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FuR 2008-1+2.pdf - Der BWV-Bayern

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„1968“<br />

nommenen hatte sich mit der Zeit<br />

ausgewachsen. Die Nazizeit wurde<br />

ebenfalls immer stärker negativ<br />

beurteilt. An Aufklärung über die<br />

NS-Verbrechen fehlte es nicht: u. a.<br />

Auschwitz-Prozess, Eichmann-Prozess,<br />

das Tagebuch der Anne Frank<br />

und auch der viel gesehene Film<br />

„Nacht und Nebel“ sorgten für breite<br />

Wirkung. Globke war in der Versenkung<br />

verschwunden und Oberländer<br />

hatte gehen müssen. Es gab<br />

also 1967 keinen Anlass, so zu tun,<br />

als hätte sich seit 1945 kaum etwas<br />

zum Positiven verändert. Und es<br />

gab daher keinen Grund, vom Weg<br />

der Intensivierung der politischen<br />

Aufklärung abzugehen und ihn<br />

durch einen revolutionären Umsturz<br />

zu ersetzen.<br />

Schließlich entdeckten die 68er eine<br />

bereits vorhandene Erklärung für<br />

den Nazismus: <strong>Der</strong> „Kapitalismus“<br />

war schuld, sein System und die<br />

mit ihm verbundenen faschistoiden<br />

Einstellungen. „Wir sind die Guten,<br />

und sie sind die Bösen“ war die unausgesprochene<br />

Parole. Wollte man<br />

den Faschismus ausrotten, so – das<br />

war die Schlussfolgerung der 68er<br />

– mussten der Kapitalismus abgeschafft<br />

und die Βürger umerzogen<br />

werden. Dieser Ansatz konnte mobilisieren<br />

und förderte agitatorisch die<br />

Total-Opposition gegen die bestehende<br />

Ordnung. Es drängt sich also<br />

heute einigen Autoren der Verdacht<br />

auf, die 68er hätten das NS-Thema<br />

instrumentalisiert. Denn schon bald<br />

spielte das Antifa-Motiv keine Rolle<br />

mehr, es hatte ja seinen Zweck<br />

erfüllt: Es hatte das moralisierende<br />

Auftrumpfen der 68er legitimiert.<br />

Nun konnte es an den Kampf gegen<br />

den eigentlichen Feind gehen, die<br />

USA.<br />

Die Vietnam-Legende<br />

Die Empörung über den Krieg in<br />

Vietnam zählt zu den Ursachen der<br />

68er Bewegung. Doch so sehr man<br />

die vielen unschuldigen Opfer des<br />

Krieges beklagen musste, der Mythos<br />

vom demokratischen Volksaufstand<br />

der Süd-Vietnamesen stimmte<br />

nicht und die spätere Errichtung<br />

der kommunistischen Diktatur in<br />

Saigon demontierte den Mythos<br />

12<br />

endgültig. Bleibt also immerhin die<br />

hohe Zahl der zivilen Opfer. Doch<br />

siehe da: <strong>Der</strong> APO ging es gar<br />

nicht darum, pazifistisch gegen den<br />

Krieg an sich aufzustehen, vielmehr<br />

lautete ihre Parole: „Schafft<br />

zwei, drei, viele Vietnams“. Also<br />

noch mehr unschuldige Opfer in<br />

noch mehr Aufständen und Kriegen,<br />

um den „US-Imperialismus“<br />

zu bekämpfen!<br />

Nicht für die Vietnamesen, sondern<br />

vielmehr gegen die USA zu sein,<br />

darauf kam es den Revolutionären<br />

an! Diese eigentliche Stoßrichtung<br />

zeigte sich besonders deutlich in<br />

West-Berlin, das auf den amerikanischen<br />

Schutz angewiesen war.<br />

Und die dortige Agitation gegen die<br />

USA musste zwangsläufig den Eindruck<br />

erwecken, als sei sie gegen<br />

diese Schutzfunktion gerichtet. Für<br />

viele der 68er dürfte das auch durchaus<br />

so gemeint gewesen sein. Wer<br />

erinnert sich heute noch daran, dass<br />

die 68er allen Ernstes aus West-Berlin<br />

eine „freie Stadt“ machen wollten?<br />

Und das wenige Jahre nachdem<br />

die feste Haltung der USA das Chruschtschow-Ultimatum,<br />

das eben<br />

das wollte, abgewehrt hatte. Die<br />

USA waren zum Bösen schlechthin<br />

geworden, so hoffte man, sie aus<br />

Berlin verdrängen und die Stadt erobern<br />

zu können.<br />

Die Apokalypse der drohenden<br />

Diktatur<br />

Die Bedrohung der Demokratie<br />

war ein anderes Leitmotiv der 68er.<br />

Demokratie ist immer unvollkommen.<br />

Doch war sie 1967 so unterentwickelt,<br />

dass sie nur durch einen<br />

Aufstand herbeigezwungen werden<br />

konnte? Wurde der Staat immer autoritärer?<br />

Drohte ein neuer Faschismus?<br />

Die tatsächliche Lage in den 60er<br />

Jahren sah anders aus: Das demokratische<br />

Bewusstsein hatte sich<br />

gefestigt, die öffentliche Reaktion<br />

auf die SPIEGEL-Affäre markierte<br />

einen sichtbaren Wendepunkt. Die<br />

Medien waren kritischer geworden,<br />

im Fernsehen hatte offene Kritik<br />

breitenwirksam ihren Platz gefunden,<br />

das Bundesverfassungsgericht<br />

hatte die Pläne für ein Regierungs-<br />

Fernsehen torpediert. Damit war<br />

deutlich, dass es auf Dauer keine<br />

Herrschaft immer der selben Partei<br />

geben würde, dass alle Liebäugeleien<br />

mit autoritären oder auch nur<br />

halb-autoritären Strukturen erfolglos<br />

bleiben mussten; die in den 50er<br />

Jahren wuchernden Sympathien mit<br />

Franco und Salazar waren einfach<br />

nicht mehr en vogue.<br />

Die Entwicklung unserer Demokratie<br />

war also schon vor 68 auf einem<br />

guten Weg. Umso weniger gerechtfertigt<br />

war es daher, diese Demokratie<br />

pauschal abzulehnen und sie als<br />

„System“ (eine aus der Weimarer<br />

Republik vertraute Kampfparole der<br />

Nazis wie der Kommunisten) zu bekämpfen<br />

oder als „Bananenrepublik“<br />

zu diffamieren.<br />

Doch viele 68er hatten das Grundvertrauen<br />

in die Demokratie verloren.<br />

Die Große Koalition wurde<br />

so als Gefährdung der Demokratie<br />

gesehen, die Notstandsgesetze erregten<br />

äußerstes Misstrauen, das<br />

in Aktionen in eine immer größer<br />

werdende Hysterie gesteigert wurde.<br />

Die APO gewann so mit ihren<br />

Kampagnen auch die Unterstützung<br />

jener, die sonst mit fundamentaler<br />

Kapitalismus-Kritik nicht anzusprechen<br />

waren. Aus punktueller Kritik<br />

an tatsächlichen oder vermeintlichen<br />

Missständen ließ sich so eine Total-<br />

Opposition schaffen.<br />

Den eigentlichen 68ern war die Absicherung<br />

der Demokratie gegen<br />

vermeintliche Gefahren noch längst<br />

nicht genug. Sie lehnten die repräsentative<br />

Demokratie grundsätzlich<br />

ab. Das Bewusstsein der Menschen<br />

erschien ihnen manipuliert, die Toleranz<br />

wurde als repressive Toleranz<br />

abgewertet. Denn die Bundesrepublik<br />

musste als Diktatur dargestellt<br />

werden, um die Revolution legitimieren<br />

zu können.<br />

Überwölbend für diese Sicht der<br />

Dinge war die Genugtuung, auf<br />

der richtigen Seite zu stehen und<br />

die alleinige Wahrheit zu kennen.<br />

Von dieser hohen Warte aus konnte<br />

man arrogant und auch mitleidig auf<br />

die Masse der bewusstseinslosen<br />

Manipulierten und Verführten herab<br />

blicken.

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