Leseprobe - Maseltrangen
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von Abraham Lincoln zu sehen war - die Leiche verriet, dass sie auf einer Münze gelegen<br />
hatte. Scarpetta konnte also im Buch dieses Indiz brauchen, um den Fall zu lösen. Bass<br />
schickte Cornwell einen Bericht mit Fotos.<br />
Einige Monate später erfuhr er, dass sie ihren Roman «The Body Farm» nennen würde.<br />
Und nicht nur das, Bass bekam als Dr. Lyall Shade - «trotz seiner gewaltigen Kompetenz<br />
ein bescheidener und introvertierter Mann von sehr sanftmütiger Art» - einen Auftritt.<br />
Selbst dass seine Mutter im Altersheim aus Stoffresten Ringe fertigte für die ordentliche<br />
Fixierung der Totenschädel, hat Cornwell nicht erfunden. Bass war bekannt dafür, seinen<br />
Studenten solche Ringe zum Abschluss zu schenken.<br />
Körperspenden willkommen<br />
Nachdem das Buch publiziert worden war, blieb das Telefon von Bill Bass wochenlang<br />
nicht mehr still. Reporter aus aller Welt wollten Lyall Shades Alter Ego interviewen;<br />
Fernsehteams filmten auf dem Gelände der Farm der Leichen. Bass hatte<br />
Schwierigkeiten, die Leute abzuwimmeln. Einmal erkundigten sich in derselben Woche<br />
zwei Mütter, ob Bass nicht die Pfadfindergruppen ihrer Söhne durch die Farm der<br />
Leichen führen könne.<br />
Doch die Aufmerksamkeit war auch ein Segen. Die Anzahl Leute, die beabsichtigen,<br />
ihren Körper nach dem Tod der Body Farm zu spenden, hat seither deutlich<br />
zugenommen. Wegen der Herkunft der Leichen wurde Bass auch schon angegriffen. Die<br />
medizinischen Sachverständigen von Tennessee schickten ihm immer wieder Leichen,<br />
auf die niemand Anspruch erhob. Vielfach waren es Obdachlose gewesen. Darunter<br />
auch Kriegsveteranen, was Bass nicht wusste. Als ein Fernsehsender Bass' Arbeit als<br />
Schändung verstorbener Kriegsteilnehmer darstellte, lancierten einige Parlamentarier ein<br />
Gesetz, das die Forschung an herrenlosen Leichen verunmöglicht hätte. Das Gesetz<br />
wurde schliesslich abgelehnt. Es setzte sich die Meinung durch, dass die Sorge um die<br />
Überreste Verstorbener hinter der Notwendigkeit, Verbrecher zu ergreifen, zurücktreten<br />
sollte.<br />
Bill Bass ist heute 76 Jahre alt. Er hat auf der Farm der Leichen mehr als 300 Leichen<br />
beim Verwesen zugesehen. Wird seine eigene dereinst in der Body Farm liegen?<br />
«Werde ich praktizieren, was ich predige? Werde ich mein Leben zu seinem logischen<br />
Abschluss bringen?» fragt er sich in «Der Knochenleser».<br />
Früher hätte er ohne zu zögern Ja gesagt. Doch seine jetzige Frau neige eher zu einer<br />
«traditionelleren und - zumindest nach ihrer Denkweise - würdigeren letzten Ruhestätte».<br />
Bass wird die Entscheidung ihr und seinen Söhnen überlassen. Er wäre wohl auch nicht<br />
unglücklich, wenn sein Körper nicht in der Body Farm landen würde. «Der<br />
Wissenschafter in mir will die Spendeneinwilligung unterschreiben. Der Rest meiner<br />
Person kann nicht vergessen, wie sehr ich Fliegen hasse.»<br />
Ein teuflischer Apparat<br />
Der Zylinder, den Ernst Mach 1875 einer Versuchsperson überstülpte, sah<br />
unschuldig aus - bis er ihn in Drehung versetzte. Die optokinetische Trommel<br />
wurde zum Werkzeug der Übelkeitsforscher.<br />
Ernst Mach war wahrscheinlich nicht bewusst, welch teuflischen Apparat er da erfunden<br />
hatte. Er stülpte einen «hohlen drehbaren linierten Cylinder» über seine<br />
Versuchspersonen und versetzte ihn in Drehung. So beschrieb er 1875 ein Experiment<br />
über die Bewegungsempfindungen. Für die Versuchsperson entstand dabei immer<br />
wieder für kurze Zeit die Illusion, nicht der Zylinder drehe sich, sondern sie selbst.<br />
Man vermutete den Grund für diese Täuschung in der unbewussten Annahme, die Welt<br />
als Ganzes sei normalerweise in Ruhe. Wenn sich also, wie in der Trommel, die ganze<br />
Umgebung bewegte, lag für das Gehirn die Vermutung nahe, der Beobachter selbst sei in<br />
Bewegung. Mach hatte den gleichen Effekt schon auf Brücken beobachtet. Wenn er auf<br />
das fliessende Wasser blickte, stellte sich bald das Gefühl ein, das Wasser sei in Ruhe<br />
und er selbst rase samt der Brücke darüber hinweg.<br />
Mit der «optokinetischen Trommel», wie der «linierte Cylinder» später genannt wurde,<br />
konnten solche Phänomene im Labor untersucht werden - und nicht nur das. Es zeigte<br />
Reto U. Schneider - Verrückte Experimente 23/36