GEW-ZEITUNG Rheinland-Pfalz
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Hochschulen<br />
Doofe Studis oder schlechte Profs?<br />
PISA-Kontroverse zwischen Landau und Koblenz<br />
Eng mit der Arbeit<br />
an der Universität<br />
Landau<br />
verbunden ist Dr.<br />
Paul Schwarz.<br />
Der Vizepräsident<br />
der Universität Koblenz-Landau<br />
und<br />
Leiter der Abteilung<br />
Landau, Prof.<br />
Dr. Roman Heiligenthal,<br />
schlägt<br />
Alarm. Die PISA-<br />
Studie habe ihn<br />
nicht überrascht.<br />
Schon in seiner Antrittsvorlesung<br />
habe er auf die<br />
mangelnde Studierfähigkeit<br />
(z.B.<br />
Lesefähigkeit) hingewiesen, auf immer<br />
mehr Studierende, die in der<br />
Schule schlecht ausgebildet wurden.<br />
Die Universität Landau ist mit ihren<br />
knapp 5 000 Studierenden neben<br />
Koblenz das pädagogische<br />
Kompetenzzentrum in <strong>Rheinland</strong>-<br />
<strong>Pfalz</strong>, denn mehr als 80 Prozent<br />
streben hier ein Lehramt in der<br />
Grund-, Haupt-, Real- oder Sonderschule<br />
an.<br />
„Wenn ich vom klaren Bild einer Universität<br />
ausgehe“, hebt Heiligenthal<br />
hervor, „muss ich von Studierenden erwarten,<br />
dass sie aufgrund ihres Abiturs<br />
ausgerüstet sind, sich selbstständig einen<br />
Wissensstoff anzueignen.“ Weil<br />
dem aber nicht so sei, ähnele die Universität<br />
immer mehr einem Schulbetrieb,<br />
der häppchenweise Wissen und<br />
Fertigkeiten eintrichtere. Seine Befürchtung:<br />
„Wenn wir die Vermittlungsmethoden<br />
radikal ändern würden,<br />
würde unsere Studentenzahl rapide<br />
sinken, weil bei einem mittlerweile<br />
nicht geringen Prozentsatz von Studierenden<br />
sowohl der Wille zur Leistung<br />
als auch die Fähigkeit, eigenverantwortlich<br />
zu arbeiten, schwach ausgeprägt<br />
sind.“ Also die Leistungsanforderungen<br />
ständig senken? Heiligenthal:<br />
„Ja, wir sind wegen der Qualität der<br />
Studierenden dazu gezwungen.“ Jüngstes<br />
Beispiel: In einem Germanistik-Seminar,<br />
so die Professorin, hätten drei<br />
Teilnehmer von 60 die Pflichtlektüre<br />
gekauft, aber keine dieselbe gelesen.<br />
In einem Offenen Brief widerspricht<br />
Prof. Dr. Rudi Krawitz aus dem „Institut<br />
für Integrative Bildung“ an der<br />
Universität Koblenz dem Vizepräsidenten<br />
vehement. Es sei wenig hilfreich,<br />
so Krawitz, die PISA-Diskussion<br />
mit einer „öffentlichen Publikumsbeschimpfung“<br />
einzuleiten. Wenn<br />
die Universität tatsächlich „immer<br />
mehr einem Schulbetrieb“ ähnele,<br />
„müssen wir Lehrende einmal kritisch<br />
prüfen, inwieweit wir selbst<br />
an dieser Verschulung durch<br />
manchmal viel zu enge Studienverlaufspläne<br />
beteiligt sind.“ Wie<br />
komme es denn, fragt Krawitz,<br />
dass „gestandene“ Lehrerinnen<br />
und Lehrer in den Schulen ihren<br />
jungen Referendarinnen und Referendaren<br />
manchmal raten, das<br />
an der Universität Gelernte in der<br />
Praxis der Schule eher zu vergessen?<br />
„Gehört denn das elende und<br />
völlig kontraproduktiv akademische<br />
Seminarritual der ewigen<br />
Wiederkehr des Referatevorlesens<br />
wirklich der Vergangenheit an?<br />
Werden nicht nach wie vor kreative<br />
Geister gezwungen, aus umfangreichen<br />
Büchern die fürs Lesen<br />
so notwendige Redundanz herauszunehmen<br />
und zu einem ungenießbaren<br />
Maggiwürfel namens Referat zu<br />
konzentrieren?“, kontert Krawitz.<br />
Für die Lehrerausbildung forderte der<br />
Landauer Abteilungspräsident ein<br />
„grundlegendes Umdenken“ und einen<br />
„gesamtgesellschaftlichen Konsens“,<br />
„welches Menschenbild wir überhaupt<br />
haben“. Mit „Mythen“ müsse endlich<br />
aufgeräumt werden, z.B. damit, eine<br />
Schule müsse nur Spaß machen. „Eine<br />
Pädagogik und Didaktik, die nur auf<br />
Lustgewinn ausgerichtet ist, hat ein falsches<br />
Menschenbild.“ Der Koblenzer<br />
Professor Krawitz sieht dagegen in solchen<br />
Äußerungen die Rückkehr zur<br />
„Schwarzen Pädagogik“. „Ich meine,<br />
dass Lernen nicht schmerzhaft sein<br />
muss, sondern Spaß machen darf, und<br />
dass Pädagogik und Didaktik sehr wohl<br />
neben dem Realitätsbezug auch Lustgewinn<br />
ermöglichen sollten.“<br />
Unterdessen nehmen die vier Dekane<br />
der Landauer Universität in einer gemeinsamen<br />
Erklärung ihren Abteilungspräsidenten<br />
gegen die öffentlich<br />
Kritik von Rudi Krawitz in Schutz.<br />
Die Universität in Landau habe die<br />
Herausforderung, die Lehrerausbildung<br />
zu verbessern, schon angenommen. Die<br />
Bildungsdefizite in Deutschland seien<br />
jedoch ein gesamtgesellschaftliches Problem.<br />
Die Situation im deutschen Bildungswesen<br />
muss nach Ansicht der<br />
Dekane in allen Bereichen durchleuchtet<br />
werden. Lust zum Lernen entstehe<br />
nur in einem leistungsfreundlichen Klima.<br />
„An dieser Stelle hat eine Spaßdiskussion<br />
keinen Raum, zumal Spaß<br />
nicht zwangsläufig Motivation erzeugen<br />
muss.“ Wegen unterschiedlicher<br />
Lernbereitschaft, Leistungsfähigkeit<br />
und Sprachfähigkeit der Schülerinnen<br />
bis hin zu ständig neuen Lernbereichen<br />
bei im Wesentlichen gleich bleibender<br />
Lernzeit sei die Schule heute überfordert.<br />
Bei der Bewältigung dieser gestiegenen<br />
Anforderungen „werden die<br />
Lehrkräfte aber weitgehend allein gelassen“.<br />
Gegenwärtig wird in Landau die<br />
Gründung eines Lehrerbildungszentrums<br />
beraten, das die Lehrerbildung<br />
fachübergreifend koordinieren und die<br />
Forschung im Bildungsbereich intensivieren<br />
soll.<br />
Paul Schwarz<br />
26 <strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002