SEK-Bulletin 2/2010 - Evangelisch-Reformierte Kirche des Kantons ...
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Das Gespräch 7<br />
weltliche und göttliche Sphäre, sondern sprechen von<br />
einem gemeinsamen, spirituell und politisch zu bearbeitenden<br />
Sozialraum.<br />
In einem Sozialraum leben die verschiedensten<br />
Menschen. Da sitzt die Arbeiterin neben der<br />
Intellektuellen im Gottesdienst, die auf verschiedene<br />
Weise angesprochen werden müssten. Ein<br />
unlösbares Problem?<br />
Natürlich bringen die Menschen verschiedene<br />
Reflexionsniveaus mit in die <strong>Kirche</strong>. Der mittlere Angestellte<br />
will etwas anderes vom Pfarrer als die global<br />
mobile Akademikerin, sie hört aber auch anderes.<br />
Eine Pfarrerin kann innerhalb eines Gottesdienstes<br />
nicht alles abdecken. Es braucht daneben zielgruppenorientierte<br />
Ereignisse. Eine Relativierung sozialer und<br />
intellektueller Unterschiede kann aber dann geschehen,<br />
wenn es um menschliche Grundfragen geht, etwa<br />
um Lebenssinn, ums Sterben. Man muss elementar<br />
und existentiell bedeutsam sprechen.<br />
Auch so können Sie nicht<br />
verhindern, dass sich Leute<br />
ausgeschlossen fühlen.<br />
Ein Gottesdienst ist ein extrem<br />
anspruchsvolles Format,<br />
vermutlich die schwierigste<br />
Form der öffentlichen Rede. Ein<br />
Gemeindepräsident ist nicht darauf angewiesen, dass<br />
die Leute das nächste Mal wieder zu seiner Rede kommen,<br />
eine Pfarrperson aber schon. Zum Glück besteht<br />
ein Gottesdienst aus verschiedenen Teilen. Jemanden<br />
spricht an einem Tag vielleicht die Predigt an, den anderen<br />
die Fürbitte oder ein Lied.<br />
Wir sprechen jetzt nur vom kleinen Kreis derer, die<br />
in die <strong>Kirche</strong> gehen. Wie sollen Menschen angesprochen<br />
werden, die ausgetreten sind?<br />
Man sollte sich darauf konzentrieren, zu verhindern,<br />
dass die Menschen austreten. Viele sind durch<br />
eine einzelne Begegnung abgeschreckt worden. Oder<br />
sie wurden gar nie willkommen geheissen. Ich bin<br />
zum Beispiel vor einem Jahr in Zürich in ein anderes<br />
Quartier gezogen. Der Pfarrer meiner Kirchgemeinde,<br />
der keine 300 Meter entfernt wohnt, ist bis jetzt nicht<br />
auf den Gedanken gekommen, mit mir Kontakt aufzunehmen.<br />
Man muss die Mitglieder pflegen.<br />
«Die Volkskirche als Versorgungskirche<br />
funktioniert<br />
in Zukunft nicht mehr.»<br />
immer für Aha-Effekte gesorgt hatte, waren Geburtstagsbriefe.<br />
Nicht nur an die 88jährigen, sondern an<br />
den, der volljährig wird, an den Dreissigjährigen und<br />
so weiter. So signalisiert man: Ich nehme Dich wahr.<br />
Ein <strong>Kirche</strong>npflegemitglied wird Ihnen entgegnen,<br />
dass die Ressourcen dafür nicht vorhanden sind.<br />
Ich sehe nicht im Einzelnen, wie hier die Gelder<br />
innerhalb von Kirchgemeinden verteilt werden. Von<br />
deutschen Lan<strong>des</strong>kirchen weiss ich, dass relativ viel<br />
Geld in Bau- und Erhaltungsmassnahmen fliesst. Ob<br />
das so sein muss, wäre eine Überprüfung wert. Hier wie<br />
dort erlebe ich eine völlig ausufernde Sitzungskultur innerkirchlicher<br />
Gremien. Ich frage mich, ob die Zeit, die<br />
dort verbracht wird, nicht sinnvoller in Feldbegehungen<br />
investiert wäre. Ich plädiere für eine Verschlankung<br />
der Gremien und für eine andere Prioritätensetzung.<br />
Und dann kommt noch eine weitere Möglichkeit hinzu:<br />
In den USA arbeiten in Kirchgemeinden ganz viele<br />
Freiwillige. Man könnte also einen literarischen Profi<br />
der Gemeinde fragen, ob er einen<br />
solchen Geburtstagsbrief<br />
entwerfen könnte.<br />
Wir haben keine vergleichbare<br />
Freiwilligen-Kultur.<br />
Da braucht es einen Mentalitätswechsel.<br />
Die Volkskirche<br />
als Versorgungskirche funktioniert in Zukunft nicht<br />
mehr. Wenn die Zahl der <strong>Reformierte</strong>n so abnimmt<br />
wie in den letzten fünfzehn Jahren, dann werden wir<br />
nicht nur zur Minderheitenkirche, sondern die bisherigen<br />
Strukturen trocknen aus. Das sehen wir ansatzweise<br />
bei den kaum steigenden Studierendenzahlen,<br />
bei der Mitgliederentwicklung, an manch grossen<br />
Kirchgebäuden, die kaum noch regelmässig für Gottesdienste<br />
genutzt werden. <strong>Kirche</strong> kann nur weiter<br />
existieren, wenn die Menschen sich verantwortlich<br />
fühlen für sie und mitmachen. Das ist auch biblisch:<br />
<strong>Kirche</strong> wird auf allen Schultern getragen, nicht nur<br />
von Funktionären und Angestellten – und dies hoffentlich<br />
aus innerem Antrieb. So finde ich es problematisch,<br />
wenn etwa das Vertragen <strong>des</strong> Gemeindebriefes<br />
oder ehrenamtliche Arbeit überhaupt mit Lohn<br />
bezahlt wird. <<br />
Wie?<br />
Zum Beispiel mit einem Besuchsdienst. Wenn jemand<br />
frisch zuzieht, soll er einen Brief bekommen, in<br />
dem ein Anruf angekündigt wird, der einem Besuch<br />
vorausgehen kann. Oder was in meinen Gemeinden<br />
* DR. THOMAS SCHLAG ist Professor für Praktische Theologie,<br />
Mitbegründer und Leiter <strong>des</strong> neuen Zentrums für<br />
<strong>Kirche</strong>n en twicklung (ZKE) an der Universität Zürich.<br />
MAJA PETER ist Redaktorin <strong>des</strong> bulletins.