Leseprobe - Maseltrangen
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Das seltsame Experiment regte die Fantasie an. Wäre das auch mit einem<br />
Menschenkopf möglich? Sieht so das ewige Leben auf Erden aus? Ein französischer<br />
Forscher regte die Gründung einer Gesellschaft zur Vermeidung des Todes an, und<br />
Science and Invention fragte begeistert: »Verblassen vor dem ständigen Fortschritt der<br />
Forschung nicht sogar die wildesten Fantasien unserer Science-Fiction-Autoren?«<br />
1928 Die Kurve der Wollust<br />
Das vom amerikanischen Mediziner Ernst P. Boas entwickelte Kardiotachometer war der<br />
Traum jedes Herzspezialisten. Es erlaubte die automatische und kontinuierliche<br />
Aufzeichnung der Herztätigkeit, während eine Versuchsperson körperlich aktiv war. Bei<br />
allen bis dahin bekannten Geräten hatte sie stillliegen müssen.<br />
Boas und sein Kollege Ernst F. Goldschmidt machten sich sofort daran, das Leben von<br />
einundfünfzig Männern und zweiundfünfzig Frauen pulsmäßig zu vermessen. Dabei<br />
bestimmten sie auch den Maximalpuls während verschiedener Tätigkeiten: essen (102),<br />
telefonieren (106), Morgentoilette (106,7), Musik hören (107,5), tanzen (130,6),<br />
Turnübungen (142,6). Spitzenreiter war jedoch mit 148,5 Schlägen pro Minute der<br />
Orgasmus. Über den genauen Hergang dieser Messung erfährt man in Boas’ und<br />
Goldschmidts Buch The Heart Rate nicht viel. »Wir hatten das Glück, eine Aufzeichnung<br />
des Herzschlags eines Mannes und seiner Ehefrau während des Verkehrs zu erhalten«,<br />
schreiben sie und konzentrieren sich dann auf die Resultate. Dass der Orgasmus dem<br />
Herz mehr abfordert als Turnübungen, war nicht erstaunlich, doch über eine zweite,<br />
höchst bemerkenswerte Eigenschaft dieses Herzdiagramms schreiben die zwei<br />
Mediziner hinweg, als gäbe es nichts Normaleres: »Es zeigt vier Spitzen der<br />
Herzfrequenz bei der Frau. Jede Spitze steht für einen Orgasmus.« Die Frau hatte in<br />
dieser Nacht zwischen 23.25 und 23.45 Uhr vier Orgasmen! Und das mit zwei von<br />
unbequemen Gummibändern gehaltenen Elektroden auf der Brust, die über dreißig Meter<br />
Kabel mit dem Aufzeichnungsgerät verbunden waren.<br />
Der einzige Kommentar von Boas und Goldschmidt: »Die Kurve der Pulsfrequenz zeigt<br />
klar die Belastung, unter denen das Herz-Kreislauf-System steht, und hilft, einige Fälle<br />
des plötzlichen Todes während und nach dem Koitus zu erklären. Pussepp [ein anderer<br />
Forscher] hat einen markanten Anstieg des Blutdrucks in Hunden während des Koitus<br />
nachgewiesen.«<br />
Erst der Sexualforscher Robert Latou Dickinson, der das Diagramm 1933 in sein Buch<br />
Human Sex Anatomy aufnahm, hatte ein Auge für die vier Spitzen. Allerdings schrieb er<br />
sie vor allem der Fähigkeit des Mannes zu, dem er eine »ausgereifte Technik« attestierte,<br />
die ihm erlaubte, fünfundzwanzig Minuten in der Vagina der Frau zu bleiben, um auf »ihre<br />
vollständige Befriedigung« zu warten.<br />
Dass es nicht unbedingt durchschnittliche Frauen waren, die an Orgasmusexperimenten<br />
teilnahmen, zeigte zweiundzwanzig Jahre später eine Probandin, deren Stoffwechsel<br />
während des Geschlechtsverkehrs untersucht wurde (mehr dazu im Buch).<br />
1930 Die Kiste des Herrn Skinner<br />
Burrhus Frederic Skinner konnte nicht ahnen, dass die Kiste, die er in der Werkstatt der<br />
Psychologieabteilung an der Harvard University zusammenbastelte, einer der<br />
berühmtesten je für ein Experiment hergestellten Apparate werden sollte. Später<br />
benannte sich eine Rockband danach, Cartoonisten entdeckten sie für ihre Zeichnungen,<br />
und in der Trickfilmserie »The Simpsons« wurde sie parodiert: die Skinnerbox. Sogar mit<br />
dem vermeintlichen Selbstmord von Skinners Tochter wurde der Käfig mit automatischer<br />
Fütterung in Zusammenhang gebracht.<br />
Skinner war 26 Jahre alt, als er nach einem Instrument suchte, mit dem sich das<br />
Reto U. Schneider - Verrückte Experimente 6/36