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Roma, Sinti und Jenische. Schweizerische Zigeunerpolitik zur Zeit

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4 <strong>Roma</strong>, <strong>Sinti</strong> <strong>und</strong> <strong>Jenische</strong> als Flüchtlinge 77<br />

<strong>und</strong> Juden ausserhalb des Reichsgebiets, später auch deutsche «Zigeuner» kollektiv aus. 345<br />

Dies war ein Kulminationspunkt der gegen «Zigeuner» bereits seit Jahrzehnten in Europa<br />

geübten Praxis der Bürgerrechts- <strong>und</strong> Schriftenverweigerung. So verloren die mit Deutschen<br />

verheirateten ehemaligen Schweizerinnen, die als «Zigeunerinnen» eingestuft wurden, wie die<br />

Jüdinnen ihre deutsche Staatszugehörigkeit ohne Aussicht darauf, das Schweizer Bürgerrecht<br />

<strong>zur</strong>ückzuerlangen, <strong>und</strong> mit der Folge, dass sie dem «Elend unserer <strong>Zeit</strong>, von der lästigen<br />

fremdenpolizeilichen Schererei bis zum Tod im Vernichtungslager» ausgesetzt waren. 346 So<br />

wurde die ursprünglich in Muri, AG, heimatberechtigte Elisabetha Bm. nach der<br />

Eheschliessung mit ihrem Lebenspartner, dem deutschen <strong>Jenische</strong>n Kaspar H., aus der<br />

Schweiz ausgewiesen, obwohl auch die Familie von Kaspar H. schon länger in der Schweiz<br />

gelebt hatte <strong>und</strong> dieser selbst hier geboren war. Auch drei vor der Heirat der Eltern geborene<br />

Kinder verloren das Schweizer Bürgerrecht. Kaspar H. starb im Konzentrationslager<br />

Mauthausen. 347<br />

bekannt.<br />

Über das Schicksal der ehemaligen Schweizerin Elisabetha Bm. ist nichts<br />

4.5 Fazit: Abwehr statt Asyl<br />

Die präsentierten Fallgeschichten vermitteln das Bild einer «zigeunerpolitischen» Praxis, die<br />

darauf bedacht war, ausländische, staatenlose <strong>und</strong> selbst schweizerische <strong>Roma</strong> <strong>und</strong> <strong>Sinti</strong> <strong>und</strong><br />

<strong>Jenische</strong> vom Schweizer Territorium fernzuhalten, unbesehen der Tatsache, von welchen<br />

konkreten Verfolgungsmassnahmen die betreffenden Personen bedroht waren <strong>und</strong> unabhängig<br />

vom Wissen um die Lebensgefahr, in der die insbesondere nach NS-Deutschland<br />

<strong>zur</strong>ückgewiesenen Menschen schwebten.<br />

1951 hielt Oskar Schürch von der Polizeiabteilung des EJPD rückblickend fest,<br />

«dass in der Schweiz keine Zigeuner im eigentlichen Sinne mehr leben. Schon vor dem ersten<br />

Weltkrieg wurden eingehende Fahndungen nach Zigeunern durchgeführt, ihre Identität abgeklärt <strong>und</strong><br />

die als Zigeuner festgestellten Personen in ihre Heimatstaaten abgeschoben.» 348<br />

Ein «Zigeunerproblem» hatte es seither, <strong>und</strong> insbesondere in der <strong>Zeit</strong> von 1933 bis 1945, für<br />

die mit der Fremdenpolizei betrauten Behörden offensichtlich nicht mehr gegeben, denn<br />

––––––––––––––––––––––––<br />

345 Die Ausbürgerung der Juden erfolgte auf Gr<strong>und</strong>lage der am 25. November 1941 in NS-Deutschland erlassenen 11.<br />

Verordnung zum Reichsbürgergesetz von 1935, die 12. Verordnung zum Reichsbürgergesetz vom 25. April 1943<br />

enthielt analoge Bestimmungen für <strong>Roma</strong> <strong>und</strong> <strong>Sinti</strong>, wobei die meisten gegen Juden gerichteten Massnahmen jeweils<br />

auch auf <strong>Roma</strong> <strong>und</strong> <strong>Sinti</strong> angewendet wurden. Walk, Sonderrecht, 1996, S. 357, S. 397; Friedlander, NS-Genozid, 1997,<br />

S. 409f.<br />

346 Vischer-Frey, Staatsangehörigkeit, 1952, S. 99f. auch: Mächler, Kampf, 1998, S. 357ff.<br />

347 Auszug aus dem Zivilstandsregister der Gemeinde Birmensdorf (ZH) im Besitz der UEK. Bericht von<br />

Familienangehörigen, Sendung von Südwestfunk 2, 15. April 1998; Aufzeichnung im Besitz der UEK. Ein Bruder von<br />

Kaspar H., der ebenfalls in der Schweiz geborene Alois H., wurde in den Konzentrationslagern Dachau <strong>und</strong><br />

Sachsenhausen eingesperrt, Schreiben der Gedenkstätte Sachsenhausen an die UEK, 20. April 1999. Im Familienbesitz<br />

(Kopie im Archiv der Radgenossenschaft) befindet sich ein Brief von Alois H. an seine Familie vom 30. Mai 1942 aus<br />

dem KL Dachau.<br />

348 Schürch, in Vertretung des Chefs der Polizeiabteilung, an Brunner, 21.3.51. BAR E 4260 (C) 1974/34, Bd. 46.

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