ich lebe nicht allein zusammen - GEW
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BILDUNG INTERNATIONAL<br />
bei den meisten sozial benachteiligten Kindern ein eher<br />
pessimistisches Selbstkonzept festgestellt hat. Die Ersetzung<br />
der individuellen Lernber<strong>ich</strong>te durch vergle<strong>ich</strong>ende<br />
Ziffernzeugnisse in den Hamburger Integrationsklassen,<br />
wie es die Schulbehörde mit diesem Schuljahr vorschreibt,<br />
ist daher ein geradezu sträfl<strong>ich</strong>er Anschlag auf das gute<br />
Klassenklima im Gemeinsamen Unterr<strong>ich</strong>t.<br />
Wesentl<strong>ich</strong> aber ist, dass die in Teilen umstrittenen Untersuchungsergebnisse<br />
in gar keinem Fall die Alternative<br />
der Förderzentren begründen und rechtfertigen. N<strong>ich</strong>t<br />
nur aus menschenrechtl<strong>ich</strong>er S<strong>ich</strong>t gilt der Anspruch der<br />
Einbeziehung aller Kinder in eine gemeinsame Schule<br />
für alle. Auch wissenschaftl<strong>ich</strong> ist erwiesen, dass die<br />
effektivste Förderung der Kinder mit Behinderung und<br />
Benachteiligung am besten unterr<strong>ich</strong>tsintegriert in den<br />
allgemeinen Schulen gelingt.<br />
Mit dem Konzept der Integrativen Grundschule und<br />
ihren zwei Kernelementen, der Integrationsklasse und<br />
der Integrativen Regelklasse, lässt s<strong>ich</strong> zwar das bestehende<br />
selektive Sekundarschulsystems n<strong>ich</strong>t aufheben.<br />
Dazu bedarf es einer politischen Entscheidung. Aber wir<br />
hätten, was n<strong>ich</strong>t wenig ist, eine Grundschule, die s<strong>ich</strong><br />
im Sinne der UN-Konvention entwickelt, und ein solides<br />
pädagogisches Fundament für ein längeres gemeinsames<br />
Lernen über die Grundschulzeit hinaus.<br />
Brigitte Schumann<br />
ifenici@aol.com<br />
NORWEGEN: HOCH GELOBT UND TIEF GEFALLEN?<br />
Eine Einordnung der PISA-Ergebnisse 2006<br />
In dem jüngsten PISA - Ranking ist Norwegen mit<br />
seinen Schülerleistungen deutl<strong>ich</strong> unter den OECD-<br />
Durchschnitt gerutscht und von Deutschland überholt<br />
worden. Haben s<strong>ich</strong> all die getäuscht oder s<strong>ich</strong> etwas<br />
vorgemacht, die in der Vergangenheit mit Begeisterung<br />
von der Qualität des inklusiven norwegischen Schulsystems<br />
ber<strong>ich</strong>tet haben?<br />
Auch nach den Fallstudien des internationalen Comenius-Projekts<br />
EU-MAIL, das den praktischen Umgang mit<br />
Heterogenität im Schulalltag in verschiedenen europäischen<br />
Ländern vergle<strong>ich</strong>end unter die Lupe nahm, zählen<br />
norwegische Schulen zu denen, die pädagogisch bewusst<br />
die Herausforderung der Heterogenität annehmen. In<br />
der Philosophie, der Schulorganisation, Struktur und<br />
Lernkultur konnten die EU-MAIL-Forscher große Übereinstimmungen<br />
zwischen norwegischen und finnischen<br />
Schulen feststellen mit dem besonderen Unterschied, dass<br />
Norwegen keine Sonderschulen mehr kennt.<br />
Inklusion stärkt die Gesellschaft<br />
Lassen wir uns n<strong>ich</strong>t von jenen täuschen, die aus dem<br />
Ranking ableiten, dass Deutschland bildungspolitisch<br />
mit der Ablehnung der Inklusion und dem Festhalten an<br />
selektiven Schulstrukturen auf einem guten gesellschaftl<strong>ich</strong>en<br />
Weg ist. In der Anerkennung der Vielfalt und der<br />
Unterschiedl<strong>ich</strong>keit in der Gemeinsamkeit, einem der<br />
w<strong>ich</strong>tigsten von der UNESCO formulierten Lernziele<br />
für das Leben im 21. Jahrhundert, ist das norwegische<br />
Bildungssystem vorbildl<strong>ich</strong>. Die UNESCO zählt Norwegen<br />
zu den Ländern, die für das Wohlbefinden aller<br />
Kinder und Jugendl<strong>ich</strong>en einen hohen Standard in den<br />
Schulen erre<strong>ich</strong>t haben. Während das deutsche Schulsystem<br />
soziale Segregation vertieft sowie Aussonderung und<br />
Exklusion produziert, leistet das norwegische Schulsystem<br />
einen hervorragenden Beitrag zur sozialen Kohäsion und<br />
zur Solidarität. Dies spiegelt s<strong>ich</strong> auch in der gesamtgesellschaftl<strong>ich</strong>en<br />
Zustimmung zu einer Schule für alle in<br />
Norwegen wider.<br />
Ganz selbstverständl<strong>ich</strong> haben auch Schüler und Schülerinnen<br />
mit den schwersten Behinderungen ihren Platz<br />
in der norwegischen Gesamtschule. Im Rahmen eines<br />
von FESCH (Forum Eltern und Schule) organisierten<br />
Studienseminars in Halden im Herbst 2007 konnten s<strong>ich</strong><br />
die Teilnehmer/innen selbst davon überzeugen, dass diese<br />
Gruppe im Zentrum der Bemühungen um bestmögl<strong>ich</strong>e<br />
Unterstützung steht. Einbeziehung und gle<strong>ich</strong>wertige<br />
Teilhabe von Menschen mit Behinderungen gelten der<br />
Kommune Halden ausdrückl<strong>ich</strong> als Gradmesser für die<br />
Qualität des kommunalen Schulangebots. Liebevolle<br />
Zuwendung im normalen Schulalltag geschieht n<strong>ich</strong>t<br />
zufällig. Sie entsteht aus Situationen gelebter Solidarität<br />
mit denen, die auf Hilfe angewiesen sind, und sie beweist,<br />
dass demokratische Wertevermittlung in norwegischen<br />
Schulen n<strong>ich</strong>t nur auf dem Papier gelingt. Anne Ratzki<br />
hat dies am Beispiel von Emely beschrieben, die sie als<br />
schwer mehrfach behindertes Mädchen in der Grundstufe<br />
der norwegischen Gesamtschule traf. Wenn Emely aus<br />
therapeutischen Gründen während der Schulzeit Bäder<br />
bekam, war sie gewohnt, von Freundinnen aus ihrer Klasse<br />
begleitet zu werden.<br />
Während alle PISA - Ber<strong>ich</strong>te dokumentieren, dass Migrantenkinder<br />
der zweiten Generation systematisch im<br />
deutschen Schulsystem abgehängt und zurückgelassen<br />
werden, wird Norwegen von deutschen PISA - Forschern<br />
dafür gelobt, „eine mehr oder weniger offene Balance zwischen<br />
Umgangssprache in der Familie und Beherrschung<br />
der Verkehrssprache“ herzustellen (PISA 2000, 394).<br />
Unter welchen schulischen Bedingungen die Integration<br />
von Zuwanderern gelingt, konnten die Teilnehmer/innen<br />
des o. g. Studienseminars in Halden an der Os skole in<br />
Erfahrung bringen. Schüler/innen, die direkt aus dem<br />
Ausland kommen oder die mangelnde Kenntnisse in Norwegisch<br />
besitzen, bekommen in einer Aufnahmeklasse bis<br />
zu einem Jahr lang intensiven Unterr<strong>ich</strong>t in Norwegisch,<br />
dabei werden durchschnittl<strong>ich</strong> 20 Stunden Norwegisch<br />
pro Woche unterr<strong>ich</strong>tet. Bei Bedarf werden Kinder in der<br />
<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />
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