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die Kunst des Sammelns - Julian Klein

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2. akt >>> 2. obergeschoss, tintenfische, sammlung mollusca (weichtiere)<br />

BÉNÉDICTE SAVOY<br />

49.804 r e c h e r c h e<br />

KUNST ORDNEN<br />

ODER: DRESDEN, MÜNCHEN, WIEN, PARIS<br />

Das hier war lange<br />

Zeit der größte Tintenfisch,<br />

den es in einer<br />

Sammlung gab. Das<br />

ist ein Dosidicus, ein<br />

MATTHIAS Humboldt-Kalmar,<br />

GLAUBRECHT<br />

so ungefähr anderthalb<br />

bis zwei Meter groß. Inzwischen hat<br />

das britische Museum tatsächlich einen<br />

Riesentintenfisch der Tiefsee, einen<br />

Architeuthis, und der ist ungefähr<br />

zehneinhalb Meter lang. Und vor allen<br />

Dingen können Sie, wenn Sie ihn<br />

von vorne angucken, sehen, dass er ein<br />

typischer Fischjäger ist. Sie sehen unten<br />

so einen papageiähnlichen Schnabel,<br />

mit dem er seine Beute zerkleinern kann.<br />

Der Dosidicus gigas (Riesentintenfisch)<br />

ist auf einem Fischmarkt in Chile<br />

von Ludwig Plate auf einer seiner Reisen<br />

zwischen 1893–1896 entdeckt worden.<br />

Der hat ihn in Weingeist geschmissen<br />

und dem Kurator Eduard von Martens<br />

hier am Museum telegraphiert: »Wollt<br />

Ihr den haben?« und der hat geantwortet:<br />

»Schick ihn hier rüber.«<br />

»Von ebendemselben wurde auch ein nur<br />

wenig kleineres gut erhaltenes Exemplar in<br />

Weingeist eingeschickt, einschließlich der<br />

langen Arme 1,74 m lang, der Rumpf vom<br />

vorderen Mantelrand an bis zur hinteren<br />

Spitze 85 cm lang und im Umfang 74, der<br />

Kopf im Umfang 59, ein Auge im Durchmesser<br />

9, Kopf und kurze Arme zusammen<br />

66 lang, <strong>die</strong> langen Arme allein 75 cm, <strong>die</strong><br />

Flosse 45 cm lang und im grössten Querdurchmesser<br />

vom rechten zum linken<br />

Seitenrand 75 cm, Kiefer 6,9 cm lang.« Beschrieben<br />

von EDUARD VON MARTENS<br />

(1831–1904) und mit der Sammlungsnummer<br />

versehen: ZMB Moll. 49.804,<br />

Berlin 1897.<br />

Systematik in <strong>Kunst</strong>museen war noch nie eine Selbstverständlichkeit. Das zeigen<br />

historische Beispiele, <strong>die</strong> nicht zuletzt daran erinnern, dass Gemälde auch<br />

anders präsentiert werden können als nach Epochen und Schulen, wie das heutzutage<br />

in fast jedem Museum der Welt der Fall ist.<br />

DRESDEN, 1830: In der inneren Galerie der kurfürstlichen Sammlung hingen<br />

<strong>die</strong> Bilder dicht an dicht an den Wänden, wie eine Haut. Die großformatigen oben,<br />

<strong>die</strong> kleinen unten. Eine für uns heute sicher erkennbare Ordnungssystematik gab<br />

es nicht. Im Barock, als <strong>die</strong>se Art der Hängung verbreitet war (man spricht <strong>des</strong>halb<br />

gerne von »barocker Hängung«) haben hier sicherlich kosmogonische Überlegungen<br />

eine Rolle gespielt. Um 1830 war eine solche Ordnung aber schon lange<br />

unzeitgemäß. In vielen europäischen <strong>Kunst</strong>sammlungen hatte man schon lange<br />

mit anderen Systematiken experimentiert, <strong>die</strong> heute vergessen sind und es <strong>des</strong>wegen<br />

besonders ver<strong>die</strong>nen, wieder in Erinnerung gerufen zu werden.<br />

MÜNCHEN, 1783, HOFGARTENGALERIE: Die ästhetische Erziehung <strong>des</strong><br />

Menschen stand hier im Mittelpunkt. Qualität hieß das Ordnungskriterium. Die<br />

minderwertigen Gemälde waren im ersten Saal versammelt, <strong>die</strong> mittelmäßigen im<br />

zweiten, <strong>die</strong> etwas besseren im dritten etc. bis zum letzten Saal, wo der vermeintliche<br />

»oberste Gipfel der <strong>Kunst</strong>« zu sehen war. Man ging in <strong>die</strong> Minderwertigkeit<br />

rein und durch <strong>die</strong> Göttlichkeit wieder raus. Per aspera ad astra. Eine höchst<br />

willkürliche, geschmacksabhängige Hängung, <strong>die</strong> bereits um 1800 viele Besucher<br />

abstieß, sollten doch auch Produkte der <strong>Kunst</strong> in allgemein gültigen Kategorien<br />

objektivierbar sein.<br />

WIEN, 1781: In Wien etablierte sich eine Systematik, <strong>die</strong> sich im 19. Jahrhundert<br />

europaweit durchsetzte und heute fast alle <strong>Kunst</strong>museen dominiert: <strong>die</strong><br />

chronologisch-topographische Ordnung. Die Gemälde hingen je nach Schulen<br />

und Subschulen in kleinen Sälen, Epochenabfolgen wurden berücksichtigt. Der<br />

Ordnung unterlag ein didaktisches Konzept, <strong>die</strong>smal aber nicht zur ästhetischen,<br />

sondern zur wissenschaftlichen Erziehung <strong>des</strong> Menschen. Die Systematik war<br />

als Unterricht geplant, <strong>die</strong> Galerie sollte einer Bibliothek gleichen. Nicht alle Besucher<br />

allerdings waren damals von <strong>die</strong>ser Neuordnung entzückt. Sie beklagten<br />

den Verlust von Emotion, ein zeitgenössischer Besucher sprach gar empört von<br />

»Galeriemord«.<br />

PARIS, 1793 – VIERTE UND LETZTE STATION: In der Grande Galerie<br />

<strong>des</strong> gerade gegründeten Musée central <strong>des</strong> Arts im Louvre herrschte auf dem ersten<br />

Blick großes Durcheinander. Die revolutionären Museumskommissare hatten<br />

nämlich mit Absicht eine bunte Durchmischung der Schulen, Gattungen und<br />

Epochen vorgenommen, <strong>die</strong> sie mit einem »Blumenbeet« verglichen. Möglichst<br />

heterogene Einheiten sollten hier nebeneinander hängen, <strong>die</strong> je das Ganze der<br />

Galerie, ja <strong>die</strong> ganze <strong>Kunst</strong>geschichte repräsentierten. Es ging um <strong>die</strong> Möglichkeit<br />

je<strong>des</strong> einzelnen, in einem Blick, egal wo er stand, <strong>die</strong> ganze Entwicklung der <strong>Kunst</strong><br />

zu erfassen.<br />

k o l l e k t i o n u n d k o l l e k t i v<br />

Geschichten<br />

Gemälde Alter Meister hängen heute fast überall nach Epochen und Schulen – das<br />

Wiener Modell von 1781 hat gesiegt. <strong>Kunst</strong>museen haben nicht aufgehört zu<br />

unterrichten. Dass das Publikum allerdings zunehmend unübersichtliche Schaudepots<br />

und sinnliche Präsentationsformen bevorzugt, ist ein starkes Signal. Systematik<br />

in Sachen <strong>Kunst</strong> ist eine höchst empfindliche Angelegenheit.<br />

Asterias rubens (GEMEINER SEESTERN) Acropora palmata (ELCHGEWEIHKORALLE) Poterion neptuni (NEPTUNSBECHER) JASON DUNLOP MAMMALIA (SÄUGETIERE) Semperella Hyalonema Sieboldii (GLASSCHWAMM) Tethyrhynchia mediterranea (BRACHIOPODENART) POLYCHAETA (VIELBORSTER) ANNELIDA (RINGELWÜRMER) AVES (VÖGEL) MICROCHIROPTERA (FLEDERMÄUSE) MANTIDAE (GOTTESANBETERINNEN) NEUROPTERA (NETZFLÜGLER) Chrysoperla carnea (GRÜNE FLORFLIEGE) MANTISPIDAE (FANGHAFTE) HOLOMETABOLA

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