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es sich doch um ein unaussprechlich obszönes<br />
Verbrechen, das da begangen worden<br />
war und, abgesehen von jenen, die sofort im<br />
Feuersturm umkamen, Abertausende weitere<br />
Opfer langsam und qualvoll tötete und einer<br />
noch unbekannten Zahl kommender Generationen<br />
genetischen Schaden zufügte. Nicht<br />
nur Körper und Ziegelwerk, auch die Psyche<br />
hatte Schaden genommen, damit müssen die<br />
Überlebenden, ganz Japan und der Rest der<br />
Welt bis heute leben.<br />
Dann kamen die Handlanger der Täter,<br />
Invasoren mit der Kamera, in die darniederliegende<br />
Stadt und eigneten sie sich zum<br />
zweiten Mal an, als filmende Aasgeier für die<br />
militärische, medizinische, psychologische,<br />
geologische und soziologische Forschung.<br />
Dieser ebenso unerwartete wie ergiebige<br />
Datenschatz – mit der Menschheit als Versuchskaninchen<br />
– warf Unmengen neuer<br />
Erkenntnisse ab, natürlich für künftige<br />
Kriege. Für nichts anderes. Andererseits<br />
kann man den Aasgeiern auch dankbar sein,<br />
dass sie uns ein Dokument des unerhörten<br />
menschlichen Leids und des Bösen hinterlassen<br />
haben, die auf ewig in die Geschichte<br />
eingehen werden. Wie in der griechischen<br />
Sage gelang es den Aasgeiern nicht, unberührt<br />
von dem zu bleiben, was sie sahen, sie<br />
nahmen die radioaktiven Gifte selbst auf.<br />
In ihren moralischen Dimensionen waren<br />
die Aufnahmen beispiellos. Es war, als hätten<br />
die Nazis die Folgen ihrer Vernichtungsaktionen<br />
für die Nachwelt und für Forschungszwecke<br />
gefilmt. Bezeichnenderweise gibt es solche<br />
Aufzeichnungen der Nazis nicht; nur die<br />
Alliierten dokumentierten die Geschehnisse.<br />
Normalerweise sind es die Sieger, die die<br />
Untaten des Feindes filmen; in Hiroshima<br />
und Nagasaki aber filmten wir in gottesgleicher<br />
„Objektivität“ unsere eigenen Untaten,<br />
um sie, ob ihrer drastischen Abscheulichkeit,<br />
gleich wieder in hermetisch verschlossenen<br />
Kammern verschwinden zu lassen.<br />
1951 beschaffte der Filmclub Cinema 16<br />
sich von der Regierung den beklemmenden<br />
Streifen <strong>The</strong> Atom Strikes: Part 1, Damage to<br />
Structures. Bezeichnend, dass man den zweiten<br />
Teil, Damage to People, nicht freigab.<br />
1959 importierte Cinema 16 aus Japan Fumio<br />
Kameis It Is Good to Live, mit Filmmaterial<br />
des Bombardements und seiner Folgen. 1970<br />
verdichteten Paul Ronder und Eric Barnouw<br />
von der Columbia University einen dreistündigen<br />
japanischen Dokumentarfilm zum bewegenden<br />
15-minütigen Kurzfilm Hiroshima-<br />
Nagasaki. Und 1982 gestaltete die Japan<br />
Society in New York drei Abende zu „Films of<br />
Japan’s Atomic Bomb Experience“: neun<br />
Filme, zumeist Uraufführungen, mit bis dato<br />
gesperrtem Material. Dem Publikum verschlug<br />
es buchstäblich die Sprache, als es sah, was<br />
noch niemals zu sehen gewesen war.<br />
Zunächst aber lernte man die Ironie und<br />
Arroganz einer Großmacht kennen. Vor wenigen<br />
Jahren entdeckte ein japanischer Staatsbürger<br />
zufällig das unter Verschluss gehaltene<br />
Filmmaterial im US-Staatsarchiv und<br />
initiierte die „Ten Foot“-Kampagne. Dafür rief<br />
er seine Landsleute auf, jeweils zehn Fuß<br />
dieses Materials zu kaufen, um daraus einen<br />
Film zu machen. Bisher haben 500.000 Japaner<br />
140 Millionen Yen beigesteuert und<br />
10.000 Fuß Filmmaterial erworben. Den<br />
Opfern – erpicht, vom Moment ihrer tiefsten<br />
Erniedrigung zu erfahren – gestattet man so,<br />
dem Täter ein Souvenir abzukaufen (eine weitere<br />
Verneigung vor der „Weisheit“ des freien<br />
Markts). Zwei dieser Filme (einer von Susumu<br />
Hani, dem Regisseur von Children Who Draw<br />
und She and He) waren im Rahmen der Veranstaltung<br />
der Japan Society zu sehen.<br />
Wie lassen sich Realität, Textur, Tragik dieser<br />
Bilder in Worte fassen? Im vagen Halbdunkel<br />
unterbelichteter Innenaufnahmen<br />
sehen wir Menschen, deren Haut sich in Fetzen<br />
vom Körper löst. Sie leben. Andere liegen<br />
da, ohne Bewusstsein, mit komplett verbranntem<br />
Rücken oder Brust. Ein paar Ärzte<br />
eilen hilflos herum, ungläubig vor Entsetzen.<br />
Die grässlich schwärenden Wunden, die sie<br />
versorgen sollen, tupfen sie mit winzigen<br />
Wattebäuschen sorgsam ab.<br />
Da gibt es eine Hand, deren Finger zu<br />
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