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Die Zukunft ärztlicher Arbeitszeitsysteme - Arbeitszeitberatung Dr ...

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Herrmann · Kutscher · Weidinger<br />

Arbeitszeit und Organisation im Krankenhaus<br />

Lars Herrmann 01/2005<br />

<strong>Die</strong> <strong>Zukunft</strong> <strong>ärztlicher</strong> <strong>Arbeitszeitsysteme</strong><br />

(erschienen in: "Krankenhaus der <strong>Zukunft</strong>", Hrsg. A. Thiede / H.-J. Gassel,<br />

<strong>Dr</strong>. Reinhard Kaden Verlag, Heidelberg 2006.)<br />

1. Einleitung: Zwischen zwei Extremen<br />

Sollte der heftige Pendelschlag, den der Schock der EuGH-Urteile zum Bereitschaftsdienst<br />

auslöste, die ärztlichen Arbeitszeiten von einem Extrem ins andere<br />

treiben? Weil die amorphen, auf die Maximierung der Mitarbeiterverfügbarkeit angelegten<br />

Arbeitszeiten der Vergangenheit ihre Akzeptanz bei den Betroffenen verloren<br />

haben und unter DRG-Bedingungen nicht mehr funktionieren, wird in den letzten<br />

Jahren der Ruf nach dem „Gegengift“ lauter: der minutiös elektronisch erfassten Anwesenheitszeit,<br />

die die ungeliebten Zustände, wenn schon nicht beseitigt, so doch<br />

wenigstens sicht- und belegbar macht.<br />

Bezeichnenderweise haben die beiden scheinbaren Gegenpole mehr Gemeinsamkeiten<br />

als ihre jeweiligen Protagonisten glauben:<br />

- Beide misstrauen flexiblen <strong>Arbeitszeitsysteme</strong>n – hier weil sie unnötig oder gar<br />

schädlich seien, dort weil (vor dem Hintergrund bislang negativer Arbeitszeit-<br />

Erfahrungen) nicht an ihre Potenziale geglaubt wird. Beide Denkrichtungen übersehen<br />

den für flexible <strong>Arbeitszeitsysteme</strong> kennzeichnenden Anstoßgeber zur Reduzierung<br />

von Arbeitszeitverbrauch und zur Verbesserung der Arbeitsorganisation. Sie<br />

bleiben insofern resignative Zuschauer unabänderlicher Arbeitsabläufe.<br />

- Folgerichtig konzentrieren sich beide Sichtweisen auf das Ende der Prozesskette,<br />

an dem indessen schon „alles gelaufen“ ist, nämlich auf den Arbeitszeitverbrauch –<br />

hier durch sichtbare Präsenz in den karriererelevanten Abendstunden, dort durch<br />

Dokumentation erbrachter (langer) Arbeits- bzw. Anwesenheitszeiten. Doppelte<br />

Fehlanzeige demgegenüber dort, wo der Handlungsbedarf am größten ist: bei der<br />

proaktiven Vermeidung von Überlast-Situationen.<br />

- Und schließlich gehen beide Grundkonzepte von der grundsätzlichen Fremdsteuerung<br />

der Arbeitszeit durch den Arbeitgeber aus – wohingegen der Eigenverantwortung<br />

die <strong>Zukunft</strong> gehört, auch bei der Arbeitszeitgestaltung.<br />

Es wird also zu zeigen sein, wie tragfähige ärztliche <strong>Arbeitszeitsysteme</strong> jenseits dieser<br />

Polarität aussehen und was sie zu leisten imstande sein müssen.<br />

Rosa-Luxemburg-Straße 5 ⋅ 10178 Berlin<br />

Telefon 030 / 803 20 41 ⋅ Fax 030 / 803 91 33<br />

www.arbeitszeitberatung.de/krankenhaus/ ⋅ email@arbeitszeitberatung.de


Herrmann · Kutscher · Weidinger<br />

Arbeitszeit und Organisation im Krankenhaus<br />

2. „Entlastung + Effizienz“ – Leitprinzip zukunftsfähiger <strong>Arbeitszeitsysteme</strong> im<br />

ärztlichen <strong>Die</strong>nst<br />

Flexible <strong>Arbeitszeitsysteme</strong> verdienen dann ihren Namen, wenn sie fortlaufend wirksame<br />

Beiträge gleichermaßen zur Entlastung der Mitarbeiter und zur Verbesserung<br />

der Effizienz liefern. Denn der Anreiz, mit der für Mitarbeiter wie Krankenhaus besonders<br />

knappen Arbeitszeit so sparsam wie möglich umzugehen, trifft ein gemeinsames<br />

Interesse: Eine gewünschte Entlastung der Mitarbeiter von überlangen Arbeitszeiten<br />

erfordert und fördert Verbesserungen von betrieblicher und persönlicher<br />

Arbeitsorganisation und wird damit für das Krankenhaus produktiv. <strong>Die</strong>s gilt auch<br />

dann, wenn die Überstunden der Ärzte bislang gar nicht dokumentiert worden sind.<br />

Auf nichts sind die Krankenhäuser im DRG-Zeitalter so angewiesen, wie auf die Fähigkeit,<br />

ihre Leistungsträger in die erforderlichen Verbesserungen ihrer Organisationsabläufe<br />

aktiv einzubeziehen.<br />

Zudem wird der Wettbewerb um exzellente Ärzte die Bereitschaft der Krankenhäuser<br />

fördern, in attraktive Arbeits(zeit)bedingungen zu investieren, die zur immer stärker<br />

eingeforderten Work-Life-Balance beitragen. Krankenhäuser werden dabei sogar<br />

mehr tun müssen als andere, denn sie konkurrieren am Arbeitsmarkt mit Unternehmen,<br />

die zukünftig nicht in gleichem Maße ihre Servicezeiten deutlich in den Frühabend<br />

und ins Wochenende erweiterten müssen. Der sich im assistenzärztlichen Bereich<br />

bereits abzeichnende Trend von Ausbildungsbetrieb zu längerfristigeren Beschäftigungsverhältnissen<br />

greift diese Entwicklung auf – und verstärkt sie. Denn es<br />

ist nicht verwunderlich, dass sich gerade jene Ärzte für ihre Arbeitsbedingungen engagieren,<br />

die für eine längere Krankenhauskarriere optieren.<br />

Es kann also kein Zurück zur bzw. kein Verharren in der unter früheren Rahmenbedingungen<br />

praktizierten alten Arbeitszeitkultur mehr geben. Aber: Eine maschinelle<br />

Abwesenheitszeiterfassung leistet zur erforderlichen Innovation auch keinen Beitrag!<br />

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass ein Symbol der Frühindustrialisierung<br />

mitunter gerade von Ärzten gefordert wird, die die Industrialisierung des Arztberufes<br />

mit guten Begründungen ablehnen; und dass dies in einer Zeit geschieht, in der sich<br />

in der Industrie das Zeitalter der maschinellen Zeiterfassung zumindest im Bereich<br />

hoch qualifizierter Mitarbeiter dem Ende zuneigt. Fragt man nach Argumenten, werden<br />

zwei immer wieder genannt:<br />

- Das erste lautet: Wir müssen durch Transparenz „<strong>Dr</strong>uck“ machen, damit unsere<br />

Überstunden bezahlt oder neue Ärzte eingestellt werden. So verständlich dies erscheint<br />

und so bedenklich es ist, dass Krankenhausleitungen dieser <strong>Dr</strong>ohung noch in<br />

einer Zeit bedürfen, in der sie sich dieses Themas aus ureigenem Interesse – siehe<br />

oben – annehmen müssten: Arbeitszeitdokumentationen sind ein denkbar schlechtes<br />

Mittel zur Durchsetzung solcher Interessen. Kein vernünftiger Krankenhausmanager<br />

wird nämlich daraus kapazitätsrelevante Informationen entnehmen. Denn erstens<br />

sind aus verbrauchten Arbeitszeiten ohnehin keine Rückschlüsse auf Leistung und<br />

Wertschöpfung möglich, und zweitens darf das Management die Entscheidung zur<br />

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Arbeitszeit und Organisation im Krankenhaus<br />

Einstellung zusätzlicher Ärzte nicht von der Anzahl ihrer Überstunden abhängig machen,<br />

sondern davon, in welcher Klinik sich zusätzliche Ertragsquellen auftun.<br />

- Überzeugender erscheint das zweite, für eine maschinelle Zeiterfassung ins Feld<br />

geführte Argument: Ebenso wie in der Industrie müssten die Krankenhäuser erstmal<br />

schrittweise ein Regelungsfundament für flexible Arbeitszeiten schaffen – nach dem<br />

Motto: vom simplen (amorphen) über das komplizierte (regelungs- und erfassungstechnisch<br />

aufgerüstete) irgendwann zum einfachen (flexiblen und eigenverantwortlichen)<br />

Arbeitszeitsystem. <strong>Die</strong>s entspricht zwar tatsächlich einem häufigen bisherigen<br />

Entwicklungsweg der betrieblichen Arbeitszeitgestaltung in Deutschland der letzten<br />

25 Jahre. Empirisch zeigt sich aber, dass sich der „komplizierte“ Zwischenschritt<br />

überspringen lässt, ja, dass Unternehmen in der Regel sogar einfacher zu hochflexiblen<br />

<strong>Arbeitszeitsysteme</strong>n kommen, die niemals elektronische Zeiterfassung hatten.<br />

Letztere (ver-)führt nämlich nachweislich zu einem unverantwortlichen Umgang der<br />

Mitarbeiter mit der Arbeitszeit: Informationen, die für die Wertschöpfung ohne Bedeutung<br />

sind, erhalten zu großes Gewicht. Überlastprobleme werden auf die lange Bank<br />

geschoben bzw. zentralisiert in die Verwaltung „delegiert“. Anwesenheitszeiten, die<br />

nicht zur Arbeitszeit rechnen dürfen (zum Beispiel bezahlte Gutachten für <strong>Dr</strong>itte oder<br />

mit Poolbeteiligungen honorierter zeitlicher Aufwand) oder sollen (persönliche Lerninvestitionen),<br />

werden in einen Topf mit Arbeitszeiten geworfen. Und nicht zuletzt<br />

wird der für ärztliche Hierarchien und Führungstraditionen typische Anreiz, seine<br />

Leistungsbereitschaft mit langen Arbeitszeiten zu dokumentieren, angeheizt statt beendet.<br />

Bestehende Organisationsprobleme, deren Linderung man sich erhoffte, werden dadurch<br />

in der Regel weiter verschärft – insbesondere dann, wenn nicht zugleich intensiv<br />

in das Arbeitszeitmanagement investiert wurde. Aus diesen Erfahrungen lässt<br />

sich ableiten, was gute <strong>Arbeitszeitsysteme</strong> im ärztlichen <strong>Die</strong>nst kennzeichnen sollte,<br />

wobei ich jeden Punkt nachfolgend näher erläutere. Dabei wird deutlich werden, wie<br />

eng diese Gestaltungsfelder miteinander verknüpft sind.<br />

Gute ärztliche <strong>Arbeitszeitsysteme</strong> der <strong>Zukunft</strong> fördern bzw. fordern<br />

- die Aufgabenplanung,<br />

- die Abwesenheitszeit zur richtigen Zeit,<br />

- flexibles Arbeiten,<br />

- die eigenverantwortliche Arbeitszeiten-Steuerung,<br />

- unterschiedliche Arbeitsstile und Zeit-Präferenzen,<br />

- die Unterstützung der ärztlichen Führungskräfte sowie<br />

- einen einfachen und unaufwändigen Regelungsrahmen.<br />

3. Planung statt Erfassung – Kern des Arbeitszeitmanagements<br />

Am Anfang der Prozesskette – bei der Arbeitszeitplanung – entscheidet sich bereits<br />

der Erfolg betrieblicher <strong>Arbeitszeitsysteme</strong>. Arbeitszeitplanung bedeutet vor allem<br />

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Arbeitszeit und Organisation im Krankenhaus<br />

Aufgabenplanung, denn diese ist Voraussetzung für das Ausbalancieren von Arbeitsaufgaben<br />

und einteilbarer Personalkapazität. Ihr Nutzenpotenzial für Effizienz<br />

und Entlastung ist im ärztlichen <strong>Die</strong>nst da besonders hoch, wo bislang das Prinzip<br />

der maximalen Verfügbarkeit möglichst vieler Ärzte zur gleichen Zeit Planungsprozesse<br />

weitgehend erübrigte.<br />

Schon die alltagsweltliche Betrachtung, dass, wer seine Zeit gut plant und zielgerichtet<br />

einteilt und dabei Reserven für Unvorhersehbares einkalkuliert, entspannter und<br />

sicherer arbeitet, verdeutlicht: Arbeitszeit ist die für vereinbarte Arbeitsaufgaben aufgewendete<br />

Zeit. <strong>Die</strong>s bedeutet aus der Sicht der Arbeitszeitgestaltung dreierlei:<br />

1. Arbeitszeitplanung sendet Impulse aus für eine prozessorientierte Arbeitsorganisation,<br />

in der weniger Arbeitszeit verbraucht werden muss, sei es durch die Bildung von<br />

medizinischen Zentren, integrierten Versorgungsstrukturen oder die Zusammenlegung<br />

von Funktionsbereichen bzw. kleinen Intensivstationen oder sei es durch Standardbehandlungsabläufe,<br />

in der die optimale zeitliche Strukturierung <strong>ärztlicher</strong> Arbeitsaufgaben<br />

für die häufigsten Diagnosen und Standardeingriffe festgelegt ist (was<br />

insbesondere auf das Weglassen unnötiger oder unwirksamer Tätigkeiten und die<br />

Delegation von Tätigkeiten auf andere Berufsgruppen abzielt).<br />

2. Arbeitszeitplanung steckt den zeitlichen Rahmen der Leistungserbringung ab. Dabei<br />

wird als (berufsübergreifende) Servicezeit die Zeitspanne definiert, während derer<br />

die unverzügliche Erbringung der Standardleistungen für die Patienten garantiert wird<br />

– unter Optimierung der zeitlichen Patientenanforderungen sowie der Auslastung von<br />

Raum und Technik. Da die Servicezeit nur selten mit der Tagesarbeitszeit des einzelnen<br />

Arztes übereinstimmt, werden Bedarf und individueller Einsatz so weit wie<br />

möglich von einander entkoppelt. <strong>Die</strong>s ist Voraussetzung für persönliche zeitliche<br />

Gestaltungsspielräume der Mitarbeiter, fördert Teamarbeit und ermöglicht (über den<br />

Weg der Standardisierung der Arbeitsprozesse), Leistungs- und Qualitätsgarantien<br />

so weit wie möglich unabhängig von der Verfügbarkeit einzelner Ärzte abgeben zu<br />

können. Da zukünftig eine Erweiterung der Servicezeiten in den Abend und das Wochenende<br />

in Funktions- und OP-Bereichen absehbar ist, werden Arbeitszeittraditionen<br />

wie konventionelle Regeldienst-Bereitschaftsdienst-Schemata (unabhängig von<br />

ihrer rechtlichen Zulässigkeit) an Bedeutung verlieren. An ihre Stelle tritt eine Zweiteilung<br />

des Tages mit flexiblen Tagesdiensten und einzelnen, bis zu 12h langen Tagesdiensten<br />

während der Servicezeit auf der einen, und sogenannten <strong>Die</strong>nstmodulen<br />

auf der anderen Seite. <strong>Die</strong>nstmodule sind zusammenhängende Blöcke von (meist<br />

Nacht- und Wochenend-) <strong>Die</strong>nsten und arbeitsfreien Tagen, die im <strong>Die</strong>nstplan jeweils<br />

von einem oder von mehreren Ärzten besetzt werden. Sie ermöglichen eine passgenaue<br />

Kombination von Vollarbeitszeit- und Bereitschaftsdienstanteilen und erhöhen<br />

(anders als derzeit noch oft behauptet) die Kontinuität der Patientenversorgung. Zudem<br />

werden sich qualifizierte und arbeitsmedizinisch vernünftig gestaltete Schichtsysteme<br />

(mit möglichst nur zwei, entsprechend langen, <strong>Die</strong>nstlagen pro Tag) infolge<br />

entsprechender Qualitätsanforderungen, wie heute bereits bei der Anerkennung einer<br />

Intensivstation als neonatologisches Zentrum oder bei DM-Programmen, mehr<br />

und mehr durchsetzen.<br />

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Arbeitszeit und Organisation im Krankenhaus<br />

3. Arbeitszeitplanung ist ein fortlaufender Prozess der Vorstrukturierung eines schonenden<br />

Umgangs mit dem verfügbaren Arbeitszeitvolumen. Dazu gehört erstens das<br />

regelmäßige Arbeitsplanungsgespräch, in dem der Chefarzt mit seinen Mitarbeitern<br />

den Arbeitszeitbedarf vorstrukturiert, für Zusätzliches Luft schafft und Wegzulassendes<br />

benennt und sich damit zugleich hinsichtlich seiner Erwartungen an die Mitarbeiter<br />

festlegt. Der Führungskraft kommt hierbei insbesondere die Aufgabe zu, der Tendenz<br />

zur Ausdehnung des eigenen Tätigkeitsbereiches durch die Mitarbeiter – sei es<br />

aus Unsicherheit, sei es aus Engagement – Grenzen zu setzen. Ggf. müssen im<br />

Rahmen des Arbeitsplanungsgesprächs auch temporäre Zusatzzeitbudgets vereinbart<br />

werden (etwa bei nicht besetzten Stellen), die dann als Überstunden vergütet<br />

werden (letztere sollten in flexiblen Systemen ausschließlich auf Basis solcher Vorausplanungen<br />

möglich sein). Und zweitens gehört dazu die Feinplanung auf der E-<br />

bene der Woche – mittels sogenannter Wocheneinsatzpläne – und des Tages – mittels<br />

sogenannter Standard-Tagesablaufpläne –, die dann am Vorabend oder am<br />

Morgen auf die konkrete Arbeitssituation hin angepasst werden. Teambezogene Arbeitsplanungsverfahren<br />

bereiten den Weg zu prozess- statt tätigkeits-orientierten Arbeitsweisen,<br />

in denen sich durch Absprachen die Teammitglieder gegenseitig freispielen<br />

– für konzentriertes, ungestörtes Arbeiten in Funktionen, im OP oder am<br />

Schreibtisch sowie für persönliche Zeitflexibilität.<br />

4. Abwesenheitsoptionen – die wichtigste Flexibilitätsvoraussetzung<br />

Abwesenheit zur richtigen Zeit zu fördern ist ein Grundprinzip flexibler Arbeitszeitgestaltung,<br />

denn hier liegen die wichtigsten Potenziale für Entlastung und für Effizienzsteigerung.<br />

An der Fähigkeit und Bereitschaft der Führungskräfte, Abwesenheit zu<br />

ermöglichen, lässt sich ihr Willen ablesen, in Zeiten zunehmenden Arbeitsdrucks zur<br />

Entlastung ihrer Mitarbeiter beizutragen. <strong>Die</strong>s ist für die Mitarbeiter schon deshalb<br />

wichtig, weil ihr Risiko der Abwesenheit (kürzer arbeiten) deutlich höher ist als das<br />

ihrer Anwesenheit (länger arbeiten). <strong>Die</strong>ses Risiko zu mildern, damit die Erträge Entlastung<br />

und Produktivität wirksam werden können, ist Voraussetzung für tatsächlich<br />

flexible Arbeitszeiten.<br />

Dabei geht es um zwei Ebenen: die methodisch-operationale (abwesend sein können)<br />

und die kulturelle (abwesend sein dürfen). Für erstere ist die Arbeitsplanung<br />

zuständig: bei der langfristigen Planung zum Beispiel durch dienstplanmäßig arbeitsfreie<br />

Tage zum Auffangen von urlaubsbedingten und arbeitsanfallbedingten Auslastungsschwankungen,<br />

bei der Kurzfristplanung durch klare Tagesziele, nach deren<br />

Erledigung der Mitarbeiter guten Gewissens gehen kann, sowie durch Servicezeiten<br />

statt Anwesenheitsvorgaben, damit nicht – unabhängig vom Arbeitsaufkommen –<br />

mindestens die gesamte vertragliche Tagesarbeitszeit erbracht werden muss.<br />

Noch wichtiger ist die zweite – die kulturelle – Ebene, die in hierarchisierten Strukturen<br />

maßgeblich durch die Führungskompetenzen der Chefärzte geprägt ist. Empirisch<br />

lässt sich der signifikante Einfluss chef<strong>ärztlicher</strong> Führungsstile auf den Arbeits-<br />

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Arbeitszeit und Organisation im Krankenhaus<br />

zeitverbrauch der ärztlichen Mitarbeiter nachweisen: vom bewussten Freiräumen von<br />

Flexibilitätspotenzialen an den Tagesrändern (Beispiele: Verzicht auf ritualisierte kollektive<br />

Morgenbesprechungen und „ist-eh-da“-Mentalitäten) über den Verzicht auf<br />

anwesenheitsfördernde Aussagen („Ich bin die Vereinsamung nach 16:00 Uhr leid.“)<br />

und die konsequente Unterstützung der Mitarbeiter bei der Beseitigung von „Zeitfressern“<br />

und beim Aufspüren von „Arbeitsanfall-Tälern“ (siehe 8.) bis zum eigenen diesbezüglichen<br />

Vorbild.<br />

5. Flexi-Spielregeln<br />

Flexible Arbeitszeit bedeutet, die Verteilung der Arbeitszeit schwankendem Arbeitsanfall<br />

anpassen und hiermit zu vereinbarende persönliche Zeitinteressen der Mitarbeiter<br />

bestmöglich realisieren zu können. Da zukünftig in Krankenhäusern die<br />

Schwankungen des Arbeitsanfalls ausgeprägter und zugleich die Arbeitszeitinteressen<br />

der Ärzte ausdifferenzierter sein werden, steigen die Anforderungen an das Flexibilitätsniveau.<br />

Von sämtlichen <strong>Die</strong>nsten muss daher bedarfsgerecht nach „unten“<br />

und (im Rahmen des gesetzlich Zulässigen) nach „oben“ abgewichen werden können<br />

– bei jeweils zeitnahem Ausgleich in Richtung Vertragsarbeitszeit. Wo Abwesenheitszeiten<br />

bedarfsgerecht möglich sind, sind auch flexible Arbeitszeiten möglich.<br />

Flexi-Spielregeln sind Regeln, um Arbeitszeit zugleich flexibel und sparsam einzusetzen,<br />

ohne dass es grundsätzlich eines Eingriffs durch Führungskräfte bedarf. Ein<br />

wichtiges Beispiel ist das sog. Äquivalenzprinzip der flexiblen Arbeitszeit, dessen<br />

Anwendung die Tagesflexibilität fördern soll. Ein (ggf. in einem <strong>Die</strong>nstplan eingeteilter)<br />

<strong>Die</strong>nst kann verlängert oder verkürzt werden, während ein zusätzlich arbeitsfreier<br />

Tag unter der Woche einen zusätzlichen Arbeitstag (zum Beispiel am Wochenende)<br />

voraussetzt. <strong>Die</strong>se Flexi-Spielregel fördert, Längerarbeit stets durch Kürzerarbeit<br />

auszugleichen – und umgekehrt, was die Tagesflexibilität (gerade auch nach „unten“)<br />

und die kontinuierliche Besetzung fördert und Ansparprozesse mit dem Ziel zusätzlicher<br />

freier Tage verhindert. Zur Zeit lässt sich im ärztlichen <strong>Die</strong>nst hingegen das Paradoxon<br />

beobachten, dass es leichter fällt, Mitarbeiter zum Ausgleich längerer Arbeitszeit<br />

ganztägig freizustellen als stundenweise, obwohl ersteres organisatorisch<br />

ungünstiger und anspruchsvoller ist – ein Hinweis auf organisatorische und kulturelle<br />

Flexibilitätsbarrieren im Tagesgeschäft.<br />

6. Eigenverantwortliche Arbeitszeiten-Steuerung<br />

Eigenverantwortung ist der wichtigste Hebel zu wirklicher Arbeitszeitflexibilisierung.<br />

Es geht darum, die individuelle Kompetenz der Ärzte zu stärken, sich mit Hilfe eigener<br />

zeitlicher Gestaltungsspielräume das Arbeiten leichter zu machen. Auf Dauer<br />

dürfen und können Selbststeuerung und Eigenverantwortung in Bezug auf die persönliche<br />

Arbeitszeitorganisation nicht hinter der oft hohen inhaltlichen Verantwortung<br />

für die Patientenversorgung hinterherhinken – schon weil es in einem aufgrund der<br />

gegebenen Rahmenbedingungen notwendig betriebswirtschaftlich ausgerichteten<br />

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Arbeitszeit und Organisation im Krankenhaus<br />

Krankenhaus für jeden Arzt unvermeidbar ist, das Spannungsverhältnis zwischen<br />

medizinisch, menschlich oder wissenschaftlich wünschenswertem Aufwand einerseits<br />

und den wirtschaftlichen Erträgen seines Zeiteinsatzes andererseits fortlaufend<br />

für sich auszuloten.<br />

Eigenverantwortung bei der Arbeitszeitgestaltung setzt Freiheitsgrade der Mitarbeiter<br />

voraus, die diese wiederum zu schätzen wissen und als Entlastung, mitunter sogar<br />

als Befreiung erleben. Deshalb müssen die ärztlichen Führungskräfte Eigenverantwortung<br />

einfordern und ermöglichen. Gerade wenn man viel zu tun hat, darf es nicht<br />

ein Thema von Zurückhaltung oder gar Angst sein, nach Absprache im Team mal<br />

früher nach Hause zu gehen.<br />

Eigenverantwortlich gesteuerte Arbeitszeiten werden sich auch deshalb ausbreiten,<br />

weil sie die sich individualisierenden Zeitinteressen der Mitarbeiter unterstützen und<br />

weil die typischerweise personell überschaubaren ärztlichen Einheiten besonders für<br />

abspracheorientierte Systeme geeignet sind.<br />

Das zu diesen Rahmenbedingungen im ärztlichen <strong>Die</strong>nst am besten passende flexible<br />

Arbeitszeitsystem wird Vertrauensarbeitszeit genannt. Vertrauensarbeitszeit bedeutet,<br />

dass der Mitarbeiter seine vertraglichen Arbeitszeitverpflichtungen ohne Zeitkontrolle<br />

erbringt. Der Mitarbeiter kann Arbeitszeitaufzeichnungen für den eigenen<br />

Überblick erstellen, ohne jedoch ein betrieblich einsehbares und Ansprüche begründendes<br />

Zeitkonto zu führen. Weil hier die Steuerung der Arbeitszeit einschließlich der<br />

Verantwortung für deren fortlaufende Rücksteuerung in Richtung Vertragsarbeitszeit<br />

in einer Hand liegt, werden eigenverantwortliches Handeln der Mitarbeiter und ein<br />

effizienter und effektiver Einsatz der Arbeitszeit besonders gefördert. <strong>Die</strong> Selbstkontrolle<br />

der Arbeitszeit ist im ärztlichen <strong>Die</strong>nst im Übrigen schon deshalb eine gute<br />

Idee, weil Anwesenheit und Arbeitszeit immer weniger übereinstimmen – siehe oben.<br />

Ein faires Angebot ist Vertrauensarbeitszeit dann, wenn neben den in den vorstehenden<br />

Kapiteln genannten Voraussetzungen noch drei weitere erfüllt werden:<br />

1. Eigenverantwortung setzt die Stärkung der Position des Mitarbeiters im Arbeitszeitmanagement<br />

voraus – eine derzeit noch selten erfüllte Anforderung. Dazu gehört<br />

insbesondere, dass die Führungskraft bei Überlastsituationen, wenn also die Balance<br />

zwischen Aufgabe und Arbeitszeit eigenverantwortlich nicht mehr hergestellt werden<br />

kann, ihre Unterstützung anbietet; siehe dazu Kapitel 8.<br />

2. Vertrauensarbeitszeit enthält das Angebot, auf Vertrauensbasis und eigenverantwortlich<br />

mit der Arbeitszeit auszukommen. Niemand darf daher gezwungen sein, im<br />

Durchschnitt länger zu arbeiten als er möchte. Gegenüber anderen flexiblen <strong>Arbeitszeitsysteme</strong>n<br />

hat die Vertrauensarbeitszeit jedoch den Vorteil, dass sie eigenverantwortliche<br />

Spielräume bei der Arbeitszeitdauer in Richtung Längerarbeit grundsätzlich<br />

nicht behindert. <strong>Die</strong> beiden wichtigsten Motive aus der Sicht der Ärzte sind hierfür<br />

zum einen gewünschte Zusatzinvestitionen in die eigene Ausbildung über den Standardinhalt<br />

hinaus und zum anderen ein gewünschter eigener (bekanntermaßen<br />

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Arbeitszeit und Organisation im Krankenhaus<br />

schwer veränderbarer) Arbeitsstil: Krankenhausärzte, die regelmäßig unter Zeitdruck<br />

riskante, verantwortungsvolle Entscheidungen treffen müssen, reagieren auf diese<br />

Anforderung naturell- und erfahrungsabhängig unterschiedlich und sollten daher unter<br />

anderem über die Option verfügen, sich individuell ungewünschtem Effizienzdruck<br />

in einem gewissen Rahmen entziehen zu können (siehe dazu das nächste Kapitel).<br />

Vertrauensarbeitszeit trägt damit zur Entkräftung der auch ansonsten gefährlichen<br />

These bei, fürsorgliche, liebevolle Medizin und effizientes Arbeiten seien nicht vereinbar.<br />

3. Als pauschalierte Gegenleistung für anfallende Überstunden können ggf. Pauschalfreizeiten<br />

in Form von arbeitsfreien Tagen oder Freizeitblöcken vereinbart werden.<br />

7. Diversifikation der Arbeitsstile und Zeitpräferenzen<br />

<strong>Die</strong> Arbeitszeitinteressen der Ärzte sind heterogen – und werden sich zukünftig weiter<br />

ausdifferenzieren: aufgrund unterschiedlicher Arbeitsstile, Ausbildungsstände,<br />

berufsethischer Vorstellungen sowie Lebensverhältnisse. Fortschrittliche <strong>Arbeitszeitsysteme</strong><br />

im ärztlichen <strong>Die</strong>nst unterstützen diesen Diversifizierungstrend gleich in<br />

dreifacher Hinsicht: zum einen, indem sie Vielfalt und Differenz in Bezug auf die individuelle<br />

Arbeitszeitgestaltung der Ärzte ermöglichen, zum zweiten, indem sie unterschiedliche<br />

Arbeitszeitdauern für unterschiedliche Lernphasen und Arbeitsstile zulassen<br />

und zum dritten, indem sie präferenzengerechte Wahlmöglichkeiten in Bezug auf<br />

Zusatzvergütungen oder Zusatzfreizeit eröffnen:<br />

- Für den ersten Punkt schafft Vertrauensarbeitszeit dann besonders gute Voraussetzungen,<br />

wenn ein gegenseitiges misstrauisches „Beäugen“ unterschiedlicher Arbeitsstile<br />

unterbleibt und der Chefarzt zum Beispiel einen Arzt bei der Realisierung<br />

zunächst ungewohnter Freizeitinteressen unterstützt.<br />

- Zweitens ermöglicht Vertrauensarbeitszeit unterschiedliche Arbeitszeitdauern: Auch<br />

wenn „grenzenloses“ Arbeiten schon deshalb aus betrieblicher Sicht nicht toleriert<br />

werden sollte, weil es die Ergebnisorientierung gefährdet – schließlich kommt es im<br />

DRG-Zeitalter darauf an, die Patientenbehandlung zügig beenden zu wollen – ist die<br />

Realisierbarkeit diesbezüglich individuell gewünschter Spielräume in einer Erfahrungswissenschaft<br />

wie der Medizin besonders wichtig: etwa, um im Rahmen der<br />

Ausbildung oder der Spezialisierung zusätzliche persönliche Lerninvestitionen vornehmen<br />

zu können oder um individuell unerwünschten Effizienzdruck zu vermeiden.<br />

<strong>Die</strong> Führungskraft soll in diese Zeitsouveränität aber dann von sich aus eingreifen,<br />

wenn<br />

(a) infolge langer Arbeitszeiten Arbeitsprozesse verzögert werden oder die Ergebnisqualität<br />

leidet,<br />

(b) arbeitszeitrechtliche Rahmenbedingungen nicht beachtet werden und<br />

(c) der Arzt trotz erkennbarer Überlastungssymptome nicht von sich aus reagiert.<br />

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Arbeitszeit und Organisation im Krankenhaus<br />

Unabhängig davon hat der Arzt jederzeit einen Anspruch auf die Vereinbarung entlastender<br />

Maßnahmen mit seiner Führungskraft, wenn er dies wünscht (siehe dazu<br />

das nachfolgende Kapitel).<br />

- Und schließlich geht es unter dem Stichwort Diversifikation darum, das bestehende<br />

Junktim zwischen Bereitschaftsdienst und Zusatzvergütung aufzulösen, indem den<br />

Mitarbeitern die – zukünftig eventuell tarifvertraglich geregelte – Option eröffnet wird,<br />

je nach persönlicher Präferenz zwischen mehr Freizeit und einer Zusatzvergütung<br />

wählen zu können und damit individuell unerwünschte Einkommenseffekte infolge<br />

veränderter oder abgeschaffter Bereitschaftsdienste zu vermeiden – durch <strong>Die</strong>nstzeiten<br />

bis hin zur arbeitszeitschutzrechtlichen Grenze von durchschnittlich 48 Stunden<br />

pro Woche. <strong>Die</strong>s kommt ebenso dem Krankenhaus zugute: aufgrund der Stundensatzdegression<br />

durch niedrigere Personalkosten und durch eine effizientere Ausund<br />

Weiterbildung.<br />

8. Chefärztliche Unterstützung bei der Arbeitszeiten-Steuerung<br />

Ist die Balance zwischen Aufgabe und Arbeitszeit gestört und kann der Arzt sie eigenverantwortlich<br />

nicht wieder herstellen, so hat er in fortschrittlichen <strong>Arbeitszeitsysteme</strong>n<br />

ein Recht auf diesbezügliche Unterstützung durch seine Führungskraft. Dass<br />

jedoch helfende Berufe an sich zur Menschenführung qualifizieren, wie es verschiedentlich<br />

geglaubt wurde, hat sich als Illusion erwiesen.<br />

Das Interesse der Chefärzte an der Arbeitszeitflexibilisierung wird in dem Maße steigen,<br />

wie ihnen bewusst wird, dass ihre ärztlichen Mitarbeiter die Fähigkeit, das außerberufliche<br />

Leben (zeitlich) befriedigend zu gestalten, als wesentliche Voraussetzung<br />

für die Kompetenzerweiterung auch im Beruf begreifen. Schon weil dauerhaftes<br />

„Verstecken“ vor Überlastsignalen von den Ärzten immer weniger akzeptiert wird, ist<br />

Offensive hier die richtige Strategie: Überlastsymptome weisen auf organisatorische<br />

Schwachstellen, Planungs- und Steuerungsdefizite, Überspezialisierung und ineffiziente<br />

Kommunikation hin. Der Entlastungswunsch des Mitarbeiters sollte daher Hebelwirkung<br />

im Hinblick auf die Behebung solcher Probleme haben. Dass dabei ein<br />

eigener Lösungsbeitrag des Arztes erwartet wird, versteht sich von selbst.<br />

Es führt daher kein Weg daran vorbei, dass die Chefärzte (a) sich mit den (wenigen)<br />

hierzu erforderlichen Methodiken und Werkzeugen vertraut machen, insbesondere<br />

durch diesbezügliche Trainings, (b) ihre bisherigen Arbeitszeiterwartungen an ihre<br />

Mitarbeiter kritisch rekapitulieren – nicht zuletzt mit dem Ziel, die eigenen Potenziale<br />

zur persönlichen Work-Life-Balance auszuloten und auch der Vorbildwirkung wegen,<br />

und (c) den Mitarbeitern ihre Unterstützung anbieten. <strong>Die</strong>s beginnt damit, dass aus<br />

Überlastungshinweisen der Mitarbeiter diesen keine persönlichen Nachteile entstehen!<br />

Letztlich geht es darum, den Mitarbeitern die weit verbreitete (und verständliche)<br />

Angst davor zu nehmen, die eigene Unentbehrlichkeit in Frage zu stellen oder<br />

mit dem Stigma des „Schwachleisters“ behaftet zu werden, wie es möglicherweise<br />

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Herrmann · Kutscher · Weidinger<br />

Arbeitszeit und Organisation im Krankenhaus<br />

demjenigen droht, der Vorschläge zur eigenen Entlastung macht. Nicht selten warten<br />

die Mitarbeiter nur auf das Unterstützungsangebot, und das offene, wertschätzende<br />

Gespräch ist schon wesentlicher Bestandteil der Lösung.<br />

Ein Arbeitszeitsystem, das die Entwicklung diesbezüglicher Führungskompetenzen<br />

unterstützt, muss einfach und verständlich sein (sonst wird es als lästig empfunden),<br />

den Ärzten Eigenverantwortung abfordern (sonst wird es nicht ernst genommen) und<br />

von der – dezentralen – Organisationsverantwortung der Chefärzte ausgehen (sonst<br />

wird diese auf die Verwaltung delegiert).<br />

9. Einfachheit bewahren<br />

<strong>Die</strong> traditionelle ärztliche Arbeitszeitorganisation ist einfach – eine Qualität, die es<br />

auch in neuen Arbeitszeitregelungen zu bewahren gilt. Nicht selten ist der Versuch,<br />

überstrukturierte <strong>Die</strong>nstpläne aus dem Pflegebereich, in der jede erdenkliche <strong>Die</strong>nstkonstellation<br />

mit einem eigenen <strong>Die</strong>nstkürzel erfasst wird, auf die Ärzte zu übertragen,<br />

zu recht gescheitert; er verweist eher auf Handlungsbedarf im Bereich der Pflege.<br />

Es kommt also – wie schon in den zuvor angesprochenen Punkten – auch darauf<br />

an, die positiven Seiten des „alten“ Arbeitszeitsystems aufzugreifen. Der Beitrag zukunftsfähiger<br />

<strong>Arbeitszeitsysteme</strong> zur Vereinfachung liegt in ihrer Investition in Vertrauen,<br />

denn diese ermöglicht auch in einem komplexen Arbeitsumfeld Sicherheit,<br />

Verlässlichkeit und Einfachheit. Daraus leitet sich die bewusste Entscheidung (beider<br />

Betriebsparteien, denn wir befinden uns hier im Zentrum betrieblicher Mitbestimmung)<br />

ab, nicht jedes Detail im Voraus regeln zu wollen und stattdessen über die<br />

Handhabung der Regelung (die viel wichtiger ist als die Regelung selbst) intensiv im<br />

Gespräch zu bleiben. Kernidee wirklich flexibler Arbeitszeiten ist es gerade, unnötige<br />

Schwere aus dem Umgang mit Arbeitszeit zu nehmen, ihn so leicht wie möglich zu<br />

machen. In einfachen <strong>Arbeitszeitsysteme</strong>n setzt man zudem eher auf einfache, aber<br />

wirkungsvolle „Low-Tech“-Tools, zum Beispiel Magnettafeln für die Wocheneinsatzund<br />

Tagesplanung und Excel-Tools für die unaufwändige Arbeitszeit-<br />

Selbsterfassung.<br />

Gerade die Vertrauensarbeitszeit ist geeignet, der „Verrechtlichung“ und Bürokratisierung<br />

des ärztlichen Arbeitumfeldes entgegenzuwirken, deren Auswuchern viele<br />

Ärzte zu Recht beklagen.<br />

10. Fazit<br />

Ärztliche Arbeitszeitgestaltung war zu jeder Zeit Spiegelbild der sozialen und kulturellen<br />

Realitäten, in die sie eingebettet ist. In der derzeitigen Umbruchzeit in der Krankenhauslandschaft<br />

übernimmt sie oft die Rolle eines Lastesels für anderweitig ungelöste<br />

Probleme: mangelnde Wertschätzung <strong>ärztlicher</strong> Arbeit, unzureichende Berücksichtigung<br />

sich verändernder (Zeit-)Bedürfnisse, noch nicht (ausreichend) auf neue<br />

- 10 -


Herrmann · Kutscher · Weidinger<br />

Arbeitszeit und Organisation im Krankenhaus<br />

Anforderungen eingestellte Arbeitsorganisationen und Managementdefizite der Führungskräfte.<br />

Zu einem unverzichtbaren Gestaltungsfeld wird Arbeitszeitmanagement zukünftig<br />

schon deshalb, weil es kein besseres Instrument als flexible Arbeitszeiten gibt, um<br />

erweiterte Servicezeiten einerseits mit individuellen Zeitinteressen der Ärzte weitest<br />

möglich zu verknüpfen.<br />

Gute <strong>Arbeitszeitsysteme</strong> sind unbequem, weil sie Disbalancen zwischen Arbeitszeitbudget<br />

und Aufgabenumfang nicht nur resignierend zur Kenntnis nehmen, sondern<br />

durch die Rückkopplung auf die Qualität von Ablauforganisation, Führung und eigenverantwortlicher<br />

Arbeitszeiten-Steuerung Lösungsvorschläge provozieren. Erfüllen<br />

sie sieben wichtige Kriterien – Arbeitszeitplanung, Abwesenheitssteuerung, Flexibilität,<br />

Eigenverantwortung, Diversifikation, Führungskräfte-Unterstützung und Einfachheit<br />

– können sie einen Beitrag leisten zu mehr Lebensqualität der Ärzte, einem wirtschaftlicheren<br />

Personaleinsatz und einer höheren Patientenzufriedenheit.<br />

Literaturhinweise:<br />

1. Herrmann, Lars (2004): Was wird aus den Bereitschaftsdiensten?; in: Krankenhaus<br />

und Recht 1/2004, S. 7<br />

2. Hoff, Andreas / Herrmann, Lars (2004): Intensive Nutzung der Ressource Arbeitszeit;<br />

in: ku-Sonderheft Arbeitszeit: Gesetz – Modelle – Beispiele; S. 19ff.<br />

3. Hoff, Andreas (2004): Was betriebliche Arbeitszeitgestaltung zur Work-Life-<br />

Balance beitragen kann; in: Meifert, M.T. / Kesting, M (Hg.): Gesundheitsmanagement<br />

im Unternehmen. Konzepte – Praxis – Perspektiven; Berlin, Heidelberg,<br />

New York 2004, S. 79-87<br />

4. Hoff, Andreas (2002): Vertrauensarbeitszeit: einfach flexibel arbeiten; Gabler-<br />

Verlag, Wiesbaden<br />

5. Schlottfeldt, Christian (2004): Das novellierte Arbeitszeitgesetz; in: ku-Sonderheft<br />

„Arbeitszeit: Gesetz – Modelle – Beispiele, S. 4ff<br />

6. Weidinger, Michael (2003): Wege zu eigenverantwortlicher Arbeitszeitgestaltung,<br />

in: ver.di (Hg.): Immer flexibler – immer mehr! Auf dem Weg zur Zeitsouveränität?;<br />

Berlin 2003; S. 70ff<br />

7. Weidinger, Michael (2000): Abschied vom Kasperletheater, in: Personalwirtschaft<br />

3/2002, S. 82<br />

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