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AMOS VOGEL - The Sticking Place

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Rechtsanwaltsanwärter und wartet noch auf<br />

seine Zulassung als Strafverteidiger. Eine<br />

gutbürgerliche Umgebung also. Mit elf Jahren<br />

darf Amos mit seinen Eltern beim Maiaufmarsch<br />

auf die Ringstraße mitgehen und ist<br />

beeindruckt vom Refrain der gemeinsam<br />

gesungenen „Internationale“.<br />

Zur Schule geht er ins Gymnasium der Piaristen<br />

in der benachbarten Josefstadt. Speziell<br />

die Mutter entfacht das Interesse an der<br />

Literatur. Amos wächst mit den Werken von<br />

Goethe, Brecht, Shakespeare, <strong>The</strong>odore Dreiser,<br />

Tucholsky, Marx, Dos Passos, Upton Sinclair<br />

und Sinclair Lewis, Heine, Büchner, aber<br />

auch Edgar Wallace und Karl May auf und ist<br />

Klassenprimus in Deutsch.<br />

Der traumatische Verlust der Muttersprache<br />

wird Vogel noch ein halbes Jahrhundert später<br />

beschäftigen, im Zuge seiner Wiederbegegnung<br />

mit Wien und der Arbeit an Emigration,<br />

N. Y., einem Dokumentarepos von Egon<br />

Humer, das anhand von zwölf Biografien Die<br />

Geschichte einer Vertreibung erzählt: „Ich<br />

schreibe jetzt ,auf Deutsch‘ zum ersten Mal<br />

seit den 40er-Jahren; und schäme mich, so<br />

vieles nicht richtig ausdrücken zu können.<br />

Ich wurde meiner Muttersprache beraubt<br />

und lerne sie nur langsam wieder, wie einer,<br />

der einen Schlaganfall gehabt hat und jetzt<br />

versucht, wieder zu gehen. Er kann es nur<br />

teilweise und mühsam und wird seine frühere<br />

Beherrschung dieser komplizierten<br />

Bewegungen nie mehr vollkommen zurückbekommen.“<br />

3<br />

Diesem „Schlaganfall“ geht der „Anschluss“<br />

Österreichs ans Deutsche Reich voraus. Mit<br />

allen schrecklichen Konsequenzen für das<br />

Land, die Stadt und die Menschen, die in ihr<br />

leben, und auch für Amos: „Im März 1938<br />

erfuhr ich plötzlich, dass ich ein Krebsgeschwür<br />

sei, das ausgerottet werden musste.<br />

Ich wurde aus der Schule geworfen, weil ich<br />

Jude war. Eines Tages, bei Einbruch der Dunkelheit,<br />

entdeckten meine Freundin und ich,<br />

dass unsere Lieblingsbank am Donaukanal –<br />

wo wir immer gesessen waren und uns<br />

geküsst hatten – plötzlich ein neues Schild<br />

zierte: ,Dogs and Jews are not permitted to<br />

sit here‘.“ 4<br />

Amos, grade mal 17 Jahre, trägt sich mit<br />

dem Gedanken, zusammen mit seiner Freundin<br />

und den Kameraden von der sozialistisch-zionistischen<br />

Jugendgruppe Brith Bilu<br />

nach Palästina zu emigrieren und in einem<br />

Kibbuz zu arbeiten. Doch dafür ist er ein paar<br />

Wochen zu alt. Nach sechs Monaten des<br />

bangen Wartens gelingt den Vogelbaums im<br />

Herbst 1938 die Flucht 5 : Der Vater, dessen<br />

Familie ursprünglich aus Polen stammt,<br />

schafft es mithilfe der polnischen Quote,<br />

direkt in die USA einzureisen, Mutter und<br />

Sohn müssen auf Kuba ein halbes Jahr auf<br />

die Genehmigung warten. Kuba ist für die<br />

Familie aus dem Alsergrund Terra incognita,<br />

genauso exotisch und unvorstellbar wie die<br />

Rückseite des Mondes.<br />

Dann, endlich, Amerika! Land der unbegrenzten<br />

Möglichkeiten. Wirklich? Er schlägt sich<br />

mit Gelegenheitsjobs durch, trägt Zeitungen<br />

aus, hilft in einer Garage aus, arbeitet an<br />

einer Werkzeugmaschine und auf einer Geflügelfarm.<br />

Für zwei Jahre besucht er eine Landwirtschaftsschule<br />

in Georgia. Amos, der immer<br />

noch von Palästina träumt, ist schockiert von<br />

der Rassendiskriminierung, die im Süden<br />

herrscht. 1944 wird er amerikanischer Staatsbürger<br />

und lässt seinen Namen auf Vogel<br />

kürzen. Als einer der ersten Absolventen der<br />

New School of Social Research in New York,<br />

an der etliche europäische Wissenschaftler<br />

unterrichten, erlangt er einen akademischen<br />

Grad in Ökonomie und Politikwissenschaft.<br />

Dort lernt er 1942 auch Marcia Diener<br />

kennen, die Soziologie studiert, seine Leidenschaft<br />

für den Film und bald auch das Leben<br />

mit ihm teilt. Sie heiraten am 6. August 1945.<br />

Am selben Tag finden in Hiroshima mehr als<br />

140.000 Menschen den Tod. Das Absurde,<br />

heißt es bei Camus, entsteht aus der Gegenüberstellung<br />

des Menschen, der fragt, und<br />

der Welt, die vernunftwidrig schweigt.<br />

Zwei Jahre später, im Herbst 1947, kommt<br />

4

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