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Alpingeschichte(n) der anderen Art - Zürcher Hochschule der Künste

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musik/ zett 1–11<br />

23<br />

W.: Können sich KomponistInnen denn die Musik nicht vorstellen,<br />

die sie schreiben?<br />

N.: Bedingt! Denn genau genommen komponiert man ja nicht<br />

Musik, son<strong>der</strong>n schafft die Voraussetzung für Musik.<br />

W.: Wo ist da <strong>der</strong> Unterschied?<br />

N.: Der Klang entsteht erst durch die Interpretation <strong>der</strong> MusikerInnen.<br />

Nehmen Sie ein Musikstück, und lassen Sie es von<br />

drei InterpretInnen spielen. Obwohl jede/r <strong>der</strong> drei versuchen<br />

wird, <strong>der</strong> Komposition möglichst nahe zu kommen, werden<br />

Sie drei unterschiedliche Aufführungen hören.<br />

nischen Abläufen zu tun hat. Verstehen ist immer konkret. Und<br />

wenn Musik etwas ganz sicher nicht ist, dann konkret! Egal,<br />

welche Musik Sie nehmen. Man kann Musik nicht verstehen.<br />

Man kann sie „nur“ erleben.<br />

W.: Sie wollen doch wohl nicht behaupten, dass Sie bei diesen<br />

merkwürdig schrägen mo<strong>der</strong>nen Klängen etwas erleben?<br />

N.: Selbstverständlich. Warum denn nicht?<br />

W.: Gut. Sie vielleicht. Sie sind ja auch ein Spezialist auf diesem<br />

Gebiet. Für Laien hingegen ist klassische Musik viel<br />

leichter zugänglich. Einfacher zu „verstehen“, wenn Sie das<br />

Wort erlauben. Es gibt eine solche Fülle klassischer Meisterwerke,<br />

die so reich an Klangwelten sind. Wozu braucht<br />

man mo<strong>der</strong>ne Stücke, wenn man sie nicht geniessen kann?<br />

Sind denn für Sie heutige Musikstücke auch Meisterwerke?<br />

N.: Nicht alle. Aber viele. Das war allerdings auch schon zu<br />

Mozarts Zeiten so. Als er ein „zeitgenössischer“ Komponist<br />

war, gab es etliche an<strong>der</strong>e neben ihm. Die Zeit hat vieles ausgesiebt<br />

und vergessen lassen. Aber es stimmt, das mit dem<br />

„Meisterwerk“ ist eine echte Schwierigkeit, beson<strong>der</strong>s für<br />

junge KomponistInnen.<br />

W.: Warum?<br />

N.: Weil sie dadurch in eine Zwickmühle geraten. Komponist<br />

Innen müssen für ihre musikalische Entwicklung Erfahrungen<br />

sammeln können, vor allem dadurch, dass sie die eigene<br />

Musik live hören. Das findet aber selten statt. Und wer für<br />

eine grössere Besetzung komponiert, hört das Stück vielleicht<br />

nie. Man kann jedoch nicht nur Violinstücke schreiben, bloss<br />

weil <strong>der</strong> Freund o<strong>der</strong> die Freundin Geigerin ist.<br />

Wird eine Komposition endlich aufgeführt, erwarten alle ein<br />

Meisterwerk. Der/die KomponistIn muss bereits beim Komponieren<br />

mit dieser Erwartung umgehen. Zugleich wäre diese<br />

Aufführung immerhin eine <strong>der</strong> seltenen Möglichkeiten, endlich<br />

etwas auszuprobieren. Durch das Hören Erfahrungen zu<br />

sammeln. Danach würde man im Stück vielleicht vieles an<strong>der</strong>s<br />

komponieren.<br />

W.: Interpretatorisch vielleicht. Aber ein klassisches Stück<br />

bleibt noch immer ein klassisches Stück. Daran wird auch<br />

die Interpretation nichts än<strong>der</strong>n. Und nichts an den schrägen<br />

Klängen <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ne. In <strong>der</strong> Alten Musik ist eben eines<br />

aus dem an<strong>der</strong>en entstanden. Vom Mittelalter bis zur Romantik<br />

bezieht sich alles aufeinan<strong>der</strong>. Die KomponistInnen folgten<br />

einer Tradition. Ihr Mo<strong>der</strong>nen lasst alles ausser Acht.<br />

Keine Bezüge mehr. Den Laien fällt es da schwer, genussvoll<br />

zuzuhören.<br />

N.: Warum denn? Sie leben doch heute. Finden Sie nicht,<br />

dass alles Gegenwärtige Sie betrifft? Alles, was um Sie herum<br />

passiert, ist ja ein Teil von Ihnen. Gilt das nicht auch für die<br />

Musik?<br />

W.: Und was ist mit <strong>der</strong> Tradition?<br />

N.: Aber es gibt doch gar keine Tradition. Was soll das denn<br />

sein? Unreflektiertes Nachbeten alter Behauptungen aus Angst<br />

vor <strong>der</strong> eigenen Meinung und Verän<strong>der</strong>ung? Das gibt es vielleicht<br />

in <strong>der</strong> Politik, aber nicht in <strong>der</strong> Musik. Musik ist immer<br />

im Hier und Jetzt. Natürlich studieren MusikerInnen die<br />

Aufführungspraxis verschiedener Zeiten, unterschiedlichste<br />

Notationsformen <strong>der</strong> Epochen, zahlreiche Musikstile. Sie hinterfragen,<br />

warum ein Interpret diesen Übergang so macht,<br />

eine an<strong>der</strong>e Interpretin so. In je<strong>der</strong> Probe wird ein Stück in<br />

Einzelteile zerlegt und unter vielen Korrekturen langsam wie<strong>der</strong><br />

zusammengesetzt. Im Konzert ist das dann alles weg. Es<br />

existiert nur noch <strong>der</strong> Klang, <strong>der</strong> im Moment entsteht. Ganz<br />

individuell. Ganz einzigartig.<br />

W.: Und was hat das mit zeitgenössischer Musik zu tun?<br />

N.: Genau das. Bloss weil etwas zeitgenössisch ist, meinen<br />

wir, es sei intellektuell und zeitkritisch, muss analysiert und<br />

verstanden werden. Aber auch in <strong>der</strong> mo<strong>der</strong>nen Musik gibt<br />

es nur den Klang. Wir müssen einfach hinhören, unsere Ohren<br />

neugierig auf feinstes Wahrnehmen einstellen. Erst wenn<br />

wir mit offenen Ohren bereit sind, uns einzulassen, werden<br />

wir diese neuen, reichen Klangwelten erleben. Von heutigen<br />

KomponistInnen, die mit uns in unserer Zeit leben.<br />

* Till Löffler ist Dozent in den Departementen Musik und Darstellende <strong>Künste</strong><br />

und Film (till.loeffler@zhdk.ch).<br />

1) Friedrich Nietzsche

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