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organ S. 11<br />
eine homogene Gesamtheit von Doktrinen und Verhaltensweisen<br />
vorauszusetzen, die es nicht gibt“ 4 .<br />
Wie immer strebt Losurdo auch in diesem Buch eine<br />
„allumfassende Komparatistik“ an und will „weder die gesamte<br />
Geschichte Russlands noch die im Zweiten Dreißigjährigen<br />
Krieg 5 engagierten westlichen Länder aus den<br />
Augen verlieren“ 6 . In Bezug auf die verschiedenen Stalinbilder,<br />
die es gab und gibt, geht es Losurdo darum, „nicht<br />
eines davon zu verabsolutieren, sondern vielmehr alle zu<br />
problematisieren“ 7 . Zu diesem Zweck gilt es, „die Unangemessenheit<br />
des moralisch-manichäischen Ansatzes zum<br />
Verständnis Stalins und des von ihm geleiteten Landes zur<br />
Kenntnis zu nehmen“ 8 und nicht „vor dem komplexen Charakter<br />
des historischen Prozesses zurückzuschrecken“ 9 .<br />
Während die bürgerliche Geschichtsschreibung 10 bei der<br />
moralischen Verurteilung Stalins und der Sowjetunion stehenbleibt,<br />
fordert und praktiziert Losurdo eine Historiographie,<br />
welche das moralische Urteil zwar einschließt – dieses<br />
erweise sich aber als „oberflächlich und heuchlerisch,<br />
würde es ohne Berücksichtigung des historischen Kontexts<br />
formuliert“ 11 . Dabei geht es jedoch „nicht, wie manch Kritiker<br />
behauptet, um Relativierung oder Entschuldigung von<br />
Fehlentwicklungen im Sozialismus, es geht ihm um den Vergleich<br />
mit der bürgerlichen Gesellschaft, um so dem sozialistischen<br />
Experiment Gerechtigkeit widerfahren zu lassen“ 12 .<br />
Losurdos Buch holt den komplizierten historischen Kontext<br />
in die Bewertung Stalins ein und stellt Vergleiche ähnlich<br />
gelagerter historischer Situationen an. Dabei tun sich<br />
ungeahnte Abgründe westlicher Regierungen auf, die in der<br />
kapitalistischen Propaganda gerne verschwiegen werden:<br />
willkürliche Repressionen bis zum Äußersten, Konzentrationslager,<br />
Massentötungen; wohlgemerkt auch im 20. Jahrhundert.<br />
All diese Verbrechen des liberalen Westens machen<br />
4 Losurdo: Stalin (2012), 341f.<br />
5 Unter dem Zweiten Dreißigjährigen Krieg versteht Losurdo die Zeit von 1914 bis 1945.<br />
6 Losurdo: Stalin (2012), S. 18.<br />
7 Losurdo: Stalin (2012), S. 19.<br />
8 Losurdo: Stalin (2012), S. 335.<br />
9 Losurdo (2012), S. 343.<br />
10 Welche ja oft eher Geschichten als Geschichte schreibt...<br />
11 Losurdo: Stalin (2012), S. 335.<br />
12 http://www.andreas-wehr.eu/den-liberalismus-kritisieren.html<br />
Verbrechen in der Sowjetunion nicht weniger verwerflich –<br />
dennoch muss der Verweis auf Erstere dazu dienen, Letztere<br />
so weit zu relativieren, wie sie bisher verabsolutiert wurden.<br />
Alles in allem: Man bekommt nach Lektüre dieses Buches<br />
das Gefühl, dass die Geschichte vom paranoiden Bösewicht<br />
Josef Stalin vielleicht eher ein Märchen ist und dazu dienen<br />
soll, die Menschen von der kommunistischen Bewegung<br />
fernzuhalten. Und dass Stalin eine ungleich höher stehende<br />
Moral vertreten und in seiner Politik auch tatsächlich praktiziert<br />
hat als etwa Churchill oder Roosevelt. Bevor jetzt jemand<br />
in Wutausbrüche verfällt ob dieser Aussage, die der<br />
herrschenden Meinung allzu sehr widerspricht, sollte er/sie<br />
sich erst einmal Zeit nehmen und dieses Buch in Ruhe lesen.<br />
Und zwar ebenso nüchtern und vorurteilsfrei, wie es selbst<br />
an die historischen Fakten herangeht.<br />
Eine Auswahl von Losurdos Büchern:<br />
Stalin: Geschichte und Kritik einer schwarzen Legende<br />
2012, PapyRossa Verlag, Köln.<br />
ISBN 978-3894384968<br />
Kampf um die Geschichte: Der historische Revisionismus<br />
und seine Mythen.<br />
2007, PapyRossa Verlag, Köln.<br />
ISBN 978-3894383657<br />
Freiheit als Privileg: Eine Gegengeschichte des<br />
Liberalismus.<br />
2010, PapyRossa Verlag, Köln.<br />
ISBN 978-3894384319<br />
Die Sprache des Imperiums: Ein historischphilosophischer<br />
Leitfaden.<br />
2011, PapyRossa Verlag, Köln.<br />
ISBN 978-3894384692<br />
Der Marxismus Antonio Gramscis: Von der Utopie zum<br />
“kritischen Kommunismus” .<br />
2012, Vsa Verlag, Hamburg.<br />
ISBN 978-3899655360