30 zett 1–11/ museum Rechts: „The New Nation of Indonesia“, Titelseite „LIFE“-Magazin, 1950, Museum für Gestaltung Zürich, Grafiksammlung. Rechte Seite: Henri Cartier-Bresson, „L ’ Aquila“, Abruzzen, Italien, 1951, © Henri Cartier-Bresson / Magnum Photos. das auge des jahrhun<strong>der</strong>ts Henri Cartier-Bresson ist einer <strong>der</strong> bedeutends ten Fotografen <strong>der</strong> Geschichte. Das Museum für Gestaltung Zürich würdigt ihn nun in einer umfassenden Retrospektive, wie sie in <strong>der</strong> Schweiz noch nie zu sehen war. Christian Brändle* Er nährte seinen künstlerischen Kosmos aus verschiedenen Disziplinen: Er zeichnete und malte fürs Leben gerne, liebte die Musik von Ravel o<strong>der</strong> J. S. Bach und war eng verbunden mit bildenden Künstlern wie Giacometti, Braque o<strong>der</strong> Matisse. Dennoch ist sein Werk für eine an<strong>der</strong>e Kunstform von grosser Bedeutung: Der Franzose Henri Cartier-Bresson (1908–2004) gilt als einer <strong>der</strong> einflussreichsten Fotografen des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts. In einem Augenblick die Ewigkeit festhalten Mit seiner Arbeit hat Cartier-Bresson nicht nur die Fotografie wesentlich geprägt, son<strong>der</strong>n dem ganzen Berufsstand zu neuem Ansehen verholfen. Dabei führte sein Weg keineswegs direkt zum damals jungen Medium Fotografie. Cartier-Bresson wurde künstlerisch im Umfeld <strong>der</strong> Surrealisten um den Literaten André Breton sozialisiert, interessierte sich für die Malerei und besuchte als Abkömmling einer wohlhabenden Industriellenfamilie mehrere Künstlerateliers. Bis er 1930 eine Aufnahme des deutschen Fotografen Martin Munkásci (1896–1963) sah und dazu Folgendes notierte: „Plötzlich hatte ich verstanden, dass die Fotografie in einem Augenblick Ewigkeit festhalten kann. Es ist das einzige Foto, das mich beeinflusst hat. In diesem Bild liegt eine solche Intensität, eine solche Spontaneität, eine solche Lebensfreude, ein solches Wun<strong>der</strong>, dass ich noch heute wie geblendet davon bin. Die formale Vollkommenheit, das Gespür für das Leben, ein Schau<strong>der</strong> ohnegleichen ... Mein Gott, habe ich gedacht, das kann man mit einem Foto apparat erreichen ... Es war für mich wie ein Tritt in den Hintern: Jetzt mach mal!“ Henri Cartier-Bresson Daraufhin begann Cartier-Bresson zu fotografieren, und wie. Keinem an<strong>der</strong>en gelang es so gut, den entscheidenden Augenblick festzuhalten. Oft verdichten sich in seinen Arbeiten ganze Geschichten zu einem einzigen Bild. Zusammen mit befreundeten Fotografen wie Robert Capa gründete er 1947 die Agentur Magnum, die erfolgreich die Rechte <strong>der</strong> Fotografen an ihren Bil<strong>der</strong>n vertritt. Als Fotoreporter und -künstler prägte Cartier-Bresson in den folgenden Jahrzehnten Magazine wie „Du“ o<strong>der</strong> „Life“. Einzigartige, historische Reportagen führten ihn in die Sowjetunion, nach Indien, Indonesien und China. Sein Werk hat Referenzcharakter für den Bildjournalismus des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts und darüber hinaus für die Ästhetik und Ethik <strong>der</strong> Fotografie überhaupt. Die Ausstellung im Museum für Gestaltung Zürich gibt mit Cartier-Bressons Fotografien, seinen Filmen und seinen wichtigsten Veröffentlichungen einen vertieften Einblick in das Werk eines Fotografen, von dem Richard Avedon 2000 sagte: „Er ist <strong>der</strong> kompletteste, wichtigste von uns allen — in allen Gesichtspunkten. Ob sozial o<strong>der</strong> politisch — er deckte alles ab. Er ist schlicht <strong>der</strong> beste Fotograf des 20. Jahrhun<strong>der</strong>ts.“
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