FuR 2008-1+2.pdf - Der BWV-Bayern
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Märtyrermasche<br />
Holm S. klagte beim Landgericht<br />
Zwickau, welches dem auch zunächst<br />
am 6. März <strong>2008</strong> mit einer<br />
einstweiligen Verfügung stattgab,<br />
wonach sein Klarname weder in der<br />
Ausstellung selbst noch in anderem<br />
Zusammenhang genannt werden<br />
dürfe; beim Verstoß wurde eine<br />
Ordnungsstrafe von bis zu 250.000<br />
Euro festgelegt, ersatzweise sechs<br />
Monate Haft.<br />
Pfarrer Käbisch hat daraufhin die<br />
Ausstellung in Reichenbach medienwirksam<br />
total abgebaut; in mehreren<br />
Fernseh-Beiträgen wurde dies<br />
bundesweit bekannt.<br />
In der Urteilsbegründung vom 6.<br />
März <strong>2008</strong> heißt es u.a.:<br />
„Gegenüber der schwerwiegenden<br />
Verletzung des Persönlichkeitsrechts<br />
des Antragstellers kommt<br />
der Meinungsfreiheit der Antragsgegner<br />
durch Veröffentlichung des<br />
Namens des Antragstellers nur<br />
geringes Gewicht zu. Das Stasi-<br />
Unterlagengesetz kann, da es sich<br />
um ein Opfergesetz handelt, nicht<br />
unmittelbar auf den vorliegenden<br />
Sachverhalt angewendet werden.“<br />
Die Richterin des LG Zwickau stellte<br />
zudem fest: „Denn der mit den<br />
personenbezogenen Daten unterlegte<br />
Hinweis auf die IM-Tätigkeit<br />
war geeignet, Ansehen und Wertschätzung<br />
des Antragstellers in der<br />
öffentlichen Meinung herabzuwürdigen<br />
und ihn gewissermaßen an<br />
den Pranger zu stellen.“<br />
Gegen diese Begründung haben u.a.<br />
Joachim Gauck, Marianne Birthler<br />
und Martin Böttger Einspruch erhoben,<br />
die darin einen Angriff auf das<br />
Stasi-Unterlagen-Gesetz sehen.<br />
Dr. Käbisch ging in Berufung. Wegen<br />
der in diesem Rechtsstreit auf<br />
ihn zukommenden hohen Kosten<br />
wurde zu einer parteiübergreifenden<br />
Solidarität aufgerufen und ein<br />
Sonderkonto „Bürger für Käbisch“<br />
eingerichtet, auf welches innerhalb<br />
kurzer Zeit einige tausend Euro eingezahlt<br />
wurden.<br />
In einer mündlichen Berufungsverhandlung<br />
am 8. April <strong>2008</strong> war das<br />
Landgericht entgegen seiner Entscheidung<br />
vom 6. März der Auffassung,<br />
dass „von der Ausstellung keine<br />
Prangerwirkung“ ausgegangen ist,<br />
was am 22. April vom Gericht auch<br />
endgültig so entschieden wurde.<br />
10<br />
Während der Verhandlung am 8.<br />
April im Landgericht Zwickau klingelte<br />
plötzlich ein Handy - ein Sakrileg<br />
in einem Gerichtssaal, es war<br />
ausgerechnet das vom IM-Verteidiger<br />
Höllrich, der es wiederum nicht<br />
schnell genug in seinem Aktenkoffer<br />
fand, um es sofort auszuschalten.<br />
So konnten viele die Melodie sogar<br />
zweimal hören: „Bau auf, bau auf,<br />
Freie Deutsche Jugend, bau auf!“<br />
IM „Schubert“ erlebte diese Panne<br />
seines Anwalts nicht und auch nicht,<br />
wie dessen schwache Argumentation<br />
zunehmend bei der Richterin auf<br />
Widerspruch stieß und schließlich<br />
abgelehnt wurde: er war bei der Verhandlung<br />
nicht anwesend.<br />
Rechtsanwalt Höllrich mit dem Parteibuch<br />
der Linken, Mitglied des<br />
Stadtrates in Reichenbach, Bürgermeisterkandidat<br />
in dieser Stadt und<br />
bei der Kommunalwahl <strong>2008</strong> haushoch<br />
unterlegen (der CDU-Kandidat<br />
gewann mit über 80 Prozent, ein einmaliges<br />
Ergebnis in Sachsen) hat den<br />
von der Stasi erhobenen, aber nicht<br />
bewiesenen Vorwurf wiederholt, die<br />
Gruppe um Sabine Popp habe einen<br />
Sprengstoffanschlag in einem Zwickauer<br />
Kino geplant. Sabine Popp geht<br />
inzwischen juristisch gegen Höllrich<br />
vor, weiß jedoch nicht, wie sie die<br />
Kosten tragen soll: im Unterschied<br />
zum Täter Holm S. (IM „Schubert“)<br />
ist sie nahezu mittellos.<br />
Dr. Käbisch erhielt zeitgleich mit der<br />
Ausstellungseröffnung in Reichenbach<br />
massive Drohungen, darunter<br />
eine Morddrohung. Die Polizeidirektion<br />
Zwickau hat ein Ermittlungsverfahren<br />
wegen Bedrohung<br />
eingeleitet. Ergebnis unbekannt.<br />
Am 7. Mai <strong>2008</strong> gab es in Reichenbach<br />
eine sehr gut besuchte Podiumsdiskussion<br />
zum Thema „Den Opfern<br />
eine Stimme geben. Stasi-Opfer berichten<br />
von Freiheitswillen, Verrat,<br />
Verfolgung und Verdrängung“. Dr.<br />
Martin Böttger, Leiter der BStU-<br />
Außenstelle Chemnitz, und Michael<br />
Beleites, Sächsicher Landesbeauftragter<br />
für die Stasi-Unterlagen,<br />
hatten dazu eingeladen. Sie wollten<br />
damit den „Versuchen ehemaliger<br />
Stasi-Mitarbeiter entgegen(treten),<br />
sich heute als Opfer zu stilisieren“.<br />
In die Ausstellung wurde inzwischen<br />
auch der vom MfS angelegte „Operative<br />
Vorgang (OV) Landstraße“<br />
aufgenommen, worin es um Sabine<br />
Popp und ihre Freunde geht, welche<br />
als 18-Jährige im Vogtland DDRkritische<br />
Losungen auf Landstraßen<br />
geschrieben hatte.<br />
Das LG Zwickau hat am 8. bzw. 22.<br />
April <strong>2008</strong> lediglich aus formalen<br />
Gründen die Einstweilige Verfügung<br />
vom 8. März <strong>2008</strong> aufgehoben, aber<br />
„zur Sache“ nicht Stellung bezogen,<br />
weil (angeblich) nicht zuständig. Da<br />
in Halle/Saale in einer ähnlichen Situation<br />
ebenfalls Stasi-Mitarbeiter<br />
gegen die Nennung ihrer Klarnamen<br />
klagen, bleibt abzuwarten, wie eine<br />
endgültige Entscheidung ausfallen<br />
wird.<br />
Eine Nachbetrachtung:<br />
Die Aufarbeitung (allein der Begriff<br />
ist problematisch und diskussionswürdig)<br />
der SED-Diktatur und des<br />
SED-Unrechts kann in dreierlei<br />
Hinsicht vorgenommen werden:<br />
juristisch, politisch-historisch, moralisch.<br />
Die juristische Aufarbeitung<br />
hat (wie bereits nach der NS-Dikatur)<br />
versagt, wie auch das Reichenbach-Zwickauer<br />
Beispiel erneut<br />
zeigt. Die Gerichte bescheinigen<br />
den Tätern von damals, dass ihre<br />
Taten heute nicht mehr öffentlich<br />
thematisiert werden dürfen, weil<br />
dem Persönlichkeitsschutz eine höhere<br />
Bedeutung beigemessen wird<br />
als dem gesamtgesellschaftlichen<br />
Interesse an Aufklärung über die<br />
Mechanismen totalitärer Herrschaft,<br />
der SED-Diktatur.<br />
Bedauerlicherweise oder gar systembedingt,<br />
weil sie ausschließlich<br />
positivistisch auch über das SED-<br />
Unrecht urteilt, unterstützt die Justiz<br />
des demokratischen Staates Bundesrepublik<br />
die Strategie der Täter der<br />
SED-Diktatur, welche sich darauf<br />
berufen, lediglich „im Sinne der<br />
Verfassung der DDR und der Gesetze<br />
der DDR“ gehandelt zu haben.<br />
Damit wird nicht nur sträflich vernachlässigt,<br />
dass „Gesetze“ in einer<br />
Diktatur keineswegs rechtsstaatlich<br />
zustande kommen, es wird sogar das<br />
„Recht“ einer Diktatur nachträglich<br />
durch Juristen zum Recht erhoben.<br />
Und die Täter von damals bemühen<br />
heute den Rechtsstaat, den sie damals<br />
vehement und mit allen Mitteln<br />
und Methoden bekämpft hatten.<br />
Die Steigerung dieser Haltung besteht<br />
darin, sich nunmehr als Opfer<br />
zu stilisieren.