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schaftliche Verhältnisse ausgerichtet ist.40 Darüber hinaus reflektiert der Autor-<br />

Erzähler (in einem dritten Erzählstrang) seine literarische Tätigkeit, die er, in Analogie<br />

zur Arbeit im Tagebau, als Abbau von Bewußtseinsinhalten bzw. Illusionen begreift.<br />

Dieser zweite, (siebenmal) längere (Haupt-)Teil, in dem der Erzähler die DDR-<br />

Gesellschaft und ihre Geschichte thematisiert, liefert eine radikale Kritik dieses Sozialismus-Experiments,<br />

dessen Verlauf und Ergebnis (ohne Wenn und Aber) als<br />

Scheitern gedeutet wird.<br />

Den situativen Rahmen für die kritische Auseinandersetzung mit der DDR-<br />

Gesellschaft bildet ein Aufenthalt des Autor-Erzählers in dem Tagebau-Gebiet, in<br />

dem er vor Jahren selbst gearbeitet hat. Die Erinnerungen an seine frühere Arbeit lösen<br />

eine Konfrontation mit dieser industriellen Praxis, mit der ihr entsprechenden gesellschaftlichen<br />

Organisation und dem ihr zugrunde liegenden Naturverhältnis aus.<br />

Infolge der zeitlichen und lebensgeschichtlichen Distanz gegenüber seiner früheren<br />

Praxis und dem ihr korrespondierenden zivilisatorischen Bewußtsein problematisiert<br />

der Autor-Erzähler das sozialistische Aufbau-Projekt und formuliert eine radikale<br />

Kritik des realsozialistischen Gesellschaftsexperiments. Die technische Realisation<br />

der sozialistischen Utopie wird als Zerstörung der Landschaft sowie der gegenwärtigen<br />

und zukünftigen Lebenswelt ihrer Bewohner erfahren und begriffen. Indem die<br />

Produktion im realen Sozialismus als Destruktion gedeutet wird, die die Lebensgrundlage<br />

der vom sozialistischen Projekt betroffenen Menschen zerstört, werden die<br />

auf den Aufbau einer neuen Gesellschaft sowie die Erziehung eines neuen Menschen<br />

hin angelegten Verheißungen als Illusionen entlarvt. Die von Partei und Staat verfügte<br />

industrielle Praxis wird als Perversion der angestrebten gesellschaftlichen Utopie gebrandmarkt;<br />

denn der Erzähler inszeniert den Einsatz der Technik als Krieg gegen die<br />

Natur und präsentiert die Tiefbaubrigade in ihrer sozialen Struktur und mit ihren Mechanismen<br />

als Armee.41<br />

Dieses autoritär und militaristisch grundierte Konterfei der realsozialistischen Produktion<br />

lese ich als Satire auf die Form der Diktatur, wie sie das SED-Regime praktizierte.<br />

In der Wahl der satirischen, ja grotesken Darstellungsweise manifestiert sich<br />

die zunehmend radikalere Kritik des Autors an der realsozialistischen Gesellschaft.42<br />

Ihre ganze Schärfe gewinnt diese DDR-Satire daraus, daß der Autor-Erzähler die vom<br />

realen Sozialismus zu verantwortenden Zerstörungen von Landschaft und Lebenswelt,<br />

von Natur, Gesellschaft und Geschichte in eins setzt mit der 'Todesproduktion' des<br />

nationalsoziali-stischen Regimes, so daß das faschistische Erbe als das konstitutive<br />

Substrat der realsozialistischen Gesellschaft offenbar wird. Die Affinität zwischen<br />

dem realsozialistischen und dem nationalsozialistischen Regime wird zum einen<br />

durch das vom Hauptmann Stapf ausgesprochene Brigade-Motto „Unsere Ehre heißt<br />

Treue“ (BS, S. 1240) betont, das den Wahlspruch der SS zitiert,43 zum anderen durch<br />

die Abstellgleis-Episode (BS, S. 1241), die an die Judenverfolgung während der nationalsozialistischen<br />

Herrschaft erinnert. Angesichts dieser Erkenntnis des 'Wesens'<br />

des SED-Staates und seiner diktatorischen Herrschaftspraxis vollzieht der Autor-<br />

Erzähler einen dreifachen Bruch mit dem stalinistischen Gesellschaftssystem, vulgo<br />

realen Sozialismus: zum einen durch den in der Erzählerperspektive berichteten<br />

(symbolischen) Tod des Autor-Erzählers,44 den dieser als Befreiung erlebt, zum anderen<br />

durch das in der Figurenperspektive Antons - eines alter ego des Erzählers - artikulierte<br />

revolutionäre Bewußtsein, das auf eine durchgreifende Umgestaltung der<br />

realsozialistischen Verhältnisse in der DDR zielt, dem allerdings keine politische Praxis<br />

folgt; und drittens durch die Konversion Karls (auch er figuriert als alter ego des<br />

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