GEW-ZEiTUnG Rheinland-Pfalz
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Bildung<br />
gewahrt. Pathologische oder gar traumatische Scham sind<br />
schmerzhafte und heimliche Gefühle (Kränkungen), die<br />
verwunden und unerträglich werden können; vielfach<br />
sind sie mit unterschiedlichen Formen von Abwehr verbunden.<br />
Verächtlichmachen und Verachtung, Schikanen,<br />
Zurückweisung, Erniedrigung, Missachtung, Abwertung,<br />
Demütigung, Diskriminierung, Häme und Spott sowie<br />
negative Anerkennung sind die - pädagogisch-öffentlichen<br />
- Dimensionen, die eine „Beschämungspädagogik“<br />
konturieren. Es sind Bilder, Urteile oder Vorurteile und<br />
die Beschämungen zielen immer auf eine Bestrafung<br />
und Schuldzuweisung an die Kinder und Jugendlichen.<br />
Dabei wird das Strafbedürfnis der erwachsenen Akteure<br />
in den skizzierten Formen aus einer Machtposition des<br />
Stärkeren gegenüber einem Abhängigen befriedigt und<br />
mit „erzieherischen Wirkungen“ legitimiert. Diese sind<br />
wiederum mit normativen Mentalitäten und einem<br />
Kinder- und Jugendbild verknüpft, nach dem die junge<br />
von der erwachsenen Generation - mehr oder weniger<br />
autoritär, repressiv, kontrolliert - beeinflusst und erzogen<br />
werden muss. Dabei kann der Pädagoge - wie der Vater<br />
und die Mutter in der familialen Erziehung - als „Beschämungsspezialist“<br />
charakterisiert werden; hier steht die<br />
pädagogische Profession in der Tradition der schwarzen<br />
Pädagogik, die den Kindern und Jugendlichen autoritär,<br />
feindlich und ohne Empathie gegenüber tritt.<br />
Die Erfahrungen mit Scham und Beschämung sind für<br />
die Betroffenen in ihrer intellektuellen, emotionalen und<br />
gesundheitlichen Entwicklung, in der Bewältigung von<br />
Entwicklungsherausforderungen im Prozess des Erwachsenwerdens<br />
und Identitätsaufbaus folgenreich. Sie können<br />
mit Schul- und Leistungsverweigerung, körperlichen<br />
Reaktionen (Erröten) oder mit unterschiedlichen Formen<br />
der Abwehr (Rückzug, Verachtung, Zynismus, dissoziales<br />
Verhalten, Größenphantasien und Arroganz) reagieren.<br />
Weiter können ängstliche und resignative Verhaltensweisen,<br />
Ohnmachts-, Einsamkeits- und Verlassenheitsgefühle<br />
entstehen: Selbstwertgefühl und Selbstwirksamkeit, Handlungssicherheit,<br />
Kreativität und Interesse, Kompetenzentwicklung<br />
und Lernprozesse können blockiert werden.<br />
Wiederholte und traumatische Erfahrungen können zur<br />
Folge haben, dass es nicht gelingt Körperscham wieder<br />
abzulegen. Das gilt auch für das Auftreten von Selbstdarstellungs-<br />
und Auftrittsängsten, Beeinträchtigungen bei<br />
Beschämungen, die mit Körper, Sport, Bewegung und<br />
Gesehen-Werden zusammenhängen, dann für (Auto-)<br />
Aggressionen, Sozialphobien und Panikattacken.<br />
Anerkennende Pädagogik<br />
Die Auseinandersetzung mit der „Straf- und Beschämungspädagogik“<br />
in der professionalisierten Pädagogik<br />
und sozialen Arbeit gehört zur Daueraufgabe der pädagogischen<br />
Profession und des disziplinären Diskurses. In<br />
der Professionsdebatte und dem Aufbau pädagogischer<br />
Professionalität (Kompetenz) als Lernherausforderung,<br />
in der Aus- und Fortbildung des pädagogischen Personals<br />
wäre das Thema - als Bewusstsein für Scham und die<br />
Achtsamkeit im Umgang mit ihr, aber auch für die eigene<br />
Scham- und Beschämungsgeschichte - aufzunehmen und<br />
mit der Figur der moralischen Achtung und der Idee der<br />
„Würde“, des personalen Respekts und des positiven<br />
„Anerkennungsspezialisten“ zu verbinden. Dieser vertritt<br />
und realisiert eine Anerkennungspädagogik, eine<br />
anerkennende Haltung, die Kinder und Jugendliche mit<br />
ihrer Vielfalt und Verschiedenheit in deren Lern- und<br />
Bildungszeit wertschätzt und einbezieht. So geht es in<br />
der Schule um einen kognitiv-aktivierenden Unterricht<br />
und eine zugehörige Aufgabenkultur, die mit Empathie<br />
anregt und fördert, begleitet und „Türen öffnet“; in den<br />
unterschiedlichen Domänen weiter um eine Pädagogik<br />
die ihren Sinn plausibilisieren kann, die interessiert ist und<br />
neugierig auf die Welt (auch in den Schulfächern) macht.<br />
Zugleich geht es um Erfahrungen, bei denen faire Konkurrenz<br />
und Heterogenität produktiv und Rückmeldungen<br />
respektvoll sind, intellektuelle Anstrengungen Spaß machen<br />
und „es beim Lernen etwas zu lernen gibt“ (Bude).<br />
Benno Hafeneger, Institut für Erziehungswissenschaft<br />
der Philipps-Universität Marburg – Aus: HLZ 12/11<br />
<strong>GEW</strong> will Studiengänge für Kindheitspädagogik<br />
Die <strong>GEW</strong> schlägt vor, „unverzüglich grundständige Studiengänge<br />
für Kindheitspädagogik aufzubauen“. Damit solle der<br />
großen Zahl der Schulabgängerinnen und Schulabgänger mit<br />
Hochschulzugangsberechtigung ein attraktives Angebot gemacht<br />
werden.<br />
Die <strong>GEW</strong> begrüßt die Initiative des Aktionsrats Bildung,<br />
die Ausbildung der Beschäftigten in Tageseinrichtungen<br />
für Kinder zu verbessern. Der Vorschlag, dass bis 2020<br />
an jeder Kindertageseinrichtung (Kita) eine Kindheitspädagogin<br />
mit Hochschulabschluss tätig sein sollte, sei<br />
längst überfällig. „Der Weg zum Bachelorabschluss ist<br />
mit einer dreijährigen Erzieherausbildung und weiteren<br />
drei Jahren Studium heute aber einfach noch zu lang“,<br />
sagte Norbert Hocke, <strong>GEW</strong>-Vorstandsmitglied für Jugendhilfe<br />
und Sozialarbeit, mit Blick auf den Vorstoß des<br />
Aktionsrates Bildung. Der Grund: Die meisten der rund<br />
70 Studienangebote seien berufsbegleitend und setzten<br />
eine Erzieherausbildung voraus.<br />
„Die Arbeitsbedingungen in den Kitas müssen verbessert<br />
werden, wenn man die Qualität der pädagogischen Arbeit<br />
erhöhen will“, betonte Hocke. Er appellierte an die<br />
Kitaträger, den Personalschlüssel deutlich zu verbessern<br />
und die Zahl der Kinder pro Gruppen zu senken. Auch<br />
eine noch so gut aus- und weitergebildete Erzieherin<br />
stoße an ihre Grenzen, wenn sie keine Zeit habe, Kinder<br />
individuell zu fördern, sich auf ihre Arbeit vorzubereiten<br />
und Elterngespräche zu führen.<br />
Der Kita-Experte unterstrich, die Bezahlung aller Kita-<br />
Beschäftigten müsse verbessert werden. Die Forderung des<br />
Aktionsrats Bildung, allein die Gehälter akademisch ausgebildeter<br />
Kindheitspädagogen zu erhöhen, greife zu kurz.<br />
pm<br />
16 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012