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die Identifikation mit den Figuren und ihrer problematischen Situation sowie die<br />
Übernahme der von ihnen repräsentierten reflexiven Haltung; damit lenkt er das Interesse<br />
der Leser auf die Identitätsprozesse seiner Figuren und auf ihre Wandlungen,<br />
die seinen Positionsumbau widerspiegeln.<br />
Die 'Vorgangsfigur' (D.Schlenstedt) der Wandlung wird auch durch die Intertext-<br />
Figurationen akzentuiert, die als Spiel mit der literarischen Tradition eine weitere<br />
Schicht des semantischen Potentials des Prosatextes konstituieren.58 Die Figuren<br />
Anton, Karl und Klara verweisen auf die gleichnamigen dramatis personae in Hebbels<br />
bürgerlichem Trauerspiel Maria Magdalena, jedoch hat der Autor-Erzähler ihren Charakter,<br />
ihre Probleme und deren Lösungen sowie ihre Beziehungen untereinander umgebaut.<br />
Diese Veränderungen geben Hinweise auf die Wirkungsintention des Textes<br />
und das Schreibverfahren des Autors. Bildet die erwähnte Personnage in Hebbels<br />
dramatischem Text eine Familie, so bestehen in Brauns Prosatext zwischen ihnen keine<br />
verwandtschaftlichen Beziehungen. An die Stelle der Institution Familie tritt die<br />
Gesellschaft als die soziale Beziehungen und personale Identität konstituierende Instanz.<br />
Diese (abstraktere) Gestaltung der Personen zeigt sich besonders in der Umwandlung<br />
der Beziehung zwischen Karl und Klara: Indem die beiden keine Geschwister<br />
mehr sind, sondern ein Liebespaar bilden, wird die als problematisch und produktiv<br />
dargestellte Liebesbeziehung als eine soziale Beziehung gestaltet, an der die<br />
Problematik zwischenmenschlicher Beziehungen bzw. die Struktur der gesellschaftlichen<br />
Verhältnisse erörtert wird. Ihr Modellcharakter, besonders das utopische Moment,<br />
besteht in der (tendenziellen) Verwirklichung des Gleichheitsprinzips; ihr, vornehmlich<br />
im Hinblick auf die Konfliktlösung, vermeintlich idealistischer, ja romantischer<br />
Charakter verflüchtigt sich, wenn man die Liebesbeziehung nicht aus der Perspektive<br />
einer realistischen Geschlechterpsychologie, sondern als regulative Idee versteht.<br />
Die Probleme der Figuren in Hebbels Text ergeben sich vor allem aus den Widersprüchen<br />
und der Enge der bürgerlichen Moral, an der die Hauptfiguren zugrunde gehen.<br />
In Brauns Prosatext dagegen beruhen die Probleme der Figuren auf den Widersprüchen<br />
und der Beschränktheit der realsozialistischen Ideologie, (besonders auf deren<br />
instrumentellem Naturverhältnis), das die Lebensgrundlagen ihrer Bürger zerstört.<br />
Dadurch wird die Reichweite der gesellschaftlichen Problematik zum einen historisiert,<br />
zum anderen, vermittelt durch die zivilisationskritische Infragestellung der sozialen<br />
Strukturen und Mechanismen, (in globale Dimensionen) ausgeweitet. Dieser<br />
Horizontwandel der Wahrnehmung und Reflexion reagiert auf die gesellschaftlichen<br />
Prozesse der Gegenwart und ist Ausdruck eines aktuellen Gegenwartsbewußtseins.<br />
Die Figuren aus Hebbels Trauerspiel hat der Autor-Erzähler teils tiefgreifend verändert.<br />
Anton wird letztlich auch in seiner resignativen Haltung porträtiert, deren Entstehungsgeschichte<br />
aber markiert das Ausmaß der Bearbeitung der tradierten Figur:<br />
Die Trennung von der dogmatischen Tradition der sozialistischen Ideologie, die sein<br />
Leben und Wirken in der realsozialistischen Gesellschaft bestimmt hat; die Artikulation<br />
eines revolutionären Bewußtseins, das gegen das SED-Regime gerichtet ist; die<br />
Erkenntnis, daß die Wirklichkeit eine gesellschaftliche Konstruktion ist sowie die aus<br />
dieser Einsicht folgende Bereitschaft zur Veränderung sowohl des eigenen Lebens<br />
wie auch des gesellschaftlichen Systems. Gerade aus der Politisierung der Anton-<br />
Figur - als Bürgermeister ist er Funktionär einer Partei (SED) und Anhänger ihrer<br />
Programmatik (Marxismus-Leninismus); in Widerspruch mit dieser politisch-<br />
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