GEW-ZEiTUnG Rheinland-Pfalz
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-Zeitung<br />
<strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />
4 / 2012<br />
Tarifkonflikt<br />
im öffentlichen Dienst S. 3 - 5<br />
Foto: Bert Butzke<br />
Trotz Schule: Analphabeten in Deutschland (S. 10-13)
Editorial / Inhalt<br />
Eher Häme als Solidarität<br />
Wie der Zufall manchmal so spielt.<br />
Das Editorial für die letzte Ausgabe<br />
mit dem Hinweis auf ausbleibende LeserInnenbriefe<br />
war gerade geschrieben,<br />
da landete ein ebensolcher auf dem<br />
Redaktionsbildschirm. Eine Kollegin beklagte<br />
den ausbleibenden Erfolg bei den<br />
Protesten gegen die auf dem Rücken der<br />
Beamtenschaft ausgetragene rot-grüne<br />
Kürzungspolitik.<br />
Dass die Gewerkschaften des öffentlichen<br />
Dienstes in dieser Frage wenig bewegen<br />
konnten - in Ba-Wü ist dies übrigens genauso - kann nicht bestritten<br />
werden. Dass nicht genug getan wurde, allerdings schon. Wenn dann<br />
trotz zahlreicher Aktivitäten auf allen Ebenen - ob in Gesprächen,<br />
Resolutionen, Protestveranstaltungen etc. - letzten Endes der Erfolg<br />
ausbleibt, stellt sich die Frage, warum dem so ist.<br />
Um diese zu beantworten, ist ein Blick auf ein anderes Politikfeld<br />
hilfreich. Bekanntlich zurückrudern musste die Landesregierung<br />
bei ihrer geplanten Justizreform. Da hatte jedoch eine komplette<br />
Region parteienübergreifend den Aufstand geprobt und konnte<br />
so die Rücknahme der geplanten Maßnahmen bewirken. Auch in<br />
unserem Bereich gab es im vergangenen Sommer zumindest einen<br />
Teilerfolg, als es um die Vertretungsverträge ging.<br />
Eine große Rolle spielt in solchen Fällen, ob nur eine Gruppe, z.B.<br />
die betroffenen Lehrkräfte, protestiert oder ob sich andere Gruppen<br />
anschließen. Wenn in der Bildungspolitik bspw. Eltern- und Schülervertretungen<br />
unsere Forderungen übernehmen, sind die Erfolgsaussichten<br />
weitaus größer. Wenn nicht, muss der Protest schon sehr<br />
massiv sein, um Gehör zu finden. Ein paar Tausend Leutchen aus<br />
allen Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes und dem Beamtenbund<br />
wie bei der Kundgebung im November vergangenen Jahres in<br />
Mainz reichen dann eben nicht aus, etwas zu bewegen, auch wenn<br />
sie viel Lärm machen, gute Sprüche auf den Transparenten haben<br />
und kernige Reden ihrer Vorsitzenden bejubeln.<br />
Eine große Rolle spielt sicherlich auch der Zeitpunkt politischer<br />
Entscheidungen. Zu Beginn einer Legislaturperiode rechnen Regierungen<br />
damit, dass die Grausamkeiten vergessen sind, wenn wieder<br />
Wahlen anstehen, zumal die Opposition ja noch härter zuschlagen<br />
möchte. Diese Alternativlosigkeit lässt Betroffene verständlicherweise<br />
resignieren.<br />
Und dann sind die Protestierer noch BeamtInnen mit ihren sicheren<br />
Arbeitsplätzen und „üppigen“ Gehältern - wie der in diesem Falle im<br />
wahrsten Sinn des Wortes gemeine Mann auf der Straße denkt. Die<br />
absolute Steigerung: verbeamtete Lehrkräfte mit all ihren Privilegien<br />
und ihrem voll bezahlten Teilzeitjob …<br />
Nein, bei all diesen Vorurteilen können wir eher mit Häme als<br />
mit Solidarität rechnen, wenn uns Sonderopfer abverlangt werden.<br />
Aber da es nicht unsere Art ist, schlechte Stimmung zu verbreiten,<br />
hier zum Abschluss etwas richtig Positives: Die <strong>GEW</strong>, einst in den<br />
Medien gerne als „linke Lehrergewerkschaft“ tituliert, wird in der<br />
Berichterstattung über bildungs- und gewerkschaftspolitische Themen<br />
zunehmend und selbstverständlich als die Bildungsgewerkschaft<br />
wahrgenommen und als kompetente Gesprächspartnerin gesucht<br />
Was lange währt …<br />
Günter Helfrich<br />
Die neue Form des Leserbriefes:<br />
Peter Baldus kommentiert das<br />
Editorial 3/12 bildlich<br />
Thema grüne Bildungspolitik<br />
Thema Schulinspektion<br />
Inhalt <strong>GEW</strong>-ZEITUNG <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> Nr. 4 / 2012<br />
Editorial / Inhalt Seite 2<br />
Tarifkonflikt / Intern. Frauentag Seiten 3 - 5<br />
Schulen<br />
• <strong>GEW</strong>-Fachtagung: Wie Kinder effektiv lernen Seiten 6 - 7<br />
• Keine Hexerei: wie Übergang von der GS zu<br />
weiterführenden Schulen gelingt Seite 8<br />
• FG Realschulen plus informiert … Seite 9<br />
• Trotz Schule: Analphabeten in Deutschland Seiten 10 - 13<br />
Bildung<br />
• Pädagogik der Beschämung Seiten 14 - 16<br />
• <strong>GEW</strong> will Studiengänge für Kindheitspädagogik Seite 16<br />
<strong>GEW</strong>-Intern Seite 17<br />
Berufliche Bildung<br />
• Die Zukunft der Berufsbildung Seiten 18 - 21<br />
• Neuordnung der Büroberufe Seiten 21 - 23<br />
Politik Seite 24<br />
Generation 60+ / Jubilare Seite 25<br />
Brief an die Redaktion / Tipps + Termine Seiten 26 - 27<br />
Kreis + Region / Impressum Seiten 27 - 31<br />
Schulgeist Seite 32<br />
2 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012
Tarifkonflikt<br />
Tarifverhandlungen:<br />
Es ist Zeit für eine deutliche Gehaltssteigerung<br />
Klaus-Peter Hammer<br />
Am 1. März begannen in Potsdam die Tarifverhandlungen<br />
für die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bei Bund und<br />
Kommunen. Ver.di und <strong>GEW</strong> gingen mit der Forderung von<br />
6,5% mehr, mindestens aber 200 Euro monatlich, in die Verhandlungen.<br />
Die Arbeitgeber legten anfangs kein eigenes Angebot<br />
vor, was im Rahmen von Tarifverhandlungen eigentlich<br />
der übliche Weg wäre. Vielmehr provozierten sie die Gewerkschaften,<br />
indem sie monierten, diese sollten ihre Forderungen<br />
zurücknehmen, weil nicht finanzierbar. Dies führte<br />
dazu, dass Ver.di und <strong>GEW</strong> gemeinsam begannen, Warnstreiks<br />
durchzuführen. Der erste Warnstreiktag war in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />
am 5. März mit den Schwerpunkten Mainz und<br />
Ludwigshafen.<br />
Fotos S. 3-5: <strong>GEW</strong><br />
Die gute Streikbeteiligung stimmt uns hoffnungsvoll.<br />
Unsere Mitglieder sind streikwillig. Somit sind wir ermutigt,<br />
auch wenn es nur durch einen Erzwingungsstreik<br />
durchsetzbar sein sollte, ein akzeptables Streikergebnis<br />
durchzusetzen. Es ist in der Tat Zeit für eine deutliche<br />
Gehaltssteigerung.<br />
In den letzen 10 Jahren ist das Realeinkommen der Beschäftigten<br />
in Deutschland um 5 % gesunken. Und dies,<br />
obwohl die Ansprüche und Anforderungen an die Arbeit<br />
immer größer wurden und die Lebenshaltungskosten<br />
deutlich gestiegen sind.<br />
Die Kolleginnen und Kollegen haben die Nase voll<br />
und erwarten zu Recht eine Gehaltserhöhung, die den<br />
Namen auch wert ist. Doch ist dieser Anspruch tatsächlich<br />
gerechtfertigt und durchsetzbar bei der derzeitigen<br />
Finanznot der Kommunen? Diese haben doch kein Geld<br />
für Gehaltserhöhungen. Werden die Kolleginnen und<br />
Kollegen mitschuldig an dieser vertrackten Situation,<br />
sodass kommunale Leistungen gekürzt und Einrichtungen<br />
geschlossen werden müssen? So argumentieren einige<br />
Vertreter der Arbeitgeberseite, doch lobenswerterweise<br />
längst nicht alle. Dies ist eine ganz billige Polemik, man<br />
schürt bewusst Ängste und macht Stimmung gegen die<br />
Beschäftigten. Auf diese plumpe Art und Weise kann man<br />
schnell ablenken von denen, die daran Schuld haben, dass<br />
es soweit gekommen ist.<br />
Manche Kommunen beteiligten sich selbst an den Zockergeschäften<br />
und Börsenspekulationen vor der Finanzkrise<br />
2008, sind somit voll auf die Nase gefallen und nun<br />
hochverschuldet. Vom Staat durch ein Milliarden teures<br />
Rettungspaket unterstützte Banken haben durch fiese<br />
und riskante Finanzgeschäfte unser Land in die akute<br />
Schulden- und Finanznot gebracht, die u.a. zu massiven<br />
Steuerausfällen geführt hat. Verantwortung für die Finanzmisere<br />
der Kommunen haben aber auch die Politiker,<br />
die den Kommunen immer mehr Leistungen übertragen,<br />
ohne für einen vernünftigen finanziellen Ausgleich zu<br />
sorgen. Und Schuld haben diejenigen, die nicht dafür<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />
3
Tarifkonflikt<br />
sorgen, dass mehr Geld in die Kassen kommt, indem sie<br />
eine entsprechende Steuerpolitik umsetzen, damit hohe<br />
Vermögen und Börsengeschäfte entsprechend besteuert<br />
werden können.<br />
Schuld sind aber auch diejenigen, die Hungerlöhne bezahlen,<br />
so dass viele Menschen in unserem Land nicht von<br />
dem leben können, was sie durch ihre Arbeit verdienen,<br />
und auf soziale Unterstützung angewiesen sind.<br />
Schuld sind diejenigen, die Menschen auf die Straße<br />
setzen, so dass diese auf die öffentliche Daseinsfürsorge<br />
angewiesen sind, weil man angeblich woanders billiger,<br />
aber nicht unbedingt besser produzieren kann und somit<br />
die öffentlichen Kassen belastet werden.<br />
Schuld sind diejenigen, die nicht dafür sorgen, dass es<br />
genügend Ganztagsangebote für Kinderbetreuung gibt,<br />
so dass viele alleinstehende Eltern nur halbtags arbeiten<br />
können – wenn überhaupt.<br />
Und mal ehrlich, es ist immer Geld da, wenn man irgendwelche<br />
Renommierprojekte finanzieren will, da schaut<br />
keiner so genau auf die Schuldenbremse, aber wenn‘s<br />
um die Beschäftigten geht, dann muss man ja unbedingt<br />
einsparen.<br />
Dies ist sehr kurzsichtig. Und dies aus zweierlei Aspekten.<br />
Erstens trägt eine ordentliche Gehaltserhöhung zu mehr<br />
Konsum und damit wiederum zu mehr Steuereinnahmen<br />
bei, also wäre dies eine sinnvolle Konjunkturmaßnahme.<br />
Zweitens müssen die Kommunen den bevorstehenden<br />
Fachkräftemangel im Auge haben. Schließlich findet man<br />
nur gutes Personal, wenn man ordentlich bezahlt und<br />
somit in die Zukunft investiert.<br />
So gesehen sind die Tarifforderungen mehr als gerechtfertigt.<br />
Die Kolleginnen und Kollegen haben den Anspruch<br />
darauf, für ihre Arbeit und ihre Leistungen, die sie für<br />
Bund und Kommen tagtäglich erbringen, besser bezahlt<br />
zu werden.<br />
Und dies bei immer schlechter werdenden Rahmenund<br />
Arbeitsbedingungen, bei immer höher werdenden<br />
Ansprüchen an das, was sie leisten sollen, und bei immer<br />
weniger Personal.<br />
Gibt es eine bessere Investition als die in die Beschäftigten?<br />
Unsere Forderungen sind nicht maßlos und nicht überzogen.<br />
Und niemand macht sich mit 6,5% mehr Lohn<br />
die Taschen voll. Das bekommen einige Politiker besser<br />
hin! Doch die sind für uns kein Vorbild.<br />
Es liegen spannende Wochen vor uns. Wir sind streitbar<br />
und vertrauen auf die Stärke unsere Mitglieder. Zeigen<br />
wir, was wir mobilisieren können.<br />
4 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012
Tarifkonflikt / Int. Frauentag 2012<br />
Heute für morgen Zeichen setzen!<br />
<strong>GEW</strong> zum Internationalen Frauentag 2012<br />
Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />
hat mit gut 70 Prozent weiblichen Mitgliedern<br />
in ihren Reihen einen Spitzenplatz im DGB. Sie betont,<br />
dass immer mehr Frauen trotz Familie und Haushalt<br />
berufstätig und gar 58 Prozent der Hochschulabsolventen<br />
weiblich sind.<br />
„Um wirkliche Gleichstellung von Frauen und Männern<br />
in unserer Gesellschaft zu erreichen, gibt es jedoch noch<br />
viel zu tun“, sagte der <strong>GEW</strong>-Landesvorsitzende Klaus-<br />
Peter Hammer zum Internationalen Frauentag 2012.<br />
Obwohl auf den ersten Blick nicht erkennbar, gelte dies<br />
insbesondere auch für den Bildungsbereich.<br />
„Pädagogische Berufe werden bevorzugt von Frauen<br />
ausgeübt - diese werden aber nach wie vor nicht gerecht<br />
und gleichwertig bezahlt“, kritisierte der <strong>GEW</strong>-Landesvorsitzende.<br />
Das gelte besonders für die Vergütung von<br />
Erzieherinnen in Einrichtungen der frühkindlichen Bildung,<br />
aber auch für Pädagogische Fachkräfte an Schulen<br />
und Lehrkräfte an Grundschulen, an denen laut Hammer<br />
zu über 90 Prozent Frauen tätig sind. „Dort, wo mit den<br />
Jüngsten gearbeitet wird und die meisten Frauen arbeiten,<br />
wird am schlechtesten bezahlt“, so der Landesvorsitzende<br />
der Bildungsgewerkschaft. „Diese Ungerechtigkeit muss<br />
ein Ende haben“, forderte Hammer.<br />
Er wies darauf hin, dass die meisten Frauen neben ihrer<br />
Berufstätigkeit nach wie vor auch die Hauptlast der<br />
Familien-, Pflege- und Hausarbeit zu tragen haben. Der<br />
deshalb häufig gewählte „Kompromiss“ Teilzeitbeschäftigung<br />
führe besonders in den gering entlohnten Berufen<br />
wie bei Erzieherinnen oder Pädagogischen Fachkräften<br />
später zu Renten, die einen deutlichen Einschnitt des<br />
Lebensstandards bedeuteten. Eine verlässliche, flächendeckende<br />
und vor allem qualifizierte Ganztagsbetreuung an<br />
Kitas und Schulen sei eine zentrale Voraussetzung, damit<br />
Frauen die Vielzahl ihrer Aufgaben in Beruf und Familie<br />
bewältigen könnten.<br />
Hinzu komme, dass, obwohl mehr als die Hälfte aller<br />
Studierenden Frauen seien, sich dennoch mit jeder Stufe<br />
auf der wissenschaftlichen Karriereleiter ihre Chancen<br />
verringern, eine entsprechende Hochschulkarriere zu machen,<br />
ganz zu schweigen davon, eine Spitzenfunktion in<br />
der freien Wirtschaft zu übernehmen. Eine gezielte Frauenförderung<br />
durch Entwicklung geeigneter Förderpläne,<br />
der Verbesserung der Frauenförderung in den Gleichstellungsgesetzen<br />
und Maßnahmen zur Umsetzung diskriminierungsfreier<br />
Personalpolitik und die Einführung einer<br />
Frauenquote können laut Hammer dazu beitragen, dass<br />
Frauen in Zukunft in allen Bildungsbereichen auch in<br />
Führungs- und Entscheidungsfunktionen entsprechend<br />
ihrem Anteil repräsentiert werden.<br />
pm<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />
5
Schulen<br />
Wie Kinder effektiv lernen<br />
Eindrucksvolle <strong>GEW</strong>-Fachtagung für Grundschullehrkräfte<br />
„Ihren Vortragsstil bei unserer heutigen Fachtagung fand ich<br />
sehr professionell, strukturiert, humorvoll und sicherlich für<br />
alle gewinnbringend!“ Diese Bemerkung im Rahmen der abschließenden<br />
Dankesworte an den Referenten Prof. Dr.<br />
Diethelm Wahl seitens des Leitungsteams (Rosi Wahl von<br />
der Bezirksfachgruppe Grundschulen und Gewerkschaftssekretär<br />
Bernd Huster) konnten vermutlich alle der rund 140<br />
TeilnehmerInnen an der <strong>GEW</strong>-Fachtagung „Wie Kinder effektiv<br />
lernen“ Ende Februar in Vallendar unterschreiben, was<br />
sie durch einen warmen und lang anhaltenden Applaus bekräftigten.<br />
Prof. Dr. Wahl hatte ihnen nicht nur theoretische<br />
Aspekte aus der Lernpsychologie vermittelt, sondern<br />
vor allem auch dafür gesorgt, dass sie die Wirksamkeit<br />
seiner Methoden im Tagungsverlauf aktiv am eigenen<br />
Leibe erfahren konnten. Dabei hielt er keine langatmigen<br />
Vorträge, sondern setzte auf einen schnellen Wechsel zwischen<br />
Phasen des Inputs und Aktivitäten der Lernenden.<br />
Schließlich konnten die TeilnehmerInnen viele Ideen und<br />
Anregungen für aktives und vernetztes Lernen mit in ihren<br />
Unterrichtsalltag nehmen.<br />
Als Veranstalter der Tagung hatten sich die <strong>GEW</strong><br />
<strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>, der <strong>GEW</strong>-Bezirk Koblenz und die<br />
<strong>GEW</strong>-Kreise Koblenz-Mayen, Westerwald, Neuwied,<br />
Rhein-Lahn und Rhein-Hunsrück zusammengeschlossen.<br />
Zu Beginn hatte Landesvorsitzender Klaus-Peter Hammer<br />
die TeilnehmerInnen begrüßt und einige Ziele der<br />
Bildungsgewerkschaft für den Arbeitsplatz Grundschule<br />
formuliert. So plädierte er für eine gerechte Bezahlung<br />
für gleichwertige Arbeit bei den Lehrämtern (also A13<br />
auch für GS-Lehrkräfte) sowie eine Verringerung der<br />
Arbeitsbelastung durch Stundenreduzierung und durch<br />
Vereinfachung der komplizierten Zeugnisbeurteilungen.<br />
Die <strong>GEW</strong> fordere einen Ersatz der Halbjahreszeugnisse<br />
durch das strukturierte Schüler-Lehrer-Eltern-Gespräch<br />
analog zur Praxis im 2. Schuljahr.<br />
Vernetztes Wissen<br />
Prof. Dr. Wahl hatte bis 1991 an der Pädagogischen<br />
Hochschule Weingarten im Fachbereich Psychologie<br />
zunächst erforscht, welche Gedanken, Gefühle und Gewohnheiten<br />
das Handeln von Lehrkräften steuern. Danach<br />
entwickelte er mit seinem Team Lernarrangements,<br />
die einen nachhaltigen Transfer von Wissen in Handeln<br />
unterstützen. Diese als „Lernumgebungen“ bezeichneten<br />
Maßnahmen werden mittlerweile seit 20 Jahren systematisch<br />
und mit Erfolg evaluiert.<br />
Eine seiner zentralen Thesen besagt, dass Lernprozesse<br />
dann besonders erfolgreich sind, wenn Neues und bereits<br />
gespeichertes Wissen miteinander vernetzt werden.<br />
Internationale Forschungen hätten bewiesen, dass Vorkenntnisse<br />
dafür noch viel bedeutsamer sind als Begabung<br />
und Motivation der Lernenden. Die FortbildungsteilnehmerInnen<br />
lernten mehrere seiner aus dieser Erkenntnis<br />
abgeleiteten Lernmethoden im Verlaufe der Tagung durch<br />
praktische Erprobung kennen.<br />
Beispielmethode „Strukturlegetechnik“: Hier werden<br />
zentrale Begriffe auf die Vorderseite von 20 bis 30 Kärt-<br />
Rückmeldungen zur Fachtagung<br />
„Im Namen meines Kollegiums noch einmal herzlichen Dank für die Fortbildung<br />
heute in Vallendar. Es war kurzweilig und äußerst spannend - viel Input und<br />
hoffentlich auch viel Nachwirkung.“<br />
„Ich möchte mich unbedingt für die äußerst informative und gelungene Veranstaltung<br />
bedanken. In meinen fast 40 Dienstjahren habe ich selten eine so ausgewogene,<br />
fundierte und fantastisch durchgeführte Veranstaltung erlebt! Von diesem Referenten<br />
wünsche ich mir mehr. Aus diesem Grund bitte ich Sie mir die versprochenen<br />
Informationen zukommen zu lassen und bedanke mich schon im Voraus dafür.<br />
Ihnen weiterhin eine solch glückliche Hand bei der Auswahl der Referenten!“<br />
„Habe heute schon im 4. Schuljahr Methoden von gestern umgesetzt und Kolleginnen<br />
von der Veranstaltung vorgeschwärmt.“<br />
„Mit großer Aufmerksamkeit habe ich die interessante Fortbildung<br />
mit Prof. Dr. Wahl verfolgt, dessen Persönlichkeit<br />
mich sehr in den Bann gezogen hat. Herzlichen Dank für<br />
dieses Angebot.“<br />
„Da ich sehr begeistert war von der Fortbildung und den<br />
vorgestellten Methoden, [...]“<br />
„Hiermit möchte ich mich noch einmal für die tolle und<br />
sehr informative Fortbildung mit Herrn Wahl bedanken.<br />
Ich hab schon einiges im Unterricht ausprobiert - es war<br />
relativ leicht umsetzbar und funktioniert gut, sogar mit<br />
einem 1. Schuljahr.“<br />
6 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012
Schulen<br />
chen geschrieben. Die TeilnehmerInnen erhielten hierzu<br />
Kärtchen zum Sachunterrichtsthema „Getreide“, auf die<br />
Rückseiten sollten die jeweiligen Erklärungen geschrieben<br />
werden. Danach wurden die Kärtchen so ausgelegt,<br />
wie sie dem Sinn nach zusammengehörten, so dass eine<br />
sachlogische Struktur entstand.<br />
Bei der Methode „Netzwerk“, die in kleinen Gruppen<br />
durchgeführt wurde, erhielt jede Person zufällig verteilte<br />
Begriffe zur behandelten Thematik. In einer Vorbereitungsphase<br />
konnte sich jede Person darauf vorbereiten,<br />
jeden ihrer Begriffe zu erläutern. Eine Person mit einem<br />
„Startbegriff“ begann, die anderen schlossen sich an. So<br />
entstand eine sachlogische Struktur.<br />
Methode „Advance Organizer“: Hier hielt Prof. Wahl<br />
einen Beispielvortrag, wie er von einer Lehrperson zu Beginn<br />
einer Unterrichtseinheit etwa 10 Min lang präsentiert<br />
werden kann. Noch v o r der eigentlichen Behandlung<br />
des Themas entwickelt man schrittweise die wesentlichen<br />
Grundgedanken und benutzt zum besseren Verständnis<br />
möglichst viele Beispiele, Vergleiche, Analogien usw. (eine<br />
Art „informierendes Erzählen“). Es wird nichts Wichtiges<br />
zurückgehalten, alles Wesentliche wird vorweggenommen.<br />
Somit soll ein grundlegendes Verständnis für die Thematik<br />
geschaffen werden. Als konkrete Beispiele stellte<br />
er Advance Organizer zu den Themen „Mein Körper“,<br />
„Coca Cola“ und „Entstehung der Alpen“ vor.<br />
Die Befürchtung, hier würde durch Vorwegnahme aller<br />
wesentlichen Botschaften das Interesse der Lernenden sinken,<br />
konnte durch empirische Untersuchungen widerlegt<br />
werden. Im Gegenteil, die Motivation steigt durch eine<br />
bessere Orientierung beim selbstgesteuerten Lernen. Diese<br />
sorgt für einen größeren sofortigen Lernerfolg, besseres<br />
längerfristiges Behalten und eine höhere Transferfähigkeit.<br />
Wechselseitiges Lehren und Lernen (WELL)<br />
Eine andere essentielle These der Arbeit von Prof. Dr.<br />
Wahl ist, dass „Wechselseitiges Lehren und Lernen“<br />
(WELL) mit eingeschobenen aktiven Lernphasen eine<br />
hoch strukturierte Form des Lernens mit folgenden<br />
Vorteilen darstellt:<br />
• Höhere Aufmerksamkeit<br />
• Positive Auswirkungen auf Kompetenzerleben und<br />
intrinsische Motivation<br />
• Bessere Lernleistungen, höherer Kompetenzerwerb<br />
• Besseres Lernklima, weniger Konflikte<br />
Die Methode konnte von den Teilnehmerinnen u.a. am<br />
Thema „Waldameisen“ nach folgendem Schema getestet<br />
werden:<br />
1. Expertenphase - die Lernenden erwerben einen Status<br />
als Experten zu Teilbereichen des Themas (dies kann in<br />
Einzel, - Partner- oder Gruppenarbeit geschehen).<br />
2. Austauschphase - die Lernenden setzen sich neu zusammen,<br />
so dass verschiedenartige Experten ein Paar oder eine<br />
Gruppe bilden. Die Arbeitsergebnisse werden verglichen,<br />
Informationen weitergegeben, Sachverhalte erläutert.<br />
3. Vertiefungsphase - die verschiedenen Lerninhalte sollen<br />
von allen Lernenden gleich gut verstanden werden, deshalb<br />
erfolgt eine abschließende Vertiefung, Übung und<br />
Anwendung des Gelernten.<br />
Zu den WELL-Methoden, die die Teilnehmer im Rahmen<br />
des Fortbildungstages erfolgreich ausprobieren konnten<br />
und die hier nur kurz aufgezählt werden sollen, gehören<br />
u.a. das Partnerinterview, das Multiinterview, das Partnerpuzzle,<br />
das Lerntempoduett oder das Gruppenpuzzle.<br />
Prof. Wahl belegte mit Auszügen aus empirischen Untersuchungen<br />
die Überlegenheit dieser Methoden gegenüber<br />
konventionellen Lernarrangements.<br />
Zum Abschluss gab der Referent, der den Seminartag<br />
immer wieder auch mit humorvollen Einschüben auflockerte,<br />
den TeilnehmerInnen noch einen Merksatz<br />
als Handlungsmaxime mit auf den Weg, den man beim<br />
Unterricht stets berücksichtigen möge:<br />
„Den Lernenden das Gefühl geben, dass sie es schaffen<br />
können!“<br />
Unseren LeserInnen, die durch unseren Bericht dazu<br />
inspiriert wurden, sich intensiver mit den lernpsychologischen<br />
Erkenntnissen von Prof. Dr. Wahl und seinen<br />
daraus abgeleiteten Lernmethoden beschäftigen zu wollen,<br />
sei folgendes seiner Werke besonders empfohlen:<br />
Diethelm Wahl: Lernumgebungen erfolgreich gestalten.<br />
Vom trägen Wissen zum kompetenten Handeln. 2. erweiterte<br />
Auflage. Klinkhardt Verlag 2006.<br />
Thomas Rauch<br />
Klassenfahrten nach Berlin<br />
(incl. Transfer, Unterkunft, Programmgestaltung nach Absprache).<br />
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<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />
7
Schulen<br />
Keine Hexerei - wie der Übergang von der Grundschule<br />
zu weiterführenden Schulen gelingt<br />
Arnd Zickgraf<br />
Der Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe<br />
I ist heikel. Schulübergreifende Konferenzen erleichtern<br />
den Austausch über ungleiche Kompetenzen<br />
der Kinder, wie ein Beispiel aus Bitburg zeigt.<br />
Doch Forscher raten, sie sogar am Übergangsprozess<br />
zu beteiligen.<br />
Eigentlich schreiben alle Kinder zum Ende der vierten Klasse in einer<br />
gut lesbaren, verbundenen Handschrift aus bekannten Geschichten<br />
wie zum Beispiel die „Die kleine Hexe“ fehlerfrei ab. Sie erkennen<br />
grundlegende Regeln der Rechtschreibung wieder und nutzen<br />
Wörterbücher, um ihren Text zu korrigieren. Sie können auch einen<br />
kurzen informierenden Text inhaltlich und strukturell erfassen. Geht<br />
es nach den Bildungsstandards, welche die Kompetenzbereiche in<br />
Deutsch, wie beispielsweise „Sprechen und Zuhören“, „Schreiben“<br />
oder „Lesen“ länderübergreifend definieren, sollten Viertklässler mit<br />
der Rechtschreibung in der Regel keine Probleme haben.<br />
Mit den tatsächlichen Kompetenzen der GrundschülerInnen an der<br />
Schwelle zur Sekundarstufe I verhält es sich indes anders. Zumindest,<br />
was die Rechtschreibung anbelangt. „Das Schreiben von Texten und<br />
sogar das Abschreiben gestaltet sich allgemein als schwierig. Die<br />
Rechtschreibung ist ein großes Problem“, sagt Waltraud Kruppert,<br />
Konrektorin der Bischöflichen Grundschule St. Matthias in Bitburg.<br />
Während LehrerInnen in einigen Grundschulen der Stadt noch<br />
Diktate schreiben ließen, entfällt diese Übung in anderen. Die<br />
Folge: „Die Kompetenzen der Kinder im Diktatschreiben und der<br />
Rechtschreibung sind sehr unterschiedlich“, erläutert Kruppert. Die<br />
„kleine Hekse“ wäre darüber wenig erbaut.<br />
Ungleichmäßige Rechtschreibfähigkeiten<br />
Zu einer ähnlichen Einschätzung kommen auch die LehrerInnen<br />
weiterführender Schulen in Bitburg. Die Kompetenzen der Grundschüler<br />
in Deutsch sind weit gespreizt. „Sie reichen bei uns vom<br />
Niveau des Förderschülers, Hauptschülers bis hin zum Realschüler“,<br />
bestätigt Franz Josef Becker, Leiter der St.-Matthias-Hauptschule<br />
Bitburg. „Einige Schüler haben eine tadellose Rechtschreibung,<br />
andere können wir ohne Unterstützung ihrer Eltern kaum noch<br />
auffangen. Und nicht wenige bekommen Nachhilfe in Deutsch“,<br />
so Becker. Auch dem pädagogischen Koordinator der Realschule<br />
plus in Bitburg, Andreas Blitsch, sind die Unterschiede der SchülerInnen<br />
in der Beherrschung der deutschen Sprache nicht verborgen<br />
geblieben. „Ganz klar, bei der Rechtschreibung gibt es Mängel. Aber<br />
viele Schüler mit Rechtschreibproblemen verfügen dennoch über<br />
einen großen Wortschatz, können fantasievolle Geschichten zu<br />
Papier bringen und sehr gut Texte präsentieren“, so der Pädagoge.<br />
SchülerInnen, die bei der Kompetenz „Richtig schreiben“ keine gute<br />
Figur machen, stehen möglicherweise bei anderen Kompetenzen der<br />
deutschen Sprache wiederum besser da.<br />
Um den Übergang von der Grundschule in die Sekundarstufe I abzufedern,<br />
wird in der Realschule plus die Note für Rechtschreibung<br />
im Kompetenzfeld „Texte verfassen“ in den fünften und sechsten<br />
Klassen nicht gewertet - ähnlich halten es die Grundschulen, damit<br />
Kinder mit Rechtschreibproblemen nicht benachteiligt werden. „Die<br />
Kinder können so ihre Ideen angstfrei zu Papier bringen, denn für<br />
uns hat es Priorität, dass sie sich erst einmal kreativ ausdrücken“,<br />
so Blitsch. In Bitburg nimmt man den Übergang ferner dadurch<br />
in den Blick, dass sich LehrerInnen von sieben staatlichen und drei<br />
privaten Schulen regelmäßig über den Stand der Kompetenzen in<br />
den Kernfächern informieren. Das Zauberwort lautet: Kooperation.<br />
Schulübergreifende Konferenz in Deutsch<br />
Bei der jährlich stattfindenden Fachkonferenz in Deutsch beschäftigen<br />
sich die LehrerInnen der allgemein bildenden Bitburger Schulen<br />
eingehend mit den Rechtschreibkompetenzen der Grundschüler<br />
und können so gemeinsam überlegen, wie sie mit den heterogenen<br />
Kenntnissen und Fähigkeiten der Schüler hinsichtlich der deutschen<br />
Sprache pädagogisch sinnvoll umgehen. Hier haben GrundschullehrerInnen<br />
auch erfahren, dass an weiterführenden Schulen doch<br />
noch Diktate geschrieben werden, und richten sich nun in ihrem<br />
Unterricht danach.<br />
„Feste Kooperationsformate etablieren“<br />
Schulbörsen zur Information über Bildungsgänge, Elternabende,<br />
ältere SchülerInnen als Paten für jüngere, gegenseitige Hospitationen<br />
von LehrerInnen - vieles wird praktiziert, damit aus dem Übergang<br />
keine böse Überraschung wird. Wichtig ist es in den Augen von<br />
Silvia Iris Beutel, Professorin für Schulpädagogik und Allgemeine<br />
Didaktik an der TU Dortmund, feste Kooperationsformate zu<br />
etablieren, die PädagogInnen der abgebenden und aufnehmenden<br />
Schulen am besten gemeinsam entwickeln. „Ideal ist es, gemeinsame<br />
Entwicklungsthemen zu verabreden, beispielsweise den Umgang mit<br />
Vielfalt oder Diagnostik und individuelle Förderung.“ Dabei habe es<br />
sich bewährt, mit einem Blick aufeinander und nicht übereinander<br />
die Themen des Übergangs zu besprechen, denn nur ein Lernen, das<br />
die Perspektive der Mitlernenden integriert, sei erfolgreiches Lernen.<br />
Dementsprechend seien Instrumente zeitgemäß, welche Kinder bei<br />
der Gestaltung des Übergangs beteiligen, etwa die Arbeit an Lerntagebüchern<br />
über verschiedene Schulformen und Jahrgangsstufen<br />
hinweg. Denn diese enthielten wichtige Mitteilungen über den<br />
Entwicklungsstand der Lernenden, die bei der täglichen Wahrnehmung<br />
angesichts großer Klassen verloren gehen könnten, so Beutel.<br />
Übergangsschwierigkeiten wegzuhexen, nur um zu den „Großen“<br />
zu gehören, wäre jedenfalls keine gute Alternative.<br />
Medientipp<br />
Sprache, Lesen, Schreiben - das „Wiederholungsheft Grundschule“<br />
(ISBN 978-3-12-316010-3) dient zum Nachschlagen und Wiederholen.<br />
Eigenständig können Schüler damit ihren Kenntnisstand<br />
im Fach Deutsch überprüfen und Wissenslücken schließen. Weitere<br />
Informationen finden Sie unter www.klett.de.<br />
Aus: Klett Themendienst Schule Wissen Bildung<br />
Februar 2012 | Nr. 56<br />
8 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012
Wenn schulische Wirklichkeit auf Schulpolitik trifft …<br />
Die LFG Realschule plus im Gespräch mit Abgeordneten der Grünen<br />
Nach dem Gespräch mit der SPD-Abgeordneten Bettina Brück<br />
im September 2011 traf sich die Landesfachgruppe Realschule<br />
plus der <strong>GEW</strong> <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> diesmal am 28. Februar in der<br />
Landesgeschäftsstelle der <strong>GEW</strong> mit den beiden Abgeordneten der<br />
Landtagsfraktion der Grünen, Lisa Bröskamp und Ruth Ratter.<br />
Beide sehen den Schwerpunkt ihrer politischen Arbeit im Bereich<br />
der Bildung. Damit setzte die FG RS plus ihre Tradition fort, das<br />
Gespräch mit den bildungspolitisch Verantwortlichen der Landesregierung<br />
und des Landtags zu suchen, um im gemeinsamen<br />
Austausch den Blick der Politik auf die schulische Wirklichkeit<br />
und die sich daraus ergebenden Erfordernisse zu schärfen.<br />
Schulen<br />
Dass es dabei zwangsläufig zu erheblichen Reibungen zwischen den<br />
Forderungen der <strong>GEW</strong> und der immer wieder laut aufquietschenden<br />
„Schuldenbremse“ kommen musste, war vorauszusehen. Dennoch<br />
waren die Vertreter der Fachgruppe, Henning Caspari (stv. Vors.<br />
des HPR RS plus), Ludwig Julius, Micha Tietz und Alexander Witt<br />
(Vors. des BPR RS plus) intensiv darum bemüht, die Einsicht in<br />
die Notwendigkeit verbesserter Arbeitsbedingungen an der RS plus<br />
und die qualitative<br />
Weiterentwicklung<br />
ihrer Schulart zu<br />
wecken und politisches<br />
Handeln<br />
einzufordern.<br />
Wortkräftig unterstützt wurden sie dabei von Klaus-Peter Hammer,<br />
dem Vorsitzenden der <strong>GEW</strong> <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>.<br />
Gleich zu Beginn erinnerten die Vertreter der Fachgruppe die beiden<br />
Abgeordneten an Aussagen der Grünen vor der Wahl. Damals<br />
hatte die Partei die Forderung der <strong>GEW</strong> nach „Equal Pay“ an der<br />
RS plus unterstützt und noch unmittelbar vor Beginn der Koalitionsverhandlungen<br />
hatte die Landesfachgruppe die zukünftigen<br />
Regierungspartner an diesen kapitalen „Geburtsfehler“ der RS<br />
plus erinnert und einen ernsthaften Einstieg in den Abbau des<br />
„Gerechtigkeitsdefizits“ an der RS plus eingefordert, das gerade in<br />
den kooperativen Systemen die innerschulische „Klassenbildung“<br />
verstärkt. Die beiden Abgeordneten stimmten erneut der Zielsetzung<br />
einer Angleichung der Bezahlung von Lehrkräften grundsätzlich<br />
zu, verwiesen aber auf die engen finanziellen Spielräume<br />
des Landes. Stattdessen entwarfen sie umrisshaft einen bislang auf<br />
Regierungsebene noch nicht beratenen Weg, wie im Rahmen eines<br />
Punktesystems durch Weiterqualifikation ein Anspruch auf bessere<br />
Bezahlung erworben werden könnte. Die Verknüpfung eines solchen<br />
Anreizsystems mit einem zukünftigen „Weiterbildungsgesetz“<br />
bewerteten die <strong>GEW</strong>-Vertreter sehr kritisch. Der Bezahlung von<br />
Lehrkräften muss, auf alle Schularten bezogen, zunächst das Prinzip<br />
der Gleichwertigkeit pädagogischer Arbeit auf der Basis einer<br />
gleichwertigen Lehrerbildung zu Grunde gelegt werden.<br />
Auch die Kritik am von den Grünen im Landtag mitgetragenen<br />
Dienstrechtsänderungsgesetz und an der Festschreibung eines<br />
jährlichen Besoldungszuwachses von 1 % innerhalb der nächsten<br />
5 Jahre konnte den Landtagsabgeordneten nicht erspart bleiben.<br />
Widerspricht diese Regelung doch fundamental der Forderung<br />
der <strong>GEW</strong>, die Besoldungsentwicklung der Tarifentwicklung im<br />
öffentlichen Dienst folgen zu lassen. Reallohnverluste sind auch<br />
deshalb für die Kollegien in den Schulen nicht hinnehmbar, da dort<br />
in den vergangenen Jahren die Anforderungen und Belastungen<br />
stark zugenommen haben.<br />
Damit lenkte die Landesfachgruppe das Gespräch auf ein weiteres<br />
zentrales Anliegen: Qualität von Schule braucht motivierte Lehrkräfte<br />
durch deutlich verbesserte Arbeitsbedingungen. Hier reicht<br />
es nicht, nur auf Vorbereitung<br />
und Qualifizierung<br />
von Lehrkräften<br />
zu setzen, so notwendig<br />
diese natürlich sind,<br />
sondern die gestiegenen<br />
Anforderungen der Integration und Förderung an der RS plus sind<br />
in entsprechender Qualität nur zu leisten, wenn in die Schaffung<br />
entsprechender Gestaltungsspielräume investiert wird: Senkung der<br />
Klassenmesszahl, auch ab Klassenstufe 7, Senkung des Unterrichtsdeputats,<br />
Erhöhung der Anrechnungspauschale. Einig war man<br />
sich ja in der Überzeugung, dass alle von der Vielfalt heterogener<br />
Lerngruppen profitieren können, dass Schule den gesellschaftlichen<br />
Auftrag hat, zum sozialen Ausgleich beizutragen, doch muss dafür<br />
vom Land die Reinvestition der „Demographischen Rendite“ zu<br />
100 % gewährleistet werden!<br />
An der wirklich problematischen Umsetzung der Inklusion, wie sie<br />
sich einerseits in der mangelnden, unsicheren, nicht verlässlichen<br />
Personalzuweisung mit förderpädagogischer Kompetenz an den<br />
Schwerpunktschulen und andererseits an den Widerständen gegenüber<br />
Integration/Inklusion zeigt, machten die Vertreter der Fachgruppe<br />
deutlich, dass die Akzeptanz von „gemeinsamem Lernen“<br />
dann schwindet, wenn die Ressourcen nicht stimmen.<br />
Abschließend wurde von den Abgeordneten der Grünen das Gespräch<br />
auf den Bereich der Schulsozialarbeit gelenkt. Beide Seiten<br />
stimmten darüber überein, dass im Lebensraum Schule auch diese<br />
Profession ihren selbstverständlichen Platz haben muss. Diskussionsbedarf<br />
wurde in der Frage gesehen, ob es daher nicht Sinn macht,<br />
Schulsozialarbeit auch strukturell dem Bildungsbereich zuzuordnen.<br />
Darüber, aber auch zu der Frage und den Konsequenzen von mehr<br />
Selbstständigkeit von Schulen wollen <strong>GEW</strong> und die Grünen des<br />
Landes zukünftig ihren Austausch intensivieren. Die an die beiden<br />
Abgeordneten gerichtete Einladung zum Besuch einer am Projekt<br />
„Selbstverantwortliche Schule“ beteiligten RS plus wurde gerne<br />
angenommen.<br />
Ludwig Julius<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />
9
Schulen<br />
Trotz Schule: Analphabeten in Deutschland<br />
- Ein bildungspolitisches Armutszeugnis<br />
Helmut Reichelt *<br />
1. Ausgangslage<br />
Wir fragen uns jedes Mal fassungslos, wenn wir mit dem real existierenden<br />
Problem des Analphabetismus in Deutschland konfrontiert<br />
werden: Wie kann so etwas überhaupt sein? Es besteht doch die<br />
allgemeine Schulpflicht, so dass in der Regel jedes Kind im Alter<br />
von fünf (neu) bis sechs Jahren das erste Schuljahr der Grundschule<br />
besucht, in dem die Kulturtechniken vermittelt werden, in dem also<br />
auch das Lesen gelernt wird.<br />
Und doch gibt es Menschen, die im Verlauf ihrer Schulzeit das Lesen<br />
und Schreiben gar nicht oder nicht hinreichend genug erlernt<br />
haben. Je nach Interessenslage schwanken die Annahmen über die<br />
Anzahl dieser „funktionalen Analphabeten“ (d.h.: trotz Schule kein<br />
Lesen und Schreiben) in Deutschland erheblich. Der Bundesverband<br />
„Alphabetisierung und Grundbildung e. V.“ geht nach vorsichtigen<br />
Schätzungen von einer Größenordnung von etwa vier Millionen<br />
funktionalen Analphabeten 1) bei unserem 80-Millionen-Volk aus.<br />
Die Gründe für diesen beklagenswerten Zustand liegen zu einem<br />
erheblichen Teil, wie später noch ausgeführt wird, in den bildungspolitischen<br />
Rahmenbedingungen des Systems Schule und weniger<br />
in den Veranlagungen der einzelnen Betroffenen.<br />
Aber zunächst einmal sollen die Schwierigkeiten, die sich beim Erwerb<br />
der Lesefähigkeit ergeben können, aufgezeigt werden.<br />
2. Wahrnehmungsvoraussetzungen<br />
für das Lesenlernen<br />
Lesen lernt man nicht, wie oft fälschlicherweise angenommen wird,<br />
über die Buchstaben des Alphabets, sondern über deren Laute und<br />
Lautverbindungen. Ihre Anzahl ist etwa doppelt so hoch im Vergleich<br />
zur Anzahl der 26 Buchstaben.<br />
Das wissen jedoch Analphabeten nicht, daher können sie eben nicht<br />
lesen, obwohl sie möglicherweise in der Lage sind, das Alphabet in<br />
der richtigen Reihenfolge abzuspulen.<br />
Das wissen aber viele andere Menschen auch nicht, wie z.B. in den<br />
Verlagen, die für Discounter Riesenmengen an Vorschulmaterialien<br />
(Bücher, Puzzles, elektronische ABC-Trainer u.a.) auf der Grundlage<br />
der 26 Buchstaben des Alphabets produzieren.<br />
So kaufen sehr viele Eltern wegen pädagogisch geschickt formulierter<br />
Titel z.B. „Mein Vorschulbuch Deutsch/Lesen und Schreiben“,<br />
„Spielerisch lernen ab 5 Jahren“, „Vorschulbücher machen Lust auf<br />
*<br />
Unser <strong>GEW</strong>-Kollege Helmut Reichelt<br />
arbeitete über viele Jahre hinweg als<br />
Förderlehrer mit Grundschulkindern,<br />
deren Lernentwicklung durch massive<br />
Probleme in Deutsch und / oder Mathematik<br />
stark gefährdet war.<br />
die Schule!“ mit dem Ergebnis, dass Berge dieser haarsträubenden<br />
Machwerke in kürzester Zeit vergriffen sind und daheim - natürlich<br />
in bester Absicht - mit den Kindern unter oft dramatischen<br />
Umständen „umgesetzt“ werden. Dramatisch deswegen, weil die<br />
Kinder gar nicht verstehen können, was ihre Eltern eigentlich von<br />
ihnen wollen. Dazu ein abschreckendes Beispiel: Auf der Y - Seite<br />
des Vorschulbuches Deutsch 2) wird das Kind aufgefordert, den<br />
Buchstaben Y auszumalen und laut auszusprechen. Was soll das<br />
Vorschulkind denn sagen? Wahrscheinlich sagt es nachplappernd<br />
„Ypsilon“. Dann soll es diesen Buchstaben schreiben. Zuletzt soll<br />
es das Bild eines Yaks anmalen und - geradezu grotesk - das Wort<br />
Yak laut aussprechen. Ganz sicher stoßen hier fast alle Eltern an<br />
ihre Grenzen, denn sie müssten ihren Kindern vermitteln, dass das<br />
„Ypsilon“ auf der Lautbasis eine dreifache Aussprachemöglichkeit<br />
(Lautfunktion) hat: / i / bei Pony, / y (ü) / bei Pyramide und das<br />
seltene / j / bei Yak (oder Yoga).<br />
Daher sollte als Faustregel für Eltern gelten: Finger weg von allen<br />
Vorschulangeboten, die sich ausschließlich auf die 26 Buchstaben<br />
des Alphabets beziehen!<br />
In diesem Sinne müsste auch die Beratung der Eltern durch die<br />
Erzieher/innen sowie Lehrer/innen erfolgen. Eltern müssen möglichst<br />
frühzeitig z.B. auf Elternabenden Einsicht in den Ablauf des<br />
Leselernprozesses erhalten. Sie müssen unbedingt erfahren,<br />
• dass Lesen nur über die Laute der Buchstaben möglich ist,<br />
• dass wichtige Laute (z.B. ch, sch, pf, ng) überhaupt nicht im<br />
Alphabet enthalten sind und<br />
• dass das Buchstabieren („em“, „ka“, „jot“, „zet“) den Leselernprozess<br />
nicht fördert, sondern vielmehr behindert!<br />
Wenn Eltern dies erkennen, bedeutet das für deren Kinder einen<br />
entscheidenden Fortschritt hinsichtlich der stimmigen Begleitung<br />
des Lesenlernens zu Hause.<br />
Um in die Lautstruktur unserer Sprache erst einmal eindringen zu<br />
können, bedarf es wichtiger Wahrnehmungsvoraussetzungen für<br />
das Lesenlernen, die bereits auch im Bereich der Kindertagesstätten<br />
bzw. Kindergärten angebahnt werden. Hierzu die „Bildungs- und<br />
Erziehungsempfehlungen von <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>“ 3) als Beispiel:<br />
• „Kindern soll die Möglichkeit gegeben werden, zu erfahren und<br />
zu entdecken, dass Sprache aus einzelnen Lauten besteht, die man<br />
voneinander unterscheiden kann, und Lust am Artikulieren zu<br />
entwickeln.“<br />
• „Kindern soll die Möglichkeit gegeben werden, zu erfahren und<br />
zu entdecken, dass Sprache auch in schriftlichen Symbolen ihre<br />
kommunikative Funktion erfüllen kann, und Interesse am Schreiben<br />
zu entwickeln.“<br />
So werden frühzeitig positive Voraussetzungen geschaffen, die den<br />
Schulstart erheblich erleichtern.<br />
Langjährige eigene Erfahrungen im fördernden Unterricht mit Problemkindern<br />
(in Deutsch) haben gezeigt, dass fehlende Wahrnehmungsvoraussetzungen<br />
in Richtung phonologischer Bewusstheit im<br />
weiteren (Umgang mit Sprache allgemein), vor allem aber im engeren<br />
10 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012
Schulen<br />
Sinn (Umgang mit den speziellen Lauten und Lautverbindungen)<br />
das Lesenlernen ganz erheblich erschwerten. Dies galt ganz besonders<br />
für die Kinder, die keinen Kindergarten besucht haben und die in<br />
einem ungünstigen familiären Umfeld aufwuchsen. Diese Kinder<br />
waren zu keinem auf die Laute unserer Sprache bezogenen Hören<br />
fähig. Sie konnten also auditiv nicht wahrnehmen, dass z.B. „Lampe“,<br />
„Leiter“, „Löwe“ und „Lokomotive“ gleich oder gar mit einem<br />
„/ l /“ anfangen. Diese Fähigkeit jedoch ist eine entscheidende<br />
Grundvoraussetzung für das Lesenlernen.<br />
DÖBERT und HUBERTUS beschreiben nachfolgend zielgenau das<br />
Entwicklungsdilemma von Analphabeten: „Die erfüllte Schulpflicht<br />
sagt nichts über den Lernstand der einzelnen Schüler/innen aus.<br />
Aus der Schule werden auch Schüler/innen mit unzureichenden<br />
Kenntnissen in den Grundfertigkeiten Lesen, Schreiben und<br />
Rechnen entlassen. Es handelt sich um Schüler/innen, die bereits<br />
mit lernungünstigen Voraussetzungen und schwierigen Lernbedingungen<br />
im Elternhaus eingeschult worden sind. Vernachlässigung<br />
und Desinteresse durch die Eltern, aber auch ökonomische Armut<br />
und zerrüttete Verhältnisse belasten das Lernen.“ 4)<br />
Kindergarten und Schule können die Familie nicht ersetzen, aber sie<br />
können in wichtigen Feldern Hilfestellungen durch Beratung und<br />
konkrete Maßnahmen geben, um so die Kinder zu stärken. Frühzeitige<br />
Förderung der Sprache in ihrer Schlüsselfunktion (nicht nur für<br />
Migrantenkinder), Orientierungsübungen in den Wahrnehmungsbereichen<br />
mit gezielter Sinnesschulung, Trainingsmöglichkeiten der<br />
Raum-, Lagebeziehungen und die Anbahnung der phonologischen<br />
Bewusstheit im Kindergarten möglichst unter Einbeziehung der<br />
Eltern sind hier maßgebliche Bausteine.<br />
Die Schaffung von Voraussetzungen für das Lesenlernen durch lautbezogene<br />
Hörübungen (sog. „Geheimnisspiele“) hat der Verfasser<br />
bereits in einem anderen Artikel 5) thematisiert, ausgehend von den<br />
unterschiedlichen Lernvoraussetzungen der Schulneulinge. Dabei<br />
nimmt der „Aufbau einer phonematischen Bewusstheit“ 6) eine zentrale<br />
Rolle ein, die nur über das exakte Lautieren zu erreichen ist. In<br />
die gleiche Richtung zielt das „Würzburger Trainingsprogramm zur<br />
phonologischen Bewusstheit“ 7) 8) , das bereits im Kindergartenbereich<br />
Anwendung findet und damit einer der PISA - Forderungen an den<br />
Vorschulbereich entgegenkommt.<br />
3. Rahmenbedingungen des Systems Schule<br />
„Rund 234.000 Jungen und Mädchen mussten nach Angaben des<br />
Statistischen Bundesamtes im Schuljahr 2006/2007 eine Klasse<br />
wiederholen, eine Quote von 2,7 %“. 9)<br />
Dies kostet laut einer Studie des Bildungsforschers Klaus KLEMM<br />
über das „Sitzenbleiben“ („Klassenwiederholungen - teuer und unwirksam“)<br />
den Steuerzahler pro Jahr eine knappe Milliarde Euro (in<br />
Zahlen: 1.000.000.000 Euro). 10) Die Studie fordert stattdessen, dass<br />
diese Riesensumme besser in die individuelle Förderung investiert<br />
wird, um von vornherein einem solchen „Sitzenbleiberelend“ 11)<br />
vorzubeugen, wie Artur Kern dies bereits 1950 bezeichnete.<br />
a) Verlässlichkeit der individuellen Förderung<br />
Dem für das Schulsystem untragbaren Zustand dieser Sitzenbleiberquote<br />
wollen die Länder unbedingt abhelfen. Das Land <strong>Rheinland</strong>-<br />
<strong>Pfalz</strong> hat beispielsweise die Schulen per Schulgesetz (§ 10 Absatz<br />
1) 12) zur individuellen Förderung verpflichtet, was grundsätzlich<br />
einen außerordentlichen Fortschritt bedeutet. Auch in der neuen<br />
Grundschulordnung von <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 13 ) ist die individuelle<br />
Förderung fest verankert.<br />
Fotos S.11 u. 13: Bert Butzke<br />
Absatz 3 des § 28 dieser Grundschulordnung (Fördermaßnahmen<br />
für Schülerinnen und Schüler mit Lernschwierigkeiten und Lernstörungen)<br />
sieht neben der vorrangigen individuellen Förderung<br />
im Klassenunterricht auch die zusätzliche Förderung durch Doppelbesetzungen<br />
sowie die Förderung in Kleingruppen vor. Dies<br />
wäre ein bahnbrechender Fortschritt, wenn da nicht in Absatz 3 ein<br />
lapidarer haushaltstechnischer Zusatz stünde: „ ... nach Maßgabe<br />
der zur Verfügung stehenden Lehrerwochenstunden ...“. Und was<br />
das heißt, wissen wir doch alle!<br />
Diese erhebliche Einschränkung für den personellen Bereich hat<br />
erfahrungsgemäß zur Folge, dass in der Regel zusätzlich ausgewiesene<br />
Stunden für eine Klasse in der gängigen Praxis zumindest bei kurzfristigen<br />
Vertretungsnotwendigkeiten wie Krankheit, Fortbildung<br />
o.ä. zur Abdeckung des Pflichtunterrichts herangezogen werden.<br />
Diese Förderstunden werden somit zur beliebigen Reserve für den<br />
Vertretungsplan und verfehlen ihren eigentlichen Sinn. Die Verlässlichkeit<br />
einer kontinuierlichen Förderung ist damit in keiner Weise<br />
gegeben. Den Mut einer Mutter sollten viel mehr Eltern aufbringen!<br />
Diese Mutter weigerte sich, ein Zeugnis zu unterschreiben,<br />
in dem eine Förderung aufgeführt war, die nur ganz sporadisch<br />
stattgefunden hatte.<br />
Ohne diese notwendigen zusätzlichen verbindlichen personellen<br />
Aufstockungen verlangt die Bildungsadministration dennoch von<br />
ihren Lehrerinnen und Lehrern im für das Lesenlernen entschei-<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />
11
Schulen<br />
denden ersten Schuljahr, dass sie im Rahmen der individuellen<br />
Förderung innerhalb ihrer Klasse alle Probleme „in den Griff“<br />
bekommen, die das Schulfähigmachen bei Entwicklungsrückständen<br />
immer jünger werdender Kinder durch Vorverlegung der<br />
Einschulungstermine, das Erarbeiten nicht vorhandener Wahrnehmungsvoraussetzungen<br />
in den Bereichen Deutsch (Entwickeln<br />
phonologischer Bewusstheit) und Mathematik (elementarer Aufbau<br />
einer Zahlvorstellung) sowie sozialer Kompetenzen, Anstrengungen<br />
zur Eingliederung von Kindern mit Migrationshintergrund u.a..<br />
Dafür werden sie ja schließlich auch bezahlt!<br />
Damit stößt die individuelle Förderung an ihre Grenzen, vor allem<br />
dann, wenn sich die Klassenfrequenzen insbesondere in den großen<br />
Grundschulen am oberen Limit der Klassenmesszahlen befinden<br />
(kleine Verbesserungen sind jetzt in Sicht), wenn dazu noch ausgeprägte<br />
Teilleistungsschwächen vorliegen und wenn sich neben den<br />
kognitiven Verzögerungen auch zunehmende Verhaltensprobleme<br />
einstellen.<br />
Lehrerinnen und Lehrer werden folglich mit ihren nicht zu bewältigenden<br />
Problemen allein gelassen nach dem Motto „Jeder weiß,<br />
dass es nicht geht, aber jeder tut so, als ob es geht.“.<br />
b) Lesenlernen im bestehenden System Schule<br />
LORENZ und RADATZ schreiben: „Eine ausgeprägte Lese-, Rechtschreibschwäche<br />
oder eine Rechenschwäche sind durchweg nur über<br />
eine Einzelförderung zu beheben, weil die Erscheinungsformen sowie<br />
die Ursachen dieser Lernschwächen überaus individuell sind.“ 14)<br />
Damit widersprechen sie der Geld sparenden Auffassung, schulische<br />
Schwierigkeiten lediglich durch einen „fördernden Unterricht“ im<br />
Rahmen des Klassenverbandes beheben zu können.<br />
Wenn Kinder ohne Wahrnehmungsvoraussetzungen für das Lesenlernen<br />
eingeschult werden, wenn sie zu keinem lautbezogenen<br />
Hören fähig sind, wenn sie keine gleichen Anlaute bestimmen können,<br />
dann bleibt ihnen das Eindringen in die Lautstruktur unserer<br />
Sprache und somit auch das Lesenlernen weitgehend verschlossen.<br />
Dadurch wird aber auch das Erlernen der notwendigen Laute und<br />
Lautverbindungen verhindert, was in den Folgeschuljahren nicht<br />
mehr aufgearbeitet wird und die Mitarbeit im Fach Deutsch extrem<br />
belastet. Wer von den Lehrer/innen und Eltern käme dann noch<br />
auf die Idee, dass der Drittklässler oder die Viertklässlerin die Laute<br />
der Buchstaben nicht oder nicht hinreichend genug kennt? Diese<br />
Kinder müssen dann die Lesetexte ohne die entsprechenden Laut-,<br />
Buchstabenkenntnisse 15) mehr oder weniger auswendig lernen. Die<br />
mangelhaften Deutschkenntnisse haben in der Folge zunehmend<br />
negative Auswirkungen auf die Leistungen in allen Fächern, in<br />
denen auch gelesen, verstanden und geschrieben werden muss, und<br />
vergrößern so die Trostlosigkeit der schulischen Gesamtbilanz bei<br />
den betroffenen Schülerinnen und Schülern massiv.<br />
Ohne zusätzliche individuelle Förderung können sie am Leselernprozess,<br />
am Deutschunterricht und später an den meisten übrigen<br />
Fächern nicht erfolgreich teilnehmen. Die Schere zu ihren Klassenkameradinnen<br />
und Klassenkameraden wird immer größer. Die<br />
Kinder eines zweiten Schuljahres haben kaum mehr eine Chance,<br />
die Rückstände aus dem ersten Schuljahr aufzuarbeiten, auch nicht<br />
über die individuelle Förderung im Rahmen des Klassenunterrichts.<br />
Das funktioniert im derzeitigen System Schule nicht, da Stunden für<br />
Kleingruppen- oder gar Einzelförderung bzw. Doppelbesetzungen<br />
nicht im notwendigen Maß vorhanden sind!<br />
Wie kann ein Kind unter solch äußerst ungünstigen Startbedingungen<br />
ein positives Verhältnis zur Schule und zum Lernen entwickeln?<br />
Permanente Leistungsüberforderung ist eine seelische Tortur<br />
nicht nur für das Kind, sondern auch für sein gesamtes Umfeld! Hier<br />
kann eine „Null Bock“ - Haltung entstehen, die Leistungsbereitschaft<br />
und gesellschaftliche Verantwortung nicht mehr kennt und so zu<br />
Sozialhilfe- und Hartz-IV-Dynastien führt.<br />
Ohne die im boomenden Nachhilfemarkt außerschulischen Nachhilfemaßnahmen,<br />
die Eltern unter hohem zeitlichem und finanziellem<br />
Einsatz organisieren, läge die Versagerquote noch wesentlich höher!<br />
Dazu DÖBERT und HUBERTUS: „Eltern dagegen, die ihre Kinder<br />
fördern und unterstützen wollen, erhalten wenig Hilfestellung von<br />
der Schule. Lernen im Gleichschritt ohne Anpassung an Materialien,<br />
Lerntempi und Methoden an die jeweiligen Möglichkeiten<br />
des einzelnen Kindes können zu Schulversagen und negativem<br />
Selbstbild führen.“ 16)<br />
Auf der Fachtagung des AlBi-Projekts 17) am 25. September 2009 in<br />
Mainz berichtete ein ehemaliger (funktionaler) Analphabet äußerst<br />
eindrucksvoll über seinen Leidensweg und seine Überlebensstrategien<br />
als Nichtleser durch die neun Schuljahre hindurch. Alle Lehrer/<br />
innen kannten sein Problem und keine/r hat ihm geholfen. Es wäre<br />
ganz wichtig, wenn die Schule eine solche Situation nicht einfach<br />
schweigend oder aus falsch verstandenem Mitleid hinnimmt, sondern<br />
vielmehr im Sinne eines Problembewusstseins ernst nimmt und<br />
zudem offenlegt, damit solche vorhandenen Missstände überhaupt<br />
erst nach „oben“ gelangen und gezielt abgestellt werden können.<br />
Solch ein Schicksal sollte unseren Kindern in jedem Fall erspart<br />
bleiben! Aber dazu bedarf es eben des Willens zu finanziellen Investitionen.<br />
4. Bildungspolitische Notwendigkeiten zur Vermeidung<br />
von Analphabetismus<br />
Der Zustand des Systems Schule in seiner traurigen Realität, seine<br />
durch finanzielle Zwänge begrenzten Möglichkeiten als Ergebnis<br />
von politischen Prioritätensetzungen und die daraus resultierenden<br />
negativen Entwicklungen (schwache PISA - Resultate für deutsche<br />
Schüler/innen, permanente OECD 18) - Kritik am deutschen<br />
Bildungssystem) sind unangenehme Wahrheiten, die nicht so gern<br />
vernommen werden wollen. Im OECD - Bericht „Bildung auf<br />
einen Blick 2009“ wird Deutschland (Bund und Länder, die ja<br />
auf dem Bildungsgipfel 2008 in Dresden viel versprochen hatten)<br />
aufgefordert, mehr in den Bildungsbereich zu investieren. Nach<br />
OECD - Rechnung gab die Bundesrepublik 2006 „4,8 Prozent ihres<br />
Bruttoinlandsproduktes (BIP) aus - das waren 0,3 Prozent weniger als<br />
2005“. 19) Und das war vor der schweren Wirtschaftskrise 2008/2009!<br />
„Im OECD - Schnitt stieg der Anteil im gleichen Zeitraum von 5,4<br />
Prozent auf 5,5 Prozent.“ 20)<br />
Dass die jetzige Schule in unserer Republik junge Menschen entlässt,<br />
die nicht oder nicht hinreichend genug lesen und schreiben, aber<br />
auch oft nicht rechnen können, die teilweise von Industrie und<br />
Handwerk gar als ausbildungsunfähig - eine unfassbare Bewertung<br />
- eingestuft werden, lässt unsere Politikerinnen und Politiker anscheinend<br />
kalt. Nur so ist zu verstehen, dass keine grundlegenden<br />
quantitativen und qualitativen Veränderungen im System Schule im<br />
Sinne einer neuen Weichenstellung (Paradigmenwechsel) stattfinden.<br />
Nur so ist zu verstehen, dass das bequeme beharrende „Weiter so“<br />
durch ständige Schönredereien des deutschen Bildungswesens in<br />
bildungspolitischer Kurzsichtigkeit den Blick auf das Ganze verstellt.<br />
„Der Widerspruch zwischen Sonntagsreden und Alltagshandeln“ 21)<br />
sollte endlich aufgehoben werden. Angesichts eines bevorstehenden<br />
dramatischen Bevölkerungsrückgangs kann es sich unser Land nicht<br />
12 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012
Schulen<br />
in Eigenverantwortung zu leben<br />
und möglicherweise eine eigene<br />
Familie zu gründen. Das könnte<br />
man dann als bildungspolitisches<br />
Handeln mit der gebotenen Weitsicht<br />
bezeichnen.<br />
Anmerkungen<br />
leisten, Menschen einer Generation bildungsmäßig auszugrenzen.<br />
Und das geschieht zurzeit!<br />
Es ist doch besser, „insbesondere in die Schuleingangsphase (letzte<br />
Kindergartenjahre und die zwei ersten Schuljahre der Grundschule),<br />
und das müsste eigentlich jeder/jedem einleuchten, verstärkt<br />
Haushaltsmittel zu investieren (Doppelbesetzungen u.a.), als später<br />
wesentlich kostenaufwändigere berufliche Qualifizierungs- und<br />
Rehabilitationsmaßnahmen für schulisch gescheiterte Jugendliche<br />
zu finanzieren bis hin zu sozialen und beruflichen Integrationsanstrengungen<br />
im und nach dem Strafvollzug“. 22)<br />
Nach der überaus unglücklichen Föderalismus“reform“ hat der Bund<br />
noch mehr Kompetenzen in Sachen Bildung an die Länder abgegeben.<br />
Diese sind daher verstärkt gefordert, neue Einsichten u.a. in<br />
die Zusammenhänge von Elementar-, Primarbereich (Kindergarten/<br />
Schule) und Analphabetismus zu entwickeln. Dazu gehört jedoch<br />
in erster Linie, dass die Landesregierungen ihr starres an Ressorts<br />
gebundenes Schubladendenken aufgeben.<br />
Bildungspolitik braucht eine ganzheitliche Sichtweise, die alle<br />
Ministerien, vor allem das Finanz- und Sozialministerium, einschließt.<br />
Gedanken der Prävention müssten unbedingt einen viel<br />
höheren Stellenwert erlangen, damit das Beziehungsgeflecht von<br />
Bildung für alle, Analphabetismus, Armut/Kinderarmut (u.a. Hartz<br />
IV), überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit sowie Alkohol- und<br />
Drogenabhängigkeit und letztendlich erhöhtem Risiko, in ein kriminelles<br />
Umfeld abzugleiten, gemeinsam angepackt werden kann.<br />
Ohne nachhaltige konkrete Veränderung des Systems Schule, an<br />
der auch die Wirtschaft hinsichtlich qualifiziert ausgebildeter MitarbeiterInnen<br />
besonders interessiert sein müsste, findet bestenfalls<br />
ein Treten auf der Stelle statt.<br />
Die eine Milliarde, die das Sitzenbleiben den Steuerzahler alljährlich<br />
kostet, konkret investiert in die individuelle Förderung im Elementar-<br />
und Primarbereich, erspart demselben Steuerzahler viele<br />
Milliarden an anderer Stelle, nämlich - wie bereits erwähnt - die weit<br />
höheren Aufwendungen für gescheiterte Jugendliche und junge Erwachsene,<br />
die eine wesentlich geringere Chance haben, selbstständig<br />
1) DöBERT, Marion/HUBERTUS, Peter,<br />
Ihr Kreuz ist die Schrift - Analphabetismus<br />
und Alphabetisierung in Deutschland, Hrsg.:<br />
Bundesverband „Alphabetisierung und<br />
Grundbildung e. V.“, 1/2000, S. 39<br />
2) Mein Vorschulbuch Deutsch - Lesen und<br />
Schreiben, Schwager & Steinlein -Verlag,<br />
Köln o.J., vertrieben von Discounter Lidl<br />
2008, S. 52<br />
3) MINISTERIUM FÜR BILDUNG,<br />
FRAUEN UND JUGEND, <strong>Rheinland</strong>-<br />
<strong>Pfalz</strong>, Bildungs- und Erziehungsempfehlungen<br />
für Kindertagesstätten in <strong>Rheinland</strong>-<br />
<strong>Pfalz</strong>“, Beltz -Verlag, Weinheim und Basel<br />
1/2004, S. 42 und 43<br />
4) Zit. DÖBERT, Marion/HUBERTUS,<br />
Peter, Ihr Kreuz ist die Schrift, S.41<br />
5) REICHELT, Helmut, Mit „Geheimnisspielen“<br />
Wahrnehmungsvoraussetzungen für<br />
das Lesenlernen schaffen -<br />
In: Sonderpädagogik in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>, Mitteilungen des vds-Landesverbandes<br />
<strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>, 2/1998, S. 28 - 36<br />
6) TROßBACH-NEUNER, Eva, Womit fängt Eimer an? - Gesprochene Sprache im<br />
Aufbau phonematischer Bewusstheit, Peter-Lang-Verlag, Frankfurt/Main 1992<br />
7) KÜSPERT, Petra, SCHNEIDER, Wolfgang, Hören, lauschen, lernen - Sprachspiele<br />
für Kinder im Vorschulalter, Würzburger Trainingsprogramm zur Vorbereitung auf den<br />
Erwerb der Schriftsprache, Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen, 4/2003<br />
8) Die Begriffe „phonematisch“ und „phonologisch“ werden synonym verwandt.<br />
9) Zit. In: „Erziehung und Wissenschaft“, Zeitschrift der <strong>GEW</strong>ERKSCHAFT ERZIE-<br />
HUNG UND WISSENSCHAFT, Heft 7-8/2008, S. 26<br />
10) KLEMM, Klaus, Klassenwiederholungen - teuer und unwirksam - Eine Studie zu<br />
den Ausgaben für Klassenwiederholungen in Deutschland im Auftrag der Bertelsmann<br />
Stiftung 2009 und Mittelrhein-Verlag Koblenz, RHEIN-ZEITUNG vom 04.09.2009,<br />
S. 1: „Sitzenbleiben ist teuer und sinnlos“<br />
11) KERN, Artur, Sitzenbleiberelend und Schulreife - Ein psychologisch-pädagogischer<br />
Beitrag zu einer inneren Reform der Grundschule, Herder-Verlag, Freiburg, Basel, Wien,<br />
1/1950 und 5/1966<br />
12) MINISTERIUM FÜR BILDUNG, WISSENSCHAFT, JUGEND UND KUL-<br />
TUR RHEINLAND-PFALZ, Schulgesetz vom 30. März 2004, zuletzt geändert am<br />
17. September 2007<br />
13) MINISTERIUM FÜR BILDUNG, WISSENSCHAFT, JUGEND UND KULTUR<br />
RHEINLAND-PFALZ, Schulordnung für die öffentlichen Grundschulen (Grundschulordnung)<br />
vom 10. Oktober 2008<br />
14) LORENZ, Jens Holger/RADATZ, Hendrik,, Handbuch des Förderns im Mathematikunterricht,<br />
Schroedel Verlag, 1993, S. 114<br />
15) REICHELT, Helmut, Walter weint - er will nicht lesen – Überlegungen zu einem<br />
stets aktuellen Thema - In: Sonderpädagogik in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>, Mitteilungen des vds-<br />
Landesverbandes <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>, 4/1997<br />
16) Zit. DÖBERT, Marion/HUBERTUS, Peter, Ihr Kreuz ist die Schrift, S.41<br />
17) Fachtagung des Forschungs- und Entwicklungsprojekts „Alphabetisierung und<br />
Bildung (AlBi) „Besser spät als nie...Alphabetisierung stärken!“ - Herausforderungen,<br />
Erfahrungen und Modelle der Alphabetisierungs- und Grundbildungsarbeit, Johannes<br />
Gutenberg-Universität, Mainz, 25.09.2009<br />
18) OECD = Organization for Economic Cooperation and Development<br />
(= Organisation für wirtschaftliche Entwicklung und Zusammenarbeit)<br />
19) LOEWE, Max, Jetzt in Bildung investieren - OECD-Bericht „Bildung auf einen<br />
Blick 2009, In: „Erziehung und Wissenschaft“, 10/2009, S. 23/24<br />
Zum Verständnis der Größenordung: Bei einem BIP von etwa 2 Billionen €<br />
(2.000.000.000.000 €) = 2000 Milliarden € bedeuten die 0,3 % weniger einen Rückgang<br />
von 6 Milliarden € an Bildungsinvestitionen.<br />
20) Zit. LOEWE, Max, Jetzt in Bildung investieren, S. 24<br />
21) THÖNE,Ulrich, „Erziehung und Wissenschaft“, 7-8/2008, S. 24<br />
22) REICHELT, Helmut, Zauberwort Individuelle Förderung - Finanzielle Investitionen<br />
in das Bildungssystem erforderlich, In: <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>, Nr. 3/2009, S. 7<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />
13
Bildung<br />
Pädagogik der Beschämung<br />
Wer über Gewalt spricht, darf von<br />
Beschämung nicht schweigen<br />
In den letzten Jahren hat es erneut eine vielschichtige öffentliche<br />
Debatte über Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gegeben.<br />
Mit den empirischen Befunden und Berichten über<br />
unterschiedliche Formen von Gewalt in der Familie, dann in<br />
der Heimerziehung bis in die siebziger und achtziger Jahre, in<br />
einigen Internaten in kirchlicher oder reformpädagogischer<br />
Trägerschaft und auch in Einrichtungen der Jugendhilfe und<br />
Jugendarbeit wurden das historische und auch aktuelle Ausmaß<br />
deutlich.<br />
Dabei geht es um die physische, sexuelle und psychische<br />
Gewalt, die vom pädagogischen Personal in unterschiedlichen<br />
Einrichtungen ausgegangen ist. Hier waren es vor<br />
allem Formen von körperlicher Gewalt (Prügel, Züchtigung)<br />
und sexueller Gewalt („Missbrauch“), wie sie in<br />
den Berichten über die Heimerziehung, über einzelne<br />
Reformschulen (vor allem der Odenwaldschule), zahlreichen<br />
kirchlichen Einrichtungen (vor allem Internaten)<br />
und auch aus der Jugendhilfe und Jugendarbeit vor allem<br />
bei Freizeiten nachhaltig (und zugleich unvollständig)<br />
dokumentiert sind.<br />
Foto:Bert Butzke<br />
Von der Strafe zur Beschämung<br />
Die aktuelle Datenlage über Formen der Gewalt in den<br />
Domänen der professionalisierten Pädagogik ist begrenzt.<br />
Es gibt immer wieder Vorfälle, aber - bei aller Vorsicht<br />
und im Vergleich zu vorangegangenen Zeiträumen, einem<br />
nicht bekannten Dunkelfeld - kaum noch systematische<br />
körperliche oder auch sexuelle Gewalt gegen Kinder<br />
und Jugendliche in pädagogischen Einrichtungen, die<br />
vom pädagogischen Personal ausgeht. Das belegen auch<br />
- bei aller Vorläufigkeit, weil die Interneterfahrungen<br />
nicht berücksichtigt wurden - die Zahlen zur sexuellen<br />
Gewalt gegen Kinder und Jugendliche innerhalb und<br />
außerhalb der Familie, die im Zwischenbericht des<br />
Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen<br />
(KFN) Mitte Oktober 2011 vorgelegt wurden. Nach<br />
dieser im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung<br />
und Forschung (BMBF) erstellten Studie findet sexuelle<br />
Gewalt ganz überwiegend in der Familie und im Bekanntenkreis<br />
statt. Außerdem gibt es einen deutlichen<br />
Rückgang innerhalb der Familie in den letzten 20 Jahren<br />
gegenüber den Daten der Vorgängerstudie des KFN von<br />
1992. Nach dem aktuellen Zwischenbericht waren von<br />
den 11.500 befragten Personen im Alter von 16 bis 40<br />
Jahren insgesamt 6,4% der Frauen und 1,3% der Männer<br />
von unterschiedlichen Formen sexueller Gewalt betroffen.<br />
8,6% der Opfer haben Lehrer als Täter genannt.<br />
Die bisher vorliegenden Erkenntnisse über die strafende<br />
Pädagogik deuten jedoch auf einen Wechsel hin: weg von<br />
den offenen und direkten hin zu eher indirekten, subtilen<br />
und angedeuteten, mehr im Verborgenen ausagierten<br />
Gewaltformen. Die Gewaltdiskussion und -forschung<br />
müsste ihre Aufmerksamkeit - jenseits von Pauschalisierungen<br />
und Diskriminierungen des pädagogischen<br />
Personals - differenziert auf alle Gewaltformen und<br />
dabei vor allem die derzeit dominierenden Phänomene<br />
der Beschämung richten. Ebenso wären die Motive und<br />
Prozesse zu untersuchen, die Kinder und Jugendliche zu<br />
Opfern machen, und über solche Beschämungsprozesse<br />
und ihre Folgen aufzuklären.<br />
Beschämung ist - generell in allen (sozial-) pädagogischen<br />
Einrichtungen - kein neues Phänomen, im Gegenteil,<br />
sie durchzieht ihre Geschichte von Anfang an und war<br />
in deren Züchtigungs- und Strafgeschichte immer auch<br />
mit den körperlichen und sexuellen Gewaltformen verbunden,<br />
die eine besonders tiefe und extreme Form der<br />
Beschämung darstellen.<br />
Beschämungsformen<br />
Beschämung ist von dem notwendigen Setzen von Grenzen<br />
und der Vereinbarung von Regeln strikt abzugrenzen,<br />
ebenso von den systematischen und konkreten pädagogischen<br />
Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen, die zu<br />
legitimieren und transparent zu machen sind und die<br />
Würde von Kindern und Jugendlichen nicht verletzen<br />
dürfen. In den pädagogischen Arbeitsfeldern sind die<br />
Überschreitung der Schamgrenzen und die Beschämung<br />
mit unterschiedlichen subjektiven und pädagogisierenden<br />
14 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012
Bildung<br />
Legitimationen und mit unterschiedlichen Merkmalen<br />
verbunden. In der Schule ist sie ein Instrument des<br />
Leistungs-, Zensuren- und Selektionszwanges, in der<br />
außerschulischen (sozialen) Pädagogik ist sie mit der<br />
erwarteten Anpassung, den Gewohnheiten, Routinen<br />
und der jeweiligen Kultur verbunden. Nach vorliegenden<br />
empirischen Befunden fühlt sich etwa ein Drittel der<br />
befragten Schülerinnen und Schüler von Lehrkräften<br />
vor der Klasse „blamiert“ oder „teilweise blamiert“;<br />
lediglich ein Drittel empfindet das Lehrerhandeln als<br />
„nicht-abwertend“. Missachtungserfahrungen machen<br />
gleichermaßen Mädchen und Jungen aller Schulformen<br />
in einem Viertel ihres Unterrichts.<br />
Auf der phänomenologischen Ebene werden Beschämungen<br />
im pädagogischen Umgang über sprachliche<br />
Äußerungen (verächtliche, zynische Sprache) oder weniger<br />
verbalisierte Verhaltensweisen mitgeteilt:<br />
- verächtliche und verachtende Bemerkungen über<br />
(schlechte) Leistungen, über die Meinungen, Eigenschaften<br />
und (auffällige) Verhaltensweisen, den Lebensstil und<br />
das Outfit von Kindern und Jugendlichen<br />
- erniedrigende und demütigende Bemerkungen über<br />
Mängel und Schwächen, über angebliche Fehler, Lücken<br />
und Defizite, mit denen Kinder und Jugendliche<br />
zu Versagern werden; sie werden ausgelacht, verspottet,<br />
eingeschüchtert, bloßgestellt und vorgeführt, in „gut“ und<br />
„schlecht“, zugehörig und nicht zugehörig, leistungsfähig<br />
und nicht leistungsfähig sortiert;<br />
- zurückweisende Bemerkungen, die Kindern und Jugendlichen<br />
zeigen, dass man sich über sie lustig macht,<br />
dass es auf sie nicht ankommt und sie nichts wert sind;<br />
- missachtende Bemerkungen und Verhaltensweisen, die<br />
Kinder und Jugendliche nicht einbeziehen, sie ignorieren,<br />
„links liegen lassen“ und ihnen signalisieren, dass man an<br />
ihnen kein Interesse hat, sie nicht braucht;<br />
- abwertende und entwertende Äußerungen und Verhaltensweisen,<br />
bei denen Kinder und Jugendliche nicht den<br />
vorherrschenden, üblichen, angemessenen und akzeptierten<br />
(Leistungs-)Erwartungen entsprechen;<br />
- soziale und ethnische Diskriminierungen, die Kinder<br />
und Jugendliche mit ihrer - oftmals bildungsfernen -<br />
Herkunft und Lage konfrontieren und sie etikettieren,<br />
die ihr Verhalten und ihre Leistungen solchen selektiven<br />
Herkunftsmerkmalen zuweisen;<br />
- negative Anerkennung, bei der mit Kindern und Jugendliche<br />
nur oder überwiegend negativ sanktionierend umgegangen<br />
und so kommuniziert wird; sie erfahren keine<br />
Botschaften mit positiver, bestärkender und fördernder<br />
Anerkennung und Zugehörigkeit.<br />
Tradition der schwarzen Pädagogik<br />
Gesunde Scham und gesundes Schamempfinden schützen<br />
und regulieren das Selbstwertgefühl sowie die Grenzen<br />
des Selbst in den Interaktionen; hier werden die Würde<br />
des Kindes und Jugendlichen geachtet sowie die Grenzen<br />
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<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />
15
Bildung<br />
gewahrt. Pathologische oder gar traumatische Scham sind<br />
schmerzhafte und heimliche Gefühle (Kränkungen), die<br />
verwunden und unerträglich werden können; vielfach<br />
sind sie mit unterschiedlichen Formen von Abwehr verbunden.<br />
Verächtlichmachen und Verachtung, Schikanen,<br />
Zurückweisung, Erniedrigung, Missachtung, Abwertung,<br />
Demütigung, Diskriminierung, Häme und Spott sowie<br />
negative Anerkennung sind die - pädagogisch-öffentlichen<br />
- Dimensionen, die eine „Beschämungspädagogik“<br />
konturieren. Es sind Bilder, Urteile oder Vorurteile und<br />
die Beschämungen zielen immer auf eine Bestrafung<br />
und Schuldzuweisung an die Kinder und Jugendlichen.<br />
Dabei wird das Strafbedürfnis der erwachsenen Akteure<br />
in den skizzierten Formen aus einer Machtposition des<br />
Stärkeren gegenüber einem Abhängigen befriedigt und<br />
mit „erzieherischen Wirkungen“ legitimiert. Diese sind<br />
wiederum mit normativen Mentalitäten und einem<br />
Kinder- und Jugendbild verknüpft, nach dem die junge<br />
von der erwachsenen Generation - mehr oder weniger<br />
autoritär, repressiv, kontrolliert - beeinflusst und erzogen<br />
werden muss. Dabei kann der Pädagoge - wie der Vater<br />
und die Mutter in der familialen Erziehung - als „Beschämungsspezialist“<br />
charakterisiert werden; hier steht die<br />
pädagogische Profession in der Tradition der schwarzen<br />
Pädagogik, die den Kindern und Jugendlichen autoritär,<br />
feindlich und ohne Empathie gegenüber tritt.<br />
Die Erfahrungen mit Scham und Beschämung sind für<br />
die Betroffenen in ihrer intellektuellen, emotionalen und<br />
gesundheitlichen Entwicklung, in der Bewältigung von<br />
Entwicklungsherausforderungen im Prozess des Erwachsenwerdens<br />
und Identitätsaufbaus folgenreich. Sie können<br />
mit Schul- und Leistungsverweigerung, körperlichen<br />
Reaktionen (Erröten) oder mit unterschiedlichen Formen<br />
der Abwehr (Rückzug, Verachtung, Zynismus, dissoziales<br />
Verhalten, Größenphantasien und Arroganz) reagieren.<br />
Weiter können ängstliche und resignative Verhaltensweisen,<br />
Ohnmachts-, Einsamkeits- und Verlassenheitsgefühle<br />
entstehen: Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit, Handlungssicherheit,<br />
Kreativität und Interesse, Kompetenzentwicklung<br />
und Lernprozesse können blockiert werden.<br />
Wiederholte und traumatische Erfahrungen können zur<br />
Folge haben, dass es nicht gelingt Körperscham wieder<br />
abzulegen. Das gilt auch für das Auftreten von Selbstdarstellungs-<br />
und Auftrittsängsten, Beeinträchtigungen bei<br />
Beschämungen, die mit Körper, Sport, Bewegung und<br />
Gesehen-Werden zusammenhängen, dann für (Auto-)<br />
Aggressionen, Sozialphobien und Panikattacken.<br />
Anerkennende Pädagogik<br />
Die Auseinandersetzung mit der „Straf- und Beschämungspädagogik“<br />
in der professionalisierten Pädagogik<br />
und sozialen Arbeit gehört zur Daueraufgabe der pädagogischen<br />
Profession und des disziplinären Diskurses. In<br />
der Professionsdebatte und dem Aufbau pädagogischer<br />
Professionalität (Kompetenz) als Lernherausforderung,<br />
in der Aus- und Fortbildung des pädagogischen Personals<br />
wäre das Thema - als Bewusstsein für Scham und die<br />
Achtsamkeit im Umgang mit ihr, aber auch für die eigene<br />
Scham- und Beschämungsgeschichte - aufzunehmen und<br />
mit der Figur der moralischen Achtung und der Idee der<br />
„Würde“, des personalen Respekts und des positiven<br />
„Anerkennungsspezialisten“ zu verbinden. Dieser vertritt<br />
und realisiert eine Anerkennungspädagogik, eine<br />
anerkennende Haltung, die Kinder und Jugendliche mit<br />
ihrer Vielfalt und Verschiedenheit in deren Lern- und<br />
Bildungszeit wertschätzt und einbezieht. So geht es in<br />
der Schule um einen kognitiv-aktivierenden Unterricht<br />
und eine zugehörige Aufgabenkultur, die mit Empathie<br />
anregt und fördert, begleitet und „Türen öffnet“; in den<br />
unterschiedlichen Domänen weiter um eine Pädagogik<br />
die ihren Sinn plausibilisieren kann, die interessiert ist und<br />
neugierig auf die Welt (auch in den Schulfächern) macht.<br />
Zugleich geht es um Erfahrungen, bei denen faire Konkurrenz<br />
und Heterogenität produktiv und Rückmeldungen<br />
respektvoll sind, intellektuelle Anstrengungen Spaß machen<br />
und „es beim Lernen etwas zu lernen gibt“ (Bude).<br />
Benno Hafeneger, Institut für Erziehungswissenschaft<br />
der Philipps-Universität Marburg – Aus: HLZ 12/11<br />
<strong>GEW</strong> will Studiengänge für Kindheitspädagogik<br />
Die <strong>GEW</strong> schlägt vor, „unverzüglich grundständige Studiengänge<br />
für Kindheitspädagogik aufzubauen“. Damit solle der<br />
großen Zahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger mit<br />
Hochschulzugangsberechtigung ein attraktives Angebot gemacht<br />
werden.<br />
Die <strong>GEW</strong> begrüßt die Initiative des Aktionsrats Bildung,<br />
die Ausbildung der Beschäftigten in Tageseinrichtungen<br />
für Kinder zu verbessern. Der Vorschlag, dass bis 2020<br />
an jeder Kindertageseinrichtung (Kita) eine Kindheitspädagogin<br />
mit Hochschulabschluss tätig sein sollte, sei<br />
längst überfällig. „Der Weg zum Bachelorabschluss ist<br />
mit einer dreijährigen Erzieherausbildung und weiteren<br />
drei Jahren Studium heute aber einfach noch zu lang“,<br />
sagte Norbert Hocke, <strong>GEW</strong>-Vorstandsmitglied für Jugendhilfe<br />
und Sozialarbeit, mit Blick auf den Vorstoß des<br />
Aktionsrates Bildung. Der Grund: Die meisten der rund<br />
70 Studienangebote seien berufsbegleitend und setzten<br />
eine Erzieherausbildung voraus.<br />
„Die Arbeitsbedingungen in den Kitas müssen verbessert<br />
werden, wenn man die Qualität der pädagogischen Arbeit<br />
erhöhen will“, betonte Hocke. Er appellierte an die<br />
Kitaträger, den Personalschlüssel deutlich zu verbessern<br />
und die Zahl der Kinder pro Gruppen zu senken. Auch<br />
eine noch so gut aus- und weitergebildete Erzieherin<br />
stoße an ihre Grenzen, wenn sie keine Zeit habe, Kinder<br />
individuell zu fördern, sich auf ihre Arbeit vorzubereiten<br />
und Elterngespräche zu führen.<br />
Der Kita-Experte unterstrich, die Bezahlung aller Kita-<br />
Beschäftigten müsse verbessert werden. Die Forderung des<br />
Aktionsrats Bildung, allein die Gehälter akademisch ausgebildeter<br />
Kindheitspädagogen zu erhöhen, greife zu kurz.<br />
pm<br />
16 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012
<strong>GEW</strong>-INTERN<br />
Neues Leitungsteam bei den Realschulen plus<br />
Die Landesfachgruppen Realschulen und Haupt- und Regionale<br />
Schulen haben auf ihrer gemeinsamen Sitzung am 29.02.2012 in<br />
Wörrstadt ein Leitungsteam für die neu zu gründende Landesfachgruppe<br />
Realschulen plus gewählt.<br />
Nach der Begrüßung der anwesenden VertreterInnen der Kreise und<br />
Bezirke des Landes durch Micha Tietz stellte der Landesvorsitzende<br />
Klaus-Peter Hammer die seit 2009 erfolgreiche Zusammenarbeit der<br />
beiden Leitungsteams dar und sprach mit Blick auf den kommenden<br />
Personalratswahlkampf 2013 von einem historischen Moment anlässlich<br />
der Gründung der Landesfachgruppe Realschulen plus, welche<br />
auf dem Landesgewerkschaftstag im Mai bestätigt werden soll.<br />
Er dankte dem bisherigen kommissarischen Leitungsteam für seine<br />
engagierte Arbeit und erklärte als Ziel für die Personalratswahl 2013<br />
ein mindestens gleich gutes oder gar besseres Ergebnis als 2009.<br />
Anhand des den TeilnehmerInnen auch in Schriftform vorliegenden<br />
Tätigkeitsberichtes erläuterte Ludwig Julius die Schwerpunkte<br />
und die Aktivitäten der letzten Jahre. Anregungen zur weiteren<br />
Verbesserung der Landesfachgruppenarbeit wurden gerne vom<br />
Leitungsteam aufgenommen.<br />
Karl Maron leitete die Wahl des Leitungsteams. Er erklärte, ebenso<br />
wie Hans-Peter Schaulinski, seine Bereitschaft, das Leitungsteam<br />
in der Zukunft zu unterstützen.<br />
Das langjährig verdiente Mitglied des Leitungsteams der Landesfachgruppe<br />
Haupt- und Regionale Schulen, Alexander Witt, wird als<br />
kooptiertes Mitglied das neue Leitungsteam der Landesfachgruppe<br />
RS plus bei den kommenden Aufgaben und Herausforderungen<br />
unterstützen.<br />
hjr<br />
V.l.n.r.: Henning Caspari, Hans-Jürgen Riegler, Micha Tietz,<br />
Alexander Witt, (koopt. Mitgl.)<br />
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<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />
17
Berufliche Bildung<br />
Die Zukunft<br />
der Berufsbildung<br />
von Prof. Dr. Michael Ehrke<br />
Seit Beginn der 90er Jahre, also seit nun schon fast zwanzig Jahren<br />
wird mit wechselnder Intensität unter Bildungsfachleuten in Politik,<br />
Verbänden und Wissenschaft über die Zukunftsfähigkeit der<br />
Berufsbildung zum Teil recht heftig und kontrovers diskutiert. Im<br />
Zentrum steht das „Duale System der Berufsausbildung“, dessen<br />
Lebensfähigkeit sowohl im nationalen wie im internationalen<br />
Maßstab immer wieder in Frage gestellt wird. Diese Debatten<br />
tangieren die Gewerkschaften erheblich. Seit es internationale<br />
Vergleichsstudien wie die OECD-Studie und PISA gibt, wächst<br />
das Interesse, auch das deutsche Berufsbildungssystem in seiner<br />
Leistungsfähigkeit mit den Ausbildungssystemen anderer Länder<br />
zu vergleichen. Die Globalisierung, insbesondere aber auch die<br />
neuere Bildungspolitik der Europäischen Union erzwingen geradezu<br />
eine solche Betrachtungsweise.<br />
Die Kritik am dualen System<br />
Die zentralen Kritikpunkte, die der dualen Berufsausbildung vorgehalten<br />
werden, sind in Kürze folgende:<br />
1. „Singularitäts-These“: Das duale System sei im internationalen<br />
Maßstab ein Sonderfall, der sich nicht übertragen lässt. In den meisten<br />
Ländern sowohl innerhalb wie außerhalb Europas dominieren<br />
Schul- und Hochschulsysteme. Die deutsche Berufsausbildung wird<br />
sich daher nicht durchsetzen lassen und gegenüber dem angelsächsischen<br />
Modell „College for all“ den Kürzeren ziehen.<br />
2. „Entberuflichungs-These“: Die Ausrichtung des dualen Systems<br />
an „Ausbildungsberufen“ und damit an dem Leitbild des Berufs stehe<br />
dem Trend der „Entberuflichung“ diametral entgegen, der für die<br />
moderne Arbeitswelt maßgebend ist. Die Bindung an einen Beruf<br />
behindere somit nur den Zugang zum Arbeitsmarkt.<br />
3. „Verwissenschaftlichungs-These“: Die Stärke einer dualen<br />
Berufsausbildung liegt im Erwerb von Erfahrungswissen. In der<br />
„nachindustriellen“ Erwerbsarbeit werde aber systemisches Wissen<br />
entscheidend. Dadurch gerate das duale System gegenüber der<br />
höheren Allgemein- und wissenschaftlichen Bildung immer mehr<br />
ins Hintertreffen.<br />
4. „Pluralitäts-These“: Die mangelnde Aufnahmefähigkeit des<br />
dualen Systems für die Schulabgängerinnen und -abgänger infolge<br />
der hohen Konjunkturabhängigkeit müsse dazu führen, dass vollschulische<br />
Ausbildungen quantitativ an Bedeutung gewinnen; es sei<br />
daher nur folgerichtig, wenn sich ein schulisches Ausbildungssystem<br />
fest etabliere und sich das duale System zu einem „pluralen System“<br />
weiterentwickele.<br />
Seit 2006 hat diese Debatte einen zusätzlichen Drive bekommen<br />
durch neue Initiativen zur Modularisierung der Berufsausbildung.<br />
In einem Gutachten für das BMBF forderten die Professoren Euler<br />
und Severing [1] , die rd. 350 Ausbildungsberufe im dualen System<br />
in jeweils sechs bis zehn Module zu zergliedern, die einzeln geprüft<br />
und zertifiziert werden sollte. Damit war eine neue Tür für den<br />
Umstieg auf ein eher angelsächsisch geprägtes, tayloristisches Ausbildungsmodell<br />
geöffnet.<br />
Fotos S. 18+19: Bert Butzke<br />
Der vermeintlich umständliche Erfolgsfaktor<br />
Oft ist von Wissenschaftlern zu hören und zu lesen, die Ausbildungsberufe<br />
seien starr, nicht flexibel, ihre Modernisierung sei viel<br />
zu langatmig und umständlich. Selbst wenn dies stimmen sollte,<br />
bleibt doch zu fragen, ob Modularisierung die geeignete Antwort<br />
ist [2 ]. In einem Aufsatz von 2001 hat Gerhard Bosch auf diese Art<br />
der Diskussionsführung bereits eine passende Antwort gegeben:<br />
„Seit 1996 (bis 2001d.V.) sind 33 neue Berufe entwickelt und 109<br />
alte modernisiert bzw. erweitert worden. Pro Jahr wurden seitdem<br />
28,4 Berufe neugeordnet oder neu geschaffen - gegenüber 11,25 im<br />
Zeitraum von 1980 bis 1996. Das Tempo der Neuordnung konnte<br />
damit um mehr als 150 Prozent gesteigert werden.<br />
Der „Lebensberuf“ hat als Ideal längst ausgedient, spätestens seit<br />
der Einführung der IT-Berufe 1997 gilt das Prinzip „offener, dynamischer<br />
Berufsbilder“. Diese Konzeption basiert auf einer stärkeren<br />
Prozess- und Systemorientierung, betont die Vermittlung von<br />
„Kernqualifikationen“ [3] und ermöglicht dadurch mehr bereichsübergreifendes<br />
Zusammenhangswissen und Zusammenhangsdenken<br />
als einzelne Module es könnten. Angestrebt wird ein ganzheitliches<br />
Ausbildungskonzept, das über einem systematischen und längeren<br />
Ausbildungsgang selbständige berufliche Handlungsfähigkeit<br />
sukzessive aufbaut. Diese „Architektur“ ist inzwischen allgemeiner<br />
Industriestandard und strahlt auch in die Dienstleistungsberufe aus.<br />
18 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012
Berufliche Bildung<br />
Reformbedarf<br />
Das alles darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im<br />
dualen System der Berufsausbildung schwerwiegende und vor allem<br />
auch aus meiner Sicht unnötige Probleme gibt. Der Reformbedarf<br />
ist in der Tat dringend, und er schwelt schon lange. Nur handelt<br />
er von ganz anderen Themen, als sie von der Wissenschaft und der<br />
Politik derzeit angeboten werden.<br />
In erster Linie geht es um die bisher nie eingelöste Ausbildungsgarantie,<br />
die von Politik und Arbeitgebern immer wieder vollmundig<br />
gegenüber den Schulabgängerinnen und -abgängern abgegeben<br />
wird. Tatsächlich haben in den letzten Jahren Hunderttausende<br />
Jugendliche keinen Ausbildungsplatz bekommen, trotz ihrer Bewerbungsbemühungen<br />
und vielerlei Hilfen durch Bewerbertrainings,<br />
Schulprojekte und Berufvorbereitungsmaßnahmen. Diese Jugendlichen<br />
wurden vom Ausbildungsmarkt verdrängt und wanderten<br />
notgedrungen in Überbrückungsmaßnahmen ab, vor allem in berufliche<br />
Vollzeitschulen, die ihnen keinen adäquaten Berufsabschluss<br />
vermitteln konnten. So verwundert es nicht, dass in der Statistik<br />
aktuell 1,5 Mio. junge Menschen bis 25 Jahre geführt werden, die<br />
keinen Berufsabschluss besitzen. Die Zahlen sind unbestreitbar -<br />
und die Gewerkschaften weisen immer wieder auf diesen Skandal<br />
hin, eine soziale Misere.<br />
Ausbildungsreife und öffentliche Verantwortung<br />
Für die Arbeitgeber liegt der Grund für diese Ausbildungskrise<br />
vor allem bei den Jugendlichen selbst, die angeblich über keine<br />
ausreichende „Ausbildungsreife“ verfügen. Dieser Begriff hat inzwischen<br />
Karriere gemacht, obwohl er das Problem nicht wirklich<br />
erklärt. Der Hauptgrund war immer ein unzureichendes Angebot<br />
an Ausbildungsstellen.<br />
Das Kernproblem der dualen Berufsausbildung besteht in einem<br />
unregulierten Angebots-Nachfrage-Mechanismus. Diese fehlende<br />
Regulierung liegt aber nicht in der Natur einer dualen Ausbildung,<br />
sondern ist ausgesprochen bildungsfremd. Man könnte sie sogar<br />
als einen Verstoß gegen Artikel 12 des Grundgesetzes ansehen,<br />
der die freie Wahl des Ausbildungsplatzes garantiert. Immerhin<br />
hatte das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil schon<br />
1980 festgestellt, dass Berufsausbildung eine „öffentliche Aufgabe“<br />
darstellt, deren Durchführung der Staat an die Wirtschaft delegiert<br />
habe. Der Staat bleibt aber dafür verantwortlich, einzugreifen, wenn<br />
keine ausreichende Versorgung mit Ausbildungsstellen gewährleistet<br />
ist. Die Lösung des Problems, die damals verhandelt wurde, war<br />
die Einführung einer Kollektivfinanzierung der betrieblichen Ausbildung<br />
nach dem Motto: wer nicht ausbildet, soll sich wenigstens<br />
an den gesellschaftlichen Kosten der Ausbildung beteiligen. Denn<br />
ausgebildete Fachkräfte fragen ja alle Unternehmen nach. Dieser<br />
Lösungsansatz wurde als verfassungsrechtlich zulässig eingestuft,<br />
konnte sich aber bisher nicht durchsetzen.<br />
Allen Untergangsprognosen zum Trotz zeigt sich das duale System<br />
durchaus sehr lebendig und stellt immer noch den Hauptteil des<br />
Berufsbildungssystems dar. Die Bestandszahlen sind auf hohem<br />
Niveau bei mehr als 1,6 Mio Ausbildungsverträgen (2008) [4] . Die<br />
rechnerische Einmündungsquote lag 2009 bei 64,7 Prozent eines<br />
Schulabgängerjahrgangs [5] . Der Haupttrend der letzten vierzig Jahre<br />
heißt: Expansion des dualen Systems. Die Ausbildungsteilnahme<br />
war in den sechziger Jahren deutlich niedriger. Allerdings wird sich<br />
der demographische Rückgang der Schulabgänger/innen in den<br />
nächsten 15 Jahren bemerkbar machen.<br />
Denn die duale Ausbildung hat nach wie vor unbestreitbare Stärken,<br />
die es auszubauen gilt. Die Verbindung von Arbeiten und Lernen<br />
in der Kombination verschiedener Lernorte bringt viele Vorteile<br />
für Auszubildende wie Unternehmen. Sie ist in vielen Punkten<br />
einem klassischen Schulsystem vor allem auch in den Lerneffekten<br />
überlegen. Nicht zu vergessen die sozialpolitischen Aspekte wie<br />
Ausbildungsvergütung, geringere Jugendarbeitslosigkeit usw. Hier<br />
gäbe es also viel zu verlieren. Würde das duale System nicht mehr<br />
existieren, wäre eine gewaltige soziale Erosion zu befürchten.<br />
In der Außensicht - ein großes Erfolgsmodell!<br />
Das „alternierende Lernen“, wie die Franzosen sagen, gilt in Europa<br />
und vielen anderen Ländern heute als Best Practice. Das Interesse<br />
am deutschen Ausbildungsmodell ist im Ausland daher im Wachsen.<br />
Ohnehin sind deutsche Facharbeiter am internationalen Arbeitsmarkt<br />
weiterhin sehr gefragt. Die Wertigkeit dieses Modells strahlt<br />
auch bei uns aus. Das Prinzip duale Ausbildung macht Schule auch<br />
in anderen Bildungsteilsystemen. Bestes Beispiel: Die Forcierung<br />
dualer Studiengänge. Hier geht es zum einen um Erschließung von<br />
Akademikerreserven z.B. zur Minderung der „Ingenieurlücke“,<br />
andererseits aber auch um die Etablierung von Studienformen,<br />
die auf andere Weise Theorie und Praxis verbinden, näher an den<br />
Zielberufen und tatsächlichen Qualifikationsbedarfen dran sind und<br />
von daher auch schnellere Einstiege in die Zielberufe ermöglichen.<br />
Duales Lernen breitet sich auch in der allgemeinbildenden Schule<br />
aus. Nach dem Sieg der westdeutschen Drei-Klassen-Schule über die<br />
polytechnische Oberschule der DDR nach der Wiedervereinigung<br />
haben sich die Gemüter wieder beruhigt, und die Berührungsängste<br />
gegenüber der Verbindung von Arbeiten und Lernen haben deutlich<br />
abgenommen. Natürlich unter dem Druck der Verhältnisse, denn<br />
die Kritik an der mangelnden Vorbereitung der Schülerinnen und<br />
Die Regulierung des dualen Systems<br />
Warum greifen vernünftige Regulierungsmodelle im dualen System<br />
nicht? Ganz einfach: weil sie nicht dem Mainstream entsprechen<br />
und gegen die Prinzipien neoliberaler Wirtschaftspolitik verstoßen.<br />
Seit der Schröder-Regierung wird massiv auf angebotsorientierte<br />
Politik gesetzt. Jeder Versuch, die Arbeitgeber in die Pflicht zu<br />
nehmen, musste vor diesem Hintergrund scheitern. Man darf dabei<br />
nicht vergessen, dass die Federführung für duale Ausbildung in der<br />
Bundesregierung gemäß Berufsbildungsgesetz (BBiG) beim Bundeswirtschaftsminister<br />
liegt. Damit sind eindeutige Signale gesetzt.<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />
19
Berufliche Bildung<br />
Schüler auf die Arbeitswelt hat im Zuge der Bewerberdebatte immer<br />
mehr zugenommen. Das entwickeltste Modell in diesem Bereich<br />
scheint mir das Konzept des „Produktiven Lernens“ zu sein [6] . Hier<br />
haben die Schülerinnen und Schüler aller Schultypen die Möglichkeit,<br />
in den letzten beiden Klassen einen PL-Bildungsgang zu<br />
wählen. Dies bedeutet dann: drei Tage in der Woche Lernen in einem<br />
beruflichen Praxisfeld, zwei Tage in der Woche Schulunterricht. Das<br />
Gesamtmodell ist in ein Curriculum eingebunden und didaktisch<br />
gesteuert. Es geht also nicht nur um Praktika. Mittlerweile praktizieren<br />
bereits 100 Schulen in sechs Bundesländern dieses Modell.<br />
Erstaunlicherweise konnte nachgewiesen werden, dass die Jugendlichen<br />
in den PL-Klassen am Ende keinen Allgemeinbildungsrückstand<br />
aufweisen gegenüber den Jugendlichen, die wesentlich mehr<br />
Schulunterricht hatten. In dieselbe Richtung geht das Hamburger<br />
Modell der Produktionsschule.<br />
Handlungsfelder<br />
Es geschieht also allerhand um die duale Berufsausbildung, was ihr<br />
pädagogisches und lernorganisatorisches Grundprinzip voll und<br />
ganz bestätigt. Dies kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass<br />
weiterhin erheblicher Reformbedarf besteht.<br />
1. Das Kernproblem bleibt das Regulierungsdefizit des Ausbildungsmarktes.<br />
Ausbildungskrisen sind auch in Zukunft nicht ausgeschlossen.<br />
Niemand kann voraussehen, wie sich die wirtschaftliche Lage<br />
entwickelt und ob sich bei sinkenden Bewerberzahlen tatsächlich<br />
für den einzelnen die Berufschancen verbessern. Daher bleibt es<br />
eine zentrale Aufgabe, ein gesetzliches Steuerungsinstrument für<br />
eine ausgewogenes Angebots-Nachfrage-Verhältnis zu etablieren.<br />
2. Um aus dem Demographietrend für die bisher Benachteiligten<br />
Kapital schlagen zu können, muss sich die Auswahl- und Einstellpraxis<br />
der Betriebe ändern. Eine der wichtigen Stärken des dualen<br />
Systems, dass es nämlich nach unten offen ist und keine Berechtigungshürden<br />
kennt, ist in den letzten Jahren durch „Bestenauslese“<br />
diskriminiert worden. Die Unternehmen müssen die Fähigkeit<br />
zurückgewinnen, normale Jugendliche „besser“ auszubilden, wie das<br />
immer typisch war für Berufsausbildung. Neu wäre allerdings die<br />
Herausforderung einer wesentlich größeren Migrantenbeteiligung,<br />
die Zahlen müssten sich mindestens verdreifachen [7] . Dies kann<br />
nicht gelingen ohne eine gezielte Integrationspolitik.<br />
3. Das Übergangssystem muss schnell abgebaut werden. Es darf<br />
nicht verstetigt und in Richtung auf ein zweites, unterwertiges<br />
Ausbildungssystem „reformiert“ werden. Dies verlangt von der<br />
Politik, die Wahrheit endlich anzuerkennen, dass der Anteil an<br />
Niedrigqualifizierten in Deutschland zu hoch ist und dass dieser Fakt<br />
die wichtigste Bremse für Vollbeschäftigung ist. Auch die offizielle<br />
EU-Strategie will diesen Anteil deutlich senken. Wann geschieht das<br />
bei uns? Wahrscheinlich nicht mit einer schwarz-gelben Regierung.<br />
Für die jungen Menschen, die bisher noch keinen Berufsabschluss<br />
erreichen konnten, muss ein zeitlich begrenztes Sonderprogramm<br />
gestartet werden. In Verbindung mit einer Kompetenzbilanzierung<br />
sollte diesem Personenkreis ein Crash-Programm angeboten werden,<br />
um jährlich bundesweit mindestens 300.000 zur Externenprüfung<br />
nach BBiG § 43 (2) oder § 45 zu führen. Dies wäre im Wesentlichen<br />
ein Handlungsfeld der Länder, die die zusätzlichen Prüfungskosten<br />
übernehmen müssten. Dafür sollten auch die Prüfungsausschüsse<br />
(vorübergehend) aufgestockt werden, was durch Vereinbarungen<br />
mit den Sozialpartnern bei großzügiger Entschädigungsregelung<br />
durchaus erfolgversprechend wäre. Der Bund könnte hierbei finanziell<br />
unterstützen.<br />
4. Berufsausbildung im Zeichen der „neuen Beruflichkeit“ soll weniger<br />
auf enge spezielle Anschlusstätigkeiten vorbereiten als einen<br />
soliden Grundstein für lebenslanges Lernen legen. Sie stellt eine<br />
Sockelqualifikation dar, auf der weitere Bildungsphasen aufbauen.<br />
Diese Auffassung hat sich längst durchgesetzt. Daraus folgt die<br />
notwendige Zusammenschau von Ausbildung - Weiterbildung und<br />
Studium und der Aufbau durchlässiger, systematischer und offener<br />
Bildungskarrieren. Hiervon sind wir noch weit entfernt.<br />
5. Berufliche Aus- und Weiterbildung sollte künftig für einen<br />
globalisierten Arbeitsmarkt und eine globalisierte Wirtschaft<br />
vorbereiten. Dies hat nichts mit Entberuflichung zu tun, denn in<br />
allen Ländern, in denen qualifizierte Arbeit geleistet oder aufgebaut<br />
wird, sind Verberuflichungstendenzen vorherrschend. Notwendig<br />
wäre aber die Vermittlung von internationalen Kompetenzen, die<br />
zu einer Selbstverständlichkeit im modernen Berufsleben werden.<br />
Hiermit wird bisher sehr zögerlich umgegangen, allein schon die<br />
Vermittlung einer Fremdsprache - i. d. R. Englisch - belastet immer<br />
noch Neuordnungsverfahren mit unnötigen Diskussionen. Unter<br />
internationalen Kompetenzen ist zweifellos mehr zu verstehen [8] .<br />
Wichtig dafür zu wissen ist, dass nach neueren Untersuchungen<br />
über 70 Prozent der hiesigen mittelständischen Unternehmen Geschäfte<br />
im internationalen Maßstab betreiben bzw. in internationale<br />
Wertschöpfungsnetzwerke eingebunden sind [9] . Die Berufsbildung<br />
reflektiert diese Veränderungen kaum.<br />
Diese Auflistung von Handlungsfeldern ist zweifellos unvollständig.<br />
Sie zeigt aber an einigen zentralen Beispielen, was es in den nächsten<br />
Jahren zu tun gibt, um das deutsche Berufsbildungssystem vor dem<br />
Ruf eines Auslaufmodells zu bewahren und es zu einer authentischen<br />
Erfolgsstrategie auszubauen. Diese Chance besteht. Auch aus volkswirtschaftlicher<br />
Sicht gehört die Zukunft den Regionen in der Welt,<br />
die den humanzentrierten Weg gehen und auf Hochqualifikation<br />
setzen. Denn nur so kann Qualität und Innovation nachhaltig gesichert<br />
werden. Dies sind die Stärken, von denen Industrieländer<br />
leben und die sie vorrangig in der Zukunft ausbauen müssen.<br />
Die europäische Dimension<br />
Die IG Metall schlägt in diesem Zusammenhang ein konkretes<br />
Programm für die nächsten Jahre vor: die Entwicklung von europäischen<br />
Kernberufen im Rahmen des sozialen Dialogs der<br />
Europäischen Kommission [10] . Diese Kernberufe sollen von den<br />
Sozialpartnern der wichtigsten Wirtschaftssektoren erarbeitet werden.<br />
Der Vorschlag markiert einen Wandel in der internationalen<br />
Diskussion über das duale System. Anders als früher will die IG<br />
Metall nicht über eine Übernahme deutscher Bildungsstrukturen<br />
reden, nach dem Motto: kopiert das deutsche duale System, weil<br />
wir am besten sind. Das war bisher nicht sehr erfolgreich. Unsere<br />
Partnerländer kennen sehr gut unsere Defizite. Wichtiger ist es, über<br />
den Kerngedanken zu sprechen. Die Standards und Prinzipien der<br />
modernen Arbeitswelt nähern sich überall an. Was liegt näher, als<br />
auch die Qualifikationsstrukturen und -profile anzunähern.<br />
Dieses Projekt verspricht einen interessanten Impuls für die europäische<br />
Bildungs- und Professionalisierungsdebatte zu setzen, die<br />
gerade neu auf Touren kommt. Sie führt endlich weg von der europaängstlichen<br />
Attitüde, in der die jüngsten EU-Bildungsinitiativen<br />
in der deutschen Bildungsszene bisher aufgenommen wurden, hin<br />
zu einem zukunftsorientierten Gestaltungsanspruch. Denn eine<br />
Harmonisierung der europäischen Bildungslandschaft ist äußerst<br />
notwendig. Der europäische Bildungsföderalismus ist auf lange<br />
Sicht genau so wenig ein Idealzustand wie der deutsche Bildungs-<br />
20 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012
Berufliche Bildung<br />
föderalismus. Es wird sich dann zeigen, ob wir den Anspruch auf<br />
Best Practice aufrecht erhalten können. Viele Partner in der europäischen<br />
Bildungslandschaft warten darauf, dass gerade die deutschen<br />
Gewerkschaften sich mit diesem Thema viel stärker einbringen,<br />
mehr Engagement und Gestaltungswillen in der europäischen<br />
Berufsbildungsdiskussion zeigen, weil man ihnen aufgrund ihrer<br />
starken Stellung im deutschen Berufsbildungssystem etwas zutraut.<br />
Anmerkungen<br />
[1] Euler,D:, Severing, E. : Flexible Ausbildungswege in der Berufsbildung.<br />
Gutachten im Auftrag des BMBF, Oktober 2006<br />
[2] vgl. hierzu Michael Ehrke, Nehls, Hermann: „Aufgabenbezogene Anlernung“<br />
oder berufliche Ausbildung. Zur Kritik der aktuellen Modularisierungsdebatte.<br />
In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (BWP), Heft 1/2007<br />
[3] vgl. Michael Ehrke(Hrg): Prozessorientierung in der Berufsbildung. IG<br />
Metall Vorstand, Frankfurt am Main, 2. Auflage 2009<br />
[4] BIBB: Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2010, S. 118<br />
[5] BMBF: Berufsbildungsbericht der Bundesregierung 2010. Bonn 2011, S. 13<br />
[6] siehe: Institut für Produktives Lernen in Europa (Hrsg.): Produktives<br />
Lernen - eine Brücke zwischen Schule und Leben, 2005. DVD. Zu bestellen<br />
über www.iple.de<br />
[7] Sagt jedenfalls die Bertelsmann-Stiftung.<br />
[8] Vgl. auch Wordelmann, Peter (Hg.): Internationale Kompetenzen in der<br />
Berufsbildung, Bielefeld 2010<br />
[9] DZ-Mittelstandsstudie: Mittelstand im Mittelpunkt. Ausgabe Frühjahr<br />
2011. Sonderthema Zukunftsmärkte in Asien. Download unter http://www.<br />
corporate-portal.dzbank.de/<br />
[10] Was man unter diesen Kernberufen zu verstehen hat, dazu Näheres in:<br />
Erik Heß, Georg Spöttl: Core occupations as a building block for European<br />
vocational education and training. In: Berufsbildung in Wissenschaft und<br />
Praxis (BWP), Special Edition 2009<br />
Neuordnung der Büroberufe<br />
<strong>GEW</strong>-Fortbildungsveranstaltung fand viel Resonanz<br />
Auch wenn die neue Ausbildungsordnung frühestens<br />
zum Schuljahr 2013/14 in Kraft treten kann, bot die<br />
<strong>GEW</strong> bereits Anfang Februar 2012 eine Fortbildungsveranstaltung<br />
an, um die BBS-Lehrkräfte über die<br />
neuen Entwicklungen in den Büroberufen zu informieren<br />
und die notwendigen Rahmenbedingungen<br />
für das Gelingen der Reform einzufordern.<br />
Thomas Ressel, Ressort Bildungs- und Qualifizierungspolitik der<br />
IG Metall und Koordinator der gewerkschaftlichen Sachverständigen<br />
im Neuordnungsverfahren, zeigte in seinem Grundsatzreferat<br />
„Prozessorientiert ausbilden: Neuordnung der Büroberufe“ die<br />
große Bedeutung der Büroberufe für Wirtschaft und Verwaltung<br />
sowie die Veränderungen in den Qualifikationsanforderungen auf<br />
und erläuterte die von den Sozialpartnern vereinbarten Eckwerte<br />
für die Neuordnung (siehe Kasten): Im Jahr 2009 wurden in den<br />
Büroberufen rd. 90.000 junge Menschen ausgebildet, davon rd.<br />
68.000 junge Frauen.<br />
Neue Qualifikationsanforderungen<br />
Seit der letzten Modernisierung 1991 haben sich die Qualifikationsanforderungen<br />
der Arbeitswelt erheblich verändert. Vernetzte PCs<br />
und Office-Anwendungen gehören heute zu jedem Büroarbeitsplatz.<br />
Die Unternehmensprozesse werden mit Unterstützung von ERP-<br />
Systemen gesteuert. Internet und Intranet ermöglichen einen unmittelbaren<br />
Zugang zu Wissen. Büroarbeit orientiert sich zunehmend<br />
am Wertschöpfungsprozess, und die Funktionsorientierung wird<br />
durch eine prozessorientierte Organisation ersetzt. Von Kaufleuten<br />
werden eigenverantwortliches Handeln, unternehmerisches Denken<br />
sowie das Arbeiten in Teams und Projekten erwartet.<br />
3jähriger Ausbildungsberuf „Kaufmann/-frau für<br />
Büromanagement“ - 2jährige Kurzausbildung<br />
verhindert<br />
Deshalb legten die Gewerkschaften bereits 2005 einen Vorschlag für<br />
die Neuordnung der Büroberufe vor, der den tatsächlichen Anforderungen<br />
in den Geschäfts- und Arbeitsprozessen entspricht und der<br />
im Juni 2011 zu einer Vereinbarung mit der Arbeitgeberseite über<br />
die Eckwerte für die Neuordnung führte (siehe Kasten). Danach<br />
wird es in Zukunft statt der bisher drei Büroberufe nur noch einen<br />
Beruf „Kaufmann/-frau für Büromanagement“ (Arbeitstitel) geben,<br />
der so angelegt ist, dass alle Wirtschafts- und Verwaltungsbereiche<br />
Gestaltungsmöglichkeiten haben, gleichzeitig aber kaufmännische<br />
Grundqualifikationen fest verankert sind. Damit werden die Beschäftigungsmöglichkeiten<br />
optimiert. Den zunächst von der Arbeitgeberseite<br />
geforderten minderqualifizierten 2jährigen Beruf konnten<br />
die Gewerkschaften verhindern, da für eine solche Hilfstätigkeit in<br />
Wirtschaft und Verwaltung immer weniger Bedarf besteht.<br />
Gestreckte Prüfung<br />
Einigkeit besteht über den Ersatz der bisherigen Zwischenprüfung<br />
durch eine gestreckte Prüfung, bei der die Inhalte des 1. Ausbildungsjahres<br />
nach 15 Monaten mit einer Gewichtung von 20 %<br />
geprüft werden sollen, wobei über die konkreten Inhalte dieser<br />
ersten Teilprüfung im Laufe des Neuordnungsverfahrens entschieden<br />
werden muss.<br />
Wir bilden für morgen aus, nicht für gestern!<br />
Als Einstieg in den zweiten Block der Fortbildungsveranstaltung<br />
„Prozessorientierte Lehrpläne in der Berufsschule“ diente das<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />
21
Berufliche Bildung<br />
Impulsreferat „Prozessorientierung in Unternehmen“ von Brigitte<br />
Glismann, BBS Alzey, in dem aufzeigt wurde, dass die von der<br />
Kultusministerkonferenz vorgegebene Lernfeldorientierung der<br />
Lehrpläne eine direkte Konsequenz aus veränderten Unternehmensphilosophien<br />
darstellt, die sich mittlerweile auch in der betriebswirtschaftlichen<br />
Fachwissenschaft niedergeschlagen haben: Zentrale<br />
Elemente sind Kundenorientierung („Der Kunde soll wiederkommen,<br />
nicht das Produkt!“), Mitarbeiterorientierung (Motivation,<br />
Potenziale entfalten, Wissensbasis = Erfolgsbasis) und Geschäftsprozesse<br />
(Unternehmensergebnis = Kopplung von Einzelprozessen).<br />
Eine prozessorientierte Unternehmensorganisation zeichnet sich<br />
aus durch den Abbau von Schnittstellen, Teamarbeit, Übertragung<br />
von Prozessverantwortung und Ablösung einer starren, funktionalen<br />
Organisation durch temporäre Strukturen, z.B. Projektteams.<br />
Ermöglicht wird dieses Prozessmanagement durch Informationsund<br />
Kommunikationstechnik mittels Prozessmodellierung, ERP<br />
(Enterprise Resource Planning), Internet und Intranet/Extranet.<br />
Über „Supply Chain Management“ werden alle Lieferanten und alle<br />
Abnehmer bis zum Endverbraucher in die Prozesskette einbezogen.<br />
Eine zunehmende wirtschaftliche Verflechtung, der Wandel zur<br />
Wissensgesellschaft, neue Technologien, Ökologie, Migration und<br />
Demografie sind Megatrends, die einen weitergehenden Wandel<br />
der Arbeitswelt kennzeichnen.<br />
Immense Herausforderung für BBSen<br />
Eine derartig gravierende Veränderung der Qualifikationsanforderungen<br />
stellt sowohl pädagogisch als auch organisatorisch für die<br />
berufsbildenden Schulen eine immense Herausforderung dar:<br />
• Die Fächerorientierung wird durch Lernfelder ersetzt, die sich<br />
an den Geschäftsprozessen der Arbeitswelt orientieren. Die Umsetzung<br />
dieser neuen Lehrpläne erfordert eine hohe fachliche und<br />
didaktisch-methodische Kompetenz der Lehrkräfte, die durch<br />
Qualifizierungsmaßnahmen hergestellt werden muss.<br />
• Die Entwicklung von Lernsituationen und Lernaufgaben aus den<br />
fächerübergreifenden Lernfeldern kann nur gelingen, wenn sie von<br />
Lehrkräften aller Fächer in Bildungsgangteams und in Lernortkooperation<br />
mit den Ausbildungsbetrieben gemeinsam erfolgt.<br />
• Die berufsbildenden Schulen müssen Organisationsmodelle<br />
entwickeln, die sowohl den gemeinsamen kaufmännischen Kernqualifikationen<br />
als auch dem notwendigen Differenzierungsbedarf<br />
der Einsatzbereiche Rechnung tragen und den Bildungsgangteams<br />
ein hohes Maß an Autonomie ermöglichen.<br />
Kaufmann-/frau für Büromanagement<br />
- Eckwertekonzept von KWB und DGB — Qualifikationskatalog<br />
Abschnitt A: Berufsprofilgebende Fertigkeiten,<br />
Kenntnisse und Fähigkeiten<br />
• Büroprozesse<br />
Informationsverarbeitung, Bürowirtschaftliche Abläufe, Koordinationsund<br />
Organisationsaufgaben<br />
• Geschäftsprozesse<br />
Kundenbeziehungsprozesse dokumentieren, unterstützen, kontrollieren;<br />
Geschäftsvorgänge bearbeiten; Materialwirtschaft durchführen; Personalwirtschaftliche<br />
Aufgaben unterstützen und dokumentieren; Kaufmännische<br />
Steuerung und Kontrolle unterstützen<br />
Abschnitt B: Weitere und vertiefende berufsprofilgebende<br />
Fertigkeiten, Kenntnisse und<br />
Fähigkeiten in zwei Wahlqualifikationen<br />
à fünf Monate<br />
• Auftragssteuerung und Koordination<br />
Abwicklung von Kundenaufträgen; Rechnungsbearbeitung, Leistungsabrechnung;<br />
Auftragsnachbearbeitung; Vor- und Nachkalkulation; Spezielle<br />
(branchenbezogene) rechtliche Aspekte; Auftragssteuerung<br />
• Kaufmännische Steuerung und Kontrolle<br />
Finanzbuchhaltung, Kosten- und Leistungsrechnung, Controlling, Investition<br />
und Finanzierung<br />
• Betrieblich-monetäre Prozesse<br />
Laufende Buchführung, Entgeltabrechnung, Betriebliche Kalkulation,<br />
Betriebliche Auswertungen, Besteuerungsverfahren<br />
• Einkauf und Logistik<br />
Bedarfsermittlung, Einkaufsvorgänge, Lagerwirtschaft<br />
• Personalwirtschaft<br />
Personalplanung, -entwicklung und -beschaffung; Entgeltabrechnung,<br />
Personalverwaltung<br />
• Vertrieb, Marketing, Kundendienst<br />
Marketingaktivitäten, Vertrieb von Produkten und Dienstleistungen,<br />
Kundenbindung und Kundenbetreuung<br />
• Assistenz und Sekretariat<br />
Assistenz in Managementprozessen, Sekretariatsführung, Koordination<br />
bürowirtschaftlicher Abläufe<br />
• Finanzwirtschaft<br />
Haushalts- und Wirtschaftsplanung, Mittelbewirtschaftung, Haushaltsgrundsätze<br />
• Verwaltungshandeln, Rechtsanwendung<br />
Verwaltungshandeln, Verwaltungsverfahren, Rechtsanwendung<br />
• Betriebsspezifische Wahlqualifikationen<br />
z.B. internationale Geschäftsbeziehungen, Organisationsentwicklung,<br />
Ideenmanagement, Öffentlichkeitsarbeit, Inkasso, Content-Erstellung<br />
Abschnitt C: Integrative Fertigkeiten, Kenntnisse<br />
und Fähigkeiten<br />
• Der Ausbildungsbetrieb<br />
Stellung, Rechtsform und Organisationsstruktur; Markt- und Wettbewerbssituation,<br />
Produkt- und Dienstleistungsangebot, Berufsbildung, Arbeits-,<br />
sozial-, tarif- und mitbestimmungsrechtliche Vorschriften, Sicherheit<br />
und Gesundheitsschutz bei der Arbeit, Umweltschutz, Wirtschaftliches<br />
Denken und Handeln, Rolle des Mitarbeiters im Ausbildungsbetrieb,<br />
Prozessoptimierung<br />
• Arbeitsorganisation<br />
Arbeits- und Selbstorganisation, Bürokommunikationstechnik und Organisationsmittel,<br />
Arbeitsplatzergonomie, Datenschutz und -sicherheit,<br />
Qualitätssicherung<br />
• Information, Kommunikation, Kooperation<br />
Informationsbeschaffung und Umgang mit Informationen, Kommunikation,<br />
Fremdsprache bei Fachaufgaben, Kooperation<br />
22 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012
Berufliche Bildung<br />
Umsetzung prozessorientierter Lehrpläne in Lernsituationen<br />
und Lernaufgaben in der Berufsschule<br />
Umsetzungsstrategien und Umsetzungsbeispiele in der Berufsschule<br />
waren Inhalt der Präsentation von Markus Henrich, BBS<br />
Montabaur. Lernfeld- und prozessorientierte Lehrpläne zeichnen<br />
sich als offene Curricula dadurch aus, dass ein Teil der Curriculumarbeit<br />
auf die Ebene der Schule verlagert wird. Ausgehend von<br />
einer Klärung des berufspädagogischen Kompetenzbegriffs zeigte<br />
der Referent in 12 Schritten auf, wie Bildungsgangteams mit ihrer<br />
fachwissenschaftlichen und didaktischen Kompetenz und ihrer<br />
Kenntnis der beruflichen Praxis aus Lernfeldern Lernsituationen<br />
generieren können:<br />
• Eingehendes Studium der Zielbeschreibung des betreffenden<br />
Lernfeldes aus dem Rahmenlehrplan und Klärung von Begriffen<br />
• Was ist bezüglich der Zielformulierung gelebte Berufspraxis?<br />
• Vorstellungen von beruflichen Handlungen und fachwissenschaftlichen<br />
Inhalten entwickeln<br />
• Strukturierung der gefundenen beruflichen Handlungen und der<br />
fachwissenschaftlichen Inhalte<br />
• Verständigung über die angestrebte Kompetenzentwicklung der<br />
beruflichen Handlungskompetenz unter Berücksichtigung der<br />
didaktischen Analyse<br />
• Formulieren von Lernsituationen<br />
• Zeitliche und inhaltliche Anordnung der Lernsituationen auf<br />
einem Zeitstrahl<br />
• Abgleich der Lernsituationen mit den Zielen und Inhalten des<br />
Rahmenlehrplans<br />
• Zuordnung von Zeitwerten zu den einzelnen Lernsituationen<br />
• Ermittlung der für die Lernsituation relevanten Vorkenntnisse<br />
der Schüler<br />
• Entfalten der Lernsituation, Ordnen der beruflichen Handlungen<br />
und der fachwissenschaftlichen Inhalte<br />
• Vollständige Handlung beschreiben<br />
Die theoretischen Ausführungen wurden anhand von Beispielen<br />
für Jahresarbeitspläne, Prozess-Modellierung, Lernsituationen und<br />
Modellunternehmen konkretisiert.<br />
Diskussionen lösten insbesondere die Flexibilisierung der LehrerInnenarbeitszeit<br />
durch die Zuordnung von Zeitwerten zu den<br />
einzelnen Lernsituationen, der Einsatz von Software zur Prozessmodellierung,<br />
das Verhältnis einer vorgelagerten fachspezifischen<br />
„Grundbildung“ (z.B. in Buchführung oder Datenverarbeitung)<br />
zur prozessorientierten Fächerintegration sowie die mangelnde<br />
Inhaltsorientierung lernfeldorientierter Lehrpläne aus.<br />
Unterstützungsbedarf der Lehrkräfte, Bildungsgangteams<br />
und Schulen<br />
Zum Abschluss der Veranstaltung stellten die TeilnehmerInnen<br />
einen Forderungskatalog auf, der sich an das Ministerium, das<br />
Pädagogische Landesinstitut und die Schulträger richtet:<br />
Fortbildungsbedarf sahen die TeilnehmerInnen bezüglich der Umsetzung<br />
der Lernfelder in Lernsituationen und Lernaufgaben, der<br />
konkreten unterrichtlichen Umsetzung der Prozessorientierung und<br />
dem Einsatz von ERP-Software. Vor allem jüngere Lehrkräfte mit<br />
wenig Unterrichtserfahrung verlangten konkretere Formulierungen<br />
der Kompetenzen und Inhalte bzw. Handreichungen für die<br />
lernfeldorientierten Lehrpläne. Die in Fortbildungsveranstaltungen<br />
und an den Schulen entwickelten Jahresarbeitspläne, Lernsituationen<br />
und Lernaufgaben sollten in einer PL-Datenbank allen<br />
Fotos: Bert Butzke<br />
BBS-Lehrkräften zugänglich gemacht werden. Gefordert wurden<br />
außerdem Betriebspraktika für Lehrkräfte und duale Fortbildungen<br />
gemeinsam mit Ausbildungsbetrieben. Als besonders dringlich<br />
wurde die Qualifizierung der Lehrkräfte zur Förderung der Lesekompetenz<br />
der SchülerInnen als unverzichtbare Voraussetzung zur<br />
Erreichung des Ausbildungsabschlusses in diesem anspruchsvollen<br />
Ausbildungsberuf angesehen wurde.<br />
Hinsichtlich der Ausstattung ist ebenfalls ein Umdenken erforderlich:<br />
Statt der noch immer vorherrschenden PC- Fachräume, in denen<br />
Auszubildende in Informations- und Textverarbeitung trainiert<br />
werden, müssen die Schulen umstellen auf Multimedia-Räume,<br />
in denen IT-gestützte, prozessorientierte Betriebswirtschaftslehre<br />
unterrichtet werden kann. Dazu gehören eine bessere PC-Ausstattung<br />
oder - übergangsweise - Notebook-Sets. Hinsichtlich der<br />
Software-Ausstattung besteht vor allem Bedarf an Datenkränzen<br />
von Unternehmen.<br />
Eine Umsetzung der neuen Lehrpläne erfordert aus der Sicht der<br />
TeilnehmerInnen auch Veränderungen in der Schulorganisation:<br />
Eine bessere, externe Netz- und PC-Wartung soll die Lehrkräfte<br />
entlasten. Eine stärkere individuelle Förderung der SchülerInnen<br />
soll durch mehr Teilungsmöglichkeiten und Förderunterricht gewährleistet<br />
werden. Basic-Lernfelder und Einstiegsmodule sollen<br />
sicherstellen, dass grundlegende Kompetenzen vor dem Einstieg in<br />
fächerübergreifende Lernaufgaben gesichert sind. Anrechnungsstunden<br />
und die Einplanung von Team-Time sowie flexible Stundenpläne<br />
sollen Bildungsgangteams in die Lage versetzen, gemeinsam die<br />
Umsetzung der Lernfelder in Lernsituationen und Lernaufgaben zu<br />
bewältigen. Vor allem brauchen die Schulen ausreichend Vorlauf,<br />
um die Qualifikation der Lehrkräfte zu sichern und die Erstellung<br />
der Jahresarbeitspläne zu gewährleisten.<br />
Voraussetzung für eine erfolgreiche Ausbildung in diesem anspruchsvollen<br />
neuen Büroberuf ist aus der Sicht der in den Bürofachklassen<br />
unterrichtenden Lehrkräfte eine bessere Grundbildung<br />
der SchülerInnen in der Sekundarstufe I.<br />
Annelie Strack<br />
Vorstandsbereich Berufliche Bildung und Weiterbildung<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />
23
Politik<br />
Noch immer zweierlei Mass<br />
Der Tag des „Radikalenerlasses“ jährte sich zum 40. Mal<br />
Am 28. Januar 2012 jährte sich der Tag des Erlasses eines der<br />
umstrittensten Gesetze in der Bundesrepublik. Die Ministerpräsidentenkonferenz<br />
unter dem Vorsitz von Bundeskanzler Willy<br />
Brandt beschloss 1972 den sogenannten Radikalenerlass. Mit Hilfe<br />
der „Regelanfrage“ aufgrund dieses Gesetzes wurden mehr als 3,5<br />
Millionen BewerberInnen vom Verfassungsschutz der Länder auf<br />
ihre politische „Zuverlässigkeit“ durchleuchtet. Es kam zu 11.000<br />
offiziellen Berufsverbotsverfahren, 2.200 Disziplinarverfahren,<br />
1.250 Ablehnungen von Bewerbungen und 265 Entlassungen.<br />
Ein Klima der Angst war entstanden.<br />
Das Gesetz sollte verhindern, dass Mitglieder einer linken Partei, wie<br />
etwa der DKP, in den öffentlichen Dienst aufgenommen wurden.<br />
Für viele Berufsgruppen, deren Einstellung an eine Verbeamtung<br />
gekoppelt war - darunter auch Lehrerinnen und Lehrer - bedeutete<br />
das Gesetz de facto ein Berufsverbot. Das alles geschah zu einer Zeit,<br />
in der die Verfassungsschutzämter, das BKA, die Innenministerien,<br />
die Parteien und Ämter der Bundesrepublik durchsetzt waren von<br />
alten Nazis. Während sich der damalige NRW Ministerpräsident<br />
Heinz Kühn (SPD) darum sorgte, dass ohne eine Kontrolle der<br />
„demokratischen Gesinnung“ durch den Verfassungsschutz, Andreas<br />
Baader oder Ulrike Meinhof Lehrer werden könnten, war der<br />
ehemalige NS-Richter Hans Filbinger Ministerpräsident des Landes<br />
Baden-Württemberg.<br />
Prinzipiell rückte jeder in den Fokus, der sich einer linken Gruppe<br />
angeschlossen, Petitionen unterschrieben hatte oder sich in der<br />
außerparlamentarischen Opposition engagierte. Das Spektrum<br />
reichte von der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes bis zu<br />
SPD-nahen Studierendenorganisationen. Auch viele Mitglieder der<br />
<strong>GEW</strong> fielen unter das Berufsverbot.<br />
Die Angst vor der falschen Unterschrift oder dem Besuch einer<br />
vermeintlich „radikalen“ Veranstaltung ist bei vielen noch heute<br />
fest verankert.<br />
Duckmäusertum gefährdet die Demokratie. Als ich mein Studium<br />
begann, bekam ich den gut gemeinten Ratschlag, mir gut zu überlegen,<br />
welche Liste ich unterschreibe und wo ich mich engagiere.<br />
Zwei aktuelle Beispiele zeigen, dass die Angst nicht ganz unbegründet<br />
ist. Zwischen den Jahren 2003/2004 versuchte die badenwürttembergische<br />
Landesregierung, gegen den Heidelberger Lehrer<br />
Michael Csaszóczy ein Berufsverbot zu verhängen. Aufgrund seiner<br />
Tätigkeit als Pressesprecher der Antifaschistischen Initiative Heidelberg<br />
zweifelte man an seiner Verfassungstreue. Nach drei Jahren war<br />
es ihm mit Hilfe der <strong>GEW</strong> gelungen, die Einstellung einzuklagen.<br />
Nach weiteren zwei Jahren sprach ihm das Landgericht in Karlsruhe<br />
einen Schadensersatz zu.<br />
Seit der Ernennung von Kristina Schröder zur Bundesfamilienministerin<br />
müssen sich fast alle Initiativen gegen menschenfeindliches<br />
Gedankengut mit der „Extremismusklausel“ herumplagen. Gerade<br />
Initiativen gegen Rechts unterstellt man eine tendenzielle Nähe zu<br />
verfassungsfeindlichen Linken. Mit der Klausel soll erreicht werden,<br />
dass vom Staat geförderte Initiativen sich zum Grundgesetz<br />
bekennen und in Gewähr für ihre Partner treten. Wird die Klausel<br />
abgelehnt, droht das finanzielle Aus. Obwohl eine Vielzahl an<br />
WissenschaftlerInnen, Personen des öffentlichen Lebens und auch<br />
betroffenen Organisationen eine Rücknahme der Klausel fordern,<br />
hält Ministerin Schröder an ihr fest.<br />
Und es geht weiter: Während der Verfassungsschutz bei dem<br />
Zwickauer Nazi-Trio, dem inzwischen mindestens zehn Morde zugeschrieben<br />
werden, jahrelang keine Hinweise auf Rechtsextremismus<br />
fand, kam heraus, dass seit Jahren Abgeordnete der Linkenpartei<br />
observiert werden. CSU-Generalsekretär Alexander Dobrindt stellte<br />
sogar die Frage, wieso noch nicht alle 76 Abgeordneten der Linken<br />
observiert würden.<br />
Wir können kein Klima der Angst zulassen! Nach wie vor gilt die<br />
Forderung nach der gänzlichen Abschaffung der Berufsverbote<br />
und nach Rücknahme der Extremistenklausel. Damals wie heute<br />
setzt sich die <strong>GEW</strong> dafür ein. Alle Betroffenen müssen rehabilitiert<br />
werden und einen adäquaten finanziellen Ausgleich erhalten.<br />
Marcel Groth<br />
Marcel Groth, Mitglied Leitungsteam des Landesausschusses Studentinnen<br />
und Studenten (LASS) der <strong>GEW</strong> NRW<br />
24 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012
Generation 60+<br />
Aktives Altern – ein Gewinn für Alle!<br />
Die <strong>GEW</strong> gratuliert …<br />
im Mai 2012<br />
zum 70. Geburtstag<br />
Frau Irene Heister<br />
Untere Zahlbacher Str. 58 b ·55131 Mainz<br />
09.05.1942<br />
Herrn Horst Schneider<br />
Kaethe-Kollwitz-Str. 2 · 67304 Eisenberg<br />
13.05.1942<br />
Herrn Hans Rothenbücher<br />
Eulenhorst 9 · 56112 Lahnstein<br />
19.05.1942<br />
Frau Ulrike Reichelt<br />
Burgunder Str 2 B · 55469 Simmern<br />
20.05.1942<br />
Herrn Gerd Becht<br />
Kurbrunnenweg 39 · 67480 Edenkoben<br />
30.05.1942<br />
zum 75. Geburtstag<br />
Herrn Prof. Dr. Walter Röll<br />
Laurentius-Zeller-Str. 2 · 54294 Trier<br />
10.05.1937<br />
zum 80. Geburtstag<br />
Frau Annemari Lang-Venema<br />
Im Herrngarten 7 · 56368 Katzenelnbogen<br />
14.05.1932<br />
Herrn Kurt Vetter<br />
Roemerring 17 · 55599 Siefersheim<br />
23.05.1932<br />
Frau Elfriede Kiefer<br />
Hanns-Fay-Str.3 · 67227 Frankenthal<br />
29.05.1932<br />
zum 85. Geburtstag<br />
Frau Dorothea Breitenbruch<br />
Hauptstr. 10 · 76831 Billigheim-<br />
Ingenheim<br />
05.05.1927<br />
Zum Beginn des „Europäischen Jahres für aktives Altern und<br />
Solidarität zwischen den Generationen“, das in Berlin mit einer<br />
Auftaktveranstaltung eingeleitet wurde, riefen die Bundesarbeitsgemeinschaft<br />
der Senioren-Organisationen (BAGSO) und die<br />
Forschungsgesellschaft für Gerontologie an der TU Dortmund<br />
(FfG) dazu auf, „Aktives Altern“ in einem umfassenden Sinn zu<br />
verstehen.<br />
„Aktivität ist Voraussetzung für ein gesundes und kompetentes Altern<br />
- und das ist eine lebenslange Aufgabe. Aktives Altern betrifft daher<br />
alle Generationen“, so die BAGSO-Vorsitzende und Gerontologin<br />
Prof. Dr. Ursula Lehr.<br />
Wichtig ist darüber hinaus, ältere Menschen weder einseitig als<br />
Empfänger noch einseitig als Erbringer von Leistungen anzusehen,<br />
sondern ihre Potenziale und Bedarfe gleichermaßen in den Blick<br />
zu nehmen. „Das Europäische Jahr darf nicht dazu beitragen, dass<br />
die Älteren in zwei Gruppen geteilt werden, in die Kompetenten<br />
und die Hilfsbedürftigen“, warnt die frühere Bundesfamilienministerin<br />
Lehr. „Vielmehr müssen wir alle Gruppen im Blick haben,<br />
unabhängig von ihrem Alter, ihrer sozialen Lage, körperlichen und<br />
geistigen Einschränkungen oder ihrem kulturellen Hintergrund.“<br />
Ebenso wenig dürfen wir ältere Menschen auf bestimmte gesellschaftliche<br />
Rollen beschränken. Es ist erfreulich, dass sie heute in<br />
erheblichem Maße Familienarbeit leisten und damit wesentlich zur<br />
Entlastung der mittleren Generation beitragen. Immerhin engagiert<br />
sich ein Drittel von ihnen auch außerhalb der Familie ehrenamtlich.<br />
„Nachholbedarf haben wir in Deutschland nach einer langen<br />
Phase der Frühverrentungspolitik bei der Integration Älterer in<br />
den Arbeitsmarkt“, so der Sozialgerontologe und Leiter des FfG,<br />
Prof. Dr. Gerhard Naegele. „Wichtige Rollen übernehmen ältere<br />
Menschen aber auch durch ihr politisches Engagement oder bei der<br />
Weiterentwicklung von Produkten und Dienstleistungen. Hier sind<br />
sie Experten in eigener Sache.“<br />
Es ist sinnvoll, aber nicht ausreichend, für ein aktives Altern im<br />
Sinne einer Selbst- und Mitverantwortung für andere zu werben.<br />
„Entscheidend sind das Setzen von Rahmenbedingungen und das<br />
Schaffen von Angeboten zum Mitmachen, zum Aktiv-Werden, zum<br />
Sich-Einmischen“, so Naegele.<br />
Ältere Menschen sind bereit, ihren Beitrag zur Solidarität zwischen<br />
den Generationen zu leisten. Umgekehrt sollten diejenigen, die zur<br />
jungen oder mittleren Generation gehören, auch Solidarität mit<br />
den Älteren zeigen und wachsam gegenüber möglichen Altersdiskriminierungen<br />
sein.<br />
pm<br />
zum 86. Geburtstag<br />
Frau Irene Gehrlein<br />
Oselbachstr. 23 · 66482 Zweibrücken<br />
01.05.1926<br />
Frau Eugenie Serr<br />
Amrichshäuser Str.10 · 74653 Künzelsau<br />
06.05.1926<br />
Herrn Walter Edinger<br />
Am Neuberg 5 · 67808 Mörsfeld<br />
21.05.1926<br />
zum 89. Geburtstag<br />
Herrn Erich Morgenstern<br />
Glanstr 11 · 66914 Waldmohr<br />
18.05.1923<br />
zum 90. Geburtstag<br />
Herrn Dr. Hans Pfaffenberger<br />
Irminenfreihof 2 · 54290 Trier<br />
27.05.1922<br />
zum 95. Geburtstag<br />
Frau Inge Dreyer<br />
Wiedstr 6 · 57627 Hachenburg<br />
07.05.1917<br />
Der Landesvorstand<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />
25
Brief an die Redaktion / Tipps + Termine<br />
„Thema verfehlt. Setzen Sechs!“<br />
Betr.: <strong>GEW</strong>-Zeitung 3/12<br />
Die AQS hat auch unsere Schule besucht und einen tollen,<br />
bunten Bericht verfasst. Beim Lesen des Berichtes wird<br />
aber schnell klar, dass mit diesem Papier nicht wirklich<br />
viel angefangen werden kann. Wie auch, denn „für die<br />
verschiedenen Kriterien von Schulqualität, die mit Hilfe<br />
des Beobachtungsbogens „Einblicknahme in die Lehrund<br />
Lernsituation (ELL)“ sowie den Fragebögen erfasst<br />
werden, wird jeweils ein Mittelwert berechnet, der den<br />
Durchschnittswert der jeweiligen Befragungsgruppe<br />
(externe Beobachtungspersonen, Schülerinnen und<br />
Schüler, Eltern und Sorgeberechtigte oder Lehrkräfte)<br />
angibt“ (AQS-Bericht, S. 10). Ich stelle fest: Im Mittel<br />
sind wir wirklich gut. Toll, doch ist mein Unterricht jetzt<br />
ein Jahr später dadurch besser geworden? Kann ich damit<br />
meine persönlichen Defizite aufarbeiten und Probleme in<br />
Zukunft besser lösen? Wer hilft dem einzelnen Kollegen?<br />
Wie soll ich, er oder sie es angehen?<br />
Was nutzt es mir, wenn der Bericht feststellt, „ein Einsatz<br />
neuer Medien im Unterricht wurde im Rahmen der Einblicknahmen<br />
kaum vermerkt.“ Wie auch, wenn zu wenig<br />
neue Medien vorhanden sind?<br />
Das Geld für die AQS könnte sich das Land getrost sparen<br />
und für die Schaffung neuer Stellen oder als Gehaltserhöhung<br />
für die Beamten ausgeben. Und damit bin ich<br />
beim zweiten Thema:<br />
Hier möchte ich mich bei der Redaktion bedanken. Zum<br />
einen, weil sie mich gut informiert hat. Jetzt weiß ich nämlich,<br />
dass ich in den nächsten 2 bis 3 Jahren noch nicht<br />
einmal ein Prozent, sondern nur 0,5 % Besoldungserhöhung<br />
zu erwarten habe (S. 21, <strong>GEW</strong>-Zeitung 03/2012).<br />
Zum anderen, weil sie den - sehr kritischen - offenen Brief<br />
an den <strong>GEW</strong>-Vorstand veröffentlicht hat, dem ich mich<br />
gerne anschließe. Was hat meine Gewerkschaft gegen<br />
diese Ungerechtigkeit unternommen? Was gedenkt sie<br />
zukünftig zu tun?<br />
Ich erwarte, dass wir uns Gedanken darüber machen,<br />
welche Maßnahmen wir als Beamte gegen diese Abkoppelung<br />
von der allgemeinen Lohnentwicklung ergreifen<br />
können. Wäre es nicht an der Zeit, die Urteile zum Beamtenstreikrecht<br />
mal in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> einem Praxistest<br />
zu unterziehen?<br />
Ich finde es unerträglich, dass unser Land ständig mehr<br />
Qualität in den Schulen fordert, aber gleichzeitig dieses<br />
Mehr an Qualität, was letztlich auch ein Mehr an Arbeitszeit<br />
mit sich bringt, fünf Jahre lang mit weniger Reallohn<br />
„belohnen“ möchte. Ich finde es unerträglich, dass ein<br />
Fußballstadion in Kaiserslautern oder ein Vergnügungspark<br />
am Nürburgring mit Millionen an Steuergeldern<br />
ausgebaut werden, aber meine Kommune kein Geld hat,<br />
die Schulen mit einem Mindestmaß an Ausstattung zu<br />
versehen.<br />
Wie pflegte mein alter Deutschlehrer zu sagen: „Schöner<br />
Aufsatz, aber Thema verfehlt. Setzen Sechs!“<br />
Lothar Spilke, Neustadt an der Weinstraße<br />
Filme, wie Integration gelingt<br />
„Fremd und doch vertraut - Wie Integration gelingt“<br />
heißt eine dreiteilige Serie (jeweils 30 min) des Landauer<br />
Filmemachers Paul Schwarz. Am Beispiel der Handlungsfelder<br />
Integrationskurse, Berufliche Integration und<br />
Integration durch Sport wird deutlich, welche Integrationsanstrengungen<br />
in Deutschland unternommen werden,<br />
um die gleichberechtigte Teilhabe von Menschen an allen<br />
Bereichen des gesellschaftlichen Lebens zu ermöglichen.<br />
Der Integrationskurs ist seit 2005 für alle Zuwanderinnen<br />
und Zuwanderer verpflichtend. Er umfasst 600<br />
Unterrichtsstunden und ist mit anderen Förderangeboten<br />
und Einrichtungen vernetzt. Seit 2005 gibt die Bundesrepublik<br />
Deutschland eine Milliarde Euro für die stark<br />
nachgefragten Integrationskurse aus.<br />
Am Beispiel der Münchener Hauptschule Wörthstraße<br />
erhalten die Zuschauer einen Einblick, wie ausländische<br />
Jugendliche Kompetenzen für Schule und Beruf erwerben.<br />
Außerdem ist der Zuschauer in einem Kurs dabei,<br />
der vom Europäischen Sozialfond gefördert wird und<br />
der Migranten hilft, sich in den ersten Arbeitsmarkt zu<br />
integrieren.<br />
Integration durch Sport: Ob die 42jährige Türkin Emsal<br />
26 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012
Tipps + Termine<br />
Ay mit ihrem Kurs „Selbstverteidigung und Selbstbehauptung<br />
für junge Migrantinnen“ und ihrer beruflichen Tätigkeit<br />
als Erziehungsberaterin in deutschen Familien oder<br />
der Afghane Reschad Raschidi mit Taekwandoo, anfangs<br />
in der Förderschule, jetzt in der Oberstufe einer Hamburger<br />
Gesamtschule, oder die 70jährige Eva Romanova<br />
aus der Ukraine und fleißige Sportlerin bei den „Grauen<br />
Rosen“, einer Fitnessgruppe älterer Migrantinnen in Saarbrücken,<br />
sie alle unterstreichen, dass dank der deutschen<br />
Förderung auf zahlreichen Gebieten und dank der eigenen<br />
Anstrengungen Integration gelingt - und dies bei sicher 90<br />
Prozent aller hier lebenden Migrantinnen und Migranten.<br />
Die Dreierserie ist auf einer konfektionierten DVD kostenlos<br />
über das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge<br />
in Nürnberg zu erhalten.<br />
pm<br />
<strong>GEW</strong>-Reisen nach Nicaragua<br />
Gleich drei <strong>GEW</strong>-Landesverbände bieten in diesem<br />
Sommer und Herbst Reisen nach Nicaragua an, die<br />
auch für <strong>GEW</strong>-Kolleginnen und Kollegen aus anderen<br />
Landesverbänden offen stehen:<br />
Delegationsreise León und Nicaragua<br />
Besuch Hamburger Partnerschulen und mehr<br />
19.6. - 15.7.2012<br />
<strong>GEW</strong> Hamburg, Mittelamerikagruppe<br />
http://www.gew-hamburg.de/sites/default/files/hlz/<br />
artikel/1-2-2012/08-magazin-nicaragua.pdf<br />
Nicaragua erleben!<br />
Projekt- und Bildungsreise nach Nicaragua<br />
16.7. - 31.7.2012<br />
Pan y Arte und <strong>GEW</strong> NRW<br />
http://panyarte.de/uploads/media/Infoblatt_Projektreise_<strong>GEW</strong>_Juli_2012_01.pdf<br />
Studienreise Nicaragua<br />
Managua, Granada, Masaya, Jinotepe,<br />
Diriamba, San Juan del Sur<br />
14.10.2012 - 27.10.2012<br />
lea bildungsgesellschaft - <strong>GEW</strong> Hessen<br />
https://lea-bildung.de/index.php?id=120<br />
gew<br />
„Inklusion als Menschenrecht“<br />
Ein Online-Handbuch „Inklusion als Menschenrecht“<br />
haben das Deutsche Institut für Menschenrechte und<br />
die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“<br />
erarbeitet und unter www.inklusion-als-menschenrecht.<br />
de ins Netz gestellt.<br />
Mit diesem Handbuch steht eine umfassende Sammlung<br />
an Informationen, Rechtstexten, Spielen und didaktische<br />
und methodische Überlegungen zu den Themen Inklusion,<br />
Behinderung und Menschenrechte zur Verfügung.<br />
Zielgruppe des Handbuches sind PädagogInnen in<br />
Schulen, in Kindertagesstätten, in Hochschulen und<br />
in Jugendzentren. Die Inhalte des Online-Handbuches<br />
sollen helfen, die Barrieren in den Köpfen abzubauen<br />
und Inklusion als gesellschaftlichen (Bildungs)Auftrag<br />
umzusetzen.<br />
Die angebotenen Materialien können entsprechend der<br />
Gruppengröße, den Lernkontexten und den Bedürfnissen<br />
der Lernenden ausgewählt und modifiziert werden.<br />
d.r.<br />
Wie Empathie Kinder stark macht<br />
„Miteinander. Wie<br />
Empathie Kinder stark<br />
macht“, 1. Aufl. 2012,<br />
159 S., 14,95 Euro,<br />
Beltz-Verlag, ISBN<br />
978-3-407-85942-6<br />
Empathie ist die „härteste Währung“ der Welt, so formulieren<br />
es Jesper Juul und Peter Hoeg in ihrem im Beltz-<br />
Verlag erschienenen Buch „Miteinander. Wie Empathie<br />
Kinder stark macht“. Darin stellen die beiden Autoren<br />
gemeinsam mit vier weiteren Experten aus den Bereichen<br />
Psychologie und Erziehung ein ganzheitliches Konzept<br />
vor, wie Kinder gestaltend an ihrer Welt teilnehmen<br />
können, ohne von ihrem Tempo und ihren Erwartungen<br />
erdrückt zu werden.<br />
„Miteinander“ liefert viele praktische Übungen, wie die<br />
Empathie von Kindern gestärkt und ihre Entwicklung<br />
in Familie und Schule positiv beeinflusst werden kann,<br />
und ist ein Manifest für mehr Empathie und Freundlichkeit<br />
für den anderen - unerlässlich für unser globales<br />
Zusammenleben.<br />
pm<br />
Pfingsttreffen<br />
schwuler Lehrer<br />
Bereits zum 33. Mal findet vom 25. bis 28. Mai 2012<br />
das alljährliche Pfingsttreffen schwuler Lehrer zum<br />
Erfahrungsaustausch in Göttingen statt. Eingeladen<br />
sind Lehramtsstudenten, Referendare und Kollegen<br />
im Schuldienst. Die Veranstaltung organisiert die AG<br />
Schwule Lehrer der <strong>GEW</strong> Berlin gemeinsam mit der<br />
Akademie Waldschlösschen.<br />
Programm und Anmeldung über: www.waldschloesschen.org<br />
und www.schwulelehrer.de.<br />
pm<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />
27
Tipps + Termine / Kreis + Region<br />
Weiterbildung Freinet-Zertifikat<br />
Die Freinet-Kooperative bietet unter der Schirmherrschaft<br />
von Enja Riegel eine zweijährige berufsbegleitende Weiterbildung<br />
„Theorie und Praxis der Freinet-Pädagogik“ an.<br />
Die Weiterbildung hat das Ziel, die TeilnehmerInnen zu<br />
befähigen, im Sinne der Pädagogik Célestin Freinets tätig<br />
zu sein. Sie stellt eine umfassende berufsbegleitende Zusatzausbildung<br />
dar, ist aber kein Ersatz für eine staatliche<br />
Ausbildung. Sie endet mit der Verleihung eines Zertifikats.<br />
Die Einführung und der erste Baustein finden vom 05.<br />
- 09.12.2012 statt.<br />
Die TeilnehmerInnen arbeiten wie in einer freinet-pädagogischen<br />
Lerngruppe, in dem sie sich folgende sieben<br />
Bausteine erarbeiten:<br />
1. Freier Ausdruck;<br />
2. Demokratie leben und lernen;<br />
3. Verlasst die Übungsräume;<br />
4. Natürliche Methode - forschendes und entdeckendes<br />
Lernen;<br />
5. Heterogenität als Lernchance;<br />
6. Leistung zeigen - Dokumentation und Präsentation;<br />
7. Hospitationen und Teilnahme an einer frei gewählten<br />
Freinet-Veranstaltung im Zeitraum von 2011 - 2013<br />
Nähere Informationen und Anmeldung:<br />
Freinet-Kooperative e.V., Sielwall 45, 28203 Bremen<br />
Tel: 0421-344 929<br />
mail@freinet-kooperative.de, www.freinet-kooperative.de<br />
Anmeldeschluss: 15. Juni 2012<br />
Der Spickzettel dominiert weiterhin<br />
Die Lernplattform CoboCards.de führte kürzlich eine<br />
Umfrage zum Schummelverhalten deutscher SchülerInnen,<br />
StudentInnen und Azubis durch. Der Fragebogen<br />
ging an insgesamt 22.432 Newsletter-Empfänger. Das<br />
Ergebnis dürfte vor allem Lehrkörper interessieren. 77%<br />
geben an, regelmäßig in einer Prüfung zu schummeln.<br />
Über die Hälfte der TeilnehmerInnen wurde dabei noch<br />
nie erwischt.<br />
Wer kennt das nicht? Ein Tag vor der Prüfung. Die Lerninhalte<br />
sitzen, man fühlt sich bereit. Doch dann diese<br />
Zweifel. Vielleicht doch nicht einen Spickzettel mitnehmen?<br />
So denken 72% der Schummler und nehmen gerne<br />
einen Spickzettel mit in die Prüfung. Trotz des Zeitalters<br />
der Smartphones dominiert dieses klassische Schum-<br />
melinstrument. Gefolgt von ganzen Unterlagen (42%)<br />
und Körperteilen (33%). Elektronische Hilfsmittel wie<br />
Handys kommen selten zum Einsatz (9%). Vermutlich<br />
deshalb, weil viele Schulen das Mitbringen dieser erst<br />
gar nicht erlauben.<br />
Die Umfrage hat auch ergeben, dass 35% der TeilnehmerInnen<br />
Prüfungsunterlagen schon vor einer Prüfung<br />
in den Händen hielten und 4% noch nie in ihrem Leben<br />
für eine Prüfung gelernt haben, sich jedoch immer durchmogeln.<br />
Sollte dennoch einmal gelernt werden, spielt das<br />
Geschlecht bei der Auswahl der Lernpartner für viele<br />
eine entscheidende Rolle. Unter den „Lieber mit Jungs“<br />
Antwortenden befinden sich 90% Mädchen. Bei Jungs<br />
ist dieser Wert etwas geringer (77% lieber mit Mädchen).<br />
pm<br />
Kreis + Region<br />
Kreis Ludwigshafen/Speyer<br />
Rot-Grüne Bildungspolitik: nur ein<br />
kleiner Hoffnungsschimmer<br />
Am 23. Februar war es wieder mal soweit: Die satzungsgemäß notwendige<br />
Mitgliederversammlung des Kreisverbandes Ludwigshafen/<br />
Speyer fand unter sehr großem Zuspruch statt. Die fristgerecht<br />
verschickte Tagesordnung, die Berichte aus der Arbeit des Kreises,<br />
Wahlen der Delegierten zum Landesgewerkschaftstag, eine Stellungnahme<br />
des Landesvorsitzende Klaus-Peter Hammer zur rot-grünen<br />
Bildungspolitik und die Jubilarehrungen ankündigte, war wohl<br />
so attraktiv, dass alle Plätze im großen Saal des Gasthauses „Alte<br />
Turnhalle“ in Ludwigshafen-Oggersheim besetzt waren.<br />
Die Berichte aus der Arbeit des Kreisverbandes wurden abwechselnd<br />
von Sabine Weiland, Birgit Wolsdorfer und Gerald Hebling vom<br />
Vorsitzendenteam vorgetragen, alles gekonnt unterstützt durch eine<br />
Power-Point-Präsentation.<br />
Die Streikunterstützung der <strong>GEW</strong> für die Arbeiter der Firma KBA<br />
in Frankenthal, die sich gegen die Verlagerung ihrer Arbeitsplätze<br />
wehrten, wurde in einem dreiminütigen Kurzfilm dokumentiert.<br />
Besonders hervorzuheben ist dieses Engagement, da es an einem<br />
Pfingstmontag stattfand.<br />
Ein voller Erfolg war die Aktion „Leinen los - LehrerInnen los - arbeitslos???“<br />
der <strong>GEW</strong> Ludwigshafen-Speyer, die sich gegen die Kürzung<br />
der Anzahl der Vertretungsverträge kurz vor den Sommerferien<br />
richtete. Dazu wurde ein Schiff für eine Protestfahrt auf dem Rhein<br />
gechartert. SchülerInnen und LehrerInnen zeigten gemeinsam ihren<br />
Unmut über diese unverständliche Entscheidung der Bildungsministerin.<br />
In den Medien fand diese Aktion landesweite Beachtung.<br />
Rund 200 KollegInnen nahmen an der gemeinsamen Personalversammlung<br />
der Ludwigshafener Schulen im Heinrich-Pesch-Haus<br />
im Oktober teil. Das 1. Dienstrechtsänderungsgesetz und seine<br />
Verschlechterungen für die KollegInnen waren Inhalt dieser Veranstaltung,<br />
über die in der <strong>GEW</strong>-Zeitung im Dezember ausführlich<br />
berichtet wurde.<br />
28 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012
Kreis + Region<br />
Insgesamt sei festzustellen, dass der Bildungsbereich permanent zu<br />
knapp mit Mitteln ausgestattet ist. <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> liege bei der<br />
Bildungsfinanzierung im Ländervergleich in der BRD im unteren<br />
Drittel.<br />
Die Wahl der Delegierten zum Landesgewerkschaftstag ging völlig<br />
problemlos über die Bühne, da der Kreis 7 Delegierte entsenden<br />
kann, aber 14 Vorschläge zur Wahl standen.<br />
Auch an den Protestveranstaltungen des Landesverbandes im November<br />
beteiligte sich der Kreis Ludwigshafen-Speyer. Rund 70<br />
KollegInnen fuhren mit nach Mainz, um den <strong>GEW</strong>-Landesvorstand<br />
in seinen Bemühungen zu unterstützen, der Landesregierung zu<br />
zeigen, dass die BeamtInnen nicht gewillt sind, weitere Verschlechterungen<br />
ihrer sozialen Standards und ihrer Arbeitsbedingungen<br />
hinzunehmen.<br />
Auch Klaus-Peter Hammer nahm zu den Verschlechterungen der sozialen<br />
Standards der BeamtInnen Stellung. In den letzten 20 Jahren<br />
seien kontinuierlich „Privilegien“ abgebaut worden. Dabei verwies<br />
er auf die Einschränkungen bei der Kostenerstattung der Beihilfe,<br />
die jährlich fällige Selbstbeteiligung und der monatliche Beitrag zu<br />
den Wahlleistungskosten, die zum 01.01.12 verdoppelt wurden.<br />
Die Festschreibung der Besoldungserhöhung auf 1% jährlich für die<br />
nächsten 5 Jahre im 1. Dienstrechtsänderungsgesetz verhindere, dass<br />
die BeamtInnen ihre sozialen Standards mit der Landesregierung<br />
verhandeln können. Sie würden schlichtweg als ArbeitnehmerInnen<br />
entmündigt. Aus diesem Grund sei es dringend notwendig, dass<br />
auch BeamtInnen das Streikrecht erhalten, um drohende weitere<br />
Verschlechterungen verhindern zu können. Da die <strong>GEW</strong> die einzige<br />
Lehrerorganisation ist, die das Streikrecht für BeamtInnen fordere,<br />
erscheine es sinnvoll, das Urteil des europäischen Gerichtshofes für<br />
Menschenrechte zu diesem Thema abzuwarten.<br />
Eine erste Bilanz der <strong>GEW</strong> zur rot-grünen Bildungspolitik zog der<br />
Landesvorsitzende auch. Für die positive Ausgestaltung der Bildungspolitik<br />
sieht Hammer nur einen kleinen Hoffnungsschimmer,<br />
da die in der Verfassung festgelegte Schuldenbremse für das Land alle<br />
Parteien gleichermaßen binde. Deshalb sei es zu begrüßen, dass die<br />
Schülertransportkosten für alle Schularten vom Land getragen werden,<br />
auch wenn dies erst durch ein Gerichtsurteil erzwungen wurde.<br />
Positiv zu werten sei auch die Absenkung der Klassenmesszahlen in<br />
der Grundschule auf 24 SchülerInnen pro Klasse.<br />
Die Einstellungssituation für GS-LehrerInnen werde zukünftig sehr<br />
schwierig werden, da die Zahl der GrundschülerInnen weiter sinke.<br />
Eine Umqualifikation zu FÖS-LehrerInnen sei eine Möglichkeit,<br />
die Einstellungssituation etwas zu entspannen. Nur im BBS-Bereich<br />
bestehe nach wie vor ein genereller Bedarf an LehrerInnen. Für die<br />
Hochschulen in RLP gelte: Sie sind permanent unterfinanziert.<br />
Großer Mangel an Fachkräften herrsche im Kita-Bereich. Aber junge<br />
Menschen für den Beruf der ErzieherInnen zu gewinnen, scheitere<br />
an der bestehenden Diskrepanz zwischen hohem Leistungsanspruch,<br />
starker Arbeitsbelastung und geringer Bezahlung. Durch „Seiteneinsteiger“<br />
werde versucht, die angespannte Situation zu mildern.<br />
Aber der Erfolg dieser Maßnahme sei noch abzuwarten.<br />
2012 waren es insgesamt 176 JubilarInnen, die für 25, 30, 40, 50<br />
und mehr Jahre Zugehörigkeit zur <strong>GEW</strong> geehrt wurden.<br />
Allerdings konnten die Ehrenurkunden und das Weinpräsent nur<br />
an 37 anwesende JubilarInnen überreicht werden. Der Landesvorsitzende<br />
und die Mitglieder des Kreisvorstandsteams hatten trotzdem<br />
alle Hände voll zu tun. Dank der digitalen Fototechnik erhielten<br />
die JubilarInnen als besondere Draufgabe auch gleich noch ein<br />
Gruppenfoto ihres jeweiligen Jubiläumsjahrgangs.<br />
Den verhinderten KollegInnen wird die Ehrenurkunde und das<br />
Weinpräsent zugesandt.<br />
Die folgenden anwesenden <strong>GEW</strong>-Jubilare wurden geehrt<br />
• für 25 Jahre Mitgliedschaft: Silvia Alter, Berthold Erb, Brigitte<br />
Hipp-Schreiner, Brigitte Kren, Ursula Magin, Rainer Rahn,<br />
Heinrich Schlosser, Nikolaus Schneider, Sabine Weiland, Ilse<br />
Zimmermann<br />
• für 30 Jahre Mitgliedschaft:<br />
Jörg Albert, Gudrun Biehl, Siegward Dittmann, Kristiane Erdmann-<br />
Luz, Dorothee Limburg-Stemmler, Cornelia Meurer, Jochen Mogler,<br />
Wilfried Pfliegensdörfer, Karl Theis<br />
• für 40 Jahre Mitgliedschaft:<br />
Boris Bebber, Gerlinde Bensch, Erich Eberts, Kurt Gehres, Ewald<br />
Imhof, Doris Kleinhans-Schwamb, Eva Kucharski, Robert Ludwig,<br />
Volker Rebholz, Gertraude Scheurlen, Helmut Schäfer, Jutta Stephany,<br />
Helmut Thyssen, Stefanie Thyssen, Gerd Vogel, Willi Weinerth<br />
• für 50 Jahre Mitgliedschaft:<br />
Reiner Hartmann, Hansmartin Weber<br />
Reiner Hartmann (2.v.l.) und Hansmartin Weber (3. v.l.) wurden für<br />
50 Jahre Mitgliedschaft geehrt. Fotos: Hnida-Eichenlaub<br />
Die Ehrungen wurden unterbrochen, umrahmt und musikalisch<br />
kommentiert von Blandine Bonjour und Bernd Köhler mit ihren<br />
internationalen, politischen Chansons. So wurden die JubilarInnen<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />
29
Kreis + Region<br />
mit 40 Jahren <strong>GEW</strong>-Zugehörigkeit mit dem Volkslied „Die Gedanken<br />
sind frei“ daran erinnert, dass ihr Gewerkschaftseintritt in<br />
die Zeit der Berufsverbote fiel. Durch lautes Mitsingen stimmten<br />
die KollegInnen den beiden KünstlerInnen und dem Liedtext zu.<br />
U.K.<br />
Anlässlich der Bezirksfachgruppensitzung am 14. Februar 2012 hat<br />
die Fachgruppe Berufsbildende Schulen des Bezirks Koblenz Markus<br />
Henrich zum Bezirksfachgruppenvorsitzenden und Dr. Marcel Sommer<br />
zum stellvertretenden Bezirksfachgruppenvorsitzenden gewählt.<br />
Henrich und Sommer beabsichtigen, die Fachgruppe als Team zu<br />
führen und wollen beim kommenden Bezirksgewerkschaftstag einen<br />
entsprechenden satzungsändernden Antrag stellen, um die Leitung<br />
von Gremien in Teams zu ermöglichen. Die beiden Neugewählten<br />
versprechen eine Wiederbelebung der Fachgruppenarbeit. Sie betonen,<br />
dass sie auf den Dialog mit den Mitgliedern großen Wert legen<br />
und gezielt auf den Unterstützungsbedarf der einzelnen Mitglieder<br />
eingehen sowie verstärkt Informations- und Fortbildungsveranstaltungen<br />
anbieten wollen.<br />
Dass es dabei mehr als genug Betätigungsfelder gibt, zeigten die<br />
einzelnen Punkte auf der Tagesordnung vom 14. Februar: Vorbereitung<br />
des Landesgewerkschaftstages im Mai, Anträge des Bezirksgewerkschaftstages<br />
und der Landesfachgruppe BBS, Vorbereitung<br />
der Landesfachgruppenkonferenz am 29. Februar, HPR-, BPR- und<br />
ÖPR-Wahlen 2013, Verhältnis zwischen BBS und Realschule plus.<br />
Zur Person: Markus Henrich (Foto rechts), Jahrgang 1973, verh.,<br />
Studienrat an der BBS Montabaur, unterrichtet die Fächer BWL,<br />
Informatik und evangelische Religion, Kreisfachgruppensprecher<br />
BBS des <strong>GEW</strong>-Kreisverbandes Westerwald.<br />
Zur Person: Dr. Marcel Sommer (Foto links), Jahrgang 1970, unterrichtet<br />
Deutsch, Französisch und Spanisch an der BBS Wirtschaft<br />
Bad Kreuznach. Er ist <strong>GEW</strong>-Vertrauensmann an seiner Schule sowie<br />
Kreisfachgruppensprecher BBS des <strong>GEW</strong>-Kreises Bad Kreuznach.<br />
pm<br />
Am 29. Februar 2012 hat Ulrich Hinz, Geschäftsführer der Bundes-<br />
<strong>GEW</strong>, unserem Mitglied Klaus Beck (Kreis Ludwigshafen-Speyer)<br />
im „Brechts“, einem Restaurant am Schiffbauerdamm in Berlin, die<br />
Urkunde für 40jährige Mitgliedschaft in der <strong>GEW</strong> überreicht. Klaus<br />
Beck ist DGB-Bundesvorstandssekretär, damit der „ranghöchste“<br />
DGB-Mitarbeiter unterhalb des fünfköpfigen Vorstands.<br />
Bezirk Koblenz<br />
BFG BBS hat neue Vorsitzende<br />
Kreis Westerwald<br />
MV mit Lutz Zahnhausen<br />
Zwei Schwerpunkte hatte die Mitgliederversammlung des KV<br />
Westerwald am 23. Februar in Westerburg: Zunächst musste der<br />
KV „seine Hausaufgaben“ im Vorfeld des Landesgewerkschaftstages<br />
erledigen. Dazu wurden Anträge auf den Weg gebracht, welche die<br />
Arbeits- und Unterrichtsbedingungen in den Grundschulen und den<br />
Realschulen plus verbessern sollen, und Delegierte gewählt. Neben<br />
Angelika Müller-Schemann als Vertreterin der Landesfachgruppe<br />
Förderschulen und Hartmut Lehmann als Kreisvertreter werden<br />
Antje Krause und Ahmet Yildiz zum Gewerkschaftstag entsandt.<br />
Mit „IGS in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> - Zwischenbilanz und Perspektiven“<br />
nahm man sich eines bisher im Westerwald recht stiefmütterlich<br />
behandelten Themas an. Als Referent konnte mit Lutz Zahnhausen,<br />
dem Vorsitzenden des KV Koblenz-Mayen, ein Kenner der Materie<br />
gewonnen werden.<br />
Lutz, seit 13 Jahren Lehrer an einer Integrierten Gesamtschule<br />
und Vorsitzender des Hauptpersonalrats IGS, zeigte den Weg der<br />
IGS in unserem Bundesland von vier Modellschulen 1973 bis zu<br />
den 54 heute detailliert auf. Er informierte über die Antragswege,<br />
die Vorbereitungsarbeit der Planungsgruppen sowie die Formen<br />
der Differenzierung und Zusammenarbeit. Bemerkenswert dabei<br />
ist, dass die ideologischen Kämpfe der 70er Jahre so gut wie keine<br />
Rolle mehr spielen, nachdem auch CDU-dominierte Stadt- oder<br />
VG-Räte Anträge auf Integrierte Gesamtschulen stellen, wenn nur so<br />
alle Schulabschlüsse in ihrem Verantwortungsbereich sichergestellt<br />
werden können.<br />
30 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012
Kreis + Region<br />
Kreis Rhein-Lahn<br />
Gliederungsplan und Herbststatistik<br />
Da seit zwei Jahren mit Selters erst eine IGS im Westerwaldkreis<br />
existiert, wird sich der Kreisverband weiter mit dem Thema beschäftigen.<br />
Nach einer lebhaften Fragerunde fasste Lutz Zahnhausen<br />
zusammen: „Haben wir über ein futuristisches Modell gesprochen?<br />
- Nein. Die ’Schule für Alle‘ ist in der Normalität angekommen.“<br />
Hartmut Lehmann<br />
Kreise Pirmasens, Kusel + Zweibrücken<br />
Studienfahrt nach Leipzig<br />
Im Herbst veranstalten die <strong>GEW</strong>-Kreise Pirmasens, Kusel und<br />
Zweibrücken eine Studienfahrt nach Leipzig. Die gemeinsame<br />
Durchführung einer Studienfahrt in den Herbstferien ist mittlerweile<br />
für die drei <strong>GEW</strong>-Kreise zur Tradition geworden.<br />
Start ist am 30.09.2012 in Zweibrücken. Die Fahrt im 4-Sterne Ferienbus<br />
geht über Eisenach nach Leipzig. Auf der Wartburg wird ein<br />
Zwischenstopp eingelegt. Hier erwartet die ReiseteilnehmerInnen<br />
eine Führung; auch ist ein kurzer Aufenthalt in der Luther-Stadt<br />
Eisenach geplant. Die Übernachtungen für 5 Tage sind im 4*-Hotel<br />
Ramada City in Leipzig gebucht.<br />
Am zweiten Tag erwartet die TeilnehmerInnen eine Ganztagsbesichtigung<br />
von Leipzig unter örtlicher Reiseführung. Zu Fuß und mit<br />
dem Bus wird das geschichtliche, literarische und musikalische Leipzig<br />
erkundet. Unter anderem steht der Besuch der Nikolaikirche,<br />
der Mädler-Passsage mit Auerbachs Keller, der Thomaskirche mit<br />
dem Bachdenkmal, das Völkerschlachtdenkmal und vieles mehr an.<br />
Der nächste Tag steht im Zeichen der Weinregion Saale-Unstrut.<br />
Zuerst geht es in die Domstadt Naumburg, wo eine Stadtführung<br />
stattfindet. Anschließend führt die Fahrt in das bezaubernde<br />
Winzerstädtchen Freyburg am Ufer der Unstrut. Danach steht der<br />
Besuch der Schlossstadt Merseburg an der Straße der Romantik an.<br />
Der vierte Tag steht den TeilnehmerInnen zur freien Verfügung. Am<br />
Tag kann jeder Leipzig nach seinem Geschmack erkunden. Abends<br />
ist ein gemeinsames Essen in Auerbachs Keller geplant.<br />
Am letzten Tag geht die Fahrt nach Weimar, der Stadt der deutschen<br />
Klassik. Hier kann noch auf den Spuren Goethes und Schillers<br />
gewandelt werden. Nach der Mittagspause geht es wieder zurück<br />
nach Zweibrücken.<br />
Informationen und Anmeldungen für die Fahrt sind erhältlich beim<br />
<strong>GEW</strong>-KV Zweibrücken, Gregor Simon, Schweizer Ring 6, 66482<br />
Zweibrücken. Info-Material erhalten Interessenten auch per E-Mail:<br />
gregor.simon@gew-rlp.de.<br />
gs<br />
Über vorläufigen Gliederungsplan und Herbststatistik 2012 informierte<br />
Dieter Roß, Leiter der <strong>GEW</strong>-Rechtsschutzstelle, bei einer<br />
Fortbildungsveranstaltung des <strong>GEW</strong>-Kreises Rhein-Lahn.<br />
Für die nicht selten anzutreffende Hektik im Zusammenhang<br />
mit den Statistikterminen besteht überhaupt kein Grund. Denn<br />
jede Schule erhält ca. vier bis sechs Wochen vor dem jeweiligen<br />
Meldetermin ihre spezielle Excel-Datei von der Schulbehörde auf<br />
elektronischem Wege zugesandt. Die Schulleitung kann dann dem<br />
örtlichen Personalrat eine elektronische Kopie dieser Datei übergeben,<br />
damit dieser sich einlesen kann. Gleichzeitig sollte Schulleitung<br />
und Personalrat die Verfahrensschritte der Information und<br />
der Erörterung terminieren. Bei den allgemeinbildenden Schulen<br />
ist der vorläufige Gliederungsplan in der Regel im März und der<br />
endgültige - auch Herbststatistik genannt - ca. drei Wochen nach<br />
Unterrichtsstart nach den Sommerferien an die ADD abzusenden.<br />
Im vorläufigen Gliederungsplan werden im G-Bogen die erwarteten<br />
Schülerzahlen der einzelnen Klassenstufen für das kommende<br />
Schuljahr eingegeben, in der Herbststatistik die tatsächlichen. Die<br />
rechnerisch zu bildenden Klassen und notwendigen Lehrerwochenstunden<br />
werden selbstständig errechnet. Erforderliche zusätzliche<br />
Lehrerstunden werden angegeben und so das SOLL an Lehrerstunden<br />
dargestellt.<br />
Der Referent erläutert am konkreten Muster, welche Daten im Einzelnen<br />
seitens der Schule erhoben werden müssen, um die Dateien<br />
korrekt ausfüllen zu können.<br />
Ausführlich wurde an Beispielen wie Einstellung, Versetzung, Änderung<br />
der Unterrichtsverpflichtung, Altersteilzeit, Verrechnungsstunde,<br />
Rückgabe der Ansparstunde etc. gezeigt und erläutert, wie<br />
von jeder Lehrkraft die erforderlichen Daten einzugeben sind.<br />
Auf die Besonderheiten, die durch Migrantenkindern oder durch<br />
beeinträchtigte SchülerInnen entstehen, wurde eingegangen.<br />
Nicht vergessen wurde der Hinweis, dass jede Lehrkraft bei jedem<br />
Statistiktermin durch Ausdruck vor Absendung darüber zu informieren<br />
ist, welche Daten an die Schulbehörde gesandt werden.<br />
Der örtliche Personalrat sollte - so die Empfehlung des Referenten<br />
- eine elektronische Kopie der Datei erhalten, die nach der Erörterung<br />
abgesandt wird. Beim vorläufigen Gliederungsplan sollte<br />
auch verabredet werden, dass der örtliche Personalrat unverzüglich<br />
über alle Nachmeldungen, Veränderungen und Zusagen durch die<br />
Schulbehörde informiert wird.<br />
Die TeilnehmerInnen dankten dem Referenten Dieter Roß für die<br />
anschauliche und gelungene Präsentation.<br />
d.r<br />
Impressum <strong>GEW</strong>-ZEITUNG <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />
(120. Jahrgang)<br />
Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>, Neubrunnenstr. 8, 55116<br />
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Redaktion: Günter Helfrich (verantw.), Dr. Paul Schwarz (Stellvertr./Bildungspolitik), Ursel Karch<br />
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<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />
31
Schulgeist<br />
Gelassen durch die „Pupertät“<br />
Leises Schnarchen dringt aus der letzten Reihe. Ich suche<br />
nach einem Stück Kreide, um es dem desinteressierten<br />
Knaben an den Kopf zu werfen, aber ich konnte noch nie<br />
richtig zielen. Von seinem Sitznachbarn unsanft geweckt,<br />
murmelt Bruce: „Ich bin in der Pubertät, ich brauche viel<br />
Schlaf!“ Dustin raschelt mit Papier und stopft sich den<br />
Mund voll: „Ich bin krass im Wachstum, ich muss essen!“<br />
Ich lasse ihn kauen. Ich lasse auch Kassandra meinen Unterricht<br />
als scheißlangweilig deklarieren. Ich weiß ja, was<br />
los ist: die Pubertät, gern auch „Pupertät“ geschrieben. Sie<br />
befällt über Nacht ganze Schulklassen. Erfahrungsgemäß<br />
im 7. und 8. Schuljahr.<br />
Laut Ärzten und Psychologen wird das kindliche Gehirn<br />
während der Pubertät zu einer Baustelle, auf der sich<br />
tragende Wände und Stützpfeiler ständig verschieben.<br />
Synapsen fuchteln in der Gegend rum, Hormone toben<br />
durch den mutierenden Körper. Die Relation zwischen<br />
Rumpf und Gliedmaßen verschiebt sich. Der/die gebeutelte<br />
Jugendliche ist nicht in der Lage, das Verhalten<br />
Kein Schulfach Musik<br />
angemessen zu steuern. Das körperliche Wachstum ist<br />
dem geistigen bisweilen Jahre voraus. Marlene in der<br />
ersten Reihe präsentiert dem Lehrpersonal ausdauernd<br />
ihr Dekollete, aber in der Pause gräbt sie versunken im<br />
Sandkasten.<br />
Jung müsste man noch mal sein? Um Himmelswillen!<br />
Zurück in diese Phase?<br />
„Pubertät ist der Zustand, in dem die Erwachsenen<br />
anfangen, schwierig zu werden“, ritzt Nike auf ihren<br />
Tisch. Jugendliche entwickeln verschiedene Strategien,<br />
um in dieser belastenden Zeit mit den Erwachsenen<br />
umzugehen. Einige Knaben werden apathisch und stellen<br />
die Kommunikation ein. Sie lassen sich die Haare<br />
wie eine Gardine ins Gesicht wachsen und fühlen sich<br />
bei jeder noch so harmlosen Frage unendlich belästigt.<br />
Andere grinsen nur noch und stellen sich so dumm, dass<br />
man auch sie irgendwann in Ruhe lässt. Die pubertären<br />
Aktivitäten im Unterricht sind mannigfaltig: Dennis gibt<br />
den Tierstimmenimitator, Pavel malt gurkenähnliche<br />
Kunstgegenstände, Mona beobachtet im Taschenspiegel<br />
die Entwicklung eines winzigen Pickels, Ina schreibt Tagebuch.<br />
Schwere Schultaschen sind bei den Mädchen out.<br />
Kleine Handtaschen mit Schminkzeug reichen<br />
völlig. Manche Schüler werden pampig und fühlen<br />
sich ständig angegriffen. Andere entwickeln<br />
Allmachtsfantasien und duzen ihre LehrerInnen.<br />
Die Leistungen sinken bei allen rapide. Ein Vater<br />
ändert daraufhin verärgert sein Testament.<br />
Der Klassenraum wird zu einer olfaktorischen<br />
Erlebniszone: Körpereigene Duftstoffe, Zigarettenaroma<br />
und süßliche Rasierwässer überlagern<br />
sich. Nach dem Sportunterricht kommt jede<br />
Menge Deo-Spray zum Einsatz. Wozu duschen?<br />
Bei vielen Mädchen äußert sich die Pubertät in<br />
gnadenlosen Beurteilungen des eigenen Körpers.<br />
Anscheinend verfügt jede Familie über einen<br />
doofen Bruder, der zielsicher weiß, wie man<br />
Schwestern am besten ärgert. Das bewährte Reiz-<br />
Reaktions-Schema: „Du hast ja Zellulitis / einen<br />
fetten Hintern!“ Mädchen in der Pubertät tragen<br />
deshalb riesige Hosen oder knoten sich selbst im<br />
Sportunterricht eine Jacke um die Taille.<br />
Was Peter Baldus angesichts der Pläne für die Uni in<br />
Koblenz und Landau befürchtet …<br />
Max versteht seine Mitschüler nicht mehr. Er<br />
macht weiter Hausaufgaben und beteiligt sich<br />
mit kindlichem Eifer am Unterricht. Er brüllt<br />
nicht unmotiviert auf, rennt nicht beleidigt raus<br />
und spielt nicht mit Rasierklingen. Die anderen<br />
Kerle in der Klasse lachen, wenn er mit piepsiger<br />
Stimme ein Gedicht aufsagt. Wahrscheinlich<br />
setzt seine Pubertät mit voller Wucht in der 10.<br />
Klasse ein. Er wird in jede Richtung zwanzig<br />
Zentimeter wachsen und sich für Spott und<br />
Ungemach an seinen Mitschülern rächen. Mit<br />
Sicherheit werde ich deshalb jede Woche ein<br />
ernstes Gespräch mit ihm führen.<br />
Und heimlich meinen Kollegen beneiden, der<br />
sich in die Erwachsenenbildung gerettet hat.<br />
Gabriele Frydrych<br />
32 Beilage zur E&W: <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012