Ducato 1,3<br />
Fiat Zaporozhye, Ukraine Iveco Daily 0,6<br />
Fiat Kragujevac, Serbien Iveco Rival 0,5<br />
BMW Kaliningrad, Russland BMW X3, 5 Series, 7 Series,<br />
3 Series<br />
Quelle: PwC Automotive Institute 2009 Q2 Data Release<br />
6,4<br />
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