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Berufliche Bildung<br />

Reformbedarf<br />

Das alles darf natürlich nicht darüber hinwegtäuschen, dass es im<br />

dualen System der Berufsausbildung schwerwiegende und vor allem<br />

auch aus meiner Sicht unnötige Probleme gibt. Der Reformbedarf<br />

ist in der Tat dringend, und er schwelt schon lange. Nur handelt<br />

er von ganz anderen Themen, als sie von der Wissenschaft und der<br />

Politik derzeit angeboten werden.<br />

In erster Linie geht es um die bisher nie eingelöste Ausbildungsgarantie,<br />

die von Politik und Arbeitgebern immer wieder vollmundig<br />

gegenüber den Schulabgängerinnen und -abgängern abgegeben<br />

wird. Tatsächlich haben in den letzten Jahren Hunderttausende<br />

Jugendliche keinen Ausbildungsplatz bekommen, trotz ihrer Bewerbungsbemühungen<br />

und vielerlei Hilfen durch Bewerbertrainings,<br />

Schulprojekte und Berufvorbereitungsmaßnahmen. Diese Jugendlichen<br />

wurden vom Ausbildungsmarkt verdrängt und wanderten<br />

notgedrungen in Überbrückungsmaßnahmen ab, vor allem in berufliche<br />

Vollzeitschulen, die ihnen keinen adäquaten Berufsabschluss<br />

vermitteln konnten. So verwundert es nicht, dass in der Statistik<br />

aktuell 1,5 Mio. junge Menschen bis 25 Jahre geführt werden, die<br />

keinen Berufsabschluss besitzen. Die Zahlen sind unbestreitbar -<br />

und die Gewerkschaften weisen immer wieder auf diesen Skandal<br />

hin, eine soziale Misere.<br />

Ausbildungsreife und öffentliche Verantwortung<br />

Für die Arbeitgeber liegt der Grund für diese Ausbildungskrise<br />

vor allem bei den Jugendlichen selbst, die angeblich über keine<br />

ausreichende „Ausbildungsreife“ verfügen. Dieser Begriff hat inzwischen<br />

Karriere gemacht, obwohl er das Problem nicht wirklich<br />

erklärt. Der Hauptgrund war immer ein unzureichendes Angebot<br />

an Ausbildungsstellen.<br />

Das Kernproblem der dualen Berufsausbildung besteht in einem<br />

unregulierten Angebots-Nachfrage-Mechanismus. Diese fehlende<br />

Regulierung liegt aber nicht in der Natur einer dualen Ausbildung,<br />

sondern ist ausgesprochen bildungsfremd. Man könnte sie sogar<br />

als einen Verstoß gegen Artikel 12 des Grundgesetzes ansehen,<br />

der die freie Wahl des Ausbildungsplatzes garantiert. Immerhin<br />

hatte das Bundesverfassungsgericht in einem Grundsatzurteil schon<br />

1980 festgestellt, dass Berufsausbildung eine „öffentliche Aufgabe“<br />

darstellt, deren Durchführung der Staat an die Wirtschaft delegiert<br />

habe. Der Staat bleibt aber dafür verantwortlich, einzugreifen, wenn<br />

keine ausreichende Versorgung mit Ausbildungsstellen gewährleistet<br />

ist. Die Lösung des Problems, die damals verhandelt wurde, war<br />

die Einführung einer Kollektivfinanzierung der betrieblichen Ausbildung<br />

nach dem Motto: wer nicht ausbildet, soll sich wenigstens<br />

an den gesellschaftlichen Kosten der Ausbildung beteiligen. Denn<br />

ausgebildete Fachkräfte fragen ja alle Unternehmen nach. Dieser<br />

Lösungsansatz wurde als verfassungsrechtlich zulässig eingestuft,<br />

konnte sich aber bisher nicht durchsetzen.<br />

Allen Untergangsprognosen zum Trotz zeigt sich das duale System<br />

durchaus sehr lebendig und stellt immer noch den Hauptteil des<br />

Berufsbildungssystems dar. Die Bestandszahlen sind auf hohem<br />

Niveau bei mehr als 1,6 Mio Ausbildungsverträgen (2008) [4] . Die<br />

rechnerische Einmündungsquote lag 2009 bei 64,7 Prozent eines<br />

Schulabgängerjahrgangs [5] . Der Haupttrend der letzten vierzig Jahre<br />

heißt: Expansion des dualen Systems. Die Ausbildungsteilnahme<br />

war in den sechziger Jahren deutlich niedriger. Allerdings wird sich<br />

der demographische Rückgang der Schulabgänger/innen in den<br />

nächsten 15 Jahren bemerkbar machen.<br />

Denn die duale Ausbildung hat nach wie vor unbestreitbare Stärken,<br />

die es auszubauen gilt. Die Verbindung von Arbeiten und Lernen<br />

in der Kombination verschiedener Lernorte bringt viele Vorteile<br />

für Auszubildende wie Unternehmen. Sie ist in vielen Punkten<br />

einem klassischen Schulsystem vor allem auch in den Lerneffekten<br />

überlegen. Nicht zu vergessen die sozialpolitischen Aspekte wie<br />

Ausbildungsvergütung, geringere Jugendarbeitslosigkeit usw. Hier<br />

gäbe es also viel zu verlieren. Würde das duale System nicht mehr<br />

existieren, wäre eine gewaltige soziale Erosion zu befürchten.<br />

In der Außensicht - ein großes Erfolgsmodell!<br />

Das „alternierende Lernen“, wie die Franzosen sagen, gilt in Europa<br />

und vielen anderen Ländern heute als Best Practice. Das Interesse<br />

am deutschen Ausbildungsmodell ist im Ausland daher im Wachsen.<br />

Ohnehin sind deutsche Facharbeiter am internationalen Arbeitsmarkt<br />

weiterhin sehr gefragt. Die Wertigkeit dieses Modells strahlt<br />

auch bei uns aus. Das Prinzip duale Ausbildung macht Schule auch<br />

in anderen Bildungsteilsystemen. Bestes Beispiel: Die Forcierung<br />

dualer Studiengänge. Hier geht es zum einen um Erschließung von<br />

Akademikerreserven z.B. zur Minderung der „Ingenieurlücke“,<br />

andererseits aber auch um die Etablierung von Studienformen,<br />

die auf andere Weise Theorie und Praxis verbinden, näher an den<br />

Zielberufen und tatsächlichen Qualifikationsbedarfen dran sind und<br />

von daher auch schnellere Einstiege in die Zielberufe ermöglichen.<br />

Duales Lernen breitet sich auch in der allgemeinbildenden Schule<br />

aus. Nach dem Sieg der westdeutschen Drei-Klassen-Schule über die<br />

polytechnische Oberschule der DDR nach der Wiedervereinigung<br />

haben sich die Gemüter wieder beruhigt, und die Berührungsängste<br />

gegenüber der Verbindung von Arbeiten und Lernen haben deutlich<br />

abgenommen. Natürlich unter dem Druck der Verhältnisse, denn<br />

die Kritik an der mangelnden Vorbereitung der Schülerinnen und<br />

Die Regulierung des dualen Systems<br />

Warum greifen vernünftige Regulierungsmodelle im dualen System<br />

nicht? Ganz einfach: weil sie nicht dem Mainstream entsprechen<br />

und gegen die Prinzipien neoliberaler Wirtschaftspolitik verstoßen.<br />

Seit der Schröder-Regierung wird massiv auf angebotsorientierte<br />

Politik gesetzt. Jeder Versuch, die Arbeitgeber in die Pflicht zu<br />

nehmen, musste vor diesem Hintergrund scheitern. Man darf dabei<br />

nicht vergessen, dass die Federführung für duale Ausbildung in der<br />

Bundesregierung gemäß Berufsbildungsgesetz (BBiG) beim Bundeswirtschaftsminister<br />

liegt. Damit sind eindeutige Signale gesetzt.<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012<br />

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