Foto: pm Wer wissen will, wie Deutschland tickt, der hat drei Möglichkeiten: Er verfolgt die Debatten im Parlament. Er liest die Texte in den Feuilletons. Oder er sucht den Kontakt zu den Deutschen in deren natürlichem Habitat. Als rasender Reporter mit schmierigen Haaren, orangefarbener Trainingsjacke und Puschelmikrofon sucht Emmanuel Peterfalvi alias »Alfons« auf Wochenmärkten oder in Kleingartenvereinen nach den großen Wahrheiten und den riesigen Vorurteilen der Deutschen. Am 23. Februar präsentiert der in Paris geborene Comedian in der Kongresshalle Gießen die Ergebnisse seiner skurrilen, teils erhellenden Recherchen. 40 streifzug 2/2011
KULTUR Die Rentnerin fragt sich mit Sorge, ob Deutschland in wirtschaftlichen Krisenzeiten tatsächlich von einer Frau regiert werden darf. Der Vorsitzende eines Kleingartenvereins berichtet mit Hochgenuss vom vorgeschriebenen Mischverhältnis zwischen Gemüse- und Zierholzanbau in den Parzellen. Es sind diese Sorgen und Meinungen des kleinen Mannes, jene, die es selten in Parlament und Feuilleton schaffen, für die sich »Alfons« in seinen Umfragen interessiert. Denn er weiß: »Das gehört alles dazu. Auch das ist Deutschland.« Emmanuel Peterfalvi, der den Bürgern mit seiner Kunstfigur »Alfons« ehrliche und damit häufig überraschende Aussagen entlockt, kam vor 19 Jahren aus Frankreich nach Deutschland und durfte erst einmal für »Zapping« und »Kalkofes Mattscheibe« die deutsche Fernsehlandschaft sichten. »Ich habe zusammen mit einer Bande von Studenten parallel vier Sender gesehen. Da lernt man nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch die Deutschen kennen«, weiß er die Erfahrungen von damals inzwischen zu schätzen. Später reiste er als »Alfons« für verschiedene Fernsehformate durchs Land und hält den Deutschen seither den Spiegel vor. Er sollte demnach wissen, wie sich die Deutschen charakterisieren lassen. Also? »Das ist nicht einfach. Sie sind die Weltmeister der Selbstkritik und achten immer auf Verhältnismäßigkeit. Wenn die Deutschen die Französische Revolution geplant hätten, wäre sie sicher in einem Desaster geendet. Guillotine? Okay, aber nur ein bisschen.« Der 43-Jährige weiß, wovon er spricht, weil er es schafft, seinen Interviewpartnern in den Fußgängerzonen oder an den Bahnsteigen ehrliche Antworten auf seine teils skurrilen Fragen zu entlocken: »Authentizität. Das war von Anfang an mein Ziel. Um die deutsche Sprache zu lernen, habe ich früher auch sehr viele interessante Stammtischdiskussionen verfolgt. Dieses Deutschland findet man heute aber leider nur noch selten im Fernsehen. Wenn Leute versuchen, intelligent rüberzukommen, wird es schnell langweilig. Ich will die Authentizität der Deutschen einfangen«, erklärt er. Die Ergebnisse tun manchmal weh, aber dieses Risiko besteht bei einem Blick in den Spiegel eben: Was ist der größte Kostenfaktor im Haushalt? »Meine Frau.« Wer hat die schönsten Rundungen des Landes? »Ein Bierfass.« Was könnte der Staat in Krisenzeiten noch verkaufen? »Mecklenburg-Vorpommern.« Solch kleine Perlen sind allerdings nicht immer leicht zu bekommen. Für einen Spot von knapp fünf Minuten verbringt Peterfalvi schon mal zehn Stunden bei einer Nacktwanderung, beim Lach-Yoga oder in einem Tabakverein. Dass der passionierte Nichtraucher dort letztlich sogar zum Ehrenmitglied berufen wurde, verrät etwas von seinem Erfolgsgeheimnis: Die Leute auf der Straße fühlen sich mit der vermeintlich unbeholfenen Kunstfigur »Alfons« verbunden, haben vielleicht sogar Mitleid und nehmen ihn in ihrer Mitte auf. Der rasende Reporter mit dem französischen Akzent, dem Hundeblick, dem zerfledderten Block mit seinen Fragen wird so zum Katalysator für authentische Aussagen zur Lage der Nation und den persönlichen Lebenswelten der Deutschen: Da wägt eine Passantin in der Fußgängerzone schon einmal ab, ob man mit der Einführung der Sklaverei nicht vielleicht doch die Arbeitslosenzahlen senken könnte. Ein Marktbesucher verrät der Kamera, dass er den Valentinstag lieber mit Heidi Klum als mit seiner Gattin verbringen würde. Bloßstellen möchte Peterfalvi mit seinen Umfragen aber letztlich niemanden: »Darum geht es nicht. Ich führe keine Menschen vor wie etwa bei einer Castingshow. Mein Ansatz ist das Offenlegen von Meinungen«, sagt Peterfalvi. Und entsprechend muss sich auch bei seinem Besuch in der Kongresshalle am 23. Februar niemand vor »Alfons« fürchten: »Das Puschelmikrofon bringe ich nur zur Ansicht mit. Versprochen. Auch in der ersten Reihe wird niemand interviewt«, beruhigt er. Stattdessen erwartet die <strong>Gießener</strong> eine Mischung aus seinen berüchtigten Einspielfilmen und seinen erhellenden Erklärungen über das Leben in Deutschland. Es gilt, die großen Wahrheiten und die großen Vorurteile aufzudecken. Und auch wenn Peterfalvi den Deutschen mit seiner Kunstfigur »Alfons« den Spiegel vorhält: Richtigen Ärger bekam er bei seinen Recherchen bisher nur ein einziges Mal: »Ich wurde bei einer Umfrage in einem Käseladen mit wüsten Beschimpfungen aus dem Geschäft geworfen«, erinnert sich Peterfalvi an die schwärzeste Stunde von »Alfons«. Über deutschen Unmut und deutsche Humorlosigkeit sagt die unschöne Szene allerdings nichts aus: Die Besitzerin des Käseladens war eine Französin. Florian Dörr GEWINNSPIEL Der streifzug verlost 3x 2 Tickets für den Auftritt von »Alfons« am 23. Februar um 20 Uhr in der Kongresshalle Gießen. Wer den Franzosen live erleben möchte, sollte bis zum 15. Februar eine Karte mit dem Kennwort »Alfons« an streifzug, Marburger Straße 20, 35390 Gießen oder eine Mail senden an streifzug@ giessener-allgemeine.de. Viel Glück! NEU IM THEATER Ein Sommernachtstraum 12. Februar, 19.30 Uhr, Stadttheater Liebe, Verwirrung und Eifersucht. Die Choreografen David Williams und Tarek Assam verlegen Oberons fantastisches Verwirrspiel mit diesem Tanzstück zur Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy u.a. in die Halbwelt einer modernen Großstadt – der verwunschene Wald wird zum südamerikanischen Dschungel. Jeder will und darf mal mit jedem. Unweigerlich wird man an die Ideale der 68er Bewegung erinnert. Am Ende stellt Oberon die Ordnung wieder her, doch ein bitterer Nachgeschmack bleibt: die Erkenntnis, dass alle alles übereinander wissen, und die eigene Blöße sich daher nicht mehr verdecken lässt. Weitere Vorstellungen: 26. Februar. Musikalische Leitung: Carlos Spierer, Bühne: Fred Pommerehn, Kostüme: Gabriele Kortmann. Ohne Netz (UA) 26. Februar, 20 Uhr, TiL-Studiobühne Während des Studiums war die Lage noch ziemlich übersichtlich: Peter liebte Silvia, Silvia liebte Karla und Karla liebte Johann. Nach einiger Zeit ordneten sich die Verhältnisse und man gründete seine Kleinfamilie. Der Plan, nach zehn Jahren ohne Kontakt in den gemeinsamen Urlaub zu fahren, entwickelt sich zum Desaster – alte Konflikte brechen auf, akute Probleme kommen hinzu und keiner nimmt mehr ein Blatt vor den Mund. Mit bösem Humor zeichnet die junge Autorin Anne Rabe in diesem Schauspiel das Wiedersehen zweier Paare, und mit voller Wucht bringt Regisseurin Ragna Kirk die Uraufführung auf die TiL-Studiobühne. Weitere Vorstellungen: 3. und 19. März. Bühne und Kostüme: Udo Herbster. 2/2011 streifzug 41