Café33 - KPÖ Oberösterreich
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Café <strong>KPÖ</strong><br />
Linke Zeitschrift<br />
für <strong>Oberösterreich</strong><br />
Nummer 33, Dezember 2010<br />
Verkaufspreis: 1 Euro<br />
Aus dem Inhalt<br />
Seite 2<br />
Rado Prostacki über<br />
elektrische Taschenspielertricks.<br />
Seite 5<br />
Melina Klaus über eine<br />
Gemeinheit namens<br />
Bedarfsprüfung.<br />
Seite 6/7<br />
Wie man’s auch betrachtet, die<br />
Verkehrspolitik hierzulande ist<br />
ein Desaster. Drei Beiträge von<br />
Michael Schmida.<br />
Seite 10<br />
Barbara Steiner über<br />
Studentenproteste und deren<br />
Perspektive.<br />
Seite 12<br />
Edith Friedl zum Abriss der<br />
Linzer Aschensiedlung.<br />
Seite 12<br />
Interview mit Thomas<br />
Diesenreiter über kulturpolitische<br />
Mängel.<br />
Seite 12<br />
Bärbel Staub kriminalisiert<br />
schon wieder.<br />
Die Bilder dieser Ausgabe<br />
Warnung an die Justiz: Wenn<br />
Sie die Leute vom „Verein<br />
gegen Tierfabriken“ nicht in<br />
Ruhe lassen, schlagen wir diese<br />
Robbenbabys tot. Wir<br />
meinen es ernst!<br />
Korrupte<br />
Bagage?<br />
Das Land <strong>Oberösterreich</strong> wirft Schröcksnadel Millionen in den Rachen.<br />
Dass Landeshauptmann Pühringer und der<br />
Schiliftzampano Schröcksnadel feine Spezis<br />
sind ist hinlänglich bekannt. Wie weit diese<br />
Amigo-Partie jedoch zu gehen bereit ist,<br />
das könnte einem die Sprache verschlagen.<br />
So ist geplant, die Schigebiete Hinterstoder<br />
und Wurzeralm über das Warscheneck zu<br />
verbinden. Abgesehen davon, dass dies<br />
den Verlust einer einmaligen<br />
naturgeschützten Landschaft bedeutet, ist<br />
dieses Vorhaben ein ungeheuerlicher ökologischer<br />
wie auch ökonomischer Schaden.<br />
Schigebiete in diesen geringen Höhenlagen<br />
können ausschließlich mit Kunstschnee betrieben<br />
werden. Als ob es keine Klimaziele<br />
gäbe wird hier Energie verpulvert und<br />
Geld verheizt. Die Kosten, das belegen<br />
zahlreiche Beispiele von anderen<br />
Schigebieten, die Schröcksnadel gehören,<br />
werden den Gemeinden, somit der Öffentlichkeit<br />
aufgebürdet. Die Bürgermeister<br />
der Region haben Schröcksnadel und<br />
Pühringer längst in Geiselhaft genommen,<br />
sie erwarten sich steigende<br />
Touristenzahlen, die jedoch keiner<br />
seriösen Prüfung standhalten.<br />
In Lackenhof am Ötscher etwa muss die<br />
Gemeinde die Beschneiungsanlagen<br />
Schröcksnadels mit Trinkwasser versorgen.<br />
Ohne Gegenleistung. Die versprochenen<br />
Jobs sind ebenfalls ausgeblieben – im Gegenteil.<br />
So hat Schröcksnadel, als er die<br />
Ötscher Lifte übernommen hat, die Fahrer<br />
der Pistengeräte allesamt entlassen, sie<br />
können denselben Job als Selbstständige<br />
machen, mit acht Euro Stundenlohn. Was<br />
bleibt, sind die ungeheuerlichen<br />
Subventionen, die Schröcksnadel lukriert.<br />
Vorsichtigen Schätzungen zufolge sollen es<br />
beim Warscheneck um die 60 Millionen<br />
Euro sein. Was hat der Mann gegen<br />
Pühringer und Co in der Hand, dass er so<br />
fuhrwerken kann?<br />
A.F.
Seite 2<br />
Politik<br />
unter Strom<br />
Willkommen im<br />
Café <strong>KPÖ</strong>!<br />
„Andiskutieren“ geht nicht.<br />
„Fragestellung“ geht gar nicht.<br />
Wolfgang „Whudsch“ Rohrstorfer<br />
ist streng, wenn es um das<br />
Lektorat von „Café <strong>KPÖ</strong>“geht.<br />
Doch seine Korrekturen<br />
drehen sich keineswegs<br />
ausschließlich um Sprachkritik<br />
und geistlosem Sprachgebrauch.<br />
Manch jungeR AutorIn<br />
musste sich schon anhören,<br />
dass „Budgetpolitik“ schon gar<br />
nicht gehe, weil es sich um<br />
einen Euphemismus für<br />
Klassenherrschaft handle, und<br />
die Betreffenden das gefälligst<br />
so hinzuschreiben hätten. Seit<br />
Anbeginn bewerkstelligt<br />
Whudsch die Korrekturen von<br />
Café <strong>KPÖ</strong>. Kürzlich feierte er<br />
seinen 60er, wozu ihm<br />
Redaktion und<br />
AutorInnenschaft aufs<br />
Herzlichste gratulieren.<br />
Da ist den lokalen Käseblättern wieder<br />
einmal zu entnehmen, dass sich der<br />
Umweltlandesrat Anschober den ganzen<br />
Sommer am Dachstein herumgetrieben<br />
hat, um den Hallstättergletscher am<br />
Schmelzen zu hindern. Dass der Gletscher<br />
aufgrund der Landesrätlichen Kontrollen<br />
aufgehört hätte zu schmelzen ist nicht<br />
überliefert, auch nicht, ob Anschober zu<br />
Fuß sich hinauf begeben hat, oder mittels<br />
elektrischer Seilbahnunterstützung. Denn<br />
als Energielandesrat kann man ihm eine<br />
tiefe Verbundenheit mit elektrischen<br />
Antrieben nicht absprechen. So seien im<br />
letzten Jahr um die 3000 Elektrofahrräder<br />
in <strong>Oberösterreich</strong> subventioniert worden,<br />
schwärmte der Strom-Landesrat<br />
andernorts kürzlich. Dass es sich dabei<br />
um eine Öko-Investition handle, kann<br />
man ihm nicht so recht abkaufen. Es ist<br />
doch evident, dass kaum jemand vom<br />
Auto aufs Elektrorad umsteigt, vielmehr<br />
Leute, die zuvor ein echtes Rad mit<br />
Muskelantrieb verwendeten, nun auf<br />
Akkus und Elektromotoren. Und dass<br />
Rado Prostackis Medienambulanz<br />
Strom dafür aus der Steckdose kommt<br />
und nicht aus Kraftwerken, kann uns<br />
selbst Anschober nicht mehr verklickern.<br />
Indes, liest man, sind die Pläne für fünf<br />
Speicherkraftwerke in <strong>Oberösterreich</strong><br />
vorangetrieben worden. Weil Wasserkraft<br />
die Zukunft sei und Öko überdies. Dass<br />
die Seen der Speicherkraftwerke gefüllt<br />
werden müssen, wird tunlichst verschwiegen.<br />
Es soll mit billigem (Atom)-Strom<br />
Wasser hinauf gepumpt werden, damit<br />
man bei Bedarf, wenn der Strompreis<br />
hoch ist, Wasser ablassen kann in die<br />
Turbinen. Um später mit billigerem Strom<br />
die Seen wieder aufzufüllen. Letztlich<br />
handelt es sich bei diesen Projekten um<br />
eine riesige Profitmaschine für die<br />
Energiekonzerne und für Anschober eine<br />
geschickte Werbemaßnahme, die bösen<br />
Atomstrom in guten Öko-Strom<br />
verwandelt. Der Hallstättergletscher<br />
macht sich indes aus dem Staub, damit er<br />
nicht selber später Atomstrom in Öko-<br />
Werbung umwandeln muss.<br />
Als Novizen im AutorInnen-<br />
Team dürfen wir Thomas Fatzinek<br />
begrüßen. Die Arbeit in<br />
dieser Nummer ist eine<br />
Illustration von Billie Holidays<br />
„Strange Fruits“. Wer dieses<br />
Lied nicht kennt, der/dem sei<br />
die Aufnahme auf Youtube<br />
http://www.youtube.com/watc<br />
h?v=h4ZyuULy9zs empfohlen.<br />
Ihnen, wertes Lesepublikum<br />
wünschen wir einen<br />
angenehmen Jahresausklang.<br />
Wem der Konsumismus-Terror<br />
zu viel wird, empfehlen wir<br />
statt einer Uzzi (das ist verboten)<br />
eine sanfte Narkose<br />
mittels gut gewürztem<br />
Glühmost.<br />
Ihre Café <strong>KPÖ</strong> Redaktion.<br />
Cartoon: Baluba & Sevi
Tausende<br />
Alternativen<br />
Seite 3<br />
Andi Wahl, FRO-Geschäftsführer, will über Wirtschaft sprechen.<br />
Die<br />
Friedl<br />
Die in Folge der Bankenkrise seit 2007 ergriffenen<br />
Maßnahmen haben einmal mehr<br />
gezeigt für welche Interessen sich die Regierungen<br />
in den verschiedenen Ländern<br />
und der unterschiedlichen Couleurs auf<br />
die Schienen werfen und wer im<br />
herrschenden Wirtschaftssystem das Sagen<br />
hat. Wenig überraschend, zugegeben. Sehr<br />
viel mehr überrascht, ja erschreckt, die<br />
Tatsache, dass Gewerkschaften und Linksparteien<br />
diese Situation nicht mehr<br />
nutzen konnten um längst überfällige<br />
Reformen durchzusetzen. Solch einen<br />
Feind müssen das Groß- und Finanzkapital<br />
wahrlich nicht fürchten.<br />
Allerdings sind die hegemonialen Verhältnisse<br />
ins Rutschen geraten. Die<br />
Überzeugung, dass es zu Neoliberalismus,<br />
freiem Markt und Globalisierung keine<br />
Alternative gäbe wird heute wohl von keinem<br />
Menschen mehr wirklich geglaubt.<br />
„An Kapitalismusgegnern“, schreibt<br />
deshalb auch der Philosoph Slavoj Zizek,<br />
„besteht heute kein Mangel.“ Reportagen<br />
oder auflagenstarke Bücher über<br />
Unternehmen die unsere Umwelt<br />
verschmutzen oder Banker die weiterhin<br />
fette Boni beziehen obwohl ihr Laden<br />
durch Steuergelder gerettet werden<br />
musste, fallen wie Schneeflocken vom<br />
Himmel. Dies kann man natürlich als<br />
Modeerscheinung, Hype oder die Fähigkeit<br />
des Kapitalismus, selbst aus der<br />
Kapitalismuskritik noch Profit zu schlagen,<br />
abtun. Man kann es aber auch als Indiz<br />
dafür nehmen, dass eine seit 30 Jahren<br />
laufende Hegemoniemaschine ins Stocken<br />
geraten ist.<br />
Die beste Zeit um sich neben den mehr als<br />
notwendigen Abwehrkämpfen wieder einmal<br />
an die Utopieproduktion zu machen.<br />
Nachdem der teleologische Ansatz des<br />
„wissenschaftlichen Sozialismus“ gründlich<br />
in die Hosen gegangen ist sollte nun eine<br />
breite Debatte mit all Jenen geführt<br />
werden die willens und fähig sind über<br />
gewohnte Muster hinaus zu denken.<br />
Mao Tse-tung altes Motto lautete: „Alles<br />
unter der Sonne befindet sich in<br />
äußerstem Chaos; die Lage ist exzellent.“<br />
Um in diesem Chaos Neues entstehen zu<br />
lassen braucht es das handelnde Subjekt.<br />
Daher wird das Freie Linzer Stadtradio,<br />
Radio FRO 105,0 MHz, nun eine<br />
wirtschaftspolitische Redaktion<br />
einrichten. Es war schon lange nicht mehr<br />
so spannend über Wirtschaft zu sprechen.<br />
Ein Märchen<br />
Es war einmal ein Politiker für<br />
Straßenbau, Sohn einer<br />
kleinen Provinzstadt, auf den<br />
der ganze Ort stolz sein<br />
durfte, weil er es mithilfe seiner<br />
Partei zu etwas gebracht<br />
hatte.Der saß nach dem<br />
sonntäglichen Kirchgang am<br />
Stammtisch – zusammen mit<br />
den Bossen ortsansässiger<br />
Bau- und Transportfirmen und<br />
bestätigte zum x-ten Mal großspurig,<br />
dass das mit dieser<br />
Transitautobahn quer durch<br />
die Landeshauptstadt sicher<br />
was wird: „Wenn ich das sag,<br />
Kruzitürken, dann gilt das!“<br />
Die Unternehmer lachten, prosteten<br />
ihm zu und wussten,<br />
diese Freundschaft ist auf<br />
Beton gebaut. Auf ihren<br />
„Hiasl“ war halt Verlass! Der<br />
zeigte es allen. Sogar der<br />
Ministerin.<br />
Zufrieden riefen sie nach der<br />
Bedienung, bestellten noch<br />
eine Runde, klopften ihrem<br />
Partei-Spezi auf die Schulter,<br />
der Kellnerin auf den Hintern<br />
– und waren mit sich und der<br />
Welt im Reinen. Der Politiker,<br />
begnadeter Bandl-<br />
Durchschneider bei<br />
Straßeneröffnungen, hatte<br />
zwar kurz einen Druck im<br />
Magen, ein paar Schweißperlen<br />
zeigten sich auf seinem<br />
Hirn, aber bald war das komische<br />
Gefühl vorbei. Und er<br />
war wieder der Alte: „Alsdann<br />
prost, Spezln, pack ma’s!“<br />
Und wenn sie nicht gestorben<br />
sind…
Seite 4<br />
Günstige<br />
Genüsse<br />
Braune<br />
Flecken<br />
Der Linzer Volksgarten lädt<br />
zum Verweilen ein, ist<br />
Treffpunkt für Schachspieler<br />
und Sammelpunkt für Demos.<br />
Im Grün dieses Parks stehen<br />
aber auch trutzige Zeugen<br />
reaktionären Geistes, nämlich<br />
Denkmäler für Friedrich<br />
Ludwig Jahn und Franz<br />
Stelzhamer.<br />
Berta Blumenkohl testete das Sozialmarkt-Restaurant.<br />
Der „Turnvater“ Jahn hat<br />
„Juden und Pfaffen“, aber auch<br />
„Polen und Franzosen“ für<br />
„Deutschlands Unglück“ gehalten,<br />
forderte die „Verbannung<br />
jeder Ausländerei“, die<br />
„Ausmerzung nicht-deutscher<br />
Vornamen“. Jahn trat nach<br />
dem Motto „Je reiner ein Volk,<br />
desto besser, je vermischter,<br />
je bandenmäßiger“ für Rassereinheit<br />
ein, idealisierte das<br />
„deutsche Wesen“ und war von<br />
Hass gegen alles „Welsche“ erfüllt.<br />
Von ihm inspiriert<br />
verbrannten Burschenschafter<br />
1817 die ersten „undeutschen“<br />
Bücher. Seine Losung „Ein<br />
Volk, ein Reich“ ergänzten die<br />
Nazis passend um „ein Führer“.<br />
Auch für den als „lustigen<br />
Franzl aus Piesenham“<br />
dargestellten Stelzhamer<br />
waren Welsche, Slawen, Zigeuner,<br />
Windische und natürlich<br />
Juden ein klares Feindbild. Er<br />
vertrat einen rabiaten biologischen<br />
Antisemitismus, der<br />
Juden als Ungeziefer, ergo als<br />
zu vernichten darstellte.<br />
Zwei Denkmäler, zwei braune<br />
Flecken.<br />
Linz, Wiener Straße 46, Sozialmarkt-Cafe.<br />
Hier besteht die Möglichkeit ohne<br />
Einkaufsausweis täglich von halb elf bis<br />
zwei eine warme Mahlzeit um 40 Cent zu<br />
bekommen. Das Cafe ist freundlich<br />
möbliert, helle Holztische und Sessel<br />
stehen für die hungrigen Gäste bereit. Es<br />
darf geraucht werden, das ist auch gut so<br />
& die Luft wird von vielen Grünpflanzen<br />
gefiltert. Die Atmosphäre ist friedlich, die<br />
Gespräche drehen sich wie auch anderswo<br />
in der Stadt um Fußball, Wehwechen, Ausländer<br />
und Politik.<br />
Nachdem man sich ein Tablett genommen<br />
hat erhält man Suppe, Hauptgericht, Salat,<br />
manchmal sogar ein Dessert. Die Damen<br />
und Herren der Essensausgabe teilen mit<br />
liebevoll-rauhem Charme das Essen aus.<br />
Wünsche werden soweit wie möglich<br />
erfüllt, es liegt ihnen daran, dass auch<br />
alle satt werden.<br />
Nun zu den Speisen die Berta in<br />
Zusammenarbeit mit einem Genossen verkostet<br />
hat. Kürzlich gab’s eine „Internationale<br />
Woche“ mit Gerichten aus Persien,<br />
Rumänien, Serbien, Türkei und anderen<br />
Ländern. Höhepunkt war natürlich am<br />
Sonntag Österreich mit – no na –<br />
Schweinsbraten, Knödel und Kraut. Wir<br />
testeten am Persien-Tag: Es gab eine Suppe<br />
(Graupen? – keine Ahnung), ein Reisgericht<br />
(mit Fisolen und winzigkleinen<br />
Fleischstücken), köstlichen Salat, zum Dessert<br />
einen – sorry! – pampigen Reisbrei.<br />
Persische Musik gab’s als Draufgabe.<br />
In einer normalen Woche testeten Berta<br />
und Co Spaghetti Bolognaise, eine eher<br />
traurige Angelegenheit. Der erfahrene<br />
Mitesser hatte jedoch in weiser<br />
Voraussicht Chili und andere heiße Gewürze<br />
mitgenommen. Kräftig nachgewürzt<br />
rutschte es gleich besser runter.<br />
Das Frühstück war der letzte Punkt beim<br />
Soma-Testessen.<br />
Nur freitags kann man von 8 bis 9 Uhr 45<br />
um 20 Cent ausgiebig reinschaufeln.<br />
Bertas Compagnon, nach seinem wöchentlichen<br />
Besuch des Schachclubs Spartakus<br />
übernächtigt und sichtlich gezeichnet, war<br />
begeistert, das Frühstück brachte ihn wieder<br />
auf die Beine. Berta die heikel ist<br />
beim Frühstück war mäkelig, aber die ist<br />
auch wirklich schwierig!<br />
Noch eine Info in eigener Sache: Nachdem<br />
der Redaktionsknecht meine letzte Kolumne<br />
versabelt hat konnte sie leider nicht<br />
erscheinen. Zur Strafe musste er mich bekochen<br />
– hat er auch bravourös<br />
gemeistert!
Der Neid<br />
Seite 5<br />
und die Armut<br />
Melina Klaus über die Unterschiede von Grundeinkommen und bedarfsorientierter Mindestsicherung.<br />
Der deutsche Grundeinkommensnetzwerker<br />
Ronald Blaschke und AutorInnen aus<br />
Deutschland, Spanien, Österreich,<br />
Finnland und Italien haben das bisher umfangreichste<br />
Handbuch zum Thema Grundeinkommen<br />
vorgelegt. Über<br />
unterschiedlichste Ansätze, verschiedene<br />
Epochen kann man darin 200 Jahre<br />
Grundeinkommensideen nach- und querlesen.<br />
Besonderes Augenmerk gilt dabei<br />
auch dem Prädikat „bedingungslos“: Darüber,<br />
wie eine Grundeinkommensgesellschaft<br />
funktioniert, können<br />
keine Garantien abgegeben werden. Wir<br />
kennen jedoch das Gegenmodell, schreibt<br />
Katja Kipping, „Arbeitszwang,<br />
Bedürftigkeitsprüfungen, Sozialleistungen<br />
unterhalb der Armutsgrenze und die<br />
finanzielle Inhaftnahme von Angehörigen.<br />
Wir können also zumindest empirisch<br />
überprüfen, was passiert, wenn nicht das<br />
Grundeinkommen, sondern sein<br />
Gegenpart realisiert ist.“ Wie wahr!<br />
Deshalb Schauplatzwechsel nach Wien, wo<br />
die bedarfsorientierte Mindestsicherung<br />
(bMS) bereits realisiert ist. Die Mindestsicherung<br />
wirft ihre ersten Schatten. Und<br />
die Bedarfsorientierung hält, was sie<br />
leider verspricht: Neiddebatten,<br />
Verdächtigungsklima, gesellschaftliche<br />
Spaltung, die auch noch wunderbar<br />
politisch genutzt werden kann. „Bedürftigkeitsgeprüfte<br />
Transfersysteme sind einem<br />
ständigen Abschaffungs- und<br />
Senkungsdruck(!) ausgesetzt, da jederzeit<br />
bewusst geschürt werden kann, dass<br />
einzelne Personen oder Zielgruppen zu<br />
Unrecht Transfers beziehen und<br />
Nichttransferbeziehende die<br />
Leidtragenden wären.“ schreibt Blaschke.<br />
In Wien sollen seit September Obdachlose,<br />
die bMS beziehen, vier Euro pro Nacht in<br />
Notschlafstellen berappen – die scheinbar<br />
skandalöse Idee liegt in der Logik der bedarfsorientierten<br />
Mindestsicherung: Menschen<br />
die 186 Euro Wohngeld (als Teil der<br />
bMS) beziehen, dann aber gratis schlafen,<br />
beziehen dieses Geld zu Unrecht. Die<br />
haben sich das nicht verdient! Die kassieren<br />
doppelt! Das ist ungerecht! Oder? Also<br />
müssen sie bezahlen oder es wird ihnen<br />
wieder etwas abgezogen. Zu befürchten<br />
ist, dass hier an den Schwächsten<br />
geprobt wird, was längst<br />
in der bMS angelegt ist. Das<br />
konstruierte Unrechtsgefühl,<br />
die Neiddebatte soll sich langsam<br />
aber sicher festsetzen.<br />
Dazu noch eine Nachricht aus<br />
Deutschland - Der Regelsatz<br />
von Hartz IV enthält den<br />
Posten „Ernährung“.<br />
Es dauerte nicht lange, bis der<br />
Gesetzgeber folgende „Unge–<br />
rechtigkeit“ entdeckte: Wenn<br />
du in stationärer Behandlung<br />
bist, wirst du dort von der<br />
Krankenversicherung<br />
verköstigt, – Ungerecht! Abkassierer!<br />
Doppelter Nutznießer!<br />
Schmarotzer! – deshalb wird<br />
dir der Ernährungssatz vom –<br />
Regelsatz in dieser Zeit abgezogen!<br />
Nach Protesten und<br />
Diskussionen, ließ der<br />
barmherzige Staat Milde<br />
walten. 21 Tage darfst du<br />
doppelt völlern, danach<br />
bekommst du einen<br />
Rückzahlungsbescheid. Auch<br />
Geschenke (für Kinder) und<br />
Unterstützungen aus der Familie<br />
können übrigens<br />
„unrechtmäßig“ sein, wenn sie<br />
im Regelsatz von Hartz IV<br />
eingerechnet sind. Alles kann<br />
abgezogen werden, und sie tun<br />
es auch.<br />
Die Antwort des bedingungslosen<br />
Grundeinkommens freilich<br />
liegt auf der Hand. Es ist eine<br />
Summe, die jedem Menschen<br />
zusteht, egal was davor,<br />
danach, darüberhinaus ist. Die<br />
Gießkanne ist demokratiefördernd<br />
und menschenwürdig,<br />
der zielgerichtete, bedürftig–<br />
keitsgeprüfte Strahl kann<br />
schmerzen und wenn er gezielt<br />
genug ist, wirft er dich um.
Seite 6<br />
Begegnung<br />
mit dem Auto<br />
Unter<br />
die Erde<br />
Wir buddeln alles ein. Wir<br />
bringen alles unter die Erd'!<br />
Nein, das ist nicht der<br />
Leitspruch der TotengräberInnen,<br />
diese Ansage passt genauso<br />
gut auf die Linzer Stadtpolitik.<br />
Ihr Ziel ist es nämlich so<br />
ziemlich alles, was mehr als<br />
zwei Räder hat unter die Oberfläche<br />
zu verfrachten.<br />
Da wären zum einen einmal<br />
die Tiefgaragen. Gezählte 25<br />
öffentlich zugängliche<br />
Tiefgaragen mit mehr als 7500<br />
KFZ-Abstellplätzen befinden<br />
sich bereits im Untergrund der<br />
Innenstadt. Und es werden<br />
fast jährlich mehr. Nicht<br />
mitgerechnet sind da die<br />
unzähligen BewohnerInnentiefgaragen.<br />
Die StadtpolitikerInnen,<br />
allen voran<br />
Vizebürgermeister Luger, sind<br />
wohl der Meinung der motorisierte<br />
Individualverkehr löse<br />
sich in Luft auf, wenn Abstellflächen<br />
unter die Erde verlegt<br />
werden, so nach dem Motto:<br />
„Aus den Augen, aus dem<br />
Sinn“. Nur blöd, dass dadurch<br />
der Autoverkehr in der Innenstadt<br />
noch mehr wird. Als<br />
nächste will man nun den<br />
Westring überwiegend unterirdisch<br />
durch Linz bohren. Auch<br />
klar, denn oberirdisch eine<br />
zweite Autobahn durch Linz<br />
bauen, kommt nicht gut an!<br />
Und nun der neuste Coup der<br />
Stadtpolitik: Eine zweite<br />
Straßenbahnachse soll im<br />
Osten durch Linz verlaufen.<br />
Natürlich großteils<br />
unterirdisch. Die Bauwirtschaft<br />
freut's!<br />
Michael Schmida über ein neues Zaubermittel in der Verkehrspolitik.<br />
„Begegnungszone“ heißt das neue Zauberwort<br />
in der Verkehrspolitik. Dabei wird<br />
auf Verkehrszeichen weitgehend<br />
verzichtet. Besondere Bereiche, wie Gehwege<br />
und Fahrbahnen für die<br />
unterschiedlichen StraßenbenutzerInnen<br />
fallen weg. Für den motorisierten<br />
Individualverkehr gelten niedrige<br />
Geschwindigkeiten. In der Theorie sind<br />
alle VerkehrsteilnehmerInnen<br />
gleichberechtigt. Ziel soll sein, eine bürokratische<br />
Überregulierung des<br />
öffentlichen Raums Straße abzubauen und<br />
stattdessen auf den sozialen,<br />
verantwortungsvollen Umgang der einzelnen<br />
Individuen zu setzen. Klingt nicht<br />
schlecht? Auf alle Fälle ein Fortschritt zur<br />
autofixierten Mobilitätspolitik aus dem<br />
letzten Jahrhundert. Aber der Hund steckt<br />
im Detail: Das hat weniger mit dem<br />
Konzept an sich zu tun, sondern eher mit<br />
der Umsetzung. Vor allem aber ist nicht<br />
zu erwarten, dass damit die Verkehrsprobleme<br />
in Linz gelöst werden.<br />
In der Landeshauptstadt wurde unter Verkehrsstadtrat<br />
Himmelbauer (Grüne) mit<br />
dem Bau von Begegnungszonen begonnen.<br />
Herrenstraße, Klosterstraße und die Rathausgasse<br />
sind die bereits realisierten<br />
Projekte in Linz. Sein Nachfolger Luger<br />
(SPÖ) will daran festhalten bzw. neue<br />
Straßen in Begegnungszonen umwandeln.<br />
Lugers Vorzeigeprojekt dafür ist die Landstraße<br />
südlich der Mozartkreuzung,<br />
welche ab der Bismarckstraße um<br />
geschätzte acht Millionen Euro in eine<br />
solche Zone umgewandelt werden soll. In<br />
erster Linie geht es hier um eine Aufwertung<br />
der Umgebung rund um das neue<br />
Musiktheater. Neben der neuen<br />
Straßengestaltung soll etwa auch der<br />
Volksgarten dafür aufpoliert werden. Den<br />
Segen der Wirtschaft hat das Konzept, gilt<br />
dieser Bereich der Landstraße ja eher als<br />
„schmuddelig“. Man erhofft sich durch die<br />
Umgestaltung eine Konsumverbesserung.<br />
Dass Luger und die SPÖ Gefallen am Konzept<br />
Begegnungszone gefunden haben,<br />
liegt wohl auch daran, dass sich der Kern<br />
ihrer Verkehrspolitik darin wiederfindet.<br />
Im Grunde glauben die StadtsozialdemokratInnen<br />
in Sachen Verkehr<br />
niemand benachteiligen zu dürfen. Alle<br />
sind scheinbar gleichberechtigt. Daher<br />
wird angeblich der Individualverkehr in<br />
der Stadt genauso gefördert wie der<br />
öffentlichen Verkehr. Für die<br />
Mehrheitspartei in Linz keine schlechte<br />
Strategie, lässt es sich damit von den<br />
noch weiter rechts stehenden<br />
AutofahrerInnen-Parteien abheben. Ob so<br />
aber eine zukunftstaugliche Verkehrspolitik<br />
für die Stadt aussieht, steht auf einem<br />
anderen Blatt.
Seite 7<br />
Der Ring<br />
der Betonierer<br />
Michael Schmida über den Offenbarungseid von Steinzeitpolitikern.<br />
Der Linzer Filmemacher Wolfgang Schober<br />
offeriert in seiner jüngsten Arbeit „A26 –<br />
Nachgefragt“ eine erste filmische Auseinandersetzung<br />
mit dem großteils von der<br />
<strong>Oberösterreich</strong>ischen Volkspartei als auch<br />
von den Linzer Sozialdemokraten<br />
vorangetriebenen so genannten Prestigeprojekt<br />
des Linzer Westrings. Eine Reihe<br />
von Experten aus dem Bereich der<br />
Infrastruktur- und Stadtplanung, wie<br />
Reinhard Seiß oder der Wiener TU-<br />
Professor Thomas Macoun und aus der<br />
Umweltmedizin (z.B. Hans-Peter Hutter<br />
von der Medizinischen Universität Wien)<br />
melden sich zu Wort. Auf Politikerseite<br />
äußern sich Gerda Lenger von den<br />
Grünen sowie als explizite Befürworter<br />
des Projekts Franz Hiesl (ÖVP) und Klaus<br />
Luger (SPÖ).<br />
Wolfgang Schober führt keine Interviews,<br />
vielmehr lässt er die einzelnen Protagonisten<br />
deren teilweise bizarre Ansichten zu<br />
dem geplanten Projekt wiedergeben. Hier<br />
sticht vor allem heraus, mit welch bodenloser<br />
Arroganz Hiesl die Bedenken der<br />
unmittelbaren Anrainer wegwischt, denn<br />
schließlich kenne er ja niemanden der innerhalb<br />
des Berges wohne und hebt die<br />
geplante überwiegende Untertunnelung<br />
des Bauvorhabens hervor. Hiesls prähistorischem<br />
Amtsverständnis wird zudem<br />
auch darin Ausdruck verliehen, da er sich<br />
bloß als <strong>Oberösterreich</strong>s Straßenbauer<br />
sieht und dem durchschnittlichen<br />
<strong>Oberösterreich</strong>er attestiert ein bis drei<br />
Autos vor seiner Haustüre stehen zu<br />
haben. Er übersieht, dass die soziale<br />
Situation vieler Linzer den Besitz eines<br />
Autos nicht zulässt. Er übersieht auch,<br />
dass der Bau eines Westrings in erster Linie<br />
die Linzer Einwohner treffen wird und<br />
überlässt es daher vor allem auch seinen<br />
Mühlviertler Parteikollegen, über die<br />
Köpfe der unmittelbar von der Autobahn<br />
betroffenen Linzer Anrainer hinweg, massiv<br />
Lobbying-Anstrengungen zu unternehmen.<br />
Es erweckt den Anschein, dass es<br />
ihm in keiner Weise in den<br />
Sinn kommen würde, den Ausbau<br />
der Mühlkreisbahn auf<br />
eine zweigleisige<br />
Streckenführung in Betracht zu<br />
ziehen und weiterführend die<br />
Anbindung dieser Zugstrecke<br />
über eine weitere<br />
Donaubrücke an den Linzer<br />
Hauptbahnhof zu forcieren.<br />
Dies von jemanden zu<br />
erwarten, der erst kürzlich<br />
den notwendigen politischen<br />
Rückhalt für den weiteren<br />
Erhalt einer vernünftigen<br />
Bahnverbindung zwischen Linz<br />
und Graz vermissen ließ, ist<br />
ohnehin illusorisch.<br />
Auch Klaus Lugers fadenscheiniges<br />
Argument dem Projekt<br />
erst nach positiver Umweltverträglichkeitsprüfung<br />
den<br />
politischen Sanktus erweisen<br />
zu wollen, erscheint aufgrund<br />
der seit jeher ausgeübten politischen<br />
Einflussnahme auf Gremien<br />
dieser Art eher als<br />
Affront und hat mit nachhaltigen<br />
verkehrspolitischen<br />
Entscheidungen wenig gemein.<br />
Wolfgang Schobers Film<br />
kommt zum richtigen<br />
Zeitpunkt, er kommt zu einem<br />
Zeitpunkt zu dem Zigtausende<br />
Menschen in Stuttgart gegen<br />
ein riesiges<br />
innerstädtisches Infrastrukturprojekt<br />
nahezu täglich von<br />
ihrem Demonstrationsrecht<br />
Gebrauch machen. Er kommt<br />
hoffentlich auch zu einem Zeitpunkt<br />
an dem sich die Linzer<br />
Bevölkerung der enormen<br />
Konsequenzen dieses nahezu<br />
das gesamte Stadtgebiet beeinflussenden<br />
Autobahnprojekts<br />
bewusst wird.
Seite 10<br />
Ausnahme-<br />
Zustand<br />
Was ist von den Studentenprotesten im letzten Jahr geblieben? Eine Analyse von Barbara Steiner.<br />
Vor genau einem Jahr hat sich<br />
an den Unis Proteststimmung<br />
breit gemacht. Wollte ich die<br />
so viel benutzte Metapher von<br />
der „brennenden Uni“<br />
benutzen würde es jetzt<br />
heißen „vom Funken zum<br />
Flächenbrand“ entwickelten<br />
sich Kritik, Protest,<br />
Widerstand.<br />
Aktionismus und widerständige<br />
Praxis war an den Unis lange<br />
üblich, der neoliberale Umbau<br />
der Hochschulen und die<br />
Prekarisierung unserer Leben<br />
verhindert das zunehmend.<br />
Trotzdem gibt es Aneignung<br />
von Wissen über Macht- und<br />
Herrschaftsstrukturen, Kritik<br />
und linke Analyse an/um der<br />
Uni. Die Prekarisierung einerseits<br />
und studentische<br />
widerständige Zusammenhänge<br />
andererseits haben den Weg<br />
bereitet für eine Protestwelle,<br />
die alle überraschte und deren<br />
Entstehung und Entwicklung<br />
immer nur mit Flächenbrand-<br />
Metaphern beschrieben wird.<br />
Geprägt war diese<br />
Protestbewegung durch<br />
Spontaneität, massenhafte Partizipation,<br />
durch unorthodox<br />
datenschutzbedenkenlose,<br />
transparente Kommunikation<br />
über twitter, Homepage und<br />
Livestream gepaart mit Eigeninitiativen<br />
und Selbstermächtigungen.<br />
Was ist geblieben? Am Augenscheinlichsten<br />
ein Jahr danach<br />
ist ein Schub von<br />
Militarisierung an der Uni: Angestellte<br />
privater<br />
Securityfirmen patrouillieren<br />
und kontrollieren. Daneben<br />
wird planmäßig der freie<br />
Hochschulzugang abgeschafft und die weitere<br />
Vermarktwirtschaftlichung betrieben.<br />
Von Polizei und Politik war die „Audimaxbewegung“<br />
weitgehend ignoriert und<br />
gemieden worden. Für die Verbleibenden<br />
politisch Aktiven gab es in Wien – einem<br />
Racheakt gleich – im Jahr nach Audimax<br />
eine Repressionsoffensive mit<br />
Kriminalisierungen von Demonstrationen,<br />
Hausdurchsuchungen, Verhaftungen.<br />
Doch wo sind die tausenden AudimaxistInnen<br />
geblieben? Es wurden viele StudentInnen<br />
politisiert und viele merkten, dass sie<br />
ihre Geschicke auch selbst in die Hand<br />
nehmen können. Dass das aber nicht bloß<br />
heißt, Transparentstange und Kochlöffel in<br />
die Hand zu nehmen, wurde wohl auch einigen<br />
schmerzlich bewusst. Ein Monat lang<br />
sind tagtäglich organisatorische und<br />
kommunikatorische Rekorde vollbracht<br />
worden, ein bunter Mikrokosmos am<br />
Leben gehalten. Doch trotz kultureller,<br />
sozialer, kulinarischer, räumlicher, lernender<br />
und lehrender Selbstversorgung und<br />
Solidarität von „außen“ war das schöne Leben<br />
im Audimax als Ausnahmezustand auf<br />
Dauer nicht installierbar. "Die Bewegung"<br />
nahm schon während der aktivsten Zeit<br />
eine Art pathetische Selbsthistorisierung<br />
vor. Ein fast religiöser Glaube an und<br />
unbedingte Identifikation mit „der<br />
Bewegung“ herrschte mitunter mehr vor,<br />
als klare Reflexion über Ziele und<br />
Methoden oder gar fundierte (Selbst-)kritik<br />
der Protestbewegung. Dennoch wurde bei<br />
vielen Leuten das Bewusstsein geschärft<br />
oder geweckt, dass Uni- und Bildungspolitik<br />
nicht von Gesellschaftspolitik zu<br />
trennen ist.<br />
„Bildung für alle“ etwa hängt mit<br />
Bewegungsfreiheit und Bleiberecht zusammen.<br />
Sprache schließt aus und ein und<br />
Kommunikation zu Tausendst erfordert<br />
Selbstdisziplin. Kulturelle Vielfalt. Ablehnung<br />
von Hierarchie… Eine Protestbewegung<br />
aus vielen Versuchen, vielen Siegen<br />
und Niederlagen. Sie ist unsichtbar jetzt,<br />
doch so überraschend wie sie kam, kann<br />
sie auch wieder kommen, doch das liegt<br />
auch an uns. Ein letztes Mal die Brandmetapher:<br />
es gilt, nicht die Asche anzubeten<br />
sondern die Fackel weiterzugeben.
Die Stützen<br />
des Terrors<br />
Seite 11<br />
Ein höchst lesenswerter Reader über den Iran ist erschienen. Von Alois Franz.<br />
Die Islamische Republik Iran ist zweifellos<br />
eins der brutalsten, widerwärtigsten und<br />
vor allem gefährlichsten Regimes weltweit.<br />
Der brutale Terror des Regimes gegen jegliche<br />
politische Opposition, gegen<br />
ethnische und religiöse Minderheiten, der<br />
unerträgliche Status der Frauen, Zensur,<br />
Folter, Vergewaltigung, Mord, durch die so<br />
genannten Revolutionsgarden unter den<br />
Banner der Religion, die Bedrohung der<br />
gesamten Region, im speziellen aber Israels<br />
durch die nukleare Aufrüstung, das sind<br />
die Fundamente des Mullah-Regimes. Es<br />
hätte sich nicht mehr als 30 Jahre halten<br />
können, wenn es nicht mit der<br />
konsequenten Unterstützung von Regierungen<br />
aus aller Welt rechnen hätte können.<br />
Eine besonders degoutante Rolle in diesem<br />
Zusammenhang spielt Österreich. Seit jeher<br />
verbindet es ausgezeichnete<br />
wirtschaftliche Verbindungen mit dem Islamistenstaat,<br />
seit jeher sorgt Österreich<br />
auch aufgrund der guten Beziehungen für<br />
politische Legitimation. Das begann 1984<br />
mit dem ersten Staatsbesuch eines<br />
westlichen Außenministers im Iran durch<br />
den Sozialdemokraten Erwin Lanc. 1991<br />
folgte der Bundespräsident mit<br />
Wehrmachts-Vergangenheit, Kurt<br />
Waldheim, als erstes westliches<br />
Staatsoberhaupt. Bis heute pflegt<br />
Österreich beste wirtschaftliche Beziehungen.<br />
Fast 700 österreichische Firmen<br />
treiben regelmäßig Geschäfte mit<br />
iranischen Firmen oder mit dem Iranischen<br />
Staat. 35 Firmen unterhalten sogar Filialen<br />
im Iran. Während der weltweiten<br />
Wirtschaftskrise im letzten Jahr gingen die<br />
Exporte Österreichs um 20 Prozent zurück.<br />
Alleine jene in den Iran verzeichneten<br />
einen Zuwachs von mehr als sechs<br />
Prozent.<br />
Stephan Grigat und Simone Dinah<br />
Hartmann haben mit ihrem Band „Der Iran<br />
im Weltsystem. Bündnisse des Regimes und<br />
Perspektiven der Freiheitsbewegung“ eine<br />
Arbeit vorgelegt, welche die Freunde der<br />
Islamische Republik Iran kenntlich macht.<br />
Welche Konzerne und Regierungen zu den<br />
maßgeblichen Stützen des Regimes zählen<br />
und welche politischen Kräfte ständig um<br />
Solidarität mit dem religiösen<br />
Terrorregime heischen. Dies reicht von<br />
diversen antiimperialistischen<br />
Zusammenhängen, bis zum organisierten<br />
Rechtsextremismus und Neonazismus, wie<br />
dies etwa Heribert Schiedel darlegte. Eine<br />
höchst lesenswerte Aufsatzsammlung.<br />
Stephan Grigat, Simone Dinah Hartmann<br />
(Hrsg.): Der Iran im Weltsystem –<br />
Bündnisse des Regimes und Perspektiven<br />
der Freiheitsbewegung. Studienverlag,<br />
Innsbruck 2010.<br />
Die Wächter<br />
überwachen!<br />
Der neu gegründeten "Stadtwache"<br />
und den politischen<br />
BetreiberInnen dieses Organs<br />
die Sache nicht zu leicht zu<br />
machen, darum bemühen sich<br />
gleich mehrere zivilgesellschaftliche<br />
Initiativen.<br />
Die BürgerInneninitiative „Linz<br />
braucht keine Stadtwache“ ist<br />
bereits seit der Ankündigung<br />
eine „Stadtwache“ in Linz einzuführen<br />
aktiv und umfasst ein<br />
breites Spektrum an Personen<br />
aus den unterschiedlichsten<br />
politischen und kulturellen Zusammenhängen,<br />
einschließlich<br />
der <strong>KPÖ</strong>. Zeitgleich mit dem<br />
offiziellen Start des Organs im<br />
September ist nun auch eine<br />
Meldestelle der BürgerInneninitiative<br />
gestartet. Die Meldestelle<br />
ist digital über die<br />
Webadresse<br />
www.stadtwachelinz.at/meldestelle<br />
bzw. E-mail<br />
meldestelle@stadtwachelinz.at<br />
erreichbar. Mit ihr sollen<br />
Übergriffe, nicht berechtigte<br />
Handlungen oder sonstige<br />
sonderbare Vorfälle im Zusammenhang<br />
mit der Stadtwache<br />
dokumentiert werden.<br />
Ganz virtuell ist hingegen eine<br />
andere kritische Initiative mit<br />
ähnlichem Anliegen unterwegs,<br />
welche unter dem Titel<br />
„'Ordnungsdienst der Stadt<br />
Linz GmbH'-Wache“ eine Facebook-Seite<br />
im Netz betreibt.
Seite 12<br />
Asche auf<br />
das Haupt<br />
Meilensteine des Arbeiterwohnbaus wurden einfach geschleift. Von Edith Friedl.<br />
Gut erinnere ich mich noch<br />
daran, wie ich vor einigen Jahren<br />
in der TEXTIL AG<br />
vorsprach. Ich recherchierte<br />
wegen eines Forschungsauftrags<br />
des Zeitgeschichte-Instituts<br />
an der Johannes-<br />
Kepler-Universität, der sich<br />
mit dem sozialen Wohnbau in<br />
Linz von seinen Anfängen im<br />
19. Jahrhundert bis 1945<br />
beschäftigte. Mein Job war es<br />
damals, den Architektur-Teil<br />
der Studie zu verfassen.<br />
Deshalb saß ich also im Büro<br />
des Direktors des<br />
Textilkonzerns, der aus einem<br />
alteingesessenen Spinnereibetrieb<br />
hervorging.<br />
Das Projekt hatte es dem<br />
damaligen Chef angetan, vor<br />
allem deshalb, weil die Fabrik<br />
als eine der ersten Linzer<br />
Unternehmen in größerem Umfang<br />
Wohnungen für<br />
ArbeiterInnen errichten ließ.<br />
Stolz ging er daher zum Safe<br />
und holte die alten Pläne heraus<br />
– handkoloriert und auf<br />
Seide gezeichnet. Einige davon<br />
zeigten ein architektonisches<br />
Kleinod: Es waren die Entwürfe<br />
für die sogenannten<br />
„Aschenhäuser“ in der<br />
Schnopfhagenstraße 17-33. Die<br />
kleine Siedlung, erbaut<br />
zwischen 1896 und 1900,<br />
bestand aus Häusern mit zwei<br />
bzw. vier Wohnungen mit<br />
bereits eigenen Toiletten und<br />
Nutzgärten für Kleintierzucht,<br />
Gemüse- und Obstanbau. Sie<br />
machten mit ihren<br />
Proportionen, ihrer Fassadengestaltung<br />
und Farbgebung einen<br />
äußerst anheimelnden, ja<br />
liebenswerten Eindruck. Das<br />
war mit ein Grund, weshalb<br />
das Ensemble in etlichen angesehenen<br />
Fachbüchern Eingang fand. Ein anderer<br />
Aspekt dafür – von dem sich auch sein<br />
Name ableitet - war sicher auch die ungewöhnliche<br />
Zusammensetzung des<br />
Baumaterials: Dem Mörtel mischte man<br />
Asche bei, um so Baukosten zu sparen.<br />
Ein nicht alltäglicher Materialmix, der jedoch<br />
über mehr als hundert Jahre gute<br />
Dienste leistete.<br />
Kürzlich rief mich Gerlinde Grünn, Linzer<br />
<strong>KPÖ</strong>-Gemeinderätin, an und teilte mir<br />
ziemlich irritiert mit, dass die „Aschenhäuser“<br />
verschwunden wären. Alle. Einfach<br />
weg. Ich konnte es kaum glauben und fuhr<br />
deshalb, ausgerüstet mit meinem<br />
Fotoapparat, in die Schnopfhagenstraße.<br />
Tatsächlich bot sich mir eine völlig öde<br />
Wüste. Kein Haus weit und breit – nur<br />
Gestrüpp. Schließlich erzählte man mir,<br />
dass es seit etwa einem Jahr diese<br />
denkwürdige Arbeitersiedlung mit ihren<br />
hübschen „Aschenhäusern“ nicht mehr<br />
gibt. In der TEXTIL AG wechselte die<br />
Direktion und mit ihr kehrte offenbar<br />
„modernes“ Denken ein: Zu den alten Profitinteressen<br />
gesellte sich ein neues<br />
Bedürfnis nach „ästhetischer Präzision“.<br />
Das alte Zeug passt da naturgemäß nicht<br />
mehr dazu. Schon gar nicht diese kleinen<br />
Häuschen, die man im Laufe der Zeit - ich<br />
vermute stark, mit Absicht - systematisch<br />
herunterkommen ließ. Neue große Wohnbauten<br />
sollen bald hochgezogen werden,<br />
erfuhr ich von einem Anrainer, der noch<br />
selber in einem „Aschenhaus“ wohnte und<br />
es schade findet, dass sie vor kurzem zerstört<br />
wurden. Er vermisse auch die heimelige<br />
Atmosphäre, betonte er, wo Kinder<br />
ungestört herumtollen konnten und eine<br />
gute Nachbarschaft bestand.<br />
Jetzt liegt das Areal verlassen da, Tristesse<br />
breitet sich aus und die ehemaligen<br />
Umrisse der „Aschenhäuser“ sind nur noch<br />
bei genauem Hinsehen zu erahnen.<br />
Der Zuständige im Bundesdenkmalamt,<br />
den ich über den Abriss der Siedlung<br />
informierte, ist über die „Nacht-und-<br />
Nebel-Aktion“ frustriert. Ich auch. Aber<br />
zumindest liegen die schönen,<br />
handkolorierten Seidenpläne, wie ich<br />
annehme, immer noch im Safe des<br />
Eigentümer-Konzerns. Da sind sie sicher.<br />
Na hoffentlich!
Seite 13<br />
Fatale<br />
Entscheidungen<br />
Interview mit Thomas Diesenreiter über kulturpolitische Nachwehen und Vorboten.<br />
Das Kulturhauptstadtjahr 2009 ist ja<br />
nun schon eine Weile vorbei. Jetzt<br />
fast ein Jahr nach dem Ende macht<br />
sich der Eindruck breit, als ob die<br />
Stadt die Reste aus dem Kulturjahr<br />
so gut wie möglich beseitigen will.<br />
Wurde also die Kritik der "freien<br />
Kulturszene" an Linz09 weitgehend<br />
bestätigt?<br />
In vielen Bereichen, ja. Das fängt an bei<br />
der viel besungenen Nachhaltigkeit, die<br />
sich für die politisch Verantwortlichen<br />
auf Imageaspekte und Marketingvorteile<br />
beschränkt. In der Nachbetrachtung wird<br />
nur mit Nächtigungszahlen und<br />
Tourismus-Strömen argumentiert, die<br />
inhaltlichen Komponenten spielen jetzt<br />
nur noch eine eine untergeordnete Rolle.<br />
Da entlarvt sich die neoliberale Intention<br />
des Kulturhauptstadt-Modells von selbst.<br />
Linz09 wäre eine Chance gewesen, kulturpolitisches<br />
Bewusstsein für den Wert kultureller<br />
Arbeit zu schaffen, die sich nicht<br />
ökonomisch legitimiert. Die Kulturszene,<br />
gerade die freie, ist noch immer massiv<br />
untersubventioniert, das Prekariat und<br />
die Selbstausbeutung herrschen noch immer<br />
vor, und tendenziell ist es in den<br />
letzten Jahren sogar schlechter geworden.<br />
Und mit der Ausrede der Krise hat die Politik<br />
nun ein schönes Argument an der<br />
Hand, auch in absehbarer Zeit daran<br />
nichts zu ändern.<br />
Kulturpolitisch besonders fatal war die<br />
Entscheidung, ein Intendanzmodell zu<br />
wählen, ohne formelle Richtlinien zu<br />
definieren. Dadurch wurde mit einem<br />
konsensorientierten und demokratischen<br />
Modell der Kulturentwicklung gebrochen,<br />
das mit dem Kulturentwicklungsplan, dem<br />
Stadtkulturbeirat und der besonderen<br />
Stellung der freien Szene eigentlich eine<br />
Vorreiterrolle in Österreich eingenommen<br />
hat. Es gab keine Vorgabe, bestehende<br />
Strukturen, Initiativen und KünstlerInnen<br />
einzubinden, und in Kombination mit der<br />
miserablen Kommunikationspolitik<br />
Linz09s hat sich so viel Frustration breit<br />
gemacht. Dem hätte man sehr leicht<br />
entgegentreten können, aber<br />
es war sichtbar, dass dem<br />
Intendanten die weitere<br />
Entwicklung der Kulturszene<br />
nicht wirklich am Herzen lag.<br />
Nun zum neuen<br />
Leuchtturmprojekt in<br />
Sachen Kultur- und<br />
Stadtentwicklung, der<br />
Tabakfabrik. Wie siehst du<br />
dort die Entwicklung?<br />
Macht die Stadt dort die<br />
gleichen Fehler wie bei<br />
Linz09?<br />
Nachdem lange gezögert<br />
wurde, gibt es jetzt endlich<br />
etwas Bewegung von Seiten<br />
der Stadt, die erfolgreiche Ars<br />
Electronica hat alle Beteiligten<br />
wachgerüttelt. Durch die<br />
Größe des Areals fehlen<br />
einfach die Erfahrungswerte,<br />
wie man mit Einbindung aller<br />
Beteiligten zu fruchtbaren<br />
Ergebnissen kommen kann,<br />
und damit steht und fällt der<br />
Erfolg der Tabakfabrik.<br />
Eines ist klar: Es ist eine<br />
einmalige Chance, die<br />
Raumproblematik der Kulturszene<br />
mit einem Schlag zu<br />
beseitigen, Stichwort Freie<br />
Theaterszene, Proberäume,<br />
Ateliers, etc. Aber dafür<br />
müssen die Rahmenbedingungen<br />
passen: Keine<br />
lärmsensiblen Einrichtungen<br />
wie Hotels, niedrige oder subventionierte<br />
Mieten und eine<br />
durchdachte Strukturierung<br />
des Geländes. Und vor allem<br />
muss die freie Szene von<br />
Anfang an in den Planungsprozess<br />
eingebunden werden. Da<br />
spießt es sich aber noch<br />
ziemlich.
Seite 14<br />
Angenehm<br />
oberflächlich<br />
Tipps &<br />
Termine<br />
Bücherflohmarkt<br />
18 Dezember 2010<br />
9 bis 15 Uhr,<br />
Melicharstraße 8, Linz.<br />
Ein Flohmarkt für bibliophile<br />
Trüffelschweine mit Sympathie<br />
für die Politische Linke. Von<br />
Klassikern der Arbeiterbewegung,<br />
die bis heute ihre<br />
Gültigkeit haben, bis zu politischen<br />
Büchern, die noch keine<br />
zehn Jahre auf dem Buckel haben,<br />
aber schon heute alt aussehen,<br />
reicht die Palette. Klassiker<br />
der schönen Literatur<br />
sind ebenso zu finden, wie<br />
zeitgenössische Prosa.<br />
Sachbücher von der<br />
theoretischen Physik über<br />
Trainigslehre bis zu Wirbelsäulengymnastik<br />
und Pasta-<br />
Produktion ebenso.<br />
Café <strong>KPÖ</strong><br />
Jahresabschlussfest.<br />
18 Dezember 2010<br />
Ab 19 Uhr,<br />
Melicharstraße 8, Linz.<br />
Das traditionelle<br />
Jahresabschlussfest von Café<br />
<strong>KPÖ</strong> bietet heuer gleich drei<br />
zusätzliche Gründe es zu besuchen.<br />
Der Cheflektor von Café<br />
<strong>KPÖ</strong> Wolfgang „Whudsch“<br />
Rohrstorfer, die Café <strong>KPÖ</strong><br />
Autorin und Zeichnerin Barbara<br />
„Baluba“ Steiner und die<br />
Redaktions Schnupperlehrling<br />
Katharina Kain feiern zu<br />
diesem Anlass ihre<br />
Geburtstage. Nebst Speis und<br />
Trank erwartet die Gäste Daniel<br />
„Dandl“ Steiners Musical<br />
„Kommando Chirac“ und DJ<br />
Klaus „Dalton“ Pilz an den<br />
Turntables.<br />
Vom Leben auf dem Lande. Von Doris Rögner.<br />
Was soll ich Ihnen schon wieder über das<br />
Leben auf dem Land berichten?<br />
Während die LinzerInnen noch gemütlich<br />
in der Sonne sitzen, bläst bei uns ein<br />
grauslicher kalter Wind und wir frieren<br />
uns den Arsch ab. Nun, wenigstens die<br />
Wäsche könnte man noch draußen<br />
trocknen, wenn nicht die Bauern schon<br />
wieder Jauche auf die Felder gebracht hätten.<br />
Es stinkt unbeschreiblich. Auf den<br />
Straßen liegt matschiges Obst, das<br />
niemand aufklaubt und zu Most<br />
verarbeitet. Wenigstens verstummen langsam<br />
die Rasenmäher, die im Sommer fast<br />
ständig zu hören sind, wenn es das Wetter<br />
erlaubt, sich im Freien aufzuhalten. Hinter<br />
unserem Haus ist in den letzten fünf<br />
Jahren eine Wohnsiedlung gewachsen.<br />
Früher sah man bei gutem Wetter nicht<br />
nur das Stift St. Florian, sondern sogar bis<br />
nach Linz und ins Mühlviertel. Heute<br />
sehen wir die Nachbarhäuser, die dank einer<br />
ungewöhnlich liberalen Bauordnung<br />
überhaupt nicht zusammenpassen. Jetzt<br />
hat unser hinterer Nachbar dem Fass den<br />
Boden ausgeschlagen, und sein Haus rosa<br />
und lila gestrichen.<br />
Aber: Im Wohnzimmer trampelt mein<br />
Kind, es gibt keine darunterliegenden<br />
Nachbarn, die mit dem Besen an die<br />
Decke klopfen können. Ich muss nicht<br />
stundenlang auf Spielplätzen hocken, meine<br />
Kinder können alleine ins Freie. Ich<br />
kenne fast alle Leute in der Umgebung<br />
und pflege mit den meisten durchaus<br />
angenehme oberflächliche Beziehungen.<br />
Auch wir konnten dank liberaler<br />
Bauordnung unser Haus nach unseren Vorstellungen<br />
umbauen. Niemand stört sich<br />
an den kleinen Lagerfeuern, die wir oft in<br />
unserem Garten anzünden. Wenn es in<br />
Linz drückend heiß ist, ist es bei uns gerade<br />
angenehm. In unserem Garten wohnt<br />
ein Igel. Wenn wir fragen, können wir bei<br />
unserem Nachbarn Obst klauben, und es<br />
im Nachbarort zu Apfelsaft verarbeiten<br />
lassen. Und, mal ehrlich, wer will schon<br />
Linz sehen? Ich glaube, ich gehe dann mal<br />
Schnee schaufeln.
Gemischte<br />
Ermittlungen<br />
Seite 15<br />
Bärbel Staub über Manfred Bauers dritten Burgenland-Krimi.<br />
Laut ORF ist Burgenland ja neuerdings<br />
überall. Wie weit das stimmt, kann ich<br />
nicht sagen, im neuen Krimi von Manfred<br />
Bauer ist jedenfalls Burgenland drin wo<br />
Burgenland draufsteht. Sein neues Buch<br />
„Landauer und die Clowns – Der dritte<br />
Burgenlandkrimi“ entführt uns wiederum<br />
nach Bad Tatzmannsdorf – und nicht nur<br />
wir werden entführt - auch der kleine<br />
Nikolaus Trattnig ist spurlos<br />
verschwunden, nämlich nach dem Besuch<br />
einer Vorstellung des Zirkus Altomonte,<br />
der im Ort gastiert. Nun, wo Zirkusleute<br />
sind, sind die Vorurteile der Österreicher<br />
nicht weit, und so ist es auch im sonst so<br />
gemütlichen Bad Tatzmannsdorf. Nur dass<br />
die gleich eine „Pannonische Bürgerwehr“<br />
gründen, halten viele Einheimische doch<br />
für übertrieben, andererseits, man kann ja<br />
nie wissen. Nicht nur die Entführung des<br />
dreijährigen Buben, auch der Mord an dem<br />
Artisten Rajko Duric ist am Zirkusgelände<br />
passiert.<br />
Amadeus Landauer, Expolizist aus Wien mit<br />
Wahlheimat Bad Tatzmannsdorf und sein<br />
Freund, der Postenkommandant sind von<br />
der Entwicklung geschockt, sie glauben<br />
nicht an Stereotype, an rechte Polemik<br />
schon gar nicht, und so ermitteln sie<br />
gemeinsam mit der Journalistin Martina<br />
Trettler, dem Bibliothekar Tranninger und<br />
Gustav Pollak, einem alten Freund, der<br />
schon 1934 gegen paramilitärische Verbände<br />
gekämpft hat und bei dem angesichts<br />
der frisch gegründeten Bürgerwehr gewaltig<br />
die Alarmglocken schrillen. War das<br />
Motiv für den Mord Eifersucht, hängen die<br />
Entführung und der Mordfall zusammen,<br />
oder hat doch die Bürgerwehr die Hände<br />
im Spiel? Hat die Clownmaske, die bei dem<br />
Toten gefunden wurde, eine Bedeutung,<br />
oder ist das erst recht eine falsche Fährte?<br />
Natürlich gibt es in dem ganzen Tumult<br />
auch Liebesfreud oder vielmehr -leid, die<br />
Martina ist ja wirklich zu jung für den<br />
Landauer, oder, ehrlich gesagt, er halt zu<br />
alt. Im Dienste der Kriminalistik verbeißt<br />
er sich aber das Trenzen, und ist dem<br />
Postenkommandanten wirklich eine große<br />
Hilfe, auch wenn er sich an den Anblick<br />
einer Leiche beim besten Willen nicht<br />
gewöhnen kann. Wenn sonst nichts mehr<br />
weiterhilft, wird pannonisch gekocht und<br />
die gemischte Ermittlungsgruppe, bei der<br />
auch der Bürgermeister willkommen ist,<br />
versammelt sich um den Esstisch des Ama-<br />
deus Landauer. Dort wird die<br />
drohende rechte Gefahr ebenso<br />
hitzig diskutiert wie<br />
verschiedene Theorien zum<br />
Tathergang der beiden<br />
ungeklärten Kriminalfälle. Was<br />
nun wirklich mit dem kleinen<br />
Nikolaus passiert ist, wie man<br />
ein burgenländisches<br />
Bauernschnitzel macht, und<br />
wer den armen Rajko Duric,<br />
der sich schon so auf sein Haus<br />
in Montenegro gefreut hat, auf<br />
dem Gewissen hat , verrat ich<br />
höchstens denen, die mit ein,<br />
zwei Fläschchen burgenländischem<br />
Roten bei mir<br />
vorbeischauen. Sonst heißt’s<br />
wie immer: selber lesen.<br />
Manfred Bauer schildert den<br />
Fall geradlinig, schnörkellos,<br />
fast ein wenig spröde. Aber er<br />
weiß worauf es im Leben<br />
ankommt: Wenn es um Freundschaft,<br />
Liebe, Antifaschismus,<br />
gutes Essen oder die Natur<br />
geht, wird die Erzählung leidenschaftlich,<br />
der Ton wärmer. Das<br />
Burgenland hat’s ihm angetan,<br />
da geraten poetische Klänge in<br />
die Krimi- Melodie, vor allem<br />
wenn er den nahenden<br />
Frühling beschreibt. Dass die<br />
Burgenländer laut Bauer eher<br />
verschlossen sind, und auch<br />
dort die superrechten Recken<br />
leichtes Spiel haben, soll uns<br />
nicht hindern: Wenn’s dann<br />
wieder Frühling wird, fahren<br />
wir doch einmal ins<br />
Burgenland!<br />
Manfred Bauer: Landauer und<br />
die Clowns. Edition Reizwort,<br />
Wien 2010
Herr Groll<br />
Reisen auf Von Erwin Riess<br />
Seite 16<br />
Langenlois,<br />
vom Weinmarketing<br />
In einem Supermarkt an der<br />
Umfahrungsstraße erwarben<br />
Groll und der Dozent zwei Dosen<br />
Bier und einen Kamm. Als<br />
der Dozent angesichts von<br />
Grolls schütterem Haupthaar<br />
meinte, ein kleiner Kamm tue<br />
es auch, kaufte Groll aus<br />
Bestemm einen besonders<br />
großen und steckte ihn ins<br />
Rollstuhlnetz.<br />
Ein weiterer Konflikt ergab<br />
sich, als Groll sich weigerte,<br />
anstelle einer Packung<br />
Original-Soletti ein No-Name-<br />
Produkt zu nehmen. Diese war<br />
zwar um die Hälfte billiger,<br />
darüber hinaus sei, wie der<br />
Dozent behauptete, auch der<br />
Inhalt derselbe, weil im selben<br />
Werk auf denselben<br />
Maschinen wie die<br />
Originalsalzstangen hergestellt,<br />
dennoch beharrte Groll auf<br />
der Markenware. Allein die<br />
Aura, die beim Namen „Soletti“<br />
mitschwinge, rechtfertige den<br />
erhöhten Preis. Außerdem<br />
könne er sich nicht<br />
überwinden, eine Packung mit<br />
dem plumpen Namen „Stickletti“ auch nur<br />
anzuschauen, ohne einen Kreislaufkollaps<br />
zu riskieren. Der Name „Stickletti“ sei<br />
bloß eine Mischung aus dem englischen<br />
„sticks“ und den beiden Endsilben von<br />
„Soletti“, erwiderte daraufhin der Dozent.<br />
Groll aber herrschte ihn an, daß er<br />
sortenreine Salzstangen wolle, keine Salzstangen-Cuvées.<br />
Letzteres sei zwar bei<br />
Rotweinen gebräuchlich, aber auch da<br />
neige er zu sortenreinen Gewächsen wie<br />
dem berühmten „Rinnenden Zapfen“ des<br />
Stifts Klosterneuburg, einem fruchtig-samtigen<br />
Zweigelt, der noch dazu äußerst<br />
wohlfeil angeboten werde.<br />
Groll zog den Dozenten mit sich fort. Zwischen<br />
Knabbergebäck und spanischen Billigweinen<br />
klärte er ihn weiter auf. Er lobte<br />
die in den siebziger Jahren des vorigen<br />
Jahrhunderts vom Weinmarketing verfolgte<br />
Strategie, mit sortenreinen Weinen aus<br />
bestimmten Regionen Markennamen zu<br />
etablieren; er nannte in diesem<br />
Zusammenhang den „Poysdorfer<br />
Saurüssel“, den „Dürnsteiner Flohaxn“<br />
und den „Roten Storch“. Den Poysdorfer<br />
und Dürnsteiner Werbestrategen sei mit<br />
den Brandnames Geniales gelungen; die<br />
Verbindung von Orten mir einem<br />
skurrilen Begriff aus der Tierwelt sei von<br />
hohem Wiedererkennungswert und präge<br />
sich unlöschbar in die Herzen und Hirne<br />
nicht nur der Weintrinker ein. Leider sei<br />
diese großartige Werbestrategie aus<br />
kleinlichen Eifersüchteleien der Weinbaugenossenschaften<br />
nicht weiter verfolgt<br />
worden. Er, Groll, habe in den<br />
Folgejahren mehrfach versucht, neue Markennamen<br />
vorzuschlagen – er nannte den<br />
„Ruster Hirntod“, der einem milden<br />
Welschriesling den Namen hätte geben<br />
sollen, ferner die „Spitzer Gurgel“, einen<br />
Urgesteinsriesling aus Resten des<br />
römischen Straßenbaus, sowie den „Kremser<br />
Bräunling“, einen süffigen Müller-<br />
Thurgau mit ausgeprägtem politischen Abgang.<br />
Schließlich erwähnte er noch die<br />
Bezeichnung „Retzer Auswurf“ für einen<br />
kräftigen St. Laurent. Er wollte all diese<br />
Markennamen schützen lassen, sagte<br />
Groll. Sein Ziel sei gewesen, am<br />
unzweifelhaft ins Haus stehenden<br />
Aufschwung ein wenig mitzunaschen. Aber<br />
das Landwirtschaftsministerium, an<br />
welches er sich in dieser Angelegenheit<br />
mehrfach schriftlich gewandt habe, hätte<br />
ihm infolge mutwilliger Inanspruchnahme<br />
einer Behörde eine bedingte Geldstrafe<br />
verpasst. Auch direkte Kontakte mit<br />
Weinhauern und Genossenschaften hätten<br />
nicht gefruchtet; er sei mit seiner Idee<br />
abgeblitzt und habe sich danach vom<br />
Weinmarketing zurückgezogen.<br />
Der Dozent glaubte Groll aufs Wort und<br />
erwarb eine Flasche Merlot aus dem<br />
Veneto um einen Euro dreißig.<br />
Impressum:<br />
Aktuell, Nummer 06, Dezember 2010<br />
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Redaktion: Alois Franz, Leo Furtlehner, Gerlinde Grünn, Renate<br />
Hofmann, Michael Schmida.<br />
Grafik: Alois Franz<br />
Lektorat: Wolfgang Rohrstorfer<br />
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