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zum sozialistischen Offizial-Diskurs steht.22 In Anbetracht der Auswahl der Intertexte<br />
bzw. Traditionen und deren Integration in die Autorperspektive unterscheidet<br />
sich Brauns Schreibweise zugleich von der offenen (postmodernen) Intertextualität.<br />
Modernisierungs-Arbeit. Volker Brauns programmatisches Gedicht Das innerste<br />
Afrika, das ich als literarische Thematisierung von Diskurs-Abbruch und Selbstbefreiung<br />
sowie als Dokument einer am Ethos der ästhetischen Moderne orientierten<br />
Verarbeitung dieser Problemsituation lese, nimmt in der Traditionslinie der „Gegentexte“<br />
bzw. des „Gegendiskurses“ einen wichtigen Platz ein.23 Die Geschichte der<br />
DDR-Literatur läßt sich, zumal mit Blick auf die Rezeption der offiziell diffamierten<br />
Moderne, als ein von gegenläufigen Tendenzen vorangetriebener Prozeß konstruieren,<br />
der sowohl auf der Ebene der gesellschaftlichen Funktion von Literatur als auch auf<br />
der Ebene des ästhetischen Materials verläuft. Die eine, von der Traditions-Fraktion<br />
repräsentierte, Tendenz besteht in der seitens Partei und Staat administrierten Durchsetzung<br />
des Konzepts einer instrumentellen Literatur sowie der Programmatik des sozialistischen<br />
Realismus, die andere, von der Moderne-Fraktion vertretene, in der von<br />
Autoren verfolgten Emanzipation von der verfügten Funktionsbestimmung sowie von<br />
der autoritativen Geltung der herrschenden ästhetischen Doktrin. Vermittelt über die<br />
Erosion der sozialistischen Ideologie und ihrer Literaturprogrammatik verstärken sich<br />
die Autonomisierungstendenzen; und im Anschluß an eine Phase der emphatischen<br />
Identifikation von Autoren mit der offiziellen Literaturkonzeption (in den endfünfziger<br />
und frühsechziger Jahren) entfaltet sich der Autonomisierungsprozeß über die kritische<br />
Distanzierung (in den endsechziger Jahren) und (partielle) Abkoppelung (seit<br />
den mittsiebziger Jahren) zur Konstituierung einer autonomen Gegen-Position (in den<br />
endsiebziger und frühachtziger Jahren). Der Modernisierungsprozeß spiegelt sich in<br />
den die Durchsetzung einer sozialistischen Literaturprogrammatik in der DDR begleitenden<br />
Debatten zwischen Traditionalisten und Modernisten, die freilich nicht nur<br />
als kulturelle Auseinandersetzungen zu verstehen sind; vielmehr handelt es sich dabei<br />
um Diskussionen, die eine gesellschaftliche und politische Dimension haben - es geht<br />
dabei immer auch um Sozialismus-Konzeptionen. Diese Autonomisierungstendenzen<br />
sind als Teil tiefgehender Individualisierungs- und Pluralisierungsprozesse zu begreifen,<br />
die kennzeichnend sind für moderne Gesellschaften und (in Fortsetzung von Säkularisierungstendenzen)<br />
zu Entdogmatisierung und Enttraditionalisierung führen. In<br />
diesen die gesamte Gesellschaft umfassenden Transformationsprozeß ist auch die<br />
Modernisierung der ästhetischen Normen eingebettet; in der realsozialistischen Gesellschaft<br />
vollzieht sich dieser Prozeß vor allem in Auseinandersetzungen zwischen<br />
Partei/Staat und Gesellschaft (bzw. gesellschaftlichen Gruppen).<br />
Auf die spezifischen Diskursverhältnisse (Offizialdiskurs vs. „Gegendiskurs“) und die<br />
dadurch bedingte (Selbst-)Blockade des Autonomisierungsprozesses reagieren kritische<br />
DDR-Autoren, indem sie - in den endsiebziger und frühachtziger Jahren mit zunehmender<br />
Radikalität - ihre Erfahrungen innerhalb des gegenläufigen Literaturprozesses<br />
reflektieren und literarisch gestalten - im Hinblick auf eine Lösung für ihre<br />
gleichsam dilemmatische Situation. In dem Prozeß der Infragestellung der marxistisch-leninistischen<br />
Dogmatik und ihrer Monosemietradition spielt Braun eine wichtige<br />
Rolle. Seine literarischen Texte und poetologischen Reflexionen sind seit den<br />
mittsiebziger Jahren immer stärker an Prinzipien der ästhetischen Moderne orientiert,<br />
seit den frühachtziger Jahren vor allem als Ausdruck einer Radikalisierung des ästhe-<br />
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