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Moment ergänzt wird; hierin steht er z.B. Christa Wolf (Kassandra) und Irmtraud<br />

Morgner (Amanda) nahe.<br />

In einem Diskusssionsbeitrag auf dem X. Schriftstellerkongreß der DDR (1987) präzisierte<br />

Braun seine Haltung gegenüber der Warnliteratur66; zum einen geht er dabei<br />

von der kommunikativen Funktion der Literatur aus, zum anderen bezieht er sich auf<br />

den gesellschaftlich-geschichtlichen Kontext. Ausgehend von dem allgemeinen Zweifel,<br />

ob er in seiner literarischen Praxis hinter seinen intellektuellen und emotionalen<br />

Möglichkeiten zurückbleibe, differenziert er das Problem im Hinblick auf die Struktur<br />

seiner Werke und sieht sich und das Publikum vor folgende Alternative gestellt67:<br />

Wird in den Texten neben dem kritischen Moment („Wahnwitz des Weltzustandes“)68<br />

auch ein utopisches Moment („neue Chancen“)69 erkennbar oder ist angesichts<br />

der zerstörerischen Wirkung der 'industriellen Megamaschine' und ihrer Entwicklungstendenzen<br />

keine alternative Perspektive wahrnehmbar bzw. gestaltbar? In<br />

einem ersten Schritt kritisiert er die Warnliteratur, weil ihr, wirkungsästhetisch gesehen,<br />

eine Tendenz innewohne, die dazu verleite, den Stillstand zu akzeptieren; statt<br />

dessen sei aber eine Wirkung wünschenswert, ja notwendig, die auf eine Beschleunigung<br />

des gesellschaftlichen Prozesses ziele. Die Notwendigkeit einer Veränderung<br />

des Status quo ergibt sich für Braun aus dem Bewußtsein einer durch das Ende des<br />

bürgerlich-proletarischen Zeitalters markierten epochalen Zäsur. Im Gegensatz zu in<br />

der zeitgenössischen französischen und bundesrepublikanischen Philosophie vorherrschenden<br />

Positionen einer radikalen Aufklärungs-, Fortschritts- bzw. Utopiekritik sowie<br />

zu von den neuen sozialen Bewegungen proklamierten Programmatiken hält<br />

Braun an der im Aufklärungsdenken verankerten utopischen Tradition fest und plädiert<br />

für eine Veränderung der historischen Form der Arbeit im Sinne der von Marx<br />

entwickelten Konzeption der Arbeit als 'freier bewußter Tätigkeit'. Die Evokation dieser<br />

Arbeitsutopie impliziert die Utopie einer sozialistischen Gesellschaft im Sinne einer<br />

freien Assoziation der Individuen. Zweitens stellt Braun seine im Konzept der<br />

Warnliteratur befangene Schreibstrategie in Frage („eine Schreibstrategie, mit der ich<br />

mir und dem Leser verweigere, was nicht greifbar scheint, die durch den Mangel peinigen<br />

will“)70, weil er den historisch-sozialen Kontext durch Gorbatschows Reformprogramm<br />

tiefgreifend verändert sieht. In dieser gewandelten Situation („Bewegung,<br />

das heißt etwas kommt in Fluß: und das Fragen beginnt“)71 erblickt er die Bedingung<br />

der Möglichkeit einer neuen Kunst, die auf eine Re-Integration des utopischen Moments<br />

in die Werkstruktur aus ist.72 In bezug auf den „Streit der Interessen“ / „Streit<br />

verschiedner Wertsysteme“, der vor dem Hintergrund einer globalen Umweltkatastrophe<br />

ausgetragen wird, muß sich die Struktur eines literarischen Werkes so ändern73,<br />

daß der neue Vorschlag seinen Niederschlag in einer „konstruktiven Struktur“ findet74,<br />

der Gestaltung bzw. Wahrnehmbarkeit des utopischen Momentes: „Die Struktur<br />

des Textes muß den Interessenstreit in Gang halten, die Suche nach dem Sinn organisieren,<br />

die Suche nach der neuen Formel (sagt Aitmatow) der menschlichen Beziehungen.“75<br />

Der Prosatext Bodenloser Satz scheint dem Konzept der „konstruktiven Struktur“ zu<br />

entsprechen; denn das utopische Moment ist manifest: auf der konzeptuellen Ebene in<br />

der Position des konvertierten Karl, in der Utopie der Naturallianz, die die Utopie einer<br />

humanen Zivilisation impliziert, sowie auf der Ebene der Handlung im Versöhnungs-Finale<br />

der Liebesgeschichte. Allerdings weist dieses utopische Moment, von<br />

der kompositionellen Konstruktion aus betrachtet, einen illusionären Charakter auf;<br />

denn im ersten Teil des Text-Diptychons, der chronologisch, in bezug auf die Biogra-<br />

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