Gottesdienstlehre - Mohr Siebeck Verlag
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§ 1 <strong>Gottesdienstlehre</strong>, Homiletik, Liturgik<br />
Christusresonanz<br />
könnte man geradezu sagen: eine individuelle Angelegenheit. Das Angesprochenwerden<br />
durch Christus, der Widerklang von Christus im Herzen ist das<br />
Entscheidende.<br />
Von daher greift die völlige Entgegensetzung von genitivus obiectivus und<br />
genitivus subiectivus im Begriff „Gottesdienst“ doch zu kurz. Der Gegensatz<br />
gilt soteriologisch, aber nicht hermeneutisch. In seinem Verstehen Gottes ist<br />
der Mensch auf ein Geben und Nehmen angewiesen. Es geht um einen Dialog,<br />
wie ihn Luther mit der „Torgauer Formel“ beschrieben hat. Wie im Dialog<br />
zwischen Menschen gehört das Handeln beider Partner eng zusammen.<br />
Was Luther mit Wort und Antwort meint, kann gut mit dem Begriff der<br />
Christusresonanz zum Ausdruck gebracht werden. Denn die Resonanz ist ja<br />
eine Form von aktiver Passivität, in der ich selbst mitvollziehe, was aber<br />
dennoch nicht ursächlich von mir ausgeht. Wenn man die für uns vor allem<br />
mitschwingenden emotionalen Beiklänge etwas zurückstellt, kann auch gesagt<br />
werden: Es ist das unmittelbare Erleben als Gewisswerden der Christusrede,<br />
welches den Gottesdienst zum Gottesdienst macht. Dieses unmittelbare<br />
Erleben aber ist personengebunden und weder stellvertretend durch einen<br />
großartigen kirchlichen Ritus noch durch eine richtige Gottesdiensttheologie<br />
oder Predigt zu garantieren. Das Hören des einzelnen Menschen auf den mit<br />
ihm redenden Christus und die Resonanz des Herzens sind die Phänomene,<br />
an denen erst klar wird, dass Gott ein gebender und kein nehmender, ein<br />
dem Menschen zugute handelnder Gott ist. Es führt liturgietheologisch in<br />
die Irre, das Handeln Gottes und das Handeln des Menschen gegeneinander<br />
auszuspielen. Das Handeln Gottes gibt es für uns immer nur als Deutungsleistung<br />
des Menschen in Bezug auf bestimmte Zeichen, so dass das Handeln<br />
Gottes im Medium menschlicher Zeichendeutung erscheint.<br />
4. Der Zusammenhang von Predigt und Liturgie<br />
und die <strong>Gottesdienstlehre</strong><br />
Wolfgang<br />
Trillhaas<br />
Viele homiletische Entwürfe, die im Einflussbereich der Wort-Gottes-Theologie<br />
und auch während der sich anschließenden Phase der empirisch-sozialwissenschaftlich<br />
bestimmten Theologie entstanden, thematisieren den Gottesdienst<br />
überhaupt nicht. Fast immer aber rangiert die Predigt sachlogisch<br />
vor bzw. über der Liturgie. Das lässt sich sehr gut an dem Konzept von<br />
Wolfgang Trillhaas (1903–1995) aus dem Jahr 1935 sehen. Dieses Buch ist<br />
eines der wenigen, das den Zusammenhang von Liturgie und Predigt überhaupt<br />
genauer bedenkt.<br />
Trillhaas, der die erste Predigtlehre unter dem Einfluss der „Dialektischen<br />
Theologie“ verfasste, beginnt – als Luther- wie als Schleiermacher-Kenner –<br />
sein Buch mit zwei Paragraphen, die unter den Überschriften „Predigt und<br />
Liturgie“ und „Wort und Sakrament“ stehen. Im Leitsatz zu § 1 heißt es:<br />
10<br />
Leseprobe aus Meyer-Black: <strong>Gottesdienstlehre</strong><br />
(c) 2011 <strong>Mohr</strong> <strong>Siebeck</strong> www.mohr.de