FuR 2008-1+2.pdf - Der BWV-Bayern
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„1968“<br />
1968: Eine Revolution<br />
zweiter Hand<br />
Eine Fülle von Büchern, Artikeln und Interviews erinnert uns in diesem<br />
40. „Jubiläumsjahr“ an die 68er Bewegung. War das nun eine Revolution,<br />
eine Freiheitsbewegung in der Tradition von 1848, 1918 und 1989?<br />
War es überhaupt eine demokratische Bewegung?<br />
Die Meinungen sind geteilt. Mit aggressiver Feindseligkeit, bemüht, alle<br />
Übel dieses Landes den 68ern anzulasten, äußern sich die einen; mit<br />
nostalgischer Verklärung, gar mit Schwärmerei, erinnern sich manche<br />
Protagonisten. Andere verwischen mit einem feinfühligen „zwar ...<br />
aber“ die Konturen erfolgreich und gelangen so zu einem überwiegend<br />
positiven Resümee, ohne es mit irgend jemandem zu verderben.<br />
Umso mehr gilt es, fern von pauschalen Urteilen die politische Situation,<br />
die Intentionen, Aktionen und Auswirkungen der Bewegung in der gebotenen<br />
Kürze zu analysieren und zu bewerten. Hier geht es um die rein<br />
politische Dimension; ein weiterer Artikel über die sozio-kulturellen Aspekte,<br />
die psychologischen Faktoren und die heute noch fortwirkende<br />
Mentalitäts-Prägung ist beabsichtigt.<br />
Von Ernst Eichengrün<br />
<strong>Der</strong> Autor<br />
Ernst Eichengrün, Königswinter,<br />
war u. a. Bundessekretär der<br />
Jungsozialisten 1967– 69, später<br />
Vizepräsident des Gesamtdeutschen<br />
Instituts, anschließend<br />
Mitarbeiter des Bundesarchivs.<br />
Aufstand gegen die Väter<br />
Die 68er, geboren etwa zwischen<br />
1940 und 1950, hatten einen ganz<br />
anderen Erlebnis- und Erfahrungshorizont<br />
als ihre Vorgänger-Generationen.<br />
Sie waren freier aufgewachsen,<br />
mobiler und flexibler. Ein neues<br />
Lebensgefühl entstand. Ablehnung<br />
der Autoritäten, Abgrenzung von<br />
den Älteren, eine radikale Distanzierung<br />
vom bürgerlichen Dasein<br />
und ein Bruch mit der überlieferten<br />
Sexualmoral waren die Leitmotive.<br />
Das galt natürlich vor allem für die<br />
Jugend in den Großstädten. In der<br />
Provinz ging alles viel langsamer;<br />
deshalb strömten auch so viele Studenten<br />
aus dieser Provinz nach Berlin,<br />
wo zudem keine Wehrpflicht<br />
drohte. Sie trugen dort dann auch<br />
im wesentlichen die Studenten-Revolte.<br />
Und auch in der Politik fehlten ihnen<br />
bislang prägende Erfahrungen:<br />
Die Instabilität der Weimarer Republik<br />
war vergessen, den Beginn<br />
des Kalten Krieges hatten sie nicht<br />
mehr mitbekommen. In ihrem Bewusstsein<br />
war die Gefahr eines<br />
Atomkrieges weitaus größer als die<br />
der Bedrohung durch den Kommunismus.<br />
Die Politisierung<br />
Die Unruhe begann an den Universitäten:<br />
„Unter den Talaren der Muff von<br />
1000 Jahren“ – mit diesem Transparent<br />
wurde das Aufbegehren gegen<br />
autoritäre Strukturen und belastete<br />
Dozenten öffentlich. Jetzt schwappte<br />
die in den 60er Jahren begonnene<br />
öffentliche Diskussion über Bildungsreform<br />
auch auf die Studenten<br />
über. Ihre Aktionen wurden größer<br />
und fanden Resonanz. Neben der<br />
inneren Ordnung der Hochschulen<br />
und der Reform der Studiengänge<br />
kamen jetzt auch andere gesellschaftspolitische<br />
Fragen hinzu:<br />
vor allem die soziale Öffnung der<br />
Universitäten und auch anhand der<br />
„Sanierung“ vieler Altbauviertel die<br />
Stadtplanung. Jetzt war die Politik<br />
bei einer großen Zahl der Studenten<br />
angekommen. Sie engagierten sich<br />
nun auch für die großen Themen der<br />
Politik. Die Erschießung von Benno<br />
Ohnesorg und das Attentat auf Rudi<br />
Dutschke führten zur Mobilisierung<br />
einer großen Zahl von Studenten<br />
und auch zu ihrer Radikalisierung.<br />
Die Antifa-Legende<br />
Zu den gern kolportierten Legenden<br />
um die 68er gehört die Behauptung,<br />
erst mit ihnen sei die Überwindung<br />
des Nazismus ernsthaft angegangen<br />
worden. Sicher: <strong>Der</strong> Fortbestand<br />
der wirtschaftlichen Eliten und die<br />
weitgehende Verdrängung der NS-<br />
Vergangenheit nach 1945 war skandalös,<br />
ein untilgbarer Schandfleck in<br />
der Geschichte der Bundesrepublik.<br />
Doch war diese Bundesrepublik tatsächlich<br />
nur eine elegantere Fortsetzung<br />
des Dritten Reiches? Sollten<br />
wir bis dahin tatsächlich aus der<br />
Geschichte nichts gelernt und den<br />
Krieg umsonst verloren haben?<br />
Nein, die Vergangenheit war schon in<br />
den ersten Nachkriegsjahren längst<br />
nicht so verdrängt, wie es dargestellt<br />
wird, geschweige denn 20 Jahre<br />
nach dem Krieg. Vieles vom Über-<br />
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