Lösung 5-6 - Zivilrecht VI
Lösung 5-6 - Zivilrecht VI
Lösung 5-6 - Zivilrecht VI
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
1<br />
Prof. Dr. Diethelm Klippel Sommersemester 2008<br />
Tutorium zum Schuldrecht<br />
5./6. Tutorenarbeitspapier: Unerlaubte Handlungen/Deliktsrecht<br />
I. Das Deliktsrecht - eine Übersicht<br />
Tatbestände des Deliktsrechts finden sich im BGB (§§ 823 ff.) und in zahlreichen anderen Gesetzen<br />
(UWG, GWB, StVG u.a.). Diese unterscheiden sich nach den zugrundeliegenden Haftungsprinzipien.<br />
Die Haftung für verschuldetes Unrecht (”Verschuldensprinzip”) steht im Vordergrund der<br />
gesetzlichen Regelung (z.B. § 823 BGB). Teilweise wird das Verschulden des Täters vermutet<br />
(z.B. §§ 831, 832 BGB). Daneben gibt es die sog. Gefährdungshaftung, welche den Ausgleich<br />
dafür bildet, daß bestimmte Tätigkeiten mit besonderen Gefahren und Risiken verbunden sind, aber<br />
nicht verboten werden können (z.B. § 833 S. 1 BGB - Tierhalterhaftung; § 7 StVG - Haftung des<br />
Kraftfahrzeughalters).<br />
Im Tutorium soll − vor der Fallbearbeitung − zunächst ein Überblick über die wichtigsten im BGB<br />
geregelten unerlaubten Handlungen gegeben werden, wobei § 823 I als praktisch wichtigste Regelung<br />
im Mittelpunkt stehen wird.<br />
II. § 823 I − Grundnorm des Deliktsrechts<br />
1. Prüfungsschema<br />
a) Verletzung eines der in § 823 I genannten Rechte bzw. Rechtsgüter<br />
b) Handlung des Anspruchsgegners<br />
aa) durch positives Tun<br />
bb) durch pflichtwidriges Unterlassen bei Bestehen einer Garantenstellung<br />
c) Haftungsbegründende Kausalität (d.h. die Rechts- bzw. Rechtsgutsverletzung muß durch ein<br />
Verhalten des Anspruchsgegners verursacht worden und diesem zuzurechnen sein)<br />
aa) Kausalität (Äquivalenz)<br />
bb) Zurechnung (Adäquanz)<br />
d) Rechtswidrigkeit<br />
aa) i.d.R. Lehre vom Erfolgsunrecht (Tatbestand indiziert die Rechtswidrigkeit, wenn kein<br />
Rechtfertigungsgrund eingreift)
2<br />
bb) bei Unterlassungsdelikten: Handlungsunrecht (Nachweis einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung<br />
des Täters; Stichwort: Verkehrssicherungspflichten)<br />
e) Verschulden<br />
aa) Verschuldensfähigkeit, §§ 827, 828<br />
bb) Verschulden (Vorsatz oder Fahrlässigkeit)<br />
cc) Ausnahme: Billigkeitshaftung, § 829<br />
f) Vorhandensein eines Schadens<br />
g) Haftungsausfüllende Kausalität, d.h. Kausalzusammenhang zwischen Rechts- bzw. Rechtsgutsverletzung<br />
und Schaden<br />
h) Rechtsfolge: Schadensersatz nach §§ 249 ff.<br />
2. Die Voraussetzungen im einzelnen<br />
a) Verletzung eines der in § 823 I genannten Rechte oder Rechtsgüter<br />
Zunächst muß eines der in § 823 I genannten Rechte oder Rechtsgüter verletzt worden sein. Genannt<br />
werden Verletzungen des Lebens, des Körpers, der Gesundheit, der Freiheit, des Eigentums<br />
oder eines sonstigen Rechts.<br />
aa) Verletzung des Lebens bedeutet Tötung. Ersatzansprüche haben dann die Hinterbliebenen nach<br />
§§ 844, 845.<br />
bb) Eine Verletzung des Körpers ist ein Eingriff in die körperliche Integrität, der zur Störung der<br />
körperlichen, geistigen oder seelischen Lebensvorgänge führt. Eine Gesundheitsverletzung ist ein<br />
Vorgang, der dazu führt, daß ein Mensch physisch oder psychisch erkrankt. Maßgebliches Kriterium<br />
ist im Zweifel die medizinische Behandlungsbedürftigkeit des Zustandes.<br />
Die ärztliche Heilbehandlung als Eingriff in den Körper (besonders plastisch bei Operationen) fällt nach h.M. unter §<br />
823 I. Allerdings wird in diesen Fällen meist eine Einwilligung (nach erfolgter Aufklärung durch den Arzt!) oder berechtigte<br />
Geschäftsführung ohne Auftrag (in Notfällen) die Rechtswidrigkeit ausschließen, s.u.<br />
Auch Verletzungen des Kindes im Mutterleib sind umfaßt.<br />
Sog. Schockschäden, die nahe Angehörige bei der Nachricht vom Tod oder der schweren Verletzung eines anderen<br />
Angehörigen erleiden, sind i.d.R. NICHT ersatzfähig, es sei denn, es handelt sich um Gesundheitsbeeinträchtigungen<br />
mit Krankheitswert (Grund: Vermeidung einer unkontrollierten Ausdehnung der Deliktshaftung).<br />
cc) Als Freiheitsverletzung i.S.d. § 823 I gilt nur die Entziehung der körperlichen Bewegungsfreiheit<br />
sowie die Nötigung zu einer Handlung durch Drohung oder Zwang.<br />
Bsp.: Einsperren, Veranlassung einer behördlichen Freiheitsentziehung durch eine rechtswidrige<br />
Anzeige.<br />
Andere Eingriffe in die Entschließungsfreiheit des Menschen sind hiervon nicht erfaßt, allenfalls als Verletzung des<br />
allgemeinen Persönlichkeitsrechts.
3<br />
dd) Der Begriff der Eigentumsverletzung i.S.d. § 823 I wird heute allgemein weit ausgelegt. Dem<br />
liegt das Verständnis des § 903 zugrunde, nach dem der Eigentümer einer Sache mit dieser nach<br />
Belieben verfahren und andere von jeder Einwirkung ausschließen kann. Tatsächliche und rechtliche<br />
Einwirkungen auf die Sache stehen dabei gleich. Eine Eigentumsverletzung liegt z.B. vor bei:<br />
- Einwirkungen auf die Sachsubstanz (Entziehung, Beschädigung, Zerstörung)<br />
- Beeinträchtigung des Eigentumsrechts (Veräußerung der Sache an einen Gutgläubigen, Belastung<br />
mit Rechten Dritter)<br />
Umstritten ist, ob auch die Hinderung des Eigentümers am bestimmungsgemäßem Gebrauch der Sache ohne<br />
Einwirkung auf die Sache als solche (Bsp.: Versperren einer Garagenausfahrt) eine Eigentumsverletzung i.S.d. § 823<br />
I darstellt oder nur eine - von § 823 I nicht geschützte - Vermögensbeeinträchtigung. Die Rspr. hat im sog. Fleet-Fall<br />
(BGHZ 55, 153: Aufgrund einer Verkehrspflichtverletzung des Unterhaltspflichtigen wurde eine Wasserstraße so<br />
versperrt, daß Schiffe nicht mehr zur anliegenden Mühle hineinfahren konnten und ein Schiff sogar an der Mühle<br />
eingeschlossen war) das Einsperren eines Schiffes als Eigentumsverletzung angesehen, nicht aber das ”Aussperren”<br />
der übrigen Schiffe. Gleiches muß auch für das Einsperren eines Autos in einer Garage gelten. Denn das Eigentumsrecht<br />
schließt die Befugnis ein, den Standort einer beweglichen Sache zu bestimmen, welche einem nicht zur Gänze<br />
genommen werden darf 1 .<br />
Problematisch ist auch, daß der deliktische Ersatzanspruch aus § 823 durch Spezialvorschriften wie §§ 989 ff. −<br />
EBV − ausgeschlossen sein kann (vgl. § 992).<br />
ee) Weiterhin sind von § 823 I ”sonstige Rechte” geschützt.<br />
Als sonstige Rechte i.S.d. § 823 I sind insbesondere anerkannt:<br />
- beschränkte dingliche Rechte<br />
- Anwartschaftsrecht des Vorbehaltskäufers und des Auflassungsempfängers (nach Stellung des<br />
Eintragungsantrags)<br />
- Immaterialgüterrechte (Patent-, Urheber-, Warenzeichen- und Gebrauchsmusterrechte)<br />
- einzelne Persönlichkeitsrechte (Namensrecht, § 12 BGB; Firma, § 17 HGB; Recht am eigenen<br />
Bild gem. § 22 KunstUrhG)<br />
- Der Besitz als solcher wird überwiegend nicht als ”sonstiges Recht” anerkannt, weil Besitz kein<br />
Recht, sondern ein tatsächliches Herrschaftsverhältnis ist, das vom Gesetz nur wie ein Recht ausgestaltet<br />
wird. Da berechtigter Besitz (hier muß man den Unterschied zw. berechtigtem und unberechtigtem<br />
Besitz kurz anschneiden) aber eine rechtlich verdichtete Position ist, wird er nach mittlerweile<br />
wohl h.M. vom Schutzbereich des § 823 I umfaßt.<br />
- Eine besondere Stellung nehmen die sog. ”Rahmenrechte” ein: Sie sind zwar als sonstige Rechte<br />
anerkannt, bei ihnen indiziert aber die tatbestandsmäßige Verletzung nicht die Rechtswidrigkeit,<br />
diese muß vielmehr im Rahmen einer Interessenabwägung zwischen Schädiger und Opfer ermittelt<br />
werden. Rahmenrechte sind das allgemeine Persönlichkeitsrecht und das Recht am eingerichteten<br />
und ausgeübten Gewerbebetrieb.<br />
Geschützt wird das Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb.<br />
Dafür müssen folgende Voraussetzungen vorliegen:<br />
(1) Kein Eingreifen eines Spezialgesetzes (z.B. § 1 UWG, § 35 GWB), da Subsidiarität!<br />
=> Dies führt zu einer starken Einschränkung des deliktsrechtlichen Unternehmensschutzes über § 823 I<br />
(2) Vorliegen eines eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetriebs (Gewerbebetrieb: auf Dauer angelegter und auf<br />
Gewinnerzielung gerichteter Betrieb)<br />
1 Vgl. zu dieser Problematik ausführlich anhand von Beispielen: Larenz, Schuldrecht BT 2, § 76 II 3 c.
4<br />
(3) Beeinträchtigung durch unmittelbar ”betriebsbezogenen” Eingriff, d.h. Eingriff, der gegen den Betrieb als solchen<br />
gerichtet ist und nicht nur gegen von ihm ablösbare Rechte oder Rechtsgüter (daran fehlt es z.B. bei einer Verletzung<br />
des Unternehmensinhabers oder seiner Angestellten)<br />
Bsp.: Boykottaufrufe aus anderen als wirtschaftlichen Gründen (z.B. politischen, religiösen); Kritik durch die Verbreitung<br />
schädigender Werturteile, wobei Art. 5 I GG heute grds. Vorrang hat<br />
Schließlich ist das allgemeine Persönlichkeitsrecht als sonstiges Recht i.S.d. § 823 I anerkannt,<br />
also das Recht jedes Menschen auf Achtung seiner Würde und die Entfaltung seiner Persönlichkeit<br />
(vgl. Art. 1 I/2 I GG).<br />
Es umfaßt insbesondere:<br />
- Schutz der Privatsphäre gegen das unbefugte Eindringen Dritter (unbefugte Veröffentlichung<br />
privater Briefe und Aufzeichnungen; Mißbrauch fremder Bilder, z.B. zu Werbezwecken; unbefugtes<br />
Mithören fremder Telefongespräche, ständige Überwachung der Nachbarn durch eine Videokamera)<br />
- Schutz der Ehre (Bsp.: In einer Zeitschrift wird über eine Fernsehansagerin geschrieben, sie sehe<br />
aus wie eine gemolkene Ziege, bei deren Anblick die Milch sauer werde, vgl. BGHZ 39, 124) Zu<br />
beachten ist, daß in der Praxis immer häufiger der Meinungs- und Pressefreiheit eine höhere Gewichtung<br />
beigemessen wird als dem Ehrenschutz, wenn es sich um Personen im Mittelpunkt des<br />
öffentlichen Lebens handelt.<br />
Keine sonstigen Rechte i.S.d. § 823 I sind:<br />
- bloße Forderungen, der unberechtigte Besitz, die allgemeine Handlungsfreiheit, das Vermögen.<br />
b) Handlung des Anspruchsgegners<br />
Eine Handlung ist jedes menschliche Verhalten, sofern es vom Willen beherrschbar ist. Keine<br />
Handlungen liegen vor bei: Reflexen; Bewegungen, die auf physischem Zwang beruhen; Bewußtlosigkeit.<br />
Die erforderliche Handlung kann in positivem Tun bestehen, welches die Verletzung herbeiführt.<br />
Zum anderen ist auch ein pflichtwidriges Unterlassen als Verletzungshandlung möglich. Häufig<br />
wird heute zwischen unmittelbarer oder mittelbarer Rechtsverletzung unterschieden 2 , da auch dem<br />
Unterlassen (im herkömmlichen Sinn) in der Regel ein positives Tun vorausgeht. Ob in diesen Fällen<br />
eine Handlungspflicht bestand (insbesondere bei speziellen Schutzpflichten für Rechte bzw.<br />
Rechtsgüter, wie Garantenstellung aus Gesetz, enger Lebensgemeinschaft oder tatsächlicher Übernahme<br />
von Schutzpflichten oder bei der Verantwortlichkeit für eine Gefahrenquelle, insbes. Verkehrssicherungspflichten;<br />
vorangegangenem gefährlichen Tun, str.), welche verletzt wurde, wird<br />
erst im Rahmen der Rechtswidrigkeit geprüft (Stichwort: Verhaltensunrecht).<br />
Dazu unten sowie Fall 1.<br />
c) Haftungsbegründende Kausalität
5<br />
Die Verletzungshandlung muß für die Rechts- bzw. Rechtsgutsverletzung kausal gewesen sein. Die<br />
Prüfung ist in zwei Schritten vorzunehmen. Zuerst ist das Vorhandensein einer Kausalität überhaupt<br />
festzustellen (Äquivalenz). Anschließend findet eine Adäquanzprüfung statt, mit deren Hilfe ungewöhnliche<br />
Kausalverläufe aus der Zurechnung herausgenommen werden sollen.<br />
d) Rechtswidrigkeit<br />
Hier sind vom Tutor die Theorien vom Erfolgs- und Handlungsunrecht darzustellen.<br />
aa) Von Erfolgsunrecht spricht man, wenn die bloße Erfüllung des Tatbestandes. d.h. die Herbeiführung<br />
des tatbestandsmäßigen Erfolgs, als rechtswidrig gilt, sofern kein Rechtsfertigungsgrund<br />
eingreift.<br />
Diese Theorie ist in den meisten Fällen anwendbar, ohne daß sie in der Klausur explizit zu erläutern<br />
ist. Die Rechtswidrigkeit wird durch die bloße Tatbestandserfüllung indiziert, so daß nur zu prüfen<br />
ist, ob ein Rechtfertigungsgrund eingreift. Als solche kommen z.B. in Betracht:<br />
- Notwehr, § 227 BGB<br />
- Selbsthilfe, §§ 228, 229<br />
- Einwilligung des Verletzten (z.B. bei ärztlichen Eingriffen)<br />
- berechtigte Geschäftsführung ohne Auftrag<br />
- Recht zur vorläufigen Festnahme, § 127 StPO<br />
bb) In bestimmten Fallkonstellationen ist der Lehre vom Verhaltensunrecht (Handlungsunrecht)<br />
zu folgen, d.h. die Annahme der Rechtswidrigkeit bedarf zusätzlich der positiven Begründung durch<br />
den Nachweis einer objektiven Sorgfaltspflichtverletzung des Täters.<br />
Das gilt insbesondere für die Unterlassungsdelikte (Stichwort: Verkehrssicherungspflichten). Bei<br />
diesen indiziert nicht die bloße Tatbestandserfüllung bereits die Rechtswidrigkeit, sondern es muß<br />
eine objektive Sorgfaltspflichtverletzung des Täters nachgewiesen werden.<br />
Zu den Verkehrssicherungspflichten oder Verkehrspflichten: siehe Fall 1<br />
e) Verschulden<br />
aa) Erforderlich ist zunächst Verschuldensfähigkeit, die sog. Deliktsfähigkeit. Regelungen finden<br />
sich dazu in §§ 827, 828. Kinder unter 7 Jahren sind gem. § 828 I nicht deliktsfähig. Bei Jugendlichen<br />
im Alter zwischen 7 und 18 Jahren hängt gem. § 828 II die Deliktsfähigkeit davon ab, ob sie<br />
die zur Erkenntnis ihrer Verantwortlichkeit erforderliche Einsicht besitzen, ob sie also nach ihrer<br />
geistigen Entwicklung fähig sind, das Unrecht ihrer Tat und ihre allgemeine Verpflichtung zur Ersatzleistung<br />
zu erkennen.<br />
bb) Verschulden bedeutet Vorsatz oder Fahrlässigkeit, vgl. § 276 Abs. 1.<br />
2 Medicus, Gesetzliche Schuldverhältnisse, Fälle 26, 27; Larenz, Schuldrecht BT 2, § 72 I c.
6<br />
cc) Ausnahmsweise kommt gem. § 829 eine sog. Billigkeitshaftung in Betracht. Voraussetzung ist,<br />
daß bis auf die Deliktsfähigkeit der gesamte Tatbestand eines Delikts aus §§ 823 - 826 erfüllt wurde.<br />
Die Ersatzpflicht hängt dann von den Umständen und den Verhältnissen der Beteiligten ab, z.B.<br />
Art und Schwere der Verletzung und die beiderseitigen Vermögensverhältnisse.<br />
f) Schaden<br />
Ein Schaden ist jeder Nachteil, der an den Rechtsgütern einer Person entsteht. Als Schäden im Sinne<br />
des § 823 I kommen sowohl Vermögensschäden als auch Nichtvermögensschäden in Betracht.<br />
Regelmäßig wird der Vermögensschaden durch die sog. Differenzmethode ermittelt, nach der man<br />
die Vermögenslage vor und nach dem schädigenden Ereignis vergleicht und die entstehende Wertdifferenz<br />
festhält. Anders kann es sich bei normativen Schäden verhalten. Das sind Schäden, die in<br />
der Vermögensbilanz des Opfers deswegen nicht zu Buche schlagen, weil er von einem anderen<br />
Ersatz verlangen kann (Beispiele: Das geschädigte Kind hat gegen seine Eltern einen Unterhaltsanspruch<br />
auch darauf, daß es Heilungskosten ersetzt bekommt, erleidet also selbst keinen meßbaren<br />
Schaden. Der Arbeitnehmer, der infolge eines Unfalls arbeitsunfähig wird, erleidet selbst keinen<br />
Lohnausfall, weil nach dem Lohnfortzahlungsgesetz der Arbeitgeber das Gehalt weiter bezahlt).<br />
Konstruiert man hier nicht dennoch einen Schaden (= normativer Schaden), dann ist der nach dem<br />
Gesetz vorgesehene Übergang der Ansprüche auf diese andere, zur Leisrung verpflichtete Person<br />
begrifflich ausgeschlossen.<br />
g) Haftungsausfüllende Kausalität<br />
Als letzter Prüfungspunkt ist die haftungsausfüllende Kausalität zu betrachten. Hierbei ist festzustellen,<br />
ob ein kausaler Zusammenhang zwischen Verletzungshandlung und eingetretenem Schaden<br />
vorliegt. Die Verletzung darf also nicht hinweggedacht werden können, ohne daß der Schaden entfiele.<br />
Es folgt schon wie bei der haftungsbegründenden Kausalität durch die Adäquanzprüfung eine<br />
Einschränkung auf diejenigen Fälle, deren Eintritt nicht außerhalb jeder Wahrscheinlichkeit liegt.<br />
h) Rechtfolge: Schadensersatz<br />
Rechtsfolge des verwirklichten Delikts ist, daß der entstandene Schaden nach den Regeln des allgemeinen<br />
Schadensrechtes bzw. den Sonderregeln für die Regulation nach Deliktsrecht zu ersetzen<br />
ist.<br />
Inhalt und Umfang des Schadensersatzanspruchs richten sich grundsätzlich nach §§ 249 bis 254.<br />
Zusätzlich gibt es im Deliktsrecht ergänzende Vorschriften in §§ 842, 843, 848 bis 851.<br />
Grundsätzlich hat der Schädiger den Schaden durch die Wiederherstellung des früheren Zustandes<br />
zu beseitigen (Naturalrestitution, § 249 S. 1). Ist dies nicht möglich oder erscheint die Entschädigung<br />
des Gläubigers als nicht genügend, so kommt ein Schadensausgleich durch Geldersatz in Betracht,<br />
§ 251 I und § 249 S.2. Gem. § 252 ist auch der entgangene Gewinn zu ersetzen (im einzelnen<br />
s. Fall 1). Ein Mitverschulden des Anspruchstellers wirkt nach § 254 anspruchverkürzend.<br />
Bei Nichtvermögensschäden kann eine Entschädigung nur in den vom Gesetzgeber bestimmten Fällen<br />
gefordert werden, § 253. Dazu gehört das Schmerzensgeld nach § 253 II. Die wichtigsten Fälle
7<br />
sind Körper- und Gesundheitsverletzungen, die Freiheitsentziehung sowie schwere Eingriffe in das<br />
allgemeine Persönlichkeitsrecht (Ausdehnung des § 253 II durch die Rspr.!).<br />
Nach § 842 erstreckt sich die Schadensersatzpflicht bei einer gegen die Person gerichteten unerlaubten<br />
Handlung auf die Nachteile, die die Handlung für den Erwerb oder das Fortkommen des Verletzten<br />
herbeiführt.<br />
Nach § 843 ist der Schadensersatzsanspruch unter den genannten Voraussetzungen durch Entrichtung<br />
einer Geldrente zu leisten.<br />
In den praktisch wenig bedeutsamen §§ 848 bis 851 gibt das Gesetz noch Vorschriften über die<br />
Schadensersatzleistung bei Entziehung oder Beschädigung einer Sache.<br />
III. § 823 II - Verletzung von Schutzgesetzen<br />
Nach § 823 II soll denjenigen, der ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 II verletzt, die gleiche Schadensersatzpflicht<br />
treffen wie sie in Abs. 1 geregelt ist. Die praktische Bedeutung dieser Vorschrift ist erheblich,<br />
da zahlreiche Schutzgesetze auch das von § 823 I nicht erfaßte Vermögen schützen.<br />
1. Verstoß gegen ein Schutzgesetz<br />
Ein Schutzgesetz i.S.d. § 823 II ist nach h.M. eine Rechtsnorm (auch Rechtsverordnungen und Satzungen),<br />
die auch dem Schutz der Rechte und Interessen des Einzelnen dienen soll, also nicht nur<br />
den Schutz der Allgemeinheit bezweckt.<br />
Die wichtigsten Schutzgesetze sind:<br />
- viele Strafvorschriften innerhalb und außerhalb des StGB (Bsp: §§ 211 ff, 223 ff; 263, 266)<br />
- viele Verkehrsgebote und Verbote der StVO<br />
- im BGB: Vorschriften zum Schutz des Besitzes, Eigentums und der Nachbarn (§§ 858 str. , 906<br />
bis 909, 1004 str. )<br />
Ein Verstoß gegen das Schutzgesetz liegt dann vor, wenn dessen kompletter subjektiver und objektiver<br />
Tatbestand erfüllt ist sowie Rechtswidrigkeit und Schuld gegeben sind.<br />
2. Reichweite des Schutzzwecks der Norm<br />
Weiterhin ist die Reichweite des Schutzzwecks zu prüfen 3 :<br />
(1) Gehört der Geschädigte zum Personenkreis, deren Schutz die fragliche Norm bezweckt?<br />
Bsp.: § 248 b StGB − Gebrauchsentziehung − schützt zwar den Eigentümer des entwendeten PKW, nicht aber das<br />
Opfer eines Unfalls, der sich bei unbefugter Benutzung des PKW ereignet.<br />
(2) Ist das verletzte Rechtsgut in den Schutzbereich der Norm einbezogen?<br />
3 Die Formulierungen hinsichtlich dieses Prüfungspunktes sind in der Literatur uneinheitlich; die 3-Schritt-Prüfung hier<br />
beruht auf Larenz, Schuldrecht BT 2, § 77 III 3.
8<br />
Bsp.: Aus der Verletzung von Straftatbeständen zum Schutz von Leben und Gesundheit können keine Ansprüche auf<br />
Ersatz vonVermögensschäden hergeleitet werden.<br />
(3) Hat sich gerade das normspezifische Risiko verwirklicht?<br />
Bsp: ”Kegeljungenfall”: Ein Kind, das entgegen der Vorschriften über die zeitliche Begrenzung von Jugendarbeit<br />
spät abends in einem Lokal mit dem Aufstellen von Kegeln beschäftigt wird, hat keinen Anspruch gegen den Gastwirt<br />
aus § 823 II, wenn es durch eine Kegelkugel verletzt wird, denn das ist nicht das Risiko, vor dem die Arbeitszeitvorschriften<br />
die Jugendlichen schützen sollen.<br />
Dies wird auch als Rechtswidrigkeitszusammenhang zwischen Verletzung des Schutzgesetzes<br />
und dem eingetretenen Schaden bezeichnet.<br />
3. Verschulden<br />
Üblicherweise erfordert bereits der Verstoß gegen das Schutzgesetz ein Verschulden. Ob Vorsatz<br />
erforderlich ist oder Fahrlässigkeit genügt, bestimmt sich nach dem Schutzgesetz.<br />
Für die Fälle, in denen das Schutzgesetz selbst kein Verschulden fordert, bestimmt § 823 II, daß für<br />
einen Schadensersatzanspruch ein Verschulden vorliegen muß. Das Verschulden braucht sich aber<br />
nur auf die Schutzgesetzverletzung zu erstrecken, nicht auf die dadurch verursachten Schäden.<br />
IV. § 826 − Vorsätzliche sittenwidrige Schädigung<br />
Auf § 826 sollten die Studenten hingewiesen werden, ohne daß er im Tutorium ausführlich behandelt<br />
wird.<br />
Die Bedeutung des § 826 geht heute wegen der Ausdehnung des § 823 durch die Praxis und der<br />
Schaffung neuer Spezialgesetze, insbesondere im Wirtschaftsrecht, immer mehr zurück.<br />
Wichtigste Fallgruppe des § 826 sind die Fälle einer Täuschung Dritter mit Schädigungsvorsatz<br />
außerhalb des wirtschaftlichen Wettbewerbs (sonst §§ 1 und 3 UWG), z.B.<br />
- Verkauf eines gestohlenen Kraftfahrzeugs unter Täuschung des Käufers über die Herkunft des<br />
Fahrzeugs<br />
- leichtfertige und gewissenlose, ins Blaue hinein gemachte Angaben eines Steuerberaters oder<br />
Wirtschaftsprüfers über angebliche Gewinne eines Unternehmens bei Verkaufsverhandlungen<br />
- eine bewußt unrichtige Auskunft über die Kreditwürdigkeit veranlaßt eine Bank, einen Kredit zu<br />
geben.<br />
- Verleitung zum Doppelverkauf<br />
V. Produkthaftung
9<br />
Auf die Produkthaftung, bei der es um die Frage geht, unter welchen Voraussetzungen die Hersteller<br />
gefährlicher Produkte den durch diese geschädigten Abnehmern zum Schadensersatz verpflichtet<br />
ist, sollten die Studenten ebenfalls hingewiesen werden.<br />
Literaturhinweise:<br />
Emmerich, BGB-Schuldrecht Besonderer Teil, § 23 Rn. 13ff.<br />
Larenz, Schuldrecht BT 1, § 41 a.<br />
Es sollte kurz dargestellt werden, daß die Produkthaftung im deutschen Recht zweispurig geregelt<br />
ist. Zum einen besteht die deliktische Haftung nach § 823 I bzw. sogar Vertragshaftung bei Gewährung<br />
einer besonderen Garantie. Zum anderen existiert seit 1990 das Produkthaftungsgesetz mit<br />
einer verschuldensunabhängigen Haftung für fehlerhafte Produkte, wenn durch den Fehler eines<br />
Produkts ein Mensch getötet oder verletzt oder eine privatgenutzte Sache beschädigt worden ist. (§<br />
1 I 1 ProdHaftG). Außerdem kann sich eine Produkthaftung über § 823 II noch aus anderen Gesetzen<br />
ergeben, wie z.B. dem Lebensmittel- oder Arzneimittelgesetz.<br />
<strong>VI</strong>. § 831 − Haftung für Verrichtungsgehilfen<br />
Diese wird im Rahmen des Falles 2 dargestellt.<br />
Fall 1:<br />
A. Anspruch auf Schadensersatz gegen U aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen (§ 311<br />
Abs. 2 und Abs. 3)<br />
Ein solcher Anspruch kommt im vorliegenden Fall prinzipiell in Betracht, sollte an dieser Stelle<br />
jedoch lediglich erwähnt, nicht aber im einzelnen geprüft werden, da dies den Rahmen des zu vermittelnden<br />
Stoffs und außerdem die ohnehin bereits knappe Zeit überschreiten würde. Außerdem<br />
kann A Schmerzensgeld nur verlangen, wenn er die Verwirklichung eines schuldabhängigen Delikts<br />
nachweist.<br />
B. Anspruch auf Schadensersatz gegen U aus § 823 I i.V.m. §§ 249 ff. BGB<br />
I. Rechtsgutsverletzung<br />
A hat eine Schädigung an Körper und Gesundheit erlitten.<br />
II. Handlung des U
10<br />
Ein Tun des U des § 823 I ist hier fraglich, da man schwerlich sagen kann, U hat den A verletzt.<br />
Vielmehr wird man feststellen müssen, daß A sich die Verletzung durch sein eigenes Verhalten zugezogen<br />
hat.<br />
Allerdings hat U es versäumt, die Öffnung abzudecken. Daher liegt eine Verletzung durch Unterlassen<br />
vor 4 .<br />
III. Haftungsbegründende Kausalität<br />
Es stellt sich die Frage, ob das Unterlassen des U für die Verletzung des A ursächlich war und dem<br />
U die Blessuren des A zugerechnet werden können. Das ist dann zu bejahen, wenn die Vornahme<br />
der gebotenen Handlung (Abdecken der Öffnung) den Verletzungserfolg verhindert hätte 5 .<br />
Vorliegend ist dies unproblematisch der Fall. Denn hätte U die Öffnung abgedeckt, wäre A nicht<br />
hindurchgefallen und verletzt worden. Auch lassen sich dem Sachverhalt keine Gründe entnehmen,<br />
die gegen eine Erfolgszurechnung zu Lasten des U sprechen.<br />
IV. Rechtswidrigkeit<br />
1. Vorüberlegungen<br />
Anders als bei einer unmittelbaren Verletzung kann man in einem Fall des Unterlassens bzw. der<br />
mittelbaren Verletzung nicht einfach aus dem Verletzungserfolg auf die Rechtswidrigkeit der Verletzungshandlung<br />
schließen und diese nur bei Vorliegen besonderer Rechtfertigungsgründe verneinen.<br />
So kann man es beispielsweise schwerlich allen Passanten der Maximilianstraße zum Vorwurf gereichen lassen, daß<br />
sie es versäumt haben, eine auf der Straße liegende Bananenschale in den Papierkorb zu werfen, weshalb letztlich ein<br />
Fußgänger ausgerutscht ist und sich verletzt hat.<br />
Auch sind Motorradproduktion und -handel nicht deswegen rechtswidrig, weil Motorradfahrer zu Tode kommen<br />
können (der tödliche Unfall ist eine mittelbare Verletzung, welcher die Handlung des Herstellens bzw. Verkaufs von<br />
Motorrädern vorausgeht).<br />
Angesichts der angesprochenen Probleme ist für die Rechtswidrigkeit bei Unterlassungsdelikten<br />
über die Verwirklichung des Tatbestandes und das Fehlen von Rechtfertigungsgründen hinaus zu<br />
fordern, daß eine Verletzung besonderer Sicherungspflichten hinzutritt. Derartige sog. Verkehrsoder<br />
Verkehrssicherungspflichten (VSP) sollen die Gefahren aus dem an sich erlaubten Tun (Hausbau,<br />
-verkauf; Motorradproduktion, -handel) so gering wie möglich halten. Sie sind im Wege richterlicher<br />
Fortbildung entwickelt worden 6 , wobei sich inzwischen zahlreiche Verkehrssicherungspflichten<br />
auch in Gesetzen positiviert finden 7 .<br />
4 Z. T. wird differenziert zwischen Unterlassen und mittelbarer Verletzung. Vgl. Medicus, Gesetzliche Schuldverhältnisse,<br />
Fall 26; zum Ganzen ferner Medicus, Bürgerliches Recht, Rn. 642 ff. Dabei ist die mittelbare Verletzung dadurch<br />
gekennzeichnet, daß der Verletzungserfolg (hier: der Sturz durch die Öffnung) außerhalb des Handlungsablaufs (hier:<br />
der Errichtung des Neubaus) liegt.<br />
5 Palandt-Heinrichs, vor § 249, Rdnr. 84.<br />
6 Vgl. die Darstellung der umfangreichen Kasuistik zu Verkehrssicherungspflichten in Palandt-Thomas, § 823, Rn. 58 ff.<br />
(64 ff.).<br />
7 So besteht z.B. die StVO weithin aus der Normierung solcher Pflichten.
11<br />
a) Grundgedanke<br />
Im allgemeinen basieren VSP auf dem Gedanken, daß jeder, der in der Lage ist, über eine Sache zu<br />
verfügen, die von der Sache drohenden Gefahren tunlichst abwenden soll 8 .<br />
b) Maßstab 9<br />
Das Maß der zur Gefahrvermeidung oder Gefahrabwehr geschuldeten Sorgfalt läßt sich immer nur<br />
im Einzelfall aufgrund einer sorgfältigen Abwägung aller relevanten Umstände bestimmen. Maßgebend<br />
ist, was nach der Verkehrsauffassung zur Vermeidung der betreffenden Gefahr erforderlich,<br />
zumutbar und vernünftig ist. Lediglich solche Gefahren, die dem Verkehr genau bekannt sind und<br />
die er deshalb bewußt in Kauf nimmt, brauchen grundsätzlich nicht vermieden zu werden. Alle anderen<br />
bekannten oder doch zumindest erkennbaren Gefahren, die mit bestimmten Produkten oder<br />
Maßnahmen verbunden sind, müssen hingegen nach Möglichkeit unterbunden werden. Hierbei ist,<br />
soweit bereits technische Normen für ein Gebiet vorliegen, in erster Linie an diese anzuknüpfen,<br />
wobei in der Praxis jedoch noch strengere Anforderungen vorgeschrieben werden können.<br />
c) Verpflichteter<br />
Die Verkehrssicherungspflichten treffen grundsätzlich jeden, der eine Gefahrenlage für andere<br />
schafft oder beherrscht, namentlich also denjenigen, der auf seinem Grundstück oder in einem Gebäude<br />
einen öffentlichen Verkehr eröffnet 10 oder sonst die Herrschaft über gefährliche Sachen ausübt<br />
11 . Dies muß nicht zwangsläufig der Eigentümer eines Grundstücks oder Gebäudes sein; vielmehr<br />
kommt unter entsprechenden Umständen auch der Mieter in Betracht 12 . So müssen z.B. Zugänge<br />
und Treppen sich in einem einwandfreien Zustand befinden, ordnungsgemäß beleuchtet und<br />
im Winter schnee- und eisfrei sein.<br />
Verkehrssicherungspflichten können sich auch aus der Beherrschung gefährlicher Sachen ergeben.<br />
So ist z.B. derjenige, der sein Kfz abstellt verpflichtet, alles ihm Mögliche und Zumutbare zu tun,<br />
um die unbefugte Benutzung seines Wagens durch Dritte zu verhindern (Abschließen genügt nicht;<br />
notwendig ist ferner das Verschließen der Fenster bzw. das Einrasten des Lenkrades).<br />
Beim Ausüben gefährlicher Berufe trägt man der Allgemeinheit gegenüber die Verantwortung für<br />
einen geordneten Ablauf der Dinge und muß sich bemühen, Schädigungen Dritter durch seine Berufsausübung<br />
zu verhindern.<br />
Bsp.: Ärzte, Werkstatt- und Bauunternehmer, Architekten<br />
d) Geschützte Personen<br />
Geschützt wird prinzipiell jedermann. Allerdings gibt es je nach dem Schutzzweck der jeweiligen<br />
Verhaltenspflicht und der Person des Verletzten Ausnahmen. So muß beispielsweise der Verpflich-<br />
8 Palandt-Thomas, § 823, Rn. 59.<br />
9 Vgl. zum Folgenden Emmerich, Schuldrecht BT, § 23, Rn. 6.<br />
10 Im einzelnen dazu: Emmerich, Schuldrecht BT, § 23, Rn. 7.<br />
11 Hierzu Emmerich, Schuldrecht BT, § 23, Rn. 10.<br />
12 Palandt-Thomas, § 823, Rn. 59.
12<br />
tete, welcher den Verkehr auf seinem Grundstück in zulässiger Weise beschränkt hat, gegenüber<br />
Dritten, die sich unbefugt auf seinem Grundstück aufhalten, nicht haften.<br />
Hierbei ist jedoch zu beachten, daß speziell für Kinder andere Regeln gelten können. Insbesondere<br />
ist es anerkannt, daß jeder Grundstückseigentümer über ein bloßes Verbotsschild hinaus wirksame<br />
Schutzmaßnahmen (z.B. Errichtung eines Zauns) ergreifen muß, um Kinder vor den Folgen ihres<br />
ungezügelten Spieltriebs und ihrer Unerfahrenheit zu schützen.<br />
2. Zu Fall 1<br />
Das Unterlassen des U ist dann als rechtswidrig anzusehen, wenn U eine VSP hatte und gegen diese<br />
Verkehrssicherungspflicht verstoßen hatte und dabei nicht gerechtfertigt war.<br />
Der Bauunternehmer U eröffnete auf seinem Grundstück und in dem Neubau einen öffentlichen<br />
Verkehr, indem er (etwa in Zeitungsannoncen) um Interessenten geworben und diese auf das Baugrundstück<br />
hingewiesen sowie schließlich mit dem A eine Begehung der Baustelle durchgeführt<br />
hatte. Als Eigentümer des Grundstücks und Erbauer des Hauses konnte er ferner die Herrschaft über<br />
diese Sachen ausüben. Folglich war U verpflichtet, alles ihm Mögliche und Zumutbare zu tun, um<br />
Gefahren, die von diesen Sachen Dritten drohen, zu verhindern oder zu beseitigen. Mithin hatte U<br />
für die Sicherheit der Besucher zu sorgen, eine Verkehrssicherungspflicht liegt demnach vor.<br />
Fraglich ist, ob U dieser Pflicht zuwider handelte. Zwar wird die Sicherheit in einem unfertigen Gebäude<br />
immer nur unvollkommen sein können (z.B. fehlende Treppengeländer), aber nicht abgedeckte<br />
Öffnungen im Fußboden gehen über solche unvermeidbaren Sicherheitsmängel hinaus; U verstieß<br />
somit gegen seine Verkehrssicherungspflicht.<br />
Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.<br />
Folglich war das Unterlassen der Abdeckung rechtswidrig.<br />
V. Verschulden<br />
Das Verschulden liegt in Form der Fahrlässigkeit (vgl. § 276 Abs. 2) vor.<br />
<strong>VI</strong>. Schaden 13<br />
A hat in verschiedener Hinsicht Schäden erlitten. Zum einen ist davon auszugehen, daß ihm im Zusammenhang<br />
mit der 14-tägigen stationären Behandlung Kosten entstanden sind. Des weiteren<br />
schlägt der laufende Verdienstausfall mit 25.000 Euro zu Buche. Schließlich kommt auch ein einmaliger<br />
Ausfall von 5.000 Euro in Betracht. Das ergibt nach der Differenztheorie Schäden in Höhe<br />
von über 30.000 Euro.<br />
<strong>VI</strong>I. Haftungsausfüllende Kausalität<br />
Diese ist vorliegend zu bejahen, da die Schäden erst infolge des Sturzes, mithin der Verletzung,<br />
eingetreten sind.<br />
13 Vgl. im einzelnen die Kommentierungen im Palandt zu die §§ 249, 251 und 843.
<strong>VI</strong>II. Rechtfolge: Schadensersatz für die ersatzfähigen Schäden<br />
13<br />
1. Krankenhaus-/Behandlungskosten<br />
Diese Kosten kann A gem. § 249 S. 2 BGB ersetzt verlangen.<br />
Besagte Norm ermöglicht einen Schadensausgleich, ohne daß der Geschädigte sein verletztes Rechtsgut dem Schädiger<br />
zur Naturalrestitution anzuvertrauen braucht. Der geschuldete Geldbetrag bemißt sich nach dem, was zur Herstellung<br />
erforderlich ist. Bei Personenschäden ist demnach insbesondere die Heilbehandlung umfaßt. Die Aufwendungen<br />
müssen sich dabei im Rahmen des Angemessenen halten; der Verletzte darf aber den Leistungsstandard wählen,<br />
den er üblicherweise in Anspruch nimmt (z.B. Privatbehandlung). Zu den Heilungskosten gehören auch die<br />
Fahrtkosten von nahen Angehörigen für Krankenhausbesuche (entsprechend der wirtschaftlichsten Beförderungsart).<br />
Auch Kur- und Pflegekosten sind hinzuzurechnen, ebenso Aufwendungen für eine berufliche Rehabilitation, insbesondere<br />
eine Umschulung.<br />
Von § 249 S. 2 zu unterscheiden ist § 251. Dieser greift dann ein, wenn die Herstellung unmöglich oder unzulänglich<br />
ist. Dabei erfaßt die Unmöglichkeit alle Fälle des § 275, gleichgültig, ob es sich um anfängliche oder nachträgliche<br />
Unmöglichkeit handelt. So ist Unmöglichkeit bei Personenschäden z.B. im Falle dauernder Minderung der Erwerbsfähigkeit<br />
gegeben. Allerdings gilt für diejenigen Fälle, in denen die Erwerbsfähigkeit infolge einer unerlaubten<br />
Handlung beeinträchtigt wurde, die Spezialnorm des § 843 BGB.<br />
Hierfür bietet der Sachverhalt jedoch keine Anhaltspunkte.<br />
2. Laufender Verdienstausfall i.H.v. 25.000 Euro<br />
Dieser Schaden ist gem. § 842 zu ersetzen, welcher im Grunde das wiederholt, was sich bereits aus<br />
den §§ 249 ff., namentlich aus § 252 ergibt.<br />
Hiernach sind der konkrete Schaden durch den Verlust von Arbeitseinkünften und ferner alle wirtschaftlichen<br />
Beeinträchtigungen, die der Geschädigte erleidet, weil und soweit er seine Arbeitskraft<br />
verletzungsbedingt nicht verwerten kann, zu kompensieren. Für die Darlegung der konkreten Anhaltspunkte<br />
und den Beweis bei Ermittlung des Erwerbsschadens gelten die Erleichterungen in §<br />
252 S. 2 BGB sowie § 287 ZPO.<br />
Demnach braucht der Geschädigte nur die Umstände darzulegen und in den Grenzen des § 287 ZPO zu beweisen,<br />
aus denen sich nach dem gewöhnlichen Verlauf der Dinge oder den besonderen Umständen des Falles die Wahrscheinlichkeit<br />
des Gewinneintritts ergibt. Dabei dürfen keine zu strengen Anforderungen gestellt werden.<br />
Bei Gewerbetreibenden oder Freiberuflern ist umstritten, welcher Schaden angesetzt werden darf. Nach der Rspr. ist<br />
ausschließlich auf die anhand des Betriebsergebnisses konkret festzustellende Gewinnminderung abzustellen. Diese<br />
liefert einen weitgehend objektiven, konkreten Maßstab.<br />
Die h.L. hingegen will den Schaden in Ansatz bringen, welcher sich nach dem Gehalt für eine gleichwertige, tatsächlich<br />
nicht (!) eingestellte Ersatzkraft bemißt. Zur Begründung wird angeführt, daß sich der Verletzte auf die Vermutung<br />
berufen könne, daß seine Arbeitsleistung das übliche Entgelt wert ist.<br />
Bei Unterbrechungen oder Störungen im Betriebs-/Geschäftsablauf besteht der Schaden in den entgangenen Roherlösen,<br />
abzüglich ersparter Betriebskosten (Bsp.: Wenn ein Einzelhandwerker nicht arbeiten kann und daher die<br />
Strom-/Wartungskosten für seine Maschinen spart. Oder ein Rechtsanwalt, der keine Mandate bearbeitet und somit<br />
weder Porto- noch Telefonkosten aufzubringen hat).
14<br />
Vorliegend kann nach dem Sachverhalt ein Verdienstausfall von 25.000 Euro angesetzt werden;<br />
Anhaltspunkte für einen schadensmindernden Abzug von ersparten Betriebskosten sind nicht ersichtlich<br />
bzw. jedenfalls nicht quantifizierbar.<br />
3. Das entgangene Mandat i.H.v. 5.000 Euro<br />
Nach den o.g. Kriterien wird wohl auch dieser Schaden zu ersetzen sein, da der Sachverhalt besagt,<br />
daß bereits ernste Verhandlungen stattgefunden hatten und das Mandat wegen der verletzungsbedingten<br />
Arbeitsunfähigkeit entgeht. Denn § 252 S. 2 stellt auch auf den wahrscheinlich zu erwartenden<br />
Gewinn ab.<br />
(Eine a.A. ist m.E. gerade noch vertretbar, wenn man darauf abstellt, daß eben erst Verhandlungen<br />
stattgefunden hatten und noch kein Vertrag abgeschlossen war.)<br />
<strong>VI</strong>II. Ergebnis<br />
A hat gegenüber U einen Anspruch auf Ersatz der Krankenhauskosten, des laufenden Verdienstausfalls<br />
sowie des Verlusts des entgangenen Mandats aus § 823 I i.V.m. §§ 249, 2; 252, 1; 842 BGB.<br />
C. Anspruch auf Schadensersatz gegen U aus § 823 II 1 i.V.m. §§ 229, 13 I StGB<br />
Ein solcher Anspruch kommt grundsätzlich in Betracht, soll hier jedoch nicht weiter vertieft werden,<br />
da die Prüfung zu sehr in das Strafrecht übergreift und zivilrechtlich kaum neue Erkenntnisse<br />
bringt (vgl. zum Prüfungsaufbau die Vorbemerkungen).<br />
D. Anspruch auf Schmerzensgeld gegen U aus §§ 823 I, 253 II BGB<br />
I. Eine Verletzung von Körper und Gesundheit liegt vor (vgl. oben B.).<br />
II. Infolge dieser Verletzung hat A einen immateriellen Schaden erlitten, da er vor, während und<br />
noch lange nach Ende der stationären Behandlung Schmerzen erleiden mußte.<br />
Der Anspruch soll dazu dienen, den Geschädigten in die Lage zu versetzen, sich Erleichterungen und andere Annehmlichkeiten<br />
an Stelle derer zu verschaffen, deren Genuß ihm durch die Verletzung unmöglich gemacht wurde.<br />
Daneben soll das Schmerzensgeld auch zu einer Genugtuung führen (problematisch, da der Sühnegedanke für das<br />
zivilrechtliche Schadensersatzrecht nicht tragfähig ist).<br />
Die Entschädigung ist nach Ermessen zu bestimmen, wobei das Bemühen um eine angemessene Beziehung der Entschädigung<br />
zu Art und Dauer der Verletzungen unter Berücksichtigung aller für die Höhe maßgeblichen Umstände<br />
erkennbar sein muß. Bemessungsgrundlagen sind Ausmaß und Schwere der psychischen und physischen Störungen,<br />
Alter, persönliche und Vermögensverhältnisse des Geschädigten und des Schädigers (!). M.a.W. also Maß der Lebensbeeinträchtigung,<br />
Größe, Dauer, Heftigkeit der Schmerzen, Leiden, Entstellungen, Dauer der stationären Behandlung,<br />
der Arbeitsunfähigkeit und der Trennung von der Familie, Fraglichkeit der Heilung, Grad des Verschuldens<br />
(und ggf. Mitverschuldens) des Verletzten etc.<br />
Für die Bemessung der Höhe des Schmerzensgeldes ist vorliegend zu berücksichtigen, daß A zwei<br />
Wochen im Krankenhaus und weitere zehn Wochen von erheblichen Schmerzen geplagt war, während<br />
derer er noch nicht einmal arbeiten konnte. Ferner ist auch die Einkommenssituation des A zu
15<br />
berücksichtigen (als Besserverdiener wird er wohl ein höheres Schmerzensgeld erhalten als z.B. ein<br />
Student) und schließlich auch die finanziellen Kapazitäten des U.<br />
Festzuhalten bleibt jedenfalls, daß A gegen U einen Anspruch auf Schmerzensgeld aus §§ 823 I,<br />
253 II BGB hat.<br />
Fall 2:<br />
A. Anspruch des G gegen S auf Schadensersatz aus §§ 241 Abs. 2, 280 Abs. 1 i.V.m. § 278<br />
Ein solcher Anspruch kommt grundsätzlich in Betracht, scheidet hier jedoch aus. Denn dem Sachverhalt<br />
läßt sich nicht entnehmen, daß zwischen G und S eine vertragliche Beziehung besteht 14 .<br />
B. Anspruch des G gegen S auf Schadensersatz gem. § 831 I 1 BGB<br />
I. D zur Verrichtung bestellt (Verrichtungsgehilfe)?<br />
Fraglich ist, ob D als Verrichtungsgehilfe gehandelt hat.<br />
Verrichtungsgehilfe ist, wer mit Wissen und Wollen des Geschäftsherrn in dessen Geschäftsbereich<br />
weisungsabhängig tätig ist. Der Gehilfe muß also in Haushalt oder Betrieb des Geschäftsherrn eingegliedert<br />
sein.<br />
Für das Weisungsrecht reicht es aus, daß der Geschäftsherr die Tätigkeit des Handelnden jederzeit<br />
beschränken, untersagen oder nach Zeit und Umfang bestimmen kann. Der Begriff des Geschäftsherrn<br />
verlangt, daß der Bestellte bei Ausführung der Verrichtung vom Willen des Bestellers abhängig<br />
ist.<br />
Der maßgebliche Unterschied zwischen dem Verrichtungsgehilfen des § 831 und dem Erfüllungsgehilfen i.S.d. § 278<br />
besteht in der Weisungsgebundenheit. Denn während als Erfüllungsgehilfe auch derjenige in Betracht kommt, der in<br />
seinem Verhalten keinem Weisungsrecht des Schuldners unterliegt, ist § 831 auf selbständige Unternehmer nicht<br />
anwendbar 15 .<br />
Vorliegend spricht der Sachverhalt davon, daß D ein Angestellter des S ist, der auch schon seit einiger<br />
Zeit für S arbeitet. Es kann folglich davon ausgegangen werden, daß S als Verrichtungsgehilfe<br />
gehandelt hat.<br />
II. Tatbestandsmäßige und rechtswidrige unerlaubte Handlung des D<br />
D hat dem G einen Schaden zugefügt. Sein Handeln stellt sich somit als tatbestandliche Eigentumsverletzung<br />
i.S.d. § 823 I dar. Es war auch rechtswidrig, denn Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.<br />
14 Zum Verhältnis zwischen § 278 und § 831 vgl. Palandt-Thomas, § 831, Rdnr. 3.<br />
15 Vgl. nur Palandt-Heinrichs, § 278, Rdnr. 7.
Auf ein Verschulden des Verrichtungsgehilfen (!) kommt es im Rahmen des § 831 nicht an 16 .<br />
16<br />
III. Deliktische Schadenszufügung in Ausführung der Verrichtung<br />
D muß den Schaden in Ausführung der Verrichtung verursacht haben.<br />
Das Delikt darf also nicht nur gelegentlich der Verrichtung begangen worden sein (in diesem Falle<br />
würde nur der Täter selbst haften). Daher ist ein unmittelbarer innerer Zusammenhang zwischen der<br />
dem Gehilfen aufgetragenen Verrichtung nach ihrer Art und ihrem Zweck und der schädigenden<br />
Handlung erforderlich. Das Verhalten des Gehilfen darf nicht aus dem Kreis oder allgemeinen<br />
Rahmen der ihm anvertrauten Aufgaben herausfallen.<br />
Hier hat D sich auf dem Weg zu einem Kunden befunden. Der Transport der Leiter hat dabei zur<br />
auszuführenden Aufgabe gehört. Folglich ist die Eigentumsverletzung in Ausführung der Verrichtung<br />
erfolgt.<br />
Anders wäre es z.B. zu beurteilen, wenn D extra bei seinem Rivalen G vorbeigegangen wäre, um ihm mit der Leiter<br />
mutwillig einen Fensterbruch zuzufügen. Dies hätte mit seiner Verrichtung nichts mehr zu tun, sondern würde den<br />
Aufgabenbereich sprengen.<br />
Ebensowenig würde ein Geschäftsherr aus § 831 haften, wenn seine Gehilfen während der Arbeit einen Diebstahl bei<br />
dem Kunden begehen. Denn das Stehlen steht nicht in einem unmittelbaren inneren Zusammenhang mit der Art und<br />
dem Zweck der eigentlichen Aufgabe (z.B. Bauarbeiten auszuführen).<br />
IV. Verschulden des Geschäftsherrn bei Auswahl und Beaufsichtigung und bei Beschaffung<br />
erforderlicher Geräte<br />
§ 831 I 2 BGB enthält eine doppelte Vermutensregel.<br />
Zum einen wird das Verschulden des Geschäftsherrn vermutet. Dies soll den Geschädigten von der<br />
häufig unmöglichen Aufgabe befreien, dem Geschäftsherrn ein Verschulden nachweisen zu müssen.<br />
Vielmehr liegt dem § 831 I 2 der Gedanke zugrunde, daß der Geschäftsherr viel eher Beweise für<br />
seine Entlastung bringen kann, da er die Herrschaft über seinen Geschäftsbereich ausübt, wohingegen<br />
der Geschädigte in diesen i.d.R. keinen Einblick hat.<br />
Zum anderen wird gem. § 831 I 2 a.E. vermutet, daß das Verschulden des Geschäftsherrn (also dessen<br />
Pflichtverletzung) für den eingetretenen Schaden kausal war.<br />
Allerdings hat der Geschäftsherr die Möglichkeit, seiner Haftung zu entgehen, indem er zumindest<br />
eine dieser beiden Vermutungen durch den Beweis des Gegenteils widerlegt. Dies bezeichnet man<br />
als Exkulpation (culpa: die Schuld; exkulpieren: von der Schuld befreien, ent-schuldigen); die entsprechende<br />
Regelung findet sich in § 831 I 2 BGB.<br />
Daraus folgt im einzelnen:<br />
1) Auswahl, Anleitung, Überwachung<br />
Diesbezüglich sind die Anforderungen ständig verschärft worden. Das Maß der bei der Auswahl zu stellenden Anforderungen<br />
richtet sich nach der Art der Verrichtung. Je verantwortungsvoller und schwieriger die Tätigkeit ist, um<br />
so größere Sorgfalt muß verlangt werden (z.B. Busfahrer, Assistenzarzt im Krankenhaus).<br />
Sorgfältige Auswahl allein genügt jedoch nicht, da vielmehr auch eine fortgesetzte Prüfung dahingehend, ob der Gehilfe<br />
noch immer die Verrichtungen ausführen kann, erforderlich ist. Hierbei sind jedoch keine zu strengen Anforde-<br />
16 S. nur Palandt-Thomas, § 831, Rn. 1 und 11.
17<br />
rungen zu stellen. Gelegentliche unauffällige und unerwartete (!) Kontrollen, Stichproben oder ggf. Gesundheitstests<br />
reichen i.d.R. aus, wobei sich eine sichere Entscheidung über die zu stellenden Anforderungen letztlich nur im jeweiligen<br />
Einzelfall unter Berücksichtigung der konkreten Verrichtung treffen läßt.<br />
Diese Überwachungspflicht deckt sich nicht mit der Anleitung, welche nur die konkrete Ausführung der Verrichtung<br />
betrifft. Ob eine Anleitung - z.B. wegen der besonderen Schwierigkeit oder Gefährlichkeit einer Verrichtung - erforderlich<br />
ist, hat der Verletzte zu beweisen.<br />
2) Vorrichtungen und Geräte<br />
Ein sorgfältiges Vorgehen ist diesbezüglich nur nachzuweisen, wenn die Beschaffung erforderlich war. Dabei hat der<br />
Verletzte die Beschaffungspflicht nachzuweisen. Auch hier sind die Umstände des Einzelfalles, darüber hinaus aber<br />
auch die Verkehrssitte maßgeblich.<br />
3) Entlastungsbeweis durch Widerlegung der Ursächlichkeitsvermutung (§ 831 I 2 a.E.)<br />
Hierfür ist der Nachweis erforderlich, daß der Schaden entweder auch von einer sorgfältig ausgewählten (überwachten)<br />
Person angerichtet worden wäre oder daß auch ein sorgfältiger Geschäftsherr nach den Unterlagen, die er eingeholt<br />
hätte, den Bestellten ausgewählt hätte.<br />
Vorliegend hat S den D ursprünglich sorgfältig ausgewählt. Ferner läßt sich dem Sachverhalt entnehmen,<br />
daß die Arbeit des D auch regelmäßig kontrolliert worden ist, da andernfalls die Feststellung,<br />
D habe sich immer als gewissenhafter Arbeiter ”erwiesen”, nicht möglich wäre.<br />
Folglich kann S sich gem. § 831 I 2 BGB exkulpieren; ein Verschulden scheidet aus.<br />
V. Ergebnis<br />
G hat keinen Anspruch gegen S aus § 831 I 1 auf Zahlung von Schadensersatz.<br />
C. Anspruch des G gegen S auf Schadensersatz aus § 823 I<br />
I. Verletzung des Eigentums von G durch S (Verletzung eines absolut geschützten Rechts; Das<br />
Eigentum ist kein Rechtsgut)<br />
Die Eigentumsverletzung könnte vorliegend durch ein Unterlassen des S dahingehend, für eine ausreichende<br />
Organisation des Betriebes zu sorgen, erfolgt sein.<br />
Ein solches Organisationsdefizit könnte z.B. darin bestehen, daß G zu wenig Arbeitnehmer angestellt hat und S daher<br />
schlicht überfordert wird. Wenngleich hierfür keine Anhaltspunkte im Sachverhalt bestehen, sollte übungshalber<br />
trotzdem weitergeprüft werden, um auch das Verhältnis zwischen § 831 und § 823 zu verdeutlichen 17 .<br />
II. Haftungsbegründende Kausalität<br />
Fehlte es an einer ausreichenden Organisation des Betriebes, z.B. weil zu wenig Arbeitnehmer angestellt<br />
sind und D daher die Leiter, welche von zwei Personen gerade zu bewältigen ist, alleine<br />
tragen mußte, so wäre dies adäquat kausal für den Verletzungserfolg.<br />
III. Rechtswidrigkeit<br />
Fraglich ist, ob ein solches Unterlassen rechtswidrig ist. Dies wird man nur dann bejahen können,<br />
wenn eine entsprechende Verkehrssicherungspflicht (also vereinfacht: eine Pflicht zum Handeln)<br />
17 Vgl. zu diesem Verhältnis: Medicus, Gesetzliche Schuldverhältnisse, Fall 66.
18<br />
bestand, die verletzt wurde. Die Rspr. hat hierzu entschieden, daß der Geschäftsherr eine ausreichende<br />
Kontrolle durchführen müsse, die eine ordentliche Geschäftsführung und Beaufsichtigung<br />
gewährleistet 18 . Der Geschäftsherr muß also für eine ausreichende Organisation seines Betriebes<br />
dergestalt sorgen, daß Mängel nach Möglichkeit vermieden werden.<br />
Dabei handelt es sich um andere Pflichten als die nach § 831. Denn § 831 ist eine Spezialregel, die dem § 823 vorgeht.<br />
Allerdings kann § 823 eingreifen, wenn gegen andere Gebote als die in § 831 benannten verstoßen wird.<br />
Vorliegend bestehen − wie bereits erwähnt − keine Hinweise auf ein Organisationsverschulden; ein<br />
Anspruch des G gegen S aus § 823 I scheidet daher aus.<br />
Zu beachten ist, daß die Fälle des sog. Organisationsverschuldens direkt unter § 823 I subsumiert werden, d.h. nicht<br />
über § 831 I 1 gelöst werden.<br />
Im übrigen verdient es Aufmerksamkeit, daß der Verrichtungsgehilfe in derartigen Fällen mangels eigenen Verschuldens<br />
i.d.R. nicht selbst aus § 823 I haftet, was in Fällen außerhalb des Organisationsverschuldens meist unproblematisch<br />
anzunehmen ist (hier jedoch nicht geprüft wurde, da die Fallfrage nach den Ansprüchen gegen S gestellt<br />
ist).<br />
D. Ergebnis<br />
G hat gegen S keinen Anspruch auf Ersatz des ihm entstandenen Schadens an der Fensterscheibe.<br />
(Ein Anspruch gegen D aus § 823 I liegt vor. Dieser ist laut Fallfrage jedoch nicht zu prüfen. Ein<br />
Anspruch aus § 823 II BGB i.V.m. § 303 StGB würde übrigens daran scheitern, daß D nicht vorsätzlich<br />
gehandelt hat.)<br />
Vorschlag zur Aufteilung der zwei Stunden<br />
1. Stunde:<br />
a) Überblick über § 823 I, einschließlich Prüfungsaufbau und Voraussetzungen im einzelnen<br />
b) Fall 1 anfangen. Die Einzelheiten zum Schadensersatz und Schmerzensgeld können dann in der zweiten Stunde am<br />
Anfang dargestellt werden.<br />
2. Stunde:<br />
a) Fall 1 beenden (Schadensersatz, Schmerzensgeld)<br />
b) Fall 2<br />
c) § 823 II; kurzer Überblick zu § 826 und Produkthaftung<br />
18 BGHZ 4, 2 [3].