GEW-ZEITUNG Rheinland-Pfalz
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Schulen<br />
„Sparversion ohne pädagogisches Reformkonzept“<br />
Die Grünen kritisieren Umsetzung der Ganztagsschulpläne der Landesregierung<br />
Die im Landtagswahlkampf 2000/<br />
2001 bundesweit als bildungspolitische<br />
Innovation angekündigte Einführung<br />
von mehr Ganztagsschulen<br />
in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> entwickelt sich<br />
für Bündnis 90 / Die Grünen im<br />
Landtag zu einem Paradigmen-<br />
Wechsel auf Sparflamme.<br />
„Der Lack ist schneller ab als wir erwartet<br />
hatten. Wie schon bei der<br />
Vollen Halbtagsschule bleibt auch bei<br />
der Ganztagsschule die pädagogische<br />
Innovation und Versorgung mit<br />
Lehrkräften hinter den vollmundigen<br />
Ankündigungen der Landesregierung<br />
zurück. Das Ganztagsschul-Angebot<br />
wird weder flächen- noch bedarfsdekkend.<br />
Mutige Schritte nach dem Vorbild<br />
von Nordrhein-Westfalen hin zu<br />
mehr Freiheit für die Schulen werden<br />
nicht gegangen“, erklärt Nils<br />
Wiechmann, bildungspolitischer<br />
Sprecher von Bündnis 90 / Die Grünen<br />
im Landtag.<br />
Bei der Lehrkräftezuweisung falle die<br />
Landesregierung bei den neuen<br />
Ganztagsangeboten hinter die Standards<br />
der bereits bestehenden sieben<br />
„verpflichtenden Ganztagsschulen“<br />
in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> zurück.<br />
Die neuen Ganztags-Grundschulen<br />
werden um bis zu 10 Lehrerwochenstunden<br />
schlechter gestellt als die<br />
bereits bestehenden beiden verpflichtenden<br />
Ganztags-Grundschulen. Für<br />
die Mindest-SchülerInnenzahl von<br />
36 für die neuen Ganztagsangebote<br />
an Grundschulen sieht die Landesregierung<br />
zusätzlich nur 26 Lehrerwochenstunden<br />
vor. An den bereits<br />
bestehenden zwei verpflichtenden<br />
Ganztags-Grundschulen und drei<br />
Ganztags-Hauptschulen erhalten<br />
derzeit für die gleich Schülerzahl 32<br />
bis 36 Lehrerwochenstunden zusätzlich.<br />
„Schon aus diesen Zahlen wird deutlich,<br />
dass die Standards für die zusätzlichen<br />
Ganztagsschul-Angebote<br />
abgesenkt werden. Für die SchülerInnen<br />
werden zwar zusätzliche Betreuungsmittel<br />
zur Verfügung gestellt, die<br />
aber um ein Drittel geringer ausfal-<br />
len als die bisher als pädagogisch<br />
notwendig erachteten und finanzierten<br />
Mittel“, so Nils Wiechmann.<br />
Weder flächen- noch bedarfsdeckend<br />
Welche Eltern in naher Zukunft mit<br />
einem Ganztagsschul-Angebot rechnen<br />
können, entscheidet bei den<br />
Ausbauplänen der Landesregierung<br />
das Glück des richtigen Wohnortes.<br />
Drei Grundschulen pro Landkreis<br />
oder kreisfreier Stadt bzw. nur 17%<br />
der Grundschulen in <strong>Rheinland</strong>-<br />
<strong>Pfalz</strong> können weder als flächendekkendes<br />
noch als bedarfsdeckendes<br />
Angebot bezeichnet werden. Einer<br />
geschätzten Nachfrage nach Ganztagsbetreuung<br />
für 30 bis 40 Prozent<br />
der SchülerInnen in <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />
steht ein Angebot von fünf bis zehn<br />
Prozent gegenüber.<br />
Ehrenamt überfordert<br />
Große Hoffnungen setzt die Landesregierung<br />
auf die Anwerbung von<br />
Honorar-Kräften aus (Sport-)Vereinen,<br />
Verbänden, Musikschulen und<br />
der Wirtschaft, und zwar mit doppelter<br />
Zielsetzung: Diese außerschulischen<br />
ExpertInnen sollen erheblich<br />
billiger sein als beamtete Lehrkräfte<br />
und gleichzeitig fehlende pädagogische<br />
und fachliche Qualifikationen<br />
mitbringen. Auf der Anhörung von<br />
Bündnis 90 / Die Grünen im Landtag<br />
machten zahlreiche Verbände<br />
deutliche Fragezeichen hinter den<br />
zur Verfügung stehenden Ressourcen<br />
für eine große Zahl von regelmäßigen<br />
zusätzlichen Betreuungsangeboten.<br />
Landessportbund, Landesjugendring,<br />
der Landesverband der Musikschulen,<br />
der Landesmusikrat und die<br />
Evangelische Jugend wiesen für ihre<br />
Übungsleiter, Jugendgruppenleiter<br />
und Musikpädagogen großen Nachholbedarf<br />
hin, wenn neue, zusätzliche<br />
Aufgaben an den Ganztagsschulen<br />
übernommen werden sollen.<br />
Notwendig sei die Anwerbung und<br />
pädagogisch-didaktische Qualifizierung<br />
einer großen Zahl von zusätzlichen<br />
ehrenamtlichen Kräften. Erschwerend<br />
kommt hinzu, dass bereits<br />
viele in den Verbänden und Vereinen<br />
tätige im Hauptberuf bereits<br />
Lehrkräfte seien.<br />
Pädagogische Klammer<br />
fehlt<br />
Ministerpräsident Beck legt vor allem<br />
in den öffentlichen Darstellung<br />
großen Wert auf die besseren Förderung<br />
insbesondere von lernschwächeren<br />
Schülerinnen und Schüler.<br />
Durch die Ausgliederung dieser Förderangebote<br />
in den Nachmittag entsteht<br />
der unerwünschte Nebeneffekt,<br />
dass der zusätzliche Nachmittagsunterricht<br />
als Strafe, als Nachsitzen begriffen<br />
wird. Hochbegabte lassen sich<br />
durch Zusatzangebote am Nachmittag<br />
schon gar nicht besser integrieren.<br />
Nach Ansicht der Grünen ist<br />
Becks Konzept allein nicht ausreichend<br />
und in sich kontraproduktiv.<br />
Fördermaßnahmen müssen integrale<br />
Bestandteile des Regelunterrichts<br />
bleiben und werden.<br />
„Die Eckpunkte von Ministerpräsident<br />
Beck und Ministerin Ahnen für<br />
ein Ganztagskonzept bieten keinen<br />
Ausblick auf die dringend notwendige<br />
pädagogische Reform der Schulausbildung.<br />
Den einzelnen pädagogischen<br />
Elementen und Begründungen<br />
für das Ganztags-Angebot fehlt<br />
die pädagogische Klammer. Floskeln<br />
kombiniert mit einer Minimalausstattung<br />
reichen nicht für einen neuen<br />
Schultyp am Anfang eines neuen<br />
Jahrtausends. Das rheinland-pfälzische<br />
Ganztagsschul-Angebot wirkt<br />
wie die Fortsetzung des tradierten,<br />
mit vielschichtigen Problemen belasteten<br />
Unterrichts am Vormittag -<br />
mit angekoppelter Zusatzbetreuung<br />
am Nachmittag“, so Nils Wiechmann.<br />
pm-bg<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />
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