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TOD UND LEBEN

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ben. Und ich denke an das Ende eines jungen Soldaten, dessen Sterben<br />

ich in einem Lazarett mit durchstehen mußte und der ziemlich am<br />

Schluß sagte: „Nun stirbt man hier ganz allein" — dabei waren seine<br />

Nächsten alle um ihn versammelt.<br />

Ich glaube, lieber H., wenn wir daran denken, daß der Tod uns in<br />

dieser Dimension trifft, wo wir zugleich auch Einzelne sind und wo<br />

etwas versinkt und wo Fäden zerschnitten werden, die nicht mehr neu<br />

geknüpft werden — dann ist schon manches von der rosa Schminke<br />

genommen, mit der wir uns die tiefsten Botschaften Gottes verhüllen.<br />

Machen wir uns das wirklich klar, dann verstehen wir plötzlich,<br />

warum in der Welt der Heiligen Schrift der Tod einen so ungeheuren<br />

Ernst besitzt. Nietzsche konnte noch meinen, daß es die „Jenseitskorruption"<br />

sei, mit deren Hilfe das Christentum einen solchen „Mißbrauch<br />

mit der Sterbestunde" triebe. Wir wissen es besser: Die biblischen<br />

Menschen wußten davon, daß wir zu einem Leben in der Gemeinschaft<br />

mit Gott berufen waren, und daß der Tod deshalb die leibhaftige<br />

Unordnung, daß er der letzte Feind ist. Sie wußten, daß der<br />

Mensch in den entscheidenden Dingen des Lebens unvertretbar und<br />

einsam ist — in seiner Schuld, in „des Leidens mächtigstem Hammerschlag"<br />

*) — und verbargen sich deshalb durch keine Kollektivträumerei<br />

jene Dimension, in der „mich" mein Sterben trifft, in der ich einsam<br />

vor Gott stehe und in der aller Liebe zum Trotz, die nach Ewigkeit,<br />

nach „tiefer, tiefer Ewigkeit" schreit, alle lebendigen Fäden zerschnitten<br />

werden. —<br />

Aber ich höre im Geist Ihre Gegenfrage: Soll man sich denn die<br />

schweren Dinge wirklich so schwer machen? Gehen die heroischen<br />

Verächter des Todes, gehen die Schicksalsgläubigen nicht einen leichteren,<br />

für die Masse vielleicht einzig gangbaren Weg, indem sie jene<br />

Abgründe nicht bemerken und eben das tun, was man in der Sylvesternacht<br />

tut?<br />

Sie haben recht, lieber Freund, die Todesverachtung ist der „leichtere"<br />

Weg, aus demselben'Grunde, aus dem heraus auch manchmal<br />

der Weg ohne Gott der leichtere, weil hemmungslosere ist. Eben deshalb<br />

aber kämpft Luther gegen jene (menschlich auch ihm imponierenden!)<br />

Verächter, weil sie zugleich Verächter dessen sind, der diesen<br />

Tod zuläßt, und weil sie in blindem Trotz sich über die Botschaft<br />

erheben, die er zwischen seinen knöchernen Fingern hält; über die<br />

x ) Lulu von Strauß und Torney.

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