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Berufliche Bildung<br />

Die Zukunft<br />

der Berufsbildung<br />

von Prof. Dr. Michael Ehrke<br />

Seit Beginn der 90er Jahre, also seit nun schon fast zwanzig Jahren<br />

wird mit wechselnder Intensität unter Bildungsfachleuten in Politik,<br />

Verbänden und Wissenschaft über die Zukunftsfähigkeit der<br />

Berufsbildung zum Teil recht heftig und kontrovers diskutiert. Im<br />

Zentrum steht das „Duale System der Berufsausbildung“, dessen<br />

Lebensfähigkeit sowohl im nationalen wie im internationalen<br />

Maßstab immer wieder in Frage gestellt wird. Diese Debatten<br />

tangieren die Gewerkschaften erheblich. Seit es internationale<br />

Vergleichsstudien wie die OECD-Studie und PISA gibt, wächst<br />

das Interesse, auch das deutsche Berufsbildungssystem in seiner<br />

Leistungsfähigkeit mit den Ausbildungssystemen anderer Länder<br />

zu vergleichen. Die Globalisierung, insbesondere aber auch die<br />

neuere Bildungspolitik der Europäischen Union erzwingen geradezu<br />

eine solche Betrachtungsweise.<br />

Die Kritik am dualen System<br />

Die zentralen Kritikpunkte, die der dualen Berufsausbildung vorgehalten<br />

werden, sind in Kürze folgende:<br />

1. „Singularitäts-These“: Das duale System sei im internationalen<br />

Maßstab ein Sonderfall, der sich nicht übertragen lässt. In den meisten<br />

Ländern sowohl innerhalb wie außerhalb Europas dominieren<br />

Schul- und Hochschulsysteme. Die deutsche Berufsausbildung wird<br />

sich daher nicht durchsetzen lassen und gegenüber dem angelsächsischen<br />

Modell „College for all“ den Kürzeren ziehen.<br />

2. „Entberuflichungs-These“: Die Ausrichtung des dualen Systems<br />

an „Ausbildungsberufen“ und damit an dem Leitbild des Berufs stehe<br />

dem Trend der „Entberuflichung“ diametral entgegen, der für die<br />

moderne Arbeitswelt maßgebend ist. Die Bindung an einen Beruf<br />

behindere somit nur den Zugang zum Arbeitsmarkt.<br />

3. „Verwissenschaftlichungs-These“: Die Stärke einer dualen<br />

Berufsausbildung liegt im Erwerb von Erfahrungswissen. In der<br />

„nachindustriellen“ Erwerbsarbeit werde aber systemisches Wissen<br />

entscheidend. Dadurch gerate das duale System gegenüber der<br />

höheren Allgemein- und wissenschaftlichen Bildung immer mehr<br />

ins Hintertreffen.<br />

4. „Pluralitäts-These“: Die mangelnde Aufnahmefähigkeit des<br />

dualen Systems für die Schulabgängerinnen und -abgänger infolge<br />

der hohen Konjunkturabhängigkeit müsse dazu führen, dass vollschulische<br />

Ausbildungen quantitativ an Bedeutung gewinnen; es sei<br />

daher nur folgerichtig, wenn sich ein schulisches Ausbildungssystem<br />

fest etabliere und sich das duale System zu einem „pluralen System“<br />

weiterentwickele.<br />

Seit 2006 hat diese Debatte einen zusätzlichen Drive bekommen<br />

durch neue Initiativen zur Modularisierung der Berufsausbildung.<br />

In einem Gutachten für das BMBF forderten die Professoren Euler<br />

und Severing [1] , die rd. 350 Ausbildungsberufe im dualen System<br />

in jeweils sechs bis zehn Module zu zergliedern, die einzeln geprüft<br />

und zertifiziert werden sollte. Damit war eine neue Tür für den<br />

Umstieg auf ein eher angelsächsisch geprägtes, tayloristisches Ausbildungsmodell<br />

geöffnet.<br />

Fotos S. 18+19: Bert Butzke<br />

Der vermeintlich umständliche Erfolgsfaktor<br />

Oft ist von Wissenschaftlern zu hören und zu lesen, die Ausbildungsberufe<br />

seien starr, nicht flexibel, ihre Modernisierung sei viel<br />

zu langatmig und umständlich. Selbst wenn dies stimmen sollte,<br />

bleibt doch zu fragen, ob Modularisierung die geeignete Antwort<br />

ist [2 ]. In einem Aufsatz von 2001 hat Gerhard Bosch auf diese Art<br />

der Diskussionsführung bereits eine passende Antwort gegeben:<br />

„Seit 1996 (bis 2001d.V.) sind 33 neue Berufe entwickelt und 109<br />

alte modernisiert bzw. erweitert worden. Pro Jahr wurden seitdem<br />

28,4 Berufe neugeordnet oder neu geschaffen - gegenüber 11,25 im<br />

Zeitraum von 1980 bis 1996. Das Tempo der Neuordnung konnte<br />

damit um mehr als 150 Prozent gesteigert werden.<br />

Der „Lebensberuf“ hat als Ideal längst ausgedient, spätestens seit<br />

der Einführung der IT-Berufe 1997 gilt das Prinzip „offener, dynamischer<br />

Berufsbilder“. Diese Konzeption basiert auf einer stärkeren<br />

Prozess- und Systemorientierung, betont die Vermittlung von<br />

„Kernqualifikationen“ [3] und ermöglicht dadurch mehr bereichsübergreifendes<br />

Zusammenhangswissen und Zusammenhangsdenken<br />

als einzelne Module es könnten. Angestrebt wird ein ganzheitliches<br />

Ausbildungskonzept, das über einem systematischen und längeren<br />

Ausbildungsgang selbständige berufliche Handlungsfähigkeit<br />

sukzessive aufbaut. Diese „Architektur“ ist inzwischen allgemeiner<br />

Industriestandard und strahlt auch in die Dienstleistungsberufe aus.<br />

18 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 4 / 2012

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