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AMOS VOGEL - The Sticking Place

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fremdung bei einem Übermaß an Luxus und<br />

Komfort; Empfindungen und Gefühle fehlen<br />

gänzlich.<br />

Vincent Canby brachte es auf den Punkt,<br />

als er den Film mit dem französischen Nouveau<br />

Roman (Robbe-Grillet) und dem frühen<br />

Werk von Wim Wenders (Die Angst des Tormanns<br />

beim Elfmeter) verglich. Er verwies<br />

auf die „hellen, kristallklaren, unflektierten<br />

Close-ups und Totalen; alles ist ein klein<br />

wenig überspannt, zu klar. Was anfangs nur<br />

obsessiv erscheint, kippt dann völlig in den<br />

Wahnsinn.“<br />

Aus unerfindlichen Gründen schlägt die<br />

Stimmung um. Eine Reise zum „siebenten<br />

Kontinent“ scheint in Planung zu sein – um<br />

auszuspannen, zur Normalität zurückzufinden?<br />

–, aber es gibt nur sechs Kontinente.<br />

Dennoch sehen wir wiederholt tonlose Bilder<br />

einer Felsenküste, einer mythischen Traumlandschaft,<br />

menschenleer und in fahles Licht<br />

getaucht. In der Realität hingegen beginnt<br />

der Mann plötzlich, alles systematisch zu<br />

demolieren, zu zerstören: das Haus, die<br />

Möbel, die Elektrogeräte, das riesige Aquarium,<br />

die Zeichnungen der Tochter; Banknoten<br />

werden zerrissen und die Toilette hinuntergespült.<br />

Wir sehen zu, mit wachsendem<br />

Grauen, fassungslos. Am Ende des Films<br />

steht der Selbstmord der gesamten Familie –<br />

und dann ein schockierender Untertitel: Der<br />

Film basiert auf einer wahren Begebenheit.<br />

Das vollständige Fehlen jeglicher Erklärung<br />

– das anfangs störend und künstlich wirkt –<br />

erlaubt dem Zuseher letztlich ein viel intensiveres<br />

Miterleben als man es bei glatten,<br />

sorgsam „erklärenden“ Hollywood-Produktionen<br />

erwarten könnte. Trotzdem fällt es letzten<br />

Endes schwer, sich auf die Radikalität<br />

einzulassen, mit der Haneke dem Zuseher<br />

Informationen vorenthält, oder sie zu verteidigen.<br />

Stil und filmische Herangehensweise<br />

des Films führen hier aber zu einer Art Transzendenz,<br />

zu einem verstärkten Gefühl der<br />

Anteilnahme beim Zuseher. „Die Macht der<br />

Bilder“, meint Haneke, „ist nicht einfach die<br />

Übertragung eines formalen Stils auf irgendwelche<br />

Inhalte. Sie ist vielmehr eine Poetik<br />

von Bild und Ton, die einmalig aus der direkten<br />

Begegnung mit menschlichem Leid entsteht<br />

und dem Verlangen nach etwas, einem<br />

Ort, den man nicht haben kann“ – dem siebenten<br />

Kontinent.<br />

Der österreichische Filmwissenschaftler<br />

Alexander Horwath merkt in seinem Buch zu<br />

Haneke treffend an, der Film gebe sich „als<br />

riskante Demonstration einer Grenzüberschreitung<br />

zu erkennen“, und betont, die<br />

„fetischistische, gar nicht befreiende Vernichtung<br />

der zuvor fetischisierten Dinge<br />

nimmt den Tod vorweg“.<br />

Der zweite Teil der Trilogie, Benny’s Video,<br />

ist der vielleicht zugänglichste, letztlich aber<br />

auch verstörendste Film der drei. Was uns<br />

Haneke da zumutet, ist kein österreichisches,<br />

sondern ein universelles Problem.<br />

Der junge Benny verbringt sein Leben in seinem<br />

Zimmer in der komfortablen Wohnung<br />

seiner wohlhabenden Eltern, umgeben von<br />

Aufnahmegeräten, Bildschirmen, Videokameras.<br />

Dadurch verschafft er sich scheinbar,<br />

was ihm im echten Leben abgeht: absolute<br />

Kontrolle. Das Zimmer ist ständig abgedunkelt;<br />

anstatt die Welt draußen zu sehen,<br />

nimmt er sie 24 Stunden am Tag auf und<br />

projiziert sie auf Fernsehmonitore, die er vor<br />

den Fenstern platziert: eine namenlose<br />

sechsspurige Autobahn, auf der unablässig<br />

der Verkehr rollt, dahinter anonyme Hochhäuser.<br />

Immer wieder, im Vor- und im Rücklauf,<br />

in unterschiedlichen Geschwindigkeiten,<br />

sieht sich Benny Aufnahmen der Schlachtung<br />

eines Schweins mit einem Bolzenschuss -<br />

gerät an. Er zeigt dabei nicht das leiseste<br />

Gefühl, obwohl es hier um Tötung und die<br />

Wiederkehr von Toten geht, die die Kamera<br />

wieder und wieder heraufbeschwört. Vor<br />

einer Videothek trifft er ein Mädchen, das er<br />

schon oft dabei beobachtet hat, wie es<br />

stumm auf den Fernseher in der Auslage<br />

starrt. Seine Eltern sind übers Wochenende<br />

verreist, also nimmt er es mit auf sein Zimmer.<br />

In wunderschönen Bildern sehen wir,<br />

wie scheue Annäherungsversuche nicht in<br />

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