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-Zeitung<br />

<strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />

4 / 2012<br />

Tarifkonflikt<br />

im öffentlichen Dienst S. 3 - 5<br />

Foto: Bert Butzke<br />

Trotz Schule: Analphabeten in Deutschland (S. 10-13)


Editorial / Inhalt<br />

Eher Häme als Solidarität<br />

Wie der Zufall manchmal so spielt.<br />

Das Editorial für die letzte Ausgabe<br />

mit dem Hinweis auf ausbleibende LeserInnenbriefe<br />

war gerade geschrieben,<br />

da landete ein ebensolcher auf dem<br />

Redaktionsbildschirm. Eine Kollegin beklagte<br />

den ausbleibenden Erfolg bei den<br />

Protesten gegen die auf dem Rücken der<br />

Beamtenschaft ausgetragene rot-grüne<br />

Kürzungspolitik.<br />

Dass die Gewerkschaften des öffentlichen<br />

Dienstes in dieser Frage wenig bewegen<br />

konnten - in Ba-Wü ist dies übrigens genauso - kann nicht bestritten<br />

werden. Dass nicht genug getan wurde, allerdings schon. Wenn dann<br />

trotz zahlreicher Aktivitäten auf allen Ebenen - ob in Gesprächen,<br />

Resolutionen, Protestveranstaltungen etc. - letzten Endes der Erfolg<br />

ausbleibt, stellt sich die Frage, warum dem so ist.<br />

Um diese zu beantworten, ist ein Blick auf ein anderes Politikfeld<br />

hilfreich. Bekanntlich zurückrudern musste die Landesregierung<br />

bei ihrer geplanten Justizreform. Da hatte jedoch eine komplette<br />

Region parteienübergreifend den Aufstand geprobt und konnte<br />

so die Rücknahme der geplanten Maßnahmen bewirken. Auch in<br />

unserem Bereich gab es im vergangenen Sommer zumindest einen<br />

Teilerfolg, als es um die Vertretungsverträge ging.<br />

Eine große Rolle spielt in solchen Fällen, ob nur eine Gruppe, z.B.<br />

die betroffenen Lehrkräfte, protestiert oder ob sich andere Gruppen<br />

anschließen. Wenn in der Bildungspolitik bspw. Eltern- und Schülervertretungen<br />

unsere Forderungen übernehmen, sind die Erfolgsaussichten<br />

weitaus größer. Wenn nicht, muss der Protest schon sehr<br />

massiv sein, um Gehör zu finden. Ein paar Tausend Leutchen aus<br />

allen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes und dem Beamtenbund<br />

wie bei der Kundgebung im November vergangenen Jahres in<br />

Mainz reichen dann eben nicht aus, etwas zu bewegen, auch wenn<br />

sie viel Lärm machen, gute Sprüche auf den Transparenten haben<br />

und kernige Reden ihrer Vorsitzenden bejubeln.<br />

Eine große Rolle spielt sicherlich auch der Zeitpunkt politischer<br />

Entscheidungen. Zu Beginn einer Legislaturperiode rechnen Regierungen<br />

damit, dass die Grausamkeiten vergessen sind, wenn wieder<br />

Wahlen anstehen, zumal die Opposition ja noch härter zuschlagen<br />

möchte. Diese Alternativlosigkeit lässt Betroffene verständlicherweise<br />

resignieren.<br />

Und dann sind die Protestierer noch BeamtInnen mit ihren sicheren<br />

Arbeitsplätzen und „üppigen“ Gehältern - wie der in diesem Falle im<br />

wahrsten Sinn des Wortes gemeine Mann auf der Straße denkt. Die<br />

absolute Steigerung: verbeamtete Lehrkräfte mit all ihren Privilegien<br />

und ihrem voll bezahlten Teilzeitjob …<br />

Nein, bei all diesen Vorurteilen können wir eher mit Häme als<br />

mit Solidarität rechnen, wenn uns Sonderopfer abverlangt werden.<br />

Aber da es nicht unsere Art ist, schlechte Stimmung zu verbreiten,<br />

hier zum Abschluss etwas richtig Positives: Die <strong>GEW</strong>, einst in den<br />

Medien gerne als „linke Lehrergewerkschaft“ tituliert, wird in der<br />

Berichterstattung über bildungs- und gewerkschaftspolitische Themen<br />

zunehmend und selbstverständlich als die Bildungsgewerkschaft<br />

wahrgenommen und als kompetente Gesprächspartnerin gesucht<br />

Was lange währt …<br />

Günter Helfrich<br />

Die neue Form des Leserbriefes:<br />

Peter Baldus kommentiert das<br />

Editorial 3/12 bildlich<br />

Thema grüne Bildungspolitik<br />

Thema Schulinspektion<br />

Inhalt <strong>GEW</strong>-ZEITUNG <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> Nr. 4 / 2012<br />

Editorial / Inhalt Seite 2<br />

Tarifkonflikt / Intern. Frauentag Seiten 3 - 5<br />

Schulen<br />

• <strong>GEW</strong>-Fachtagung: Wie Kinder effektiv lernen Seiten 6 - 7<br />

• Keine Hexerei: wie Übergang von der GS zu<br />

weiterführenden Schulen gelingt Seite 8<br />

• FG Realschulen plus informiert … Seite 9<br />

• Trotz Schule: Analphabeten in Deutschland Seiten 10 - 13<br />

Bildung<br />

• Pädagogik der Beschämung Seiten 14 - 16<br />

• <strong>GEW</strong> will Studiengänge für Kindheitspädagogik Seite 16<br />

<strong>GEW</strong>-Intern Seite 17<br />

Berufliche Bildung<br />

• Die Zukunft der Berufsbildung Seiten 18 - 21<br />

• Neuordnung der Büroberufe Seiten 21 - 23<br />

Politik Seite 24<br />

Generation 60+ / Jubilare Seite 25<br />

Brief an die Redaktion / Tipps + Termine Seiten 26 - 27<br />

Kreis + Region / Impressum Seiten 27 - 31<br />

Schulgeist Seite 32<br />

2 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012


Tarifkonflikt<br />

Tarifverhandlungen:<br />

Es ist Zeit für eine deutliche Gehaltssteigerung<br />

Klaus-Peter Hammer<br />

Am 1. März begannen in Potsdam die Tarifverhandlungen<br />

für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bei Bund und<br />

Kommunen. Ver.di und <strong>GEW</strong> gingen mit der Forderung von<br />

6,5% mehr, mindestens aber 200 Euro monatlich, in die Verhandlungen.<br />

Die Arbeitgeber legten anfangs kein eigenes Angebot<br />

vor, was im Rahmen von Tarifverhandlungen eigentlich<br />

der übliche Weg wäre. Vielmehr provozierten sie die Gewerkschaften,<br />

indem sie monierten, diese sollten ihre Forderungen<br />

zurücknehmen, weil nicht finanzierbar. Dies führte<br />

dazu, dass Ver.di und <strong>GEW</strong> gemeinsam begannen, Warnstreiks<br />

durchzuführen. Der erste Warnstreiktag war in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />

am 5. März mit den Schwerpunkten Mainz und<br />

Ludwigshafen.<br />

Fotos S. 3-5: <strong>GEW</strong><br />

Die gute Streikbeteiligung stimmt uns hoffnungsvoll.<br />

Unsere Mitglieder sind streikwillig. Somit sind wir ermutigt,<br />

auch wenn es nur durch einen Erzwingungsstreik<br />

durchsetzbar sein sollte, ein akzeptables Streikergebnis<br />

durchzusetzen. Es ist in der Tat Zeit für eine deutliche<br />

Gehaltssteigerung.<br />

In den letzen 10 Jahren ist das Realeinkommen der Beschäftigten<br />

in Deutschland um 5 % gesunken. Und dies,<br />

obwohl die Ansprüche und Anforderungen an die Arbeit<br />

immer größer wurden und die Lebenshaltungskosten<br />

deutlich gestiegen sind.<br />

Die Kolleginnen und Kollegen haben die Nase voll<br />

und erwarten zu Recht eine Gehaltserhöhung, die den<br />

Namen auch wert ist. Doch ist dieser Anspruch tatsächlich<br />

gerechtfertigt und durchsetzbar bei der derzeitigen<br />

Finanznot der Kommunen? Diese haben doch kein Geld<br />

für Gehaltserhöhungen. Werden die Kolleginnen und<br />

Kollegen mitschuldig an dieser vertrackten Situation,<br />

sodass kommunale Leistungen gekürzt und Einrichtungen<br />

geschlossen werden müssen? So argumentieren einige<br />

Vertreter der Arbeitgeberseite, doch lobenswerterweise<br />

längst nicht alle. Dies ist eine ganz billige Polemik, man<br />

schürt bewusst Ängste und macht Stimmung gegen die<br />

Beschäftigten. Auf diese plumpe Art und Weise kann man<br />

schnell ablenken von denen, die daran Schuld haben, dass<br />

es soweit gekommen ist.<br />

Manche Kommunen beteiligten sich selbst an den Zockergeschäften<br />

und Börsenspekulationen vor der Finanzkrise<br />

2008, sind somit voll auf die Nase gefallen und nun<br />

hochverschuldet. Vom Staat durch ein Milliarden teures<br />

Rettungspaket unterstützte Banken haben durch fiese<br />

und riskante Finanzgeschäfte unser Land in die akute<br />

Schulden- und Finanznot gebracht, die u.a. zu massiven<br />

Steuerausfällen geführt hat. Verantwortung für die Finanzmisere<br />

der Kommunen haben aber auch die Politiker,<br />

die den Kommunen immer mehr Leistungen übertragen,<br />

ohne für einen vernünftigen finanziellen Ausgleich zu<br />

sorgen. Und Schuld haben diejenigen, die nicht dafür<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />

3


Tarifkonflikt<br />

sorgen, dass mehr Geld in die Kassen kommt, indem sie<br />

eine entsprechende Steuerpolitik umsetzen, damit hohe<br />

Vermögen und Börsengeschäfte entsprechend besteuert<br />

werden können.<br />

Schuld sind aber auch diejenigen, die Hungerlöhne bezahlen,<br />

so dass viele Menschen in unserem Land nicht von<br />

dem leben können, was sie durch ihre Arbeit verdienen,<br />

und auf soziale Unterstützung angewiesen sind.<br />

Schuld sind diejenigen, die Menschen auf die Straße<br />

setzen, so dass diese auf die öffentliche Daseinsfürsorge<br />

angewiesen sind, weil man angeblich woanders billiger,<br />

aber nicht unbedingt besser produzieren kann und somit<br />

die öffentlichen Kassen belastet werden.<br />

Schuld sind diejenigen, die nicht dafür sorgen, dass es<br />

genügend Ganztagsangebote für Kinderbetreuung gibt,<br />

so dass viele alleinstehende Eltern nur halbtags arbeiten<br />

können – wenn überhaupt.<br />

Und mal ehrlich, es ist immer Geld da, wenn man irgendwelche<br />

Renommierprojekte finanzieren will, da schaut<br />

keiner so genau auf die Schuldenbremse, aber wenn‘s<br />

um die Beschäftigten geht, dann muss man ja unbedingt<br />

einsparen.<br />

Dies ist sehr kurzsichtig. Und dies aus zweierlei Aspekten.<br />

Erstens trägt eine ordentliche Gehaltserhöhung zu mehr<br />

Konsum und damit wiederum zu mehr Steuereinnahmen<br />

bei, also wäre dies eine sinnvolle Konjunkturmaßnahme.<br />

Zweitens müssen die Kommunen den bevorstehenden<br />

Fachkräftemangel im Auge haben. Schließlich findet man<br />

nur gutes Personal, wenn man ordentlich bezahlt und<br />

somit in die Zukunft investiert.<br />

So gesehen sind die Tarifforderungen mehr als gerechtfertigt.<br />

Die Kolleginnen und Kollegen haben den Anspruch<br />

darauf, für ihre Arbeit und ihre Leistungen, die sie für<br />

Bund und Kommen tagtäglich erbringen, besser bezahlt<br />

zu werden.<br />

Und dies bei immer schlechter werdenden Rahmenund<br />

Arbeitsbedingungen, bei immer höher werdenden<br />

Ansprüchen an das, was sie leisten sollen, und bei immer<br />

weniger Personal.<br />

Gibt es eine bessere Investition als die in die Beschäftigten?<br />

Unsere Forderungen sind nicht maßlos und nicht überzogen.<br />

Und niemand macht sich mit 6,5% mehr Lohn<br />

die Taschen voll. Das bekommen einige Politiker besser<br />

hin! Doch die sind für uns kein Vorbild.<br />

Es liegen spannende Wochen vor uns. Wir sind streitbar<br />

und vertrauen auf die Stärke unsere Mitglieder. Zeigen<br />

wir, was wir mobilisieren können.<br />

4 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012


Tarifkonflikt / Int. Frauentag 2012<br />

Heute für morgen Zeichen setzen!<br />

<strong>GEW</strong> zum Internationalen Frauentag 2012<br />

Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />

hat mit gut 70 Prozent weiblichen Mitgliedern<br />

in ihren Reihen einen Spitzenplatz im DGB. Sie betont,<br />

dass immer mehr Frauen trotz Familie und Haushalt<br />

berufstätig und gar 58 Prozent der Hochschulabsolventen<br />

weiblich sind.<br />

„Um wirkliche Gleichstellung von Frauen und Männern<br />

in unserer Gesellschaft zu erreichen, gibt es jedoch noch<br />

viel zu tun“, sagte der <strong>GEW</strong>-Landesvorsitzende Klaus-<br />

Peter Hammer zum Internationalen Frauentag 2012.<br />

Obwohl auf den ersten Blick nicht erkennbar, gelte dies<br />

insbesondere auch für den Bildungsbereich.<br />

„Pädagogische Berufe werden bevorzugt von Frauen<br />

ausgeübt - diese werden aber nach wie vor nicht gerecht<br />

und gleichwertig bezahlt“, kritisierte der <strong>GEW</strong>-Landesvorsitzende.<br />

Das gelte besonders für die Vergütung von<br />

Erzieherinnen in Einrichtungen der frühkindlichen Bildung,<br />

aber auch für Pädagogische Fachkräfte an Schulen<br />

und Lehrkräfte an Grundschulen, an denen laut Hammer<br />

zu über 90 Prozent Frauen tätig sind. „Dort, wo mit den<br />

Jüngsten gearbeitet wird und die meisten Frauen arbeiten,<br />

wird am schlechtesten bezahlt“, so der Landesvorsitzende<br />

der Bildungsgewerkschaft. „Diese Ungerechtigkeit muss<br />

ein Ende haben“, forderte Hammer.<br />

Er wies darauf hin, dass die meisten Frauen neben ihrer<br />

Berufstätigkeit nach wie vor auch die Hauptlast der<br />

Familien-, Pflege- und Hausarbeit zu tragen haben. Der<br />

deshalb häufig gewählte „Kompromiss“ Teilzeitbeschäftigung<br />

führe besonders in den gering entlohnten Berufen<br />

wie bei Erzieherinnen oder Pädagogischen Fachkräften<br />

später zu Renten, die einen deutlichen Einschnitt des<br />

Lebensstandards bedeuteten. Eine verlässliche, flächendeckende<br />

und vor allem qualifizierte Ganztagsbetreuung an<br />

Kitas und Schulen sei eine zentrale Voraussetzung, damit<br />

Frauen die Vielzahl ihrer Aufgaben in Beruf und Familie<br />

bewältigen könnten.<br />

Hinzu komme, dass, obwohl mehr als die Hälfte aller<br />

Studierenden Frauen seien, sich dennoch mit jeder Stufe<br />

auf der wissenschaftlichen Karriereleiter ihre Chancen<br />

verringern, eine entsprechende Hochschulkarriere zu machen,<br />

ganz zu schweigen davon, eine Spitzenfunktion in<br />

der freien Wirtschaft zu übernehmen. Eine gezielte Frauenförderung<br />

durch Entwicklung geeigneter Förderpläne,<br />

der Verbesserung der Frauenförderung in den Gleichstellungsgesetzen<br />

und Maßnahmen zur Umsetzung diskriminierungsfreier<br />

Personalpolitik und die Einführung einer<br />

Frauenquote können laut Hammer dazu beitragen, dass<br />

Frauen in Zukunft in allen Bildungsbereichen auch in<br />

Führungs- und Entscheidungsfunktionen entsprechend<br />

ihrem Anteil repräsentiert werden.<br />

pm<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />

5


Schulen<br />

Wie Kinder effektiv lernen<br />

Eindrucksvolle <strong>GEW</strong>-Fachtagung für Grundschullehrkräfte<br />

„Ihren Vortragsstil bei unserer heutigen Fachtagung fand ich<br />

sehr professionell, strukturiert, humorvoll und sicherlich für<br />

alle gewinnbringend!“ Diese Bemerkung im Rahmen der abschließenden<br />

Dankesworte an den Referenten Prof. Dr.<br />

Diethelm Wahl seitens des Leitungsteams (Rosi Wahl von<br />

der Bezirksfachgruppe Grundschulen und Gewerkschaftssekretär<br />

Bernd Huster) konnten vermutlich alle der rund 140<br />

TeilnehmerInnen an der <strong>GEW</strong>-Fachtagung „Wie Kinder effektiv<br />

lernen“ Ende Februar in Vallendar unterschreiben, was<br />

sie durch einen warmen und lang anhaltenden Applaus bekräftigten.<br />

Prof. Dr. Wahl hatte ihnen nicht nur theoretische<br />

Aspekte aus der Lernpsychologie vermittelt, sondern<br />

vor allem auch dafür gesorgt, dass sie die Wirksamkeit<br />

seiner Methoden im Tagungsverlauf aktiv am eigenen<br />

Leibe erfahren konnten. Dabei hielt er keine langatmigen<br />

Vorträge, sondern setzte auf einen schnellen Wechsel zwischen<br />

Phasen des Inputs und Aktivitäten der Lernenden.<br />

Schließlich konnten die TeilnehmerInnen viele Ideen und<br />

Anregungen für aktives und vernetztes Lernen mit in ihren<br />

Unterrichtsalltag nehmen.<br />

Als Veranstalter der Tagung hatten sich die <strong>GEW</strong><br />

<strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>, der <strong>GEW</strong>-Bezirk Koblenz und die<br />

<strong>GEW</strong>-Kreise Koblenz-Mayen, Westerwald, Neuwied,<br />

Rhein-Lahn und Rhein-Hunsrück zusammengeschlossen.<br />

Zu Beginn hatte Landesvorsitzender Klaus-Peter Hammer<br />

die TeilnehmerInnen begrüßt und einige Ziele der<br />

Bildungsgewerkschaft für den Arbeitsplatz Grundschule<br />

formuliert. So plädierte er für eine gerechte Bezahlung<br />

für gleichwertige Arbeit bei den Lehrämtern (also A13<br />

auch für GS-Lehrkräfte) sowie eine Verringerung der<br />

Arbeitsbelastung durch Stundenreduzierung und durch<br />

Vereinfachung der komplizierten Zeugnisbeurteilungen.<br />

Die <strong>GEW</strong> fordere einen Ersatz der Halbjahreszeugnisse<br />

durch das strukturierte Schüler-Lehrer-Eltern-Gespräch<br />

analog zur Praxis im 2. Schuljahr.<br />

Vernetztes Wissen<br />

Prof. Dr. Wahl hatte bis 1991 an der Pädagogischen<br />

Hochschule Weingarten im Fachbereich Psychologie<br />

zunächst erforscht, welche Gedanken, Gefühle und Gewohnheiten<br />

das Handeln von Lehrkräften steuern. Danach<br />

entwickelte er mit seinem Team Lernarrangements,<br />

die einen nachhaltigen Transfer von Wissen in Handeln<br />

unterstützen. Diese als „Lernumgebungen“ bezeichneten<br />

Maßnahmen werden mittlerweile seit 20 Jahren systematisch<br />

und mit Erfolg evaluiert.<br />

Eine seiner zentralen Thesen besagt, dass Lernprozesse<br />

dann besonders erfolgreich sind, wenn Neues und bereits<br />

gespeichertes Wissen miteinander vernetzt werden.<br />

Internationale Forschungen hätten bewiesen, dass Vorkenntnisse<br />

dafür noch viel bedeutsamer sind als Begabung<br />

und Motivation der Lernenden. Die FortbildungsteilnehmerInnen<br />

lernten mehrere seiner aus dieser Erkenntnis<br />

abgeleiteten Lernmethoden im Verlaufe der Tagung durch<br />

praktische Erprobung kennen.<br />

Beispielmethode „Strukturlegetechnik“: Hier werden<br />

zentrale Begriffe auf die Vorderseite von 20 bis 30 Kärt-<br />

Rückmeldungen zur Fachtagung<br />

„Im Namen meines Kollegiums noch einmal herzlichen Dank für die Fortbildung<br />

heute in Vallendar. Es war kurzweilig und äußerst spannend - viel Input und<br />

hoffentlich auch viel Nachwirkung.“<br />

„Ich möchte mich unbedingt für die äußerst informative und gelungene Veranstaltung<br />

bedanken. In meinen fast 40 Dienstjahren habe ich selten eine so ausgewogene,<br />

fundierte und fantastisch durchgeführte Veranstaltung erlebt! Von diesem Referenten<br />

wünsche ich mir mehr. Aus diesem Grund bitte ich Sie mir die versprochenen<br />

Informationen zukommen zu lassen und bedanke mich schon im Voraus dafür.<br />

Ihnen weiterhin eine solch glückliche Hand bei der Auswahl der Referenten!“<br />

„Habe heute schon im 4. Schuljahr Methoden von gestern umgesetzt und Kolleginnen<br />

von der Veranstaltung vorgeschwärmt.“<br />

„Mit großer Aufmerksamkeit habe ich die interessante Fortbildung<br />

mit Prof. Dr. Wahl verfolgt, dessen Persönlichkeit<br />

mich sehr in den Bann gezogen hat. Herzlichen Dank für<br />

dieses Angebot.“<br />

„Da ich sehr begeistert war von der Fortbildung und den<br />

vorgestellten Methoden, [...]“<br />

„Hiermit möchte ich mich noch einmal für die tolle und<br />

sehr informative Fortbildung mit Herrn Wahl bedanken.<br />

Ich hab schon einiges im Unterricht ausprobiert - es war<br />

relativ leicht umsetzbar und funktioniert gut, sogar mit<br />

einem 1. Schuljahr.“<br />

6 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012


Schulen<br />

chen geschrieben. Die TeilnehmerInnen erhielten hierzu<br />

Kärtchen zum Sachunterrichtsthema „Getreide“, auf die<br />

Rückseiten sollten die jeweiligen Erklärungen geschrieben<br />

werden. Danach wurden die Kärtchen so ausgelegt,<br />

wie sie dem Sinn nach zusammengehörten, so dass eine<br />

sachlogische Struktur entstand.<br />

Bei der Methode „Netzwerk“, die in kleinen Gruppen<br />

durchgeführt wurde, erhielt jede Person zufällig verteilte<br />

Begriffe zur behandelten Thematik. In einer Vorbereitungsphase<br />

konnte sich jede Person darauf vorbereiten,<br />

jeden ihrer Begriffe zu erläutern. Eine Person mit einem<br />

„Startbegriff“ begann, die anderen schlossen sich an. So<br />

entstand eine sachlogische Struktur.<br />

Methode „Advance Organizer“: Hier hielt Prof. Wahl<br />

einen Beispielvortrag, wie er von einer Lehrperson zu Beginn<br />

einer Unterrichtseinheit etwa 10 Min lang präsentiert<br />

werden kann. Noch v o r der eigentlichen Behandlung<br />

des Themas entwickelt man schrittweise die wesentlichen<br />

Grundgedanken und benutzt zum besseren Verständnis<br />

möglichst viele Beispiele, Vergleiche, Analogien usw. (eine<br />

Art „informierendes Erzählen“). Es wird nichts Wichtiges<br />

zurückgehalten, alles Wesentliche wird vorweggenommen.<br />

Somit soll ein grundlegendes Verständnis für die Thematik<br />

geschaffen werden. Als konkrete Beispiele stellte<br />

er Advance Organizer zu den Themen „Mein Körper“,<br />

„Coca Cola“ und „Entstehung der Alpen“ vor.<br />

Die Befürchtung, hier würde durch Vorwegnahme aller<br />

wesentlichen Botschaften das Interesse der Lernenden sinken,<br />

konnte durch empirische Untersuchungen widerlegt<br />

werden. Im Gegenteil, die Motivation steigt durch eine<br />

bessere Orientierung beim selbstgesteuerten Lernen. Diese<br />

sorgt für einen größeren sofortigen Lernerfolg, besseres<br />

längerfristiges Behalten und eine höhere Transferfähigkeit.<br />

Wechselseitiges Lehren und Lernen (WELL)<br />

Eine andere essentielle These der Arbeit von Prof. Dr.<br />

Wahl ist, dass „Wechselseitiges Lehren und Lernen“<br />

(WELL) mit eingeschobenen aktiven Lernphasen eine<br />

hoch strukturierte Form des Lernens mit folgenden<br />

Vorteilen darstellt:<br />

• Höhere Aufmerksamkeit<br />

• Positive Auswirkungen auf Kompetenzerleben und<br />

intrinsische Motivation<br />

• Bessere Lernleistungen, höherer Kompetenzerwerb<br />

• Besseres Lernklima, weniger Konflikte<br />

Die Methode konnte von den Teilnehmerinnen u.a. am<br />

Thema „Waldameisen“ nach folgendem Schema getestet<br />

werden:<br />

1. Expertenphase - die Lernenden erwerben einen Status<br />

als Experten zu Teilbereichen des Themas (dies kann in<br />

Einzel, - Partner- oder Gruppenarbeit geschehen).<br />

2. Austauschphase - die Lernenden setzen sich neu zusammen,<br />

so dass verschiedenartige Experten ein Paar oder eine<br />

Gruppe bilden. Die Arbeitsergebnisse werden verglichen,<br />

Informationen weitergegeben, Sachverhalte erläutert.<br />

3. Vertiefungsphase - die verschiedenen Lerninhalte sollen<br />

von allen Lernenden gleich gut verstanden werden, deshalb<br />

erfolgt eine abschließende Vertiefung, Übung und<br />

Anwendung des Gelernten.<br />

Zu den WELL-Methoden, die die Teilnehmer im Rahmen<br />

des Fortbildungstages erfolgreich ausprobieren konnten<br />

und die hier nur kurz aufgezählt werden sollen, gehören<br />

u.a. das Partnerinterview, das Multiinterview, das Partnerpuzzle,<br />

das Lerntempoduett oder das Gruppenpuzzle.<br />

Prof. Wahl belegte mit Auszügen aus empirischen Untersuchungen<br />

die Überlegenheit dieser Methoden gegenüber<br />

konventionellen Lernarrangements.<br />

Zum Abschluss gab der Referent, der den Seminartag<br />

immer wieder auch mit humorvollen Einschüben auflockerte,<br />

den TeilnehmerInnen noch einen Merksatz<br />

als Handlungsmaxime mit auf den Weg, den man beim<br />

Unterricht stets berücksichtigen möge:<br />

„Den Lernenden das Gefühl geben, dass sie es schaffen<br />

können!“<br />

Unseren LeserInnen, die durch unseren Bericht dazu<br />

inspiriert wurden, sich intensiver mit den lernpsychologischen<br />

Erkenntnissen von Prof. Dr. Wahl und seinen<br />

daraus abgeleiteten Lernmethoden beschäftigen zu wollen,<br />

sei folgendes seiner Werke besonders empfohlen:<br />

Diethelm Wahl: Lernumgebungen erfolgreich gestalten.<br />

Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln. 2. erweiterte<br />

Auflage. Klinkhardt Verlag 2006.<br />

Thomas Rauch<br />

Klassenfahrten nach Berlin<br />

(incl. Transfer, Unterkunft, Programmgestaltung nach Absprache).<br />

Broschüre anfordern bei:<br />

Berliner Informations- und Studienservice e.V. (BISS e.V.)<br />

Fichtestr. 30 · 10967 Berlin, Tel. (030) 6 93 65 30<br />

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<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />

7


Schulen<br />

Keine Hexerei - wie der Übergang von der Grundschule<br />

zu weiterführenden Schulen gelingt<br />

Arnd Zickgraf<br />

Der Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe<br />

I ist heikel. Schulübergreifende Konferenzen erleichtern<br />

den Austausch über ungleiche Kompetenzen<br />

der Kinder, wie ein Beispiel aus Bitburg zeigt.<br />

Doch Forscher raten, sie sogar am Übergangsprozess<br />

zu beteiligen.<br />

Eigentlich schreiben alle Kinder zum Ende der vierten Klasse in einer<br />

gut lesbaren, verbundenen Handschrift aus bekannten Geschichten<br />

wie zum Beispiel die „Die kleine Hexe“ fehlerfrei ab. Sie erkennen<br />

grundlegende Regeln der Rechtschreibung wieder und nutzen<br />

Wörterbücher, um ihren Text zu korrigieren. Sie können auch einen<br />

kurzen informierenden Text inhaltlich und strukturell erfassen. Geht<br />

es nach den Bildungsstandards, welche die Kompetenzbereiche in<br />

Deutsch, wie beispielsweise „Sprechen und Zuhören“, „Schreiben“<br />

oder „Lesen“ länderübergreifend definieren, sollten Viertklässler mit<br />

der Rechtschreibung in der Regel keine Probleme haben.<br />

Mit den tatsächlichen Kompetenzen der GrundschülerInnen an der<br />

Schwelle zur Sekundarstufe I verhält es sich indes anders. Zumindest,<br />

was die Rechtschreibung anbelangt. „Das Schreiben von Texten und<br />

sogar das Abschreiben gestaltet sich allgemein als schwierig. Die<br />

Rechtschreibung ist ein großes Problem“, sagt Waltraud Kruppert,<br />

Konrektorin der Bischöflichen Grundschule St. Matthias in Bitburg.<br />

Während LehrerInnen in einigen Grundschulen der Stadt noch<br />

Diktate schreiben ließen, entfällt diese Übung in anderen. Die<br />

Folge: „Die Kompetenzen der Kinder im Diktatschreiben und der<br />

Rechtschreibung sind sehr unterschiedlich“, erläutert Kruppert. Die<br />

„kleine Hekse“ wäre darüber wenig erbaut.<br />

Ungleichmäßige Rechtschreibfähigkeiten<br />

Zu einer ähnlichen Einschätzung kommen auch die LehrerInnen<br />

weiterführender Schulen in Bitburg. Die Kompetenzen der Grundschüler<br />

in Deutsch sind weit gespreizt. „Sie reichen bei uns vom<br />

Niveau des Förderschülers, Hauptschülers bis hin zum Realschüler“,<br />

bestätigt Franz Josef Becker, Leiter der St.-Matthias-Hauptschule<br />

Bitburg. „Einige Schüler haben eine tadellose Rechtschreibung,<br />

andere können wir ohne Unterstützung ihrer Eltern kaum noch<br />

auffangen. Und nicht wenige bekommen Nachhilfe in Deutsch“,<br />

so Becker. Auch dem pädagogischen Koordinator der Realschule<br />

plus in Bitburg, Andreas Blitsch, sind die Unterschiede der SchülerInnen<br />

in der Beherrschung der deutschen Sprache nicht verborgen<br />

geblieben. „Ganz klar, bei der Rechtschreibung gibt es Mängel. Aber<br />

viele Schüler mit Rechtschreibproblemen verfügen dennoch über<br />

einen großen Wortschatz, können fantasievolle Geschichten zu<br />

Papier bringen und sehr gut Texte präsentieren“, so der Pädagoge.<br />

SchülerInnen, die bei der Kompetenz „Richtig schreiben“ keine gute<br />

Figur machen, stehen möglicherweise bei anderen Kompetenzen der<br />

deutschen Sprache wiederum besser da.<br />

Um den Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I abzufedern,<br />

wird in der Realschule plus die Note für Rechtschreibung<br />

im Kompetenzfeld „Texte verfassen“ in den fünften und sechsten<br />

Klassen nicht gewertet - ähnlich halten es die Grundschulen, damit<br />

Kinder mit Rechtschreibproblemen nicht benachteiligt werden. „Die<br />

Kinder können so ihre Ideen angstfrei zu Papier bringen, denn für<br />

uns hat es Priorität, dass sie sich erst einmal kreativ ausdrücken“,<br />

so Blitsch. In Bitburg nimmt man den Übergang ferner dadurch<br />

in den Blick, dass sich LehrerInnen von sieben staatlichen und drei<br />

privaten Schulen regelmäßig über den Stand der Kompetenzen in<br />

den Kernfächern informieren. Das Zauberwort lautet: Kooperation.<br />

Schulübergreifende Konferenz in Deutsch<br />

Bei der jährlich stattfindenden Fachkonferenz in Deutsch beschäftigen<br />

sich die LehrerInnen der allgemein bildenden Bitburger Schulen<br />

eingehend mit den Rechtschreibkompetenzen der Grundschüler<br />

und können so gemeinsam überlegen, wie sie mit den heterogenen<br />

Kenntnissen und Fähigkeiten der Schüler hinsichtlich der deutschen<br />

Sprache pädagogisch sinnvoll umgehen. Hier haben GrundschullehrerInnen<br />

auch erfahren, dass an weiterführenden Schulen doch<br />

noch Diktate geschrieben werden, und richten sich nun in ihrem<br />

Unterricht danach.<br />

„Feste Kooperationsformate etablieren“<br />

Schulbörsen zur Information über Bildungsgänge, Elternabende,<br />

ältere SchülerInnen als Paten für jüngere, gegenseitige Hospitationen<br />

von LehrerInnen - vieles wird praktiziert, damit aus dem Übergang<br />

keine böse Überraschung wird. Wichtig ist es in den Augen von<br />

Silvia Iris Beutel, Professorin für Schulpädagogik und Allgemeine<br />

Didaktik an der TU Dortmund, feste Kooperationsformate zu<br />

etablieren, die PädagogInnen der abgebenden und aufnehmenden<br />

Schulen am besten gemeinsam entwickeln. „Ideal ist es, gemeinsame<br />

Entwicklungsthemen zu verabreden, beispielsweise den Umgang mit<br />

Vielfalt oder Diagnostik und individuelle Förderung.“ Dabei habe es<br />

sich bewährt, mit einem Blick aufeinander und nicht übereinander<br />

die Themen des Übergangs zu besprechen, denn nur ein Lernen, das<br />

die Perspektive der Mitlernenden integriert, sei erfolgreiches Lernen.<br />

Dementsprechend seien Instrumente zeitgemäß, welche Kinder bei<br />

der Gestaltung des Übergangs beteiligen, etwa die Arbeit an Lerntagebüchern<br />

über verschiedene Schulformen und Jahrgangsstufen<br />

hinweg. Denn diese enthielten wichtige Mitteilungen über den<br />

Entwicklungsstand der Lernenden, die bei der täglichen Wahrnehmung<br />

angesichts großer Klassen verloren gehen könnten, so Beutel.<br />

Übergangsschwierigkeiten wegzuhexen, nur um zu den „Großen“<br />

zu gehören, wäre jedenfalls keine gute Alternative.<br />

Medientipp<br />

Sprache, Lesen, Schreiben - das „Wiederholungsheft Grundschule“<br />

(ISBN 978-3-12-316010-3) dient zum Nachschlagen und Wiederholen.<br />

Eigenständig können Schüler damit ihren Kenntnisstand<br />

im Fach Deutsch überprüfen und Wissenslücken schließen. Weitere<br />

Informationen finden Sie unter www.klett.de.<br />

Aus: Klett Themendienst Schule Wissen Bildung<br />

Februar 2012 | Nr. 56<br />

8 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012


Wenn schulische Wirklichkeit auf Schulpolitik trifft …<br />

Die LFG Realschule plus im Gespräch mit Abgeordneten der Grünen<br />

Nach dem Gespräch mit der SPD-Abgeordneten Bettina Brück<br />

im September 2011 traf sich die Landesfachgruppe Realschule<br />

plus der <strong>GEW</strong> <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> diesmal am 28. Februar in der<br />

Landesgeschäftsstelle der <strong>GEW</strong> mit den beiden Abgeordneten der<br />

Landtagsfraktion der Grünen, Lisa Bröskamp und Ruth Ratter.<br />

Beide sehen den Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit im Bereich<br />

der Bildung. Damit setzte die FG RS plus ihre Tradition fort, das<br />

Gespräch mit den bildungspolitisch Verantwortlichen der Landesregierung<br />

und des Landtags zu suchen, um im gemeinsamen<br />

Austausch den Blick der Politik auf die schulische Wirklichkeit<br />

und die sich daraus ergebenden Erfordernisse zu schärfen.<br />

Schulen<br />

Dass es dabei zwangsläufig zu erheblichen Reibungen zwischen den<br />

Forderungen der <strong>GEW</strong> und der immer wieder laut aufquietschenden<br />

„Schuldenbremse“ kommen musste, war vorauszusehen. Dennoch<br />

waren die Vertreter der Fachgruppe, Henning Caspari (stv. Vors.<br />

des HPR RS plus), Ludwig Julius, Micha Tietz und Alexander Witt<br />

(Vors. des BPR RS plus) intensiv darum bemüht, die Einsicht in<br />

die Notwendigkeit verbesserter Arbeitsbedingungen an der RS plus<br />

und die qualitative<br />

Weiterentwicklung<br />

ihrer Schulart zu<br />

wecken und politisches<br />

Handeln<br />

einzufordern.<br />

Wortkräftig unterstützt wurden sie dabei von Klaus-Peter Hammer,<br />

dem Vorsitzenden der <strong>GEW</strong> <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>.<br />

Gleich zu Beginn erinnerten die Vertreter der Fachgruppe die beiden<br />

Abgeordneten an Aussagen der Grünen vor der Wahl. Damals<br />

hatte die Partei die Forderung der <strong>GEW</strong> nach „Equal Pay“ an der<br />

RS plus unterstützt und noch unmittelbar vor Beginn der Koalitionsverhandlungen<br />

hatte die Landesfachgruppe die zukünftigen<br />

Regierungspartner an diesen kapitalen „Geburtsfehler“ der RS<br />

plus erinnert und einen ernsthaften Einstieg in den Abbau des<br />

„Gerechtigkeitsdefizits“ an der RS plus eingefordert, das gerade in<br />

den kooperativen Systemen die innerschulische „Klassenbildung“<br />

verstärkt. Die beiden Abgeordneten stimmten erneut der Zielsetzung<br />

einer Angleichung der Bezahlung von Lehrkräften grundsätzlich<br />

zu, verwiesen aber auf die engen finanziellen Spielräume<br />

des Landes. Stattdessen entwarfen sie umrisshaft einen bislang auf<br />

Regierungsebene noch nicht beratenen Weg, wie im Rahmen eines<br />

Punktesystems durch Weiterqualifikation ein Anspruch auf bessere<br />

Bezahlung erworben werden könnte. Die Verknüpfung eines solchen<br />

Anreizsystems mit einem zukünftigen „Weiterbildungsgesetz“<br />

bewerteten die <strong>GEW</strong>-Vertreter sehr kritisch. Der Bezahlung von<br />

Lehrkräften muss, auf alle Schularten bezogen, zunächst das Prinzip<br />

der Gleichwertigkeit pädagogischer Arbeit auf der Basis einer<br />

gleichwertigen Lehrerbildung zu Grunde gelegt werden.<br />

Auch die Kritik am von den Grünen im Landtag mitgetragenen<br />

Dienstrechtsänderungsgesetz und an der Festschreibung eines<br />

jährlichen Besoldungszuwachses von 1 % innerhalb der nächsten<br />

5 Jahre konnte den Landtagsabgeordneten nicht erspart bleiben.<br />

Widerspricht diese Regelung doch fundamental der Forderung<br />

der <strong>GEW</strong>, die Besoldungsentwicklung der Tarifentwicklung im<br />

öffentlichen Dienst folgen zu lassen. Reallohnverluste sind auch<br />

deshalb für die Kollegien in den Schulen nicht hinnehmbar, da dort<br />

in den vergangenen Jahren die Anforderungen und Belastungen<br />

stark zugenommen haben.<br />

Damit lenkte die Landesfachgruppe das Gespräch auf ein weiteres<br />

zentrales Anliegen: Qualität von Schule braucht motivierte Lehrkräfte<br />

durch deutlich verbesserte Arbeitsbedingungen. Hier reicht<br />

es nicht, nur auf Vorbereitung<br />

und Qualifizierung<br />

von Lehrkräften<br />

zu setzen, so notwendig<br />

diese natürlich sind,<br />

sondern die gestiegenen<br />

Anforderungen der Integration und Förderung an der RS plus sind<br />

in entsprechender Qualität nur zu leisten, wenn in die Schaffung<br />

entsprechender Gestaltungsspielräume investiert wird: Senkung der<br />

Klassenmesszahl, auch ab Klassenstufe 7, Senkung des Unterrichtsdeputats,<br />

Erhöhung der Anrechnungspauschale. Einig war man<br />

sich ja in der Überzeugung, dass alle von der Vielfalt heterogener<br />

Lerngruppen profitieren können, dass Schule den gesellschaftlichen<br />

Auftrag hat, zum sozialen Ausgleich beizutragen, doch muss dafür<br />

vom Land die Reinvestition der „Demographischen Rendite“ zu<br />

100 % gewährleistet werden!<br />

An der wirklich problematischen Umsetzung der Inklusion, wie sie<br />

sich einerseits in der mangelnden, unsicheren, nicht verlässlichen<br />

Personalzuweisung mit förderpädagogischer Kompetenz an den<br />

Schwerpunktschulen und andererseits an den Widerständen gegenüber<br />

Integration/Inklusion zeigt, machten die Vertreter der Fachgruppe<br />

deutlich, dass die Akzeptanz von „gemeinsamem Lernen“<br />

dann schwindet, wenn die Ressourcen nicht stimmen.<br />

Abschließend wurde von den Abgeordneten der Grünen das Gespräch<br />

auf den Bereich der Schulsozialarbeit gelenkt. Beide Seiten<br />

stimmten darüber überein, dass im Lebensraum Schule auch diese<br />

Profession ihren selbstverständlichen Platz haben muss. Diskussionsbedarf<br />

wurde in der Frage gesehen, ob es daher nicht Sinn macht,<br />

Schulsozialarbeit auch strukturell dem Bildungsbereich zuzuordnen.<br />

Darüber, aber auch zu der Frage und den Konsequenzen von mehr<br />

Selbstständigkeit von Schulen wollen <strong>GEW</strong> und die Grünen des<br />

Landes zukünftig ihren Austausch intensivieren. Die an die beiden<br />

Abgeordneten gerichtete Einladung zum Besuch einer am Projekt<br />

„Selbstverantwortliche Schule“ beteiligten RS plus wurde gerne<br />

angenommen.<br />

Ludwig Julius<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />

9


Schulen<br />

Trotz Schule: Analphabeten in Deutschland<br />

- Ein bildungspolitisches Armutszeugnis<br />

Helmut Reichelt *<br />

1. Ausgangslage<br />

Wir fragen uns jedes Mal fassungslos, wenn wir mit dem real existierenden<br />

Problem des Analphabetismus in Deutschland konfrontiert<br />

werden: Wie kann so etwas überhaupt sein? Es besteht doch die<br />

allgemeine Schulpflicht, so dass in der Regel jedes Kind im Alter<br />

von fünf (neu) bis sechs Jahren das erste Schuljahr der Grundschule<br />

besucht, in dem die Kulturtechniken vermittelt werden, in dem also<br />

auch das Lesen gelernt wird.<br />

Und doch gibt es Menschen, die im Verlauf ihrer Schulzeit das Lesen<br />

und Schreiben gar nicht oder nicht hinreichend genug erlernt<br />

haben. Je nach Interessenslage schwanken die Annahmen über die<br />

Anzahl dieser „funktionalen Analphabeten“ (d.h.: trotz Schule kein<br />

Lesen und Schreiben) in Deutschland erheblich. Der Bundesverband<br />

„Alphabetisierung und Grundbildung e. V.“ geht nach vorsichtigen<br />

Schätzungen von einer Größenordnung von etwa vier Millionen<br />

funktionalen Analphabeten 1) bei unserem 80-Millionen-Volk aus.<br />

Die Gründe für diesen beklagenswerten Zustand liegen zu einem<br />

erheblichen Teil, wie später noch ausgeführt wird, in den bildungspolitischen<br />

Rahmenbedingungen des Systems Schule und weniger<br />

in den Veranlagungen der einzelnen Betroffenen.<br />

Aber zunächst einmal sollen die Schwierigkeiten, die sich beim Erwerb<br />

der Lesefähigkeit ergeben können, aufgezeigt werden.<br />

2. Wahrnehmungsvoraussetzungen<br />

für das Lesenlernen<br />

Lesen lernt man nicht, wie oft fälschlicherweise angenommen wird,<br />

über die Buchstaben des Alphabets, sondern über deren Laute und<br />

Lautverbindungen. Ihre Anzahl ist etwa doppelt so hoch im Vergleich<br />

zur Anzahl der 26 Buchstaben.<br />

Das wissen jedoch Analphabeten nicht, daher können sie eben nicht<br />

lesen, obwohl sie möglicherweise in der Lage sind, das Alphabet in<br />

der richtigen Reihenfolge abzuspulen.<br />

Das wissen aber viele andere Menschen auch nicht, wie z.B. in den<br />

Verlagen, die für Discounter Riesenmengen an Vorschulmaterialien<br />

(Bücher, Puzzles, elektronische ABC-Trainer u.a.) auf der Grundlage<br />

der 26 Buchstaben des Alphabets produzieren.<br />

So kaufen sehr viele Eltern wegen pädagogisch geschickt formulierter<br />

Titel z.B. „Mein Vorschulbuch Deutsch/Lesen und Schreiben“,<br />

„Spielerisch lernen ab 5 Jahren“, „Vorschulbücher machen Lust auf<br />

*<br />

Unser <strong>GEW</strong>-Kollege Helmut Reichelt<br />

arbeitete über viele Jahre hinweg als<br />

Förderlehrer mit Grundschulkindern,<br />

deren Lernentwicklung durch massive<br />

Probleme in Deutsch und / oder Mathematik<br />

stark gefährdet war.<br />

die Schule!“ mit dem Ergebnis, dass Berge dieser haarsträubenden<br />

Machwerke in kürzester Zeit vergriffen sind und daheim - natürlich<br />

in bester Absicht - mit den Kindern unter oft dramatischen<br />

Umständen „umgesetzt“ werden. Dramatisch deswegen, weil die<br />

Kinder gar nicht verstehen können, was ihre Eltern eigentlich von<br />

ihnen wollen. Dazu ein abschreckendes Beispiel: Auf der Y - Seite<br />

des Vorschulbuches Deutsch 2) wird das Kind aufgefordert, den<br />

Buchstaben Y auszumalen und laut auszusprechen. Was soll das<br />

Vorschulkind denn sagen? Wahrscheinlich sagt es nachplappernd<br />

„Ypsilon“. Dann soll es diesen Buchstaben schreiben. Zuletzt soll<br />

es das Bild eines Yaks anmalen und - geradezu grotesk - das Wort<br />

Yak laut aussprechen. Ganz sicher stoßen hier fast alle Eltern an<br />

ihre Grenzen, denn sie müssten ihren Kindern vermitteln, dass das<br />

„Ypsilon“ auf der Lautbasis eine dreifache Aussprachemöglichkeit<br />

(Lautfunktion) hat: / i / bei Pony, / y (ü) / bei Pyramide und das<br />

seltene / j / bei Yak (oder Yoga).<br />

Daher sollte als Faustregel für Eltern gelten: Finger weg von allen<br />

Vorschulangeboten, die sich ausschließlich auf die 26 Buchstaben<br />

des Alphabets beziehen!<br />

In diesem Sinne müsste auch die Beratung der Eltern durch die<br />

Erzieher/innen sowie Lehrer/innen erfolgen. Eltern müssen möglichst<br />

frühzeitig z.B. auf Elternabenden Einsicht in den Ablauf des<br />

Leselernprozesses erhalten. Sie müssen unbedingt erfahren,<br />

• dass Lesen nur über die Laute der Buchstaben möglich ist,<br />

• dass wichtige Laute (z.B. ch, sch, pf, ng) überhaupt nicht im<br />

Alphabet enthalten sind und<br />

• dass das Buchstabieren („em“, „ka“, „jot“, „zet“) den Leselernprozess<br />

nicht fördert, sondern vielmehr behindert!<br />

Wenn Eltern dies erkennen, bedeutet das für deren Kinder einen<br />

entscheidenden Fortschritt hinsichtlich der stimmigen Begleitung<br />

des Lesenlernens zu Hause.<br />

Um in die Lautstruktur unserer Sprache erst einmal eindringen zu<br />

können, bedarf es wichtiger Wahrnehmungsvoraussetzungen für<br />

das Lesenlernen, die bereits auch im Bereich der Kindertagesstätten<br />

bzw. Kindergärten angebahnt werden. Hierzu die „Bildungs- und<br />

Erziehungsempfehlungen von <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>“ 3) als Beispiel:<br />

• „Kindern soll die Möglichkeit gegeben werden, zu erfahren und<br />

zu entdecken, dass Sprache aus einzelnen Lauten besteht, die man<br />

voneinander unterscheiden kann, und Lust am Artikulieren zu<br />

entwickeln.“<br />

• „Kindern soll die Möglichkeit gegeben werden, zu erfahren und<br />

zu entdecken, dass Sprache auch in schriftlichen Symbolen ihre<br />

kommunikative Funktion erfüllen kann, und Interesse am Schreiben<br />

zu entwickeln.“<br />

So werden frühzeitig positive Voraussetzungen geschaffen, die den<br />

Schulstart erheblich erleichtern.<br />

Langjährige eigene Erfahrungen im fördernden Unterricht mit Problemkindern<br />

(in Deutsch) haben gezeigt, dass fehlende Wahrnehmungsvoraussetzungen<br />

in Richtung phonologischer Bewusstheit im<br />

weiteren (Umgang mit Sprache allgemein), vor allem aber im engeren<br />

10 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012


Schulen<br />

Sinn (Umgang mit den speziellen Lauten und Lautverbindungen)<br />

das Lesenlernen ganz erheblich erschwerten. Dies galt ganz besonders<br />

für die Kinder, die keinen Kindergarten besucht haben und die in<br />

einem ungünstigen familiären Umfeld aufwuchsen. Diese Kinder<br />

waren zu keinem auf die Laute unserer Sprache bezogenen Hören<br />

fähig. Sie konnten also auditiv nicht wahrnehmen, dass z.B. „Lampe“,<br />

„Leiter“, „Löwe“ und „Lokomotive“ gleich oder gar mit einem<br />

„/ l /“ anfangen. Diese Fähigkeit jedoch ist eine entscheidende<br />

Grundvoraussetzung für das Lesenlernen.<br />

DÖBERT und HUBERTUS beschreiben nachfolgend zielgenau das<br />

Entwicklungsdilemma von Analphabeten: „Die erfüllte Schulpflicht<br />

sagt nichts über den Lernstand der einzelnen Schüler/innen aus.<br />

Aus der Schule werden auch Schüler/innen mit unzureichenden<br />

Kenntnissen in den Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben und<br />

Rechnen entlassen. Es handelt sich um Schüler/innen, die bereits<br />

mit lernungünstigen Voraussetzungen und schwierigen Lernbedingungen<br />

im Elternhaus eingeschult worden sind. Vernachlässigung<br />

und Desinteresse durch die Eltern, aber auch ökonomische Armut<br />

und zerrüttete Verhältnisse belasten das Lernen.“ 4)<br />

Kindergarten und Schule können die Familie nicht ersetzen, aber sie<br />

können in wichtigen Feldern Hilfestellungen durch Beratung und<br />

konkrete Maßnahmen geben, um so die Kinder zu stärken. Frühzeitige<br />

Förderung der Sprache in ihrer Schlüsselfunktion (nicht nur für<br />

Migrantenkinder), Orientierungsübungen in den Wahrnehmungsbereichen<br />

mit gezielter Sinnesschulung, Trainingsmöglichkeiten der<br />

Raum-, Lagebeziehungen und die Anbahnung der phonologischen<br />

Bewusstheit im Kindergarten möglichst unter Einbeziehung der<br />

Eltern sind hier maßgebliche Bausteine.<br />

Die Schaffung von Voraussetzungen für das Lesenlernen durch lautbezogene<br />

Hörübungen (sog. „Geheimnisspiele“) hat der Verfasser<br />

bereits in einem anderen Artikel 5) thematisiert, ausgehend von den<br />

unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schulneulinge. Dabei<br />

nimmt der „Aufbau einer phonematischen Bewusstheit“ 6) eine zentrale<br />

Rolle ein, die nur über das exakte Lautieren zu erreichen ist. In<br />

die gleiche Richtung zielt das „Würzburger Trainingsprogramm zur<br />

phonologischen Bewusstheit“ 7) 8) , das bereits im Kindergartenbereich<br />

Anwendung findet und damit einer der PISA - Forderungen an den<br />

Vorschulbereich entgegenkommt.<br />

3. Rahmenbedingungen des Systems Schule<br />

„Rund 234.000 Jungen und Mädchen mussten nach Angaben des<br />

Statistischen Bundesamtes im Schuljahr 2006/2007 eine Klasse<br />

wiederholen, eine Quote von 2,7 %“. 9)<br />

Dies kostet laut einer Studie des Bildungsforschers Klaus KLEMM<br />

über das „Sitzenbleiben“ („Klassenwiederholungen - teuer und unwirksam“)<br />

den Steuerzahler pro Jahr eine knappe Milliarde Euro (in<br />

Zahlen: 1.000.000.000 Euro). 10) Die Studie fordert stattdessen, dass<br />

diese Riesensumme besser in die individuelle Förderung investiert<br />

wird, um von vornherein einem solchen „Sitzenbleiberelend“ 11)<br />

vorzubeugen, wie Artur Kern dies bereits 1950 bezeichnete.<br />

a) Verlässlichkeit der individuellen Förderung<br />

Dem für das Schulsystem untragbaren Zustand dieser Sitzenbleiberquote<br />

wollen die Länder unbedingt abhelfen. Das Land <strong>Rheinland</strong>-<br />

<strong>Pfalz</strong> hat beispielsweise die Schulen per Schulgesetz (§ 10 Absatz<br />

1) 12) zur individuellen Förderung verpflichtet, was grundsätzlich<br />

einen außerordentlichen Fortschritt bedeutet. Auch in der neuen<br />

Grundschulordnung von <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 13 ) ist die individuelle<br />

Förderung fest verankert.<br />

Fotos S.11 u. 13: Bert Butzke<br />

Absatz 3 des § 28 dieser Grundschulordnung (Fördermaßnahmen<br />

für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten und Lernstörungen)<br />

sieht neben der vorrangigen individuellen Förderung<br />

im Klassenunterricht auch die zusätzliche Förderung durch Doppelbesetzungen<br />

sowie die Förderung in Kleingruppen vor. Dies<br />

wäre ein bahnbrechender Fortschritt, wenn da nicht in Absatz 3 ein<br />

lapidarer haushaltstechnischer Zusatz stünde: „ ... nach Maßgabe<br />

der zur Verfügung stehenden Lehrerwochenstunden ...“. Und was<br />

das heißt, wissen wir doch alle!<br />

Diese erhebliche Einschränkung für den personellen Bereich hat<br />

erfahrungsgemäß zur Folge, dass in der Regel zusätzlich ausgewiesene<br />

Stunden für eine Klasse in der gängigen Praxis zumindest bei kurzfristigen<br />

Vertretungsnotwendigkeiten wie Krankheit, Fortbildung<br />

o.ä. zur Abdeckung des Pflichtunterrichts herangezogen werden.<br />

Diese Förderstunden werden somit zur beliebigen Reserve für den<br />

Vertretungsplan und verfehlen ihren eigentlichen Sinn. Die Verlässlichkeit<br />

einer kontinuierlichen Förderung ist damit in keiner Weise<br />

gegeben. Den Mut einer Mutter sollten viel mehr Eltern aufbringen!<br />

Diese Mutter weigerte sich, ein Zeugnis zu unterschreiben,<br />

in dem eine Förderung aufgeführt war, die nur ganz sporadisch<br />

stattgefunden hatte.<br />

Ohne diese notwendigen zusätzlichen verbindlichen personellen<br />

Aufstockungen verlangt die Bildungsadministration dennoch von<br />

ihren Lehrerinnen und Lehrern im für das Lesenlernen entschei-<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />

11


Schulen<br />

denden ersten Schuljahr, dass sie im Rahmen der individuellen<br />

Förderung innerhalb ihrer Klasse alle Probleme „in den Griff“<br />

bekommen, die das Schulfähigmachen bei Entwicklungsrückständen<br />

immer jünger werdender Kinder durch Vorverlegung der<br />

Einschulungstermine, das Erarbeiten nicht vorhandener Wahrnehmungsvoraussetzungen<br />

in den Bereichen Deutsch (Entwickeln<br />

phonologischer Bewusstheit) und Mathematik (elementarer Aufbau<br />

einer Zahlvorstellung) sowie sozialer Kompetenzen, Anstrengungen<br />

zur Eingliederung von Kindern mit Migrationshintergrund u.a..<br />

Dafür werden sie ja schließlich auch bezahlt!<br />

Damit stößt die individuelle Förderung an ihre Grenzen, vor allem<br />

dann, wenn sich die Klassenfrequenzen insbesondere in den großen<br />

Grundschulen am oberen Limit der Klassenmesszahlen befinden<br />

(kleine Verbesserungen sind jetzt in Sicht), wenn dazu noch ausgeprägte<br />

Teilleistungsschwächen vorliegen und wenn sich neben den<br />

kognitiven Verzögerungen auch zunehmende Verhaltensprobleme<br />

einstellen.<br />

Lehrerinnen und Lehrer werden folglich mit ihren nicht zu bewältigenden<br />

Problemen allein gelassen nach dem Motto „Jeder weiß,<br />

dass es nicht geht, aber jeder tut so, als ob es geht.“.<br />

b) Lesenlernen im bestehenden System Schule<br />

LORENZ und RADATZ schreiben: „Eine ausgeprägte Lese-, Rechtschreibschwäche<br />

oder eine Rechenschwäche sind durchweg nur über<br />

eine Einzelförderung zu beheben, weil die Erscheinungsformen sowie<br />

die Ursachen dieser Lernschwächen überaus individuell sind.“ 14)<br />

Damit widersprechen sie der Geld sparenden Auffassung, schulische<br />

Schwierigkeiten lediglich durch einen „fördernden Unterricht“ im<br />

Rahmen des Klassenverbandes beheben zu können.<br />

Wenn Kinder ohne Wahrnehmungsvoraussetzungen für das Lesenlernen<br />

eingeschult werden, wenn sie zu keinem lautbezogenen<br />

Hören fähig sind, wenn sie keine gleichen Anlaute bestimmen können,<br />

dann bleibt ihnen das Eindringen in die Lautstruktur unserer<br />

Sprache und somit auch das Lesenlernen weitgehend verschlossen.<br />

Dadurch wird aber auch das Erlernen der notwendigen Laute und<br />

Lautverbindungen verhindert, was in den Folgeschuljahren nicht<br />

mehr aufgearbeitet wird und die Mitarbeit im Fach Deutsch extrem<br />

belastet. Wer von den Lehrer/innen und Eltern käme dann noch<br />

auf die Idee, dass der Drittklässler oder die Viertklässlerin die Laute<br />

der Buchstaben nicht oder nicht hinreichend genug kennt? Diese<br />

Kinder müssen dann die Lesetexte ohne die entsprechenden Laut-,<br />

Buchstabenkenntnisse 15) mehr oder weniger auswendig lernen. Die<br />

mangelhaften Deutschkenntnisse haben in der Folge zunehmend<br />

negative Auswirkungen auf die Leistungen in allen Fächern, in<br />

denen auch gelesen, verstanden und geschrieben werden muss, und<br />

vergrößern so die Trostlosigkeit der schulischen Gesamtbilanz bei<br />

den betroffenen Schülerinnen und Schülern massiv.<br />

Ohne zusätzliche individuelle Förderung können sie am Leselernprozess,<br />

am Deutschunterricht und später an den meisten übrigen<br />

Fächern nicht erfolgreich teilnehmen. Die Schere zu ihren Klassenkameradinnen<br />

und Klassenkameraden wird immer größer. Die<br />

Kinder eines zweiten Schuljahres haben kaum mehr eine Chance,<br />

die Rückstände aus dem ersten Schuljahr aufzuarbeiten, auch nicht<br />

über die individuelle Förderung im Rahmen des Klassenunterrichts.<br />

Das funktioniert im derzeitigen System Schule nicht, da Stunden für<br />

Kleingruppen- oder gar Einzelförderung bzw. Doppelbesetzungen<br />

nicht im notwendigen Maß vorhanden sind!<br />

Wie kann ein Kind unter solch äußerst ungünstigen Startbedingungen<br />

ein positives Verhältnis zur Schule und zum Lernen entwickeln?<br />

Permanente Leistungsüberforderung ist eine seelische Tortur<br />

nicht nur für das Kind, sondern auch für sein gesamtes Umfeld! Hier<br />

kann eine „Null Bock“ - Haltung entstehen, die Leistungsbereitschaft<br />

und gesellschaftliche Verantwortung nicht mehr kennt und so zu<br />

Sozialhilfe- und Hartz-IV-Dynastien führt.<br />

Ohne die im boomenden Nachhilfemarkt außerschulischen Nachhilfemaßnahmen,<br />

die Eltern unter hohem zeitlichem und finanziellem<br />

Einsatz organisieren, läge die Versagerquote noch wesentlich höher!<br />

Dazu DÖBERT und HUBERTUS: „Eltern dagegen, die ihre Kinder<br />

fördern und unterstützen wollen, erhalten wenig Hilfestellung von<br />

der Schule. Lernen im Gleichschritt ohne Anpassung an Materialien,<br />

Lerntempi und Methoden an die jeweiligen Möglichkeiten<br />

des einzelnen Kindes können zu Schulversagen und negativem<br />

Selbstbild führen.“ 16)<br />

Auf der Fachtagung des AlBi-Projekts 17) am 25. September 2009 in<br />

Mainz berichtete ein ehemaliger (funktionaler) Analphabet äußerst<br />

eindrucksvoll über seinen Leidensweg und seine Überlebensstrategien<br />

als Nichtleser durch die neun Schuljahre hindurch. Alle Lehrer/<br />

innen kannten sein Problem und keine/r hat ihm geholfen. Es wäre<br />

ganz wichtig, wenn die Schule eine solche Situation nicht einfach<br />

schweigend oder aus falsch verstandenem Mitleid hinnimmt, sondern<br />

vielmehr im Sinne eines Problembewusstseins ernst nimmt und<br />

zudem offenlegt, damit solche vorhandenen Missstände überhaupt<br />

erst nach „oben“ gelangen und gezielt abgestellt werden können.<br />

Solch ein Schicksal sollte unseren Kindern in jedem Fall erspart<br />

bleiben! Aber dazu bedarf es eben des Willens zu finanziellen Investitionen.<br />

4. Bildungspolitische Notwendigkeiten zur Vermeidung<br />

von Analphabetismus<br />

Der Zustand des Systems Schule in seiner traurigen Realität, seine<br />

durch finanzielle Zwänge begrenzten Möglichkeiten als Ergebnis<br />

von politischen Prioritätensetzungen und die daraus resultierenden<br />

negativen Entwicklungen (schwache PISA - Resultate für deutsche<br />

Schüler/innen, permanente OECD 18) - Kritik am deutschen<br />

Bildungssystem) sind unangenehme Wahrheiten, die nicht so gern<br />

vernommen werden wollen. Im OECD - Bericht „Bildung auf<br />

einen Blick 2009“ wird Deutschland (Bund und Länder, die ja<br />

auf dem Bildungsgipfel 2008 in Dresden viel versprochen hatten)<br />

aufgefordert, mehr in den Bildungsbereich zu investieren. Nach<br />

OECD - Rechnung gab die Bundesrepublik 2006 „4,8 Prozent ihres<br />

Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus - das waren 0,3 Prozent weniger als<br />

2005“. 19) Und das war vor der schweren Wirtschaftskrise 2008/2009!<br />

„Im OECD - Schnitt stieg der Anteil im gleichen Zeitraum von 5,4<br />

Prozent auf 5,5 Prozent.“ 20)<br />

Dass die jetzige Schule in unserer Republik junge Menschen entlässt,<br />

die nicht oder nicht hinreichend genug lesen und schreiben, aber<br />

auch oft nicht rechnen können, die teilweise von Industrie und<br />

Handwerk gar als ausbildungsunfähig - eine unfassbare Bewertung<br />

- eingestuft werden, lässt unsere Politikerinnen und Politiker anscheinend<br />

kalt. Nur so ist zu verstehen, dass keine grundlegenden<br />

quantitativen und qualitativen Veränderungen im System Schule im<br />

Sinne einer neuen Weichenstellung (Paradigmenwechsel) stattfinden.<br />

Nur so ist zu verstehen, dass das bequeme beharrende „Weiter so“<br />

durch ständige Schönredereien des deutschen Bildungswesens in<br />

bildungspolitischer Kurzsichtigkeit den Blick auf das Ganze verstellt.<br />

„Der Widerspruch zwischen Sonntagsreden und Alltagshandeln“ 21)<br />

sollte endlich aufgehoben werden. Angesichts eines bevorstehenden<br />

dramatischen Bevölkerungsrückgangs kann es sich unser Land nicht<br />

12 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012


Schulen<br />

in Eigenverantwortung zu leben<br />

und möglicherweise eine eigene<br />

Familie zu gründen. Das könnte<br />

man dann als bildungspolitisches<br />

Handeln mit der gebotenen Weitsicht<br />

bezeichnen.<br />

Anmerkungen<br />

leisten, Menschen einer Generation bildungsmäßig auszugrenzen.<br />

Und das geschieht zurzeit!<br />

Es ist doch besser, „insbesondere in die Schuleingangsphase (letzte<br />

Kindergartenjahre und die zwei ersten Schuljahre der Grundschule),<br />

und das müsste eigentlich jeder/jedem einleuchten, verstärkt<br />

Haushaltsmittel zu investieren (Doppelbesetzungen u.a.), als später<br />

wesentlich kostenaufwändigere berufliche Qualifizierungs- und<br />

Rehabilitationsmaßnahmen für schulisch gescheiterte Jugendliche<br />

zu finanzieren bis hin zu sozialen und beruflichen Integrationsanstrengungen<br />

im und nach dem Strafvollzug“. 22)<br />

Nach der überaus unglücklichen Föderalismus“reform“ hat der Bund<br />

noch mehr Kompetenzen in Sachen Bildung an die Länder abgegeben.<br />

Diese sind daher verstärkt gefordert, neue Einsichten u.a. in<br />

die Zusammenhänge von Elementar-, Primarbereich (Kindergarten/<br />

Schule) und Analphabetismus zu entwickeln. Dazu gehört jedoch<br />

in erster Linie, dass die Landesregierungen ihr starres an Ressorts<br />

gebundenes Schubladendenken aufgeben.<br />

Bildungspolitik braucht eine ganzheitliche Sichtweise, die alle<br />

Ministerien, vor allem das Finanz- und Sozialministerium, einschließt.<br />

Gedanken der Prävention müssten unbedingt einen viel<br />

höheren Stellenwert erlangen, damit das Beziehungsgeflecht von<br />

Bildung für alle, Analphabetismus, Armut/Kinderarmut (u.a. Hartz<br />

IV), überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit sowie Alkohol- und<br />

Drogenabhängigkeit und letztendlich erhöhtem Risiko, in ein kriminelles<br />

Umfeld abzugleiten, gemeinsam angepackt werden kann.<br />

Ohne nachhaltige konkrete Veränderung des Systems Schule, an<br />

der auch die Wirtschaft hinsichtlich qualifiziert ausgebildeter MitarbeiterInnen<br />

besonders interessiert sein müsste, findet bestenfalls<br />

ein Treten auf der Stelle statt.<br />

Die eine Milliarde, die das Sitzenbleiben den Steuerzahler alljährlich<br />

kostet, konkret investiert in die individuelle Förderung im Elementar-<br />

und Primarbereich, erspart demselben Steuerzahler viele<br />

Milliarden an anderer Stelle, nämlich - wie bereits erwähnt - die weit<br />

höheren Aufwendungen für gescheiterte Jugendliche und junge Erwachsene,<br />

die eine wesentlich geringere Chance haben, selbstständig<br />

1) DöBERT, Marion/HUBERTUS, Peter,<br />

Ihr Kreuz ist die Schrift - Analphabetismus<br />

und Alphabetisierung in Deutschland, Hrsg.:<br />

Bundesverband „Alphabetisierung und<br />

Grundbildung e. V.“, 1/2000, S. 39<br />

2) Mein Vorschulbuch Deutsch - Lesen und<br />

Schreiben, Schwager & Steinlein -Verlag,<br />

Köln o.J., vertrieben von Discounter Lidl<br />

2008, S. 52<br />

3) MINISTERIUM FÜR BILDUNG,<br />

FRAUEN UND JUGEND, <strong>Rheinland</strong>-<br />

<strong>Pfalz</strong>, Bildungs- und Erziehungsempfehlungen<br />

für Kindertagesstätten in <strong>Rheinland</strong>-<br />

<strong>Pfalz</strong>“, Beltz -Verlag, Weinheim und Basel<br />

1/2004, S. 42 und 43<br />

4) Zit. DÖBERT, Marion/HUBERTUS,<br />

Peter, Ihr Kreuz ist die Schrift, S.41<br />

5) REICHELT, Helmut, Mit „Geheimnisspielen“<br />

Wahrnehmungsvoraussetzungen für<br />

das Lesenlernen schaffen -<br />

In: Sonderpädagogik in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>, Mitteilungen des vds-Landesverbandes<br />

<strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>, 2/1998, S. 28 - 36<br />

6) TROßBACH-NEUNER, Eva, Womit fängt Eimer an? - Gesprochene Sprache im<br />

Aufbau phonematischer Bewusstheit, Peter-Lang-Verlag, Frankfurt/Main 1992<br />

7) KÜSPERT, Petra, SCHNEIDER, Wolfgang, Hören, lauschen, lernen - Sprachspiele<br />

für Kinder im Vorschulalter, Würzburger Trainingsprogramm zur Vorbereitung auf den<br />

Erwerb der Schriftsprache, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 4/2003<br />

8) Die Begriffe „phonematisch“ und „phonologisch“ werden synonym verwandt.<br />

9) Zit. In: „Erziehung und Wissenschaft“, Zeitschrift der <strong>GEW</strong>ERKSCHAFT ERZIE-<br />

HUNG UND WISSENSCHAFT, Heft 7-8/2008, S. 26<br />

10) KLEMM, Klaus, Klassenwiederholungen - teuer und unwirksam - Eine Studie zu<br />

den Ausgaben für Klassenwiederholungen in Deutschland im Auftrag der Bertelsmann<br />

Stiftung 2009 und Mittelrhein-Verlag Koblenz, RHEIN-ZEITUNG vom 04.09.2009,<br />

S. 1: „Sitzenbleiben ist teuer und sinnlos“<br />

11) KERN, Artur, Sitzenbleiberelend und Schulreife - Ein psychologisch-pädagogischer<br />

Beitrag zu einer inneren Reform der Grundschule, Herder-Verlag, Freiburg, Basel, Wien,<br />

1/1950 und 5/1966<br />

12) MINISTERIUM FÜR BILDUNG, WISSENSCHAFT, JUGEND UND KUL-<br />

TUR RHEINLAND-PFALZ, Schulgesetz vom 30. März 2004, zuletzt geändert am<br />

17. September 2007<br />

13) MINISTERIUM FÜR BILDUNG, WISSENSCHAFT, JUGEND UND KULTUR<br />

RHEINLAND-PFALZ, Schulordnung für die öffentlichen Grundschulen (Grundschulordnung)<br />

vom 10. Oktober 2008<br />

14) LORENZ, Jens Holger/RADATZ, Hendrik,, Handbuch des Förderns im Mathematikunterricht,<br />

Schroedel Verlag, 1993, S. 114<br />

15) REICHELT, Helmut, Walter weint - er will nicht lesen – Überlegungen zu einem<br />

stets aktuellen Thema - In: Sonderpädagogik in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>, Mitteilungen des vds-<br />

Landesverbandes <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>, 4/1997<br />

16) Zit. DÖBERT, Marion/HUBERTUS, Peter, Ihr Kreuz ist die Schrift, S.41<br />

17) Fachtagung des Forschungs- und Entwicklungsprojekts „Alphabetisierung und<br />

Bildung (AlBi) „Besser spät als nie...Alphabetisierung stärken!“ - Herausforderungen,<br />

Erfahrungen und Modelle der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit, Johannes<br />

Gutenberg-Universität, Mainz, 25.09.2009<br />

18) OECD = Organization for Economic Cooperation and Development<br />

(= Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit)<br />

19) LOEWE, Max, Jetzt in Bildung investieren - OECD-Bericht „Bildung auf einen<br />

Blick 2009, In: „Erziehung und Wissenschaft“, 10/2009, S. 23/24<br />

Zum Verständnis der Größenordung: Bei einem BIP von etwa 2 Billionen €<br />

(2.000.000.000.000 €) = 2000 Milliarden € bedeuten die 0,3 % weniger einen Rückgang<br />

von 6 Milliarden € an Bildungsinvestitionen.<br />

20) Zit. LOEWE, Max, Jetzt in Bildung investieren, S. 24<br />

21) THÖNE,Ulrich, „Erziehung und Wissenschaft“, 7-8/2008, S. 24<br />

22) REICHELT, Helmut, Zauberwort Individuelle Förderung - Finanzielle Investitionen<br />

in das Bildungssystem erforderlich, In: <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>, Nr. 3/2009, S. 7<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />

13


Bildung<br />

Pädagogik der Beschämung<br />

Wer über Gewalt spricht, darf von<br />

Beschämung nicht schweigen<br />

In den letzten Jahren hat es erneut eine vielschichtige öffentliche<br />

Debatte über Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gegeben.<br />

Mit den empirischen Befunden und Berichten über<br />

unterschiedliche Formen von Gewalt in der Familie, dann in<br />

der Heimerziehung bis in die siebziger und achtziger Jahre, in<br />

einigen Internaten in kirchlicher oder reformpädagogischer<br />

Trägerschaft und auch in Einrichtungen der Jugendhilfe und<br />

Jugendarbeit wurden das historische und auch aktuelle Ausmaß<br />

deutlich.<br />

Dabei geht es um die physische, sexuelle und psychische<br />

Gewalt, die vom pädagogischen Personal in unterschiedlichen<br />

Einrichtungen ausgegangen ist. Hier waren es vor<br />

allem Formen von körperlicher Gewalt (Prügel, Züchtigung)<br />

und sexueller Gewalt („Missbrauch“), wie sie in<br />

den Berichten über die Heimerziehung, über einzelne<br />

Reformschulen (vor allem der Odenwaldschule), zahlreichen<br />

kirchlichen Einrichtungen (vor allem Internaten)<br />

und auch aus der Jugendhilfe und Jugendarbeit vor allem<br />

bei Freizeiten nachhaltig (und zugleich unvollständig)<br />

dokumentiert sind.<br />

Foto:Bert Butzke<br />

Von der Strafe zur Beschämung<br />

Die aktuelle Datenlage über Formen der Gewalt in den<br />

Domänen der professionalisierten Pädagogik ist begrenzt.<br />

Es gibt immer wieder Vorfälle, aber - bei aller Vorsicht<br />

und im Vergleich zu vorangegangenen Zeiträumen, einem<br />

nicht bekannten Dunkelfeld - kaum noch systematische<br />

körperliche oder auch sexuelle Gewalt gegen Kinder<br />

und Jugendliche in pädagogischen Einrichtungen, die<br />

vom pädagogischen Personal ausgeht. Das belegen auch<br />

- bei aller Vorläufigkeit, weil die Interneterfahrungen<br />

nicht berücksichtigt wurden - die Zahlen zur sexuellen<br />

Gewalt gegen Kinder und Jugendliche innerhalb und<br />

außerhalb der Familie, die im Zwischenbericht des<br />

Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen<br />

(KFN) Mitte Oktober 2011 vorgelegt wurden. Nach<br />

dieser im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung<br />

und Forschung (BMBF) erstellten Studie findet sexuelle<br />

Gewalt ganz überwiegend in der Familie und im Bekanntenkreis<br />

statt. Außerdem gibt es einen deutlichen<br />

Rückgang innerhalb der Familie in den letzten 20 Jahren<br />

gegenüber den Daten der Vorgängerstudie des KFN von<br />

1992. Nach dem aktuellen Zwischenbericht waren von<br />

den 11.500 befragten Personen im Alter von 16 bis 40<br />

Jahren insgesamt 6,4% der Frauen und 1,3% der Männer<br />

von unterschiedlichen Formen sexueller Gewalt betroffen.<br />

8,6% der Opfer haben Lehrer als Täter genannt.<br />

Die bisher vorliegenden Erkenntnisse über die strafende<br />

Pädagogik deuten jedoch auf einen Wechsel hin: weg von<br />

den offenen und direkten hin zu eher indirekten, subtilen<br />

und angedeuteten, mehr im Verborgenen ausagierten<br />

Gewaltformen. Die Gewaltdiskussion und -forschung<br />

müsste ihre Aufmerksamkeit - jenseits von Pauschalisierungen<br />

und Diskriminierungen des pädagogischen<br />

Personals - differenziert auf alle Gewaltformen und<br />

dabei vor allem die derzeit dominierenden Phänomene<br />

der Beschämung richten. Ebenso wären die Motive und<br />

Prozesse zu untersuchen, die Kinder und Jugendliche zu<br />

Opfern machen, und über solche Beschämungsprozesse<br />

und ihre Folgen aufzuklären.<br />

Beschämung ist - generell in allen (sozial-) pädagogischen<br />

Einrichtungen - kein neues Phänomen, im Gegenteil,<br />

sie durchzieht ihre Geschichte von Anfang an und war<br />

in deren Züchtigungs- und Strafgeschichte immer auch<br />

mit den körperlichen und sexuellen Gewaltformen verbunden,<br />

die eine besonders tiefe und extreme Form der<br />

Beschämung darstellen.<br />

Beschämungsformen<br />

Beschämung ist von dem notwendigen Setzen von Grenzen<br />

und der Vereinbarung von Regeln strikt abzugrenzen,<br />

ebenso von den systematischen und konkreten pädagogischen<br />

Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen, die zu<br />

legitimieren und transparent zu machen sind und die<br />

Würde von Kindern und Jugendlichen nicht verletzen<br />

dürfen. In den pädagogischen Arbeitsfeldern sind die<br />

Überschreitung der Schamgrenzen und die Beschämung<br />

mit unterschiedlichen subjektiven und pädagogisierenden<br />

14 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012


Bildung<br />

Legitimationen und mit unterschiedlichen Merkmalen<br />

verbunden. In der Schule ist sie ein Instrument des<br />

Leistungs-, Zensuren- und Selektionszwanges, in der<br />

außerschulischen (sozialen) Pädagogik ist sie mit der<br />

erwarteten Anpassung, den Gewohnheiten, Routinen<br />

und der jeweiligen Kultur verbunden. Nach vorliegenden<br />

empirischen Befunden fühlt sich etwa ein Drittel der<br />

befragten Schülerinnen und Schüler von Lehrkräften<br />

vor der Klasse „blamiert“ oder „teilweise blamiert“;<br />

lediglich ein Drittel empfindet das Lehrerhandeln als<br />

„nicht-abwertend“. Missachtungserfahrungen machen<br />

gleichermaßen Mädchen und Jungen aller Schulformen<br />

in einem Viertel ihres Unterrichts.<br />

Auf der phänomenologischen Ebene werden Beschämungen<br />

im pädagogischen Umgang über sprachliche<br />

Äußerungen (verächtliche, zynische Sprache) oder weniger<br />

verbalisierte Verhaltensweisen mitgeteilt:<br />

- verächtliche und verachtende Bemerkungen über<br />

(schlechte) Leistungen, über die Meinungen, Eigenschaften<br />

und (auffällige) Verhaltensweisen, den Lebensstil und<br />

das Outfit von Kindern und Jugendlichen<br />

- erniedrigende und demütigende Bemerkungen über<br />

Mängel und Schwächen, über angebliche Fehler, Lücken<br />

und Defizite, mit denen Kinder und Jugendliche<br />

zu Versagern werden; sie werden ausgelacht, verspottet,<br />

eingeschüchtert, bloßgestellt und vorgeführt, in „gut“ und<br />

„schlecht“, zugehörig und nicht zugehörig, leistungsfähig<br />

und nicht leistungsfähig sortiert;<br />

- zurückweisende Bemerkungen, die Kindern und Jugendlichen<br />

zeigen, dass man sich über sie lustig macht,<br />

dass es auf sie nicht ankommt und sie nichts wert sind;<br />

- missachtende Bemerkungen und Verhaltensweisen, die<br />

Kinder und Jugendliche nicht einbeziehen, sie ignorieren,<br />

„links liegen lassen“ und ihnen signalisieren, dass man an<br />

ihnen kein Interesse hat, sie nicht braucht;<br />

- abwertende und entwertende Äußerungen und Verhaltensweisen,<br />

bei denen Kinder und Jugendliche nicht den<br />

vorherrschenden, üblichen, angemessenen und akzeptierten<br />

(Leistungs-)Erwartungen entsprechen;<br />

- soziale und ethnische Diskriminierungen, die Kinder<br />

und Jugendliche mit ihrer - oftmals bildungsfernen -<br />

Herkunft und Lage konfrontieren und sie etikettieren,<br />

die ihr Verhalten und ihre Leistungen solchen selektiven<br />

Herkunftsmerkmalen zuweisen;<br />

- negative Anerkennung, bei der mit Kindern und Jugendliche<br />

nur oder überwiegend negativ sanktionierend umgegangen<br />

und so kommuniziert wird; sie erfahren keine<br />

Botschaften mit positiver, bestärkender und fördernder<br />

Anerkennung und Zugehörigkeit.<br />

Tradition der schwarzen Pädagogik<br />

Gesunde Scham und gesundes Schamempfinden schützen<br />

und regulieren das Selbstwertgefühl sowie die Grenzen<br />

des Selbst in den Interaktionen; hier werden die Würde<br />

des Kindes und Jugendlichen geachtet sowie die Grenzen<br />

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<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />

15


Bildung<br />

gewahrt. Pathologische oder gar traumatische Scham sind<br />

schmerzhafte und heimliche Gefühle (Kränkungen), die<br />

verwunden und unerträglich werden können; vielfach<br />

sind sie mit unterschiedlichen Formen von Abwehr verbunden.<br />

Verächtlichmachen und Verachtung, Schikanen,<br />

Zurückweisung, Erniedrigung, Missachtung, Abwertung,<br />

Demütigung, Diskriminierung, Häme und Spott sowie<br />

negative Anerkennung sind die - pädagogisch-öffentlichen<br />

- Dimensionen, die eine „Beschämungspädagogik“<br />

konturieren. Es sind Bilder, Urteile oder Vorurteile und<br />

die Beschämungen zielen immer auf eine Bestrafung<br />

und Schuldzuweisung an die Kinder und Jugendlichen.<br />

Dabei wird das Strafbedürfnis der erwachsenen Akteure<br />

in den skizzierten Formen aus einer Machtposition des<br />

Stärkeren gegenüber einem Abhängigen befriedigt und<br />

mit „erzieherischen Wirkungen“ legitimiert. Diese sind<br />

wiederum mit normativen Mentalitäten und einem<br />

Kinder- und Jugendbild verknüpft, nach dem die junge<br />

von der erwachsenen Generation - mehr oder weniger<br />

autoritär, repressiv, kontrolliert - beeinflusst und erzogen<br />

werden muss. Dabei kann der Pädagoge - wie der Vater<br />

und die Mutter in der familialen Erziehung - als „Beschämungsspezialist“<br />

charakterisiert werden; hier steht die<br />

pädagogische Profession in der Tradition der schwarzen<br />

Pädagogik, die den Kindern und Jugendlichen autoritär,<br />

feindlich und ohne Empathie gegenüber tritt.<br />

Die Erfahrungen mit Scham und Beschämung sind für<br />

die Betroffenen in ihrer intellektuellen, emotionalen und<br />

gesundheitlichen Entwicklung, in der Bewältigung von<br />

Entwicklungsherausforderungen im Prozess des Erwachsenwerdens<br />

und Identitätsaufbaus folgenreich. Sie können<br />

mit Schul- und Leistungsverweigerung, körperlichen<br />

Reaktionen (Erröten) oder mit unterschiedlichen Formen<br />

der Abwehr (Rückzug, Verachtung, Zynismus, dissoziales<br />

Verhalten, Größenphantasien und Arroganz) reagieren.<br />

Weiter können ängstliche und resignative Verhaltensweisen,<br />

Ohnmachts-, Einsamkeits- und Verlassenheitsgefühle<br />

entstehen: Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit, Handlungssicherheit,<br />

Kreativität und Interesse, Kompetenzentwicklung<br />

und Lernprozesse können blockiert werden.<br />

Wiederholte und traumatische Erfahrungen können zur<br />

Folge haben, dass es nicht gelingt Körperscham wieder<br />

abzulegen. Das gilt auch für das Auftreten von Selbstdarstellungs-<br />

und Auftrittsängsten, Beeinträchtigungen bei<br />

Beschämungen, die mit Körper, Sport, Bewegung und<br />

Gesehen-Werden zusammenhängen, dann für (Auto-)<br />

Aggressionen, Sozialphobien und Panikattacken.<br />

Anerkennende Pädagogik<br />

Die Auseinandersetzung mit der „Straf- und Beschämungspädagogik“<br />

in der professionalisierten Pädagogik<br />

und sozialen Arbeit gehört zur Daueraufgabe der pädagogischen<br />

Profession und des disziplinären Diskurses. In<br />

der Professionsdebatte und dem Aufbau pädagogischer<br />

Professionalität (Kompetenz) als Lernherausforderung,<br />

in der Aus- und Fortbildung des pädagogischen Personals<br />

wäre das Thema - als Bewusstsein für Scham und die<br />

Achtsamkeit im Umgang mit ihr, aber auch für die eigene<br />

Scham- und Beschämungsgeschichte - aufzunehmen und<br />

mit der Figur der moralischen Achtung und der Idee der<br />

„Würde“, des personalen Respekts und des positiven<br />

„Anerkennungsspezialisten“ zu verbinden. Dieser vertritt<br />

und realisiert eine Anerkennungspädagogik, eine<br />

anerkennende Haltung, die Kinder und Jugendliche mit<br />

ihrer Vielfalt und Verschiedenheit in deren Lern- und<br />

Bildungszeit wertschätzt und einbezieht. So geht es in<br />

der Schule um einen kognitiv-aktivierenden Unterricht<br />

und eine zugehörige Aufgabenkultur, die mit Empathie<br />

anregt und fördert, begleitet und „Türen öffnet“; in den<br />

unterschiedlichen Domänen weiter um eine Pädagogik<br />

die ihren Sinn plausibilisieren kann, die interessiert ist und<br />

neugierig auf die Welt (auch in den Schulfächern) macht.<br />

Zugleich geht es um Erfahrungen, bei denen faire Konkurrenz<br />

und Heterogenität produktiv und Rückmeldungen<br />

respektvoll sind, intellektuelle Anstrengungen Spaß machen<br />

und „es beim Lernen etwas zu lernen gibt“ (Bude).<br />

Benno Hafeneger, Institut für Erziehungswissenschaft<br />

der Philipps-Universität Marburg – Aus: HLZ 12/11<br />

<strong>GEW</strong> will Studiengänge für Kindheitspädagogik<br />

Die <strong>GEW</strong> schlägt vor, „unverzüglich grundständige Studiengänge<br />

für Kindheitspädagogik aufzubauen“. Damit solle der<br />

großen Zahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger mit<br />

Hochschulzugangsberechtigung ein attraktives Angebot gemacht<br />

werden.<br />

Die <strong>GEW</strong> begrüßt die Initiative des Aktionsrats Bildung,<br />

die Ausbildung der Beschäftigten in Tageseinrichtungen<br />

für Kinder zu verbessern. Der Vorschlag, dass bis 2020<br />

an jeder Kindertageseinrichtung (Kita) eine Kindheitspädagogin<br />

mit Hochschulabschluss tätig sein sollte, sei<br />

längst überfällig. „Der Weg zum Bachelorabschluss ist<br />

mit einer dreijährigen Erzieherausbildung und weiteren<br />

drei Jahren Studium heute aber einfach noch zu lang“,<br />

sagte Norbert Hocke, <strong>GEW</strong>-Vorstandsmitglied für Jugendhilfe<br />

und Sozialarbeit, mit Blick auf den Vorstoß des<br />

Aktionsrates Bildung. Der Grund: Die meisten der rund<br />

70 Studienangebote seien berufsbegleitend und setzten<br />

eine Erzieherausbildung voraus.<br />

„Die Arbeitsbedingungen in den Kitas müssen verbessert<br />

werden, wenn man die Qualität der pädagogischen Arbeit<br />

erhöhen will“, betonte Hocke. Er appellierte an die<br />

Kitaträger, den Personalschlüssel deutlich zu verbessern<br />

und die Zahl der Kinder pro Gruppen zu senken. Auch<br />

eine noch so gut aus- und weitergebildete Erzieherin<br />

stoße an ihre Grenzen, wenn sie keine Zeit habe, Kinder<br />

individuell zu fördern, sich auf ihre Arbeit vorzubereiten<br />

und Elterngespräche zu führen.<br />

Der Kita-Experte unterstrich, die Bezahlung aller Kita-<br />

Beschäftigten müsse verbessert werden. Die Forderung des<br />

Aktionsrats Bildung, allein die Gehälter akademisch ausgebildeter<br />

Kindheitspädagogen zu erhöhen, greife zu kurz.<br />

pm<br />

16 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012


<strong>GEW</strong>-INTERN<br />

Neues Leitungsteam bei den Realschulen plus<br />

Die Landesfachgruppen Realschulen und Haupt- und Regionale<br />

Schulen haben auf ihrer gemeinsamen Sitzung am 29.02.2012 in<br />

Wörrstadt ein Leitungsteam für die neu zu gründende Landesfachgruppe<br />

Realschulen plus gewählt.<br />

Nach der Begrüßung der anwesenden VertreterInnen der Kreise und<br />

Bezirke des Landes durch Micha Tietz stellte der Landesvorsitzende<br />

Klaus-Peter Hammer die seit 2009 erfolgreiche Zusammenarbeit der<br />

beiden Leitungsteams dar und sprach mit Blick auf den kommenden<br />

Personalratswahlkampf 2013 von einem historischen Moment anlässlich<br />

der Gründung der Landesfachgruppe Realschulen plus, welche<br />

auf dem Landesgewerkschaftstag im Mai bestätigt werden soll.<br />

Er dankte dem bisherigen kommissarischen Leitungsteam für seine<br />

engagierte Arbeit und erklärte als Ziel für die Personalratswahl 2013<br />

ein mindestens gleich gutes oder gar besseres Ergebnis als 2009.<br />

Anhand des den TeilnehmerInnen auch in Schriftform vorliegenden<br />

Tätigkeitsberichtes erläuterte Ludwig Julius die Schwerpunkte<br />

und die Aktivitäten der letzten Jahre. Anregungen zur weiteren<br />

Verbesserung der Landesfachgruppenarbeit wurden gerne vom<br />

Leitungsteam aufgenommen.<br />

Karl Maron leitete die Wahl des Leitungsteams. Er erklärte, ebenso<br />

wie Hans-Peter Schaulinski, seine Bereitschaft, das Leitungsteam<br />

in der Zukunft zu unterstützen.<br />

Das langjährig verdiente Mitglied des Leitungsteams der Landesfachgruppe<br />

Haupt- und Regionale Schulen, Alexander Witt, wird als<br />

kooptiertes Mitglied das neue Leitungsteam der Landesfachgruppe<br />

RS plus bei den kommenden Aufgaben und Herausforderungen<br />

unterstützen.<br />

hjr<br />

V.l.n.r.: Henning Caspari, Hans-Jürgen Riegler, Micha Tietz,<br />

Alexander Witt, (koopt. Mitgl.)<br />

Werbeinfo unseres Kooperationspartners:<br />

Mitglieder-Information zur Dienstunfähigkeit<br />

Dienstunfähigkeit - Das unterschätzte Risiko<br />

Ihre berufliche Tätigkeit ist die Basis Ihres derzeitigen Lebensstandards.<br />

Was wäre jedoch, wenn Sie durch Krankheit oder Unfall<br />

auf Dauer dienstunfähig würden? Wie sähe dann Ihre finanzielle<br />

Versorgung aus?<br />

Beamte auf Widerruf werden ohne jeglichen Versorgungsanspruch<br />

aus dem Dienst entlassen.<br />

Beamte auf Probe werden grundsätzlich ohne Versorgungsanspruch<br />

aus dem Dienst entlassen. Nur bei Dienstunfall/Dienstbeschädigung<br />

besteht ein Versorgungsanspruch.<br />

Beamte auf Lebenszeit werden in den Ruhestand versetzt und<br />

haben dadurch einen Anspruch auf Ruhegehalt. Die Höhe hängt<br />

jedoch entscheidend von der zurückgelegten Dienstzeit ab. Gerade<br />

für dienstjunge Beamte ergeben sich hier nur geringe Versorgungsansprüche.<br />

Dienstunfähigkeit kann jeden treffen!<br />

Das statistische Bundesamt hat ermittelt, dass etwa jeder vierte Beamte<br />

wegen Dienstunfähigkeit pensioniert wird. Dienstunfähigkeit<br />

liegt vor, wenn Sie infolge eines körperlichen Gebrechens oder wegen<br />

Schwäche Ihrer geistigen oder körperlichen Kräfte zur Erfüllung<br />

Ihrer Dienstpflichten dauernd unfähig sind. Für Ihre Beamtenlaufbahn<br />

bedeutet das aber folgendes: Je eher Sie dienstunfähig werden,<br />

desto geringer fallen Ihre Versorgungsansprüche aus. Darüber hinaus<br />

reduzieren sich Ihre Ansprüche noch durch die zum 01.01.2001<br />

eingeführten Versorgungsabschläge (bis zu 10,8%), wenn Krankheit<br />

oder ein Freizeitunfall die Ursache für Ihre Dienstunfähigkeit sind.<br />

Gleichen sie daher die Einschnitte in Ihrer Versorgung durch eine<br />

private Dienstunfähigkeitsabsicherung aus. SIGNAL IDUNA<br />

bietet Ihnen hier den maßgeschneiderten notwendigen finanziellen<br />

Rückhalt. Sie können wählen zwischen<br />

• einer Dienstunfähigkeits-Zusatzversicherung im Rahmen einer<br />

Kapital-, Risiko oder Rentenversicherung oder<br />

• einer selbstständigen Dienstunfähigkeitsabsicherung.<br />

Die richtige private Absicherung –<br />

Die wichtigsten Vorteile für Sie und Ihre Familie:<br />

• Absicherung der allgemeinen Dienstunfähigkeit bereits in den<br />

Bedingungen enthalten - ohne Mehrbeitrag.<br />

• Den Umfang und die Höhe der Leistungen können Sie Ihrem<br />

individuellen Bedarf anpassen - z.B. durch den Einschluss einer<br />

Beitragsdynamik.<br />

• Ihre monatliche Rente ist in der vereinbarten Höhe garantiert.<br />

• Während der Dauer des Rentenbezugs erhöht sich Ihre Dienstunfähigkeitsrente<br />

jährlich aus der Überschussbeteiligung.<br />

• Die Beitragszahlung entfällt während dieser Zeit.<br />

• Sie können die Dienstunfähigkeitsrente grundsätzlich bis zum<br />

60. Lebensjahr erhalten.<br />

• Beschäftigte des öffentlichen Dienstes erhalten bei der SIGNAL<br />

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<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />

17


Berufliche Bildung<br />

Die Zukunft<br />

der Berufsbildung<br />

von Prof. Dr. Michael Ehrke<br />

Seit Beginn der 90er Jahre, also seit nun schon fast zwanzig Jahren<br />

wird mit wechselnder Intensität unter Bildungsfachleuten in Politik,<br />

Verbänden und Wissenschaft über die Zukunftsfähigkeit der<br />

Berufsbildung zum Teil recht heftig und kontrovers diskutiert. Im<br />

Zentrum steht das „Duale System der Berufsausbildung“, dessen<br />

Lebensfähigkeit sowohl im nationalen wie im internationalen<br />

Maßstab immer wieder in Frage gestellt wird. Diese Debatten<br />

tangieren die Gewerkschaften erheblich. Seit es internationale<br />

Vergleichsstudien wie die OECD-Studie und PISA gibt, wächst<br />

das Interesse, auch das deutsche Berufsbildungssystem in seiner<br />

Leistungsfähigkeit mit den Ausbildungssystemen anderer Länder<br />

zu vergleichen. Die Globalisierung, insbesondere aber auch die<br />

neuere Bildungspolitik der Europäischen Union erzwingen geradezu<br />

eine solche Betrachtungsweise.<br />

Die Kritik am dualen System<br />

Die zentralen Kritikpunkte, die der dualen Berufsausbildung vorgehalten<br />

werden, sind in Kürze folgende:<br />

1. „Singularitäts-These“: Das duale System sei im internationalen<br />

Maßstab ein Sonderfall, der sich nicht übertragen lässt. In den meisten<br />

Ländern sowohl innerhalb wie außerhalb Europas dominieren<br />

Schul- und Hochschulsysteme. Die deutsche Berufsausbildung wird<br />

sich daher nicht durchsetzen lassen und gegenüber dem angelsächsischen<br />

Modell „College for all“ den Kürzeren ziehen.<br />

2. „Entberuflichungs-These“: Die Ausrichtung des dualen Systems<br />

an „Ausbildungsberufen“ und damit an dem Leitbild des Berufs stehe<br />

dem Trend der „Entberuflichung“ diametral entgegen, der für die<br />

moderne Arbeitswelt maßgebend ist. Die Bindung an einen Beruf<br />

behindere somit nur den Zugang zum Arbeitsmarkt.<br />

3. „Verwissenschaftlichungs-These“: Die Stärke einer dualen<br />

Berufsausbildung liegt im Erwerb von Erfahrungswissen. In der<br />

„nachindustriellen“ Erwerbsarbeit werde aber systemisches Wissen<br />

entscheidend. Dadurch gerate das duale System gegenüber der<br />

höheren Allgemein- und wissenschaftlichen Bildung immer mehr<br />

ins Hintertreffen.<br />

4. „Pluralitäts-These“: Die mangelnde Aufnahmefähigkeit des<br />

dualen Systems für die Schulabgängerinnen und -abgänger infolge<br />

der hohen Konjunkturabhängigkeit müsse dazu führen, dass vollschulische<br />

Ausbildungen quantitativ an Bedeutung gewinnen; es sei<br />

daher nur folgerichtig, wenn sich ein schulisches Ausbildungssystem<br />

fest etabliere und sich das duale System zu einem „pluralen System“<br />

weiterentwickele.<br />

Seit 2006 hat diese Debatte einen zusätzlichen Drive bekommen<br />

durch neue Initiativen zur Modularisierung der Berufsausbildung.<br />

In einem Gutachten für das BMBF forderten die Professoren Euler<br />

und Severing [1] , die rd. 350 Ausbildungsberufe im dualen System<br />

in jeweils sechs bis zehn Module zu zergliedern, die einzeln geprüft<br />

und zertifiziert werden sollte. Damit war eine neue Tür für den<br />

Umstieg auf ein eher angelsächsisch geprägtes, tayloristisches Ausbildungsmodell<br />

geöffnet.<br />

Fotos S. 18+19: Bert Butzke<br />

Der vermeintlich umständliche Erfolgsfaktor<br />

Oft ist von Wissenschaftlern zu hören und zu lesen, die Ausbildungsberufe<br />

seien starr, nicht flexibel, ihre Modernisierung sei viel<br />

zu langatmig und umständlich. Selbst wenn dies stimmen sollte,<br />

bleibt doch zu fragen, ob Modularisierung die geeignete Antwort<br />

ist [2 ]. In einem Aufsatz von 2001 hat Gerhard Bosch auf diese Art<br />

der Diskussionsführung bereits eine passende Antwort gegeben:<br />

„Seit 1996 (bis 2001d.V.) sind 33 neue Berufe entwickelt und 109<br />

alte modernisiert bzw. erweitert worden. Pro Jahr wurden seitdem<br />

28,4 Berufe neugeordnet oder neu geschaffen - gegenüber 11,25 im<br />

Zeitraum von 1980 bis 1996. Das Tempo der Neuordnung konnte<br />

damit um mehr als 150 Prozent gesteigert werden.<br />

Der „Lebensberuf“ hat als Ideal längst ausgedient, spätestens seit<br />

der Einführung der IT-Berufe 1997 gilt das Prinzip „offener, dynamischer<br />

Berufsbilder“. Diese Konzeption basiert auf einer stärkeren<br />

Prozess- und Systemorientierung, betont die Vermittlung von<br />

„Kernqualifikationen“ [3] und ermöglicht dadurch mehr bereichsübergreifendes<br />

Zusammenhangswissen und Zusammenhangsdenken<br />

als einzelne Module es könnten. Angestrebt wird ein ganzheitliches<br />

Ausbildungskonzept, das über einem systematischen und längeren<br />

Ausbildungsgang selbständige berufliche Handlungsfähigkeit<br />

sukzessive aufbaut. Diese „Architektur“ ist inzwischen allgemeiner<br />

Industriestandard und strahlt auch in die Dienstleistungsberufe aus.<br />

18 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012


Berufliche Bildung<br />

Reformbedarf<br />

Das alles darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im<br />

dualen System der Berufsausbildung schwerwiegende und vor allem<br />

auch aus meiner Sicht unnötige Probleme gibt. Der Reformbedarf<br />

ist in der Tat dringend, und er schwelt schon lange. Nur handelt<br />

er von ganz anderen Themen, als sie von der Wissenschaft und der<br />

Politik derzeit angeboten werden.<br />

In erster Linie geht es um die bisher nie eingelöste Ausbildungsgarantie,<br />

die von Politik und Arbeitgebern immer wieder vollmundig<br />

gegenüber den Schulabgängerinnen und -abgängern abgegeben<br />

wird. Tatsächlich haben in den letzten Jahren Hunderttausende<br />

Jugendliche keinen Ausbildungsplatz bekommen, trotz ihrer Bewerbungsbemühungen<br />

und vielerlei Hilfen durch Bewerbertrainings,<br />

Schulprojekte und Berufvorbereitungsmaßnahmen. Diese Jugendlichen<br />

wurden vom Ausbildungsmarkt verdrängt und wanderten<br />

notgedrungen in Überbrückungsmaßnahmen ab, vor allem in berufliche<br />

Vollzeitschulen, die ihnen keinen adäquaten Berufsabschluss<br />

vermitteln konnten. So verwundert es nicht, dass in der Statistik<br />

aktuell 1,5 Mio. junge Menschen bis 25 Jahre geführt werden, die<br />

keinen Berufsabschluss besitzen. Die Zahlen sind unbestreitbar -<br />

und die Gewerkschaften weisen immer wieder auf diesen Skandal<br />

hin, eine soziale Misere.<br />

Ausbildungsreife und öffentliche Verantwortung<br />

Für die Arbeitgeber liegt der Grund für diese Ausbildungskrise<br />

vor allem bei den Jugendlichen selbst, die angeblich über keine<br />

ausreichende „Ausbildungsreife“ verfügen. Dieser Begriff hat inzwischen<br />

Karriere gemacht, obwohl er das Problem nicht wirklich<br />

erklärt. Der Hauptgrund war immer ein unzureichendes Angebot<br />

an Ausbildungsstellen.<br />

Das Kernproblem der dualen Berufsausbildung besteht in einem<br />

unregulierten Angebots-Nachfrage-Mechanismus. Diese fehlende<br />

Regulierung liegt aber nicht in der Natur einer dualen Ausbildung,<br />

sondern ist ausgesprochen bildungsfremd. Man könnte sie sogar<br />

als einen Verstoß gegen Artikel 12 des Grundgesetzes ansehen,<br />

der die freie Wahl des Ausbildungsplatzes garantiert. Immerhin<br />

hatte das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil schon<br />

1980 festgestellt, dass Berufsausbildung eine „öffentliche Aufgabe“<br />

darstellt, deren Durchführung der Staat an die Wirtschaft delegiert<br />

habe. Der Staat bleibt aber dafür verantwortlich, einzugreifen, wenn<br />

keine ausreichende Versorgung mit Ausbildungsstellen gewährleistet<br />

ist. Die Lösung des Problems, die damals verhandelt wurde, war<br />

die Einführung einer Kollektivfinanzierung der betrieblichen Ausbildung<br />

nach dem Motto: wer nicht ausbildet, soll sich wenigstens<br />

an den gesellschaftlichen Kosten der Ausbildung beteiligen. Denn<br />

ausgebildete Fachkräfte fragen ja alle Unternehmen nach. Dieser<br />

Lösungsansatz wurde als verfassungsrechtlich zulässig eingestuft,<br />

konnte sich aber bisher nicht durchsetzen.<br />

Allen Untergangsprognosen zum Trotz zeigt sich das duale System<br />

durchaus sehr lebendig und stellt immer noch den Hauptteil des<br />

Berufsbildungssystems dar. Die Bestandszahlen sind auf hohem<br />

Niveau bei mehr als 1,6 Mio Ausbildungsverträgen (2008) [4] . Die<br />

rechnerische Einmündungsquote lag 2009 bei 64,7 Prozent eines<br />

Schulabgängerjahrgangs [5] . Der Haupttrend der letzten vierzig Jahre<br />

heißt: Expansion des dualen Systems. Die Ausbildungsteilnahme<br />

war in den sechziger Jahren deutlich niedriger. Allerdings wird sich<br />

der demographische Rückgang der Schulabgänger/innen in den<br />

nächsten 15 Jahren bemerkbar machen.<br />

Denn die duale Ausbildung hat nach wie vor unbestreitbare Stärken,<br />

die es auszubauen gilt. Die Verbindung von Arbeiten und Lernen<br />

in der Kombination verschiedener Lernorte bringt viele Vorteile<br />

für Auszubildende wie Unternehmen. Sie ist in vielen Punkten<br />

einem klassischen Schulsystem vor allem auch in den Lerneffekten<br />

überlegen. Nicht zu vergessen die sozialpolitischen Aspekte wie<br />

Ausbildungsvergütung, geringere Jugendarbeitslosigkeit usw. Hier<br />

gäbe es also viel zu verlieren. Würde das duale System nicht mehr<br />

existieren, wäre eine gewaltige soziale Erosion zu befürchten.<br />

In der Außensicht - ein großes Erfolgsmodell!<br />

Das „alternierende Lernen“, wie die Franzosen sagen, gilt in Europa<br />

und vielen anderen Ländern heute als Best Practice. Das Interesse<br />

am deutschen Ausbildungsmodell ist im Ausland daher im Wachsen.<br />

Ohnehin sind deutsche Facharbeiter am internationalen Arbeitsmarkt<br />

weiterhin sehr gefragt. Die Wertigkeit dieses Modells strahlt<br />

auch bei uns aus. Das Prinzip duale Ausbildung macht Schule auch<br />

in anderen Bildungsteilsystemen. Bestes Beispiel: Die Forcierung<br />

dualer Studiengänge. Hier geht es zum einen um Erschließung von<br />

Akademikerreserven z.B. zur Minderung der „Ingenieurlücke“,<br />

andererseits aber auch um die Etablierung von Studienformen,<br />

die auf andere Weise Theorie und Praxis verbinden, näher an den<br />

Zielberufen und tatsächlichen Qualifikationsbedarfen dran sind und<br />

von daher auch schnellere Einstiege in die Zielberufe ermöglichen.<br />

Duales Lernen breitet sich auch in der allgemeinbildenden Schule<br />

aus. Nach dem Sieg der westdeutschen Drei-Klassen-Schule über die<br />

polytechnische Oberschule der DDR nach der Wiedervereinigung<br />

haben sich die Gemüter wieder beruhigt, und die Berührungsängste<br />

gegenüber der Verbindung von Arbeiten und Lernen haben deutlich<br />

abgenommen. Natürlich unter dem Druck der Verhältnisse, denn<br />

die Kritik an der mangelnden Vorbereitung der Schülerinnen und<br />

Die Regulierung des dualen Systems<br />

Warum greifen vernünftige Regulierungsmodelle im dualen System<br />

nicht? Ganz einfach: weil sie nicht dem Mainstream entsprechen<br />

und gegen die Prinzipien neoliberaler Wirtschaftspolitik verstoßen.<br />

Seit der Schröder-Regierung wird massiv auf angebotsorientierte<br />

Politik gesetzt. Jeder Versuch, die Arbeitgeber in die Pflicht zu<br />

nehmen, musste vor diesem Hintergrund scheitern. Man darf dabei<br />

nicht vergessen, dass die Federführung für duale Ausbildung in der<br />

Bundesregierung gemäß Berufsbildungsgesetz (BBiG) beim Bundeswirtschaftsminister<br />

liegt. Damit sind eindeutige Signale gesetzt.<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />

19


Berufliche Bildung<br />

Schüler auf die Arbeitswelt hat im Zuge der Bewerberdebatte immer<br />

mehr zugenommen. Das entwickeltste Modell in diesem Bereich<br />

scheint mir das Konzept des „Produktiven Lernens“ zu sein [6] . Hier<br />

haben die Schülerinnen und Schüler aller Schultypen die Möglichkeit,<br />

in den letzten beiden Klassen einen PL-Bildungsgang zu<br />

wählen. Dies bedeutet dann: drei Tage in der Woche Lernen in einem<br />

beruflichen Praxisfeld, zwei Tage in der Woche Schulunterricht. Das<br />

Gesamtmodell ist in ein Curriculum eingebunden und didaktisch<br />

gesteuert. Es geht also nicht nur um Praktika. Mittlerweile praktizieren<br />

bereits 100 Schulen in sechs Bundesländern dieses Modell.<br />

Erstaunlicherweise konnte nachgewiesen werden, dass die Jugendlichen<br />

in den PL-Klassen am Ende keinen Allgemeinbildungsrückstand<br />

aufweisen gegenüber den Jugendlichen, die wesentlich mehr<br />

Schulunterricht hatten. In dieselbe Richtung geht das Hamburger<br />

Modell der Produktionsschule.<br />

Handlungsfelder<br />

Es geschieht also allerhand um die duale Berufsausbildung, was ihr<br />

pädagogisches und lernorganisatorisches Grundprinzip voll und<br />

ganz bestätigt. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass<br />

weiterhin erheblicher Reformbedarf besteht.<br />

1. Das Kernproblem bleibt das Regulierungsdefizit des Ausbildungsmarktes.<br />

Ausbildungskrisen sind auch in Zukunft nicht ausgeschlossen.<br />

Niemand kann voraussehen, wie sich die wirtschaftliche Lage<br />

entwickelt und ob sich bei sinkenden Bewerberzahlen tatsächlich<br />

für den einzelnen die Berufschancen verbessern. Daher bleibt es<br />

eine zentrale Aufgabe, ein gesetzliches Steuerungsinstrument für<br />

eine ausgewogenes Angebots-Nachfrage-Verhältnis zu etablieren.<br />

2. Um aus dem Demographietrend für die bisher Benachteiligten<br />

Kapital schlagen zu können, muss sich die Auswahl- und Einstellpraxis<br />

der Betriebe ändern. Eine der wichtigen Stärken des dualen<br />

Systems, dass es nämlich nach unten offen ist und keine Berechtigungshürden<br />

kennt, ist in den letzten Jahren durch „Bestenauslese“<br />

diskriminiert worden. Die Unternehmen müssen die Fähigkeit<br />

zurückgewinnen, normale Jugendliche „besser“ auszubilden, wie das<br />

immer typisch war für Berufsausbildung. Neu wäre allerdings die<br />

Herausforderung einer wesentlich größeren Migrantenbeteiligung,<br />

die Zahlen müssten sich mindestens verdreifachen [7] . Dies kann<br />

nicht gelingen ohne eine gezielte Integrationspolitik.<br />

3. Das Übergangssystem muss schnell abgebaut werden. Es darf<br />

nicht verstetigt und in Richtung auf ein zweites, unterwertiges<br />

Ausbildungssystem „reformiert“ werden. Dies verlangt von der<br />

Politik, die Wahrheit endlich anzuerkennen, dass der Anteil an<br />

Niedrigqualifizierten in Deutschland zu hoch ist und dass dieser Fakt<br />

die wichtigste Bremse für Vollbeschäftigung ist. Auch die offizielle<br />

EU-Strategie will diesen Anteil deutlich senken. Wann geschieht das<br />

bei uns? Wahrscheinlich nicht mit einer schwarz-gelben Regierung.<br />

Für die jungen Menschen, die bisher noch keinen Berufsabschluss<br />

erreichen konnten, muss ein zeitlich begrenztes Sonderprogramm<br />

gestartet werden. In Verbindung mit einer Kompetenzbilanzierung<br />

sollte diesem Personenkreis ein Crash-Programm angeboten werden,<br />

um jährlich bundesweit mindestens 300.000 zur Externenprüfung<br />

nach BBiG § 43 (2) oder § 45 zu führen. Dies wäre im Wesentlichen<br />

ein Handlungsfeld der Länder, die die zusätzlichen Prüfungskosten<br />

übernehmen müssten. Dafür sollten auch die Prüfungsausschüsse<br />

(vorübergehend) aufgestockt werden, was durch Vereinbarungen<br />

mit den Sozialpartnern bei großzügiger Entschädigungsregelung<br />

durchaus erfolgversprechend wäre. Der Bund könnte hierbei finanziell<br />

unterstützen.<br />

4. Berufsausbildung im Zeichen der „neuen Beruflichkeit“ soll weniger<br />

auf enge spezielle Anschlusstätigkeiten vorbereiten als einen<br />

soliden Grundstein für lebenslanges Lernen legen. Sie stellt eine<br />

Sockelqualifikation dar, auf der weitere Bildungsphasen aufbauen.<br />

Diese Auffassung hat sich längst durchgesetzt. Daraus folgt die<br />

notwendige Zusammenschau von Ausbildung - Weiterbildung und<br />

Studium und der Aufbau durchlässiger, systematischer und offener<br />

Bildungskarrieren. Hiervon sind wir noch weit entfernt.<br />

5. Berufliche Aus- und Weiterbildung sollte künftig für einen<br />

globalisierten Arbeitsmarkt und eine globalisierte Wirtschaft<br />

vorbereiten. Dies hat nichts mit Entberuflichung zu tun, denn in<br />

allen Ländern, in denen qualifizierte Arbeit geleistet oder aufgebaut<br />

wird, sind Verberuflichungstendenzen vorherrschend. Notwendig<br />

wäre aber die Vermittlung von internationalen Kompetenzen, die<br />

zu einer Selbstverständlichkeit im modernen Berufsleben werden.<br />

Hiermit wird bisher sehr zögerlich umgegangen, allein schon die<br />

Vermittlung einer Fremdsprache - i. d. R. Englisch - belastet immer<br />

noch Neuordnungsverfahren mit unnötigen Diskussionen. Unter<br />

internationalen Kompetenzen ist zweifellos mehr zu verstehen [8] .<br />

Wichtig dafür zu wissen ist, dass nach neueren Untersuchungen<br />

über 70 Prozent der hiesigen mittelständischen Unternehmen Geschäfte<br />

im internationalen Maßstab betreiben bzw. in internationale<br />

Wertschöpfungsnetzwerke eingebunden sind [9] . Die Berufsbildung<br />

reflektiert diese Veränderungen kaum.<br />

Diese Auflistung von Handlungsfeldern ist zweifellos unvollständig.<br />

Sie zeigt aber an einigen zentralen Beispielen, was es in den nächsten<br />

Jahren zu tun gibt, um das deutsche Berufsbildungssystem vor dem<br />

Ruf eines Auslaufmodells zu bewahren und es zu einer authentischen<br />

Erfolgsstrategie auszubauen. Diese Chance besteht. Auch aus volkswirtschaftlicher<br />

Sicht gehört die Zukunft den Regionen in der Welt,<br />

die den humanzentrierten Weg gehen und auf Hochqualifikation<br />

setzen. Denn nur so kann Qualität und Innovation nachhaltig gesichert<br />

werden. Dies sind die Stärken, von denen Industrieländer<br />

leben und die sie vorrangig in der Zukunft ausbauen müssen.<br />

Die europäische Dimension<br />

Die IG Metall schlägt in diesem Zusammenhang ein konkretes<br />

Programm für die nächsten Jahre vor: die Entwicklung von europäischen<br />

Kernberufen im Rahmen des sozialen Dialogs der<br />

Europäischen Kommission [10] . Diese Kernberufe sollen von den<br />

Sozialpartnern der wichtigsten Wirtschaftssektoren erarbeitet werden.<br />

Der Vorschlag markiert einen Wandel in der internationalen<br />

Diskussion über das duale System. Anders als früher will die IG<br />

Metall nicht über eine Übernahme deutscher Bildungsstrukturen<br />

reden, nach dem Motto: kopiert das deutsche duale System, weil<br />

wir am besten sind. Das war bisher nicht sehr erfolgreich. Unsere<br />

Partnerländer kennen sehr gut unsere Defizite. Wichtiger ist es, über<br />

den Kerngedanken zu sprechen. Die Standards und Prinzipien der<br />

modernen Arbeitswelt nähern sich überall an. Was liegt näher, als<br />

auch die Qualifikationsstrukturen und -profile anzunähern.<br />

Dieses Projekt verspricht einen interessanten Impuls für die europäische<br />

Bildungs- und Professionalisierungsdebatte zu setzen, die<br />

gerade neu auf Touren kommt. Sie führt endlich weg von der europaängstlichen<br />

Attitüde, in der die jüngsten EU-Bildungsinitiativen<br />

in der deutschen Bildungsszene bisher aufgenommen wurden, hin<br />

zu einem zukunftsorientierten Gestaltungsanspruch. Denn eine<br />

Harmonisierung der europäischen Bildungslandschaft ist äußerst<br />

notwendig. Der europäische Bildungsföderalismus ist auf lange<br />

Sicht genau so wenig ein Idealzustand wie der deutsche Bildungs-<br />

20 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012


Berufliche Bildung<br />

föderalismus. Es wird sich dann zeigen, ob wir den Anspruch auf<br />

Best Practice aufrecht erhalten können. Viele Partner in der europäischen<br />

Bildungslandschaft warten darauf, dass gerade die deutschen<br />

Gewerkschaften sich mit diesem Thema viel stärker einbringen,<br />

mehr Engagement und Gestaltungswillen in der europäischen<br />

Berufsbildungsdiskussion zeigen, weil man ihnen aufgrund ihrer<br />

starken Stellung im deutschen Berufsbildungssystem etwas zutraut.<br />

Anmerkungen<br />

[1] Euler,D:, Severing, E. : Flexible Ausbildungswege in der Berufsbildung.<br />

Gutachten im Auftrag des BMBF, Oktober 2006<br />

[2] vgl. hierzu Michael Ehrke, Nehls, Hermann: „Aufgabenbezogene Anlernung“<br />

oder berufliche Ausbildung. Zur Kritik der aktuellen Modularisierungsdebatte.<br />

In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (BWP), Heft 1/2007<br />

[3] vgl. Michael Ehrke(Hrg): Prozessorientierung in der Berufsbildung. IG<br />

Metall Vorstand, Frankfurt am Main, 2. Auflage 2009<br />

[4] BIBB: Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2010, S. 118<br />

[5] BMBF: Berufsbildungsbericht der Bundesregierung 2010. Bonn 2011, S. 13<br />

[6] siehe: Institut für Produktives Lernen in Europa (Hrsg.): Produktives<br />

Lernen - eine Brücke zwischen Schule und Leben, 2005. DVD. Zu bestellen<br />

über www.iple.de<br />

[7] Sagt jedenfalls die Bertelsmann-Stiftung.<br />

[8] Vgl. auch Wordelmann, Peter (Hg.): Internationale Kompetenzen in der<br />

Berufsbildung, Bielefeld 2010<br />

[9] DZ-Mittelstandsstudie: Mittelstand im Mittelpunkt. Ausgabe Frühjahr<br />

2011. Sonderthema Zukunftsmärkte in Asien. Download unter http://www.<br />

corporate-portal.dzbank.de/<br />

[10] Was man unter diesen Kernberufen zu verstehen hat, dazu Näheres in:<br />

Erik Heß, Georg Spöttl: Core occupations as a building block for European<br />

vocational education and training. In: Berufsbildung in Wissenschaft und<br />

Praxis (BWP), Special Edition 2009<br />

Neuordnung der Büroberufe<br />

<strong>GEW</strong>-Fortbildungsveranstaltung fand viel Resonanz<br />

Auch wenn die neue Ausbildungsordnung frühestens<br />

zum Schuljahr 2013/14 in Kraft treten kann, bot die<br />

<strong>GEW</strong> bereits Anfang Februar 2012 eine Fortbildungsveranstaltung<br />

an, um die BBS-Lehrkräfte über die<br />

neuen Entwicklungen in den Büroberufen zu informieren<br />

und die notwendigen Rahmenbedingungen<br />

für das Gelingen der Reform einzufordern.<br />

Thomas Ressel, Ressort Bildungs- und Qualifizierungspolitik der<br />

IG Metall und Koordinator der gewerkschaftlichen Sachverständigen<br />

im Neuordnungsverfahren, zeigte in seinem Grundsatzreferat<br />

„Prozessorientiert ausbilden: Neuordnung der Büroberufe“ die<br />

große Bedeutung der Büroberufe für Wirtschaft und Verwaltung<br />

sowie die Veränderungen in den Qualifikationsanforderungen auf<br />

und erläuterte die von den Sozialpartnern vereinbarten Eckwerte<br />

für die Neuordnung (siehe Kasten): Im Jahr 2009 wurden in den<br />

Büroberufen rd. 90.000 junge Menschen ausgebildet, davon rd.<br />

68.000 junge Frauen.<br />

Neue Qualifikationsanforderungen<br />

Seit der letzten Modernisierung 1991 haben sich die Qualifikationsanforderungen<br />

der Arbeitswelt erheblich verändert. Vernetzte PCs<br />

und Office-Anwendungen gehören heute zu jedem Büroarbeitsplatz.<br />

Die Unternehmensprozesse werden mit Unterstützung von ERP-<br />

Systemen gesteuert. Internet und Intranet ermöglichen einen unmittelbaren<br />

Zugang zu Wissen. Büroarbeit orientiert sich zunehmend<br />

am Wertschöpfungsprozess, und die Funktionsorientierung wird<br />

durch eine prozessorientierte Organisation ersetzt. Von Kaufleuten<br />

werden eigenverantwortliches Handeln, unternehmerisches Denken<br />

sowie das Arbeiten in Teams und Projekten erwartet.<br />

3jähriger Ausbildungsberuf „Kaufmann/-frau für<br />

Büromanagement“ - 2jährige Kurzausbildung<br />

verhindert<br />

Deshalb legten die Gewerkschaften bereits 2005 einen Vorschlag für<br />

die Neuordnung der Büroberufe vor, der den tatsächlichen Anforderungen<br />

in den Geschäfts- und Arbeitsprozessen entspricht und der<br />

im Juni 2011 zu einer Vereinbarung mit der Arbeitgeberseite über<br />

die Eckwerte für die Neuordnung führte (siehe Kasten). Danach<br />

wird es in Zukunft statt der bisher drei Büroberufe nur noch einen<br />

Beruf „Kaufmann/-frau für Büromanagement“ (Arbeitstitel) geben,<br />

der so angelegt ist, dass alle Wirtschafts- und Verwaltungsbereiche<br />

Gestaltungsmöglichkeiten haben, gleichzeitig aber kaufmännische<br />

Grundqualifikationen fest verankert sind. Damit werden die Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

optimiert. Den zunächst von der Arbeitgeberseite<br />

geforderten minderqualifizierten 2jährigen Beruf konnten<br />

die Gewerkschaften verhindern, da für eine solche Hilfstätigkeit in<br />

Wirtschaft und Verwaltung immer weniger Bedarf besteht.<br />

Gestreckte Prüfung<br />

Einigkeit besteht über den Ersatz der bisherigen Zwischenprüfung<br />

durch eine gestreckte Prüfung, bei der die Inhalte des 1. Ausbildungsjahres<br />

nach 15 Monaten mit einer Gewichtung von 20 %<br />

geprüft werden sollen, wobei über die konkreten Inhalte dieser<br />

ersten Teilprüfung im Laufe des Neuordnungsverfahrens entschieden<br />

werden muss.<br />

Wir bilden für morgen aus, nicht für gestern!<br />

Als Einstieg in den zweiten Block der Fortbildungsveranstaltung<br />

„Prozessorientierte Lehrpläne in der Berufsschule“ diente das<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />

21


Berufliche Bildung<br />

Impulsreferat „Prozessorientierung in Unternehmen“ von Brigitte<br />

Glismann, BBS Alzey, in dem aufzeigt wurde, dass die von der<br />

Kultusministerkonferenz vorgegebene Lernfeldorientierung der<br />

Lehrpläne eine direkte Konsequenz aus veränderten Unternehmensphilosophien<br />

darstellt, die sich mittlerweile auch in der betriebswirtschaftlichen<br />

Fachwissenschaft niedergeschlagen haben: Zentrale<br />

Elemente sind Kundenorientierung („Der Kunde soll wiederkommen,<br />

nicht das Produkt!“), Mitarbeiterorientierung (Motivation,<br />

Potenziale entfalten, Wissensbasis = Erfolgsbasis) und Geschäftsprozesse<br />

(Unternehmensergebnis = Kopplung von Einzelprozessen).<br />

Eine prozessorientierte Unternehmensorganisation zeichnet sich<br />

aus durch den Abbau von Schnittstellen, Teamarbeit, Übertragung<br />

von Prozessverantwortung und Ablösung einer starren, funktionalen<br />

Organisation durch temporäre Strukturen, z.B. Projektteams.<br />

Ermöglicht wird dieses Prozessmanagement durch Informationsund<br />

Kommunikationstechnik mittels Prozessmodellierung, ERP<br />

(Enterprise Resource Planning), Internet und Intranet/Extranet.<br />

Über „Supply Chain Management“ werden alle Lieferanten und alle<br />

Abnehmer bis zum Endverbraucher in die Prozesskette einbezogen.<br />

Eine zunehmende wirtschaftliche Verflechtung, der Wandel zur<br />

Wissensgesellschaft, neue Technologien, Ökologie, Migration und<br />

Demografie sind Megatrends, die einen weitergehenden Wandel<br />

der Arbeitswelt kennzeichnen.<br />

Immense Herausforderung für BBSen<br />

Eine derartig gravierende Veränderung der Qualifikationsanforderungen<br />

stellt sowohl pädagogisch als auch organisatorisch für die<br />

berufsbildenden Schulen eine immense Herausforderung dar:<br />

• Die Fächerorientierung wird durch Lernfelder ersetzt, die sich<br />

an den Geschäftsprozessen der Arbeitswelt orientieren. Die Umsetzung<br />

dieser neuen Lehrpläne erfordert eine hohe fachliche und<br />

didaktisch-methodische Kompetenz der Lehrkräfte, die durch<br />

Qualifizierungsmaßnahmen hergestellt werden muss.<br />

• Die Entwicklung von Lernsituationen und Lernaufgaben aus den<br />

fächerübergreifenden Lernfeldern kann nur gelingen, wenn sie von<br />

Lehrkräften aller Fächer in Bildungsgangteams und in Lernortkooperation<br />

mit den Ausbildungsbetrieben gemeinsam erfolgt.<br />

• Die berufsbildenden Schulen müssen Organisationsmodelle<br />

entwickeln, die sowohl den gemeinsamen kaufmännischen Kernqualifikationen<br />

als auch dem notwendigen Differenzierungsbedarf<br />

der Einsatzbereiche Rechnung tragen und den Bildungsgangteams<br />

ein hohes Maß an Autonomie ermöglichen.<br />

Kaufmann-/frau für Büromanagement<br />

- Eckwertekonzept von KWB und DGB — Qualifikationskatalog<br />

Abschnitt A: Berufsprofilgebende Fertigkeiten,<br />

Kenntnisse und Fähigkeiten<br />

• Büroprozesse<br />

Informationsverarbeitung, Bürowirtschaftliche Abläufe, Koordinationsund<br />

Organisationsaufgaben<br />

• Geschäftsprozesse<br />

Kundenbeziehungsprozesse dokumentieren, unterstützen, kontrollieren;<br />

Geschäftsvorgänge bearbeiten; Materialwirtschaft durchführen; Personalwirtschaftliche<br />

Aufgaben unterstützen und dokumentieren; Kaufmännische<br />

Steuerung und Kontrolle unterstützen<br />

Abschnitt B: Weitere und vertiefende berufsprofilgebende<br />

Fertigkeiten, Kenntnisse und<br />

Fähigkeiten in zwei Wahlqualifikationen<br />

à fünf Monate<br />

• Auftragssteuerung und Koordination<br />

Abwicklung von Kundenaufträgen; Rechnungsbearbeitung, Leistungsabrechnung;<br />

Auftragsnachbearbeitung; Vor- und Nachkalkulation; Spezielle<br />

(branchenbezogene) rechtliche Aspekte; Auftragssteuerung<br />

• Kaufmännische Steuerung und Kontrolle<br />

Finanzbuchhaltung, Kosten- und Leistungsrechnung, Controlling, Investition<br />

und Finanzierung<br />

• Betrieblich-monetäre Prozesse<br />

Laufende Buchführung, Entgeltabrechnung, Betriebliche Kalkulation,<br />

Betriebliche Auswertungen, Besteuerungsverfahren<br />

• Einkauf und Logistik<br />

Bedarfsermittlung, Einkaufsvorgänge, Lagerwirtschaft<br />

• Personalwirtschaft<br />

Personalplanung, -entwicklung und -beschaffung; Entgeltabrechnung,<br />

Personalverwaltung<br />

• Vertrieb, Marketing, Kundendienst<br />

Marketingaktivitäten, Vertrieb von Produkten und Dienstleistungen,<br />

Kundenbindung und Kundenbetreuung<br />

• Assistenz und Sekretariat<br />

Assistenz in Managementprozessen, Sekretariatsführung, Koordination<br />

bürowirtschaftlicher Abläufe<br />

• Finanzwirtschaft<br />

Haushalts- und Wirtschaftsplanung, Mittelbewirtschaftung, Haushaltsgrundsätze<br />

• Verwaltungshandeln, Rechtsanwendung<br />

Verwaltungshandeln, Verwaltungsverfahren, Rechtsanwendung<br />

• Betriebsspezifische Wahlqualifikationen<br />

z.B. internationale Geschäftsbeziehungen, Organisationsentwicklung,<br />

Ideenmanagement, Öffentlichkeitsarbeit, Inkasso, Content-Erstellung<br />

Abschnitt C: Integrative Fertigkeiten, Kenntnisse<br />

und Fähigkeiten<br />

• Der Ausbildungsbetrieb<br />

Stellung, Rechtsform und Organisationsstruktur; Markt- und Wettbewerbssituation,<br />

Produkt- und Dienstleistungsangebot, Berufsbildung, Arbeits-,<br />

sozial-, tarif- und mitbestimmungsrechtliche Vorschriften, Sicherheit<br />

und Gesundheitsschutz bei der Arbeit, Umweltschutz, Wirtschaftliches<br />

Denken und Handeln, Rolle des Mitarbeiters im Ausbildungsbetrieb,<br />

Prozessoptimierung<br />

• Arbeitsorganisation<br />

Arbeits- und Selbstorganisation, Bürokommunikationstechnik und Organisationsmittel,<br />

Arbeitsplatzergonomie, Datenschutz und -sicherheit,<br />

Qualitätssicherung<br />

• Information, Kommunikation, Kooperation<br />

Informationsbeschaffung und Umgang mit Informationen, Kommunikation,<br />

Fremdsprache bei Fachaufgaben, Kooperation<br />

22 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012


Berufliche Bildung<br />

Umsetzung prozessorientierter Lehrpläne in Lernsituationen<br />

und Lernaufgaben in der Berufsschule<br />

Umsetzungsstrategien und Umsetzungsbeispiele in der Berufsschule<br />

waren Inhalt der Präsentation von Markus Henrich, BBS<br />

Montabaur. Lernfeld- und prozessorientierte Lehrpläne zeichnen<br />

sich als offene Curricula dadurch aus, dass ein Teil der Curriculumarbeit<br />

auf die Ebene der Schule verlagert wird. Ausgehend von<br />

einer Klärung des berufspädagogischen Kompetenzbegriffs zeigte<br />

der Referent in 12 Schritten auf, wie Bildungsgangteams mit ihrer<br />

fachwissenschaftlichen und didaktischen Kompetenz und ihrer<br />

Kenntnis der beruflichen Praxis aus Lernfeldern Lernsituationen<br />

generieren können:<br />

• Eingehendes Studium der Zielbeschreibung des betreffenden<br />

Lernfeldes aus dem Rahmenlehrplan und Klärung von Begriffen<br />

• Was ist bezüglich der Zielformulierung gelebte Berufspraxis?<br />

• Vorstellungen von beruflichen Handlungen und fachwissenschaftlichen<br />

Inhalten entwickeln<br />

• Strukturierung der gefundenen beruflichen Handlungen und der<br />

fachwissenschaftlichen Inhalte<br />

• Verständigung über die angestrebte Kompetenzentwicklung der<br />

beruflichen Handlungskompetenz unter Berücksichtigung der<br />

didaktischen Analyse<br />

• Formulieren von Lernsituationen<br />

• Zeitliche und inhaltliche Anordnung der Lernsituationen auf<br />

einem Zeitstrahl<br />

• Abgleich der Lernsituationen mit den Zielen und Inhalten des<br />

Rahmenlehrplans<br />

• Zuordnung von Zeitwerten zu den einzelnen Lernsituationen<br />

• Ermittlung der für die Lernsituation relevanten Vorkenntnisse<br />

der Schüler<br />

• Entfalten der Lernsituation, Ordnen der beruflichen Handlungen<br />

und der fachwissenschaftlichen Inhalte<br />

• Vollständige Handlung beschreiben<br />

Die theoretischen Ausführungen wurden anhand von Beispielen<br />

für Jahresarbeitspläne, Prozess-Modellierung, Lernsituationen und<br />

Modellunternehmen konkretisiert.<br />

Diskussionen lösten insbesondere die Flexibilisierung der LehrerInnenarbeitszeit<br />

durch die Zuordnung von Zeitwerten zu den<br />

einzelnen Lernsituationen, der Einsatz von Software zur Prozessmodellierung,<br />

das Verhältnis einer vorgelagerten fachspezifischen<br />

„Grundbildung“ (z.B. in Buchführung oder Datenverarbeitung)<br />

zur prozessorientierten Fächerintegration sowie die mangelnde<br />

Inhaltsorientierung lernfeldorientierter Lehrpläne aus.<br />

Unterstützungsbedarf der Lehrkräfte, Bildungsgangteams<br />

und Schulen<br />

Zum Abschluss der Veranstaltung stellten die TeilnehmerInnen<br />

einen Forderungskatalog auf, der sich an das Ministerium, das<br />

Pädagogische Landesinstitut und die Schulträger richtet:<br />

Fortbildungsbedarf sahen die TeilnehmerInnen bezüglich der Umsetzung<br />

der Lernfelder in Lernsituationen und Lernaufgaben, der<br />

konkreten unterrichtlichen Umsetzung der Prozessorientierung und<br />

dem Einsatz von ERP-Software. Vor allem jüngere Lehrkräfte mit<br />

wenig Unterrichtserfahrung verlangten konkretere Formulierungen<br />

der Kompetenzen und Inhalte bzw. Handreichungen für die<br />

lernfeldorientierten Lehrpläne. Die in Fortbildungsveranstaltungen<br />

und an den Schulen entwickelten Jahresarbeitspläne, Lernsituationen<br />

und Lernaufgaben sollten in einer PL-Datenbank allen<br />

Fotos: Bert Butzke<br />

BBS-Lehrkräften zugänglich gemacht werden. Gefordert wurden<br />

außerdem Betriebspraktika für Lehrkräfte und duale Fortbildungen<br />

gemeinsam mit Ausbildungsbetrieben. Als besonders dringlich<br />

wurde die Qualifizierung der Lehrkräfte zur Förderung der Lesekompetenz<br />

der SchülerInnen als unverzichtbare Voraussetzung zur<br />

Erreichung des Ausbildungsabschlusses in diesem anspruchsvollen<br />

Ausbildungsberuf angesehen wurde.<br />

Hinsichtlich der Ausstattung ist ebenfalls ein Umdenken erforderlich:<br />

Statt der noch immer vorherrschenden PC- Fachräume, in denen<br />

Auszubildende in Informations- und Textverarbeitung trainiert<br />

werden, müssen die Schulen umstellen auf Multimedia-Räume,<br />

in denen IT-gestützte, prozessorientierte Betriebswirtschaftslehre<br />

unterrichtet werden kann. Dazu gehören eine bessere PC-Ausstattung<br />

oder - übergangsweise - Notebook-Sets. Hinsichtlich der<br />

Software-Ausstattung besteht vor allem Bedarf an Datenkränzen<br />

von Unternehmen.<br />

Eine Umsetzung der neuen Lehrpläne erfordert aus der Sicht der<br />

TeilnehmerInnen auch Veränderungen in der Schulorganisation:<br />

Eine bessere, externe Netz- und PC-Wartung soll die Lehrkräfte<br />

entlasten. Eine stärkere individuelle Förderung der SchülerInnen<br />

soll durch mehr Teilungsmöglichkeiten und Förderunterricht gewährleistet<br />

werden. Basic-Lernfelder und Einstiegsmodule sollen<br />

sicherstellen, dass grundlegende Kompetenzen vor dem Einstieg in<br />

fächerübergreifende Lernaufgaben gesichert sind. Anrechnungsstunden<br />

und die Einplanung von Team-Time sowie flexible Stundenpläne<br />

sollen Bildungsgangteams in die Lage versetzen, gemeinsam die<br />

Umsetzung der Lernfelder in Lernsituationen und Lernaufgaben zu<br />

bewältigen. Vor allem brauchen die Schulen ausreichend Vorlauf,<br />

um die Qualifikation der Lehrkräfte zu sichern und die Erstellung<br />

der Jahresarbeitspläne zu gewährleisten.<br />

Voraussetzung für eine erfolgreiche Ausbildung in diesem anspruchsvollen<br />

neuen Büroberuf ist aus der Sicht der in den Bürofachklassen<br />

unterrichtenden Lehrkräfte eine bessere Grundbildung<br />

der SchülerInnen in der Sekundarstufe I.<br />

Annelie Strack<br />

Vorstandsbereich Berufliche Bildung und Weiterbildung<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />

23


Politik<br />

Noch immer zweierlei Mass<br />

Der Tag des „Radikalenerlasses“ jährte sich zum 40. Mal<br />

Am 28. Januar 2012 jährte sich der Tag des Erlasses eines der<br />

umstrittensten Gesetze in der Bundesrepublik. Die Ministerpräsidentenkonferenz<br />

unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Willy<br />

Brandt beschloss 1972 den sogenannten Radikalenerlass. Mit Hilfe<br />

der „Regelanfrage“ aufgrund dieses Gesetzes wurden mehr als 3,5<br />

Millionen BewerberInnen vom Verfassungsschutz der Länder auf<br />

ihre politische „Zuverlässigkeit“ durchleuchtet. Es kam zu 11.000<br />

offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren,<br />

1.250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen.<br />

Ein Klima der Angst war entstanden.<br />

Das Gesetz sollte verhindern, dass Mitglieder einer linken Partei, wie<br />

etwa der DKP, in den öffentlichen Dienst aufgenommen wurden.<br />

Für viele Berufsgruppen, deren Einstellung an eine Verbeamtung<br />

gekoppelt war - darunter auch Lehrerinnen und Lehrer - bedeutete<br />

das Gesetz de facto ein Berufsverbot. Das alles geschah zu einer Zeit,<br />

in der die Verfassungsschutzämter, das BKA, die Innenministerien,<br />

die Parteien und Ämter der Bundesrepublik durchsetzt waren von<br />

alten Nazis. Während sich der damalige NRW Ministerpräsident<br />

Heinz Kühn (SPD) darum sorgte, dass ohne eine Kontrolle der<br />

„demokratischen Gesinnung“ durch den Verfassungsschutz, Andreas<br />

Baader oder Ulrike Meinhof Lehrer werden könnten, war der<br />

ehemalige NS-Richter Hans Filbinger Ministerpräsident des Landes<br />

Baden-Württemberg.<br />

Prinzipiell rückte jeder in den Fokus, der sich einer linken Gruppe<br />

angeschlossen, Petitionen unterschrieben hatte oder sich in der<br />

außerparlamentarischen Opposition engagierte. Das Spektrum<br />

reichte von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes bis zu<br />

SPD-nahen Studierendenorganisationen. Auch viele Mitglieder der<br />

<strong>GEW</strong> fielen unter das Berufsverbot.<br />

Die Angst vor der falschen Unterschrift oder dem Besuch einer<br />

vermeintlich „radikalen“ Veranstaltung ist bei vielen noch heute<br />

fest verankert.<br />

Duckmäusertum gefährdet die Demokratie. Als ich mein Studium<br />

begann, bekam ich den gut gemeinten Ratschlag, mir gut zu überlegen,<br />

welche Liste ich unterschreibe und wo ich mich engagiere.<br />

Zwei aktuelle Beispiele zeigen, dass die Angst nicht ganz unbegründet<br />

ist. Zwischen den Jahren 2003/2004 versuchte die badenwürttembergische<br />

Landesregierung, gegen den Heidelberger Lehrer<br />

Michael Csaszóczy ein Berufsverbot zu verhängen. Aufgrund seiner<br />

Tätigkeit als Pressesprecher der Antifaschistischen Initiative Heidelberg<br />

zweifelte man an seiner Verfassungstreue. Nach drei Jahren war<br />

es ihm mit Hilfe der <strong>GEW</strong> gelungen, die Einstellung einzuklagen.<br />

Nach weiteren zwei Jahren sprach ihm das Landgericht in Karlsruhe<br />

einen Schadensersatz zu.<br />

Seit der Ernennung von Kristina Schröder zur Bundesfamilienministerin<br />

müssen sich fast alle Initiativen gegen menschenfeindliches<br />

Gedankengut mit der „Extremismusklausel“ herumplagen. Gerade<br />

Initiativen gegen Rechts unterstellt man eine tendenzielle Nähe zu<br />

verfassungsfeindlichen Linken. Mit der Klausel soll erreicht werden,<br />

dass vom Staat geförderte Initiativen sich zum Grundgesetz<br />

bekennen und in Gewähr für ihre Partner treten. Wird die Klausel<br />

abgelehnt, droht das finanzielle Aus. Obwohl eine Vielzahl an<br />

WissenschaftlerInnen, Personen des öffentlichen Lebens und auch<br />

betroffenen Organisationen eine Rücknahme der Klausel fordern,<br />

hält Ministerin Schröder an ihr fest.<br />

Und es geht weiter: Während der Verfassungsschutz bei dem<br />

Zwickauer Nazi-Trio, dem inzwischen mindestens zehn Morde zugeschrieben<br />

werden, jahrelang keine Hinweise auf Rechtsextremismus<br />

fand, kam heraus, dass seit Jahren Abgeordnete der Linkenpartei<br />

observiert werden. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt stellte<br />

sogar die Frage, wieso noch nicht alle 76 Abgeordneten der Linken<br />

observiert würden.<br />

Wir können kein Klima der Angst zulassen! Nach wie vor gilt die<br />

Forderung nach der gänzlichen Abschaffung der Berufsverbote<br />

und nach Rücknahme der Extremistenklausel. Damals wie heute<br />

setzt sich die <strong>GEW</strong> dafür ein. Alle Betroffenen müssen rehabilitiert<br />

werden und einen adäquaten finanziellen Ausgleich erhalten.<br />

Marcel Groth<br />

Marcel Groth, Mitglied Leitungsteam des Landesausschusses Studentinnen<br />

und Studenten (LASS) der <strong>GEW</strong> NRW<br />

24 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012


Generation 60+<br />

Aktives Altern – ein Gewinn für Alle!<br />

Die <strong>GEW</strong> gratuliert …<br />

im Mai 2012<br />

zum 70. Geburtstag<br />

Frau Irene Heister<br />

Untere Zahlbacher Str. 58 b ·55131 Mainz<br />

09.05.1942<br />

Herrn Horst Schneider<br />

Kaethe-Kollwitz-Str. 2 · 67304 Eisenberg<br />

13.05.1942<br />

Herrn Hans Rothenbücher<br />

Eulenhorst 9 · 56112 Lahnstein<br />

19.05.1942<br />

Frau Ulrike Reichelt<br />

Burgunder Str 2 B · 55469 Simmern<br />

20.05.1942<br />

Herrn Gerd Becht<br />

Kurbrunnenweg 39 · 67480 Edenkoben<br />

30.05.1942<br />

zum 75. Geburtstag<br />

Herrn Prof. Dr. Walter Röll<br />

Laurentius-Zeller-Str. 2 · 54294 Trier<br />

10.05.1937<br />

zum 80. Geburtstag<br />

Frau Annemari Lang-Venema<br />

Im Herrngarten 7 · 56368 Katzenelnbogen<br />

14.05.1932<br />

Herrn Kurt Vetter<br />

Roemerring 17 · 55599 Siefersheim<br />

23.05.1932<br />

Frau Elfriede Kiefer<br />

Hanns-Fay-Str.3 · 67227 Frankenthal<br />

29.05.1932<br />

zum 85. Geburtstag<br />

Frau Dorothea Breitenbruch<br />

Hauptstr. 10 · 76831 Billigheim-<br />

Ingenheim<br />

05.05.1927<br />

Zum Beginn des „Europäischen Jahres für aktives Altern und<br />

Solidarität zwischen den Generationen“, das in Berlin mit einer<br />

Auftaktveranstaltung eingeleitet wurde, riefen die Bundesarbeitsgemeinschaft<br />

der Senioren-Organisationen (BAGSO) und die<br />

Forschungsgesellschaft für Gerontologie an der TU Dortmund<br />

(FfG) dazu auf, „Aktives Altern“ in einem umfassenden Sinn zu<br />

verstehen.<br />

„Aktivität ist Voraussetzung für ein gesundes und kompetentes Altern<br />

- und das ist eine lebenslange Aufgabe. Aktives Altern betrifft daher<br />

alle Generationen“, so die BAGSO-Vorsitzende und Gerontologin<br />

Prof. Dr. Ursula Lehr.<br />

Wichtig ist darüber hinaus, ältere Menschen weder einseitig als<br />

Empfänger noch einseitig als Erbringer von Leistungen anzusehen,<br />

sondern ihre Potenziale und Bedarfe gleichermaßen in den Blick<br />

zu nehmen. „Das Europäische Jahr darf nicht dazu beitragen, dass<br />

die Älteren in zwei Gruppen geteilt werden, in die Kompetenten<br />

und die Hilfsbedürftigen“, warnt die frühere Bundesfamilienministerin<br />

Lehr. „Vielmehr müssen wir alle Gruppen im Blick haben,<br />

unabhängig von ihrem Alter, ihrer sozialen Lage, körperlichen und<br />

geistigen Einschränkungen oder ihrem kulturellen Hintergrund.“<br />

Ebenso wenig dürfen wir ältere Menschen auf bestimmte gesellschaftliche<br />

Rollen beschränken. Es ist erfreulich, dass sie heute in<br />

erheblichem Maße Familienarbeit leisten und damit wesentlich zur<br />

Entlastung der mittleren Generation beitragen. Immerhin engagiert<br />

sich ein Drittel von ihnen auch außerhalb der Familie ehrenamtlich.<br />

„Nachholbedarf haben wir in Deutschland nach einer langen<br />

Phase der Frühverrentungspolitik bei der Integration Älterer in<br />

den Arbeitsmarkt“, so der Sozialgerontologe und Leiter des FfG,<br />

Prof. Dr. Gerhard Naegele. „Wichtige Rollen übernehmen ältere<br />

Menschen aber auch durch ihr politisches Engagement oder bei der<br />

Weiterentwicklung von Produkten und Dienstleistungen. Hier sind<br />

sie Experten in eigener Sache.“<br />

Es ist sinnvoll, aber nicht ausreichend, für ein aktives Altern im<br />

Sinne einer Selbst- und Mitverantwortung für andere zu werben.<br />

„Entscheidend sind das Setzen von Rahmenbedingungen und das<br />

Schaffen von Angeboten zum Mitmachen, zum Aktiv-Werden, zum<br />

Sich-Einmischen“, so Naegele.<br />

Ältere Menschen sind bereit, ihren Beitrag zur Solidarität zwischen<br />

den Generationen zu leisten. Umgekehrt sollten diejenigen, die zur<br />

jungen oder mittleren Generation gehören, auch Solidarität mit<br />

den Älteren zeigen und wachsam gegenüber möglichen Altersdiskriminierungen<br />

sein.<br />

pm<br />

zum 86. Geburtstag<br />

Frau Irene Gehrlein<br />

Oselbachstr. 23 · 66482 Zweibrücken<br />

01.05.1926<br />

Frau Eugenie Serr<br />

Amrichshäuser Str.10 · 74653 Künzelsau<br />

06.05.1926<br />

Herrn Walter Edinger<br />

Am Neuberg 5 · 67808 Mörsfeld<br />

21.05.1926<br />

zum 89. Geburtstag<br />

Herrn Erich Morgenstern<br />

Glanstr 11 · 66914 Waldmohr<br />

18.05.1923<br />

zum 90. Geburtstag<br />

Herrn Dr. Hans Pfaffenberger<br />

Irminenfreihof 2 · 54290 Trier<br />

27.05.1922<br />

zum 95. Geburtstag<br />

Frau Inge Dreyer<br />

Wiedstr 6 · 57627 Hachenburg<br />

07.05.1917<br />

Der Landesvorstand<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />

25


Brief an die Redaktion / Tipps + Termine<br />

„Thema verfehlt. Setzen Sechs!“<br />

Betr.: <strong>GEW</strong>-Zeitung 3/12<br />

Die AQS hat auch unsere Schule besucht und einen tollen,<br />

bunten Bericht verfasst. Beim Lesen des Berichtes wird<br />

aber schnell klar, dass mit diesem Papier nicht wirklich<br />

viel angefangen werden kann. Wie auch, denn „für die<br />

verschiedenen Kriterien von Schulqualität, die mit Hilfe<br />

des Beobachtungsbogens „Einblicknahme in die Lehrund<br />

Lernsituation (ELL)“ sowie den Fragebögen erfasst<br />

werden, wird jeweils ein Mittelwert berechnet, der den<br />

Durchschnittswert der jeweiligen Befragungsgruppe<br />

(externe Beobachtungspersonen, Schülerinnen und<br />

Schüler, Eltern und Sorgeberechtigte oder Lehrkräfte)<br />

angibt“ (AQS-Bericht, S. 10). Ich stelle fest: Im Mittel<br />

sind wir wirklich gut. Toll, doch ist mein Unterricht jetzt<br />

ein Jahr später dadurch besser geworden? Kann ich damit<br />

meine persönlichen Defizite aufarbeiten und Probleme in<br />

Zukunft besser lösen? Wer hilft dem einzelnen Kollegen?<br />

Wie soll ich, er oder sie es angehen?<br />

Was nutzt es mir, wenn der Bericht feststellt, „ein Einsatz<br />

neuer Medien im Unterricht wurde im Rahmen der Einblicknahmen<br />

kaum vermerkt.“ Wie auch, wenn zu wenig<br />

neue Medien vorhanden sind?<br />

Das Geld für die AQS könnte sich das Land getrost sparen<br />

und für die Schaffung neuer Stellen oder als Gehaltserhöhung<br />

für die Beamten ausgeben. Und damit bin ich<br />

beim zweiten Thema:<br />

Hier möchte ich mich bei der Redaktion bedanken. Zum<br />

einen, weil sie mich gut informiert hat. Jetzt weiß ich nämlich,<br />

dass ich in den nächsten 2 bis 3 Jahren noch nicht<br />

einmal ein Prozent, sondern nur 0,5 % Besoldungserhöhung<br />

zu erwarten habe (S. 21, <strong>GEW</strong>-Zeitung 03/2012).<br />

Zum anderen, weil sie den - sehr kritischen - offenen Brief<br />

an den <strong>GEW</strong>-Vorstand veröffentlicht hat, dem ich mich<br />

gerne anschließe. Was hat meine Gewerkschaft gegen<br />

diese Ungerechtigkeit unternommen? Was gedenkt sie<br />

zukünftig zu tun?<br />

Ich erwarte, dass wir uns Gedanken darüber machen,<br />

welche Maßnahmen wir als Beamte gegen diese Abkoppelung<br />

von der allgemeinen Lohnentwicklung ergreifen<br />

können. Wäre es nicht an der Zeit, die Urteile zum Beamtenstreikrecht<br />

mal in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> einem Praxistest<br />

zu unterziehen?<br />

Ich finde es unerträglich, dass unser Land ständig mehr<br />

Qualität in den Schulen fordert, aber gleichzeitig dieses<br />

Mehr an Qualität, was letztlich auch ein Mehr an Arbeitszeit<br />

mit sich bringt, fünf Jahre lang mit weniger Reallohn<br />

„belohnen“ möchte. Ich finde es unerträglich, dass ein<br />

Fußballstadion in Kaiserslautern oder ein Vergnügungspark<br />

am Nürburgring mit Millionen an Steuergeldern<br />

ausgebaut werden, aber meine Kommune kein Geld hat,<br />

die Schulen mit einem Mindestmaß an Ausstattung zu<br />

versehen.<br />

Wie pflegte mein alter Deutschlehrer zu sagen: „Schöner<br />

Aufsatz, aber Thema verfehlt. Setzen Sechs!“<br />

Lothar Spilke, Neustadt an der Weinstraße<br />

Filme, wie Integration gelingt<br />

„Fremd und doch vertraut - Wie Integration gelingt“<br />

heißt eine dreiteilige Serie (jeweils 30 min) des Landauer<br />

Filmemachers Paul Schwarz. Am Beispiel der Handlungsfelder<br />

Integrationskurse, Berufliche Integration und<br />

Integration durch Sport wird deutlich, welche Integrationsanstrengungen<br />

in Deutschland unternommen werden,<br />

um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen an allen<br />

Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu ermöglichen.<br />

Der Integrationskurs ist seit 2005 für alle Zuwanderinnen<br />

und Zuwanderer verpflichtend. Er umfasst 600<br />

Unterrichtsstunden und ist mit anderen Förderangeboten<br />

und Einrichtungen vernetzt. Seit 2005 gibt die Bundesrepublik<br />

Deutschland eine Milliarde Euro für die stark<br />

nachgefragten Integrationskurse aus.<br />

Am Beispiel der Münchener Hauptschule Wörthstraße<br />

erhalten die Zuschauer einen Einblick, wie ausländische<br />

Jugendliche Kompetenzen für Schule und Beruf erwerben.<br />

Außerdem ist der Zuschauer in einem Kurs dabei,<br />

der vom Europäischen Sozialfond gefördert wird und<br />

der Migranten hilft, sich in den ersten Arbeitsmarkt zu<br />

integrieren.<br />

Integration durch Sport: Ob die 42jährige Türkin Emsal<br />

26 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012


Tipps + Termine<br />

Ay mit ihrem Kurs „Selbstverteidigung und Selbstbehauptung<br />

für junge Migrantinnen“ und ihrer beruflichen Tätigkeit<br />

als Erziehungsberaterin in deutschen Familien oder<br />

der Afghane Reschad Raschidi mit Taekwandoo, anfangs<br />

in der Förderschule, jetzt in der Oberstufe einer Hamburger<br />

Gesamtschule, oder die 70jährige Eva Romanova<br />

aus der Ukraine und fleißige Sportlerin bei den „Grauen<br />

Rosen“, einer Fitnessgruppe älterer Migrantinnen in Saarbrücken,<br />

sie alle unterstreichen, dass dank der deutschen<br />

Förderung auf zahlreichen Gebieten und dank der eigenen<br />

Anstrengungen Integration gelingt - und dies bei sicher 90<br />

Prozent aller hier lebenden Migrantinnen und Migranten.<br />

Die Dreierserie ist auf einer konfektionierten DVD kostenlos<br />

über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge<br />

in Nürnberg zu erhalten.<br />

pm<br />

<strong>GEW</strong>-Reisen nach Nicaragua<br />

Gleich drei <strong>GEW</strong>-Landesverbände bieten in diesem<br />

Sommer und Herbst Reisen nach Nicaragua an, die<br />

auch für <strong>GEW</strong>-Kolleginnen und Kollegen aus anderen<br />

Landesverbänden offen stehen:<br />

Delegationsreise León und Nicaragua<br />

Besuch Hamburger Partnerschulen und mehr<br />

19.6. - 15.7.2012<br />

<strong>GEW</strong> Hamburg, Mittelamerikagruppe<br />

http://www.gew-hamburg.de/sites/default/files/hlz/<br />

artikel/1-2-2012/08-magazin-nicaragua.pdf<br />

Nicaragua erleben!<br />

Projekt- und Bildungsreise nach Nicaragua<br />

16.7. - 31.7.2012<br />

Pan y Arte und <strong>GEW</strong> NRW<br />

http://panyarte.de/uploads/media/Infoblatt_Projektreise_<strong>GEW</strong>_Juli_2012_01.pdf<br />

Studienreise Nicaragua<br />

Managua, Granada, Masaya, Jinotepe,<br />

Diriamba, San Juan del Sur<br />

14.10.2012 - 27.10.2012<br />

lea bildungsgesellschaft - <strong>GEW</strong> Hessen<br />

https://lea-bildung.de/index.php?id=120<br />

gew<br />

„Inklusion als Menschenrecht“<br />

Ein Online-Handbuch „Inklusion als Menschenrecht“<br />

haben das Deutsche Institut für Menschenrechte und<br />

die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“<br />

erarbeitet und unter www.inklusion-als-menschenrecht.<br />

de ins Netz gestellt.<br />

Mit diesem Handbuch steht eine umfassende Sammlung<br />

an Informationen, Rechtstexten, Spielen und didaktische<br />

und methodische Überlegungen zu den Themen Inklusion,<br />

Behinderung und Menschenrechte zur Verfügung.<br />

Zielgruppe des Handbuches sind PädagogInnen in<br />

Schulen, in Kindertagesstätten, in Hochschulen und<br />

in Jugendzentren. Die Inhalte des Online-Handbuches<br />

sollen helfen, die Barrieren in den Köpfen abzubauen<br />

und Inklusion als gesellschaftlichen (Bildungs)Auftrag<br />

umzusetzen.<br />

Die angebotenen Materialien können entsprechend der<br />

Gruppengröße, den Lernkontexten und den Bedürfnissen<br />

der Lernenden ausgewählt und modifiziert werden.<br />

d.r.<br />

Wie Empathie Kinder stark macht<br />

„Miteinander. Wie<br />

Empathie Kinder stark<br />

macht“, 1. Aufl. 2012,<br />

159 S., 14,95 Euro,<br />

Beltz-Verlag, ISBN<br />

978-3-407-85942-6<br />

Empathie ist die „härteste Währung“ der Welt, so formulieren<br />

es Jesper Juul und Peter Hoeg in ihrem im Beltz-<br />

Verlag erschienenen Buch „Miteinander. Wie Empathie<br />

Kinder stark macht“. Darin stellen die beiden Autoren<br />

gemeinsam mit vier weiteren Experten aus den Bereichen<br />

Psychologie und Erziehung ein ganzheitliches Konzept<br />

vor, wie Kinder gestaltend an ihrer Welt teilnehmen<br />

können, ohne von ihrem Tempo und ihren Erwartungen<br />

erdrückt zu werden.<br />

„Miteinander“ liefert viele praktische Übungen, wie die<br />

Empathie von Kindern gestärkt und ihre Entwicklung<br />

in Familie und Schule positiv beeinflusst werden kann,<br />

und ist ein Manifest für mehr Empathie und Freundlichkeit<br />

für den anderen - unerlässlich für unser globales<br />

Zusammenleben.<br />

pm<br />

Pfingsttreffen<br />

schwuler Lehrer<br />

Bereits zum 33. Mal findet vom 25. bis 28. Mai 2012<br />

das alljährliche Pfingsttreffen schwuler Lehrer zum<br />

Erfahrungsaustausch in Göttingen statt. Eingeladen<br />

sind Lehramtsstudenten, Referendare und Kollegen<br />

im Schuldienst. Die Veranstaltung organisiert die AG<br />

Schwule Lehrer der <strong>GEW</strong> Berlin gemeinsam mit der<br />

Akademie Waldschlösschen.<br />

Programm und Anmeldung über: www.waldschloesschen.org<br />

und www.schwulelehrer.de.<br />

pm<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />

27


Tipps + Termine / Kreis + Region<br />

Weiterbildung Freinet-Zertifikat<br />

Die Freinet-Kooperative bietet unter der Schirmherrschaft<br />

von Enja Riegel eine zweijährige berufsbegleitende Weiterbildung<br />

„Theorie und Praxis der Freinet-Pädagogik“ an.<br />

Die Weiterbildung hat das Ziel, die TeilnehmerInnen zu<br />

befähigen, im Sinne der Pädagogik Célestin Freinets tätig<br />

zu sein. Sie stellt eine umfassende berufsbegleitende Zusatzausbildung<br />

dar, ist aber kein Ersatz für eine staatliche<br />

Ausbildung. Sie endet mit der Verleihung eines Zertifikats.<br />

Die Einführung und der erste Baustein finden vom 05.<br />

- 09.12.2012 statt.<br />

Die TeilnehmerInnen arbeiten wie in einer freinet-pädagogischen<br />

Lerngruppe, in dem sie sich folgende sieben<br />

Bausteine erarbeiten:<br />

1. Freier Ausdruck;<br />

2. Demokratie leben und lernen;<br />

3. Verlasst die Übungsräume;<br />

4. Natürliche Methode - forschendes und entdeckendes<br />

Lernen;<br />

5. Heterogenität als Lernchance;<br />

6. Leistung zeigen - Dokumentation und Präsentation;<br />

7. Hospitationen und Teilnahme an einer frei gewählten<br />

Freinet-Veranstaltung im Zeitraum von 2011 - 2013<br />

Nähere Informationen und Anmeldung:<br />

Freinet-Kooperative e.V., Sielwall 45, 28203 Bremen<br />

Tel: 0421-344 929<br />

mail@freinet-kooperative.de, www.freinet-kooperative.de<br />

Anmeldeschluss: 15. Juni 2012<br />

Der Spickzettel dominiert weiterhin<br />

Die Lernplattform CoboCards.de führte kürzlich eine<br />

Umfrage zum Schummelverhalten deutscher SchülerInnen,<br />

StudentInnen und Azubis durch. Der Fragebogen<br />

ging an insgesamt 22.432 Newsletter-Empfänger. Das<br />

Ergebnis dürfte vor allem Lehrkörper interessieren. 77%<br />

geben an, regelmäßig in einer Prüfung zu schummeln.<br />

Über die Hälfte der TeilnehmerInnen wurde dabei noch<br />

nie erwischt.<br />

Wer kennt das nicht? Ein Tag vor der Prüfung. Die Lerninhalte<br />

sitzen, man fühlt sich bereit. Doch dann diese<br />

Zweifel. Vielleicht doch nicht einen Spickzettel mitnehmen?<br />

So denken 72% der Schummler und nehmen gerne<br />

einen Spickzettel mit in die Prüfung. Trotz des Zeitalters<br />

der Smartphones dominiert dieses klassische Schum-<br />

melinstrument. Gefolgt von ganzen Unterlagen (42%)<br />

und Körperteilen (33%). Elektronische Hilfsmittel wie<br />

Handys kommen selten zum Einsatz (9%). Vermutlich<br />

deshalb, weil viele Schulen das Mitbringen dieser erst<br />

gar nicht erlauben.<br />

Die Umfrage hat auch ergeben, dass 35% der TeilnehmerInnen<br />

Prüfungsunterlagen schon vor einer Prüfung<br />

in den Händen hielten und 4% noch nie in ihrem Leben<br />

für eine Prüfung gelernt haben, sich jedoch immer durchmogeln.<br />

Sollte dennoch einmal gelernt werden, spielt das<br />

Geschlecht bei der Auswahl der Lernpartner für viele<br />

eine entscheidende Rolle. Unter den „Lieber mit Jungs“<br />

Antwortenden befinden sich 90% Mädchen. Bei Jungs<br />

ist dieser Wert etwas geringer (77% lieber mit Mädchen).<br />

pm<br />

Kreis + Region<br />

Kreis Ludwigshafen/Speyer<br />

Rot-Grüne Bildungspolitik: nur ein<br />

kleiner Hoffnungsschimmer<br />

Am 23. Februar war es wieder mal soweit: Die satzungsgemäß notwendige<br />

Mitgliederversammlung des Kreisverbandes Ludwigshafen/<br />

Speyer fand unter sehr großem Zuspruch statt. Die fristgerecht<br />

verschickte Tagesordnung, die Berichte aus der Arbeit des Kreises,<br />

Wahlen der Delegierten zum Landesgewerkschaftstag, eine Stellungnahme<br />

des Landesvorsitzende Klaus-Peter Hammer zur rot-grünen<br />

Bildungspolitik und die Jubilarehrungen ankündigte, war wohl<br />

so attraktiv, dass alle Plätze im großen Saal des Gasthauses „Alte<br />

Turnhalle“ in Ludwigshafen-Oggersheim besetzt waren.<br />

Die Berichte aus der Arbeit des Kreisverbandes wurden abwechselnd<br />

von Sabine Weiland, Birgit Wolsdorfer und Gerald Hebling vom<br />

Vorsitzendenteam vorgetragen, alles gekonnt unterstützt durch eine<br />

Power-Point-Präsentation.<br />

Die Streikunterstützung der <strong>GEW</strong> für die Arbeiter der Firma KBA<br />

in Frankenthal, die sich gegen die Verlagerung ihrer Arbeitsplätze<br />

wehrten, wurde in einem dreiminütigen Kurzfilm dokumentiert.<br />

Besonders hervorzuheben ist dieses Engagement, da es an einem<br />

Pfingstmontag stattfand.<br />

Ein voller Erfolg war die Aktion „Leinen los - LehrerInnen los - arbeitslos???“<br />

der <strong>GEW</strong> Ludwigshafen-Speyer, die sich gegen die Kürzung<br />

der Anzahl der Vertretungsverträge kurz vor den Sommerferien<br />

richtete. Dazu wurde ein Schiff für eine Protestfahrt auf dem Rhein<br />

gechartert. SchülerInnen und LehrerInnen zeigten gemeinsam ihren<br />

Unmut über diese unverständliche Entscheidung der Bildungsministerin.<br />

In den Medien fand diese Aktion landesweite Beachtung.<br />

Rund 200 KollegInnen nahmen an der gemeinsamen Personalversammlung<br />

der Ludwigshafener Schulen im Heinrich-Pesch-Haus<br />

im Oktober teil. Das 1. Dienstrechtsänderungsgesetz und seine<br />

Verschlechterungen für die KollegInnen waren Inhalt dieser Veranstaltung,<br />

über die in der <strong>GEW</strong>-Zeitung im Dezember ausführlich<br />

berichtet wurde.<br />

28 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012


Kreis + Region<br />

Insgesamt sei festzustellen, dass der Bildungsbereich permanent zu<br />

knapp mit Mitteln ausgestattet ist. <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> liege bei der<br />

Bildungsfinanzierung im Ländervergleich in der BRD im unteren<br />

Drittel.<br />

Die Wahl der Delegierten zum Landesgewerkschaftstag ging völlig<br />

problemlos über die Bühne, da der Kreis 7 Delegierte entsenden<br />

kann, aber 14 Vorschläge zur Wahl standen.<br />

Auch an den Protestveranstaltungen des Landesverbandes im November<br />

beteiligte sich der Kreis Ludwigshafen-Speyer. Rund 70<br />

KollegInnen fuhren mit nach Mainz, um den <strong>GEW</strong>-Landesvorstand<br />

in seinen Bemühungen zu unterstützen, der Landesregierung zu<br />

zeigen, dass die BeamtInnen nicht gewillt sind, weitere Verschlechterungen<br />

ihrer sozialen Standards und ihrer Arbeitsbedingungen<br />

hinzunehmen.<br />

Auch Klaus-Peter Hammer nahm zu den Verschlechterungen der sozialen<br />

Standards der BeamtInnen Stellung. In den letzten 20 Jahren<br />

seien kontinuierlich „Privilegien“ abgebaut worden. Dabei verwies<br />

er auf die Einschränkungen bei der Kostenerstattung der Beihilfe,<br />

die jährlich fällige Selbstbeteiligung und der monatliche Beitrag zu<br />

den Wahlleistungskosten, die zum 01.01.12 verdoppelt wurden.<br />

Die Festschreibung der Besoldungserhöhung auf 1% jährlich für die<br />

nächsten 5 Jahre im 1. Dienstrechtsänderungsgesetz verhindere, dass<br />

die BeamtInnen ihre sozialen Standards mit der Landesregierung<br />

verhandeln können. Sie würden schlichtweg als ArbeitnehmerInnen<br />

entmündigt. Aus diesem Grund sei es dringend notwendig, dass<br />

auch BeamtInnen das Streikrecht erhalten, um drohende weitere<br />

Verschlechterungen verhindern zu können. Da die <strong>GEW</strong> die einzige<br />

Lehrerorganisation ist, die das Streikrecht für BeamtInnen fordere,<br />

erscheine es sinnvoll, das Urteil des europäischen Gerichtshofes für<br />

Menschenrechte zu diesem Thema abzuwarten.<br />

Eine erste Bilanz der <strong>GEW</strong> zur rot-grünen Bildungspolitik zog der<br />

Landesvorsitzende auch. Für die positive Ausgestaltung der Bildungspolitik<br />

sieht Hammer nur einen kleinen Hoffnungsschimmer,<br />

da die in der Verfassung festgelegte Schuldenbremse für das Land alle<br />

Parteien gleichermaßen binde. Deshalb sei es zu begrüßen, dass die<br />

Schülertransportkosten für alle Schularten vom Land getragen werden,<br />

auch wenn dies erst durch ein Gerichtsurteil erzwungen wurde.<br />

Positiv zu werten sei auch die Absenkung der Klassenmesszahlen in<br />

der Grundschule auf 24 SchülerInnen pro Klasse.<br />

Die Einstellungssituation für GS-LehrerInnen werde zukünftig sehr<br />

schwierig werden, da die Zahl der GrundschülerInnen weiter sinke.<br />

Eine Umqualifikation zu FÖS-LehrerInnen sei eine Möglichkeit,<br />

die Einstellungssituation etwas zu entspannen. Nur im BBS-Bereich<br />

bestehe nach wie vor ein genereller Bedarf an LehrerInnen. Für die<br />

Hochschulen in RLP gelte: Sie sind permanent unterfinanziert.<br />

Großer Mangel an Fachkräften herrsche im Kita-Bereich. Aber junge<br />

Menschen für den Beruf der ErzieherInnen zu gewinnen, scheitere<br />

an der bestehenden Diskrepanz zwischen hohem Leistungsanspruch,<br />

starker Arbeitsbelastung und geringer Bezahlung. Durch „Seiteneinsteiger“<br />

werde versucht, die angespannte Situation zu mildern.<br />

Aber der Erfolg dieser Maßnahme sei noch abzuwarten.<br />

2012 waren es insgesamt 176 JubilarInnen, die für 25, 30, 40, 50<br />

und mehr Jahre Zugehörigkeit zur <strong>GEW</strong> geehrt wurden.<br />

Allerdings konnten die Ehrenurkunden und das Weinpräsent nur<br />

an 37 anwesende JubilarInnen überreicht werden. Der Landesvorsitzende<br />

und die Mitglieder des Kreisvorstandsteams hatten trotzdem<br />

alle Hände voll zu tun. Dank der digitalen Fototechnik erhielten<br />

die JubilarInnen als besondere Draufgabe auch gleich noch ein<br />

Gruppenfoto ihres jeweiligen Jubiläumsjahrgangs.<br />

Den verhinderten KollegInnen wird die Ehrenurkunde und das<br />

Weinpräsent zugesandt.<br />

Die folgenden anwesenden <strong>GEW</strong>-Jubilare wurden geehrt<br />

• für 25 Jahre Mitgliedschaft: Silvia Alter, Berthold Erb, Brigitte<br />

Hipp-Schreiner, Brigitte Kren, Ursula Magin, Rainer Rahn,<br />

Heinrich Schlosser, Nikolaus Schneider, Sabine Weiland, Ilse<br />

Zimmermann<br />

• für 30 Jahre Mitgliedschaft:<br />

Jörg Albert, Gudrun Biehl, Siegward Dittmann, Kristiane Erdmann-<br />

Luz, Dorothee Limburg-Stemmler, Cornelia Meurer, Jochen Mogler,<br />

Wilfried Pfliegensdörfer, Karl Theis<br />

• für 40 Jahre Mitgliedschaft:<br />

Boris Bebber, Gerlinde Bensch, Erich Eberts, Kurt Gehres, Ewald<br />

Imhof, Doris Kleinhans-Schwamb, Eva Kucharski, Robert Ludwig,<br />

Volker Rebholz, Gertraude Scheurlen, Helmut Schäfer, Jutta Stephany,<br />

Helmut Thyssen, Stefanie Thyssen, Gerd Vogel, Willi Weinerth<br />

• für 50 Jahre Mitgliedschaft:<br />

Reiner Hartmann, Hansmartin Weber<br />

Reiner Hartmann (2.v.l.) und Hansmartin Weber (3. v.l.) wurden für<br />

50 Jahre Mitgliedschaft geehrt. Fotos: Hnida-Eichenlaub<br />

Die Ehrungen wurden unterbrochen, umrahmt und musikalisch<br />

kommentiert von Blandine Bonjour und Bernd Köhler mit ihren<br />

internationalen, politischen Chansons. So wurden die JubilarInnen<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />

29


Kreis + Region<br />

mit 40 Jahren <strong>GEW</strong>-Zugehörigkeit mit dem Volkslied „Die Gedanken<br />

sind frei“ daran erinnert, dass ihr Gewerkschaftseintritt in<br />

die Zeit der Berufsverbote fiel. Durch lautes Mitsingen stimmten<br />

die KollegInnen den beiden KünstlerInnen und dem Liedtext zu.<br />

U.K.<br />

Anlässlich der Bezirksfachgruppensitzung am 14. Februar 2012 hat<br />

die Fachgruppe Berufsbildende Schulen des Bezirks Koblenz Markus<br />

Henrich zum Bezirksfachgruppenvorsitzenden und Dr. Marcel Sommer<br />

zum stellvertretenden Bezirksfachgruppenvorsitzenden gewählt.<br />

Henrich und Sommer beabsichtigen, die Fachgruppe als Team zu<br />

führen und wollen beim kommenden Bezirksgewerkschaftstag einen<br />

entsprechenden satzungsändernden Antrag stellen, um die Leitung<br />

von Gremien in Teams zu ermöglichen. Die beiden Neugewählten<br />

versprechen eine Wiederbelebung der Fachgruppenarbeit. Sie betonen,<br />

dass sie auf den Dialog mit den Mitgliedern großen Wert legen<br />

und gezielt auf den Unterstützungsbedarf der einzelnen Mitglieder<br />

eingehen sowie verstärkt Informations- und Fortbildungsveranstaltungen<br />

anbieten wollen.<br />

Dass es dabei mehr als genug Betätigungsfelder gibt, zeigten die<br />

einzelnen Punkte auf der Tagesordnung vom 14. Februar: Vorbereitung<br />

des Landesgewerkschaftstages im Mai, Anträge des Bezirksgewerkschaftstages<br />

und der Landesfachgruppe BBS, Vorbereitung<br />

der Landesfachgruppenkonferenz am 29. Februar, HPR-, BPR- und<br />

ÖPR-Wahlen 2013, Verhältnis zwischen BBS und Realschule plus.<br />

Zur Person: Markus Henrich (Foto rechts), Jahrgang 1973, verh.,<br />

Studienrat an der BBS Montabaur, unterrichtet die Fächer BWL,<br />

Informatik und evangelische Religion, Kreisfachgruppensprecher<br />

BBS des <strong>GEW</strong>-Kreisverbandes Westerwald.<br />

Zur Person: Dr. Marcel Sommer (Foto links), Jahrgang 1970, unterrichtet<br />

Deutsch, Französisch und Spanisch an der BBS Wirtschaft<br />

Bad Kreuznach. Er ist <strong>GEW</strong>-Vertrauensmann an seiner Schule sowie<br />

Kreisfachgruppensprecher BBS des <strong>GEW</strong>-Kreises Bad Kreuznach.<br />

pm<br />

Am 29. Februar 2012 hat Ulrich Hinz, Geschäftsführer der Bundes-<br />

<strong>GEW</strong>, unserem Mitglied Klaus Beck (Kreis Ludwigshafen-Speyer)<br />

im „Brechts“, einem Restaurant am Schiffbauerdamm in Berlin, die<br />

Urkunde für 40jährige Mitgliedschaft in der <strong>GEW</strong> überreicht. Klaus<br />

Beck ist DGB-Bundesvorstandssekretär, damit der „ranghöchste“<br />

DGB-Mitarbeiter unterhalb des fünfköpfigen Vorstands.<br />

Bezirk Koblenz<br />

BFG BBS hat neue Vorsitzende<br />

Kreis Westerwald<br />

MV mit Lutz Zahnhausen<br />

Zwei Schwerpunkte hatte die Mitgliederversammlung des KV<br />

Westerwald am 23. Februar in Westerburg: Zunächst musste der<br />

KV „seine Hausaufgaben“ im Vorfeld des Landesgewerkschaftstages<br />

erledigen. Dazu wurden Anträge auf den Weg gebracht, welche die<br />

Arbeits- und Unterrichtsbedingungen in den Grundschulen und den<br />

Realschulen plus verbessern sollen, und Delegierte gewählt. Neben<br />

Angelika Müller-Schemann als Vertreterin der Landesfachgruppe<br />

Förderschulen und Hartmut Lehmann als Kreisvertreter werden<br />

Antje Krause und Ahmet Yildiz zum Gewerkschaftstag entsandt.<br />

Mit „IGS in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> - Zwischenbilanz und Perspektiven“<br />

nahm man sich eines bisher im Westerwald recht stiefmütterlich<br />

behandelten Themas an. Als Referent konnte mit Lutz Zahnhausen,<br />

dem Vorsitzenden des KV Koblenz-Mayen, ein Kenner der Materie<br />

gewonnen werden.<br />

Lutz, seit 13 Jahren Lehrer an einer Integrierten Gesamtschule<br />

und Vorsitzender des Hauptpersonalrats IGS, zeigte den Weg der<br />

IGS in unserem Bundesland von vier Modellschulen 1973 bis zu<br />

den 54 heute detailliert auf. Er informierte über die Antragswege,<br />

die Vorbereitungsarbeit der Planungsgruppen sowie die Formen<br />

der Differenzierung und Zusammenarbeit. Bemerkenswert dabei<br />

ist, dass die ideologischen Kämpfe der 70er Jahre so gut wie keine<br />

Rolle mehr spielen, nachdem auch CDU-dominierte Stadt- oder<br />

VG-Räte Anträge auf Integrierte Gesamtschulen stellen, wenn nur so<br />

alle Schulabschlüsse in ihrem Verantwortungsbereich sichergestellt<br />

werden können.<br />

30 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012


Kreis + Region<br />

Kreis Rhein-Lahn<br />

Gliederungsplan und Herbststatistik<br />

Da seit zwei Jahren mit Selters erst eine IGS im Westerwaldkreis<br />

existiert, wird sich der Kreisverband weiter mit dem Thema beschäftigen.<br />

Nach einer lebhaften Fragerunde fasste Lutz Zahnhausen<br />

zusammen: „Haben wir über ein futuristisches Modell gesprochen?<br />

- Nein. Die ’Schule für Alle‘ ist in der Normalität angekommen.“<br />

Hartmut Lehmann<br />

Kreise Pirmasens, Kusel + Zweibrücken<br />

Studienfahrt nach Leipzig<br />

Im Herbst veranstalten die <strong>GEW</strong>-Kreise Pirmasens, Kusel und<br />

Zweibrücken eine Studienfahrt nach Leipzig. Die gemeinsame<br />

Durchführung einer Studienfahrt in den Herbstferien ist mittlerweile<br />

für die drei <strong>GEW</strong>-Kreise zur Tradition geworden.<br />

Start ist am 30.09.2012 in Zweibrücken. Die Fahrt im 4-Sterne Ferienbus<br />

geht über Eisenach nach Leipzig. Auf der Wartburg wird ein<br />

Zwischenstopp eingelegt. Hier erwartet die ReiseteilnehmerInnen<br />

eine Führung; auch ist ein kurzer Aufenthalt in der Luther-Stadt<br />

Eisenach geplant. Die Übernachtungen für 5 Tage sind im 4*-Hotel<br />

Ramada City in Leipzig gebucht.<br />

Am zweiten Tag erwartet die TeilnehmerInnen eine Ganztagsbesichtigung<br />

von Leipzig unter örtlicher Reiseführung. Zu Fuß und mit<br />

dem Bus wird das geschichtliche, literarische und musikalische Leipzig<br />

erkundet. Unter anderem steht der Besuch der Nikolaikirche,<br />

der Mädler-Passsage mit Auerbachs Keller, der Thomaskirche mit<br />

dem Bachdenkmal, das Völkerschlachtdenkmal und vieles mehr an.<br />

Der nächste Tag steht im Zeichen der Weinregion Saale-Unstrut.<br />

Zuerst geht es in die Domstadt Naumburg, wo eine Stadtführung<br />

stattfindet. Anschließend führt die Fahrt in das bezaubernde<br />

Winzerstädtchen Freyburg am Ufer der Unstrut. Danach steht der<br />

Besuch der Schlossstadt Merseburg an der Straße der Romantik an.<br />

Der vierte Tag steht den TeilnehmerInnen zur freien Verfügung. Am<br />

Tag kann jeder Leipzig nach seinem Geschmack erkunden. Abends<br />

ist ein gemeinsames Essen in Auerbachs Keller geplant.<br />

Am letzten Tag geht die Fahrt nach Weimar, der Stadt der deutschen<br />

Klassik. Hier kann noch auf den Spuren Goethes und Schillers<br />

gewandelt werden. Nach der Mittagspause geht es wieder zurück<br />

nach Zweibrücken.<br />

Informationen und Anmeldungen für die Fahrt sind erhältlich beim<br />

<strong>GEW</strong>-KV Zweibrücken, Gregor Simon, Schweizer Ring 6, 66482<br />

Zweibrücken. Info-Material erhalten Interessenten auch per E-Mail:<br />

gregor.simon@gew-rlp.de.<br />

gs<br />

Über vorläufigen Gliederungsplan und Herbststatistik 2012 informierte<br />

Dieter Roß, Leiter der <strong>GEW</strong>-Rechtsschutzstelle, bei einer<br />

Fortbildungsveranstaltung des <strong>GEW</strong>-Kreises Rhein-Lahn.<br />

Für die nicht selten anzutreffende Hektik im Zusammenhang<br />

mit den Statistikterminen besteht überhaupt kein Grund. Denn<br />

jede Schule erhält ca. vier bis sechs Wochen vor dem jeweiligen<br />

Meldetermin ihre spezielle Excel-Datei von der Schulbehörde auf<br />

elektronischem Wege zugesandt. Die Schulleitung kann dann dem<br />

örtlichen Personalrat eine elektronische Kopie dieser Datei übergeben,<br />

damit dieser sich einlesen kann. Gleichzeitig sollte Schulleitung<br />

und Personalrat die Verfahrensschritte der Information und<br />

der Erörterung terminieren. Bei den allgemeinbildenden Schulen<br />

ist der vorläufige Gliederungsplan in der Regel im März und der<br />

endgültige - auch Herbststatistik genannt - ca. drei Wochen nach<br />

Unterrichtsstart nach den Sommerferien an die ADD abzusenden.<br />

Im vorläufigen Gliederungsplan werden im G-Bogen die erwarteten<br />

Schülerzahlen der einzelnen Klassenstufen für das kommende<br />

Schuljahr eingegeben, in der Herbststatistik die tatsächlichen. Die<br />

rechnerisch zu bildenden Klassen und notwendigen Lehrerwochenstunden<br />

werden selbstständig errechnet. Erforderliche zusätzliche<br />

Lehrerstunden werden angegeben und so das SOLL an Lehrerstunden<br />

dargestellt.<br />

Der Referent erläutert am konkreten Muster, welche Daten im Einzelnen<br />

seitens der Schule erhoben werden müssen, um die Dateien<br />

korrekt ausfüllen zu können.<br />

Ausführlich wurde an Beispielen wie Einstellung, Versetzung, Änderung<br />

der Unterrichtsverpflichtung, Altersteilzeit, Verrechnungsstunde,<br />

Rückgabe der Ansparstunde etc. gezeigt und erläutert, wie<br />

von jeder Lehrkraft die erforderlichen Daten einzugeben sind.<br />

Auf die Besonderheiten, die durch Migrantenkindern oder durch<br />

beeinträchtigte SchülerInnen entstehen, wurde eingegangen.<br />

Nicht vergessen wurde der Hinweis, dass jede Lehrkraft bei jedem<br />

Statistiktermin durch Ausdruck vor Absendung darüber zu informieren<br />

ist, welche Daten an die Schulbehörde gesandt werden.<br />

Der örtliche Personalrat sollte - so die Empfehlung des Referenten<br />

- eine elektronische Kopie der Datei erhalten, die nach der Erörterung<br />

abgesandt wird. Beim vorläufigen Gliederungsplan sollte<br />

auch verabredet werden, dass der örtliche Personalrat unverzüglich<br />

über alle Nachmeldungen, Veränderungen und Zusagen durch die<br />

Schulbehörde informiert wird.<br />

Die TeilnehmerInnen dankten dem Referenten Dieter Roß für die<br />

anschauliche und gelungene Präsentation.<br />

d.r<br />

Impressum <strong>GEW</strong>-ZEITUNG <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />

(120. Jahrgang)<br />

Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>, Neubrunnenstr. 8, 55116<br />

Mainz, Tel.: 0 61 31 28988-0, Fax: 0 61 31 28988-80, E-mail: gew@gew-rlp.de<br />

Redaktion: Günter Helfrich (verantw.), Dr. Paul Schwarz (Stellvertr./Bildungspolitik), Ursel Karch<br />

(Gewerkschaftspolitik), Dr. Gerlinde Schwarz (Reportagen), Karin Helfrich (Redaktionsmanagement)<br />

Redaktionsanschrift: <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>, Postfach 22 02 23, 67023 Ludwigshafen, Tel./<br />

Fax: 06 21 564995, e-mail: guenter.helfrich@gew-rlp.de<br />

Verlag und Anzeigen, Satz und Druck: Verlag Pfälzische Post GmbH, Winzinger Str. 30, 67433 Neustadt<br />

a.d.W., Tel.: 063 21 8 03 77; Fax: 0 63 21 8 62 17; e-mail: vpp.nw@t-online.de<br />

Manuskripte und Beiträge: Die in den einzelnen Beiträgen wiedergegebenen Gedanken entsprechen nicht in<br />

jedem Falle der Ansicht des <strong>GEW</strong>-Vorstandes oder der Redaktion. Für unverlangt eingesandte Manuskripte<br />

oder zugemailte Daten wird keine Gewähr übernommen.<br />

Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten; für Nichtmitglieder jährlich Euro 18,-- incl. Porto +<br />

MWSt. (Bestellungen nur beim Herausgeber.) Kündigung 3 Monate vor Ablauf des Kalenderjahres. Im<br />

anderen Falle erfolgt stillschweigend Verlängerung um ein weiteres Jahr.<br />

Anzeigenpreisliste Nr. 15 beim Verlag erhältlich. Redaktionsschluss: jeweils der 1. des Vormonats.<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />

31


Schulgeist<br />

Gelassen durch die „Pupertät“<br />

Leises Schnarchen dringt aus der letzten Reihe. Ich suche<br />

nach einem Stück Kreide, um es dem desinteressierten<br />

Knaben an den Kopf zu werfen, aber ich konnte noch nie<br />

richtig zielen. Von seinem Sitznachbarn unsanft geweckt,<br />

murmelt Bruce: „Ich bin in der Pubertät, ich brauche viel<br />

Schlaf!“ Dustin raschelt mit Papier und stopft sich den<br />

Mund voll: „Ich bin krass im Wachstum, ich muss essen!“<br />

Ich lasse ihn kauen. Ich lasse auch Kassandra meinen Unterricht<br />

als scheißlangweilig deklarieren. Ich weiß ja, was<br />

los ist: die Pubertät, gern auch „Pupertät“ geschrieben. Sie<br />

befällt über Nacht ganze Schulklassen. Erfahrungsgemäß<br />

im 7. und 8. Schuljahr.<br />

Laut Ärzten und Psychologen wird das kindliche Gehirn<br />

während der Pubertät zu einer Baustelle, auf der sich<br />

tragende Wände und Stützpfeiler ständig verschieben.<br />

Synapsen fuchteln in der Gegend rum, Hormone toben<br />

durch den mutierenden Körper. Die Relation zwischen<br />

Rumpf und Gliedmaßen verschiebt sich. Der/die gebeutelte<br />

Jugendliche ist nicht in der Lage, das Verhalten<br />

Kein Schulfach Musik<br />

angemessen zu steuern. Das körperliche Wachstum ist<br />

dem geistigen bisweilen Jahre voraus. Marlene in der<br />

ersten Reihe präsentiert dem Lehrpersonal ausdauernd<br />

ihr Dekollete, aber in der Pause gräbt sie versunken im<br />

Sandkasten.<br />

Jung müsste man noch mal sein? Um Himmelswillen!<br />

Zurück in diese Phase?<br />

„Pubertät ist der Zustand, in dem die Erwachsenen<br />

anfangen, schwierig zu werden“, ritzt Nike auf ihren<br />

Tisch. Jugendliche entwickeln verschiedene Strategien,<br />

um in dieser belastenden Zeit mit den Erwachsenen<br />

umzugehen. Einige Knaben werden apathisch und stellen<br />

die Kommunikation ein. Sie lassen sich die Haare<br />

wie eine Gardine ins Gesicht wachsen und fühlen sich<br />

bei jeder noch so harmlosen Frage unendlich belästigt.<br />

Andere grinsen nur noch und stellen sich so dumm, dass<br />

man auch sie irgendwann in Ruhe lässt. Die pubertären<br />

Aktivitäten im Unterricht sind mannigfaltig: Dennis gibt<br />

den Tierstimmenimitator, Pavel malt gurkenähnliche<br />

Kunstgegenstände, Mona beobachtet im Taschenspiegel<br />

die Entwicklung eines winzigen Pickels, Ina schreibt Tagebuch.<br />

Schwere Schultaschen sind bei den Mädchen out.<br />

Kleine Handtaschen mit Schminkzeug reichen<br />

völlig. Manche Schüler werden pampig und fühlen<br />

sich ständig angegriffen. Andere entwickeln<br />

Allmachtsfantasien und duzen ihre LehrerInnen.<br />

Die Leistungen sinken bei allen rapide. Ein Vater<br />

ändert daraufhin verärgert sein Testament.<br />

Der Klassenraum wird zu einer olfaktorischen<br />

Erlebniszone: Körpereigene Duftstoffe, Zigarettenaroma<br />

und süßliche Rasierwässer überlagern<br />

sich. Nach dem Sportunterricht kommt jede<br />

Menge Deo-Spray zum Einsatz. Wozu duschen?<br />

Bei vielen Mädchen äußert sich die Pubertät in<br />

gnadenlosen Beurteilungen des eigenen Körpers.<br />

Anscheinend verfügt jede Familie über einen<br />

doofen Bruder, der zielsicher weiß, wie man<br />

Schwestern am besten ärgert. Das bewährte Reiz-<br />

Reaktions-Schema: „Du hast ja Zellulitis / einen<br />

fetten Hintern!“ Mädchen in der Pubertät tragen<br />

deshalb riesige Hosen oder knoten sich selbst im<br />

Sportunterricht eine Jacke um die Taille.<br />

Was Peter Baldus angesichts der Pläne für die Uni in<br />

Koblenz und Landau befürchtet …<br />

Max versteht seine Mitschüler nicht mehr. Er<br />

macht weiter Hausaufgaben und beteiligt sich<br />

mit kindlichem Eifer am Unterricht. Er brüllt<br />

nicht unmotiviert auf, rennt nicht beleidigt raus<br />

und spielt nicht mit Rasierklingen. Die anderen<br />

Kerle in der Klasse lachen, wenn er mit piepsiger<br />

Stimme ein Gedicht aufsagt. Wahrscheinlich<br />

setzt seine Pubertät mit voller Wucht in der 10.<br />

Klasse ein. Er wird in jede Richtung zwanzig<br />

Zentimeter wachsen und sich für Spott und<br />

Ungemach an seinen Mitschülern rächen. Mit<br />

Sicherheit werde ich deshalb jede Woche ein<br />

ernstes Gespräch mit ihm führen.<br />

Und heimlich meinen Kollegen beneiden, der<br />

sich in die Erwachsenenbildung gerettet hat.<br />

Gabriele Frydrych<br />

32 Beilage zur E&W: <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012

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