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GEW-ZEITUNG Rheinland-Pfalz

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Beginn einer „neuen“ Lernkultur?<br />

Lernfeldorientierung in der Berufsschule<br />

Verunsicherung und Abwehr überwogen zunächst in Gewerkschaftskreisen,<br />

als Anfang der 80er Jahre die Industriesoziologen Horst Kern<br />

und Michael Schumann vom Soziologischen Forschungsinstitut (SOFI)<br />

der Universität Göttingen mit ihrer Studie „Das Ende der Arbeitsteilung?“<br />

einen Umbruch der Produktions- und Arbeitskonzepte in den<br />

Kernindustrien (Auto, Werkzeug, Chemie) prognostizierten, der aus Arbeitnehmersicht<br />

nicht nur als Bedrohung sondern auch als Chance<br />

einzuschätzen sei.<br />

Annelie Strack ist<br />

seit vielen Jahren<br />

für den Vorstandsbereich<br />

Berufliche<br />

Bildung / Weiterbildung<br />

der <strong>GEW</strong><br />

<strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong><br />

verantwortlich<br />

und auch Vorsitzende<br />

der Bundesfachgruppe<br />

Kaufmännische<br />

Schulen.<br />

Eine neue, ganzheitliche<br />

Arbeitsgestaltung,<br />

ermöglicht durch<br />

neue technisch-organisatorische<br />

Möglichkeiten,<br />

setze sich zunehmend<br />

gegen „fordistische“<br />

und „tayloristische“<br />

Produktionsformen<br />

durch.<br />

Nach der „Kern-<br />

Schumann-These“<br />

würden die anstehenden<br />

Rationalisierungsprozesse<br />

zwar einerseits<br />

zu erheblicher<br />

Arbeitsplatzvernichtung führen, andererseits<br />

aber auch zur verstärkten<br />

Nutzung der Qualifikationen und<br />

fachlichen Souveränität der ArbeitnehmerInnen.<br />

Für die Qualifizierung<br />

der ArbeitnehmerInnen empfahlen<br />

Kern und Schumann: „Ausrichtung<br />

der Bildungsprozesse an einem<br />

umfassenden Qualifikationsbegriff<br />

(keine Beschränkung auf prozessspezifische<br />

Fähigkeiten; Orientierung<br />

an souveräner Berufsarbeit;<br />

vielfältige, berufliche wie private<br />

Anwendbarkeit der Kenntnisse und<br />

Fähigkeiten)“.<br />

Lange bevor im pädagogischen Bereich<br />

die Diskussion um „Neue Lernkulturen“<br />

begann, setzten die Sozialpartner<br />

erstmals bei der Neuordnung<br />

der Metall- und Elektroberufe<br />

sowie der Büroberufe die Empfehlungen<br />

der Industriesoziologen um.<br />

Alle seit 1986 erlassenen neuen Ausbildungsordnungen<br />

orientieren sich<br />

an deren „umfassendem Qualifikationsbegriff“:<br />

Am Ende ihrer Ausbildung<br />

sollen die zukünftigen Beschäf-<br />

tigten über eine umfassende Handlungskompetenz<br />

(Fach-, Methoden-,<br />

Selbst- und Sozialkompetenz) verfügen,<br />

die sie in die Lage versetzt, ihre<br />

angereicherten beruflichen Tätigkeiten<br />

in Teams selbstständig zu planen,<br />

durchzuführen und zu bewerten und<br />

so gestaltend in die betrieblichen<br />

Prozesse einzugreifen.<br />

Neues Leitbild auch der Rahmenlehrpläne<br />

für die Berufsschule wurde<br />

„Handlungsorientiertes Lernen“.<br />

Verstärkt wurde die Tendenz durch<br />

neuere Ergebnisse der biologischen<br />

und psychologischen Forschung, die<br />

persönlichkeits- und situationsorientierte<br />

Lernkonzepte gegenüber der<br />

reinen Wissensvermittlung hervorhoben.<br />

Ein Blick in die schulische Praxis Anfang<br />

der 90er Jahre zeigte jedoch,<br />

dass der Paradigmenwechsel - wenn<br />

überhaupt - nur auf dem Papier vollzogen<br />

worden war: Im real existierenden<br />

Unterricht standen traditionelle<br />

Fächer und Lehrplanstrukturen<br />

mit kleinschrittigen Zielen und Inhalten<br />

sowie Vorgaben zur Notengebung<br />

der Realisierung des neuen<br />

Leitbildes entgegen. Die <strong>GEW</strong> griff<br />

die Kritik der KollegInnen auf und<br />

forderte eine neue Lehrplankonzeption,<br />

die der Neuorientierung berufsschulischen<br />

Lernens nicht länger im<br />

Wege stehen würde.<br />

Nach langen, kontroversen Diskussionen<br />

legte die Kultusministerkonferenz<br />

Ende der 90er Jahre „Handreichungen<br />

für die Erarbeitung von<br />

Rahmenlehrplänen für den berufsbezogenen<br />

Unterricht in der Berufsschule<br />

und ihre Abstimmung mit<br />

Ausbildungsordnungen des Bundes<br />

Berufliche Bildung<br />

für anerkannte Ausbildungsberufe“<br />

vor, mit denen die Hürden bei der<br />

Realisierung handlungsorientierten<br />

Unterrichts aus dem Weg geräumt<br />

werden sollten:<br />

Die neuen Lehrpläne sind nicht<br />

mehr nach Fächern, sondern nach<br />

Lernfeldern strukturiert, die sich an<br />

Tätigkeitsfeldern des Berufs orientieren<br />

und den spezifischen Bildungsauftrag<br />

der Berufsschule einschließen.<br />

Mit der Lernfeldkonzeption<br />

wird der Übergang von der Erzeugungsdidaktik<br />

zur Ermöglichungsdidaktik<br />

vollzogen. Im Rahmen<br />

weit gefasster Vorgaben ist es<br />

Aufgabe der LehrerInnenteams an<br />

den einzelnen Berufsschulen, die<br />

Lernfelder durch komplexe Lernsituationen<br />

zu konkretisieren, die auf<br />

die individuelle Lebenssituation der<br />

Auszubildenden in Betrieb und Gesellschaft<br />

abheben. Wissenschaftsorientierung<br />

und Fachsystematik werden<br />

nicht überflüssig, sondern in<br />

einen Anwendungszusammenhang<br />

gebracht. Neu ist allerdings, dass mit<br />

der Lernfeldkonzeption verbindliche<br />

Standards für die Organisation des<br />

Unterrichts vorgegeben werden:<br />

Ausgangspunkt des schulischen Lernens<br />

ist nicht mehr das wissenschaftliche<br />

Modell, sondern die Handlungssituation,<br />

für deren Bewältigung<br />

fachliche, methodische, individuelle<br />

und soziale Kompetenzen<br />

erworben werden müssen. Mit dieser<br />

Umkehrung der Vorgehensweise<br />

ist die Hoffnung verbunden, dass so<br />

ein Grundproblem schulischen Lernens,<br />

nämlich die Anwendung theoretischer<br />

Erkenntnisse für die Bewältigung<br />

der Praxis, besser gelöst werden<br />

kann.<br />

Auch wenn nicht alle seit der KMK-<br />

Einigung erlassenen Rahmenlehrpläne<br />

für die Berufsschule den in den<br />

Handreichungen formulierten Qualitätsansprüchen<br />

entsprechen, sieht<br />

die <strong>GEW</strong> in der KMK-Lernfeldkonzeption<br />

die richtige Weichenstellung<br />

zur Entwicklung einer neuen Lernkultur<br />

für die berufsbildenden Schulen.<br />

Ein Blick in die Realität der rheinland-pfälzischen<br />

Berufsschulen zeigt<br />

allerdings, dass auf der Umsetzungsebene<br />

der Länder und der einzelnen<br />

Schulen erhebliche Probleme beste-<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung <strong>Rheinland</strong>-<strong>Pfalz</strong> 3-4 /2002<br />

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