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TOD UND LEBEN

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horror vaeui tröstet ihn selbst im Faltboot die Stimme des Koffergrammophons,<br />

während Café, Kino, Lichtreklame normalerweise die<br />

Besetzung der leer gewordenen Ich-Begion übernehmen können. „Das<br />

ganze Unglück des Menschen kommt aus einer einzigen Ursache: nicht<br />

ruhig in einem Zimmer bleiben zu können" *).<br />

Für die Stellung zum Tode ist dieser Lebensstil einmal insofern bedeutsam,<br />

als er die dem Sterben Eechnung tragende Situation der<br />

Person-Einsamkeit — Heidegger würde sagen: der „Jemeinigkeit" des<br />

Lebens und des Sterbens — nicht aufkommen läßt und also den Menschen<br />

über das Vorhandensein dieses seines character indelebilis als<br />

Person und als Sterben-müssender betrügt. Dieser Lebensstil ist für die<br />

Stellung zum Tode ferner dadurch bedeutsam, daß er einfach im<br />

brutal-physischen Sinne kaum dem Gedanken an ein memento<br />

mori Eaum gibt. Der Tod existiert nicht, er soll nicht existieren für<br />

den Menschen der säkularen Eeligion.<br />

Die bedeutsamste Illustration bildet wohl das bolschewistische Massensterben<br />

in den großen Offensiven des zweiten Weltkrieges. Eine letzte<br />

Scheu hält den abendländischen Menschen, der eine christliche Tradition<br />

zum mindesten hinter sich hat, davor zurück, hier einfach<br />

von „Opfer" (d. h. von individueller Aufopferung) und von „Heroismus"<br />

(d. h. von einem bewußten Bestehen des persönlichen Gegenübers<br />

zum Tod) zu sprechen, weil ihm zu beidem etwas Entscheidendes zu<br />

fehlen scheint: Dieser Kollektiv-Tod des Kollektiv^Menschen macht es<br />

gleichsam nicht mehr möglich, einen Geist aufzugeben und eine Seele<br />

auszuhauchen, weil beides in der kollektivistischen Entselbstung „verdampft"<br />

ist. Es gibt kein Selbst mehr, dem der Tod als. „je seiniger"<br />

begegnete. Es handelt sich nur noch um das Erlöschen einer Nummer.<br />

Der Tod hat etwas biologisch Tierisches bekommen. Er ist darum zu<br />

einem extremen, aber auch besonders deutlichen Paradigma des säkularisierten<br />

Sterbens überhaupt geworden: nämlich des Sterbens innerhalb<br />

des Man, in dem der Tod aufgehört hat, „mein" Tod zu sein, weil<br />

ich aufgehört habe, „ich selbst" zu sein.<br />

Eilke hat für diese Tötung des echt menschlichen Todes durch das<br />

Man hintergründige Formulierungen gefunden. Er nennt dieses Sterben<br />

den „kleinen Tod" im Unterschied zum großen, „ausgereiften", „eigenen"<br />

Tod und gibt von dem Kollektiv-Tod im „Malte" folgendes gespenstische<br />

Bild: „Jetzt wird in 559 Betten gestorben. Natürlich fabrik-<br />

1 ) Blaise Pascal, „Gedanken" (dtsch. von Guardini), Leipzig o. J., S. 73,<br />

Nr. 178.

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