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Alpingeschichte(n) der anderen Art - Zürcher Hochschule der Künste

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WS: Grundsätzlich bin ich <strong>der</strong> Meinung, dass man eine<br />

künstlerische Produktion niemals ohne ihre sozialen, ökonomischen<br />

und kulturellen Rahmenbedingungen denken kann.<br />

Darunter fallen natürlich auch Entscheidungsprozesse, die<br />

zur Einladung <strong>der</strong> KünstlerInnen führen, o<strong>der</strong> Entscheidungen,<br />

die während des Produktionsprozesses <strong>der</strong> Ausstellung<br />

oft von verschiedenen Akteuren gemeinsam erarbeitet<br />

werden. Ich würde speziell zwischen kuratorischem und<br />

künstlerischem Arbeiten nicht trennen. Diese Aufspaltung,<br />

die ja oft nach aussen hin aufrechterhalten wird, hat mit den<br />

eigentlichen Entscheidungsprozessen überhaupt nichts zu tun.<br />

WS: Was meinst du genau mit diesen Ausgrenzungsstrategien,<br />

die du vorhin erwähnt hast?<br />

BS: Damit meine ich institutionelle und individuelle Strategien,<br />

sich (als Institution o<strong>der</strong> als Individuum) abzugrenzen,<br />

um dadurch möglicherweise wirtschaftliche,<br />

intellektuelle o<strong>der</strong> emotionale Vor- o<strong>der</strong> Nachteile zu<br />

rechtfertigen. Die von dir angesprochene Abgrenzung KuratorIn<br />

versus KünstlerIn kann ein Beispiel hierfür sein.<br />

WS: Ich denke noch an eine an<strong>der</strong>e Schnittmenge: <strong>Hochschule</strong><br />

und Gefängnis. Immerhin handelt es sich bei dem Ort um eine<br />

von <strong>der</strong> ZHdK bereitgestellte Ausstellungsfläche. War das<br />

auch ein Ansatzpunkt deines Projekts?<br />

BS: <strong>Hochschule</strong> und Gefängnis war eine Überlegung. Die Frage<br />

besteht, ob es möglich ist, einen kritischen Diskurs über eine<br />

Institution unter ihrem eigenen Deckmantel zu produzieren ...<br />

BS: Siehst du Übereinstimmungen zwischen den beiden Institutionen?<br />

WS: Es fragt sich, inwiefern beide gesellschaftlichen<br />

Institutionen an einer Formierung,<br />

Normierung o<strong>der</strong> auch an einer<br />

(gesellschaftlichen) Kontrolle arbeiten. Ich<br />

musste sehr an Texte von Michel Foucault<br />

über das Gefängnis als gesellschaftliches<br />

Kontrollinstrument denken o<strong>der</strong> sogar an<br />

die von Althusser beschriebenen ideologischen<br />

Staatsapparate.<br />

WS: Du hast dich auch in <strong>der</strong> Lehre eingehend<br />

mit Fragestellungen zur Kybernetik<br />

beschäftigt. Inwiefern ist dieses Thema in<br />

weiteren Arbeiten von dir präsent?<br />

BS: Mich beschäftigt, wie sich bestimmte<br />

Argumentationen und Bedingungen <strong>der</strong><br />

Kybernetik, zum Beispiel Feedbacks, als<br />

Kontrollmechanismen in unserem sozialen<br />

Umgang etabliert haben, wie sich diese Mechanismen im<br />

Kunstbetrieb verorten. Ist <strong>der</strong> Kurator die Feedback-Funktion<br />

<strong>der</strong> Kulturproduktion? Weiss ich nicht.<br />

WS: Inwiefern hat sich das Projekt im weiteren Verlauf <strong>der</strong><br />

Planung verän<strong>der</strong>t?<br />

BS: Die Arbeit wurde ja von euch aus meinen vier Vorschlägen<br />

während eines Gesprächs in Zürich ausgewählt. Ein an<strong>der</strong>er<br />

Vorschlag von mir sah vor, dass interessierte Studierende an<br />

<strong>der</strong> ZHdK Arbeiten ihrer Dozierenden im Kunsthof kuratieren.<br />

WS: Hattest du schon immer im Sinn, eine Plakataktion im<br />

Stadtraum parallel zum Bauschild im Kunsthof durchzuführen?<br />

BS: Die Entscheidung, ein Poster zu machen, kam deshalb<br />

zustande, weil zum Zeitpunkt meiner Arbeit im Kunsthof ein<br />

Abstimmungswochenende stattfand; es ging dabei um die Ausschaffungsinitiative.<br />

Das war ein prekärer Kontext, um für eine<br />

kunst & medien/ zett 1–11<br />

25<br />

Diskussion über Institutionen sowie institutionalisierte und<br />

künstlich konzipierte An<strong>der</strong>sheit, im Fall <strong>der</strong> Abstimmung<br />

über eine innerhalb eines juristischen Konzepts, zu werben.<br />

WS: Liest man die Kommentare <strong>der</strong> Leute zu deinem Projekt,<br />

so ist die Bandbreite recht gross. Manche beziehen das Projekt<br />

auf „Entartete Kunst“, an<strong>der</strong>e freuen sich, jetzt endlich mal<br />

mit <strong>der</strong> Kunst richtig aufräumen zu können. Bist du zufrieden<br />

mit den Reaktionen?<br />

BS: Zur Reaktion „Entartete Kunst“ fällt mir eine Variation zu<br />

Heinrich Heines Zitat „Wo man Bücher verbrennt, verbrennt<br />

man am Ende auch Menschen“ ein: „Wo man Kunst einsperrt,<br />

sperrt man am Ende auch Menschen ein.“<br />

BS: Bist du deinerseits mit den Reaktionen zufrieden? War das<br />

Bauschild so, wie du es dir vorgestellt hast, als ich eingeladen<br />

wurde?<br />

WS: Bei <strong>der</strong> Gestaltung und Installation des Schilds hatte ich<br />

eine ziemlich klare Vorstellung, nachdem du uns dein Projekt<br />

in <strong>der</strong> Vorbereitung beschrieben hattest. Von den Reaktionen<br />

bin ich positiv überrascht. Ich hätte nicht gedacht, dass so viele<br />

Leute, sogar diejenigen, die täglich in <strong>der</strong> ZHdK arbeiten und<br />

den Kunsthof kennen, von dem Schild <strong>der</strong>art irritiert sein würden.<br />

Zusätzlich fand ich es sehr spannend zu verfolgen, wie<br />

sich das Projekt durch die Begleitumstände vor Ort verän<strong>der</strong>t<br />

hat. So wurde es sehr stark mit <strong>der</strong> Ausschaffungsinitiative<br />

assoziiert. Eine Verbindung, die eher zufällig<br />

durch die zeitgleiche politische Abstimmung<br />

entstanden ist, jedoch für die Wahrnehmung<br />

des Projekts sehr wichtig war.<br />

WS: In seinem Radiobericht auf DRS 2 am<br />

9. Dezember 2010 stellte <strong>der</strong> Mo<strong>der</strong>ator<br />

nach einiger Zeit fast erleichtert fest, dass<br />

es sich bei dem Bauschild um eine künstlerische<br />

Aktion handeln müsse. Wie weit<br />

kann, muss o<strong>der</strong> soll Kunst gehen?<br />

—<br />

* Bea Schlingelhoff ist Künstlerin und lebt in New York.<br />

Sie war im Herbstsemester 2010 Gastdozentin für<br />

Kuratorische Praxis in <strong>der</strong> Vertiefung Bildende Kunst<br />

und ist im Frühlingssemester 2011 Research Fellow am<br />

Institute for <strong>Art</strong> Education <strong>der</strong> ZHdK (bschlingelhoff@<br />

gmail.com). Wolf Schmelter ist Künstler und Unterrichtsassistent<br />

in <strong>der</strong> Vertiefung Bildende Kunst (wolf.<br />

schmelter@zhdk.ch). Er konzipiert in Zusammenarbeit<br />

mit Elke Bippus und Franziska Koch den Kunsthof.<br />

Der Kunsthof an <strong>der</strong> Limmatstrasse ist ein Ausstellungs- und Veranstaltungsort<br />

an <strong>der</strong> Schnittstelle von <strong>Hochschule</strong>, Kunstinstitution und Aussenraum. Er wird<br />

von <strong>der</strong> Vertiefung Bildende Kunst <strong>der</strong> ZHdK konzipiert. Von Oktober 2010 bis<br />

Ende Januar 2011 stand dort eine Bautafel mit <strong>der</strong> Aufschrift: „Neubau <strong>Zürcher</strong><br />

Kulturstrafanstalt und Kulturmassnahmenzentrum (ZKAuKM)“.<br />

www.kunsthof.ch<br />

Pressestimmen (Stand: März 2011):<br />

Radio DRS: http://www.drs.ch/www/de/drs/sendungen/drs2aktuell/2643.<br />

bt10161249.html<br />

NZZ: http://www.nzz.ch/nachrichten/blogs/nzz_blogs/<strong>der</strong>_web-tourist/<br />

nein_zu_kultur_1.8542850.html<br />

Facebook NZZ: http://www.facebook.com/permalink.php?story_fbid=16073483<br />

3969122&id=143694099006529<br />

Hochparterre: http://www.blogarchiv.hochparterre.ch/kultur/kulturstrafanstalt-und-kulturmassnahmenzentrum.html<br />

Bil<strong>der</strong>: Linke Seite: Das Bauschild im Kunsthof. Bild (Ausschnitt): Philip Leutert<br />

Oben: Plakat, www.nein-zu-kultur.ch, Bea Schlingelhoff, 89,5/128 cm.

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