Gottesdienstlehre - Mohr Siebeck Verlag
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§ 1 <strong>Gottesdienstlehre</strong>, Homiletik, Liturgik<br />
auf der evangelischen Hochschätzung der Predigt, droht aber die tatsächliche<br />
Verbindung und den wechselseitigen Einfluss zu missachten. Der Gottesdienst<br />
ist nicht die Summe von Liturgie und Predigt, sondern er ist insgesamt<br />
gemeinsamer Gebetsdienst der Gemeinde mit verschiedenen Rollen. Gebet,<br />
Gesang, Musik und Predigt sind jeweils Bestandteile des einen ungeteilten<br />
Dienstes, das Evangelium öffentlich mitzuteilen und darzustellen.<br />
„Liturgik“<br />
und „Liturgiewissenschaft“<br />
3.2 Die Liturgik ist die praktisch-theologische Reflexion des öffentlichen<br />
kirchlichen Gebetsdienstes, der Liturgie. Als eine solche Theorie richtet sich<br />
die Liturgik primär an die wissenschaftlich vorgebildeten bzw. interessierten<br />
Verantwortlichen für den Gottesdienst, also an die Pfarrer(innen) und Kirchenmusiker(innen).<br />
Das steht nicht im Gegensatz zu dem Prinzip, dass der<br />
Gottesdienst unter der Beteiligung und Verantwortung der ganzen Gemeinde<br />
gefeiert wird (so das erste Kriterium des „Evangelischen Gottesdienstbuches“<br />
von 1999). Die professionelle Verantwortung ist ein Teil der gemeinsamen<br />
Verantwortung für den Gottesdienst und hat dieser zu helfen.<br />
Ebenso wie „Liturgie“ und „Gottesdienst“ werden auch die Begriffe „Liturgik“<br />
und „Liturgiewissenschaft“ synonym verwendet. Das ist heute allgemein<br />
üblich, aber keinesfalls immer so gewesen. Bei der Feststellung, dass die Liturgiewissenschaft<br />
eine praktisch-theologische und damit eine zugleich praktische<br />
Wissenschaft ist, handelt es sich keinesfalls um eine lange vertraute<br />
Selbstverständlichkeit. So wurde die Liturgie im Katholizismus bis zum II.<br />
Vatikanischen Konzil primär im Reflexionshorizont von Moraltheologie und<br />
Kirchenrecht gesehen: Der Gottesdienst galt als der Gott geschuldete Dienst,<br />
als der „cultus debitus“. Seit dem II. Vatikanum ist die katholische Liturgiewissenschaft<br />
an den meisten Fakultäten ein eigenes Fach und nicht Teil der<br />
Praktischen Theologie.<br />
Die evangelische „Einführung in die Liturgiewissenschaft“ von Leonhard<br />
Fendt (1958) traf eine eigentümliche Unterscheidung, die sich nicht durchgesetzt<br />
hat: Sie sah zwar die „Liturgik“ als Teil der Praktischen Theologie an,<br />
definierte aber gleichzeitig die Liturgiewissenschaft als „Teil der Kirchen- bzw.<br />
Dogmengeschichte.“ (Fendt 1) Dieses Grundverständnis hat es mit sich gebracht,<br />
dass man Liturgiewissenschaft vielfach als ein Gebiet nur für historische<br />
Spezialisten ansah. Und tatsächlich verarbeiteten die großen liturgiewissenschaftlichen<br />
Standardwerke wie „Leiturgia“ eine Unmenge an historischem<br />
Stoff, machten damit aber Studierende und Praktiker eher sprachlos<br />
und ließen es zudem an Praxisreflexion mangeln. Erst mit der ästhetischen<br />
Wende in der Praktischen Theologie der letzten 20 Jahre und durch den damit<br />
verbundenen liturgiewissenschaftlichen Aufbruch hat sich das geändert.<br />
In den letzten Jahren erscheint die Liturgik sogar bisweilen als die Leitdisziplin<br />
der Praktischen Theologie.<br />
8<br />
Leseprobe aus Meyer-Black: <strong>Gottesdienstlehre</strong><br />
(c) 2011 <strong>Mohr</strong> <strong>Siebeck</strong> www.mohr.de