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GEW-ZEITUNG Rheinland-Pfalz

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Lernfelder in der<br />

Berufsschule (S. 4 - 9)<br />

3-4/02<br />

-Zeitung<br />

111. Jahrgang<br />

<strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />

Foto: Lucas Schmitt<br />

Schwerpunkt:<br />

Bildung international ( S. 10 - 18)


Editorial / Inhalt / Impressum<br />

Foto:<br />

Lucas<br />

Schmitt<br />

Das Wüste lebt<br />

Wenn die <strong>GEW</strong> in der bildungspolitischen<br />

Landschaft<br />

Einfluss haben will, muss sie in<br />

den Medien präsent sein. Darauf<br />

wurde an dieser Stelle schon<br />

mehrmals hingewiesen. Nur<br />

wer laut schreit, wird gehört.<br />

So läuft das Geschäft, leider.<br />

Deshalb freuen sich jene, denen<br />

unsere Gewerkschaft am Herzen<br />

liegt, sicherlich immer,<br />

wenn die <strong>GEW</strong> in den Medien<br />

auftaucht. Wenn sogar auf<br />

Seite 1 des überregionalen Zeitungsteils,<br />

dann ist die Freude<br />

umso größer.<br />

So geschehen anlässlich der Halbjahreszeugnisse, als die Forderung der<br />

Bundes-<strong>GEW</strong>, das so genannte Sitzenbleiben abzuschaffen, in aller<br />

Munde war. Zwar gab es im vergangenen Sommer diese Forderung<br />

schon einmal; damals war das allerdings ein Thema, das niemand aus<br />

dem Sommerloch riss. Ein halbes Jahr später dann - wohl als Folge des<br />

gestiegenen Interesses am Bildungswesen nach PISA - genau die umgekehrte<br />

Reaktion der Öffentlichkeit. Eigentlich gut so. Das Problem dabei<br />

nur: Das Medienecho traf die Basis ziemlich unvorbereitet. Wer kann<br />

sich erinnern, dass dieses Thema mal in der <strong>GEW</strong>, z.B. in dieser Zeitung<br />

oder in unserem Bundesorgan, intensiv diskutiert worden wäre?<br />

So musste man sich als Funktionär rasch kundig machen, um den oft<br />

sehr oberflächlichen Kommentaren nach dem euphemistischen Muster<br />

„Eine Ehrenrunde hat noch keinem geschadet“ fundierte Argumente<br />

entgegenzusetzen. Dass es diese zuhauf gibt, zeigten die Äußerungen<br />

von Wissenschaftlern, Eltern- und Schülervertretungen sowie sogar von<br />

Konkurrenzverbänden und Kultusbürokratien, die die <strong>GEW</strong> allesamt<br />

unterstützten. Dies ist sicherlich eine positive Folge von PISA: Alles<br />

bisher so Selbstverständliche muss auf den Prüfstand. Hier unter der<br />

Fragestellung: Ist die Klassenwiederholung, die es in den erfolgreichen<br />

PISA-Staaten nicht gibt, ein effektives Instrument der Förderung von<br />

Lernschwächen? Wohl nur in seltenen Fällen, bringt sie doch - abgesehenen<br />

von der Stigmatisierung der „Hockenbleiber“ - in der Regel kaum<br />

Lernzuwachs in den schwachen Fächern und fördert bei den Betroffenen<br />

schwerlich die Motivation in den Fächern, in denen das Klassenziel<br />

erreicht worden war.<br />

Wieder typisch <strong>GEW</strong>? Will die Versager durchschleppen und das Leistungsdenken<br />

unterminieren! Schauen wir als Antwort auf diese beliebte<br />

Stereotype auf die duale Berufsausbildung, denn von der „Wirtschaft<br />

lernen“ heißt bekanntlich „das Siegen lernen“. In der Berufsschule nämlich<br />

gibt es kein „Sitzenbleiben“, auch wenn das Klassenziel nicht erreicht<br />

wurde. Was es allerdings gibt, ist eine Fülle von Angeboten zu<br />

„ausbildungsbegleitenden Hilfen“, durch die spezifische Schwächen<br />

kompensiert werden sollen. Angebracht wäre also nicht die ersatzlose<br />

Streichung des „Durchfallens“, sondern die Umschichtung der Ressourcen<br />

hin zur gezielten Förderung dort, wo die Defizite liegen.<br />

Resümee: eine sinnvolle, hoffentlich erfolgreiche Aktion, die noch besser<br />

hätte verlaufen können, wenn die <strong>GEW</strong>-Basis früher einbezogen gewesen<br />

wäre.<br />

Zurück zur Präsenz der <strong>GEW</strong> in der Öffentlichkeit. Da kann es einem<br />

Funktionär beispielsweise nach der Einladung zu einer Podiumsdiskussion<br />

passieren, sich plötzlich und unerwartet auf vermintem Gelände<br />

und von allen Seiten unter Beschuss zu befinden. Sorry, die ungewohnte<br />

militärische Metaphorik stimmt in diesem Fall wirklich. Bin<br />

ich denn mit der Zeitmaschine zurück in die 70er-Jahre kapituliert<br />

worden? Schulkampf wie in Hessen zur Zeit der Rahmenrichtlinien.<br />

Erzreaktionäre Elternvertreter, die gegen die angebliche Kuschelpädagogik<br />

wettern und - dies als Eltern! - die verbindliche Schullaufbahnentscheidung<br />

zurück wollen. Lehrkräfte, für die die Gesamtschule Teufelszeug<br />

ist. Und dies alles - man lese und staune - bei einer Diskussion<br />

über die Konsequenzen aus PISA. Dies in einer Stadt, deren drei IGSen<br />

im Umfeld gerade wieder bei 900 Anmeldungen 502 Ablehnungen<br />

verschicken mussten. Dies angesichts der PISA-Ergebnisse mit ihrem<br />

vernichtenden Urteil für den selektiven Charakter des gegliederten Schulwesens.<br />

Nicht die, das Wüste lebt!<br />

Waren das vielleicht jene Experten, über die der berühmte Philosoph<br />

Didi Hallervorden sagte, sie zeichneten sich dadurch aus, 99 Liebesstellungen,<br />

aber kein einziges Mädchen zu kennen. Setzen, eins, Didi,<br />

können wir im Rahmen unserer beliebten Ordensverleihung für sprachliche<br />

Leistungen diesmal nur sagen. Aber da ein Lehrer nur dann zufrieden<br />

ist, wenn er mindestens einen Tadel ausgesprochen hat, geht es<br />

nicht ohne die sprachliche Fehlleistung.<br />

Peinlich, peinlich, der geht schon wieder an unseren Verein: Gerügt<br />

werden müssen jene Verfasser von <strong>GEW</strong>-Presseerklärungen - <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />

ist da eine rühmliche Ausnahme -, die es sich angewöhnt<br />

haben, ihre jeweiligen Vorsitzenden als „<strong>GEW</strong>-Chefs“ zu titulieren.<br />

Das sind auf Zeit gewählte Vorsitzende, aber bitteschön nicht unsere<br />

Chefs! Davon haben wir an unseren Arbeitsstellen schon genug. Meint<br />

der - haha - „Chef der <strong>GEW</strong>-Zeitung“.<br />

Günter Helfrich<br />

Aus dem Inhalt <strong>GEW</strong>-<strong>ZEITUNG</strong> <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> Nr. 3-4 / 2002:<br />

Editorial: „Das Wüste lebt“ Seite 2<br />

Kommentar - Fritz Schösser, DGB-Vors., Bayern:<br />

Kanzlerkandidat Stoiber: Bayern vor - noch ein Tor? Seite 3<br />

Berufliche Bildung Seiten 4 - 9<br />

Schwerpunkt: Bildung International Seiten 10 - 18<br />

Schulen Seiten 19 - 23<br />

Hochschulen Seiten 24 - 26<br />

Rechtsschutz Seite 27<br />

Alter + Ruhestand Seite 28<br />

Tipps + Termine Seiten 29 - 34<br />

Kreis + Region Seite 35<br />

Schulgeist Seite 36<br />

Impressum <strong>GEW</strong>-<strong>ZEITUNG</strong> <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />

Herausgeber: Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>, Neubrunnenstr. 8, 55116<br />

Mainz, Tel.: (0 61 31) 28988-0, Fax: (06131) 28988-80, E-mail: <strong>GEW</strong>@<strong>GEW</strong>-<strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>.de<br />

Redaktion: Günter Helfrich (verantw.) und Karin Helfrich, Postfach 22 02 23, 67023 Ludwigshafen,<br />

Tel./ Fax: (0621) 564995, e-mail: <strong>GEW</strong>ZTGRL1@aol.com; Ursel Karch ( Anzeigen), Arnimstr.<br />

14, 67063 Ludwigshafen, Tel.: (0621) 69 73 97, Fax.: (0621) 6 33 99 90, e-mail:<br />

UKarch5580@aol.com; Antje Fries, Rheindürkheimer Str. 3, 67574 Osthofen, Tel./Fax: (0 62 42)<br />

91 57 13, e-mail: antje.fries@gmx.de<br />

Verlag, Satz und Druck: Verlag Pfälzische Post GmbH, Winzinger Str. 30, 67433 Neustadt a.d.W.,<br />

Tel.: (06321) 8 03 77; Fax: (0 63 21) 8 62 17; e-mail: VPP.NW@t-online.de, Datenübernahme per<br />

ISDN: (0 63 21) 92 90 92 (Leonardo-SP - = 2 kanalig)<br />

Manuskripte und Beiträge: Die in den einzelnen Beiträgen wiedergegebenen Gedanken entsprechen<br />

nicht in jedem Falle der Ansicht des <strong>GEW</strong>-Vorstandes oder der Redaktion. Nur maschinengeschriebene<br />

Manuskripte können angenommen werden. Für unverlangt eingesandte Manuskripte wird keine<br />

Gewähr übernommen. Manuskripte und sonstige Zuschriften für die Redaktion der <strong>GEW</strong>-Zeitung<br />

<strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> werden nach 67023 Ludwigshafen, Postfach 22 02 23, erbeten.<br />

Der Bezugspreis ist im Mitgliedsbeitrag enthalten; für Nichtmitglieder jährlich DM 35,-- incl. Porto<br />

+ MWSt. (Bestellungen nur beim Herausgeber.) Kündigung 3 Monate vor Ablauf des Kalenderjahres.<br />

Im anderen Falle erfolgt stillschweigend Verlängerung um ein weiteres Jahr.<br />

Anzeigenpreisliste Nr. 12 beim Verlag erhältlich. Redaktionsschluss: jeweils der 5. des Vormonats.<br />

2 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


Kommentar<br />

Kanzlerkandidat Stoiber: Bayern vor - noch ein Tor?<br />

Der bayerische<br />

DGB-Vorsitzende<br />

Fritz Schösser:<br />

„Bayern hat<br />

es trotz einer guten<br />

volkswirtschaftlichen<br />

Gesamtbilanz<br />

nicht<br />

geschafft, gleiche<br />

Arbeits- und<br />

Lebensbedingungen<br />

in allen<br />

Landesteilen sicherzustellen.“<br />

Kaum hatte die<br />

Union Edmund<br />

Stoiber als Kanzlerkandidaten<br />

nominiert,<br />

meldeten<br />

die ersten Zeitungen,<br />

der DGB flirte<br />

mit der CSU.<br />

Was die Gewerkschaften<br />

von einem<br />

Kanzler Stoiber zu<br />

erwarten hätten,<br />

analysiert der bayerische<br />

DGB-Vorsitzende<br />

Fritz<br />

Schösser.<br />

„1994 - die Landtagswahlen in Bayern<br />

waren gerade gelaufen, die absolute<br />

Mehrheit der CSU in Bayern war<br />

wieder gesichert, die Amigo-Krise überwunden<br />

- da fragte mich ein Journalist:<br />

„Wie erklären Sie sich, dass es der<br />

SPD wieder nicht gelang, die absolute<br />

Mehrheit der CSU zu brechen?“ Meine<br />

Antwort: „Die CSU hatte das Glück,<br />

dass Stoiber und Wiesheu wie zwei<br />

Lichtgestalten aus dem schwarzen Amigo-Sumpf<br />

hervortraten und in der Lage<br />

waren, das Ruder noch einmal herumzureißen.“<br />

Der Großteil dieser Aussage<br />

wurde in der Presseberichterstattung<br />

bald unterschlagen - übrig blieb das<br />

Wort „Lichtgestalt“. Was ist nun dran<br />

an der Gestalt Edmund Stoiber?<br />

Die K-Frage der Union ist entschieden.<br />

Stoiber und Bayern stehen im Fokus der<br />

Medien: Wie wird Bayern regiert? Was<br />

ist das besondere Geheimnis? Was tut<br />

Stoiber, was andere nicht tun? Die Arbeitslosigkeit<br />

ist gering, die Wirtschaftsentwicklung<br />

gut, und der Beschäftigungspakt<br />

funktioniert. Ja, und die<br />

grandiose Idee, das schöne Alpenambiente<br />

nach Bayern zu holen, haben die<br />

anderen Bundesländer auch nicht gehabt.<br />

Trotz aller Superlative, in Bayern wird<br />

auch nur mit Wasser gekocht! Das Gefälle<br />

zwischen Nord- und Südbayern<br />

ist groß. Die Strukturveränderungen in<br />

der Glas- und Porzellanindustrie, der<br />

Textil- und Lederindustrie sind noch<br />

lange nicht überwunden. Der Strukturwandel<br />

in Nürnberg, in Schwein-<br />

furt und in der mittleren Oberpfalz<br />

(Maxhütte) schwelt vor sich hin. Bayern<br />

hat es trotz einer guten volkswirtschaftlichen<br />

Gesamtbilanz nicht geschafft,<br />

gleiche Arbeits- und Lebensbedingungen<br />

in allen Landesteilen sicherzustellen.<br />

Die Wirtschaftslokomotive<br />

steht in München, die Waggons in den<br />

Regionen; ein Teil dieser Waggons ist<br />

nicht einmal an die Lokomotive angekoppelt.<br />

Stoiber macht Politik in einer<br />

relativ heilen Welt. Die günstige Nachkriegsentwicklung<br />

in Bayern, die im<br />

Vergleich zu anderen Bundesländern<br />

überschaubaren Strukturprobleme und<br />

der warme Regen aus Privatisierungserlösen<br />

von 5 Mrd. Euro seit 1996 haben<br />

ihm nahezu paradiesische Verhältnisse<br />

beschert und ihm das Image des<br />

„Machers“ eingebracht. In der Krise<br />

und unter dem Druck schwieriger Verhältnisse<br />

musste sich Stoiber noch nie<br />

beweisen. Stoiber spielte bisher nur in<br />

der Regionalliga, in der Champions<br />

League wird auch für ihn das Klima<br />

rauer.<br />

Entscheidend für die Kraft der CSU ist<br />

die tiefe und traditionelle Verankerung<br />

in der bayerischen Gesellschaft. Die<br />

CSU ist in Verbindung mit dem<br />

„Christlichen“ ein System, das die Menschen<br />

von der Wiege bis zur Bahre begleitet.<br />

Natürlich birgt ein solches System<br />

auch Gefahren in sich. Dazu zählen<br />

Postenschacher und Spezlwirtschaft.<br />

Unter dem ehemaligen Ministerpräsidenten<br />

Max Streibl hätte dies fast zum<br />

Supergau geführt. Saludos, Amigos!<br />

Seinem Nachfolger Edmund Stoiber<br />

gelang es 1993 in wenigen Wochen, sein<br />

Image zu ändern - vom Mitmacher<br />

zum Saubermacher! Dazu gehört auch,<br />

dass die Staatsregierung ihr Verhältnis<br />

zu den Gewerkschaften geändert hat.<br />

Bis Mitte der 90er Jahre hatte die CSUgeführte<br />

Staatsregierung mit dem DGB<br />

wenig am Hut. Im Gegenteil: Unter<br />

Franz Josef Strauß wurden die christlichen<br />

Gewerkschaften hofiert und strategisch<br />

gegen den DGB ins Feld geführt.<br />

Arbeiterkammern sollten die Gewerkschaftsmacht<br />

brechen, und mit einer<br />

Diffamierungskampagne sollte der<br />

bayerische DGB ins Abseits gedrängt<br />

werden. Das alles wurde in der CSU-<br />

Parteizentrale ausgekocht. Der dortige<br />

Chefkoch hieß Edmund Stoiber. Das<br />

haben wir nicht vergessen - und trotzdem:<br />

Es ist zu plump, Stoiber einfach<br />

in die Ecke der „sozialen Kälte“ oder<br />

des „Rechtspopulisten“ zu stellen.<br />

Stoiber ist ein konservativer und wirtschaftsliberaler<br />

Ideologe. Bei den Themen<br />

Betriebsverfassungsgesetz, Rentenreform,<br />

Arbeitsmarktpolitik, Migrationspolitik<br />

trennen uns Welten. Aber da<br />

gibt es auch den Pragmatiker Stoiber.<br />

Der weiß, dass es ganz ohne Arbeitsmarkt-<br />

und Sozialpolitik nicht geht,<br />

der nicht über Industriepolitik redet -<br />

sie aber macht -, der ein heißer Verfechter<br />

der Deregulierung ist, aber mit<br />

den Gewerkschaften im Beschäftigungspakt<br />

schon 1996 eine Vereinbarung zur<br />

Tariftreue bei öffentlichen Bauvergaben<br />

getroffen hat.<br />

Mein Fazit: Überschätzen sollte man<br />

Stoiber nicht, unterschätzen jedoch<br />

auch nicht.“<br />

<strong>GEW</strong>-<br />

Frühjahrs-<br />

Preisrätsel<br />

Roland Koch über die CDU-<br />

Spitze nach der Entscheidung<br />

über die K-Frage am 11. Jan.<br />

2002:<br />

„Wir sind ja nicht alle Eunuchen<br />

und nur einer denkt!“<br />

Preisfrage:<br />

Womit denkt Roland Koch?<br />

Preise:<br />

1. Eierschneider ”Double<br />

Cut“, rostfrei, spülmaschinenfest<br />

2. Vibrator ”Roland II“<br />

3. CDU-Denkspiele-Koffer<br />

(garantiert latexfrei)<br />

Antwortkarten bitte an den<br />

CDU-Bundesvorstand oder jedes<br />

Parteibüro von CDU/<br />

CSU.<br />

tje.<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

3


Berufliche Bildung<br />

Lernfeldkonzeption - alter Wein in neuen Schläuchen?<br />

Anderes Verständnis der Arbeit von Lehrkräften erforderlich<br />

- Von Dr. Hans-Jürgen Berg -<br />

Nur wenige Veränderungen im Bereich der curricularen Gestaltung der<br />

Berufsschule haben so eine heftige Diskussion innerhalb der Lehrerschaft<br />

nach sich gezogen wie die Lernfeldkonzeption. Ablehnung und<br />

Akzeptanz widerfahren dem Konzept. Man könnte sagen, die Trennlinie<br />

verläuft zwischen den „Jungen“ und den „Alten“, zwischen den<br />

„Erneuerern“ und den „Bewahrern“.<br />

Dr. Hans-Jürgen<br />

Berg leitet die Abteilung<br />

Berufsbildende<br />

Schulen im<br />

Bildungsministerium.<br />

Wie kommt<br />

es zu dieser<br />

Polarisierung?<br />

Der Reformansatz<br />

„Lernfeldkonzept“<br />

hat<br />

über die Neuordnung<br />

unterschiedlicher<br />

Ausbildungsberufe<br />

Einzug in<br />

die Bildungslandschaft<br />

der<br />

berufsbildenden<br />

Schulen genommen. Das Konzept<br />

intendiert, dass zusammenhängende,<br />

an Arbeitsprozessen orientierte Lernsequenzen<br />

die didaktische Landschaft<br />

der beruflichen Bildung prägen.<br />

Das Lernfeldkonzept wirkt sich<br />

verändernd auf unterschiedlichen<br />

Ebenen der dualen Berufsausbildung<br />

aus.<br />

Auf der Makroebene stehen die Gestaltung<br />

der Ordnungsmittel, die<br />

Formulierung von Qualitätsstandards<br />

und die Evaluierung der Rahmenlehrpläne<br />

im Vordergrund. Auf<br />

der Mesoebene rückt die schulorganisatorische<br />

Umsetzung in das Zentrum<br />

der Betrachtung. Arbeitsbereiche<br />

sind u. a. die teamorientierte,<br />

schulinterne Entwicklung von Lehrplänen,<br />

die Planung der Lern- und<br />

Unterrichtsorganisation, die Arbeit<br />

in Lehrkräfteteams, die Lehrkräfteeinsatzplanung,<br />

Regelungen zur Leistungsfeststellung<br />

sowie die Gestaltung<br />

der Zeugnisse. Auf der Mikroebene<br />

stellt sich die Frage nach dem<br />

adäquaten didaktisch-methodischen<br />

Konzept. (vgl. Sloane)<br />

Ist mit der Lernfeldkonzeption<br />

eine Kompetenzerweiterung<br />

in der beruflichen<br />

Ausbildung verbunden?<br />

Orientiert man berufliches Lernen<br />

an der Praxis, so kommt dem betrieblichen<br />

Leistungsprozess eine zentrale<br />

Bedeutung zu. Während im traditionellen<br />

Curriculum Inhalte und<br />

Ziele vorgegeben sind, die Fachinhalte<br />

verbindlich festliegen, fordert das<br />

Lernfeldkonzept zur Gestaltung heraus.<br />

Die Unterrichtsorganisation<br />

und die didaktische Ausgestaltung<br />

des Lehr-/Lernprozesses liegen in der<br />

pädagogischen Verantwortung der<br />

Lehrenden.<br />

Damit kommt den Lehrerinnen und<br />

Lehrern eine zentrale Rolle im lernfeldorientierten<br />

Unterricht zu. Sie<br />

müssen die vorgegebenen Lernfelder<br />

in Lernsituationen umsetzen. Das<br />

erfordert fundierte Kenntnisse der<br />

Berufspraxis. Der betriebliche Leis–<br />

tungsprozess muss der Lehrkraft gegenwärtig<br />

sein, um aus ihm schulische<br />

Lernsituationen abzuleiten, die<br />

über den Bezug zum Einzelbetrieb<br />

hinausgehen und verallgemeinernd<br />

bearbeitet werden können.<br />

Damit die Lehrkräfte diesen Weg<br />

gehen, bedarf es der Motivation,<br />

Anreize müssen gegeben sein, Schule<br />

muß sich zur offenen Organisation<br />

entwickeln, eine neue Leitidee ist<br />

angesagt! Die Einsicht, dass der Weg<br />

das Ziel ist, sollte das pädagogische<br />

Handeln bestimmen.<br />

Hierbei hat die Unterrichtsorganisation<br />

eine wesentliche Gestaltungsaufgabe!<br />

Die Organisation des Unterrichts,<br />

die Einsatzplanung der Lehrkräfte,<br />

die Umsetzung von Teamstrukturen<br />

sind entscheidende Bestimmungsgrößen,<br />

die über den Erfolg der Lernfeldkonzeption<br />

befinden. Geht man<br />

diesen Weg, so stößt man schnell auf<br />

das Problem, dass Schule einer neuen<br />

Organisationskultur bedarf. Autonomie<br />

im Bereich der Lernfeldarbeit<br />

ist nicht über eine bis ins Detail<br />

geregelte Administration zu erreichen.<br />

Lernfeldkonzepte bedürfen der<br />

Selbstverantwortung der unterrichtlich<br />

Handelnden. Freiräume müssen<br />

geschaffen werden, ebenso wie es<br />

notwendig ist, diese Freiräume verantwortet<br />

zu gestalten. Das zieht eine<br />

neue Form von Führung, Beratung,<br />

Unterstützung und Prozessbegleitung<br />

nach sich. Zu den notwendigen<br />

Reformschritten sind nicht nur<br />

die Lehrkräfte aufgerufen, auch der<br />

Schulleitung im engeren und im<br />

weiteren Sinn fällt eine wesentliche<br />

Aufgabe zu. Ihre Planung kann Prozesse<br />

stützen oder behindern, kann<br />

motivieren oder lähmen, kann bestärken<br />

oder bremsen.<br />

Die selbstverantwortete Autonomie<br />

der Schule und der in ihr Agierenden<br />

ist ein Entwicklungsziel unter<br />

anderen. Das zieht auch ein geändertes<br />

Verständnis der Schulaufsicht<br />

nach sich. Nicht Aufsicht, sondern<br />

Dienstleistung zur Prozessunterstützung<br />

steht im Vordergrund. Beratung<br />

und Motivation, neue Wege zu<br />

gehen, Freiräume aufzuzeigen, zu<br />

motivieren diese verantwortet zu gestalten,<br />

ist eine wesentliche Aufgabe.<br />

Dass sich dieser Prozess an dem Ziel<br />

orientiert, den Jugendlichen abhängig<br />

von der je spezifischen Lernbedingung<br />

ein Höchstmaß an Qualifikation<br />

zuteil werden zu lassen, ist ein<br />

Element der Qualitätsentwicklung<br />

der berufsbildenden Schulen.<br />

4 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


Wie sieht in diesem Zusammenhang<br />

die Qualifikation<br />

der Lehrkräfte aus?<br />

Betrachtet man die Lernfeldkonzeption<br />

vor dem Hintergrund der Einschätzung<br />

durch die Lehrkräfte, so<br />

stößt man auf eine heterogene Ablehnungsfront.<br />

Die Argumente reichen<br />

von mangelnder Transparenz<br />

für die Schülerinnen und Schüler,<br />

über die Komplexität, der die Jugendlichen<br />

gegenüber stehen, bis hin<br />

zu der Überforderung, allgemeingültige<br />

Inhalte zu identifizieren, die die<br />

angestrebten Kompetenzen einlösen,<br />

usw …<br />

Auch wird die rechtliche Problematik<br />

zur Verhinderung eines durchgängig<br />

lernfeldorientierten Unterrichts<br />

argumentativ herangezogen.<br />

Die Bewertung ist nicht nachvollziehbar,<br />

Noten sind nicht mehr aussagefähig,<br />

Lernfelder heben den notwendigen<br />

Fachbezug auf, Zeugnisse<br />

sind nicht mehr aussagefähig, wird<br />

argumentiert. Fragen über Fragen,<br />

hinter denen auf Seiten der Lehrkräfte<br />

das Akzeptanzproblem durchscheint.<br />

Berufliche Bildung<br />

Worin ist diese Abwehr<br />

begründet?<br />

Für die Lehrkräfte stellt sich eine<br />

veränderte Situation dar. Die ehemals<br />

weitgehende Möglichkeit,<br />

Lehrplaninhalte eins zu eins umzusetzen,<br />

ist nicht mehr gegeben. Curriculare<br />

Entwicklungen müssen auf<br />

der Ebene der Schule stattfinden.<br />

Damit geht Sicherheit verloren. War<br />

es ehedem möglich, sich an einem<br />

vorgegebenen Curriculum zu orientieren,<br />

so fehlt diese Orientierung im<br />

Lernfeldkonzept. Die neue Anforderung<br />

besteht darin, lernfeldorientierte<br />

Lehrpläne inhaltlich - unter Bezug<br />

auf die Lerngruppe - gestaltend<br />

umzusetzen.<br />

Diese neue Problemstellung, vor der<br />

die Kolleginnen und Kollegen stehen,<br />

wirft unterschiedliche Fragen<br />

auf. Es ist zu klären, was an Inhalten<br />

gelehrt werden soll. Diese Festlegung<br />

sollte, da das Lernfeldkonzept durch<br />

seine Komplexität in der Regel die<br />

Kompetenzen der einzelnen Lehrkraft<br />

überschreitet, im Team erfolgen.<br />

Die naheliegende Teamkonzeption<br />

führt zu bisher nicht üblichen<br />

Kommunikations-, Abstimmungsund<br />

damit auch Kooperationsformen<br />

in den Kollegien. Das Einzelkämpferdasein<br />

weicht zu Gunsten<br />

der Teamorientierung. Die Erarbeitung<br />

von komplexen Lernsituationen<br />

fordert heraus, ist aber auch eine<br />

Quelle für Arbeitszufriedenheit, da<br />

Unterricht von mehreren gestaltet<br />

und letztlich getragen wird. Hierfür<br />

sind in der Stundenplanung Räume<br />

zu schaffen. Dem Team wächst eine<br />

neue Verantwortung zu. Die Schulleitungen<br />

geben einen Teil ihrer Planungskompetenz<br />

an die Teams ab,<br />

eine Herausforderung, der man sich<br />

stellen muss.<br />

Da diese Prozesse bisher nicht bestimmend<br />

im Schulalltag waren, bedarf<br />

es der begleitenden Unterstützung.<br />

Der Erfahrungsaustausch der<br />

Institutionen muss aufgebaut und<br />

sichergestellt werden, damit die didaktisch-methodische<br />

Unterrichtsentwicklung<br />

unterstützt und begleitet<br />

wird.<br />

In diesem Prozess ist es wichtig, neue<br />

Perspektiven aufzeigen, die den Arbeitsalltag<br />

fruchtbar verändern können.<br />

Die bisher durch die Schulleitung<br />

determinierte Stundeneinteilung<br />

wird ergänzt durch eine vom<br />

Team verantwortlich geplante Unterrichtsgestaltung.<br />

Teams können ei-<br />

Nicht mehr der<br />

Fachsystematiker,<br />

sondern<br />

mehr der Generalist<br />

ist gefragt.<br />

Foto: Seifert<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

5


Berufliche Bildung<br />

genverantwortlich Stunden einzelner<br />

Kollegen bündeln, komplexere Arbeitsvorhaben,<br />

die das Lehrerwochenstundenmaß<br />

überschreiten, eigenverantwortlich<br />

strukturieren,<br />

Vertretungen selbst organisieren, gegebenenfalls<br />

sinnvolle Doppelbesetzungen<br />

einplanen und gestaltend die<br />

Organisation verändern.<br />

Resümee<br />

Das Lernfeldkonzept führt zu Veränderungen<br />

im Bereich der beruflichen<br />

Bildung und damit der berufsbildenden<br />

Schulen.<br />

Das Konzept wirkt sich auf die<br />

* Organisation der Schule,<br />

* Lehrerausbildung und Lehrerweiterbildung,<br />

* Curriculumgestaltung,<br />

* Arbeitsorganisation,<br />

* Benotung,<br />

* Zeugnisse,<br />

* Prüfungen<br />

an berufsbildenden Schulen aus.<br />

Neben diesen organisatorischen und<br />

administrativen Veränderungen, die<br />

letztlich auch die Frage nach der<br />

Qualität des Lernortes Berufsschule<br />

aufwerfen, rücken die Inhaltsebene,<br />

bezogen auf die curricularen Vorgaben,<br />

sowie der Lernprozess in den<br />

Mittelpunkt der Betrachtung.<br />

Im Rahmen des Lernfeldkonzeptes<br />

gilt es Abschied zu nehmen von der<br />

„Einheitlichkeit“ der Lerninhalte<br />

und der schulischen Organisation.<br />

Nicht mehr der Fachsystematiker,<br />

sondern mehr der Generalist ist gefragt.<br />

Das Lernfeldkonzept stellt kein<br />

Elitekonzept für Leistungsfähige dar,<br />

sondern es gilt, das Konzept in die<br />

Alltagskultur des beruflichen Lehrens<br />

und Lernens einzuführen.<br />

Dass hierbei Widerstände entstehen,<br />

Ängste und Blockaden den Entwicklungsprozess<br />

bestimmen, ist nicht<br />

von der Hand zu weisen. Dennoch<br />

wird man feststellen, dass eine im<br />

Team stattfindende Diskussion über<br />

auszuweisende und zu vermittelnde<br />

Lerninhalte, die Unterrichtsvorbereitung,<br />

die Organisation von Unterricht,<br />

neue und weitreichendere Perspektiven<br />

ermöglicht, als dies in der<br />

Vergangenheit der Fall war.<br />

Das Lernfeldkonzept eröffnet Freiräume<br />

sowohl in der fachwissenschaftlichen<br />

Bearbeitung als auch im<br />

Bereich der curricularen, didaktischen<br />

und methodischen Unterrichtsgestaltung.<br />

Ein weiterer positiver<br />

Aspekt ist darin zu sehen, dass<br />

eine gemeinsame Absprache über<br />

den Lernprozess eine entlastende<br />

Funktion haben kann, die das weit<br />

verbreitete Gefühl der Lehrkräfte,<br />

„nie fertig zu sein“, in Grenzen halten<br />

kann.<br />

Ausblick<br />

Unter dem Blickwinkel der Qualitätsentwicklung<br />

bleibt ein Problem<br />

zu lösen: Es geht um die Funktionsbeschreibung<br />

der Tätigkeit „Lehrkraft“.<br />

Was ist hierunter zu verstehen?<br />

Legt man die konzeptionellen<br />

Grundlagen, die dem Lernfeldkonzept<br />

zu eigen sind, als Maßstab an,<br />

so werden andere und neue Qualifikationen<br />

von den Lehrkräften gefordert.<br />

Die gemeinsame Strukturierung<br />

der curricularen Grundlagen,<br />

die Festlegung von Lernfeldinhalten,<br />

die geänderte Unterrichtsorganisation,<br />

die Arbeit im Team, die wechselseitige<br />

Abstimmung, die Evaluation<br />

des Erreichten sind andere Aufgaben<br />

als diejenigen, die in der Vergangenheit<br />

das Bild der Lehrkräfte<br />

prägten.<br />

Die Lernfeldkonzeption erfordert ein<br />

anderes Verständnis von Lehrerarbeit.<br />

Teile der unterrichtlichen Vorbereitung<br />

finden in der Schule statt,<br />

da gemeinsame Absprachen über den<br />

Lehr-/Lernprozess hier am besten<br />

möglich sind. Soweit nicht gegeben,<br />

ist es notwendig, hierzu die entsprechende<br />

Infrastruktur zu schaffen.<br />

Von der altgewohnten Regelung mit<br />

Wochenstunden gilt es Abschied zu<br />

nehmen. Das Lernfeldkonzept legt<br />

es nahe, dass die Planung, Durchführung<br />

und Kontrolle des Unterrichts<br />

im Lehrkräfteteam stattfinden. In<br />

diesem Prozess der umfassenden unterrichtlichen<br />

Organisation bedarf es<br />

eines Tätigkeitsprofils „Lehrkraft“,<br />

da weitergehende Aufgaben als das<br />

ausschließliche Unterrichten den<br />

Arbeitsalltag prägen.<br />

Um den geänderten Rahmenbedingungen<br />

konstruktiv zu begegnen,<br />

bedarf es unter anderem einer veränderten<br />

Arbeitszeitregelung. Statt<br />

Wochenstunden sollte ein Arbeitszeitkonto<br />

geführt werden. Auf dieses<br />

Konto werden die neuen und<br />

umfassenden Tätigkeiten im Rahmen<br />

des Lernfeldkonzeptes „gebucht“.<br />

Den Arbeitszeitrahmen bildet<br />

ein Jahresstundenkontingent.<br />

Diesem steht ein neu zu definierendes<br />

Tätigkeitsprofil „Lehrkraft“ gegenüber.<br />

Das Profil weist den jeweiligen<br />

Aufgabenbereichen die diesen<br />

Tätigkeiten korrespondierenden<br />

Zeitanteile zu. Diese werden in einem<br />

Arbeitszeitkonto erfasst.<br />

Mit der Entwicklung eines Tätigkeitsprofils,<br />

dem geänderten Arbeitszeitverständnis,<br />

dem Jahresstundenkonto<br />

sind exemplarisch Entwicklungen<br />

angedeutet, denen man sich<br />

offen und konstruktiv stellen sollte,<br />

um auf dem Weg zu einer neuen<br />

Schulkultur und einem geänderten<br />

Verständnis von „Arbeitszeit der<br />

Lehrkräfte“ voran zu kommen.<br />

Literatur:<br />

Sloane, Peter F. E.: Lernfelder und Unterrichtsgestaltung;<br />

Die berufsbildende<br />

Schule; 52 (2000)<br />

6 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


Beginn einer „neuen“ Lernkultur?<br />

Lernfeldorientierung in der Berufsschule<br />

Verunsicherung und Abwehr überwogen zunächst in Gewerkschaftskreisen,<br />

als Anfang der 80er Jahre die Industriesoziologen Horst Kern<br />

und Michael Schumann vom Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI)<br />

der Universität Göttingen mit ihrer Studie „Das Ende der Arbeitsteilung?“<br />

einen Umbruch der Produktions- und Arbeitskonzepte in den<br />

Kernindustrien (Auto, Werkzeug, Chemie) prognostizierten, der aus Arbeitnehmersicht<br />

nicht nur als Bedrohung sondern auch als Chance<br />

einzuschätzen sei.<br />

Annelie Strack ist<br />

seit vielen Jahren<br />

für den Vorstandsbereich<br />

Berufliche<br />

Bildung / Weiterbildung<br />

der <strong>GEW</strong><br />

<strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />

verantwortlich<br />

und auch Vorsitzende<br />

der Bundesfachgruppe<br />

Kaufmännische<br />

Schulen.<br />

Eine neue, ganzheitliche<br />

Arbeitsgestaltung,<br />

ermöglicht durch<br />

neue technisch-organisatorische<br />

Möglichkeiten,<br />

setze sich zunehmend<br />

gegen „fordistische“<br />

und „tayloristische“<br />

Produktionsformen<br />

durch.<br />

Nach der „Kern-<br />

Schumann-These“<br />

würden die anstehenden<br />

Rationalisierungsprozesse<br />

zwar einerseits<br />

zu erheblicher<br />

Arbeitsplatzvernichtung führen, andererseits<br />

aber auch zur verstärkten<br />

Nutzung der Qualifikationen und<br />

fachlichen Souveränität der ArbeitnehmerInnen.<br />

Für die Qualifizierung<br />

der ArbeitnehmerInnen empfahlen<br />

Kern und Schumann: „Ausrichtung<br />

der Bildungsprozesse an einem<br />

umfassenden Qualifikationsbegriff<br />

(keine Beschränkung auf prozessspezifische<br />

Fähigkeiten; Orientierung<br />

an souveräner Berufsarbeit;<br />

vielfältige, berufliche wie private<br />

Anwendbarkeit der Kenntnisse und<br />

Fähigkeiten)“.<br />

Lange bevor im pädagogischen Bereich<br />

die Diskussion um „Neue Lernkulturen“<br />

begann, setzten die Sozialpartner<br />

erstmals bei der Neuordnung<br />

der Metall- und Elektroberufe<br />

sowie der Büroberufe die Empfehlungen<br />

der Industriesoziologen um.<br />

Alle seit 1986 erlassenen neuen Ausbildungsordnungen<br />

orientieren sich<br />

an deren „umfassendem Qualifikationsbegriff“:<br />

Am Ende ihrer Ausbildung<br />

sollen die zukünftigen Beschäf-<br />

tigten über eine umfassende Handlungskompetenz<br />

(Fach-, Methoden-,<br />

Selbst- und Sozialkompetenz) verfügen,<br />

die sie in die Lage versetzt, ihre<br />

angereicherten beruflichen Tätigkeiten<br />

in Teams selbstständig zu planen,<br />

durchzuführen und zu bewerten und<br />

so gestaltend in die betrieblichen<br />

Prozesse einzugreifen.<br />

Neues Leitbild auch der Rahmenlehrpläne<br />

für die Berufsschule wurde<br />

„Handlungsorientiertes Lernen“.<br />

Verstärkt wurde die Tendenz durch<br />

neuere Ergebnisse der biologischen<br />

und psychologischen Forschung, die<br />

persönlichkeits- und situationsorientierte<br />

Lernkonzepte gegenüber der<br />

reinen Wissensvermittlung hervorhoben.<br />

Ein Blick in die schulische Praxis Anfang<br />

der 90er Jahre zeigte jedoch,<br />

dass der Paradigmenwechsel - wenn<br />

überhaupt - nur auf dem Papier vollzogen<br />

worden war: Im real existierenden<br />

Unterricht standen traditionelle<br />

Fächer und Lehrplanstrukturen<br />

mit kleinschrittigen Zielen und Inhalten<br />

sowie Vorgaben zur Notengebung<br />

der Realisierung des neuen<br />

Leitbildes entgegen. Die <strong>GEW</strong> griff<br />

die Kritik der KollegInnen auf und<br />

forderte eine neue Lehrplankonzeption,<br />

die der Neuorientierung berufsschulischen<br />

Lernens nicht länger im<br />

Wege stehen würde.<br />

Nach langen, kontroversen Diskussionen<br />

legte die Kultusministerkonferenz<br />

Ende der 90er Jahre „Handreichungen<br />

für die Erarbeitung von<br />

Rahmenlehrplänen für den berufsbezogenen<br />

Unterricht in der Berufsschule<br />

und ihre Abstimmung mit<br />

Ausbildungsordnungen des Bundes<br />

Berufliche Bildung<br />

für anerkannte Ausbildungsberufe“<br />

vor, mit denen die Hürden bei der<br />

Realisierung handlungsorientierten<br />

Unterrichts aus dem Weg geräumt<br />

werden sollten:<br />

Die neuen Lehrpläne sind nicht<br />

mehr nach Fächern, sondern nach<br />

Lernfeldern strukturiert, die sich an<br />

Tätigkeitsfeldern des Berufs orientieren<br />

und den spezifischen Bildungsauftrag<br />

der Berufsschule einschließen.<br />

Mit der Lernfeldkonzeption<br />

wird der Übergang von der Erzeugungsdidaktik<br />

zur Ermöglichungsdidaktik<br />

vollzogen. Im Rahmen<br />

weit gefasster Vorgaben ist es<br />

Aufgabe der LehrerInnenteams an<br />

den einzelnen Berufsschulen, die<br />

Lernfelder durch komplexe Lernsituationen<br />

zu konkretisieren, die auf<br />

die individuelle Lebenssituation der<br />

Auszubildenden in Betrieb und Gesellschaft<br />

abheben. Wissenschaftsorientierung<br />

und Fachsystematik werden<br />

nicht überflüssig, sondern in<br />

einen Anwendungszusammenhang<br />

gebracht. Neu ist allerdings, dass mit<br />

der Lernfeldkonzeption verbindliche<br />

Standards für die Organisation des<br />

Unterrichts vorgegeben werden:<br />

Ausgangspunkt des schulischen Lernens<br />

ist nicht mehr das wissenschaftliche<br />

Modell, sondern die Handlungssituation,<br />

für deren Bewältigung<br />

fachliche, methodische, individuelle<br />

und soziale Kompetenzen<br />

erworben werden müssen. Mit dieser<br />

Umkehrung der Vorgehensweise<br />

ist die Hoffnung verbunden, dass so<br />

ein Grundproblem schulischen Lernens,<br />

nämlich die Anwendung theoretischer<br />

Erkenntnisse für die Bewältigung<br />

der Praxis, besser gelöst werden<br />

kann.<br />

Auch wenn nicht alle seit der KMK-<br />

Einigung erlassenen Rahmenlehrpläne<br />

für die Berufsschule den in den<br />

Handreichungen formulierten Qualitätsansprüchen<br />

entsprechen, sieht<br />

die <strong>GEW</strong> in der KMK-Lernfeldkonzeption<br />

die richtige Weichenstellung<br />

zur Entwicklung einer neuen Lernkultur<br />

für die berufsbildenden Schulen.<br />

Ein Blick in die Realität der rheinland-pfälzischen<br />

Berufsschulen zeigt<br />

allerdings, dass auf der Umsetzungsebene<br />

der Länder und der einzelnen<br />

Schulen erhebliche Probleme beste-<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

7


Berufliche Bildung<br />

hen, die das<br />

ganze Reformprojekt<br />

zum Scheitern<br />

bringen<br />

könnten:<br />

* Die Begründungszusammenhänge<br />

und<br />

Intentionen<br />

der lernfeldorientierten<br />

Lehrpläne<br />

sind den<br />

Kollegien nicht ausreichend bewusst.<br />

Da eindeutige Signale aus dem Ministerium<br />

fehlen, werden die neuen<br />

Lehrpläne nicht als verbindlich wahr<br />

genommen, zumal sogar Vertreter<br />

der Schulaufsicht und der Studienseminare<br />

die Lernfeldkonzeption als<br />

„vorübergehenden Spuk“ darstellen.<br />

Die betroffenen Lehrkräfte kommen<br />

in den Bildungsgangkonferenzen nur<br />

zu dem Zweck zusammen, die in den<br />

fächerübergreifend angelegten Lernfeldern<br />

vorgegebenen Inhalte wieder<br />

auf die traditionellen Fächer zu verteilen.<br />

* Die Entwicklung komplexer Lehr-<br />

Lern-Arrangements an den Schulen<br />

stellt die KollegInnen vor völlig neue<br />

Anforderungen: Es geht nicht mehr<br />

um die Umsetzung kleinschrittiger<br />

Lernziele und Inhalte, sondern um<br />

die didaktische Ausgestaltung von<br />

Freiräumen. Erforderlich sind dazu<br />

fachliche (Betriebspraktika, neue<br />

Die <strong>GEW</strong> hat unter dem Titel :<br />

„Das Lernfeldkonzept an der<br />

Berufsschule - Pädagogische Revolution<br />

oder bildungspolitische<br />

und didaktische Reformoption?“<br />

eine Broschüre herausgegeben, die<br />

bei der <strong>GEW</strong>-Landesgeschäftsstelle<br />

angefordert werden kann.<br />

Entwicklungen der Fachwissenschaften)<br />

und methodisch-didaktische<br />

Fortbildung (Entwicklung von<br />

Lernsituationen in LehrerInnen-<br />

Teams) sowie die landesweite und<br />

länderübergreifende Vernetzung von<br />

Bildungsgangteams zum Austausch<br />

von Erfahrungen und Konzepten.<br />

Wer in den IFB-Katalogen der letzten<br />

Jahre nach entsprechenden Fortbildungsangeboten<br />

für die LehrerInnen<br />

berufsbildender Schulen sucht,<br />

kann nur fest-stellen, dass die Kollegien<br />

mit dieser wichtigen Reformaufgabe<br />

allein gelassen werden. In<br />

einem Klima der Verunsicherung<br />

können aber keine didaktischen Innovationen<br />

entstehen.<br />

* Durch die curriculare Arbeit an der<br />

Schule erreicht die Arbeitsbelastung<br />

der BBS-LehrerInnen sowohl eine<br />

neue Qualität als auch eine neue<br />

Quantität. Die Erarbeitung der<br />

Lernsituationen erfordert einerseits<br />

schulintern Teamsitzungen, andererseits<br />

eine verstärkte Lernortkooperation<br />

mit den Ausbildungsbetrieben.<br />

Dazu müssen sowohl organisatorische<br />

Hindernisse aus dem Weg<br />

geräumt (Teamstundenpläne statt<br />

Einzelstundenpläne) als auch Stundenentlastungen<br />

für LehrerInnen<br />

und Teilungsstunden für Lerngruppen<br />

gewährt werden.<br />

* Die in den lernfeldorientierten<br />

Lehrplänen angelegten curricularen<br />

Freiräume können nur genutzt werden,<br />

wenn auch die LehrerInnenteams<br />

Freiräume bei der Organisation<br />

des Unterrichts erhalten. Das bedeutet<br />

Abbau von Hierarchien, Delegation<br />

von Entscheidungskompetenz<br />

und Verantwortung an die LehrerInnen<br />

- das heißt „Qualitätsmanagement“,<br />

verstanden als Demokratisierung<br />

der Schule.<br />

Die neuen fachlichen und curricularen<br />

Anforderungen der Lernfeldkonzeption<br />

erfordern dringend eine inhaltliche<br />

Neuorientierung der BBS-<br />

LehrerInnenausbildung. Bundesweit<br />

wird zwar über - sicher auch sinnvolle<br />

- neue Strukturmodelle der LehrerInnenausbildung<br />

diskutiert. Die Diskussion<br />

über eine neue inhaltliche<br />

Ausgestaltung der LehrerInnenbildung<br />

an Hochschulen und Studienseminaren<br />

mit dem Ziel, junge KollegInnen<br />

zu befähigen, didaktische<br />

Freiräume für die Entwicklung neuer<br />

Lernkulturen zu nutzen, hat nicht<br />

einmal richtig begonnen. Welch dringender<br />

Handlungsbedarf hier besteht,<br />

haben nicht zuletzt auch die Ergebnisse<br />

der PISA-Studie gezeigt.<br />

Annelie Strack,<br />

Vorstandsbereich Berufliche Bildung<br />

und Weiterbildung<br />

<strong>GEW</strong>-Fortbildungsveranstaltungen<br />

Für KollegInnen im Bereich Berufliche Bildung und Erwachsenen-/Weiterbildung<br />

bietet die <strong>GEW</strong> folgende Fortbildungsveranstaltungen an:<br />

Präsentation<br />

mit PowerPoint<br />

Samstag, 20.04.2002<br />

Berufsbildende Schule Neustadt<br />

Referent: Rolf Heydenreich<br />

HöchstteilnehmerInnenzahl: 15<br />

Anmeldeschluss: 13.04.2002<br />

Internet für<br />

Einsteigerinnen<br />

Samstag, 27.04.2002 und Samstag,<br />

29.06.2002:<br />

Berufsbildende Schule Wirtschaft II<br />

Ludwigshafen<br />

Referentin: Sabine Weyland<br />

HöchstteilnehmerInnenzahl: 12<br />

Anmeldeschluss:<br />

13.04. bzw. 14.06.2002<br />

Anmeldung an:<br />

Annelie Strack, <strong>Pfalz</strong>grafenstraße 26,<br />

67061 Ludwigshafen, Tel. 0621-<br />

568227, Fax: 0621-5889122,<br />

Email: annelie.strack@t-online.de<br />

jetzt<br />

weltweit:<br />

www.gew-rheinland-pfalz.de<br />

8 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


Berufliche Bildung<br />

Das Gleichnis zum Thema Lernfelder:<br />

Wenn Träume wahr werden?<br />

Es war einmal ein Bauunternehmer, der<br />

hatte einen Traum, ja, eigentlich schon mehr<br />

als einen Traum, er hatte eine Vision. Es<br />

war für ihn zu einem Lebensziel geworden,<br />

das optimale Hochhaus zu bauen. Damit<br />

meinte er natürlich nicht solch einen fürchterlichen<br />

rechteckigen Betonkasten, der nur<br />

dazu taugt, die Landschaft zu verunstalten.<br />

Vielmehr wollte er ein Haus bauen, in<br />

dem alle zusammen arbeiten und leben können<br />

sollten, wo nahezu alle Bedürfnisse<br />

unter einem Dach erfüllt werden konnten<br />

und wo man sich einfach gerne aufhielt.<br />

Und wie es der Zufall so wollte, fiel ihm<br />

eines Tages der Bauplan für dieses Großbauwerk<br />

in die Hände, und was er da sah,<br />

begeisterte ihn. Ja, das sollte sein Hochhaus<br />

werden!<br />

Also scharte er seine Handwerker um sich,<br />

alles erfahrene Fachleute und jeder für sich<br />

ein Spezialist im Bauen von Einfamilienhäusern.<br />

Denen präsentierte er voller Stolz<br />

und Enthusiasmus seinen Bauplan für DAS<br />

Haus. Und voller Begeisterung beauftragte<br />

er seine Handwerker damit, termingerecht<br />

innerhalb eines halben Jahres neben ihrer<br />

bisherigen Arbeit das Gebäude zu errichten,<br />

da auch schon die ersten Mieter zu diesem<br />

Termin vor der Türe stehen würden.<br />

Jetzt war das Murren bei den Handwerkern<br />

natürlich laut, da sie auf solch eine<br />

Aufgabe überhaupt nicht vorbereitet waren.<br />

Doch der Bauunternehmer, der schließlich<br />

seine Vision verwirklicht sehen wollte, wies<br />

seine Handwerker darauf hin, dass sie nun<br />

einmal bei ihm angestellt seien und somit<br />

seinen Weisungen zu folgen hätten, und er<br />

beschwichtigte sie damit, dass sie doch bisher<br />

immer gute Arbeit geleistet hätten. Das<br />

stimmte auch, und schließlich waren auch<br />

alle mit hervorragendem Handwerkszeug<br />

ausgestattet. Teilweise stellte ihnen der Bauunternehmer<br />

für diese Aufgabe sogar nagelneues<br />

Werkzeug zur Verfügung, das allerdings<br />

so neu und aufwändig war, dass<br />

noch kaum jemand den Umgang damit<br />

beherrschte. Letztlich konnte unser Bauunternehmer<br />

doch auch viele seiner Handwerker<br />

für sein Bauwerk begeistern; vielleicht<br />

sollte es ja tatsächlich gelingen, seine Vision<br />

Realität werden zu lassen.<br />

Doch da gab es noch ein kleines Problem:<br />

Da heutzutage fast alle Bauunternehmer<br />

entweder pleite und vor der Staatsanwaltschaft<br />

auf der Flucht oder sehr angesehen,<br />

aber nicht minder hoch verschuldet sind,<br />

ging es unserem Bauunternehmer auch nicht<br />

viel besser. Also musste an verschiedenen<br />

Stellen ein wenig gespart werden. So hatten<br />

seine Handwerker leider für den Bau des<br />

Hochhauses sowohl auf einen Ingenieur als<br />

auch auf eine Bauleitung zu verzichten;<br />

dafür hatte er ihnen ja schließlich den Bauplan<br />

kopiert. Und alle anfallenden Planungsabsprachen,<br />

die so auf einer Großbaustelle<br />

anfallen, sollten sie gefälligst miteinander<br />

in ihrer Freizeit durchführen. Aber<br />

dafür versprach er ihnen vielleicht mal irgendwann<br />

eine kleine Anerkennung. Ja, da<br />

waren seine Handwerker natürlich nicht<br />

mehr sehr begeistert, aber es half ja nichts,<br />

der Bau musste jetzt hochgezogen werden,<br />

schließlich warteten die zukünftigen Mieter<br />

schon. Also machte man sich an’s Werk<br />

... Ach so, Sie wollen wissen, was aus der<br />

Vision des Bauherren wurde? Nun, sicher<br />

ist, dass die Mieter zum Sommer irgendwo<br />

einzogen, aber wenn sie Einzelheiten erfahren<br />

wollen, dann fragen Sie doch gelegentlich<br />

bei einem Kultusministerium Ihres Vertrauens<br />

unter dem Stichwort „Einführung<br />

von Lernfeldern in der Berufsschule“ nach.<br />

Martin Hofmann<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

9


Schwerpunkt<br />

„Demokratie ist die Gegenwelt zur Uniform“<br />

Das Summerhill der Türkei: Besuch der Aziz-Nesin Stiftung<br />

- Text und Fotos: Lucas Schmitt -<br />

„Eine Woche Bildungsurlaub in Istanbul? Du hast es gut! Mal was anderes<br />

als das IFB in Speyer! Wird bestimmt interessant....“. Einige meiner<br />

Kolleginnen und Kollegen wären sicher gerne mitgeflogen.<br />

•Titelbild<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung:<br />

Betreuerin der Nezin-Stiftung<br />

mit<br />

einem der jüngsten<br />

Kinder. Die Kinder<br />

sind begeistert<br />

von der Simultan-<br />

Übersetzung über<br />

Kopfhörer.<br />

• Bilder unten:<br />

Hauptgebäude der<br />

Stiftung. Aziz Nesin<br />

war der Meinung,<br />

dass es den<br />

Kindern seiner<br />

Stiftung gut gehen<br />

solle - der Swimmingpool<br />

soll dazu<br />

beitragen! -<br />

• Gesprächsrunde<br />

mit Kindern in<br />

„Opa Aziz“ Garten.<br />

Nach 7 Tagen am Bosporus, vielen<br />

Gesprächen mit Gewerkschaftern,<br />

Journalisten, Menschenrechtsvertretern,<br />

Mitarbeitern politischer Stiftungen<br />

und NGOs, Wissenschaftlern<br />

und Lehrkräften fällt es mir<br />

schwer, die Eindrücke in meinem<br />

Kopf zu ordnen. So schlimm hatte<br />

ich mir die politische Situation der<br />

Türkei wirklich nicht vorgestellt, ein<br />

Land, das sich „auf dem Weg in die<br />

EU“ befindet... Jetzt fallen mir die<br />

schwer bewaffneten Militärpolizisten<br />

auf, die an jeder Ecke der Stadt stehen,<br />

ich bemerke die kurz geschorenen<br />

Jungs, die (in Zivil) die Fußgängerzone<br />

überwachen und knallhart<br />

zupacken, sobald sich dort Menschen<br />

zu Gruppen zusammenfinden.<br />

Wenn man erst einmal heraus hat,<br />

woran man sie erkennt, merkt man,<br />

dass sie überall sind …<br />

Unsere Gesprächspartner wirkten oft<br />

deprimiert: „Die Türkei ist eine als<br />

Demokratie verpackte Militärdiktatur,<br />

regiert vom allmächtigen Nationalen<br />

Sicherheitsrat. Die Islamisten<br />

werden immer stärker. Die EU hat<br />

kein Interesse an uns. Es geht weder<br />

vor noch zurück - und wer es wagt,<br />

etwas dagegen zu sagen, wird mit<br />

Prozessen überzogen … oft droht gar<br />

Schlimmeres!“. Wir treffen den Vorsitzenden<br />

der „Türkisch-Is“ Gewerkschaft;<br />

ihm wird der Prozess gemacht,<br />

weil er zur Demonstration<br />

am 1. Mai aufgerufen hat. Die Vorsitzende<br />

des türkischen Menschenrechtsvereins<br />

berichtet, dass 13 ihrer<br />

Vorgänger und Kollegen ermordet<br />

wurden und sie ebenfalls schon<br />

angegriffen wurde. Sie lässt sich nicht<br />

einschüchtern und arbeitet trotz der<br />

ständigen Bedrohung weiter. Während<br />

unseres Aufenthaltes wird in<br />

Istanbul - unter mysteriösen Umständen<br />

- ein jüdischer Geschäftsmann<br />

ermordet. Spekulationen werden<br />

geäußert: Die Mafia? Die Islamisten?<br />

Stecken politische Interessen<br />

dahinter? Zwei Tage nach unserer<br />

Abreise explodiert am Taxim-Platz<br />

(nicht weit vom Hotel, in dem wir<br />

wohnten) eine Bombe. Die Türkei<br />

im Jahr 2001.<br />

Hoffnungsschimmer<br />

Die Fahrt führt hinaus aus der Stadt<br />

Istanbul, Richtung Edirne und Bulgarien.<br />

Rechts und links der Route<br />

nichts als Industrie, Dreck, Wohnblocks,<br />

das Messegelände, Einkaufszentren<br />

und uniforme Neubausiedlungen.<br />

Istanbul baut; nicht schön,<br />

aber zweckmäßig. Die Metropole<br />

wuchert, frisst sich langsam und unaufhaltsam<br />

immer weiter in die karge<br />

Landschaft.<br />

Bei Catalca biegt unser Bus von der<br />

Europastraße 5 ab. Die Bebauung<br />

wird lichter, die Gegend wirkt ländlich.<br />

Nach wenigen Kilometern haben<br />

wir unser Ziel erreicht: Cocuk<br />

Cenneti (Kinderparadies) steht am<br />

Tor lesen. Dahinter Zweckbauten,<br />

Wirtschaftsgebäude und ein Gelände,<br />

das eher einer Baustelle als unserer<br />

Vorstellung von einem „Kinderparadies“<br />

entspricht. Das sollte nun<br />

die Nesin-Stiftung sein, von der wir<br />

in den vergangenen Tagen bereits so<br />

viel gehört haben...<br />

Freundliche Mitarbeiter, Kinder und<br />

Jugendliche der Stiftung begrüßen<br />

uns und führen durch Haus und<br />

Garten. Die beiden Hauptgebäude<br />

der Nesin-Stiftung beherbergen die<br />

Kinderzimmer, Speise- und Aufenthaltsräume,<br />

eine Bibliothek, das Archiv<br />

und den erst kürzlich fertiggestellten<br />

Theatersaal. Hier sollen in<br />

Zukunft Theaterstücke aufgeführt<br />

werden, Lesungen, Konzerte oder<br />

Zirkusspiele stattfinden. Ein junger<br />

Bewohner erzählt voller Stolz, dass<br />

es nun endlich gelungen sei, den<br />

Raum trocken zu legen; bald werde<br />

der Saal offiziell eröffnet. Weiter geht<br />

es durch Aufenthaltsräume und den<br />

Speisesaal der Kinder. Von der Terrasse<br />

des Gebäudes eröffnet sich ein<br />

weiter Blick über den Garten, die<br />

Nebengebäude, Werkstätten, Ställe<br />

und umliegende Hügel. Ein lauer<br />

Wind weht, es ist still und wir genießen<br />

den Blick in die Natur. Im<br />

Haus begegnet uns der Gründer der<br />

Stiftung - Aziz Nesin - in jeder Ecke<br />

des Gebäudes. Fast überall hängen<br />

Plakate, Gemälde, Fotos, Zeichnungen<br />

des Schriftstellers, in einem improvisierten<br />

Museum werden seine<br />

Bücher und Andenken aufbewahrt.<br />

„Hier hat sich einer ein Denkmal<br />

errichtet!“ - die Ansammlung von<br />

„Nesin-Reliquien“ wirkt auf den ersten<br />

Blick befremdlich. Warum dieser<br />

Personenkult um einen, der als<br />

„Atheist und Kommunist“ bezeichnet<br />

wurde? Auch andere Fragen werden<br />

gestellt: Warum nimmt die Stiftung<br />

nicht noch mehr Kinder auf?<br />

Das Elend der Straßenkinder Istanbuls<br />

ist groß, hier wäre noch Platz<br />

und der Swimmingpool im Garten<br />

wäre doch nun wirklich nicht nötig<br />

gewesen … Die Suche nach Ungereimtheiten<br />

beginnt.<br />

10 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


Bildung International<br />

Aziz Nesin: Dichter,<br />

Demokrat und Satiriker<br />

Aziz Nesin (1915 in Istanbul geboren)<br />

war als Schriftsteller (Geschichten,<br />

Romane, Hörspiele, Reiseerzählungen,<br />

Gedichte) und Satiriker<br />

wohl der produktivste und populärste<br />

Autor der Türkei. Bisher sind 138<br />

Bücher von ihm veröffentlicht worden,<br />

seine Werke wurden in mehr als<br />

30 Sprachen übersetzt. 20 Bücher<br />

erschienen auch in Deutsch. Er erhielt<br />

zahlreiche Auszeichnungen (u.a.<br />

1994 die Carl-von Ossietzky Medaille).<br />

Berühmt wurde er vor allem<br />

durch seine bissigen politischen Satiren.<br />

In seinem Heimatland machte<br />

er sich damit nicht nur Freunde.<br />

Mit zwei Attentaten und über 200<br />

Prozessen wurde versucht, ihn zum<br />

Schweigen zu bringen. Als 1993 in<br />

der Kleinstadt Sivas während eines<br />

Kulturkongresses Fundamentalisten<br />

das Tagungshotel anzündeten und 37<br />

Künstler umkamen, konnte er dem<br />

Attentat knapp entkommen. Im<br />

August 1994 hatte ihm der oberste<br />

Staatsanwalt der Türkei die Todesstrafe<br />

angedroht. Heute genießt sein<br />

Werk internationales Ansehen. Seit<br />

November 2000 ist die deutsch-türkische<br />

Europaschule in Berlin nach<br />

Aziz Nesin benannt. Nesin starb vor<br />

7 Jahren und wurde im Garten seiner<br />

Stiftung begraben.<br />

1972 erfüllte sich Nesin einen lang<br />

gehegten Traum und legte den<br />

Grundstein seines „Kinderparadieses“.<br />

Das Gelände gleicht inzwischen<br />

einem kleinen Dorf mit einem großen<br />

Garten. Fast zehn Jahre hatte der<br />

Aufbau gedauert, bis Anfang der<br />

80er Jahre die ersten Kinder aufgenommen<br />

wurden. Bis zu seinem Tod<br />

lebte Aziz Nesin „als Oberhaupt einer<br />

großen Familie“ mit den Kindern<br />

in der von ihm gegründeten Stiftung.<br />

Heute leben 36 Kinder hier. Manche<br />

sind Waisen oder Halbwaisen,<br />

andere stammen aus Familien, die<br />

nicht in der Lage sind, für ihre Kinder<br />

zu sorgen. Die Kinder kommen<br />

aus allen Provinzen der Türkei und<br />

haben sehr unterschiedliche Lebenswege<br />

hinter sich. In der Nesin Stiftung<br />

finden die Kinder ein neues<br />

Zuhause, besuchen die staatliche<br />

Schule des Nachbarortes und können<br />

in der Einrichtung bleiben, bis<br />

sie ihre Ausbildung beendet haben.<br />

Aziz Nesin ist sicher kein großer pädagogischer<br />

Neuerer - dennoch muss<br />

die Philosophie seiner Stiftung - im<br />

Vergleich zur familiären und staatlichen<br />

Erziehung der Türkei - als revolutionär<br />

bezeichnet werden:<br />

„Unsere Erziehungsprinzipien weichen<br />

erheblich von den sonst üblichen<br />

ab. Bei uns gibt es keine Prügelstrafe,<br />

kein Anschreien, überhaupt<br />

keine Strafen. Nicht immer können<br />

wir nach unseren Prinzipien leben,<br />

aber - und das ist das Interessanteste<br />

- wir haben kein Programm. Das Programm<br />

muss jeder für sich machen,<br />

anstatt es vorgesetzt zu bekommen.<br />

Ein Programm, das ein Mensch für<br />

sich macht, ist stimmiger und anspruchsvoller<br />

als das, was andere ihm<br />

vorsetzen.<br />

Wann es ins Bett geht, bestimmt jedes<br />

Kind selbst - die ganz Kleinen<br />

ausgenommen. Nach dem Grundschulalter<br />

entscheidet jedes Kind<br />

auch selbst, welches Buch es lesen<br />

will, ebenfalls, wie lange und wo dies<br />

geschehen soll. Wir beraten die Kinder<br />

nur, wenn wir gefragt werden.<br />

Bei uns dürfen die Kinder ruhig vorlaut<br />

sein - das ist das Recht, das ihnen<br />

kein anderes pädagogisches Programm<br />

einräumt. Die Kinder haben<br />

das Recht, vorlaut zu sein, und dieses<br />

Recht sollten sie öfter in Anspruch<br />

nehmen. Kinder, die heute<br />

frech sein dürfen, werden mit Sicherheit<br />

als Erwachsene keinen Nachholbedarf<br />

haben. Solche Kinder werden<br />

mit Sicherheit als Erwachsene ihren<br />

Mund auftun; daran arbeiten wir! In<br />

der Türkei ist die Verwirklichung<br />

solcher Prinzipien kaum möglich.<br />

Dennoch, das ist es, woran wir arbeiten.<br />

Ich kann nicht behaupten,<br />

dass wir unser Ziel erreicht hätten,<br />

Zu den Bildern rechts:<br />

• Azis Nesins umfangreiche Sammlung<br />

von Zeitungen, Zeitschriften und Büchern.<br />

Leider fehlen der Stiftung bis<br />

heute die Mittel diese Sammlung zu<br />

archivieren.<br />

• Emine (19) eine Bewohnerin der Stiftung,<br />

beantwortet selbstbewusst die Fragen<br />

der Besucher.<br />

• Gesprächsrunde mit Kindern in „Opa<br />

Aziz“ Garten.<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

11


Schwerpunkt<br />

aber jeden Tag kommen wir einen<br />

kleinen Schritt voran.“ (Aziz Nesin<br />

kurz vor seinem Tod in einem Interview<br />

im Deutschlandradio).<br />

Wir treffen uns mit einer Mitarbeiterin<br />

und Bewohnern der Stiftung<br />

im Garten und stellen Fragen. Arbeitet<br />

die Stiftung mit ausgebildeten<br />

Fachkräften? Nein, die Stiftung muss<br />

weitgehend auf ausgebildetes Fachpersonal<br />

verzichten - die Pädagogen<br />

türkischer Universitäten könnten der<br />

Stiftung sowieso nicht weiterhelfen.<br />

Im Bedarfsfall wende man sich an<br />

Psychologen und andere externe<br />

Fachkräfte. Außerdem habe man<br />

nicht das Geld, solche Leute zu bezahlen.<br />

Wie funktioniert die Selbstverwaltung<br />

und welche Rolle spielt Ali Nezin,<br />

der Sohn Aziz Nesins und jetzige<br />

Leiter der Stiftung? Alles wird mit<br />

den Kindern der Stiftung diskutiert<br />

und abgestimmt - wenn die Kleinen<br />

bereits im Bett liegen und schlafen,<br />

treffen sich die älteren Kinder, um<br />

mit Ali wichtige Entscheidungen zu<br />

diskutieren. Demokratie ist anstrengend<br />

und braucht Zeit … gerade in<br />

einem vom Militär dominierten<br />

Land wie der Türkei!<br />

Vieles - gerade das nicht vorhandene<br />

und doch bestehende pädagogische<br />

Programm - erinnert stark an<br />

die inzwischen zur pädagogischen<br />

Legende gewordene Schule A.S.<br />

Neills in Summerhill / England. Hier<br />

wie dort bestimmt der Glaube an das<br />

Gute im Menschen die Pädagogik.<br />

Aus diesem pädagogischen Positivismus<br />

resultiert die Selbstverantwortung<br />

der Kinder und die Selbstverwaltung<br />

der Einrichtung. In beiden<br />

Fällen gründete und leitete eine charismatische<br />

Vaterfigur die Schule,<br />

und in beiden lebt die Schule im<br />

Geiste ihrer Gründer weiter. In beiden<br />

Einrichtungen werden die<br />

Gründer in ähnlicher Weise von den<br />

Schülerinnen und Schülern verehrt:<br />

In Summerhill tragen die Schülerinnen<br />

A.S. Neil T-Shirts, in Catalca<br />

gründete man gar ein Museum zu<br />

Ehren Nesins. In beiden Schulen<br />

übernahmen Kindern der Gründer<br />

(in Summerhill Neills Tochter Zoe,<br />

in der Türkei Aziz Nesins Sohn Ali)<br />

die Leitung der Einrichtungen,<br />

nachdem ihre Väter starben. Beide<br />

Einrichtungen leben auch heute<br />

noch vom Idealismus und dem Engagement<br />

einzelner. Vieles mag pädagogisch<br />

naiv erscheinen, in den Beschreibungen<br />

der Mitarbeiter und<br />

Kinder finden sich haufenweise Widersprüche<br />

und pädagogische Ungereimtheiten.<br />

Das Verrückte: es funktioniert<br />

- trotzdem! Vielleicht ist es<br />

gerade die pädagogische Naivität und<br />

der damit verbundene Enthusiasmus,<br />

der fasziniert und von einer<br />

besseren Welt und glücklichen Kindern<br />

träumen lässt. Wir jedenfalls<br />

trafen in der Stiftung aufgeweckte,<br />

fröhliche Kinder, junge Erwachsene,<br />

die Theaterstücke schreiben, Bilder<br />

malen, kreativ sind, sensibel reagieren,<br />

freundlich und geduldig unsere<br />

Fragen beantworteten, nachdenklich<br />

waren und aus ganzem Herzen lachten!<br />

Offensichtlich ist, dass in beiden Einrichtungen<br />

(Summerhill und der<br />

Nesin-Stiftung) der Geist und die<br />

Ausstrahlung der Gründerväter das<br />

Gerüst der pädagogischen Arbeit bildet.<br />

Bezeichnend dafür ist, dass sich<br />

Aziz Nesin im Garten seiner Stiftung<br />

begraben ließ und nicht auf einem<br />

Friedhof. In der Stiftung lebt sein<br />

Geist weiter. Die Stiftung braucht<br />

auch heute noch Aziz Nesin, die Kinder<br />

brauchen „Opa Aziz“. Er ist immer<br />

noch allgegenwärtig, auch wenn<br />

er bereits tot ist!<br />

Informationen zur Nesin Stiftung<br />

Anschrift der Nesin Stiftung:<br />

Nesin Vakfi / Ali Nesin<br />

PK 5, Catalca / Istanbul - Türkei<br />

Die Nesin Stiftung wird unterstützt<br />

und gefördert durch den Verein:<br />

FöNeS<br />

Prof. Dr. Klaus Liebe-Harkort<br />

Lühninghausestr 38<br />

D 28865 Lilienthal<br />

Fax: 04792/4495<br />

eMail: KLL-H@t-online.de<br />

homepage: www.foenes.unibremen.de<br />

Der Verein bietet vielfältige Informationen<br />

zu Stiftung und zur Arbeit<br />

Aziz Nesins an.<br />

Aziz Nesin hat seine pädagogischen<br />

Prinzipien in seinem Werk „Korkudan<br />

Korkmak“ (Die Angst vor der Angst)<br />

verfasst. Hier einige Auszüge aus der<br />

40seitigen Abhandlung:<br />

* Ich will, dass meine Kinder in der<br />

Stiftung entsprechend ihren Fähigkeiten<br />

zu konstruktiven und schöpferischen<br />

Menschen erzogen werden.<br />

* Ich will, dass meine Kinder in der<br />

Stiftung mit einem kritischen Blick auf<br />

die Welt, die Menschen und die Ereignisse<br />

schauen.<br />

* Ich will, dass meine Kinder in der<br />

Stiftung ohne Strafen aufwachsen. Es<br />

gibt in der Nesin-Stiftung keine Verbote.<br />

Von allen Ländern der Welt gibt<br />

es in der Türkei die meisten Verbote,<br />

und sie ist gleichzeitig das Land, in dem<br />

Verbote am häufigsten missachtet werden.<br />

Je mehr Verbote es gibt, um so öfter<br />

werden sie übertreten. Ich wünsche,<br />

dass in der Nesin-Stiftung weder Verbote<br />

aufgestellt noch angewendet werden,<br />

solange ich lebe und nach meinem<br />

Tod.<br />

* Die Kinder müssen das Recht haben,<br />

verwöhnt zu werden. Die kleinen Kinder<br />

sollen ausreichend in der Nesin-Stiftung<br />

verwöhnt werden. Die Kinder<br />

aber, die nach diesem Alter in die Stiftung<br />

kommen, sollen in einer Form,<br />

die den Mangel in der Verwöhnungszeit<br />

zudeckt, Liebe, Zärtlichkeit und<br />

Vertrauen erfahren.<br />

* Die Kinder der Stiftung sollen lernen,<br />

was es heißt, in der Schuld der<br />

Gesellschaft zu stehen.<br />

* Ich möchte, dass meine Kinder in der<br />

Stiftung Liebe zu sich selbst empfinden<br />

können, dass sie in dieser Liebe und in<br />

Selbstachtung heranwachsen.<br />

* Ich möchte, dass meine Kinder in der<br />

Stiftung von der neurotischen Angst<br />

befreit werden und ein Leben weit entfernt<br />

davon führen.<br />

* Ich wünsche mir, dass meine Kinder<br />

der Stiftung, wenn sie einmal im Leben<br />

stehen, eine Arbeit verrichten werden,<br />

die sie lieben.<br />

* Ich bemühe mich darum, dass meine<br />

Kinder der Stiftung im Denken und<br />

Verhalten eigenständig werden.<br />

* Ich will, dass meine Kinder in der<br />

Stiftung eine reiche Phantasie entwikkeln<br />

und große Visionen haben.<br />

* Es gibt eine sehr schlichte Wahrheit,<br />

die ich meine Kinder lehren will: Das<br />

Leben ist ein Kampf. Arme haben nur<br />

eine Verteidigungswaffe und nur ein<br />

Mittel zum Erfolg: arbeiten. Uns rettet<br />

allein das Arbeiten.<br />

(aus: InFöNes, FöNeS-Mitteilungen,<br />

Nr. 1, 6/1998, S. 11, Bremen)<br />

12 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


Bildung International<br />

„Woher kommt euer Wasser?“<br />

Dr. Udo J. Gedig berichtet über Projekte mit indonesischen Grundschulen<br />

Der Unterricht<br />

an indonesischen<br />

Grundschulen ist<br />

lehrerzentriert<br />

und methodenarm.<br />

Foto: Gedig<br />

Nach zahlreichen Aufenthalten in<br />

Indonesien durch Partnerschaftskontakte<br />

zwischen der Evangelischen<br />

Kirche in Hessen und Nassau<br />

und der Ev. Kirche in Nord-<br />

Sulawesi führt unser <strong>GEW</strong>-Kollege<br />

Udo Gedig von der Grundschule<br />

Bingen-Kempten (Drei-Königs-<br />

Schule) gemeinsame Projekte mit<br />

indonesischen Grundschulen in<br />

abgelegenen Gegenden dieses Landes<br />

durch.<br />

Einen Eindruck von Schulen in Indonesien<br />

zu vermitteln, scheint müßig,<br />

denn dieser Inselstaat erstreckt<br />

sich über eine Fläche, die größer als<br />

Europa ist, mit sehr unterschiedlichen<br />

Kulturen, Ethnien und einer<br />

Vielzahl von Regionalsprachen.<br />

Zwar habe ich auch Schulen in Java<br />

und Bali besucht, doch den unmittelbarsten<br />

Eindruck bekam ich<br />

durch die Partnerschaft mit der<br />

Grundschule in Baturirir auf der Insel<br />

Lembeh gegenüber der Hafenstadt<br />

Bitung und der Grundschule<br />

in Lirung im Archipel Talaud an der<br />

philippinischen Grenze. Politisch<br />

gehören diese Orte zur Provinz<br />

Nord-Sulawesi. Im Gegensatz zu<br />

Gesamtindonesien, dem größten islamischen<br />

Staat der Erde, leben hier<br />

mehrheitlich Christen. In den peripheren<br />

Bereichen Nord-Sulawesis<br />

leben vornehmlich Ethnien aus Polynesien,<br />

während im Stammland<br />

Völker der Minahasa dominieren.<br />

Die Schulen hier wurden stark von<br />

der holländischen Kolonialmacht<br />

beeinflusst und stehen heute noch<br />

weitgehend unter der Trägerschaft<br />

christlicher Kirchen. Allerdings gibt<br />

es in Nord-Sulawesi auch eine bedeutende<br />

Minderheit von Muslimen,<br />

sei es aus Süd-Sulawesi über<br />

die Handelsbeziehungen zugezogen<br />

oder durch das Transmigrasi-Programm<br />

aus dem überbevölkerten<br />

Java hierher umgesiedelt. Zwar ist<br />

Nord-Sulawesi bisher von religiös<br />

motivierten Ausschreitungen weitgehend<br />

verschont geblieben, doch die<br />

blutigen Konflikte aus den benachbarten<br />

Molukken strahlen auch hierher.<br />

Christliche Flüchtlinge wurden<br />

im Norden aufgenommen, muslimische<br />

im islamisch dominierten Süden<br />

dieser Insel.<br />

Bis zur Unabhängigkeit Indonesiens<br />

gab es kein allgemeines Erziehungssystem.<br />

Die Kolonialmacht bildete<br />

nur Fachkräfte für die Verwaltung<br />

aus. Der Zentralstaat Indonesien<br />

führte 1945 nach der Unabhängigkeit<br />

die allgemeine Schulpflicht ein<br />

und baute ein Netz von Grundschulen<br />

bis in die entlegensten Dörfer.<br />

Alle Kinder erlernen in der 6-jährigen<br />

Grundschule Bahasa Indonesia,<br />

die allgemeine Hochsprache, so dass<br />

sich alle Menschen in diesem ausgedehnten<br />

Inselreich mit den vielen<br />

unterschiedlichen Regionalsprachen<br />

verständigen können. Aber auch in<br />

die Alltagssprache der einzelnen Regionen<br />

ist heute die Bahasa Indonesia<br />

eingedrungen. Das indonesische<br />

Schulsystem ist zentralisiert. Es gibt<br />

ein landesweites Curriculum und,<br />

soweit vorhanden, einheitliche<br />

Schulbücher. Dies hat zur Folge,<br />

dass kulturelle Unterschiede kaum<br />

berücksichtigt werden können. Besonders<br />

die ländlichen Grundschulen<br />

in peripheren Gebieten sind unzulänglich<br />

ausgestattet, und die<br />

Lehrkräfte werden schlecht bezahlt.<br />

Nach der Ablösung Suhartos besteht<br />

die Tendenz, den einzelnen Provinzen<br />

mehr Einfluss einzuräumen, so<br />

dass regionale Besonderheiten auch<br />

im Unterricht berücksichtigt werden<br />

können. Das Schulwesen in Nord-<br />

Sulawesi, wie im Gesamtstaat, ist<br />

kollektivistisch orientiert, die Gruppe<br />

ist dominierend, das Individuum<br />

ordnet sich unter. Schulen sind wie<br />

die Gesamtgesellschaft hierarchisch<br />

aufgebaut. Eigeninitiative ist in der<br />

Schule wenig gefragt. Das Bildungssystem<br />

zeichnet sich durch das Erziehungsziel<br />

‚Toleranz‘ aus, notwendige<br />

Voraussetzung für die Einheit<br />

dieses Staates. Die ‚Pancasila‘, die<br />

fünf Grundprinzipien der Republik<br />

Indonesien, bildet ein eigenes Schulfach.<br />

Diese Prinzipien sind: der<br />

Glaube an den Einen Gott, das Postulat<br />

zur Bildung des gerechten und<br />

zivilisierten Menschen, die Einheit<br />

Indonesiens, Demokratie und soziale<br />

Gerechtigkeit.<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

13


Schwerpunkt<br />

Erste Begegnungen indonesischer<br />

Schulen<br />

Der aktuelle Unterricht ist lehrerzentriert<br />

und methodenarm. Meist wird<br />

auswendig gelernt. Unterrichtsmaterial<br />

gibt es kaum. In unseren Partnerschulen<br />

haben die Kinder wenigstens<br />

Stifte, Papier und ältere Schulbücher.<br />

In der ersten Unterrichtsstunde, die<br />

ich vor sieben Jahren miterlebte, ging<br />

es um die christlichen 10 Gebote. Die<br />

Gebote wurden in Schlüsselwörtern<br />

zusammengefasst, nur eins, wohl besonders<br />

wichtig, stand ausführlich an<br />

der Tafel: ‚Du sollst nicht die Ehe brechen!‘<br />

- und es folgte für die SchülerInnen<br />

folgende Belehrung: ‚Du sollst<br />

keinen Sex vor der Ehe haben!‘ - Jahre<br />

später erfuhr ich von der Situation<br />

nichtehelicher Kinder, unverheirateter<br />

Mütter und illegaler Abtreibungen<br />

- eine unbeantwortete Herausforderung<br />

dieser Gesellschaft! - An der<br />

Tafel in der Grundschule in Baturirir<br />

waren noch am Beginn der großen<br />

Ferien die Sätze zu lesen: ‚Du sollst<br />

nicht stehlen!‘ und ‚Du sollst höflich<br />

sein!‘ Auf Nachfrage erklärte mir der<br />

Schulleiter, dass er den Kindern wichtige<br />

Regeln in die Ferien mitgebe. Vor<br />

sieben Jahren meinte eine Kollegin<br />

anlässlich eines Gesprächs in Bitung:<br />

„Wir brauchen Unterrichtsmaterial,<br />

dann können wir auch besseren Unterricht<br />

geben!“ Damals antwortete<br />

ich flapsig: „Sie haben doch alles für<br />

den Unterricht: prächtige Pflanzen<br />

und Steine vor der Tür und vor allen<br />

Dingen - Kinder!“ Die Kollegin darauf:<br />

„Mit Steinen kann ich keinen<br />

Unterricht halten!“ Daraus entstanden<br />

meine Lehrerseminare mit alltäglichen<br />

Gegenständen wie Steinen,<br />

Früchten und Pflanzen. Ziel war es,<br />

mit den KollegInnen ins Gespräch zu<br />

kommen und Unterrichtsmethoden<br />

zu ‚Lernen mit allen Sinnen‘ gemeinsam<br />

auszuprobieren. Mit der ungewohnten<br />

Sitzordnung im Kreis und<br />

dem ‚Erzählstein‘ folgten dann Versuche<br />

in einer Oberschule in Manado.<br />

Die Seminare wurden zwar in<br />

Englisch gehalten - alle Lehrkräfte<br />

beherrschen offiziell eine Fremdsprache,<br />

meist Englisch - , trotzdem musste<br />

übersetzt werden. Mit diesen ersten<br />

Versuchen erreichte ich allerdings<br />

nur eine städtische Mittelschicht, außerdem<br />

erlebte ich nur die ‚Vorderbühne‘<br />

von Unterricht und die ‚Vorderseite‘<br />

im täglichen Leben - ich<br />

wohnte damals im Gästehaus der Ev.<br />

Kirche.<br />

Yayasan Oikumene (Ökumenischer<br />

Verein)<br />

Aus meinen Erfahrungen heraus -<br />

mangelhafte Ausstattung der Schulen,<br />

fehlendes Schulgeld, besonders aber<br />

kaum Perspektiven auf Ausbildungsund<br />

Arbeitsplätze für Jugendliche -<br />

gründete ich dann vor 4 Jahren zusammen<br />

mit einem indonesischen<br />

Freund in Tomohon, Nord-Sulawesi,<br />

die Yayasan Oikumene SULUT -<br />

Agama-Agama - Budaya - Ekonomi<br />

(Eingetragener ökumenischer Verein<br />

Nord-Sulawesi - für verschiedene Religionen,<br />

Kultur und Ökologie) und<br />

für unsere gemeinsamen Projekte die<br />

Koperasi Serba Usaha Mangunai (Kooperative<br />

für verschiedene Unterstützungsprojekte).<br />

Damit entstanden<br />

eine Reifenreparaturwerkstatt, eine<br />

Transportkooperative mit Minibus<br />

und Kleintransporter und ein kleiner<br />

Krämerladen, in denen auch Jugendliche<br />

- Mädchen und Jungen, Christen<br />

und Muslime - ausgebildet werden.<br />

Um in indonesischen Familien<br />

auf dem Dorf zu leben und ohne Dolmetscher<br />

in die Schulen gehen zu<br />

können, aber auch um selber zu unterrichten,<br />

lernte ich Bahasa Indonesia.<br />

In entlegenen Dörfern kam ich<br />

durch meinen Freund mit ‚besonderen‘<br />

Menschen in Kontakt, mit den<br />

Tonaas. Diese Menschen verstehen<br />

sich auf traditionelle Heilmethoden,<br />

verfügen über traditionelles Wissen<br />

und können in ihrem Selbstverständnis<br />

mit den Ahnen in Kontakt treten.<br />

Meist sind es sehr arme Menschen,<br />

die anderen unentgeltlich helfen.<br />

Ihre Kinder gehen nicht regelmäßig<br />

in die Schule, weil das Schulgeld<br />

fehlt (ein paar Euro im Monat)<br />

und die Kinder auf dem Feld oder<br />

beim Fischfang helfen müssen. Aus<br />

diesen Begegnungen heraus entstand<br />

unser Fonds zur Unterstützung von<br />

Schulkindern.<br />

„Unser Wasser kommt aus dem<br />

Hahn - und woher kommt euer<br />

Wasser?“<br />

Vor zwei Jahren wurde mein alter<br />

Kontakt zur Grundschule in Baturirir<br />

auf der Insel Lembeh wiederbelebt.<br />

Ich brachte bei einem Besuch die Vorstellungsbriefe<br />

einer 3. Klasse der<br />

Grundschule in Bingen-Kempten mit<br />

und deren Frage: „Unser Wasser<br />

kommt aus dem Hahn - und woher<br />

kommt euer Wasser?“ Mit der Pfarrerin<br />

und dem Lehrerkollegium des<br />

Dorfes bereiteten wir den Austausch<br />

sorgfältig vor. Bilder, Briefe und kleine<br />

Geschenke wurden mit Luftpost<br />

geschickt, doch die meisten Informationen<br />

wurden mit E-Mails über die<br />

Yayasan Oikumene ausgetauscht. Die<br />

Kinder beider Schulen beschrieben,<br />

wie sie täglich mit Wasser umgehen.<br />

Unsere Kinder waren überrascht, wie<br />

das Wasser erst aus dem Brunnen geschöpft<br />

werden muss, um es anschließend<br />

abzukochen. Die Kinder in Baturirir<br />

können unsere Wasserversorgung<br />

nicht verstehen, denn ein Junge<br />

schrieb: „Ihr in Kempten müsst ja<br />

froh sein, dass ihr so viele Wasserstellen<br />

entlang der Straße habt.“ Für die<br />

indonesischen Kinder war es nicht<br />

nachzuvollziehen, als unsere Kinder<br />

schrieben und mit Bildern zeigten,<br />

wie Trinkwasser im Garten und zum<br />

Spülen der Toilette benutzt wird.<br />

Auch über den Schulalltag wurde berichtet<br />

und über das Leben in der Familie,<br />

auf dem Feld und beim Fischfang.<br />

Das Material vom gegenseitigen<br />

Lernen wurde in einem Bericht für<br />

den Wettbewerb ‚Wasser kennt keine<br />

Grenzen‘ zusammengestellt. Das<br />

Preisgeld des Wettbewerbs floss in<br />

unseren Schulfonds. Seither tragen<br />

wir das Schulgeld für arme Familien<br />

in diesem Dorf und unterstützen die<br />

Schule mit Unterrichtsmaterial. Ein<br />

Fest mit den Kindern des Dorfes und<br />

ein gemeinsames Mahl mit Fisch und<br />

Sago umrahmte die Übergabe des Berichts,<br />

der Übersetzung ins Indonesische<br />

und die aus dem Projekt entstandenen<br />

Unterrichtsmaterialien<br />

zum Thema „Trinkwasser“. Und der<br />

Austausch von Briefen geht weiter!<br />

Neben den Informationen über eine<br />

andere Kultur am Beispiel „Trinkwasser“,<br />

gab es aber auch grundlegende<br />

Lernerfahrungen in neuen Sprachbildern<br />

und im Verständnis von Kindheit:<br />

Die Kinder in beiden Schulen schrieben<br />

ihre Briefe in der jeweiligen Muttersprache.<br />

Am Ende wurden Schlüsselwörter<br />

zum Verständnis des Textes<br />

aufgelistet, gefolgt von der Übersetzung<br />

in Englisch. Daraus ergaben sich<br />

notwendige Erklärungen, Sprachbilder<br />

den jeweils anderen zu erläutern:<br />

Unsere Kinder schrieben über ihre<br />

Hör- und Seherfahrungen mit der<br />

‚Quelle‘ und fertigten Zeichnungen<br />

und Fotos. Die Kinder aus Baturirir<br />

schrieben über die Wörter „air bersih“<br />

- sauberes Wasser, aus dem abgekocht<br />

Trinkwasser wird - „air minum“<br />

-. „Quelle“ heißt „mata air“<br />

(„Auge Wasser“, das Auge des Wassers),<br />

die Tränen hingegen air mata<br />

14 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


(das Wasser des Auges). Aber auch das<br />

bekannte Wort ‚Orang-Utan‘ stieß<br />

bei den Binger Schülern auf großes<br />

Interesse: orang - Mensch; utan oder<br />

hutan - Wald, also der Mensch des<br />

Waldes. Welch ein anderes Sprachkonzept<br />

als in unserer Sprache, wo<br />

der Orang-Utan ein Tier ist.<br />

Das Dorf Baturirir besitzt keine Poststelle<br />

und bekommt auch keine Briefe.<br />

Es gibt keine Postverbindung, und<br />

wer sollte auch schon schreiben? Und<br />

nun bekamen gerade Kinder bunte<br />

Luftpostumschläge aus Deutschland<br />

mit bunten Briefmarken darauf.<br />

Selbst mit einer indonesischen Übersetzung<br />

versehen waren es Briefe, die<br />

manche Eltern nicht lesen konnten,<br />

denn sie waren, wenn überhaupt, nur<br />

kurz in die Schule gegangen. Kinder<br />

sind in diesen abgelegenen Gegenden<br />

dann erst vollwertige Mitglieder der<br />

Familie, sobald sie zum Lebensunterhalt<br />

beitragen können. Und gerade<br />

diese kleinen Kinder bekamen Briefe<br />

und Fotos und konnten sie ihren<br />

Eltern vorlesen!<br />

Wie geht dieser Austausch weiter?<br />

Das Wasserprojekt war auf zwei Jahre<br />

angelegt, zumal unsere Schüler<br />

schon nach der 4. Klasse die Grundschule<br />

verlassen. Mit meiner neuen<br />

Klasse wird der Kontakt fortgesetzt.<br />

Um aber die Trinkwasserversorgung<br />

zu verbessern, planen wir nun mit<br />

Hilfe des Dekanats Ingelheim, einen<br />

tiefen Brunnen im Dorf zu bauen.<br />

Kinder brauchen dann nicht mehr<br />

Wasser aus entlegenen Quellen im<br />

Wald zu holen, und mit unserer finanziellen<br />

Unterstützung werden sie<br />

regelmäßiger die Schule besuchen<br />

können.<br />

„Bäume des Lebens: Die Kokospalme<br />

im Archipel Talaud und<br />

der Auwald in Bingen“<br />

Bingen hätten. Für diesen peripheren<br />

Teil Indonesiens ist die Kokospalme<br />

von zentraler Bedeutung. Die Palme<br />

liefert alles zum Leben: Öl zum Braten<br />

und als Leuchtmittel für Lampen,<br />

Kopra für den Handel, das Holz der<br />

Palme zum Bau der Häuser, Kokosschalen<br />

als Gefäße und als Brennmaterial<br />

zum Kochen, Kokosbast für<br />

Seile und Kokosblätter zum Decken<br />

der Dächer. Aus dieser Schule nahm<br />

ich neben Fotos auch Kinderzeichnungen<br />

von Palmen mit. Unsere Antwort<br />

aus Kempten zu unserem ‚Baum<br />

des Lebens‘ war der Hinweis auf die<br />

Bedeutung des Auwaldes. Dieser Auwald,<br />

wie eben die Kokospalme, ist<br />

so alltäglich, so selbstverständlich,<br />

und doch wichtiger Teil im Ökosystem<br />

und bedeutend für die Flusslandschaft<br />

am Rhein.<br />

In unserem neuen Unterrichtsprojekt<br />

werden also die Kinder beider Schulen<br />

ihre ‚Bäume des Lebens‘ dokumentieren<br />

und ihr Wissen darüber<br />

sich gegenseitig mitteilen. Dabei werden<br />

die Erfahrungen wieder in die alltäglichen<br />

Lebensbezüge in Familie,<br />

Schule und Freizeit eingebettet sein.<br />

Erhebliche Schwierigkeiten bereitet<br />

die Kommunikationsverbindung.<br />

Von Lirung lassen sich nur Telefongespräche<br />

aus einem öffentlichen Laden<br />

in die Provinzhauptstadt Manado<br />

führen, Briefe werden Marktleuten<br />

mitgegeben, doch die Schiffsreise<br />

zur Hauptinsel Sulawesi dauert<br />

zwei Tage. Auch in Talaud unterstützen<br />

wir Kinder mit Schulgeld. Diese<br />

Kinder stammen meist aus Tonaas-<br />

Familien und werden vom jeweiligen<br />

Dorf ausgewählt.<br />

Ausblick<br />

Unser Ziel ist es, mit der Vernetzung<br />

unserer Unterstützungsprojekte und<br />

mit dem Informationsaustausch zwischen<br />

Grundschulen zum besseren<br />

Verständnis von Menschen aus unterschiedlichen<br />

Kulturen beizutragen.<br />

Angesichts von Fremdenfeindlichkeit<br />

in unserem Land und der ‚Festung<br />

Europa‘ und den religiös motivierten<br />

blutigen Auseinandersetzungen in Indonesien<br />

ein notwendiger Beitrag<br />

zum multikulturellen Verstehen!<br />

Langfristig geht es uns in Nord-Sulawesi<br />

darum, ökologische Fragen -<br />

etwa traditionelles Wissen der Tonaas<br />

und Gewinnung regenerativer Energie<br />

aus Palmöl - , ökonomische -<br />

wie Schaffung von Ausbildungs- und<br />

Arbeitsplätzen - mit Ansätzen im Bildungssystem<br />

- traditionelle Inhalte<br />

vor Ort - zu verbinden. Auch die Interessenvertretungen<br />

von Kollegen<br />

beider Länder sind zu erörtern. So<br />

wird uns die gemeinsame Arbeit sicherlich<br />

nicht ausgehen!<br />

(Anfragen für eine mögliche Zusammenarbeit<br />

an: Dr. Udo J. Gedig,<br />

Magdeburger Str. 70, D-55218 Ingelheim,<br />

Tel. & Fax: 06132-8607, E-<br />

Mail: udojgedig@web.de)<br />

Bildung International<br />

Unser Wasserprojekt mit Baturirir<br />

sprach sich in Nord-Sulawesi herum.<br />

Viele Bewohner der Insel Lembeh<br />

stammen ursprünglich aus dem Archipel<br />

Sangihe-Talaud, und so bekam<br />

unsere Yayasan Oikumene eine Anfrage<br />

aus Talaud nach Unterstützung<br />

bei der Bekämpfung der Sexawa, einer<br />

Heuschreckenart, die Palmen<br />

kahl frisst. (Seit einem Jahr unterstützen<br />

wir die Anlage eines Versuchsfeldes,<br />

auf dem mit traditionellen Methoden<br />

die Sexawa bekämpft wird.)<br />

So kam ich von Besuchen aus der<br />

Grundschule des Hauptortes Lirung<br />

in Talaud mit der Frage zurück, welchen<br />

‚Baum des Lebens‘ wir denn in<br />

Kaum Unterrichtsmaterialien vorhanden. Foto: Gedig<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

15


Schwerpunkt<br />

Wie Kinder ihren Lernweg finden<br />

Eindrücke aus dem schwedischen Kindergarten<br />

- Von Bernhard Eibeck -<br />

Alles da, was das<br />

Kinderherz begehrt.<br />

Foto: Seifert<br />

„Gestern Vormittag haben sie ein<br />

Krankenhaus gebaut. Die Katze von<br />

einem Kind hatte sich am Fuß verletzt<br />

und brauchte Hilfe. Am Nachmittag<br />

wollten sie Feuerwehr spielen<br />

und haben das Haus angezündet.“<br />

Jan Andersens Antwort auf die<br />

Frage aus der <strong>GEW</strong>-Gruppe, was die<br />

Kinder den ganzen Tag über so machen,<br />

war ganz einfach.<br />

Acht Journalisten, Erziehungswissenschaftler<br />

und <strong>GEW</strong>-Hauptvorständler<br />

besuchten im Rahmen einer<br />

fünftägigen Expedition ins<br />

PISA-Wunderland Schweden die<br />

Stockholmer Kindertagesstätte -<br />

oder wie es dort offiziell heißt die<br />

„Pre-School“ - Ekbacken.<br />

Den Kopf voll mit schweren Fragen<br />

nach Konzepten frühkindlicher Pädagogik<br />

und des Lernens stießen sie<br />

immer wieder auf das gleiche Phänomen:<br />

Die Schweden verstanden sie<br />

gar nicht. So auch Jan Andersen, der<br />

Erzieher. Kinder lernen im Leben.<br />

Und da es ihr Leben ist, lernen sie<br />

so, wie es in ihr Leben passt.<br />

Für ihn besteht die Umsetzung des<br />

Pre-School Curriculums, das es in<br />

Schweden als verbindliche Vorgabe<br />

für alle Kindereinrichtungen seit<br />

1998 gibt, nicht aus didaktisch ausgearbeiteten<br />

Lernzielen, die es in einer<br />

bestimmten Zeit zu erreichen<br />

gilt, sondern daraus, Kindern Entwicklungsräume<br />

zu eröffnen, in denen<br />

sie ihre eigenen Lernwege gehen.<br />

Wenn es im Curriculum heißt, dass<br />

Kinder die Fähigkeit entwickeln sollen,<br />

„Mathematik in sinnvollen Zusammenhängen<br />

mit Situationen zu<br />

entdecken und zu benutzen“, dann<br />

bleibt offen, ob und wann sie in welchem<br />

Zahlenraum subtrahieren oder<br />

multiplizieren gelernt haben müssen.<br />

Manche Kinder rechnen schon mit<br />

vier Jahren bis 30, andere können<br />

Zahlenreihen auf Englisch.<br />

Curriculare Konstruktionen<br />

Prof. Dr. Gunnila Dahlberg vom<br />

Stockholmer Lehrerbildungsinstitut,<br />

an dem auch das Personal der Kindertagesstätten,<br />

die „Pre-School<br />

Teacher“, ausgebildet wird, erklärt<br />

den Hintergrund dieser besonderen<br />

Lernphilosophie. Kinder lernen<br />

nicht, weil Erwachsene sie etwas lehren.<br />

Die Lernleistung des Kindes<br />

besteht vielmehr darin, aus der Vielzahl<br />

der Eindrücke, die aus der Umwelt<br />

auf sie einströmen, das herauszufiltern,<br />

was sie für die Konstruktion<br />

ihrer persönlichen Wirklichkeit<br />

brauchen. Lernen ist Konstruktion,<br />

Bildung ist immer Selbstbildung.<br />

Das wusste schon Jean Piaget, dessen<br />

Forschungen aus den 50er Jahren<br />

in letzter Zeit um neue Ergebnisse<br />

aus der Hirnforschung, der<br />

Lern- und der Entwicklungspsychologie<br />

erweitert wurden. Schon ein<br />

Säugling lernt auf diese Weise, dass<br />

er beständig neue Eindrücke macht,<br />

sie mit Bekanntem abgleicht und<br />

seine Welt entdeckend konstruiert.<br />

Den Rahmen dieser Lernwelt bilden<br />

soziale Beziehungen, zunächst zu den<br />

Eltern, später auch zu anderen Kindern.<br />

Im schwedischen Bildungswesen<br />

wird das Verständnis von der kindlichen<br />

Lern-Welt-Konstruktion konsequent<br />

umgesetzt. Zuallererst darin,<br />

dass man Kindern Spielräume<br />

gibt. In Ekbacken hat jede der fünf<br />

Gruppen, bestehend aus 10 bis 16<br />

Kindern, deren drei: einen Raum<br />

fürs grobe Handwerken, einen Raum<br />

fürs feine Malen und Geschichten<br />

lesen und einen Raum fürs Ausruhen,<br />

Kuscheln und Schlafen. Und für<br />

alle noch einen Tobe- und einen Essensraum.<br />

Es ist alles da, was das Kinderherz<br />

begehrt und was Geist und<br />

Sinn brauchen. Aquarium, Terrarium,<br />

Computer, Lego, Bücher, Stifte<br />

und Papier. Nur eines fehlt: Ordnung.<br />

Weil es keinen Stundenplan<br />

gibt mit genauer Zeiteinteilung für<br />

Malen und Basteln, Geschichten lesen<br />

und Burgen bauen, ist immer<br />

alles gleichzeitig in Bewegung. Und<br />

die 16 Erzieherinnen und Erzieher,<br />

die für die insgesamt 69 Kinder da<br />

sind, auch. Das ist das spezielle und<br />

besondere Ordnungssystem, kleine<br />

Gruppen von Kindern und verlässliche<br />

Beziehungen zu den Erwachsenen.<br />

Eine Erzieherin oder ein Erzieher<br />

ist für vier Kinder da. Diese stabile<br />

Beziehung gewährleistet, dass die<br />

Welt der Kinder nicht aus den Fugen<br />

gerät und man Wagnisse eingehen<br />

kann, weil man weiß, dass der<br />

Absturz nicht weh tut. Laufen lernen<br />

geschieht in der Zeit zwischen<br />

dem Aufstehen und dem Hinfallen.<br />

Aber nur dann, wenn jemand da ist,<br />

der einem beim Wiederaufstehen<br />

hilft und einen ermutigt, weiter zu<br />

laufen. So bilden die sozialen Beziehungen<br />

die Ordnung zwischen den<br />

Menschen, die wichtiger ist als die<br />

Ordnung zu den Sachen.<br />

Mut zum Risiko<br />

Das besondere an Ekbacken ist das<br />

große, leicht abschüssige Außengelände.<br />

Der kundige Blick des deutschen<br />

Besuchers sucht eines vergebens:<br />

die Rutschbahn, das Klettergerüst,<br />

die Schaukel. Statt dessen<br />

große Bäume, selbst gezimmerte<br />

Hütten, Steinhaufen zum Klettern<br />

16 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


und eine Unmenge an Brettern und<br />

dem Sperrmüll entzogene Gerätschaften.<br />

Und Werkzeug, aber echtes:<br />

Sägen, Hämmer, Nägel, Messer.<br />

„Ist das alles nicht viel zu gefährlich?“<br />

Bilder von Kindern, die beim Klettern<br />

vom Baum fallen, sich beim<br />

Schnitzen in die Hand schneiden<br />

oder beim Zündeln gleich das ganzen<br />

Haus in Schutt und Asche legen,<br />

drängen sich auf. „Kinder“, so<br />

Jan Andersens Erfahrung, „machen<br />

nichts, was sie sich nicht zutrauen,<br />

wovor sie Angst haben. Sie steigen<br />

nicht auf Bäume, die zu hoch für sie<br />

sind.“ Man darf ihnen aber auch keine<br />

zu großen Aufgaben stellen, ohne<br />

sie darauf vorzubereiten oder ihnen<br />

zu helfen. Bevor ein Kind ein scharfes<br />

Schnitzmesser in die Hand bekommt,<br />

muss es erst lernen, wie man<br />

es handhabt: Immer vom Körper<br />

weg schneiden. Das Vertrauen in die<br />

Kinder ist groß, auch das Vertrauen<br />

in die Beobachtungsgabe und erzieherischen<br />

Fähigkeiten der Erzieherinnen.<br />

Bei den <strong>GEW</strong>-Besuchern<br />

bleibt ein Restrisiko. Muss unbedingt<br />

im Flur eine Kerze brennen?<br />

Nervensache.<br />

System für Eltern<br />

Für schwedische Eltern sind Kindertagesstätten<br />

unverzichtbar. Die Lebenshaltungskosten<br />

sind so hoch,<br />

dass keine Familie von einem Gehalt<br />

leben kann. Da ist es gut, dass es<br />

schon für einjährige Kinder das<br />

Recht auf einen Platz im „daghem“<br />

gibt, selbstverständlich ganztags - in<br />

Ekbacken geht das Angebot von 7.00<br />

Uhr bis 17.30 Uhr. Von allen 1- bis<br />

6jährigen Kindern besuchen 76 Prozent<br />

eine öffentliche oder private<br />

Einrichtung, die im Durchschnitt<br />

eine Öffnungszeit von 31 Stunden<br />

pro Woche hat. Für das erste Kind<br />

bezahlen die Eltern monatlich 3 Prozent<br />

ihres Einkommens, höchstens<br />

1.140 SEK, das sind rund 100 Euro,<br />

für das zweite Kind 2 Prozent, höchstens<br />

55 Euro, für das dritte 1 Prozent,<br />

höchstens 35 Euro. Alle weiteren<br />

Kinder einer Familie können die<br />

Einrichtung gebührenfrei besuchen.<br />

Ab dem Jahr 2003 soll der Besuch<br />

für die vier- und fünfjährigen Kinder<br />

gebührenfrei sein.<br />

Die Eltern sind durch das System der<br />

frühkindlichen Pädagogik keineswegs<br />

aus ihrer Erziehungsverantwortung<br />

entlassen. Eltern werden in persönlichen<br />

Entwicklungsgesprächen<br />

über „Wohlbefinden, Entwicklung<br />

und Lernprozess“ der Kinder informiert,<br />

alle Planungen und Aktivitäten<br />

mit den Eltern abgestimmt. Es<br />

gilt auch in Schweden, dass die Eltern<br />

für die Erziehung und Entwicklung<br />

ihrer Kinder verantwortlich<br />

sind und die Kindertagesstätten „das<br />

Zuhause ergänzen“.<br />

Von der Fürsorge<br />

zur Bildung<br />

Mit dem Erlass des Vorschulcurriculums<br />

im Jahr 1998 ist aus dem „daghem“<br />

die „Pre-School“ geworden, die<br />

Kindererziehung ist aus der Sozialfürsorge<br />

ins Bildungswesen überführt<br />

worden. Den Begriff „Pre<br />

School“ hat man, so erklärt Ann-<br />

Cristine Larssen, die Leiterin der Bildungsabteilung<br />

der schwedischen<br />

Bildungsgewerkschaft Lärarförbundet<br />

nicht aus inhaltlicher Überzeugung,<br />

sondern aus taktischen Gründen<br />

gewählt. Man wollte aus der begrifflichen<br />

Nähe zur Schule Profit<br />

schlagen. Nur so sei es gelungen, die<br />

Kindertagesstätten als Bildungseinrichtungen<br />

zu etablieren. Das wirkt<br />

sich vor allem für das Personal positiv<br />

aus. Die gemeinsame Grundausbildung<br />

aller Pädagoginnen und<br />

Pädagogen, gleich ob sie später in der<br />

„Pre-School“, der „Compulsory<br />

School“ (Grundschule und Sek I)<br />

oder der „Secondary School“ (Sek II)<br />

arbeiten, von drei Semestern mit<br />

anschließenden weitern vier Semestern<br />

Spezialausbildung zahlt sich<br />

aus. Sie verdienen in etwa genauso<br />

viel wie die Lehrerinnen und Lehrer.<br />

Das ist auch eigentlich klar, denn<br />

sie sind ja welche, Pre-School-<br />

Teacher eben.<br />

Ihr Ziel ist, dass die Kinder, wenn<br />

sie mit sechs Jahren in die Schule,<br />

die „Pre-School-Class“ und dann ein<br />

Jahr später in die „Compulsory<br />

School“ kommen, weiter lernen wollen,<br />

mit, wie es Jan Andersen sagt,<br />

„Neugier und Zuversicht“.<br />

Bildung International<br />

Auszug aus dem<br />

schwedischen Curriculum<br />

für die Vorschule<br />

„2.2. Entwicklung und Lernprozess<br />

Die Vorschule soll durch eine pädagogische<br />

Leitlinie charakterisiert werden, in welcher<br />

Fürsorge, Bildung und Lernprozesse eine Gesamtheit<br />

bilden. Pädagogische Aktivitäten<br />

sollen dahingehend ausgeführt werden, dass<br />

sie den Lernprozess und die Entwicklung des<br />

Kindes anregen und herausfordern. Das Lernumfeld<br />

soll offen sein und bereichert werden<br />

durch Inhalte und Attraktivität. Aktivitäten<br />

sollen das Spiel, die Kreativität und den<br />

Spaß am Lernen bestärken. Das Interesse des<br />

Kindes am Lernen von neuen Erfahrungen,<br />

Wissen und Fertigkeiten soll in den Blickpunkt<br />

rücken und bestärkt werden.<br />

Ziele<br />

Die Vorschule soll versuchen, sicherzustellen,<br />

dass Kinder<br />

* ihre Identität und Selbstsicherheit entwikkeln,<br />

* gleichzeitig Neugierde, Freude und die<br />

Lern- und Spielfähigkeit entwickeln,<br />

* ihre Fähigkeit entwickeln zum Zuhören,<br />

Erzählen, Nachdenken und ihre eigenen Meinungen<br />

ausdrücken lernen,<br />

* ihre Fähigkeit entdecken, individuell und<br />

in der Gruppe zu bestehen, mit Konflikten<br />

umzugehen, Rechte und Pflichten zu verstehen<br />

und Verantwortung zu übernehmen für<br />

allgemeine Regeln,<br />

* ihre motorischen Fertigkeiten entwickeln,<br />

die Koordinationsfähigkeit, das Körperbewußtsein<br />

sowie das Verständnis für die Wichtigkeit<br />

ihrer Gesundheit und ihres Wohlbefindens<br />

zu erhalten,<br />

* eine reiche und vielfältige gesprochene Sprache<br />

und die Fähigkeit entwickeln, mit anderen<br />

zu kommunizieren und ihre Gedanken<br />

auszudrücken,<br />

* ihr Interesse an der geschriebenen Sprache<br />

entwickeln, Symbole und deren kommunikative<br />

Funktionen verstehen,<br />

* Kreativität entwickeln, die Fähigkeit ihre<br />

Gedanken und Erfahrungen in vielen verschiedenen<br />

Ausdrucksmöglichkeiten verständlich<br />

zu machen<br />

* die Fähigkeit entwickeln, Mathematik in<br />

sinnvollem Zusammenhang mit Situationen<br />

entdecken und benutzen,<br />

* die grundlegenden Eigenschaften des Nummern-<br />

und Meßsystems schätzen lernen, sowie<br />

die Fähigkeit erlernen, sich in der Zeit<br />

und Raum zu orientieren,<br />

* Verständnis für ihre Einbeziehung in die<br />

natürlichen Abläufe und in einfache wissenschaftliche<br />

Phänomene, wie die Kenntnis von<br />

Pflanzen und Tieren entwickeln können.“<br />

Das vollständige Curriculum ist in deutscher<br />

Übersetzung zu beziehen bei:<br />

Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft,<br />

Hauptvorstand, Reifenberger Str. 21,<br />

60489 Frankfurt am Main, Tel.: 069/<br />

78973-329, Fax: -103, Email:<br />

loensh@gew.de<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

17


Bildung International<br />

Unbehagen über wiederkäuendes Lernen<br />

SchülerInnen in Thailand wollen keine „geklonten Lehrkräfte“ sein<br />

An PISA nahm Thailand<br />

zwar nicht teil, aber<br />

bei der internationalen<br />

Mathematikstudie<br />

TIMSS lag es drei Plätze<br />

vor Deutschland. Die<br />

starke Diskussion um<br />

neuen Unterricht in<br />

Thailand zeigt, wie auch<br />

dort langsam umgedacht<br />

wird.<br />

Pause auf einem thailändischen Campus<br />

in Bangkok. Ein impulsives Gespräch<br />

unter Freunden und die wilde<br />

Idee: Wie wäre es, wenn Lehrkräfte<br />

ihre SchülerInnen selbstständig<br />

denken ließen? Alles lacht, aber der<br />

Humor hat seine grimmige Ironie.<br />

Immer mehr SchülerInnen und Studierende<br />

rebellieren gegen die geistige<br />

Unfreiheit, ein „geklonter Lehrer“<br />

sein zu müssen. Spricht man mit<br />

Thai-Schülerinnen und Schülern, so<br />

klagen alle über das stundenlange<br />

Wettrennen zwischen dem aus einem<br />

Buch an die Tafel schreibenden Lehrer<br />

und dem abschreibenden Schüler.<br />

Busaba hat zwei Töchter, eine studiert<br />

Medizin an einer staatlichen<br />

Universität, die andere lernt in einer<br />

12. High-School-Klasse. „Wir müssen<br />

das ganze thailändische Schulsystem<br />

neu beleben“, fordert sie, „wir<br />

müssen umkehren vom reinen Gedächtnislernen<br />

zu einem schülerzentrierten<br />

Lernen“. Verärgert prangert<br />

sie das „gehirnlose Training“ in der<br />

Schule und Hochschule an. Thai-<br />

Lehrer unterrichten, ohne die Schüler<br />

denken zu lehren, und die Schüler<br />

wiederholen nur, was die Lehrer<br />

sagen“. Auf dieser Grundlage laufen<br />

alle Testvorbereitungen in Schule und<br />

Hochschule in Thailand. Die Tests,<br />

sagt Busaba, verlangten nur Erinnerung.<br />

Ein Mensch mit dem Gehirn<br />

eines Esels, aber mit Informationen<br />

vollgestopft, die er sich in der Nacht<br />

zuvor eingetrichtert habe, könne über<br />

einen Genius triumphieren, der<br />

schlecht geschlafen habe.<br />

Das Unbehagen über ein solches Lernen<br />

wächst in der thailändischen Ge-<br />

sellschaft. Die „Bangkok Post“<br />

spricht von „Erasing Errors“ und<br />

meint damit das bisherige wiederkäuende<br />

Lernen. („Thai people are<br />

mostly products of the „rote-memory<br />

teaching-learning process“). Die<br />

meisten Thais, meint das Blatt, lernten<br />

nicht, wie man lernt. Deshalb<br />

fehlten ihnen die logische und wissenschaftliche<br />

Denkfähigkeit, wichtige<br />

Voraussetzungen, um in einer<br />

künftigen Wissensgesellschaft und in<br />

der Globalisierung bestehen zu können.<br />

„Das Fehlen einer qualitätsorientierten<br />

Erziehung macht die Thailänder<br />

verletzlich für ökonomische<br />

und soziale Probleme“. Dieser Ansicht<br />

ist auch die Regierung, genauer<br />

das „Office of the National Education<br />

Commission“ (ONEC) und<br />

sucht seit 1999 nach Reformwegen.<br />

Im Zentrum ihrer Bemühungen<br />

steht die Unterrichtsentwicklung,<br />

vom „rote-memory teachinglearning<br />

process“ zum „learner-centred<br />

teaching-learning process“.<br />

Viele Lehrkräfte in Thailand fühlen<br />

sich freilich allein gelassen. So titelte<br />

die „Sunday Nation“ zum „Tag<br />

des Lehrers“. „Teachers feel alone in<br />

education-reform fight“. Pussanee,<br />

ein Lehrer aus Bangkok, hält es für<br />

notwendig, den bisherigen Frontalunterricht<br />

zu verlassen, um seinen<br />

Schülern mehr Lernfreiheit einzuräumen,<br />

aber er sagt auch, „I want<br />

to change my teaching methods, I<br />

don’t know how?“ Tausende seiner<br />

Kolleginnen und Kollegen würden<br />

ähnlich denken, aber wenn schon<br />

das Geld in den Schule fehle, um<br />

naturwissenschaftliche Experimente<br />

durchführen zu können, dann noch<br />

viel mehr für eine Nachqualifizierung<br />

der thailändischen LehrerInnen.<br />

Viele KollegInnen, weiß Chusri,<br />

ein 48jähriger Chemielehrer zu<br />

berichten, bastelten ihr eigenes Unterrichtsmaterial<br />

mit Fotos und<br />

Dias. Dies, fügt er hinzu, mag nicht<br />

auf der didaktischen Höhe der Zeit<br />

sein, sei aber immer noch besser als<br />

gar nichts.<br />

Paul Schwarz<br />

Bücherspalte<br />

<strong>GEW</strong>-Handbuch für Lehrerinnen<br />

und Lehrer<br />

4. Auflage 1998 Loseblattausgabe<br />

- Gesamtwerk mit Spezialordner<br />

3. überarbeitete Fassung<br />

Stand Juni 2001<br />

Das rund 1.400 Seiten starke<br />

Werk enthält alle wichtigen Gesetze<br />

und Verwaltungsvorschriften<br />

für den Schulbereich in<br />

<strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>.<br />

Mitglieder: 19,90 €,<br />

Nichtmitglieder: 31,00 €<br />

zzgl. Porto<br />

Beamtenversorgungsrecht<br />

In dieser <strong>GEW</strong>-Broschüre wird<br />

die Berechnung des Ruhegehalts<br />

dargestellt. Grundlage ist das ab<br />

1. Januar 1992 geltende Beamtenversorgungsrecht<br />

i.d.F. der<br />

Änderungsgesetze 1997, 1998<br />

und 2000.<br />

6. Aufl. 2001, 230 Seiten<br />

€ 4,00 zuzügl. Porto<br />

BAT/BAT-O<br />

Textfassung mit Erläuterungen<br />

343 Seiten, 7.Aufl.2000/2001<br />

€ 4,00 zzgl. Porto<br />

Bundeserziehungsgeldgesetz<br />

Mit den Bestimmungen über Erziehungsgeld<br />

und Elternzeit sowie<br />

Erläuterungen<br />

10. Aufl.2001, 50 Seiten<br />

€ 1,65 zzgl. Porto<br />

Methoden des lebendigen<br />

Lernens<br />

Die von Prof. Dr. Arnold und<br />

Dipl.Päd. Ingeborg Schüßler als<br />

Heft Nr. 1 der Reihe „Pädagogische<br />

Materialien der Universität<br />

Kaiserslautern“ herausgegebene<br />

Broschüre beinhaltet alle im Verlauf<br />

eines handlungsorientierten<br />

Methodenseminars erprobten<br />

Methoden inklusive anschaulicher<br />

Beispiele, Anwendungsfelder<br />

und Einsatzbewertungen.<br />

Auch die 2.Auflage ist wieder<br />

durch die <strong>GEW</strong> veröffentlicht.<br />

€ 3,60 zuzügl. Porto<br />

Bestellungen an:<br />

<strong>GEW</strong> <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />

Neubrunnenstr. 8 · 55116 Mainz<br />

18 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


Schulen<br />

„Sparversion ohne pädagogisches Reformkonzept“<br />

Die Grünen kritisieren Umsetzung der Ganztagsschulpläne der Landesregierung<br />

Die im Landtagswahlkampf 2000/<br />

2001 bundesweit als bildungspolitische<br />

Innovation angekündigte Einführung<br />

von mehr Ganztagsschulen<br />

in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> entwickelt sich<br />

für Bündnis 90 / Die Grünen im<br />

Landtag zu einem Paradigmen-<br />

Wechsel auf Sparflamme.<br />

„Der Lack ist schneller ab als wir erwartet<br />

hatten. Wie schon bei der<br />

Vollen Halbtagsschule bleibt auch bei<br />

der Ganztagsschule die pädagogische<br />

Innovation und Versorgung mit<br />

Lehrkräften hinter den vollmundigen<br />

Ankündigungen der Landesregierung<br />

zurück. Das Ganztagsschul-Angebot<br />

wird weder flächen- noch bedarfsdekkend.<br />

Mutige Schritte nach dem Vorbild<br />

von Nordrhein-Westfalen hin zu<br />

mehr Freiheit für die Schulen werden<br />

nicht gegangen“, erklärt Nils<br />

Wiechmann, bildungspolitischer<br />

Sprecher von Bündnis 90 / Die Grünen<br />

im Landtag.<br />

Bei der Lehrkräftezuweisung falle die<br />

Landesregierung bei den neuen<br />

Ganztagsangeboten hinter die Standards<br />

der bereits bestehenden sieben<br />

„verpflichtenden Ganztagsschulen“<br />

in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> zurück.<br />

Die neuen Ganztags-Grundschulen<br />

werden um bis zu 10 Lehrerwochenstunden<br />

schlechter gestellt als die<br />

bereits bestehenden beiden verpflichtenden<br />

Ganztags-Grundschulen. Für<br />

die Mindest-SchülerInnenzahl von<br />

36 für die neuen Ganztagsangebote<br />

an Grundschulen sieht die Landesregierung<br />

zusätzlich nur 26 Lehrerwochenstunden<br />

vor. An den bereits<br />

bestehenden zwei verpflichtenden<br />

Ganztags-Grundschulen und drei<br />

Ganztags-Hauptschulen erhalten<br />

derzeit für die gleich Schülerzahl 32<br />

bis 36 Lehrerwochenstunden zusätzlich.<br />

„Schon aus diesen Zahlen wird deutlich,<br />

dass die Standards für die zusätzlichen<br />

Ganztagsschul-Angebote<br />

abgesenkt werden. Für die SchülerInnen<br />

werden zwar zusätzliche Betreuungsmittel<br />

zur Verfügung gestellt, die<br />

aber um ein Drittel geringer ausfal-<br />

len als die bisher als pädagogisch<br />

notwendig erachteten und finanzierten<br />

Mittel“, so Nils Wiechmann.<br />

Weder flächen- noch bedarfsdeckend<br />

Welche Eltern in naher Zukunft mit<br />

einem Ganztagsschul-Angebot rechnen<br />

können, entscheidet bei den<br />

Ausbauplänen der Landesregierung<br />

das Glück des richtigen Wohnortes.<br />

Drei Grundschulen pro Landkreis<br />

oder kreisfreier Stadt bzw. nur 17%<br />

der Grundschulen in <strong>Rheinland</strong>-<br />

<strong>Pfalz</strong> können weder als flächendekkendes<br />

noch als bedarfsdeckendes<br />

Angebot bezeichnet werden. Einer<br />

geschätzten Nachfrage nach Ganztagsbetreuung<br />

für 30 bis 40 Prozent<br />

der SchülerInnen in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />

steht ein Angebot von fünf bis zehn<br />

Prozent gegenüber.<br />

Ehrenamt überfordert<br />

Große Hoffnungen setzt die Landesregierung<br />

auf die Anwerbung von<br />

Honorar-Kräften aus (Sport-)Vereinen,<br />

Verbänden, Musikschulen und<br />

der Wirtschaft, und zwar mit doppelter<br />

Zielsetzung: Diese außerschulischen<br />

ExpertInnen sollen erheblich<br />

billiger sein als beamtete Lehrkräfte<br />

und gleichzeitig fehlende pädagogische<br />

und fachliche Qualifikationen<br />

mitbringen. Auf der Anhörung von<br />

Bündnis 90 / Die Grünen im Landtag<br />

machten zahlreiche Verbände<br />

deutliche Fragezeichen hinter den<br />

zur Verfügung stehenden Ressourcen<br />

für eine große Zahl von regelmäßigen<br />

zusätzlichen Betreuungsangeboten.<br />

Landessportbund, Landesjugendring,<br />

der Landesverband der Musikschulen,<br />

der Landesmusikrat und die<br />

Evangelische Jugend wiesen für ihre<br />

Übungsleiter, Jugendgruppenleiter<br />

und Musikpädagogen großen Nachholbedarf<br />

hin, wenn neue, zusätzliche<br />

Aufgaben an den Ganztagsschulen<br />

übernommen werden sollen.<br />

Notwendig sei die Anwerbung und<br />

pädagogisch-didaktische Qualifizierung<br />

einer großen Zahl von zusätzlichen<br />

ehrenamtlichen Kräften. Erschwerend<br />

kommt hinzu, dass bereits<br />

viele in den Verbänden und Vereinen<br />

tätige im Hauptberuf bereits<br />

Lehrkräfte seien.<br />

Pädagogische Klammer<br />

fehlt<br />

Ministerpräsident Beck legt vor allem<br />

in den öffentlichen Darstellung<br />

großen Wert auf die besseren Förderung<br />

insbesondere von lernschwächeren<br />

Schülerinnen und Schüler.<br />

Durch die Ausgliederung dieser Förderangebote<br />

in den Nachmittag entsteht<br />

der unerwünschte Nebeneffekt,<br />

dass der zusätzliche Nachmittagsunterricht<br />

als Strafe, als Nachsitzen begriffen<br />

wird. Hochbegabte lassen sich<br />

durch Zusatzangebote am Nachmittag<br />

schon gar nicht besser integrieren.<br />

Nach Ansicht der Grünen ist<br />

Becks Konzept allein nicht ausreichend<br />

und in sich kontraproduktiv.<br />

Fördermaßnahmen müssen integrale<br />

Bestandteile des Regelunterrichts<br />

bleiben und werden.<br />

„Die Eckpunkte von Ministerpräsident<br />

Beck und Ministerin Ahnen für<br />

ein Ganztagskonzept bieten keinen<br />

Ausblick auf die dringend notwendige<br />

pädagogische Reform der Schulausbildung.<br />

Den einzelnen pädagogischen<br />

Elementen und Begründungen<br />

für das Ganztags-Angebot fehlt<br />

die pädagogische Klammer. Floskeln<br />

kombiniert mit einer Minimalausstattung<br />

reichen nicht für einen neuen<br />

Schultyp am Anfang eines neuen<br />

Jahrtausends. Das rheinland-pfälzische<br />

Ganztagsschul-Angebot wirkt<br />

wie die Fortsetzung des tradierten,<br />

mit vielschichtigen Problemen belasteten<br />

Unterrichts am Vormittag -<br />

mit angekoppelter Zusatzbetreuung<br />

am Nachmittag“, so Nils Wiechmann.<br />

pm-bg<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

19


Schulen<br />

Erfahrungen mit Prämien<br />

Peinliches Schweigen<br />

Wer bei uns vom Schulleiter ausgeguckt<br />

wurde, erfuhr ich durch Zufall, weil der<br />

betroffene Kollege es mir erzählte, gewissermaßen<br />

unter dem Schock der Peinlichkeit -<br />

später hat er es sicher bereut. Aus vorausgegangenen<br />

Gesprächen - vor der Nominie-<br />

Gehirn an der Garderobe abgeben<br />

Die Verteilung der so genannten Leistungsprämien<br />

beschäftigt nicht nur die Kollegien<br />

und die <strong>GEW</strong>. Nein, auch in Schulleiterdienstbesprechungen<br />

sind sie ein Thema.<br />

Allerdings in sehr beschränktem Rahmen.<br />

Die Vorgabe, dass die in den Kollegien zu<br />

erarbeitenden Vergabekriterien auch rückwirkend<br />

für die zwei vergangenen Schul-<br />

rung! - war klar, dass alle, auch die Schulleitung,<br />

die Prämierung für ziemlich dämlich<br />

halten. Der betroffene Kollege plant<br />

auch demnach, das Geld zu spenden, entweder<br />

der Lehrerkasse oder dem Förderverein.<br />

Ich habe mich dann auf den einschlägigen<br />

websites (Ministerium, <strong>GEW</strong>, VBE) schlau<br />

gemacht und festgestellt, dass die große Peinlichkeit<br />

doch wohl zu vermeiden gewesen<br />

jahre anzuwenden seien, stieß bei solch einer<br />

Veranstaltung auf Widerspruch. Außerdem<br />

„wagten“ es SchulleiterInnen, den Sinn<br />

von Leistungsprämien in Form von Geld<br />

als Mittel zur Motivations- und Qualitätssteigerung<br />

anzuzweifeln.<br />

Das war schon zu viel der Diskussion. Ein<br />

Schulaufsichtsbeamter wies denn auch<br />

prompt die „aufmüpfigen“ SchulleiterInnen<br />

Prämien belasten Beziehungsgefüge<br />

An meiner Schule, der Sonderschule am<br />

Beilstein in Kaiserslautern, wird die leistungsbezogene<br />

Honorierung abgelehnt,<br />

weil sie den Schulfrieden nachhaltig negativ<br />

beeinflusst. Prämien sind kein geeignetes<br />

Mittel, Zufriedenheit, Motivation<br />

und Qualität in der Schule zu steigern.<br />

Deshalb wurden die Prämien, die<br />

in modifizierten Formen in anderen Bundesländern<br />

entwickelt wurden, wieder<br />

abgeschafft. In der „freien Marktwirtschaft“<br />

werden Prämien, Zulagen und<br />

Gewinnbeteiligungen streng geheim zugewiesen,<br />

um Nichtprämienbezieher<br />

nicht zu demotivieren. Enttäuschungen<br />

sind bei der transparenten leistungsbezogenen<br />

Honorierung abzusehen.<br />

Wer will leugnen, dass nicht der überwiegende<br />

Teil aller LehrerInnen zufrieden<br />

stellende bis gute Leistungen Tag für<br />

Tag abliefert? Gutes Leistungsverhalten<br />

entwickelt sich aus dem persönlichen Engagement<br />

und ist vorwiegend intrinsisch<br />

motiviert. Eine Extraprämie für das gute<br />

Leistungsverhalten hat keine Auswirkungen.<br />

Eher Lob, Ermutigung, Aufmerksamkeit<br />

und konstruktive Kritik durch<br />

die Schulleitung sind motivationsfördernd.<br />

Genau das Gegenteil wird durch<br />

die leistungsbezogene Honorierung erreicht.<br />

Das Verhältnis Lehrerschaft und<br />

Schulleitung wird durch eine subjektive,<br />

materialistische Komponente belastet.<br />

wäre, weil die Vergabe an ein Team und<br />

die Möglichkeit der Anrechnungsstunde<br />

nach der Modifizierung durchaus drin<br />

wäre. Unser Personalrat hüllt sich jetzt aber<br />

auch in peinliches Schweigen, und ich habe<br />

sehr den Mut verloren, meinen Protest kund<br />

zu tun oder auch nur anderen Kollegen etwas<br />

darüber zu erzählen (die meisten haben<br />

vergessen, dass da was ist...). Kurz und<br />

schlecht: In unserer Schule ist die Sache so<br />

gelaufen, wie sie ursprünglich geplant war,<br />

Protest und Modifizierung umsonst.<br />

Barbara Fertsch-Röwer-Portsch<br />

konsequent in ihre Schranken: „Darf ich<br />

Sie daran erinnern, dass Sie Beamte sind.<br />

Diese Vorschrift kommt aus dem Ministerium,<br />

und deshalb haben Sie als Beamte<br />

das kommentarlos umzusetzen!“<br />

Glückwunsch! Unsere Ministerin kann stolz<br />

auf solche SchulaufsichtsbeamtInnen sein.<br />

Es geht doch nichts über BeamtInnen, die<br />

ihr demokratisches Denken beim Betreten<br />

von Dienstgebäuden an der Garderobe abgeben.<br />

n.g.<br />

Das Beziehungsgefüge wird durch die<br />

Geld- oder Zeitprämie neu definiert.<br />

Zudem kommt der Personalvertretung<br />

(ÖPR) bei der Honorierung kein Mitbestimmungsrecht<br />

zu. Eine „Erörterung“<br />

mit dem QPR kann einen evtl. Missbrauch<br />

seitens der Dienststelle prinzipiell<br />

nicht verhindern. Eine leistungsbezogene<br />

Honorierung für wenige Lehrerinnen<br />

und Lehrer schafft keine neuen Anreize,<br />

sondern erzeugt Verlierer. Es entsteht<br />

eine neue Gruppe der Nichtprämienbezieher.<br />

Prämienbezieher müssen mit Stigmatisierungen<br />

rechnen, wenn sie zur „Lehrerin<br />

oder zum Lehrer des Jahres 2001“<br />

gekürt werden. Durch die Transparentmachung<br />

der Leistungsprämienbezieher<br />

werden auch Eltern letztendlich erfahren,<br />

welche Lehrerin und welcher Lehrer zu<br />

den Gewinnern zählen werden. Von<br />

Nichtprämienbeziehern und Verlierern<br />

wollen manche Eltern ihre Kinder vielleicht<br />

nicht mehr unterrichten lassen. Ein<br />

negatives Ranking ist vorprogrammiert.<br />

Im Sonderschulbereich ist die Kritik an<br />

der leistungsbezogenen Honorierung besonders<br />

massiv. Viele Lehrerinnen und<br />

Lehrer stehen der Ellenbogengesellschaft,<br />

die mit verantwortlich ist für die sozikulturelle<br />

Benachteiligung mancher Kinder,<br />

kritisch gegenüber. Die Wahrnehmung<br />

und Betonung der intraindividuellen<br />

Leistungen bei Schülerinnen und<br />

Schülern, aber auch bei Lehrerinnen und<br />

Lehrern sind Teil des Menschenbildes der<br />

Sonderpädagogik. Unterschiedliches Leistungsverhalten<br />

wird nicht überbewertet.<br />

Stets steht der Mensch im Mittelpunkt der<br />

Betrachtungsweise.<br />

Der pädagogische Lernort Schule verträgt<br />

keine Ellenbogenmentalität.<br />

In der Sonderschule arbeitet eine Gruppe<br />

von Lehrerinnen und Lehrern im Sinne<br />

der Dienstordnung. die sog. Pädagogischen<br />

Fachkräfte. Die Nichteinbeziehung<br />

dieser Gruppe ist in den Sonderschulen<br />

nicht vermittelbar, führt zu massiven<br />

Unstimmigkeiten und vergiftet die<br />

Schulatmosphäre.<br />

Eine demokratische Form, Zeitprämien<br />

zu verteilen und ohne Eintragung in die<br />

Personalakte von Lehrerinnen und Lehrer<br />

vorzunehmen, wäre die Erhöhung der<br />

sog. Drittelpauschale um den erwirtschafteten<br />

Anteil der BeamtInnen. Die Verfügungsstunden<br />

werden im Rahmen der<br />

Gesamtkonferenz jedes Jahr neu an engagierte<br />

Lehrerinnen und Lehrer verteilt.<br />

Udo Kaiser<br />

20 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


Schulen<br />

Chancen für bessere Arbeitsbedingungen in den Schulen<br />

SchülerInnenprognose für die allgemeinbildenden Schulen bis 2012/13<br />

Das Statistische Landesamt erarbeitet<br />

in Abständen regionale Schülerprognosen<br />

und gibt damit den bildungspolitisch<br />

Interessierten wichtiges<br />

Zahlenmaterial an die Hand.<br />

Auf einige wesentliche Ergebnisse<br />

gilt es aufmerksam zu machen, um<br />

aus ihnen die angemessenen Folgerungen<br />

zu ziehen.<br />

Tabelle 1: Entwicklung der Anzahl der Erstklässler:<br />

2001/02 2002/03 2003/04 2004/05 2005/06 2006/07 2007/08 2008/09 2009/10 2010/11 2011/12 20012/13<br />

43.709 43.807 44.695 43.698 41.653 40.595 39.606 38.631 37.747 36.946 36.267 35.717<br />

100,0% 100,2% 102,3% 100,0% 95,3% 92,9% 90,6% 88,4% 86,4% 84,5% 83,0% 81,7%<br />

Nach einem leichten Anstieg nimmt die Anzahl der Erstklässler bis 2012/13 um 18,3% ab.<br />

Tabelle 2: Entwicklung der Anzahl der GrundschülerInnen:<br />

2001/02 2002/03 2003/04 2004/05 2005/06 2006/07 2007/08 2008/09 2009/10 2010/11 2011/12 2012/13<br />

178.974 175.976 174.448 172.949 170.786 167.646 162.800 157.859 153.962 150.367 147.089 144.226<br />

100,0% 98,3% 97,5% 96,6% 95,4% 93,7% 91,0% 88,2% 86,0% 84,0% 82,2% 80,6%<br />

Die Anzahl der GrundschülerInnen<br />

verringert sich im obigen Zeitraum<br />

um 19,4%. Dies muss als Chance<br />

verstanden werden, die Bedingungen,<br />

unter denen die SchülerInnen<br />

lernen und die Lehrkräfte arbeiten,<br />

deutlich zu verbessern. Das heißt<br />

dafür zu sorgen, dass die tatsächlichen<br />

Klassengrößen sich um die<br />

zwanzig SchülerInnen bewegen und<br />

die Lehrerstunden, die je Kind zur<br />

Verfügung stehen, deutlich angehoben<br />

werden. Dies ist als eine Maßnahme<br />

geboten, wenn die Ergebnisse<br />

von PISA ernst genommen werden.<br />

Tabelle 3: Entwicklung der Übergänge in die Klassenstufe 5:<br />

2001/02 2002/03 2003/04 2004/05 2005/06 2006/07 2007/08 2008/09 2009/10 2010/11 2011/12<br />

43.903 43.335 42.303 40.974 40.956 41.743 40.903 39.077 38.027 37.108 36.194<br />

100,0% 98,7% 96,4% 93,3% 93,3% 95,1% 93,2% 89,0% 86,6% 84,5% 82,4%<br />

Bei der Zahl der ÜbergängerInnen<br />

in die Sekundarstufe I ist ein Rückgang<br />

von 17,6% prognostiziert.<br />

Dieser Rückgang muss genutzt werden,<br />

um mehr SchülerInnen sowohl<br />

im ländlichen als auch im städtischen<br />

Bereich einen Zugang in die Integrierte<br />

Gesamtschule zu verschaffen.<br />

Durch das wohnortnahe Zusammenführen<br />

bisher getrennter Bildungsgänge<br />

in der Sekundarstufe I<br />

kann der strukturellen Benachteiligung<br />

der SchülerInnen entgegen getreten<br />

werden.<br />

Das Förder- und Forderpotenzial<br />

muss verstärkt werden, um allen -<br />

auch den Benachteiligten - die Chance<br />

zu geben, mit den gesellschaftlichen<br />

und beruflichen Anforderungen<br />

gut fertig zu werden.<br />

PISA fordert uns dazu auf, genau in<br />

diese Richtung mutige Schritte zu<br />

gehen.<br />

Dieter Ross<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

21


Schulen<br />

„MARKUS“: War da was?<br />

Keine Auswirkungen auf den Unterricht<br />

TIMSS, MARKUS, PISA und wie sie alle heißen: Über den Sinn von Vergleichsuntersuchungen<br />

lässt sich trefflich streiten. Nur, unstrittig müsste<br />

sein, dass die Tests nur dann Sinn machen, wenn aus ihren Ergebnissen<br />

Konsequenzen gezogen werden. Ob das tatsächlich geschieht, untersucht<br />

unser Mitarbeiter Paul Schwarz am Beispiel der rheinlandpfälzischen<br />

Mathematikuntersuchung „MARKUS“.<br />

„Jeder macht seinen Unterricht wie<br />

bisher auch“, erzählt eine Mathematiklehrerin<br />

aus einem pfälzischen<br />

Gymnasium. Spricht man mit SchulleiterInnen<br />

und Lehrkräften im Land,<br />

so hat die Mathematikuntersuchung<br />

MARKUS in den Schulen so gut wie<br />

keine Spuren hinterlassen. Zur Erinnerung:<br />

An MARKUS nahmen letztes<br />

Jahr in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> knapp 38<br />

000 Schülerinnen und Schüler aller<br />

achten Klassen (außer Sonderschulen)<br />

teil. Hört man sich in den Schulen<br />

um, was der Test für den alltäglichen<br />

Mathematikunterricht gebracht<br />

hat, regen sich viele auf („Geldverschwendung“),<br />

winken enttäuscht ab<br />

(„Glühwürmcheneffekt“), lachen<br />

(„war da was?“) oder antworten stereotyp<br />

„nichts“. Für die meisten Lehrkräfte<br />

sind die Ergebnisse wenig erhellend<br />

und hilfreich gewesen, z.B.<br />

dass die Unterrichtsmethoden bei den<br />

meisten Lehrkräften kaum variieren<br />

oder dass besonders leistungsstarke<br />

Klassen günstige häusliche Lernbedingungen<br />

vorfinden. „Es wurde be-<br />

stätigt, was wir eh schon wussten“,<br />

fasst der Leiter einer Realschule zusammen,<br />

was viele in den Kollegien<br />

denken. „Wir brauchen endlich konkrete<br />

Hilfe von außen, keine solchen<br />

Tests und bitte keine unterrichtsfernen<br />

Verordnungen über Schulprogramme<br />

und Schulprofile“, empört<br />

sich eine Mathematiklehrerin aus<br />

dem Norden des Landes. PISA habe<br />

ja wieder deutlich gezeigt, „was uns<br />

Lehrkräften abgehobene Konzepte<br />

von Qualitätsmanagement gebracht<br />

haben - nichts“. Nur wenige aus den<br />

Schulen berichten von einem „konstruktiven<br />

Umgang“ mit den Ergebnissen,<br />

ohne freilich daraus unterrichtliche<br />

Konsequenzen ableiten zu<br />

können. „Diskutiert wurde MAR-<br />

KUS an unserem Gymnasium nicht“,<br />

kommentiert ein Schulleiter aus Ludwigshafen<br />

diesen flächendeckenden<br />

und aufwendigen Test. Noch schärfer<br />

urteilt <strong>GEW</strong>-Vorsitzender Tilman<br />

Boehlkau: „Diese Tests nützen nur<br />

Politikern, die die Bevölkerung beruhigen<br />

wollen.“<br />

Wie letztendlich die MARKUS-<br />

Rückmeldungen in den Schulen angekommen<br />

sind, ob (und wenn ja,<br />

warum) sie in den Schulen verstanden<br />

und akzeptiert wurden, was dort<br />

versickerte und verpuffte, ist laut<br />

Prof. Andreas Helmke von der Universität<br />

Koblenz-Landau Gegenstand<br />

von MARKUS III. Helmke und sein<br />

Kollege Prof. Reinhold Jäger haben<br />

den landesweiten Mathematiktest<br />

entwickelt, betreut und ausgewertet.<br />

TIMSS, die internationale Mathematikstudie,<br />

erinnert sich Jäger, habe<br />

auf Grund des schlechten Abschneidens<br />

der deutschen Mädchen und<br />

Jungen sehr beängstigend auf die<br />

Lehrerinnen und Lehrer gewirkt.<br />

MARKUS gebe nun eine gewisse<br />

Entwarnung und ermutige die Lehrerschaft,<br />

zumindest was <strong>Rheinland</strong>-<br />

<strong>Pfalz</strong> betreffe. Denn bezogen auf den<br />

TIMSS-Teil von MARKUS schnitten<br />

die <strong>Rheinland</strong>-Pfälzer besser ab<br />

als die deutschen Schülerinnen und<br />

Schüler. Eine weitere Erkenntnis aus<br />

dem jetzt fertiggestellten Endbericht<br />

zu MARKUS II. Es ist nicht so wichtig,<br />

wie viel, wie lange und was unterrichtet<br />

wird, sondern wie man<br />

lernt. Jägers Folgerung: „Wir brauchen<br />

eine neue Lernkultur und neue<br />

Lernstrategien, um ein eigenverantwortliches<br />

und nachhaltiges Lernen<br />

der Schülerinnen und Schüler zu befördern.“<br />

Der „methodische Part der<br />

Kompetenzen“ werde nach Auffassung<br />

von Jäger in unseren Schulen<br />

nicht systematisch geschult, auch die<br />

Lehrkräfteausbildung an den Hochschulen<br />

versage in diesem<br />

Punkt. Im Zentrum der pädagogischen<br />

Schulentwicklung<br />

betonen Jäger und Helmke<br />

übereinstimmend, müsse der<br />

Unterricht stehen. Ob dieses<br />

Ziel freilich mit Tests zu erreichen<br />

ist, daran zweifeln Fachleute.<br />

„Wir haben kein Erkenntnisproblem,<br />

wir haben ein Kompetenzproblem“,<br />

meint Dr.<br />

Heinz Klippert. „Diese Tests<br />

tragen nicht dazu bei, eine<br />

Kompetenzentwicklung bei<br />

den Lehrerinnen und Lehrern<br />

zu erreichen.“ Im Gegenteil,<br />

pädagogische Experten wie Altmeister<br />

Wolfgang Klafki oder<br />

Rolf Arnold, Professor an der<br />

22 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


Universität Kaiserslautern, halten die<br />

Tests für kontraproduktiv, „weil sie<br />

uns in die alte Paukschule zurückwerfen“<br />

und „das Sachwissen zu stark<br />

gewichtet wird“. Arnold : „Die<br />

’Krankheit‘ in unseren Schulen ist der<br />

Wissenserwerbsunterricht“. „Entwikkeln<br />

statt vermessen“ fordert deshalb<br />

auch Botho Priebe vom IFB Speyer.<br />

„Bloße Defizitanalysen werden Schulen<br />

eher entmutigen, statt sie zu motivieren.<br />

Wer Leistung will, muss Lernen<br />

fördern.“ Statt teurer Tests, so die<br />

einhellige Meinung der Fachleute,<br />

müssten Lehrerinnen und Lehrer zuerst<br />

für einen nachhaltigeren Unterricht<br />

nachqualifiziert werden,<br />

Schulen<br />

bräuchten sie Training, praktische Innovationsberatung<br />

und breiten Unterstützungsservice.<br />

Durch die Tests,<br />

meint Klippert, fühlten sich die Lehrkräfte<br />

ohnmächtig und verkannt,<br />

ständig bekämen sie eins draufgedrückt<br />

und ihre Minderwertigkeit vor<br />

Augen geführt. So auch jetzt wieder<br />

nach den für Deutschland wenig<br />

schmeichelhaften Ergebnissen von<br />

PISA. „Lehrer“, hält Klippert diesen<br />

Tests entgegen, „machen keinen<br />

schlechten Unterricht, weil sie bösartig<br />

sind. Sie tun nur das, was sie an<br />

der Hochschule gelernt haben: dozentenhaft<br />

zu lehren und Wissen zu vermitteln,<br />

statt zu moderieren und eigenverantwortliche<br />

Lernprozesse ihrer<br />

Schüler anzuregen“. Gefördert<br />

werden sollten, so Klippert in Übereinstimmung<br />

mit der „Wissens- und<br />

Bildungsdelphi“, einer vom Bundesministerium<br />

für Wissenschaft und<br />

Forschung 1997 initiierten Umfrage<br />

bei Experten aus Wirtschaft und Wissenschaft,<br />

insbesondere projektbezogenes<br />

Lernen, selbstgesteuerte Lernformen<br />

und psychosoziale Kompetenzen<br />

wie Kommunikations- und<br />

Teamfähigkeit - und Teamkompetenzen“<br />

trainiert und „kooperative und<br />

schüleraktivierende Lernarrangements“<br />

realisiert.<br />

Besserer Unterricht, neue Lernkultur<br />

Wörther Regionalschule beispielhaft für das Fernsehen<br />

„Man lernt besser und schneller“,<br />

meint Noosreddi aus der 10 a, und<br />

Kathrin ergänzt, „man kann selbstständiger<br />

arbeiten, als wenn ein<br />

Lehrer uns von vorne ständig zutextet“.<br />

Im Sozialkundeunterricht von<br />

Marc Golon sind die Schülerköpfe<br />

nicht wie in einer geschlossenen<br />

Formation auf den Lehrer vorne<br />

ausgerichtet, keiner hängt an dessen<br />

Lippen. Die Zehntklässler sitzen<br />

zu fünft an Tischen, brüten über<br />

Texten und lassen sich auch von<br />

neugierigen Presseleuten nicht ablenken.<br />

Thema: Die Institutionen der EU.<br />

In jeder Fünfergruppe befasst sich<br />

ein Schüler mit einer Textvorlage,<br />

z.B. über das Europäische Parlament,<br />

den Ministerrat oder die Europäische<br />

Kommission, nicht gerade Texte, die<br />

einem vom Hocker reißen. Lehrer<br />

Marco Golon verlässt zeitweise den<br />

Raum, ohne dass das Chaos ausbricht.<br />

Konzentriert und leise wird<br />

weitergearbeitet. Mit einem Marker<br />

unterstreicht jeder die Informationen,<br />

die für ihn wichtig sind, und<br />

schreibt sich das eine oder andere<br />

Stichwort an den Textrand. Nach 15<br />

Minuten löst sich die Gruppe auf,<br />

und eine neue bildet sich: die Expertenrunde,<br />

also diejenigen, die den<br />

gleichen Text behandelt haben, beispielsweise<br />

den über das Parlament<br />

in Straßburg. Diese Fachleute besei-<br />

tigen im gemeinsamen Gespräch<br />

letzte Unsicherheiten im Textverständnis,<br />

besprechen, wie sie den<br />

Inhalt den anderen in der Klasse mit<br />

Hilfe kleiner Lernplakate vermitteln<br />

können und arbeiten im Team an der<br />

Präsentation des Textthemas.<br />

Lehrer Golon ist zwar anwesend,<br />

agiert aber nur, wenn die Schüler<br />

nicht mehr weiterkommen und<br />

zwangsläufig den Lehrer fragen müssen.<br />

Bis es soweit ist, helfen Tischnachbarn<br />

weiter oder Nachschlagebücher<br />

in der Mitte des Raums.<br />

In der Regionalschule Wörth lernen<br />

die Mädchen und Jungen anders als<br />

an den meisten Schulen. Und was<br />

bringt so etwas? „Ich lerne eigenverantwortlich,<br />

traue mir mehr zu und<br />

gehe auch leichter auf andere Leute<br />

zu als früher“, sagt Bianca. „Das, was<br />

eben heute auch im Betrieb gefragt<br />

ist, Teamfähigkeit und so“, fasst Nicole<br />

zusammen. „Wir erreichen mit<br />

den neuen Methoden unsere Schüler<br />

besser als früher“, bilanziert<br />

Schulleiter Joachim Paul, und Lehrer<br />

Golon interpretiert seine neue<br />

Lehrerrolle so: „Mich entlastet es,<br />

wenn ich den Unterrichtsprozess<br />

moderiere, wenn ich beratend tätig<br />

bin und nicht immer den großen<br />

Zampano spielen muss“.<br />

Die Wörther Regionalschule gehört<br />

zu den 44 Modellschulen in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>,<br />

die wie zahlreiche andere<br />

Schulen in Deutschland nach dem<br />

Konzept des Lehrerbildners Dr.<br />

Heinz Klippert aus Landau lernen.<br />

Gelernt haben an diesem Vormittag<br />

auch andere Lehrerinnen und Lehrer.<br />

Sie saßen im Unterricht und hospitierten,<br />

auch das ein Novum in den<br />

meisten deutschen Schulen. Vermittelt<br />

wurde ihnen die neue Lernkultur<br />

durch das persönliche Erleben in<br />

der Klasse und auch durch ein von<br />

Klippert ausgebildetes Trainertandem,<br />

das ebenfalls im Unterricht<br />

dabei war. Trainer, Lehrkräfte und<br />

Fachlehrer Golon zogen sich dann<br />

zur Besprechung der Stunde zurück.<br />

Gemeinsam werden sie in der nächsten<br />

Woche neue Lernspiralen für ein<br />

Methodentraining in der fünften<br />

Klasse erarbeiten. Und weil diese<br />

neue Lernkultur noch nicht überall<br />

Unterrichtsstandard ist, aber nach<br />

PISA Not tut, transportiert das Fernsehen<br />

gern solche guten Beispiele.<br />

Redakteurin Ute Spangenberger:<br />

„Wir wollen zeigen, wie sich Unterricht<br />

und Lehrkräfteausbildung verändern<br />

müssen, damit wir bei der<br />

nächsten internationalen Studie besser<br />

dastehen“. Sie drehte mit ihrem<br />

Kamerateam für das ARD-Mittagsmagazin.<br />

Auch Dr. Heinz Klippert war persönlich<br />

anwesend. Sein Kommentar:<br />

„Mich freut es außerordentlich, dass<br />

diese Schule ihre Unterrichtsentwicklung<br />

so systematisch betreibt -<br />

und wie man sieht - mit großem Erfolg.“<br />

Zur Nachahmung empfohlen.<br />

Paul Schwarz<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

23


Hochschulen<br />

Wie man eine Bierflasche öffnet und Schulreife diagnostiziert<br />

Ausbildung von Lehrkräften unter schwierigen Bedingungen<br />

Das Melktiermodell mit großen Eutern erinnert in der Aula der Universität<br />

Landau an die Milkakuh und die Limbodarbietung von fünf<br />

Studentinnen an die Animation in einem karibischen Ferienclub. Beibringbazar<br />

nennt sich das bunte Treiben. 700 Erstsemester im Fachbereich<br />

Didaktik lernen handlungsorientiert: eine Kuh zu melken, sich<br />

tanzend unter eine tief gelegte Latte zu schlängeln, einen Fahrradschlauch<br />

zu flicken, sich ein paar Brocken schwedisch anzueignen und<br />

- für das nächtliche Studentenleben -, wie man eine Bierflasche öffnet:<br />

klassisch mit dem Feuerzeug, an der Tischkante oder mit Hilfe eines<br />

Textmarkers.<br />

Mittendrin Prof. Dr. Jürgen Wiechmann,<br />

der die Vorlesung „Einführung<br />

in die Unterrichtspraxis und Schulpädagogik“<br />

an diesem Tag etwas anders<br />

gestaltet als sonst. Die Studierenden<br />

sollen persönlich erleben, wie man anderen<br />

etwas beibringt und ob es erfolgreich<br />

war. Was sie unterrichten, konnte<br />

sich jeder selbst aussuchen. Wiechmann<br />

nennt so etwas „situatives Lernen<br />

mit Metakognition“.<br />

„Es kommt darauf an, methodisch<br />

vielfältig zu unterrichten“<br />

Dem seltenen Beibringbasar folgt einige<br />

Tage später die klassische Vorlesung<br />

im universitären Ambiente. Die<br />

700 Erstsemester und künftigen Lehrerinnen<br />

und Lehrer sitzen eng gedrängt<br />

im Hörsaal I. Wer zu spät<br />

kommt, muss auf Treppe und Boden<br />

mitschreiben oder im Hörsaal II fernsehen.<br />

Teleteaching. Über eine überdimensional<br />

große Leinwand laufen<br />

Power-Point-Folien, ab und zu ist auch<br />

Prof. Wiechmann zu sehen, dozierend,<br />

langsam sprechend, damit jeder die<br />

sicht- und hörbaren Sätze mitschreiben<br />

kann. Es geht um die Nachbereitung<br />

eines Unterrichts am Beispiel des<br />

Beibringbazars, um Zielanalyse („Ziele<br />

allein reichen nicht, z.B. mit Reisstäbchen<br />

essen oder Knusperhäuschen<br />

backen können“), um Lernprozesse<br />

(„Lernsituationen sind grundsätzlich<br />

singuläre Erlebnisse“), eben um Unterricht<br />

(„jede Unterrichtssituation ist<br />

eine bestimmte Situation“). Das Wort<br />

„Methode“ kommt nicht vor, wohl<br />

aber „Vermittlungsaspekte“ und die<br />

„Interaktion“ zwischen LehrerInnen<br />

und SchülerInnen. „Unterricht“,<br />

schreiben alle mit, „ist eine Veranstaltung<br />

zum Lernen. Deshalb misst sie<br />

sich am Lernerfolg.“<br />

Nach 45 Minuten gibt es eine fünfminütige<br />

Murmelpause, für viele Studierende<br />

eine Zigarettenpause. Wiechmann<br />

fordert anschließend seine Zuhörer<br />

und Zuschauer auf zurück zu<br />

fragen. Niemand meldet sich. „Vielleicht<br />

habe ich zu lange auf Sie eingeredet“,<br />

entschuldigt er sich. „Sie merken,<br />

es ist ganz schön anstrengend,<br />

wenn man bei der unterrichtlichen<br />

Nachbereitung alle Kriterien berücksichtigt“.<br />

Jürgen und Barbara haben zwar zugehört,<br />

aber nicht mitgeschrieben, „weil<br />

es später sowieso im Internet steht“.<br />

Nein, PISA hätte sie überhaupt nicht<br />

überrascht, „wenn man sieht, wie in<br />

Schulen und Hochschulen Wissen gefressen<br />

und in Prüfungen ausgespuckt<br />

wird“. Allgemeiner Studierendentenor:<br />

Was du hier hörst, brauchst du<br />

höchstens für deine schriftliche Unterrichtslehrprobe.<br />

Wer hat denn später<br />

Zeit, seinen Unterricht so gründlich<br />

nachzubereiten? Sybille: „In der<br />

Hauptschule mit Kindern aus 34 Nationen<br />

musst du überleben lernen,<br />

musst du lernen, mit sozial auffälligen<br />

Kindern umzugehen und mit den Eltern<br />

zurechtzukommen. All das lernst<br />

du hier in der Lehrerausbildung nicht<br />

Kommentar<br />

Sowohl als auch!<br />

Wenn die beschriebenen<br />

Rahmenbedingungen,<br />

unter<br />

denen in Landau<br />

künftige Lehrkräfte<br />

ihre didaktische<br />

Ausbildung erhalten,<br />

stimmen, kann man nur schwarz<br />

sehen für die schulische Zukunft. Wenig<br />

optimistisch stimmen allerdings<br />

auch die Aussagen der Studierenden -<br />

sollten diese tatsächlich repräsentativ<br />

sein: Diese Theoriefeindlichkeit, verbunden<br />

mit dem Wunsch nach einem<br />

griffigen Rezeptkatalog für jegliche<br />

schulische Lebenslage, ist bei allem Verständnis<br />

für die Aversion gegen abgehobene<br />

akademische Theorie äußerst<br />

gefährlich, öffnet sie doch jenen Tür<br />

und Tor, die die Ausbildung von Lehrkräften<br />

gerne unterhalb universitären<br />

Niveaus angesiedelt hätten. Dann wären<br />

wir früher oder später wieder bei<br />

Schmalspurausbildungen in verschulten<br />

pädagogischen Akademien, und der<br />

jahrzehntelange Kampf um die Aufwertung<br />

der Lehrerausbildung wäre<br />

umsonst gewesen.<br />

Theoretische Fundierung und praktische<br />

Ausbildung in der Lehrerausbildung<br />

dürfen nicht zum Gegensatz<br />

hochstilisiert werden, sondern gehören<br />

eng zusammen. „Gute Lehrkräfte“<br />

müssen nicht nur in der Lage sein,<br />

methodenvariabel zu agieren, sondern<br />

ihr eigenes Handeln auch kritisch zu<br />

reflektieren und ihre individuellen<br />

Wege zu finden. Da ist Prof. Wiechmann<br />

voll und ganz zuzustimmen.<br />

Auch die derzeitige Übertreibung des<br />

Methodischen in der Schulpraxis birgt<br />

Gefahren: Wenn „das Klippern“ zur<br />

neuen Variante fremdgesteuerten Lernens<br />

wird, bei dem die Lehrkraft im<br />

5-Minuten-Rhythmus neue Aufgaben<br />

verteilt, dann ist das sicherlich nicht<br />

im Sinne des Erfinders. Da muss der<br />

Guru höllisch aufpassen, dass seine Jünger<br />

nicht kontraproduktiv wirken.<br />

Günter Helfrich<br />

24 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


Hochschulen<br />

Auf Treppen und<br />

Boden: Studierende<br />

bei einer<br />

Didaktik-Vorlesung<br />

in Landau<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

oder nur am Rande bei einem Lehrbeauftragten.“<br />

Eine fertige Lehrerin: „Als Mentorin<br />

erlebe ich seit Jahren den Praxisschock<br />

der Lehramtsanwärter, die immer wieder<br />

feststellen, dass ihre Lehrerausbildung<br />

mit den täglichen Anforderun<br />

gen im Schulalltag wenig zu tun hat.“<br />

Prof. Wiechmann, Leiter des „Instituts<br />

für Allgemeine Didaktik“, verteidigt<br />

die Theorie. „Schließlich geht es darum,<br />

Grundlagenwissen bereitzustellen.“<br />

Der „Schul-Schlendrian“ stelle<br />

sich dann ein, „wenn ich das, was ich<br />

tue, nicht wissenschaftlich reflektiere,<br />

aber auch, wenn ich das, was ich wissenschaftlich<br />

reflektiere, nicht praktisch<br />

umsetze“. Es komme darauf an,<br />

methodisch vielfältig zu unterrichten.<br />

Wo aber sollen die künftigen Lehrerinnen<br />

und Lehrer alltagstaugliche<br />

Routinen lernen, wenn nicht in einer<br />

Lehrerausbildungsstätte? Mit Trainingscamps<br />

hält Wiechmann eine wissenschaftliche<br />

Hochschule für überfordert.<br />

Er verweist auf die<br />

Praktika, seinen Beibringbazar<br />

und kritisiert<br />

dann doch noch die universitären<br />

Verhältnisse in<br />

Landau: „Wir sind seit<br />

Jahren total überlastet,<br />

zu wenig Räume, zu wenig<br />

Personal, und müssten<br />

einen NC verfügen,<br />

um halbwegs vernünftig<br />

arbeiten zu können.“<br />

Zwei Professoren, vier<br />

Mitarbeiter, zwei davon<br />

mit einer halben Stelle,<br />

betreuen zur Zeit didaktisch<br />

3 800 Studierende, also alle an<br />

der Universität, die ein Lehramt anstreben.<br />

Im Team eigenverantwortlich<br />

arbeiten<br />

Im „Institut für Grundschulpädagogik<br />

(1 400 Studenten) an der Landauer<br />

Universität geht man neue Wege. Für<br />

dessen geschäftsführenden Leiter, Prof.<br />

Dr. Hanns Petillon, muss die Lehrkräfteausbildung<br />

„nachhaltig“ sein wie<br />

auch das Lernen in der Schule, „d.h.<br />

langfristige Speicherung und langfristige<br />

Abrufbarkeit von Wissen“, vor<br />

allem aber: „die gelernten Methoden<br />

müssen praxisrelevant sein. Die Studierenden<br />

müssen das Gefühl haben, das<br />

ist für meine künftige Unterrichtsarbeit<br />

bedeutsam.“ Nachhaltigkeit mit<br />

Vorlesungen, Buch und Tafel zu erreichen,<br />

hält Petillon für kaum machbar,<br />

damit könne man nur einen „theoretischen<br />

Bezugsrahmen“ schaffen. Er<br />

Neuer Erfolg für jugendschutz.net<br />

Im Kampf gegen rechtsextremistische<br />

Propaganda im Internet kann die länderübergreifende<br />

Mainzer Stelle<br />

jugendschutz.net, die vom rheinlandpfälzischen<br />

Jugendministerium federführend<br />

für alle Länder betreut wird,<br />

einen neuen Erfolg vermelden. Erstmals<br />

ist es den Internet-Fahndern gelungen,<br />

einen Provider im Ausland, der Internet-Angebote<br />

kommerziell vertreibt,<br />

zur Herausnahme einer Website mit<br />

rechtsextremistischem Inhalt zu bewegen.<br />

Jugend-Staatssekretär Dr. Joachim Hofmann-Göttig<br />

betonte: „Damit hat die<br />

Arbeit von jugendschutz.net eine neue<br />

Stufe erreicht. Bereits in der Vergangenheit<br />

konnten mehrere Provider, die die<br />

Verbreitung im Internet kostenlos anbieten,<br />

davon überzeugt werden, rechtsextremistische<br />

Inhalte von ihrer Plattform<br />

zu verbannen. Nun ist es erstmals<br />

gelungen, einen Provider zu diesem<br />

Schritt zu veranlassen, obwohl dies eigentlich<br />

dessen ureigensten wirtschaftlichen<br />

Interessen zuwiderläuft.“<br />

Die intensive Weiterarbeit von jugendschutz.net<br />

bei der Fahndung nach<br />

jugendgefährdenden, pornografischen<br />

und extremistischen Inhalten im Internet<br />

sei unerlässlich, sagte Hofmann-<br />

Göttig weiter. Nachdem die Mainzer<br />

plädiert für wesentlich mehr Praxistraining.<br />

Seine Studenten gehen deshalb sehr<br />

früh in die Kindergärten, veranstalten<br />

Elternabende, hospitieren und setzen<br />

Förderprogramme in den Grundschulen<br />

um. In einem seiner Seminare mit<br />

60 - 80 TeilnehmerInnen geht es um<br />

Schulreife und den Übergang vom<br />

Kindergarten in die Grundschule. Beraten<br />

von Petillon, hatten sich im Vorfeld<br />

des Seminars studentische Kleingruppen<br />

sowohl mit alten Tests befasst,<br />

die auf Selektion ausgerichtet sind, als<br />

auch mit Verfahren moderner Förderdiagnostik.<br />

Recherchen in Bibliotheken<br />

verbanden sich mit praktischen Erfahrungen<br />

im Kindergarten und in der<br />

Grundschule. Cecile und Wibke stellen<br />

das „Kieler Einschulungsverfahren“<br />

vor. In einer Stationenarbeit versetzen<br />

sich acht Studentengruppen in die Rolle<br />

der Fünf- und Sechsjährigen, erfassen<br />

Mengen, bestimmen einzelne<br />

Wörter und überprüfen so unterschiedliche<br />

kindliche Kompetenzen.<br />

Anschließend tragen zwei Sprecher die<br />

Erfahrungen und die Kritik am Verfahren<br />

aus ihrer jeweiligen Gruppe vor.<br />

Für Christoph ist das, was hier stattfindet,<br />

nicht unbedingt typisch für die<br />

Lehrkräfteausbildung an der Landauer<br />

Uni. „Bei uns wird das Wissen<br />

durchgeknetet und verarbeitet.“ Anke<br />

erinnern die meisten Lehrveranstaltungen<br />

an den Frontalunterricht ihrer früheren<br />

Schule. Ihr Fazit, nachdem sie<br />

Petillon kennen gelernt hat: „Bei ihm<br />

arbeiten wir im Team eigenverantwortlich<br />

und methodisch sehr variabel, genau<br />

das will ich später meinen Schülern<br />

beibringen.“<br />

Paul Schwarz<br />

Jugendministerin Doris Ahnen bei ihren<br />

Kolleginnen und Kollegen in den<br />

anderen Bundesländern erreicht habe,<br />

dass die Förderung für die in Mainz<br />

ansässige Stelle mit mehr als 200 000<br />

Euro pro Jahr fortgesetzt werde, liege<br />

nun erfreulicherweise auch vom Bund<br />

eine Finanzierungszusage vor. Damit<br />

kündige die Bundesregierung an, dass<br />

sie im laufenden Jahr 160000 Euro für<br />

die Arbeit von jugendschutz.net bereitstelle.<br />

Weitere Informationen zur Arbeit<br />

von jugendschutz.net finden sich im<br />

Internet unter der Adresse:<br />

www.jugendschutz.net .<br />

pm<br />

25


Hochschulen<br />

Doofe Studis oder schlechte Profs?<br />

PISA-Kontroverse zwischen Landau und Koblenz<br />

Eng mit der Arbeit<br />

an der Universität<br />

Landau<br />

verbunden ist Dr.<br />

Paul Schwarz.<br />

Der Vizepräsident<br />

der Universität Koblenz-Landau<br />

und<br />

Leiter der Abteilung<br />

Landau, Prof.<br />

Dr. Roman Heiligenthal,<br />

schlägt<br />

Alarm. Die PISA-<br />

Studie habe ihn<br />

nicht überrascht.<br />

Schon in seiner Antrittsvorlesung<br />

habe er auf die<br />

mangelnde Studierfähigkeit<br />

(z.B.<br />

Lesefähigkeit) hingewiesen, auf immer<br />

mehr Studierende, die in der<br />

Schule schlecht ausgebildet wurden.<br />

Die Universität Landau ist mit ihren<br />

knapp 5 000 Studierenden neben<br />

Koblenz das pädagogische<br />

Kompetenzzentrum in <strong>Rheinland</strong>-<br />

<strong>Pfalz</strong>, denn mehr als 80 Prozent<br />

streben hier ein Lehramt in der<br />

Grund-, Haupt-, Real- oder Sonderschule<br />

an.<br />

„Wenn ich vom klaren Bild einer Universität<br />

ausgehe“, hebt Heiligenthal<br />

hervor, „muss ich von Studierenden erwarten,<br />

dass sie aufgrund ihres Abiturs<br />

ausgerüstet sind, sich selbstständig einen<br />

Wissensstoff anzueignen.“ Weil<br />

dem aber nicht so sei, ähnele die Universität<br />

immer mehr einem Schulbetrieb,<br />

der häppchenweise Wissen und<br />

Fertigkeiten eintrichtere. Seine Befürchtung:<br />

„Wenn wir die Vermittlungsmethoden<br />

radikal ändern würden,<br />

würde unsere Studentenzahl rapide<br />

sinken, weil bei einem mittlerweile<br />

nicht geringen Prozentsatz von Studierenden<br />

sowohl der Wille zur Leistung<br />

als auch die Fähigkeit, eigenverantwortlich<br />

zu arbeiten, schwach ausgeprägt<br />

sind.“ Also die Leistungsanforderungen<br />

ständig senken? Heiligenthal:<br />

„Ja, wir sind wegen der Qualität der<br />

Studierenden dazu gezwungen.“ Jüngstes<br />

Beispiel: In einem Germanistik-Seminar,<br />

so die Professorin, hätten drei<br />

Teilnehmer von 60 die Pflichtlektüre<br />

gekauft, aber keine dieselbe gelesen.<br />

In einem Offenen Brief widerspricht<br />

Prof. Dr. Rudi Krawitz aus dem „Institut<br />

für Integrative Bildung“ an der<br />

Universität Koblenz dem Vizepräsidenten<br />

vehement. Es sei wenig hilfreich,<br />

so Krawitz, die PISA-Diskussion<br />

mit einer „öffentlichen Publikumsbeschimpfung“<br />

einzuleiten. Wenn<br />

die Universität tatsächlich „immer<br />

mehr einem Schulbetrieb“ ähnele,<br />

„müssen wir Lehrende einmal kritisch<br />

prüfen, inwieweit wir selbst<br />

an dieser Verschulung durch<br />

manchmal viel zu enge Studienverlaufspläne<br />

beteiligt sind.“ Wie<br />

komme es denn, fragt Krawitz,<br />

dass „gestandene“ Lehrerinnen<br />

und Lehrer in den Schulen ihren<br />

jungen Referendarinnen und Referendaren<br />

manchmal raten, das<br />

an der Universität Gelernte in der<br />

Praxis der Schule eher zu vergessen?<br />

„Gehört denn das elende und<br />

völlig kontraproduktiv akademische<br />

Seminarritual der ewigen<br />

Wiederkehr des Referatevorlesens<br />

wirklich der Vergangenheit an?<br />

Werden nicht nach wie vor kreative<br />

Geister gezwungen, aus umfangreichen<br />

Büchern die fürs Lesen<br />

so notwendige Redundanz herauszunehmen<br />

und zu einem ungenießbaren<br />

Maggiwürfel namens Referat zu<br />

konzentrieren?“, kontert Krawitz.<br />

Für die Lehrerausbildung forderte der<br />

Landauer Abteilungspräsident ein<br />

„grundlegendes Umdenken“ und einen<br />

„gesamtgesellschaftlichen Konsens“,<br />

„welches Menschenbild wir überhaupt<br />

haben“. Mit „Mythen“ müsse endlich<br />

aufgeräumt werden, z.B. damit, eine<br />

Schule müsse nur Spaß machen. „Eine<br />

Pädagogik und Didaktik, die nur auf<br />

Lustgewinn ausgerichtet ist, hat ein falsches<br />

Menschenbild.“ Der Koblenzer<br />

Professor Krawitz sieht dagegen in solchen<br />

Äußerungen die Rückkehr zur<br />

„Schwarzen Pädagogik“. „Ich meine,<br />

dass Lernen nicht schmerzhaft sein<br />

muss, sondern Spaß machen darf, und<br />

dass Pädagogik und Didaktik sehr wohl<br />

neben dem Realitätsbezug auch Lustgewinn<br />

ermöglichen sollten.“<br />

Unterdessen nehmen die vier Dekane<br />

der Landauer Universität in einer gemeinsamen<br />

Erklärung ihren Abteilungspräsidenten<br />

gegen die öffentlich<br />

Kritik von Rudi Krawitz in Schutz.<br />

Die Universität in Landau habe die<br />

Herausforderung, die Lehrerausbildung<br />

zu verbessern, schon angenommen. Die<br />

Bildungsdefizite in Deutschland seien<br />

jedoch ein gesamtgesellschaftliches Problem.<br />

Die Situation im deutschen Bildungswesen<br />

muss nach Ansicht der<br />

Dekane in allen Bereichen durchleuchtet<br />

werden. Lust zum Lernen entstehe<br />

nur in einem leistungsfreundlichen Klima.<br />

„An dieser Stelle hat eine Spaßdiskussion<br />

keinen Raum, zumal Spaß<br />

nicht zwangsläufig Motivation erzeugen<br />

muss.“ Wegen unterschiedlicher<br />

Lernbereitschaft, Leistungsfähigkeit<br />

und Sprachfähigkeit der Schülerinnen<br />

bis hin zu ständig neuen Lernbereichen<br />

bei im Wesentlichen gleich bleibender<br />

Lernzeit sei die Schule heute überfordert.<br />

Bei der Bewältigung dieser gestiegenen<br />

Anforderungen „werden die<br />

Lehrkräfte aber weitgehend allein gelassen“.<br />

Gegenwärtig wird in Landau die<br />

Gründung eines Lehrerbildungszentrums<br />

beraten, das die Lehrerbildung<br />

fachübergreifend koordinieren und die<br />

Forschung im Bildungsbereich intensivieren<br />

soll.<br />

Paul Schwarz<br />

26 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


Neues zur Altersteilzeit<br />

für Teilzeitbeschäftigte<br />

Altersteilzeit wird nach § 80 b Abs. 1<br />

Satz 1 Landesbeamtengesetz (LBG)<br />

gewährt. Im Unterschied zu Vollzeitbeschäftigten<br />

müssen Beamtinnen<br />

und Beamte<br />

in den letzten<br />

fünf Jahren vor<br />

Beginn der Altersteilzeit<br />

mindestens<br />

drei Jahre<br />

teilzeitbeschäftigt<br />

gewesen sein.<br />

Nach den rechtlichen<br />

Vorgaben<br />

durch die Bundesregelung<br />

ist für<br />

Teilzeitbeschäftigte<br />

nur das Blockmodell<br />

(1. Hälfte<br />

Arbeitsphase bei max. 83 % netto, 2.<br />

Hälfte Freistellungsphase bei gleichen<br />

Bezügen) möglich. Der Umfang der<br />

Unterrichtsverpflichtung bei der Altersteilzeit<br />

ist nicht frei wählbar wie bei<br />

der üblichen Teilzeitbeschäftigung.<br />

„Die Altersteilzeit muss die Hälfte der<br />

bisherigen Arbeitszeit, höchstens die<br />

Hälfte der in den letzten zwei Jahren<br />

vor Beginn der Altersteilzeit durchschnittlich<br />

zu leistenden Arbeitszeit<br />

umfassen“. (Zitat aus Erlass).<br />

Für die praktische Umsetzung gilt folgendes:<br />

Für diejenigen, bei denen der Umfang<br />

der Teilzeitbeschäftigung in den letzten<br />

zwei Jahren vor der Altersteilzeit<br />

unverändert war, bleibt es bei dieser<br />

Unterrichtsverpflichtung in der Altersteilzeit.<br />

War der Umfang der Teilzeitbeschäftigung<br />

in den letzten zwei Jahren vor<br />

Beginn der Altersteilzeit unterschiedlich,<br />

wird die Arbeitszeit vor Beginn<br />

der Altersteilzeit zu Grunde gelegt,<br />

höchstens jedoch der Durchschnitt der<br />

letzten beiden Jahre.<br />

Rechtsschutz<br />

Beispiel: Vorletztes Jahr 20 U-Std.,<br />

letztes Jahr 16 U-Std., ergibt eine Altersteilzeit<br />

von 16 U-Std., vorletztes<br />

Jahr 16 U-Std., letztes Jahr 20 U- Std.,<br />

ergibt eine Altersteilzeit von 18 U-Std.<br />

Auch Lehrkräfte, die unmittelbar nach<br />

Beendigung des Sabbatjahrmodells mit<br />

Altersteilzeit beginnen, gelten als Teilzeitbeschäftigte.<br />

Der Umfang ihrer<br />

Unterrichtsverpflichtung in der ersten<br />

Hälfte der Altersteilzeit entspricht dem<br />

jeweils gewählten Modell der Sabbatjahrregelung.<br />

Eine Erhöhung der Stundenzahl<br />

ist nicht möglich (Sabbatjahrregelung<br />

z. B. 3/4, 4/5, 5/6...). Lehrkräfte,<br />

die sich derzeit in der Ansparphase<br />

des Sabbatjahres bzw. im Sabbatjahr<br />

befinden, können auch Altersteilzeit<br />

beantragen. Über die Einzelheiten<br />

erkundigen Sie sich bitte bei der<br />

<strong>GEW</strong>-Rechtsstelle.<br />

Die entsprechende Verwaltungsvorschrift<br />

vom 15. Juni 2001 „Bewilligung<br />

von Altersteilzeit für teilzeitbeschäftigte<br />

Beamtinnen und Beamte; Vorgriffsregelung<br />

gemäß § 80 b Abs. 2 LBG bis<br />

zur Änderung des Landesbeamtengesetzes“<br />

ist im gemeinsamen Amtsblatt des<br />

Ministeriums für Bildung, Frauen und<br />

Jugend (MBFJ) und für Wissenschaft,<br />

Weiterbildung, Forschung und Kultur<br />

(MWWFK), Nr. 4/2001, Seite 151/<br />

152, veröffentlicht.<br />

Für angestellte LehrerInnen und Pädagogische<br />

Fachkräfte gilt diese Regelung<br />

kraft Tarifvertrag.<br />

Weitere Information: „10 Fragen und<br />

Antworten zur Altersteilzeit“, veröffentlicht<br />

in der <strong>GEW</strong>-Zeitung 1-2/2001,<br />

S. 26/27 sowie im Internet:<br />

www.<strong>GEW</strong>-<strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong>.de/wissen/gew-infos/Altersteilzeit.htm.<br />

Erhältlich auch als Kopie in der <strong>GEW</strong>-<br />

Landesgeschäftsstelle<br />

Es wird empfohlen, vor Antragstellung<br />

mit der <strong>GEW</strong>-Rechtsstelle Kontakt aufzunehmen!<br />

Wer in den beiden letzten<br />

Schuljahren vor der Altersteilzeit teilzeitbeschäftigt<br />

war, gilt als<br />

Teilzeitbeschäftigte(r) - auch wenn davor<br />

immer Vollzeitbeschäftigung vorlag.<br />

<strong>GEW</strong>-Info<br />

Fragwürdige „Medizinische Verbindungsstelle“<br />

Zum 1. März 2001 wurde auf der<br />

Grundlage eines Ministerratsbeschlusses<br />

vom 7. November 2000 die „Medizinische<br />

Verbindungsstelle“ eingerichtet.<br />

Sie ist beim Ministerium für Arbeit,<br />

Soziales und Gesundheit angesiedelt<br />

und für die BeamtInnen des Landes<br />

zuständig. Sie wird bei allen nach §§<br />

56 ff. Landesbeamtengesetz (LBG) beantragten<br />

amtsärztlichen Beurteilungen<br />

der Dienstfähigkeit eingeschaltet,<br />

insbesondere bei eventuell vorzeitiger<br />

Versetzung in den Ruhestand.<br />

U. a. „soll sie die Untersuchungsaufträge<br />

der Dienststellen auf Vollständigkeit<br />

und Verständlichkeit sowie die<br />

Plausibilität der medizinischen Gut-<br />

achten der AmtsärztInnen prüfen. Sie<br />

erstellt keine Obergutachten, sie ist<br />

auch nicht befugt, den AmtsärztInnen<br />

der Gesundheitsämter fachliche Weisungen<br />

zu erteilen“.<br />

Die <strong>GEW</strong> kritisiert, dass die Beschäftigten<br />

über die Einrichtung und die<br />

Aufgaben dieser Medizinischen Verbindungsstelle<br />

nicht informiert wurden.<br />

Die „Medizinische Verbindungsstelle“<br />

darf nur eingeschaltet werden, wenn<br />

die oder der Beschäftigte die erforderliche<br />

Einverständniserklärung unterschreibt.<br />

Mit der Unterschrift ist die Ermächtigung<br />

verbunden,<br />

- dass das Gesundheitsamt bei den im<br />

Anamnesebogen abgefragten Personen<br />

die für die Beurteilung der Dienstfähigkeit<br />

notwendigen Auskünfte einholen<br />

und entsprechende Unterlagen anfordern<br />

und auswerten darf,<br />

- dass diese Akten der „Medizinischen<br />

Verbindungsstelle“ vorübergehend zur<br />

Einsicht vorgelegt werden und<br />

- die Beteiligten von ihrer Schweigepflicht<br />

entbunden werden.<br />

Die <strong>GEW</strong> rät allen Betroffenen, diese<br />

Einverständniserklärung nicht zu unterschreiben.<br />

Bisher hat die Einschaltung<br />

der „Medizinischen Verbindungsstelle“<br />

vor allem zur zeitlichen Verzögerung<br />

des Verfahrens geführt.<br />

esm<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

27


Alter + Ruhestand<br />

Die <strong>GEW</strong> gratuliert<br />

im April 2002<br />

zum 70. Geburtstag<br />

Frau Hedi Geilen<br />

15.04.1932<br />

Im Gänsstück 28 · 56242 Selters<br />

Herrn Wolfgang Keimburg<br />

16.04.1932<br />

Schulstr. 24 · 55595 Weinsheim<br />

zum 75. Geburtstag<br />

Frau Ingrid Unger<br />

05.04.1927<br />

Leibnitzstr. 31 · 67292 Kirchheimbolanden<br />

Herrn Hans Erich Merker<br />

09.04.1927<br />

Am Griesböhl 24 · 66994 Dahn<br />

Herrn Hans Hans Schmitt<br />

14.04.1927<br />

im Mai 2002<br />

Rödelsbach 43 · 66909 Krottelbach<br />

Frau Rosemarie Bantz<br />

zum 70. Geburtstag<br />

16.04.1927<br />

Mühlstr. 13 · 76831 Billigheim-Ingenheim<br />

Frau Maria Walther<br />

16.04.1927<br />

Albrecht-Dürer-Str. 11 · 67304 Eisenberg<br />

Herrn Otfried Müller<br />

17.04.1927<br />

Kirchstr. 19 · 76872 Freckenfeld<br />

Herrn Jakob Bläsius<br />

19.04.1927<br />

Reitweg 7 · 55743 Idar-Oberstein<br />

zum 75. Geburtstag<br />

zum 80. Geburtstag<br />

Frau Ingeborg Hoffmann<br />

13.04.1922<br />

Maximilianstr. 4 · 76829 Landau<br />

Herrn Erich Volandt<br />

23.04.1922<br />

Wißmannstr. 89 · 67065 Ludwigshafen<br />

Frau Selma Panitz<br />

30.04.1922<br />

Klosterstr. 29 · 66953 Pirmasens<br />

zum 85. Geburtstag<br />

Herrn Walter Sauer<br />

10.04.1917<br />

Hauptstr. 1 · 67281 Bissersheim<br />

Frau Maria Luise Touby<br />

28.04.1917<br />

Am Koppelberg 18 · 57520 Niederdreisbach<br />

zum 86. Geburtstag<br />

Frau Anna Müller<br />

05.04.1916<br />

Robert-Koch-Str. 22 · 67304 Eisenberg<br />

zum 87. Geburtstag<br />

Herrn Friedrich Hoffmann<br />

03.04.1915<br />

Fruchtmarktstr. 26 · 66482 Zweibrücken<br />

Herrn Karl Stiehl<br />

05.04.1915<br />

Gartenstr. 28 · 56581 Melsbach<br />

Frau Annemarie Lang-Venema<br />

14.05.1932<br />

Im Herrngarten 7 · 56368 Katzenelnbogen<br />

Herrn Kurt Vetter<br />

23.05.1932<br />

Römerring 17 · 55599 Siefersheim<br />

Frau Elfriede Kiefer<br />

29.05.1932<br />

Hanns-Fay-Str. 3 · 67227 Frankenthal<br />

Frau Dorothea Breitenbach<br />

05.05.1927<br />

Hauptstr. 10 · 76831 Billigheim-Ingenheim<br />

zum 80. Geburtstag<br />

Herrn Dr. Karl-Heinz Bartels<br />

02.05.1922<br />

Hohenzollernstr. 85b · 56068 Koblenz<br />

Herrn Karl Duenkel<br />

21.05.1922<br />

Husterhöhstr. 9 · 66952 Pirmasens<br />

Herrn Kurt Rademacher<br />

25.05.1922<br />

Carl-Orff-Str. 7 · 67551 Worms<br />

Herrn Ernst Ranzenberger<br />

26.05.1922<br />

Rathenaustr. 1 · 55131 Mainz<br />

Herrn Hans Pfaffenberger<br />

27.05.1922<br />

Hofberg 3 · 54296 Trier<br />

zum 85. Geburtstag<br />

Frau Inge Dreyer<br />

07.05.1917<br />

Wiedstr. 6 · 57627 Hachenburg<br />

zum 88. Geburtstag<br />

Herrn Franz Fremgen<br />

28.05.1914<br />

Weinstr. 33 · 76887 Bad Bergzabern<br />

zum 89. Geburtstag<br />

Herrn Erich Müller<br />

12.05.1913<br />

Königstor 26 · 34117 Kassel<br />

zum 92. Geburtstag<br />

Herrn Georg Blees<br />

04.05.1910<br />

Hochstr. 2 · 57629 Streithausen<br />

Der Landesvorstand<br />

28 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


Tipps + Termine<br />

Kompakte Konferenz<br />

Phase:<br />

Vorbereitung<br />

Kontakt<br />

Kontrakt<br />

Arbeitsphase<br />

Vereinbarung<br />

Abschluss<br />

Nachbesprechung<br />

Ziel:<br />

geplantes Ergebnis<br />

erreichen<br />

Arbeitsfähigkeit<br />

Arbeitsweise<br />

Produktivität<br />

Ergebnisfindung<br />

Präsentation<br />

Ergebnistransfer<br />

Abschied<br />

Reflexion der<br />

Leitung<br />

Phase:<br />

Planung der Tagesordnung, vorbereitende<br />

Diskussion mit Vorbereitungsgruppe, vorbereitendes<br />

Material erstellen, Konferenzstrategie,<br />

Zeitplanung<br />

Offener Anfang, Kollegialität<br />

Erläuterung der Tagesordnung, Einvernehmen<br />

über Vorgehensweise herstellen<br />

Gruppenarbeit mit Dokumentationspflicht<br />

Gruppensprecher, Klärung offener Fragen<br />

Gruppenergebnisse zusammenfassen,<br />

Konferenzbeschluss<br />

Deutliches Ende, Dank für engagierte<br />

Mitarbeit<br />

Wertung des Ergebnisses. konstruktive<br />

Kritik an der Konferenzleitung durch die Vorbereitungsgruppe,<br />

resultierende Pespektiven<br />

Zeit:<br />

120 Min.<br />

15 Min.<br />

20 Min.<br />

45 Min.<br />

20 Min<br />

15 Min.<br />

5 Min.<br />

30 Min.<br />

Ein von Mehmet Kilic organisiertes<br />

Seminar zum Thema „Leitung von<br />

Konferenzen“ vom 8.-9.11.01 in<br />

Bad Münster am Stein -Ebernburg<br />

fand bei den TeilnehmerInnen großen<br />

Anklang.<br />

„Schulentwicklung heißt Konferenzentwicklung“,<br />

von diesem Leitsatz<br />

aus entwickelte der Referent Uwe<br />

Becker eindrucksvoll und kompetent<br />

einen neuen Ansatz zur Organisation<br />

und Durchführung von Konferenzen<br />

in Schulen und anderen Bildungseinrichtungen.<br />

Im Prinzip gelten<br />

für Planung und Durchführung<br />

einer Konferenz die gleichen Ansätze<br />

wie für gut geplanten und modernen<br />

Unterricht. Dabei ist die Zufriedenheit<br />

der TeilnehmerInnen obers–<br />

tes Prinzip. Nur wenn es gelingt, die<br />

Arbeitsfreude der KollegInnen zu<br />

wecken und nachhaltige Ergebnisse<br />

zu erzielen, wird sich diese Zufriedenheit<br />

bei möglichst allen PädagogInnen<br />

neu einstellen.<br />

Wichtige Rahmenbedingungen, die<br />

von der Konferenzleitung vorher erbracht<br />

werden müssen, sind eine präzise<br />

Vorbereitung und eine exakte<br />

Zeitplanung. Eine gut geplante Konferenz<br />

sollte nie länger als zwei Stunden<br />

dauern. Das bedeutet auch für<br />

die Planung, dass das Konferenzthema<br />

auch mit einem Konferenzbeschluss<br />

beendet sein kann. Notwendige<br />

Diskussionen und meinungsbildende<br />

Erörterungen können in einer<br />

vorbereitenden Dienstbesprechung<br />

initiiert werden. Auch nicht zum<br />

Konferenzthema passende Mitteilungen<br />

und Anfragen sollten auf diese<br />

kurze regelmäßig stattfindende<br />

Dienstbesprechung verwiesen werden.<br />

Die Planung einer solchen Konferenz<br />

könnte dann so aussehen (siehe<br />

Tabelle 1). Zum Gelingen einer<br />

solchen Kompaktkonferenz trägt sowohl<br />

die Bereitschaft der Leitung,<br />

Kompetenzen zu teilen, als auch Kritikfähigkeit<br />

des gesamten Teams wesentlich<br />

bei. Hilfreich wäre auch ein<br />

Kompetenztraining (Arbeit in der<br />

Konferenz) des gesamten Kollegiums.<br />

Alle TeilnehmerInnen der <strong>GEW</strong>-<br />

Fortbildung waren bereit, sich in diese<br />

neue Methodenwelt der Erwachsenenbildung<br />

zu wagen und das eigene<br />

Verhalten kritisch zu hinterfragen.<br />

Peter Dill<br />

Politikunterricht im Informationszeitalter<br />

Medien nehmen in der<br />

beruflichen und privaten<br />

Lebenswelt eine<br />

immer zentralere Stellung<br />

ein. Die zunehmende<br />

Verbreitung<br />

neuer Informationsund<br />

Kommunikationsmedien<br />

erfordert Antworten<br />

von der Schule.<br />

Während sich die<br />

allgemeinen Erziehungswissenschaften<br />

und die Politikwissenschaft<br />

bereits mit Medienfragen auseinandersetzen,<br />

hat sich die Politikdidaktik<br />

bisher eher am Rande mit<br />

den neuen Medien beschäftigt.<br />

Diese Lücke schließt der gerade im<br />

Wochenschau Verlag erschienene<br />

Band „Politikunterricht im Informationszeitalter“.<br />

Darin widmen sich<br />

die Autorinnen und Autoren traditionellen<br />

und neuen Medien gleichermaßen.<br />

Ihnen gelingt dabei der<br />

schwierige Brückenschlag zwischen<br />

der theoretischen Politikdidaktik<br />

und dem praktischen Unterricht in<br />

den Schulen.<br />

Dem Band liegt die CD-ROM<br />

„Wegweiser durch das Internet für<br />

den Politikunterricht“ bei. Diese<br />

stellt dem Nutzer für die politische<br />

Bildung relevante Internet-Ressourcen<br />

über die bloße Angabe von Links<br />

hinaus vor und macht sie teilweise<br />

sogar offline zugänglich.<br />

Der Sammelband und die beigefügte<br />

CD-ROM zeigt viele neue Möglichkeiten<br />

für den Einsatz von neuen<br />

Medien auf, bietet aber auch Anregungen<br />

für den Einsatz der traditionellen<br />

Medien.<br />

Georg Weißeno (Hrsg.): Politikunterricht<br />

im Informationszeitalter,<br />

Medien und neue Lernumgebungen<br />

Wochenschau Verlag, Adolf-Damaschke-Str.<br />

103, 65824 Schwalbach/Ts.<br />

ISBN 3-87920-635-X, 328<br />

Seiten, € 19,50<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

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Tipps + Termine<br />

Heinrich-Wolgast-Preis an Viriginia Euwer Wolff<br />

Alle drei Jahre lobt die Gewerkschaft<br />

Erziehung und Wissenschaft einen<br />

Preis aus für Jugendliteratur, die sich<br />

mit der Arbeitswelt auseinandersetzt.<br />

In diesem Jahr wird den Preis Viriginia<br />

Euwer Wolff für ihr Buch „Wenn<br />

dir das Leben eine Zitrone gibt, mach<br />

Limonade draus“ erhalten.<br />

Die Autorin lässt das vierzehnjähriges<br />

Mädchen La Vaughn einen Job<br />

als Babysitterin suchen, damit sie das<br />

College besuchen kann. Bildung ist<br />

für sie einzig möglicher Ausweg aus<br />

dem Ghetto. Ihre Arbeitgeberin ist<br />

eine junge 17-jährige, allein erziehende<br />

Mutter, die jemanden<br />

braucht, der auf ihre beiden kleinen<br />

Kinder aufpasst, während sie in der<br />

Fabrik arbeitet. Trotz aller Widrigkeiten<br />

hält La Vaughn durch und<br />

schafft es sogar, die junge Mutter zu<br />

einem erneuten Schulbesuch und der<br />

Inanspruchnahme von Sozialhilfe<br />

und Kinderbetreuung zu überzeugen.<br />

Mit diesem Buch stellt die Autorin<br />

eine berufstätige, allein erziehende<br />

Mutter und ihre Schwierigkeiten in<br />

Alltag und Beruf dar, aber auch ein<br />

junges Mädchen, das für seine Bildung<br />

und den Ausstieg aus dem<br />

Ghetto „nebenbei“ in die Arbeitswelt<br />

einsteigt.<br />

Die Jury befand: „Die gelungene literarische<br />

Vermittlung einer alle Jugendlichen<br />

betreffenden Thematik<br />

war für die Entscheidung ... ausschlaggebend“.<br />

Der Preis wird am 8. Mai 2002 in<br />

Hannover durch die Vorsitzende der<br />

<strong>GEW</strong>, Eva-Maria Stange, an die Autorin<br />

übergeben. ajum<br />

Mundartwettbewerb für SchülerInnen<br />

Im Oktober 2002 findet zum 50.<br />

Mal der Pfälzische Mundartdichterwettstreit<br />

in Bockenheim an der<br />

Weinstraße statt. Aus diesem Anlass<br />

schreiben die Gemeinde Bockenheim<br />

und der Förderkreis Mundarttage<br />

Bockenheim einen Sonderpreis<br />

für Schülererinnen und Schüler aus.<br />

Die Veranstalter des Mundartdichterwettstreits<br />

wollen mit diesem Preis<br />

dazu beitragen, dass Kinder und Jugendliche<br />

sich mit der pfälzischen<br />

Mundart näher befassen und auf ihre<br />

eigene Weise über diese Sprache<br />

nachdenken, mit ihr spielen oder sie<br />

dokumentieren.<br />

Der Preis ist mit 1000 Euro dotiert<br />

und kann auf mehrere Preisträger<br />

aufgeteilt werden.<br />

Teilnahmeberechtigt sind Klassen<br />

und Arbeitsgemeinschaften aller<br />

Dinosaurier-Ausstellung in Kaiserslautern<br />

Nach dem Erfolg der vergangenen<br />

Jahre öffnet die Gartenschau Kaiserslautern<br />

erneut ihre Pforten. Highlight<br />

dieser 3. Saison wird die größte<br />

wissenschaftliche Dinosaurier-<br />

Ausstellung Europas sein. Auf dem<br />

Gelände werden 64 originalgetreu<br />

nachgebaute Dinosauriermodelle in<br />

ihrer Entwicklung vom Devon bis<br />

zur Kreidezeit zu sehen sein. Begleitende<br />

Informationstafeln vermitteln<br />

außerdem Wissenswertes über die<br />

Schularten und Altersstufen in der<br />

<strong>Pfalz</strong> und Kurpfalz. Inhalt, Form und<br />

Präsentation sind freigestellt. Eingereicht<br />

werden können Mundarttexte<br />

(z. B. Beiträge aus Schülerzeitungen),<br />

szenische Darstellungen (dokumentiert<br />

auf Video), empirische<br />

Untersuchungen (Interviews, Gespräche,<br />

Tonbandaufnahmen) oder<br />

literarisch-musikalische Darbietungen.<br />

Die Dokumentation der in der<br />

Klasse/AG erarbeiteten Beiträge<br />

kann in Textform, auf Video, Tonband,<br />

via Internet oder durch Fotomaterial<br />

erfolgen.<br />

Eine unabhängige Fachjury, bestehend<br />

aus Autoren, Lehrern, Journalisten,<br />

Sprach- und Literaturwissenschaftlern,<br />

entscheidet über die Preisvergabe.<br />

Bei der Beurteilung der eingesandten<br />

Beiträge werden - neben<br />

der Qualität und Originalität - die<br />

unterschiedlichen Altersstufen und<br />

Schularten berücksichtigt.<br />

Die Arbeiten müssen spätestens mit<br />

Beginn der Sommerferien in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />

am Mittwoch, den 3. Juli<br />

2002, in Bockenheim eingereicht<br />

werden.<br />

Die öffentliche Bekanntgabe der<br />

Preisträger und die Verleihung der<br />

Preise findet im Rahmen des 50.<br />

Pfälzischen Mundartdichterwettstreits<br />

am Samstag, den 19. Oktober<br />

2002, in Bockenheim statt.<br />

Für weitere Informationen wenden<br />

Sie sich bitte an eine der folgenden<br />

Adressen:<br />

• Gemeinde Bockenheim an der<br />

Weinstraße, Christa Wöhrle, Tel.<br />

06359/4215, e-mail: info@weingutwoehrle.de<br />

• Jurysprecher Karl-Friedrich Geißler,<br />

Tel. 06323/989075, e-mail:<br />

geissler-edenkoben@t-online.de<br />

pm<br />

Flora und Fauna der Urwelt. Bei einer<br />

Zeitreise durch den Erlebnis-<br />

Tunnel zeigen sich eindrucksvolle<br />

Bilder aus unserer Erdgeschichte.<br />

Ergänzt wird diese Ausstellung mit<br />

einem umfangreichen Programm<br />

für Schulen und Kindergärten. Für<br />

Kinder und Jugendliche wird diese<br />

Ausstellung auch zum Lernort, denn<br />

vielfach haben sie die Möglichkeit,<br />

sich ihrem Alter entsprechend geistig<br />

und spielerisch mit dem Thema<br />

Evolution zu beschäftigen.<br />

Im Rahmen des „Grünen Klassenzimmers“<br />

können Schulklassen Unterrichtseinheiten<br />

mit fachkundigen<br />

ReferentInnen aus den Bereichen<br />

Natur und Technik buchen oder an<br />

verschiedenen Aktionen rund um<br />

das Thema Dinosaurier teilnehmen.<br />

Mit begleitenden Lehrmaterialien<br />

kann das Gelernte dann nachbereitet<br />

und vertieft werden.<br />

pm<br />

30 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


Tipps + Termine<br />

Weiterbildungsstudium Europäische Migration<br />

Zielsetzung<br />

Mit dem Weiterbildungsstudium „Europäische<br />

Migration“ wollen die beteiligten<br />

Organisationen,<br />

zu denen auch die <strong>GEW</strong><br />

gehört, einen Ort schaffen,<br />

an dem Menschen<br />

ihre Erfahrungen und<br />

ihr Wissen aus Arbeit,<br />

Beruf, freiwilligem sozialem<br />

Engagement, Selbstorganisation,<br />

Politik und dem persönlichen Leben<br />

einbringen und für das gemeinsame<br />

Lernen nutzen können. Ziel ist es, aktiv<br />

die Verständigung in unserer Gesellschaft<br />

über das soziale und interkulturelle<br />

Zusammenleben in der Rhein-<br />

Main-Region voranzubringen sowie<br />

Bildungschancen und Teilhabe für alle<br />

Menschen zu fördern und Menschen zu<br />

befähigen interkulturelle Prozesse zu<br />

steuern.<br />

Adressaten<br />

Mitglieder von Ausländerbeiräten,<br />

Mitglieder von Kultur-, Migrantenund<br />

Elternvereinen sowie Initiativgruppen,<br />

Eltern, Fachkräfte der sozialen<br />

Dienste (z. B. der Jugendhilfe, der Gemeinwesenarbeit,<br />

der Wohnungslosenhilfe),<br />

LehrerInnen, ErzieherInnen,<br />

MitarbeiterInnen in der Jugend- und<br />

Erwachsenenbildung, MigrationssozialarbeiterInnen,<br />

MitarbeiterInnen aus<br />

Verwaltungen, MitarbeiterInnen in der<br />

betrieblichen Aus- und Fortbildung,<br />

MedienarbeiterInnen, Multiplikatoren<br />

aus Politik, Wirtschaft, Kirchen und<br />

Gewerkschaften, StudentInnen, WissenschaftlerInnen,<br />

Kommunal- und LandespolitikerInnen<br />

Themenbereiche<br />

T 1: Soziale Dimension und interkulturelle<br />

Aspekte der Migrationsprozesse<br />

auf europäischer, nationaler, regionaler<br />

und kommunaler Ebene<br />

T 2: Konzequenzen und Reaktionen in<br />

Politik-, Rechts-, Wirtschafts-, Sozial-<br />

, Kultur- und Bildungssystem<br />

T 3: Konzepte und Modelle in Sozialpolitik,<br />

Bildungssystem und Sozialarbeit<br />

T 4: Länder- und regionenspezifische<br />

und -vergleichende Studien auf europäischer<br />

Ebene<br />

T 5: Forschungsmethoden des internationalen<br />

und interkulturellen Vergleichs;<br />

didaktische Konzepte und Methoden<br />

interkultureller Kommunikation<br />

Methodik und Didaktik<br />

Alle Veranstaltungen greifen neben inhaltlichen<br />

Aspekten Interkulturalität<br />

als Arbeits- und Lernprinzip auf.<br />

Durch Wissenserwerb in Verbindung<br />

mit einem erfahrungs- und handlungsorientierten<br />

Vorgehen soll die eigene<br />

interkulturelle Kompetenz wahrgenommen<br />

und reflektiert, praktisch eingeübt<br />

und die konzeptionelle Auseinandersetzung<br />

mit den Themenbereichen<br />

der Migration gefördert werden.<br />

Im Rahmen konkreter Arbeitskontexte<br />

werden die gesellschaftlichen und politisch-wirtschaftlichen<br />

Zusammenhänge<br />

sowie die fachliche, soziale und persönliche<br />

Dimension einbezogen.<br />

Abschlussmöglichkeiten<br />

* Zertifikat<br />

Für die Absolvierung aller fünf Themenbereiche<br />

mit einer Gesamtdauer<br />

von mind. 80 UStd. und für die Erstellung<br />

einer Projektarbeit, die Anfertigung<br />

einer Hausarbeit oder die Teilnahme<br />

an einem Kolloquium wird ein<br />

Zeugnis über die erbrachten Studienleistungen<br />

und das Abschlusszertifikat<br />

„Wissenschaftliches Weiterbildungsstudium<br />

EUROMIR“ erteilt.<br />

Folgende Veranstaltungen finden<br />

2002/2003 noch statt:<br />

Zuwanderung und Nützlichkeit (T1)<br />

„Eine Hand wäscht die andere?“, 18. /<br />

19. April 2002 (siehe Kasten)<br />

Exkursion nach Pécs (Ungarn) (T4)<br />

Mai 2002<br />

Die Medien der Migranten in Deutschland<br />

(T2), 26./27. September 2002<br />

Viele Kinder, viele Sprachen II ( T3),<br />

17. /18. Oktober 2002<br />

Interkulturelle Kommunikation (T5),<br />

„Minderheiten, Mehrheiten und Demokratie“,<br />

03./04. April 2003<br />

EinwanderInnen in der Zivilgesellschaft<br />

- ihre politischen, wirtschaftlichen,<br />

kulturellen und sozialen Beiträge<br />

(T2), 03./04. April 2003<br />

Eingewanderte Minderheiten - Praxis<br />

und Modelle im internationalen Vergleich<br />

(T4), 25./26. September 2003<br />

Viele Kinder, viele Sprachen III ( T3)<br />

13./14. November 2003<br />

Nähere Informationen und Anmeldung:<br />

Johannes Gutenberg-Universität<br />

Mainz, Zentrum für wissenschaftliche<br />

Weiterbildung , 55099<br />

Mainz, Tel.: 06131/ 3922901 bzw.<br />

3924118, Fax: 06131/ 3924714<br />

e-mail: zww@ verwaltung.unimainz.de,<br />

http:// www.zww.unimainz.de<br />

bzw. http://www.unimainz.de/FB/Paedagogik/euromir<br />

„Eine Hand<br />

wäscht die<br />

andere?“<br />

Migration wird derzeit in Politik<br />

und Gesellschaft in erster Linie unter<br />

dem Aspekt der Nützlichkeit diskutiert.<br />

Die Tagung fragt nach den<br />

Kriterien, die dem Begriff der Nützlichkeit<br />

zugrunde liegen und nach<br />

den Tabus, die dieser Begriff nach<br />

sich zieht. Dabei ist der politische,<br />

ökonomische, kulturelle und soziale<br />

Nutzen für die Akteure der Aufnahmegesellschaft,<br />

der Herkunftsstaaten<br />

und der Migranten differenziert zu<br />

beleuchten. Kann für alle Beteiligten<br />

von einer Win-Win-Situation gesprochen<br />

werden oder sind Gewinner<br />

und Verlierer auszumachen? Auf<br />

den Antworten dieser Fragen aufbauend,<br />

werden am Ende der Tagung<br />

Folgerungen für die Praxis der Sozialarbeit<br />

und nicht zuletzt für die Migrationstheorie<br />

und Migrationspolitik<br />

entwickelt.<br />

Seminarnr.: 11050104: Zuwanderung<br />

und Nützlichkeit (T1)<br />

„Eine Hand wäscht die andere?“,<br />

18. /19. April 2002 , Ort: Diözesancaritasverband,<br />

Mainz<br />

Anmeldeschluss: 18. März 2002<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

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Tipps + Termine<br />

Materialien gegen Rechtsextremismus<br />

Die Erziehung zu Toleranz gilt als<br />

wichtiges Element zur Bekämpfung<br />

von Rassismus und zur Entwicklung<br />

einer demokratischen Gesellschaft.<br />

Der neue Reader von IDA mit dem<br />

Titel „Achtung! Toleranz“ nähert<br />

sich diesem Thema aus verschiedenen<br />

Blickwinkeln:<br />

Der erste Teil gibt einen Überblick<br />

über die Begriffsgeschichte der Toleranz,<br />

dokumentiert zeitgemäße<br />

und anwendungsbezogene Definitionen<br />

und problematisiert den Begriff<br />

durch historische und aktuelle<br />

Texte. Eine Sammlung von Zitaten<br />

verdeutlicht die Vielschichtigkeit<br />

der Toleranz. Im Teil „Erziehung zur<br />

Toleranz“ werden aktuelle Projekte<br />

zum Thema vorgestellt. Die Dokumentation<br />

praktischer Übungen<br />

und Spiele gibt Anregungen für die<br />

Jugend- und Bildungsarbeit. Der<br />

Serviceteil der Broschüre führt Einrichtungen<br />

auf, die sich mit dem<br />

Thema „Toleranz“ befassen. Er enthält<br />

darüber hinaus eine kommentierte<br />

Liste von Literaturtipps.<br />

Die Broschüre umfasst 64 Seiten und<br />

kostet 5 EURO .<br />

„... der Adolf war nicht<br />

schlimm ...“ Rechtsextremismus<br />

- Kontinuitäten<br />

und Brüche<br />

Für den deutschen Rechtsextremismus<br />

ist die nationalsozialistische Vergangenheit<br />

ein wichtiger Bezugspunkt,<br />

der auch gegenwärtige rechtsextreme<br />

Positionen und Aktionen<br />

bestimmt. Der Reader „... der Adolf<br />

war nicht schlimm ...“ behandelt dieses<br />

Thema unter drei Gesichtspunkten.<br />

Teil I (Geschichtsbewusstsein<br />

in der „Mitte der Gesellschaft“) zeigt<br />

rechtsextreme Aspekte in Diskussionen<br />

von gesamtgesellschaftlicher Bedeutung.<br />

In Teil II (Nationalsozialismus<br />

als Bezugspunkt rechtsextremer<br />

Organisationen) werden rechtsextreme<br />

Organisationen und deren<br />

unterschiedliche Bezüge zum Nationalsozialismus<br />

dargestellt. Der dritte<br />

Teil (Rechtsextreme Lebenswelten)<br />

gibt Beispiele des Umgangs mit Geschichte<br />

durch Jugendliche mit<br />

rechtsextremer Orientierung. Im<br />

Vordergrund dieser Texte stehen dabei<br />

emotionale und subjektive<br />

Aspekte der porträtierten Jugendlichen.<br />

Im Anhang des Readers findet<br />

sich eine Liste mit kommentierter<br />

Literatur sowie eine Zusammenstellung<br />

von Websites gegen Rechtsextremismus.<br />

Die Broschüre umfasst 52 Seiten<br />

und kostet ebenfalls 5,- EURO.<br />

Bezug: IDA, Friedrichstr. 61 a,<br />

40217 Düsseldorf, Tel: 02 11 / 15<br />

92 55-5, Fax: 02 11 / 15 92 55-69,<br />

info@IDAeV.de<br />

Verzeichnis der 600 Jugendherbergen<br />

Ein kostenloses Verzeichnis hat jetzt<br />

erstmals das Deutsche Jugendherbergswerk<br />

(DJH) herausgegeben.<br />

Knapp 600 Häuser werden in dem<br />

Handbuch „Jugendherbergen<br />

2002“ beschrieben.<br />

Von Skikursen bis zu Kanufahrten,<br />

von Reitsport bis zu Selbstverteidigungskursen,<br />

von Bungeejumping<br />

bis zu Wellness, von Kulturwork-<br />

Taschenbuch-Tipps 2002<br />

Die Mitglieder der Arbeitsgemeinschaft<br />

Jugendliteratur und Medien<br />

haben im Jahr 2001 rund 11000<br />

Kinder- und Jugendbücher rezensiert<br />

und den Verlagen, Autoren und<br />

der interessierten Öffentlichkeit zugänglich<br />

gemacht.<br />

Klassenfahrten nach Berlin<br />

(incl. Transfer, Unterkunft,<br />

Programmgestaltung nach Absprache).<br />

Broschüre anfordern bei:<br />

Biss, Freiligrathstr. 3, 10967 Berlin,<br />

Tel. (030) 6 93 65 30<br />

Zugleich wird zum vierten Mal ein<br />

Verzeichnis mit zu empfehlenden Taschenbüchern<br />

erscheinen, in dem auf<br />

rund 300 Bücher aufmerksam gemacht<br />

wird. Das Verzeichnis hilft bei<br />

der Suche nach (guter und preiswerter)<br />

Klassenlektüre.<br />

Empfehlenswert ist auch eine weitere<br />

Broschüre: Das Bändchen „Schreiben-Lesen-Schreiben“<br />

beschäftigt<br />

sich mit kreativem Schreiben als<br />

Möglichkeit der Steigerung des verstehenden<br />

Lesens.<br />

Weitere Infos: www.gew.de/ajum<br />

shops bis zu Zirkuszelten - das neue<br />

Handbuch bietet Schulklassen, LehrerInnen,<br />

Familien, Gruppen und<br />

Einzelgästen erste Anregungen für<br />

Ausflüge an.<br />

Das Verzeichnis enthält Bilder von<br />

allen Häusern, ferner Angaben zu<br />

Zimmern, Ausstattung, Preisen, Öffnungszeiten,<br />

Adressen, Telefon, etc.<br />

Auf der 28 Seiten zählenden, integrierten<br />

Deutschlandkarte sind die<br />

Standorte der Jugendherbergen dargestellt.<br />

Versandkostenfreie Bestellung: DJH-<br />

Service GmbH, 32754 Detmold, Telefon<br />

0 52 31 / 74 01 - 0, Fax: 74 01-<br />

49, E-Mail: service@djh.de;<br />

www.djh.de<br />

Anders reisen<br />

Auf einem Öko-Bauernhof in Polen<br />

Gemüse ernten, mit dem Rad<br />

von Wien nach Budapest strampeln<br />

oder einfach am spanischen<br />

Strand in der Sonne braten. Mit<br />

26 Reisezielen macht der neue<br />

Katalog von „anders reisen“ Lust<br />

auf Urlaub. Die Angebote der<br />

DGB-Jugend NRW richten sich<br />

an junge Leute zwischen 11 und<br />

20 Jahren.<br />

andersreisen@dgb.de,<br />

www.dgb-andersreisen.de,<br />

Tel: 0251/136 72 75<br />

32 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


Tipps + Termine<br />

Verfolgung von GewerkschafterInnen<br />

Die Zahl der ermordeten GewerkschafterInnen<br />

hat im Jahr 2000 gegenüber<br />

1999 um 50 Prozent zugenommen.<br />

Nach Angaben des Internationalen<br />

Bundes freier Gewerkschaften<br />

(IBFG) wurden im letzten<br />

Jahr 210 GewerkschafterInnen ermordet,<br />

8.245 inhaftiert und 2.931<br />

KNETE - KOHLE - KIES aktualisiert<br />

Das in der <strong>GEW</strong>-Zeitung bereits im<br />

letzten Jahr vorgestellte Programm<br />

„Knete“ rechnet die Bezüge beamteter<br />

Lehrkräfte in allen nur denkbaren<br />

Konstellationen wie Vollzeit,<br />

Teilzeit, Sabbatjahr, Altersteilzeit<br />

usw. brutto wie netto aus.<br />

misshandelt oder gefoltert. Kolumbien<br />

ist für sie das gefährlichste Land.<br />

153 Menschen wurden dort wegen<br />

ihres Engagements für Arbeitnehmerrechte<br />

ermordet. Seit 1988 gibt<br />

der IBFG alljährlich einen Bericht<br />

zur Verfolgung von GewerkschafterInnen<br />

heraus. 141 Länder werden<br />

Das Schwesterprogramm „Kohle“<br />

berechnet ebenso die Vergütung angestellter<br />

Lehrer in allen Varianten.<br />

„Kies“ ermittelt die Steuer- und Sozialversicherungsabzüge<br />

z. B. bei<br />

LAA, Pensionären etc.<br />

Neue Versionen der Programme mit<br />

im Bericht von 2001, der die Verfolgung<br />

im Jahre 2000 dokumentiert,<br />

aufgeführt. Die Unterdrükkung<br />

der Gewerkschaftsrechte nehme<br />

zu, so der IBFG, nicht nur in<br />

Entwicklungsländern, auch in Industriestaaten.<br />

www.ictu.org<br />

Individuelle Förderung durch Differenzierung<br />

Konfliktstoff Kopftuch<br />

Der neu im Cornelsen-Verlag Scriptor<br />

erschienene Ratgeber Differenzieren<br />

im Unterricht stellt praxiserprobte<br />

Instrumente der Differenzierung<br />

vor und benennt Einsatzmöglichkeiten<br />

für nahezu alle Jahrgangsstufen<br />

und Fächer der Sekundarstufe I und<br />

II.<br />

Das Buch geht von dem Ansatz aus,<br />

dass sich Individualität und Gemeinsamkeit<br />

sinnvoll ergänzen. Im Rahmen<br />

der Schul- und Unterrichtsentwicklung<br />

werden Möglichkeiten dargestellt,<br />

wie Differenzierung bei individuellem<br />

Leistungsvermögen und<br />

Lernverhalten ansetzt. Sie kann auf<br />

der inhaltlichen, didaktischen, methodischen,<br />

sozialen und organisatorischen<br />

Ebene erfolgen. Die Palette<br />

der Angebote reicht von Themenbörse,<br />

Lerntagebuch über Lesezirkel<br />

und Lerntheken bis zu Zukunftswerkstätten<br />

und Computerlernprogrammen.<br />

Ein Quadratmeter Stoff mit gesellschaftspolitischer<br />

Brisanz: Das Kopftuch.<br />

– Ist es ein Glaubenssysmbol, reine<br />

Provokation oder Zeichen der Unterdrückung<br />

der Frau im Islam? Wenn<br />

es mit dem islamischen Glauben gleichgesetzt<br />

wird, wird das Kopftuch zur<br />

Projektionsfläche für Fragen der Integration,<br />

Toleranz und (religiösen) Freiheit.<br />

Mit der Arbeitsmappe „Konfliktstoff<br />

Kopftuch“ können sich Jugendliche<br />

und Erwachsene ein eigenes Urteil<br />

zum Thema bilden. Zeitungsartikel,<br />

Leserbriefe, Interviews mit Musliminnen<br />

und Muslimen, Koran-Suren und<br />

zahlreiche historische Quellen machen<br />

Ansichten und Grundüberzeugungen<br />

deutlich. Der Blick hinter die Fassade<br />

Ein konkretes Planungsbeispiel rundet<br />

das Buch ab. Die Autoren, Liane<br />

Paradies und Hand Jürgen Linser,<br />

kommen zu dem Schluss: Viele Wege<br />

führen nach Rom und damit zum<br />

individuell bestmöglichen Schulabschluss.<br />

pm<br />

Liane Paradies / Hans-Jürgen Linser<br />

„Differenzieren im Unterricht“, 248<br />

Seiten, mit einer Didaktischen Landkarte,<br />

kartoniert, 17,38 EURO,<br />

ISBN 3-589-21353-1<br />

aus Stoff ermöglicht einen Standpunktwechsel<br />

und regt zu einer intensiven<br />

Auseinandersetzung an: mit dem Islam,<br />

mit Religiosität an sich, dem Geschlechterverhältnis<br />

und nicht zuletzt<br />

unserem Umgang mit fremden Kulturen.<br />

Jochen Bauer: „Konfliktstoff Kopftuch<br />

“– Eine thematische Einführung<br />

in den Islam, ab 14 J., 138 S., A4,<br />

Pb, Verlag an der Ruhr, Bestell-Nr.<br />

2614, Preis: DM 36,40<br />

dem Stand Januar 2002 liegen vor.<br />

Informationen und (bei Interesse)<br />

Bestellung per eMail im Internet<br />

unter http://Helmut.Robertz.bei.tonline.de<br />

Preis: 15 EURO. <strong>GEW</strong>-Untergliederungen,<br />

die 10 oder mehr CDs benötigen,<br />

erhalten 20% Rabatt.<br />

pm<br />

DGB-Jugend bei „attac“<br />

Die Gewerkschaften sollten ihre Unabhängigkeit<br />

gegenüber den Parteien<br />

klarstellen und sich wieder stärker<br />

an außerparlamentarischen Be-<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

wegungen beteiligen. Dies haben die<br />

Delegierten der DGB-Jugendkonferenz<br />

gefordert. Die DGB-Jugend<br />

müsse sich „stärker aktiv in die Debatte<br />

um die Globalisierung einbringen“,<br />

so Claudia Meyer, DGB-Jugendsekretärin.<br />

Als ein erster Schritt<br />

wurde auf der Konferenz beschlossen,<br />

dem globalisierungskritischen Netzwerk<br />

attac beizutreten.<br />

eb<br />

33


Tipps + Termine / <strong>GEW</strong>-Intern<br />

Der Weg zum<br />

deutschen Pass<br />

Die deutsche Staatsangehörigkeit<br />

bringt MigrantInnen viele Vorteile.<br />

Den komplizierten Weg zum deutschen<br />

Pass hat das DGB-Bildungswerk<br />

verständlich erklärt. Die kostenlose<br />

Broschüre „Wahljahr 2002:<br />

einbürgern - wählen - mitentscheiden!“<br />

zeigt, was man über Sprachkenntnisse,<br />

Aufenthaltsdauer oder<br />

Gebühren wissen muss.<br />

Der Setzkasten, www.migrationonline.de,<br />

Tel . 0211-4080088, Fax:<br />

0211-4080080,<br />

Ausgerechnet der Protagonist konnte<br />

bei der offiziellen Eröffnung des<br />

<strong>GEW</strong>-Regionalbüros Süd am 14.<br />

Februar in Kaiserslautern nicht dabei<br />

sein: Für den erkrankten Peter<br />

Blase-Geiger musste seine Frau Heidi<br />

Geiger einspringen, die die von<br />

zahlreichen Gästen aus den <strong>GEW</strong>-<br />

Gliederungen und VertreterInnen<br />

der <strong>GEW</strong>-Partnerversicherung SIG-<br />

NAL-IDUNA besuchte Veranstaltung<br />

perfekt organisierte. In der<br />

schön renovierten, gemeinsam von<br />

der Landes-<strong>GEW</strong>, der <strong>GEW</strong>-Kaiserlautern<br />

und der SIGNAL-IDUNA<br />

genutzten Altbauwohnung in der<br />

Logenstraße unmittelbar am Hauptbahnhof<br />

der FCK-Stadt wies der<br />

<strong>GEW</strong>-Landesvorsitzende Tilman<br />

Boehlkau auf die steigenden Mitgliederzahlen<br />

hin, die er u.a. in der<br />

hauptamtlichen Präsenz der <strong>GEW</strong> in<br />

den beiden Regionalbüros Nord und<br />

Datenbank zum<br />

Berufsstart<br />

Infos zu 200 Projekten rund um die<br />

berufliche Förderung von Jugendlichen<br />

hat das deutsche Jugendinstitut<br />

(DJI) in einer Datenbank gespeichert.<br />

Zugang zur Sammlung mit<br />

dem Titel „Praxismodelle - Jugend in<br />

Arbeit“ (PRAXIMO) gibt’s über das<br />

Internet oder für 1,53 EURO für<br />

Porto per CD-ROM.<br />

Deutsches Jugendinstitut e.V., Regionale<br />

Arbeitsstelle Leipzig, Teubnerstr.<br />

11, 04317 Leipzig, Tel.: 0341/<br />

5665416, Fax: 0341/5665447,<br />

www.dji.de (Link PRAXIMO)<br />

Regionalbüro Süd offiziell eröffnet<br />

Internet lockt ins<br />

Museum<br />

Sammlungen und Exponate machen<br />

das Museum zu einem außerschulischen<br />

Lern- und Lehrort, wo Theorien<br />

der Lehrbücher praktisch und<br />

anschaulich ergänzt werden. Unter<br />

www.cornelsen-teachweb.de hält das<br />

Internetportal für LehrerInnen mit<br />

Lernort Museum ein besonderes<br />

Online-Angebot bereit. „Lernort<br />

Museum“ bietet PädagogInnen zu<br />

vielen deutschen Museen kostenloses<br />

Arbeitsmaterial und Hintergrundinformationen<br />

zur Vorbereitung<br />

eines Museumsbesuchs.<br />

pm<br />

Süd begründet<br />

sieht. Werner<br />

Schneider, der<br />

Vorsitzende des<br />

mitgliederstarken<br />

<strong>GEW</strong>-Bezirksverbandes<br />

Rheinhessen-<br />

<strong>Pfalz</strong>, bekannte,<br />

der Tendenz zu<br />

mehr Hauptamtlichkeit<br />

in<br />

der <strong>GEW</strong> kritisch<br />

gegenübergestanden<br />

zu haben, zeigte sich<br />

aber nun überzeugt von der bisherigen<br />

Arbeit von Peter Blase-Geiger.<br />

Um dessen Wirken insbesondere an<br />

den Unis und in den Studienseminaren<br />

zu unterstützen, kündigte er<br />

an, „unserem Mann im Regionalbüro<br />

Süd“ seine umfangreiche Sammlung<br />

von Lehrproben zu überlassen.<br />

Hans-Adolf Schäfer, Vorsitzender des<br />

Lauterer <strong>GEW</strong>-Nachbarkreisverbandes<br />

Donnersberg, in dem Peter Blase-Geiger<br />

einst seine <strong>GEW</strong>-Grundausbildung<br />

erhalten hatte, appellierte<br />

an die <strong>GEW</strong>, noch mehr auf ihre<br />

in solidarischer Arbeit begründete<br />

Stärke zu setzen. Friedel Derscheidt<br />

vom Vorsitzendenteam der <strong>GEW</strong>-<br />

Kaiserlautern freute sich abschließend<br />

über das neue Domizil ihres<br />

Kreisverbandes und bedankte sich<br />

bei dem ebenfalls anwesenden Kaiserlauterer<br />

Schuldezernenten Dr.<br />

Arne Oeckinghaus, der die gute Zusammenarbeit<br />

mit der <strong>GEW</strong> herausstellte,<br />

für die räumlich Unterstützung<br />

in der Vergangenheit.<br />

G. Helfrich<br />

Fotos: B. Clessienne<br />

34 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002


Kreis + Region<br />

<strong>GEW</strong> Zweibrücken<br />

Für Treue zur <strong>GEW</strong> geehrt<br />

Jubilarehrungen standen im Mittelpunkt der Weihnachtsfeier der<br />

<strong>GEW</strong>-Zweibrücken im Hotel „Rosengarten“. Der Kreisvorsitzende<br />

Klaus Veith begrüßte kurz die zahlreich erschienenen Gäste und<br />

ließ aus Gewerkschaftersicht die prägenden Ereignisse des zurückliegenden<br />

Jahres Revue passieren. Anschließend übernahm Kollegin<br />

Hanne Kaufmann den Part der Moderatorin und führte durch<br />

das Programm. Für den angemessenen weihnachtlichen Rahmen<br />

sorgten die Darbietungen der Musik-AG der Hauptschule Mitte<br />

Zweibrücken unter der Leitung der Kolleginnnen Fischer, Deßloch<br />

und Hübschen, die mittlerweile ihren festen Platz beim traditionellen<br />

Jahresausklang des Kreisverbandes haben. Für die klassischen<br />

Töne wurde die Musik-AG von der musikalischen Familie<br />

Benien unterstützt.<br />

KV-Vorsitzender Klaus Veith und der Ehrenvorsitzende des Kreisverbandes,<br />

Werner Schneider, konnten eine stattliche Anzahl von<br />

Mitgliedern für ihre langjährige Zugehörigkeit zum Kreisverband<br />

auszeichnen.<br />

60 Jahre: Gustav Arzt<br />

50 Jahre: Peter Haun, Helmut Ruf, Gertrud Schläfer, Ruth Buchert<br />

40 Jahre: Ute Grub, Frauke Hahne, Hans-Erich Henkes, Susanne<br />

Kraunus, Werner Schneider, Reinhild Schwarz, Anna Sittel, Dietlind<br />

Wittlich, Gertrud Wolf<br />

30 Jahre: August-Ludwig Deppe, Ute Fischer, Inge Grub, Manfred<br />

Haller, Henni Henneicke, Gerhard Jung, Dieter Klauß, Peter<br />

Lohr, Irmgard Müller, Volkmar Pritz, Regina Reif, Gerda Rücker,<br />

Gerhard Sandmeyer, Willi Schmidt, Sieglinde Sigwarth, Karl-Heinz<br />

Werle<br />

25 Jahre: Jürgen Balzer, Christa Balzer, Sonja Bleiholder, Ursula<br />

Ebersohl, Karin Eschenfelder-Hurle, Christian Georgi, Christa<br />

Goebes, Elke Höfling, Hannerose Hübner, Peter Huwer, Elke<br />

Studienreisen / Klassenfahrten<br />

8-Tage-Busreise z.B. nach<br />

WIEN ÜF 192,-- €<br />

BUDAPEST ÜF 192,-- €<br />

LONDON ÜF 254,-- €<br />

PRAG ÜF 199,-- €<br />

PARIS ÜF 224,-- €<br />

ROM ÜF 238,-- €<br />

10-Tage-Busreise z.B. nach<br />

SÜDENGLAND Ü 213,-- €<br />

TOSKANA Ü 202,-- €<br />

SÜDFRANKREICH Ü 230,-- €<br />

(Unterbringung in<br />

Selbstversorgerunterkünften)<br />

Jaenicke, Hans Jung, Ursula Kempf, Rudolf Knoll, Christa Kremp,<br />

Christel Marschall, Annelie Müller, Frauke Nehrling, Elke Oster,<br />

Gerda Reinfrank, Rosmarie Renno, Willy Robel, Ursula Rupp,<br />

Hans Schmidt, Annegret Schöndorf, Willi Schwab, Otto Schwarz,<br />

Anita Schwarz, Egbert Stocker, Berthold Trier, Klaus Veith, Waltraud<br />

Volz, Wolfgang Weber, Werner Welker, Horst Wolf, Jürgen<br />

Wolf, Petra Zentz-Kliebenstein.<br />

ar<br />

<strong>GEW</strong> Bezirk Trier<br />

Studienreise nach Hamburg<br />

Der <strong>GEW</strong>-Bezirk Trier, Fachgruppe Sonderpädagogische Berufe,<br />

lädt vom 10.04. bis zum 13.04.2002 zu einer Studienreise mit der<br />

Thematik „Gemeinsamer Unterricht / Beratung für Kinder in Problemsituationen“<br />

nach Hamburg ein.<br />

Inhalte:<br />

Gemeinsamer Unterricht - Hospitationen in Grundschulen, Schulen<br />

der Sek I und BBS,<br />

Besuch des Beratungszentrums für Integration,<br />

Besuch von integrativen und alternativen Arbeitsprojekten und<br />

Künstlerwerkstätten,<br />

Besuch einer REBUS - Beratungsstelle, Fachgespräch mit MitarbeiterInnen<br />

der Beratungsstelle und der wissenschaftlichen Begleitung<br />

Reise: Gemeinsame Anreise mit der Bahn ab Koblenz am10.04.<br />

nachmittags, Rückreise am Samstagnachmittag,<br />

Übernachtung im Stadthaus -Hotel (integrativ geführtes Hotelprojekt)<br />

TeilnehmerInnen: KollegInnen, die integrativ arbeiten, KollegInnen<br />

aus Schulen mit dem Förderschwerpunkt „Soziale und Emotionale<br />

Entwicklung“<br />

Kosten: Fahrt und ÜF für <strong>GEW</strong>-Mitglieder 130 €, für Nichtmitglieder<br />

230 € (Teilnehmerkreis begrenzt auf 18 Personen).<br />

Kontakt für Interessierte: Connie Burkert-Schmitz (Tel.: 0651/<br />

9933523); Elke Illigen (Tel.: 06571/ 20890); Monika Weise (Tel.:<br />

0651/ 65600)<br />

Alle Ausflugsfahrten inklusive.<br />

Flug- und Bahnanreise sowie andere Ziele (z.B. Ferienparks<br />

in den Niederlanden oder Belgien) auf Anfrage möglich!<br />

REISEBÜRO KRAUSE GMBH · MÜNSTERSTR. 55a · 44534 LÜNEN<br />

TELEFON (0 23 06) 7 57 55-0 · FAX (0 23 06) 7 57 55-49<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

35


<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />

Beilage zur E&W<br />

<strong>GEW</strong> <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />

Neubrunnenstraße 8 · 55116 Mainz<br />

Telefon: 06131-28988-0 • FAX 06131-28988- 80<br />

E-mail: <strong>GEW</strong>@<strong>GEW</strong>-RLP.de<br />

Schulgeist<br />

Als Oma noch Lehrerin war...<br />

Sätze, die mit „früher“ oder „zu meiner<br />

Zeit“ beginnen, veranlassen erst einmal<br />

alle BiVis (bis vierzig) die Ohren<br />

auf Durchzug zu stellen. Wenn das<br />

nicht gelingt, dann werden geistig die<br />

Ärmel hochgekrempelt und Kampfpositionen<br />

eingenommen: „Wäre doch<br />

gelacht, wenn wir diesen alten Müll<br />

nicht endlich für immer entsorgen<br />

könnten und diese alten Kamele, die<br />

immer wieder das Gras über längst vergangenen<br />

Dingen abfressen, zum<br />

Schweigen bringen könnten!“<br />

Nichts da, ich liebe meine Situation als<br />

altes wiederkäuendes Kamel. Es ist einfach<br />

erstaunlich, wie jede Generation<br />

glaubt, alles, was sie erlebt und denkt,<br />

sei ganz neu, bloß weil es für sie neu<br />

ist. Deshalb weide ich gerne Gras über<br />

alten Sachen ab, um zu beweisen: Fast<br />

alles war schon einmal da oder hat sich<br />

nur minimal geändert oder trägt nur<br />

ein neues Outfit.<br />

Das Beispiel, das ich erzählen will, liegt<br />

so reichlich zwanzig Jahre zurück und<br />

geschah in einer rheinland-pfälzischen<br />

Großstadt-Grundschule. Es ging um die<br />

Noten für das Halbjahreszeugnis, die<br />

im vierten Schuljahr ja eine besondere<br />

Bedeutung haben wegen der davon<br />

abhängigen Schullaufbahnempfehlung.<br />

Damals war das Urteil einer Lehrkraft<br />

noch verbindlich, und wenn sich die<br />

Eltern nicht daran hielten, hatte das<br />

eine Aufnahmeprüfung für das Kind an<br />

der Schulart zur Folge, die man für es<br />

wünschte.<br />

Eine als „links“ verschriene Kollegin<br />

führte eine vierte Klasse und entdeckte<br />

in der Notenliste bei einer Schülerin,<br />

die ein sonst durchweg gutes Zeugnis<br />

bekommen sollte, im Fach Mathematik<br />

ein „Ausreichend“. Dieses Fach<br />

wurde vom Schulleiter unterrichtet, der<br />

dieses Fach auf der Jahrgangsstufe für<br />

sich reservierte, da man nach seiner<br />

Meinung dafür keinerlei Vorbereitung<br />

benötigte, weil sich Mathe ja eh nie<br />

ändert.<br />

Die Kollegin hatte bis Ende des dritten<br />

Schuljahres ihre Klasse auch in Mathematik<br />

unterrichtet, und die betreffende<br />

Schülerin hatte - wie in den übrigen<br />

Fächern - gute Leistungen erbracht.<br />

Die Schülerin, Manuela, war nicht<br />

unbedingt ein „pflegeleichtes“ Kind.<br />

Tochter eines GI, der wegen krimineller<br />

Delikte schon seit einigen Jahren<br />

untergetaucht war, und einer sehr jungen<br />

deutschen Mutter, die ständig auf<br />

der Suche nach einem neuen Partner<br />

war. Manuela war sich deshalb meist<br />

selbst überlassen, und ihr Äußeres entsprach<br />

nicht den bei LehrerInnen gängigen<br />

Normen eines gepflegten Kindes.<br />

Die Haare hatten schon lange keinen<br />

Frisör mehr gesehen, die Fingernägel<br />

waren zu lang und meist etwas schmutzig,<br />

die Kleidung wurde wohl auch nur<br />

wöchentlich gewechselt. Da sie schnell<br />

im Denken war, fiel ihr auch immer<br />

ein kesser Spruch zu den Äußerungen<br />

von MitschülerInnen und Lehrkräften<br />

ein, den sie ohne große Hemmungen<br />

laut von sich gab. Aber frech oder gar<br />

aufsässig war sie nicht, sie konnte sich<br />

nur verbal gut ihrer Haut wehren -<br />

auch den Lehrkräften gegenüber.<br />

Die Klassenlehrerin hatte im Vorjahr<br />

oft über dieses Mädchen im Lehrerzimmer<br />

gesprochen und staunend über ihre<br />

schulischen Leistungen berichtet - trotz<br />

der ungünstigen familiären Situation.<br />

Ihre Enttäuschung über die Mathematikleistung<br />

war deshalb sehr groß, da<br />

sie gehofft hatte, Manuela eine Schullaufbahnempfehlung<br />

für das Gymnasium<br />

schreiben zu können. Außerdem<br />

hatte sie leise Zweifel daran, dass die<br />

Note „ausreichend“ tatsächlich zutreffend<br />

war.<br />

Sie entschloss sich deshalb, mit dem<br />

Schulleiter diesen Einzelfall zu besprechen<br />

und dabei auf die Vorschrift hinzuweisen,<br />

dass innerhalb eines halben<br />

Jahres eine Note nicht um zwei Stufen<br />

sinken dürfe, es sei denn, es lägen außergewöhnliche<br />

Gründe dafür vor, die<br />

dann aber auch aktenkundig gemacht<br />

werden müssten.<br />

Das beabsichtigte pädagogische Gespräch<br />

in der großen Pause war dann<br />

keines. Es war ein verbaler, sehr lautstarker<br />

Schlagabtausch, den das Kollegium<br />

fast vollständig durch die Wand<br />

des Lehrerzimmers mithören konnte.<br />

„Rein pädagogische Gründe“ veranlassten<br />

den Schulleiter zu der Note „ausreichend“.<br />

Er habe gesehen, dass die<br />

bereits in die Notenliste eingetragenen<br />

Noten eine Schullaufbahnempfehlung<br />

für das Gymnasium zur Folge haben<br />

könnte, und das habe er „mit Rücksicht<br />

auf die Schülerin doch verhindern<br />

müssen“. „Sehen Sie sich die doch einmal<br />

an, da gehört sie einfach nicht hin.<br />

Sie tun ihr nichts Gutes, wenn Sie sie<br />

aus ihrer sozialen Schicht herausholen.<br />

Sie wird nur unglücklich werden“.<br />

Diese Aussage ließ bei der Kollegin<br />

wohl alle Sicherungen durchbrennen,<br />

denn jetzt hörten wir unfreiwillig mit,<br />

wie sie etwas von „Sie haben Ihren<br />

Beruf verfehlt, Rechtsbeugung und Sozialfaschist“<br />

brüllte. Außerdem drohte<br />

sie an, die Bezirksregierung mit diesem<br />

Fall zu befassen und ein Dienstordnungsverfahren<br />

gegen ihn zu beantragen.<br />

Sie setzte sich auch ohne die angedrohten<br />

Maßnahmen durch, denn die Note<br />

„ausreichend“ konnte nicht mit Noten<br />

der schriftlichen Arbeiten belegt werden,<br />

und mutig war dieser Schulleiter<br />

immer nur gegenüber Schwächeren. Er<br />

änderte seine Note in „befriedigend“<br />

ab, und die Kollegin formulierte ihre<br />

Schullaufbahnempfehlung für das<br />

Gymnasium.<br />

Der Werdegang von Manuela gab der<br />

Kollegin im Nachhinein Recht. Zwar<br />

nicht ganz gradlinig aber nur mit einem<br />

kurzzeitigem Umweg machte<br />

Manuela das Abitur und ist heute<br />

Grund- und Hauptschullehrerin in<br />

Baden-Württemberg.<br />

Ist diese alte „Kamelle“ nicht brandaktuell?<br />

Steht nicht in der Pisa-Studie,<br />

dass das deutsche Schulsystem die<br />

„Schwachen“ noch immer benachteiligt?<br />

Und nicht nur das System! KollegInnen,<br />

die sich so für ihre SchülerInnen<br />

einsetzen, sind selten, denn wer lebt<br />

schon gern in Dauerfehde mit seinem<br />

Vorgesetzten?<br />

Ursel Karch<br />

36 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002

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