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Bildung<br />

Pädagogik der Beschämung<br />

Wer über Gewalt spricht, darf von<br />

Beschämung nicht schweigen<br />

In den letzten Jahren hat es erneut eine vielschichtige öffentliche<br />

Debatte über Gewalt gegen Kinder und Jugendliche gegeben.<br />

Mit den empirischen Befunden und Berichten über<br />

unterschiedliche Formen von Gewalt in der Familie, dann in<br />

der Heimerziehung bis in die siebziger und achtziger Jahre, in<br />

einigen Internaten in kirchlicher oder reformpädagogischer<br />

Trägerschaft und auch in Einrichtungen der Jugendhilfe und<br />

Jugendarbeit wurden das historische und auch aktuelle Ausmaß<br />

deutlich.<br />

Dabei geht es um die physische, sexuelle und psychische<br />

Gewalt, die vom pädagogischen Personal in unterschiedlichen<br />

Einrichtungen ausgegangen ist. Hier waren es vor<br />

allem Formen von körperlicher Gewalt (Prügel, Züchtigung)<br />

und sexueller Gewalt („Missbrauch“), wie sie in<br />

den Berichten über die Heimerziehung, über einzelne<br />

Reformschulen (vor allem der Odenwaldschule), zahlreichen<br />

kirchlichen Einrichtungen (vor allem Internaten)<br />

und auch aus der Jugendhilfe und Jugendarbeit vor allem<br />

bei Freizeiten nachhaltig (und zugleich unvollständig)<br />

dokumentiert sind.<br />

Foto:Bert Butzke<br />

Von der Strafe zur Beschämung<br />

Die aktuelle Datenlage über Formen der Gewalt in den<br />

Domänen der professionalisierten Pädagogik ist begrenzt.<br />

Es gibt immer wieder Vorfälle, aber - bei aller Vorsicht<br />

und im Vergleich zu vorangegangenen Zeiträumen, einem<br />

nicht bekannten Dunkelfeld - kaum noch systematische<br />

körperliche oder auch sexuelle Gewalt gegen Kinder<br />

und Jugendliche in pädagogischen Einrichtungen, die<br />

vom pädagogischen Personal ausgeht. Das belegen auch<br />

- bei aller Vorläufigkeit, weil die Interneterfahrungen<br />

nicht berücksichtigt wurden - die Zahlen zur sexuellen<br />

Gewalt gegen Kinder und Jugendliche innerhalb und<br />

außerhalb der Familie, die im Zwischenbericht des<br />

Kriminologischen Forschungsinstitutes Niedersachsen<br />

(KFN) Mitte Oktober 2011 vorgelegt wurden. Nach<br />

dieser im Auftrag des Bundesministeriums für Bildung<br />

und Forschung (BMBF) erstellten Studie findet sexuelle<br />

Gewalt ganz überwiegend in der Familie und im Bekanntenkreis<br />

statt. Außerdem gibt es einen deutlichen<br />

Rückgang innerhalb der Familie in den letzten 20 Jahren<br />

gegenüber den Daten der Vorgängerstudie des KFN von<br />

1992. Nach dem aktuellen Zwischenbericht waren von<br />

den 11.500 befragten Personen im Alter von 16 bis 40<br />

Jahren insgesamt 6,4% der Frauen und 1,3% der Männer<br />

von unterschiedlichen Formen sexueller Gewalt betroffen.<br />

8,6% der Opfer haben Lehrer als Täter genannt.<br />

Die bisher vorliegenden Erkenntnisse über die strafende<br />

Pädagogik deuten jedoch auf einen Wechsel hin: weg von<br />

den offenen und direkten hin zu eher indirekten, subtilen<br />

und angedeuteten, mehr im Verborgenen ausagierten<br />

Gewaltformen. Die Gewaltdiskussion und -forschung<br />

müsste ihre Aufmerksamkeit - jenseits von Pauschalisierungen<br />

und Diskriminierungen des pädagogischen<br />

Personals - differenziert auf alle Gewaltformen und<br />

dabei vor allem die derzeit dominierenden Phänomene<br />

der Beschämung richten. Ebenso wären die Motive und<br />

Prozesse zu untersuchen, die Kinder und Jugendliche zu<br />

Opfern machen, und über solche Beschämungsprozesse<br />

und ihre Folgen aufzuklären.<br />

Beschämung ist - generell in allen (sozial-) pädagogischen<br />

Einrichtungen - kein neues Phänomen, im Gegenteil,<br />

sie durchzieht ihre Geschichte von Anfang an und war<br />

in deren Züchtigungs- und Strafgeschichte immer auch<br />

mit den körperlichen und sexuellen Gewaltformen verbunden,<br />

die eine besonders tiefe und extreme Form der<br />

Beschämung darstellen.<br />

Beschämungsformen<br />

Beschämung ist von dem notwendigen Setzen von Grenzen<br />

und der Vereinbarung von Regeln strikt abzugrenzen,<br />

ebenso von den systematischen und konkreten pädagogischen<br />

Macht- und Abhängigkeitsverhältnissen, die zu<br />

legitimieren und transparent zu machen sind und die<br />

Würde von Kindern und Jugendlichen nicht verletzen<br />

dürfen. In den pädagogischen Arbeitsfeldern sind die<br />

Überschreitung der Schamgrenzen und die Beschämung<br />

mit unterschiedlichen subjektiven und pädagogisierenden<br />

14 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012

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