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Die beseelte Welt archaischer Religionen - Ina Mahlstedt

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DER HEILIGE BERG VON GÖBEKLI TEPE<br />

nern geschmückte Steinsäule als Manifestation der Gottheit Marilaha gestanden<br />

haben. Nach vielen Jahrtausenden hatte sich das Phänomen des Schöpferischen<br />

zu einer Gottheit verkörpert, deren Zeugungskraft sowohl in der Gestalt der<br />

stehenden Säule als auch im Symbolbild eines Stiers zum Ausdruck kam. Denn<br />

der Stier »als Symbol des Fruchtbarkeit bringenden Gewitterregens« steht mit<br />

seiner gewaltigen Kraft für größtmögliche Zeugungsenergie (Cooper, Stier). In<br />

diesem Sinne wurden Jahrtausende später auch die Herrscher vorderasiatischer<br />

Hochkulturen noch als »Stier« tituliert, denn sie garantierten mit ihrer Kraft,<br />

Potenz und Macht das Wohlergehen und die Fruchtbarkeit des Landes.<br />

»Eine Säule symbolisiert den Ursprung im Mittelpunkt des Himmels und der<br />

Erde, in dem alle Geistwesen und das ganze Universum geboren werden«, formulierte<br />

der Japaner Obyashi (1981,44). Er bestätigt die Symbolik der Steinsäule<br />

auch für Japan, wenn er sagt, dass das ganze Universum durch die Vereinigung<br />

von Säule und Scheibe, dem männlichen und dem weiblichen Prinzip, Gestalt<br />

gewinnt. In Indien wird noch heute der Schöpfergott Shiva in einem Lingam,<br />

einer den Phallus verbildlichenden Steinsäule dargestellt, der in der rund geöffneten<br />

Vulva von Yonis, dem Prinzip des Weiblichen, steht.<br />

Bei diesen wenigen Beispielen vereinigen sich das Stehende und das Runde.<br />

Sollte dieser Gedanke auch schon im Wasserheiligtum mit den zwei Säulen in<br />

den runden Scheiben der Basis Gestalt angenommen haben und mit der Steinsäule<br />

im runden Wasserbecken? Wäre hier schon das erschaffende Prinzip der<br />

Natur in Symbolen von Männlichem und Weiblichem zum Ausdruck gekommen?<br />

Das wäre so erstaunlich wie die enormen handwerklichen Fähigkeiten der Menschen,<br />

die Göbekli Tepe bezeugt.<br />

<strong>Die</strong> glänzende Scheibe des Wasserspiegels in den großen Becken formte ein<br />

Symbolbild, das sich auf dem Göbekli Tepe in vielen aus der Verschüttung geborgenen<br />

Steinscheiben wiederholt (Abb. 6). <strong>Die</strong> Steinsäule im Wasserbecken durchbrach<br />

die runde Wasseroberfläche – ähnlich wie der Lingam die Yonis – und ließ<br />

in dessen Mitte ebenso wie in der Mitte der Steinscheiben ein Kreisloch entstehen<br />

(Abb. 6). <strong>Die</strong> Archäologen können keine Erklärung für diese runden Scheiben<br />

mit den unterschiedlich großen Mittellöchern geben – aus religionswissenschaftlicher<br />

Sicht ist der Kreis ein altes Ursprungssymbol: »Das Runde ist als die natürlichste<br />

aller Formen heilig«, weil es Vollkommenheit und das In-Sich-Geschlossene<br />

darstellt, so dass »der Kreis zum Sinnbild des Kosmos« werden kann und den<br />

Nabel der <strong>Welt</strong> als den Ursprungsort des Seins anzeigt (Cooper, Kreis).<br />

Das Bild des ganzen Universums, der Erde, des Weiblichen, der Ursprung<br />

allen Seins manifestiert sich in der Form einer Kugel, einer Scheibe, eines Kreises.<br />

In einem Loch, das von einem Ring gebildet wird, oder in einer Scheibe mit einem<br />

kleinen Loch – die Proportionen sind bei einem Symbol nicht wesentlich – ver-

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