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Roma, Sinti und Jenische. Schweizerische Zigeunerpolitik zur Zeit

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4 <strong>Roma</strong>, <strong>Sinti</strong> <strong>und</strong> <strong>Jenische</strong> als Flüchtlinge 67<br />

Familie M. kämpften in den 1930er <strong>und</strong> 1940er Jahren auch die fahrenden Familien H.<br />

<strong>und</strong> Z. 284 Eine grössere, aus Griechenland stammende Gruppe von <strong>Roma</strong>, die Familie T., liess<br />

die Polizeiabteilung 1934 mit erheblichem Aufwand an Kosten aus der Schweiz spedieren. 285<br />

Wie die Fallgeschichte der Familie M. weiter zeigt, kann die Duldung einzelner <strong>Sinti</strong>-<br />

Familien nicht unter asylpolitischen Gesichtspunkten interpretiert werden, obwohl die<br />

zunehmend brutalere Verfolgung dieser Bevölkerungsgruppe im faschistischen Italien seit den<br />

späten 20er Jahren evident war. Vielmehr ist sie im Kontext der Abschiebung unerwünschter<br />

Ausländer, wie sie in den 1930er Jahren von zahlreichen Staaten betrieben wurde, <strong>und</strong> im<br />

Zusammenhang mit den Folgen dieser Politik zu verstehen. Dass die Schweiz drei <strong>Sinti</strong>-<br />

Familien aufnahm, war eine aussenpolitische Konzession an Italien, die zum Zweck hatte,<br />

künftige Grenzzwischenfälle mit diplomatischem Nachspiel zu vermeiden <strong>und</strong> vom<br />

Nachbarstaat die Garantie zu erhalten, dass nicht weitere staaten- <strong>und</strong> schriftenlose Personen<br />

nach der Schweiz abgeschoben würden. Folglich rüttelte dieser Entscheid keineswegs an den<br />

Prinzipien der schweizerischen «<strong>Zigeunerpolitik</strong>» – dies verdeutlicht insbesondere der<br />

Versuch der Schweizer Behörden, die Familie M. bei sich bietender Gelegenheit nach<br />

Frankreich abzuschieben.<br />

4.3 Wegweisung von <strong>Roma</strong>- <strong>und</strong> <strong>Sinti</strong>-Flüchtlingen<br />

Die noch vorhandenen Quellen zu den weggewiesenen Flüchtlingen sind oft derart lückenhaft,<br />

dass sie keine Rückschlüsse auf die Zahl der weggewiesenen <strong>Roma</strong>, <strong>Sinti</strong> <strong>und</strong> <strong>Jenische</strong>n, die<br />

Verfolgungstatbestände oder die Fluchtgründe zulassen. 286<br />

Auch eine systematische<br />

Auswertung der 3143 Einträge in der Wegweisungs-Datenbank des B<strong>und</strong>esarchivs führt zu<br />

wenig aufschlussreichen Ergebnissen. 287<br />

Bei der überwältigenden Mehrheit der darin<br />

aufgeführten Flüchtlinge handelte es sich um Juden <strong>und</strong> Jüdinnen. Knapp 60 trugen<br />

Familiennamen, die auch im Gedenkbuch der nach Auschwitz deportierten <strong>Roma</strong> <strong>und</strong> <strong>Sinti</strong><br />

––––––––––––––––––––––––<br />

den späten 1930er Jahren mehrmals wegen Schriftenlosigkeit zwischen der Schweiz <strong>und</strong> Frankreich hin- <strong>und</strong><br />

hergeschoben <strong>und</strong> in beiden Staaten wegen Landstreicherei <strong>und</strong> ähnlichen Folgedelikten seines ungeregelten<br />

Aufenthaltes bestraft wurde. Im Sommer 1938 wurde K. als «unerwünschter Ausländer», dessen Ausweisung nicht<br />

durchführbar war, in der Schweiz interniert. Er verbrachte die folgenden zwei Jahre, ohne sich eines strafrechtlichen<br />

Deliktes schuldig gemacht zu haben, in der bernischen Strafanstalt Thorberg <strong>und</strong> versuchte mehrmals, an das<br />

Hochkommissariat für Flüchtlinge des Völkerb<strong>und</strong>es zu gelangen, um einen Nansenpass zu erhalten. Seine Bemühungen<br />

waren vergeblich, denn die Briefe wurden von der Direktion der Strafanstalt <strong>zur</strong>ückbehalten. 1941 wurde er nach<br />

Frankreich ausgeschafft, dort verhaftet <strong>und</strong> im Internierungslager Le Vernet eingesperrt. BAR E 4264 (-) 1985/196,<br />

Bd. 16.<br />

284 Dazu die Dossiers in BAR E 4264 (-) 1988/2, Bd. 317. Die beiden Familien hatten es Robert Jezler von der<br />

Polizeiabteilung zu verdanken, dass sie – trotz des Widerstands von Gemeinden <strong>und</strong> Kantonen – als Fahrende in der<br />

Schweiz bleiben <strong>und</strong> ihrem angestammten Erwerb als Hausierende <strong>und</strong> Flickhandwerker nachgehen konnten.<br />

285 Dazu die Akten in BAR E 4264 (-) 1988/2, Bd. 255, BAR E 2001 (D) 1, Bd. 95 sowie in StaZH, Z 6.1650.<br />

286 Rekonstruierbar ist die Zahl von 24 398 Wegweisungen während des Krieges, zudem verweigerte die eidgenössische<br />

Fremdenpolizei zwischen 1938 <strong>und</strong> Ende 1944 14 500 Flüchtlingen ein Einreisevisum. Siehe UEK, Flüchtlinge,<br />

S. 133ff.; Koller, Entscheidungen, 1996, S. 91ff.; <strong>zur</strong> Quellenlage: BAR, Flüchtlingsakten, 1999.<br />

287 Die Datenbank basiert auf der systematischen Erhebung von Informationen <strong>zur</strong> Identität, zu den Fluchtgründen <strong>und</strong> zu<br />

den Wegweisungsumständen von weggewiesenen Flüchtlingen. Sie ersetzt damit partiell die verschollene<br />

Wegweisungskartei der Polizeiabteilung.

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