Kommentiertes - Institut für Germanistik - Universität Bern
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Wintersemester 2006/07 Komparatistik 38<br />
Vertiefungskurs/<br />
Aufbaukurs/<br />
Hauptseminar<br />
Veranst.-Nr.: 6359<br />
Zeit: Dienstag 16–18<br />
Dauer: 24.10.2006–30.01.2007<br />
ECTS-Punkte:<br />
Prof. Dr. Wolfgang Proß<br />
Physiognomien und Emotionen in der Literatur des 18. und 19.<br />
Jahrhunderts: Von Lavater zu Darwin<br />
<strong>für</strong> BA/MA: 6/9 (3) ECTS, <strong>für</strong> Liz.: 7 (3) ECTS<br />
kann als freie Leistung bezogen werden<br />
Wenn Autorinnen und Autoren ihre Personen erfinden, geben sie ihnen ein Gesicht, eine Gestik<br />
und nach Möglichkeit ein spezifisches Aussehen, das im Habitus der Person den Charakter und<br />
die Handlungsweise bereits äußerlich bezeichnet. Die Literaturwissenschaft hat sich wenig um die<br />
Quelle dieser Erfindungen gekümmert, während die Kunstgeschichte solchen Problemen der Ikonologie<br />
ausführlich nachgegangen ist. Das Seminar führt in theoretische Konzepte der Lehre von<br />
der Erkennbarkeit des Seelischen aus der körperlichen Gestik und Mimik ein, und zeigt ihre Anwendung<br />
in der Literatur an ausgewählten Beispielen des 18. und 19. Jahrhunderts. Der Überblick<br />
über die Theorie beginnt mit Giambattista della Portas De humana physiognomia (1586), die Lavaters<br />
Arbeiten zur Physiognomik (1772, 1775-1778) entscheidend prägten. Allerdings versuchte<br />
Lavater aus Portas vorsichtiger Verhaltenslehre eine »Wissenschaft« zu bilden, die sofort G. Chr.<br />
Lichtenbergs Widerspruch hervorrief: Die Affekte bestimmen den Gesichtsausdruck, nicht der angeblich<br />
am Äußeren ablesbare Charakter. Trotzdem gewann das Problem auch <strong>für</strong> die Medizin<br />
und Naturwissenschaft des 18. und 19. Jahrhunderts an Gewicht, in der Phrenologie Franz Josef<br />
Galls, in der Lehre vom Gesichtswinkel des holländischen Anatomen Pieter Camper, bei Charles<br />
Bell (Essays on anatomy of expression, 1806), Emil Huschke (Mimices et physiognomices fragmenta,<br />
1821) und schließlich bei Charles Darwin (The expression of emotions, 1871) und Cesare<br />
Lombroso (L’uomo delinquente, 1876). Dabei soll auch durchaus auf die bedenklichen Auswüchse<br />
dieser Theorien und ihrer Benutzung <strong>für</strong> die rassistischen Lehren des 20. Jahrhunderts hingewiesen<br />
werden. Für die literarische Rezeption waren, neben Lavaters weit verbreiteten und ins Englische<br />
und Französische übersetzten Fragmenten, Johann Jakob Engels Ideen zu einer Mimik (2<br />
Teile, Berlin 1785-1786) oder Carl Friedrich Flögels Geschichte des Grotesk-Komischen von Bedeutung.<br />
An literarischen Dokumenten werden unter anderem Texte des englischen Autors Tobias<br />
Smollett (Peregrine Pickle), Lichtenbergs Erläuterungen der Hogarth-Kupferstiche, sowie Werke<br />
von Jean Paul (Dr. Katzenbergers Badereise), E. Th. A. Hoffmann, Balzac, Dickens, Edgar Allan<br />
Poe und Wilhelm Raabe herangezogen.<br />
Literaturangaben:<br />
• Lavater, Über Physiognomik (1772).<br />
• Lavater, Physiognomische Fragmente (1775/78).<br />
• Charles Darwin, The expression of emotions (1871).<br />
• Norbert Borrmann, Kunst und Physiognomik: Menschendeutung und Menschendarstellung im Abendland.<br />
Köln 1994. – Rüdiger Campe/Manfred Schneider (Hgg.): Geschichten der Physiognomik: Text – Bild –<br />
Wissen. Freiburg i. Br. 1996. – Gerda Mraz/Uwe Schögl (Hgg.): Das Kunstkabinett des Johann Caspar<br />
Lavater. Wien u. a. 1999. – Karl Pestalozzi/Horst Weigelt (Hgg.): Das Antlitz Gottes im Antlitz des Menschen:<br />
Zugänge zu Johann Caspar Lavater. Göttingen 1994. – Claudia Schmölders: Das Vorurteil im<br />
Leibe: Eine Einführung in die Physiognomik. 2. Aufl. Berlin 1997.<br />
Eine Themenliste wird Ende Juni bekannt gegeben (s. Aushang im <strong>Institut</strong>).<br />
Studierende, die an diesem Seminar interessiert sind, sollten möglichst noch vor oder zu<br />
Beginn der Sommerpause mit Herrn Proß Kontakt aufnehmen (Sprechstunde im Semester:<br />
jeweils Mi 17-18h30, Einschreibung im Sekretariat).<br />
Bemerkungen:<br />
Anrechenbar <strong>für</strong> Liz. bzw. BA/MA <strong>Germanistik</strong> und MA Komparatistik