21.11.2013 Aufrufe

herunterladen - Universität Bremen

herunterladen - Universität Bremen

herunterladen - Universität Bremen

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

die Perspektiven-Brüche akzentuierten konzeptionellen Alternativen für aktuelle Problemlösungen,<br />

andererseits die durch die Intertext-Figurationen als Bezugspunkt reaktivierten<br />

Traditionsbestände. Dadurch kann an die Stelle eines eindimensionalen<br />

Denkens, das Anspruch auf autoritative Geltung erhebt, ein polyphoner Diskurs treten,<br />

in dem unterschiedliche Positionen gleichberechtigt um die gesellschaftliche Akzeptanz<br />

konkurrieren.<br />

Erzählen am Ende einer Epoche(nillusion). Vermittelt über die Konfrontation mit seiner<br />

Vergangenheit, der Arbeit in der sozialistischen Produktion (Tagebau) und dem<br />

entsprechenden Einverständis mit deren Ideologie (hier: instrumentelles Naturverhältnis),<br />

ist das Interesse des Autor-Erzählers auf die Aufarbeitung dieser Vergangenheit<br />

gerichtet. Er wirft Fragen auf, die er damals nicht gestellt oder aber unterdrückt hat.<br />

Geht es ihm dabei zunächst um Selbstvergewisserung und Selbsterkenntnis, so gerät<br />

die Selbsterforschung zu einer radikalen Analyse der realsozialistischen Gesellschaft<br />

der Gegenwart und ihrer Vorgeschichte. Diese Erinnerungsarbeit setzt die Bereitschaft<br />

voraus, das (im Monosemiekonzept der Diskurs-Tradition begründete) oktroyierte<br />

Denkverbots zu übertreten („ich bin trotz verhängter Zuzugssperre in den Ort<br />

eingedrungen“)59, deren Motivation aus dem Gefühl persönlicher Verantwortung und<br />

Schuld gespeist wird („ich fühle mich verantwortlich für das Geschehen“60; „ich sage<br />

halt! ... nein, ich schwieg“)61. Indem er für den Reflexions- und Erzählvorgang<br />

durchgängig die Metapher des Grabens verwendet62, versteht der Erzähler seine jetzige<br />

Tätigkeit, die ästhetische Reflexion, in Analogie zu seiner früheren Tätigkeit in<br />

der Produktion, dem Tagebau, als Abtragen von Bewußtseinsinhalten bzw. Illusionen.<br />

Im Verlauf dieses Desillusionierungs-Prozesses gelangt er zur Erkenntnis des Scheiterns<br />

des sozialistischen Aufbaus, das seine Ursache im falschen Naturverhältnis hat<br />

(„WEIL WIR DAS LAND NICHT LIEBEN, NICHT MEHR, NOCH NICHT“)63,<br />

und zur Einsicht in die Notwendigkeit eines post-sozialistischen Neuanfangs (nach<br />

der „Republikflucht der Utopien“)64.<br />

Mit dieser Schreibstrategie der Desillusionierung steht das in Bodenloser Satz realisierte<br />

Erzählkonzept der Programmatik der Warnutopie nahe, das besonders seit Mitte<br />

der siebziger Jahre immer häufiger und konsequenter von kritischen DDR-Autoren<br />

bevorzugt wird, denen nach dem Verlust der sozialistischen Utopie (sowohl der Arbeits-Utopie<br />

als auch der Demokratie-Utopie) die Darstellung einer negativen Utopie<br />

bleibt. Die literarische Form der Warnutopie kann im Anschluß an Wolfgang Emmerich<br />

als Ausdruck eines geschichtsphilosophischen Paradigmawechsels gelesen werden65:<br />

Die in der Tradition von Humanismus und Aufklärung stehende marxistische<br />

Fortschrittskonzeption und sozialistische Utopie werden abgelöst durch eine pessimistische<br />

Geschichtsphilosophie, deren Argumentation mit der von Horkheimer/Adorno<br />

in Dialektik der Aufklärung dargelegten Kritik des abendländischen Rationalismus<br />

und der instrumentellen Vernunft korrespondiert. Entsprechend verschwindet in der<br />

Warnliteratur auf der Ebene der Werkstruktur das utopische Moment hinter dem kritischen.<br />

Diesen geschichtsphilosophischen Paradigmawechsel vollzieht Volker Braun<br />

nur teilweise mit, wenn er, in Anbetracht der Erfahrung von Stagnation und (Selbst-<br />

)Blockade, die Dialektik des Verhältnisses zwischen Individuum und Gesellschaft zuspitzt<br />

und die Problemsituation des Subjekts sowie dessen Lösungsmöglichkeiten in<br />

Alternativen denkt, d.h. die desillusionierende Schreibstrategie wird revidiert oder<br />

korrigiert, indem innerhalb der Werkstruktur das Kritik-Moment durch das Utopie-<br />

24

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!