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Roma, Sinti und Jenische. Schweizerische Zigeunerpolitik zur Zeit

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42<br />

Kapitel 2<br />

von allen Mitgliedstaaten ausländischen <strong>Roma</strong> <strong>und</strong> <strong>Sinti</strong> gegenüber befolgte Politik, die zu<br />

diesem <strong>Zeit</strong>punkt eine neue, fatale Bedeutung erhielt, indem sie faktisch zu einer Politik der<br />

Flüchtlingsabwehr gegenüber den im NS-Machtbereich an Leib <strong>und</strong> Leben bedrohten <strong>Roma</strong><br />

<strong>und</strong> <strong>Sinti</strong> wurde.<br />

Die weitere Tätigkeit der IKPK im Bereich der Verfolgung von <strong>Roma</strong> <strong>und</strong> <strong>Sinti</strong> geht aus den<br />

greifbaren Quellen nicht hervor. Die Nationalsozialisten erhielten nach der Übernahme der<br />

IKPK-Leitung 1938 allerdings unbeschränkten Zugriff auf die internationale Zigeunerkartei.<br />

Ab 1940 befand sich die IKPK im Griff der SS, <strong>und</strong> auf der technischen, organisatorischen<br />

sowie personellen Ebene existierten enge Verbindungen zum Reichssicherheitshauptamt.<br />

Sämtliche Materialien der IKPK standen somit auch all jenen deutschen Stellen <strong>zur</strong><br />

Verfügung, welche den Völkermord an Juden, <strong>Roma</strong> <strong>und</strong> <strong>Sinti</strong> planten, organisierten <strong>und</strong><br />

koordinierten. Das RSHA benutzte die IKPK-Materialien zudem für die Fälschung von<br />

Pässen <strong>und</strong> Fremdwährungen für seine eigenen Zwecke. 161<br />

Den Beziehungen der Schweizer Polizeibehörden <strong>zur</strong> IKPK tat die nationalsozialistische<br />

Dominanz der IKPK, die spätestens 1940 augenfällig war, offensichtlich keinen Abbruch. 162<br />

Werner Müller, der auch der zweite Mann des Schweizer Geheimdienstes unter Roger Masson<br />

war, blieb neben dem Reichskriminalamts-Direktor <strong>und</strong> Kommandant der SS-Einsatzgruppen<br />

B, Arthur Nebe, sowie Mussolinis Polizeichef Pizzuto Mitglied des Redaktionskomitees der<br />

<strong>Zeit</strong>schrift der IKPK, ebenso Mitglied des Verwaltungssausschusses <strong>und</strong> gemäss den<br />

Satzungen der IKPK zählte er als «ordentlicher Berichterstatter» zu den «Gehilfen des<br />

Präsidenten», SS-Gruppenführer Heydrich. 163 Infolge des Krieges wurde jedoch die für 1939<br />

in Berlin geplante <strong>und</strong> von den nationalsozialistischen Machthabern als Propagandaanlass<br />

projektierte IKPK-Tagung abgesagt, so dass die Kontakte vor allem auf dem<br />

Korrespondenzweg gepflegt wurden. 164<br />

Ausserdem besuchte Heinrich Rothm<strong>und</strong>, Chef der<br />

Polizeiabteilung des EJPD, anlässlich seiner Dienstreise im Herbst 1942 nach NS-<br />

Deutschland auch den IKPK-Sitz in Berlin, wurde dort vom Interimspräsidenten Arthur Nebe,<br />

Direktor des Reichskriminalamtes, empfangen <strong>und</strong> führte Gespräche mit diversen SS-<br />

––––––––––––––––––––––––<br />

161 Bresler, Interpol, 1993, S. 93ff.; Burger, Unternehmen, 1992; Felfe, Dienst, 1987, S. 87f.<br />

162 Der 1929 aufgenommene internationale Polizeifunk wurde auch während des Krieges weitergeführt. Korrespondenz zum<br />

Polizeifunk in BAR E 4260 (C) 1974/34, Bd. 44.<br />

163 Dressler, Kommission, 1942, S. 28. Müller sandte ferner am 2.1.1942 via Kurierdienste des Waffen-SS-Majors Eggen<br />

einen Brief an Heinrich Himmler, in dem es heisst: «Es freut mich besonders, auch in meiner Eigenschaft als Mitglied<br />

des Verwaltungsausschusses der Internationalen Kriminalpolizeilichen Kommission [...] diesen Schritt tun zu dürfen,<br />

einer Institution, der ich meine Treue schon sehr oft zu beweisen die Ehre hatte, vorweg gegenüber der deutschen<br />

Delegation in Bukarest im Jahre 1938.» BAR E 27 / 10036.<br />

164 Am 13. Oktober 1943 schickte Heydrichs Nachfolger als IKPK-Präsident, Ernst Kaltenbrunner, dem Schweizer IKPK-<br />

Vertreter Prof. Heinrich Zangger eine Einladung zu einer Sitzung der IKPK. Zangger antwortete anfangs November<br />

1943 nach Berlin mit dem abstrusen, nicht verwirklichten Vorschlag, mit den SS-Oberen «die organisatorischen<br />

Gr<strong>und</strong>lagen der internationalen Verbrecherbekämpfung in Bern oder Genf zu beraten», BAR E 4260 (C) 1975/34,<br />

Bd. 39. Die Polizeiabteilung erhielt auch Berichte der IKPK regelmässig zugestellt. Der stadtbernische Polizeidirektor<br />

Werner Müller, offizieller IKPK-Delegierter der Schweiz, blieb Rechnungsprüfer der IKPK. Bericht von Müller, 1946,<br />

BAR E 4260 (C) 1974/34, Bd. 44. Auch zu Einzelfällen liegt Korrespondenz vor: BAR E 3422 (-) 1991/156, Bd. 11 <strong>und</strong><br />

Generallandesarchiv Karlsruhe, Bestand 330 Zug, 1991/34, 277.

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