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AMOS VOGEL - The Sticking Place

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müssen wir sagen, träte eine andere Nation,<br />

welche auch immer, ausnahmslos, die Weltherrschaft<br />

an, es wäre ebenso tragisch.<br />

In dem Zusammenhang, und weil wir uns<br />

hier unter Filmleuten befinden, mache ich<br />

einen Schlenker und sage: „Hütet euch vor<br />

Hollywood.“ Sie wissen, wovon ich spreche.<br />

Ich besuche alljährlich das Filmfestival in<br />

Berlin und bin schockiert, dass fast alle<br />

Kinos dort amerikanische Filme zeigen. Und<br />

dass der europäische Film beinahe ausgestorben<br />

ist. Ich sage nicht, dass er tot ist,<br />

weil es junge Leute gibt, die erneut versuchen,<br />

das Unmögliche zu tun – und ich hoffe,<br />

dass ein paar von ihnen hier anwesend sind.<br />

Nummer neun wird falsch verstanden werden,<br />

aber ich sag’s trotzdem: Das Fernsehen<br />

ist der Feind der Menschheit. [Gemurmel]<br />

Nicht als Medium an sich, sondern wie es<br />

gegenwärtig beschaffen ist. Wir haben nicht<br />

die Zeit, das zu vertiefen, aber ich bin mir<br />

sicher, dass viele von Ihnen wissen, wovon<br />

ich spreche: Es verblödet die ganze Welt. Ein<br />

paar deutsche Worte gibt es noch, an die ich<br />

mich erinnern kann. [Lachen]<br />

Nummer zehn: Das als Jugendlicher unter<br />

den Nazis erfahrene Trauma bleibt für immer<br />

Teil von mir. Ich bin mit 17 Jahren weggegangen,<br />

sechs Monate nach dem „Anschluss“;<br />

sechs Monate lang habe ich dieses Regime<br />

als Jude erlebt. Dieses Trauma hat mich meiner<br />

Muttersprache beraubt [verliert die Fassung;<br />

eine lange Pause], meiner Familie und<br />

meines Landes. Doch im Gegensatz zu<br />

einem anderen Redner bei diesem Symposium<br />

sage ich nicht, dass ich, als ich hier<br />

lebte, Jude war und nicht Österreicher: Ich<br />

fühlte mich, als ich hier lebte, sehr wohl als<br />

Österreicher – und eben auch als Jude. Die<br />

Erfahrung mit den Nazis hat aus mir, gewissermaßen,<br />

einen Bürger ohne Land gemacht<br />

– ungeachtet der Tatsache, dass ich amerikanischer<br />

Staatsbürger bin. Oder vielleicht bin<br />

ich Bürger aller Länder. Vielleicht ist es das,<br />

was wir alle endlich werden sollten, um nicht<br />

länger eingeengt zu sein durch engstirnige<br />

Nationalismen, sondern vielmehr imstande,<br />

sie zu überwinden. Um nicht länger durch<br />

ethnische Vorurteile welcher Art auch immer<br />

eingeschränkt zu sein, sondern sie überwinden<br />

zu können und die Welt als ein Ganzes<br />

zu sehen. Und um in der Lage zu sein, an all<br />

den Kämpfen teilzunehmen, die Menschen<br />

für eine gerechtere Zukunft führen.<br />

Schließlich bin ich nach vielen Jahren des<br />

Nachdenkens bei drei richtungsweisenden<br />

Einsichten über das Leben angelangt; manchen<br />

von Ihnen mögen sie ziemlich einfach<br />

oder einfältig vorkommen, aber ich möchte,<br />

dass Sie sich wenigstens hin und wieder auf<br />

sie besinnen und so vielleicht ihre Bedeutung<br />

erkennen und vielleicht in Ihrem eigenen<br />

Leben auch nach ihnen handeln. Wir mensch -<br />

liche Wesen sind flüchtige Konglomerate verschiedener<br />

biologischer und physiologischer<br />

Elemente und instabiler Strukturen; wir werden<br />

krank und es passieren uns andere<br />

Sachen. Die drei Punkte also lauten:<br />

Erstens: Leben bedeutet Vergänglichkeit<br />

und ständige Veränderung. Nichts, das heute<br />

wahr ist, wird morgen im selben Sinn wahr<br />

sein.<br />

Zweitens: Das Leben selbst ist – ich hasse<br />

es, diesen Namen an diesem Punkt der<br />

Menschheitsgeschichte zu zitieren, aber ich<br />

tu’s: Jemand fragte Karl Marx während eines<br />

Interviews, wie seine Definition von Leben<br />

laute, und er antwortete mit einem Wort –<br />

„Kampf“. Dem stimme ich zu, das ist das<br />

Leben.<br />

Und drittens: Nichts Menschliches ist mir<br />

fremd. Das ist ein altes Sprichwort. Versuchen<br />

Sie hin und wieder daran zu denken<br />

und handeln Sie danach. [Applaus]<br />

Die weiteren Teilnehmer an dem Round-Table-<br />

Gespräch waren John Alton, Leon Askin, <strong>The</strong>odore<br />

Bikel, Kurt Land, Francis Lederer, Eric Pleskow,<br />

Curt Siodmak, Wolfgang Suschitzky, Moderation:<br />

Wolfgang Glück. – Dokumentation und Übersetzung:<br />

Michael Omasta. – Grundlage des später<br />

unter verschiedenen Titeln veröffentlichten Textes<br />

ist die von Amos Vogel autorisierte, hier erstmals<br />

publizierte Urfassung seines Symposiumsbeitrags.<br />

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