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ich lebe nicht allein zusammen - GEW

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ESSAY<br />

Wissen<br />

• Wissen darüber, wie wir erkennen und wissen<br />

• Wissen darüber, welche Rolle dabei unsere Erfahrungen und die<br />

Muster unseres Denkens und Fühlens spielen<br />

• Wissen über die Unmögl<strong>ich</strong>keit von Intervention<br />

• Prozesswissen über die mögl<strong>ich</strong>en Formen der Irritation zur Verflüssigung<br />

von Starrem und zur Strukturierung von Flüssigem<br />

Fähigkeiten<br />

• die Fähigkeit zur selbständigen und angepassten Nutzung und<br />

Weiterentwicklung des eigenen Kompetenzportfolios<br />

• die Fähigkeit zur Aufgabe des Vertrauten und zum Einlassen<br />

auf Neues<br />

• die Fähigkeit die eigene Stimme des Bescheidwissens verstummen<br />

zu lassen und unvoreingenommen zu denken<br />

• die Fähigkeit zum Aufbruch und Abschied („Loslassen“)<br />

Selbstreflexivität<br />

• um die eigene Beobachterposition wissen<br />

• sein eigens Echo kennen<br />

• die eigenen bevorzugten Denk- und Fühlprogramme kennen<br />

• aus Fehlern und Scheitern lernen<br />

• Feedback wertschätzen und nutzen<br />

Abbildung:<br />

Elemente einer systemischen<br />

Handlungskompetenz<br />

Haltung<br />

• sokratische Fragehaltung<br />

• pädagogische Gelassenheit<br />

• Selbstkritikfähigkeit<br />

• Ressourcen- und Potenzialorientierung („Subjektorientierung“)<br />

• Unwirksamkeitstoleranz<br />

• Humor und Optimismus<br />

und Tuns. Wer systemisch denkt und handelt, der weiß um die Rolle<br />

seiner Beobachterposition und der ist auch in der Lage, behutsam<br />

mit dem umzugehen, was er wahrnimmt bzw. besser: für wahr<br />

nimmt. Er kennt die festlegende Wirkung seiner inneren Bilder,<br />

und er weiß zudem, dass die Kommunikation für das Gegenüber<br />

n<strong>ich</strong>t bei Null startet, sie ist vielmehr bereits stets im Gange und<br />

beginnt n<strong>ich</strong>t erst, wenn wir hinzutreten. Schülerinnen und Schülern<br />

kommen aus Elternhäusern und Milieus, in denen miteinander<br />

kommuniziert wird. Diese Jugendl<strong>ich</strong>en treten in den schulischen<br />

Erfahrungsraum ein, in dem ihnen die bereits ebenfalls schon immer<br />

typischen Formen des Miteinander-Redens („Unterr<strong>ich</strong>tsgespräch“)<br />

als vorhandene - gewissermaßen vorgefertigte - Routinen begegnen,<br />

in die sie s<strong>ich</strong> kommunikativ einfädeln müssen. Diese prinzipielle<br />

Fremdheit des anderen und seiner Kommunikationsweisen kann<br />

schier unüberwindbar werden, wenn wir es mit Kindern und Jugendl<strong>ich</strong>en<br />

zu tun haben, die aus anderen kulturellen Kontexten<br />

in unsere Schulen kommen. Aber auch die Milieus der deutschen<br />

Schülerinnen und Schüler, die oft als „gefährdete Jugendl<strong>ich</strong>e“<br />

beze<strong>ich</strong>net werden, sind den Beobachtungen der Lehrkräfte genauso<br />

verschlossen wie die türkischer, italienischer oder anderer<br />

Herkunftskultur. Besonders anges<strong>ich</strong>ts solcher Situationen wird uns<br />

ein systemischer Mechanismus bewusst, der stets die Wirksamkeit<br />

unserer pädagogischen Arbeit begrenzt:<br />

Wahrnehmen ist Beobachten, d.h. ein „Für-wahr-Nehmen“. Ein<br />

Beobachter kann nur das beobachten, was er wahrzunehmen<br />

vermag, das andere bleibt ihm verborgen. Insofern ist jede Beobachtung<br />

eine selektive Beobachtung. Der andere bleibt uns fremd<br />

- eine Feststellung, die wir uns insbesondere bei den folgenre<strong>ich</strong>en<br />

pädagogischen Beobachtungen, den Beurteilungen, stets vor Augen<br />

führen müssen.<br />

Auch den Lehrerinnen und Lehrern begegnet Schule als eine bereits<br />

im Gang befindl<strong>ich</strong>e Kommunikation - ein interaktives Rauschen<br />

und ein Sprachspiel -, in die sie hineinsozialisiert wurden und an<br />

dessen Fortdauern sie s<strong>ich</strong> mit ihrem eigenen kommunikativen<br />

Handeln beteiligen. Durch subtilste Mechanismen trägt das System<br />

Schule dafür Sorge, dass auch nur so kommuniziert wird, wie<br />

dies die im System übl<strong>ich</strong> ist. Nur allmähl<strong>ich</strong> verändern s<strong>ich</strong> diese<br />

in kommunikative Routinen eingebetteten schulischen Lern- und<br />

Kooperationskulturen.<br />

Die Kommunikation „gehört“ den Lehrerinnen und Lehrern nur<br />

sehr eingeschränkt, sie ist n<strong>ich</strong>t bloßer Ausdruck eigener Mitteilungsbedürfnisse<br />

und auch keine Form der Übermittlung von<br />

Informationen, und ebenso wenig ist die Erre<strong>ich</strong>ung eines Konsenses<br />

ihr vornehml<strong>ich</strong>er Zweck. Über die Kommunikation sind<br />

wir miteinander verbunden, selbst wenn wir uns n<strong>ich</strong>t verstehen<br />

können - dies scheint das Entscheidende zu sein. Durch Kommunikation<br />

entstehen Gemeinschaft und Gesellschaft, in denen um<br />

gemeinsame Sinnzuschreibungen in einer Weise gerungen wird,<br />

als sei ein wirkl<strong>ich</strong>er Konsens erre<strong>ich</strong>bar. Doch dieser kann n<strong>ich</strong>t<br />

erre<strong>ich</strong>t werden, da dann die Kommunikation zum Erliegen käme<br />

und das soziale System sein Bindemittel verlieren würde - so die<br />

scharfsinnige Analyse von Niklas Luhmann. Seine Arbeiten haben<br />

uns deutl<strong>ich</strong> jedoch vor Augen geführt, dass das kommunikative<br />

Ringen um Konsens das konstitutive Merkmal von Gesellschaft ist,<br />

n<strong>ich</strong>t der Konsens selbst (vgl. Luhmann 2002, S. 288ff).<br />

Kommunikation ist der Stoff, aus dem soziale Systeme bereits vor<br />

unserem Eintritt bestehen. Indem wir uns in die etablierten Kommunikationsweisen<br />

einfädeln, werden wir zu Mitgliedern eines<br />

Systems und nehmen an dessen kontinuierl<strong>ich</strong>en Bemühen um<br />

Sinnklärung und Sinnfortschreibung teil. Aus welchem geteilten<br />

Sinn besteht unsere Schule, mein didaktisches Konzept oder mein<br />

erzieherischer Ansatz - so ließe s<strong>ich</strong> fragen?<br />

<strong>GEW</strong>-Zeitung Rheinland-Pfalz 3 / 2008<br />

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