herunterladen - Universität Bremen
herunterladen - Universität Bremen
herunterladen - Universität Bremen
Erfolgreiche ePaper selbst erstellen
Machen Sie aus Ihren PDF Publikationen ein blätterbares Flipbook mit unserer einzigartigen Google optimierten e-Paper Software.
dem status in spe eines demokratischen Sozialismus keinen Weg gibt - signalisiert<br />
einen Angriff auf die formationsgeschichtliche Dogmatik des Marxismus-Leninismus;<br />
denn an die Stelle objektiv gültiger Aussagen über den gesetzmäßigen Verlauf des<br />
Geschichtsprozesses tritt ein subjektzentriertes Experiment, das, ausgehend von individueller<br />
Erfahrung und deren reflexiver (und diskursiver) Erhellung, ein neues gesellschaftliches<br />
Projekt begründet. Parallel zu diesem als Bruch mit der dogmatischen<br />
Tradition des Marxismus-Leninismus zu begreifenden Subjekt-Zentrismus manifestiert<br />
sich ein Horizontwandel individueller und kollektiver Erfahrung, der auf deren<br />
Reflexion und Diskussion zurückwirkt: An die Stelle des Klassenkampfes als organisierendes<br />
Zentrum der gesellschaftlichen Auseinandersetzungen tritt angesichts der<br />
Zuspitzung der globalen Probleme (Krieg-/Frieden-, Umwelt- und Dritte-Welt-<br />
Thematik) der politische Streit um die Lösung dieser Probleme der technischen Zivilisation.<br />
Konstitutiv für das von Braun avisierte Projekt ist der Bezug auf die literarische<br />
Tradition und deren produktiver Erhellung (in Form einer kritischen Auseinandersetzung).<br />
Zitiertechnik. Im folgenden beschreibe und analysiere ich die Zitierpraxis in Das innerste<br />
Afrika, um die Funktionen der intertextuellen Verweise bei der Konstruktion<br />
der Afrika-Metapher zu untersuchen.20 Das in die erste Flattersatz-Passage eingebaute,<br />
durch Kursivdruck typographisch hervorgehobene Zitat aus Mignons Italienlied<br />
artikuliert Mignons Sehnsucht nach ihrer Heimat („Dahin! Dahin/ Möcht ich mit<br />
dir, Geliebter“, 6f.); deren idyllische, ja paradiesische Natur verspricht ihr eine freie<br />
und glückliche Lebensweise im Gegensatz zu ihrem Leben im Norden, das von<br />
Schmerz und Leid gekennzeichnet ist. Indem Braun das Zitatfragment verwendet, akzentuiert<br />
er die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach einem anderen Leben bzw. anderen<br />
gesellschaftlichen Verhältnissen. Die Bearbeitung des Goethe-Zitats - aus der Adresse<br />
„o mein Geliebter“ werden die Interjektion sowie das Possessivpronomen gestrichen -<br />
, bewirkt, daß infolge der Ausblendung des Affekts und der Zugehörigkeit die Besonderheit<br />
der sozialen Beziehung betont wird. In diesem Zusammenhang ist relevant,<br />
daß die Liebesbeziehung für Braun insofern ein Modell befriedigender, ja beglücklichender<br />
menschlicher Beziehungen bzw. gesellschaftlicher Verhältnisse ist, als sie<br />
(tendenziell) auf dem Prinzip der Gleichheit der Partner besteht. Dieses egalitäre<br />
Moment dient dazu, die Sehnsucht des lyrischen Ichs nach anderen, besseren, gesellschaftlichen<br />
Verhältnissen zu perspektivieren. Neben der Herstellung einer sympathetischen<br />
Beziehung zwischen Text und Intertext fungiert das bearbeitete Zitat auch<br />
als Mittel der Verfremdung; denn während Mignons Sehnsucht aus ihrer Biographie<br />
bzw. ihrer Familiengeschichte resultiert, also vorrangig in ihrem Privatleben zu verorten<br />
ist, akzentuiert die Sehnsucht des lyrischen Ichs in Brauns Gedicht das gesellschaftlich-politische<br />
Moment der utopischen Dimension im Sinne einer anderen Form<br />
der sozialistischen Gesellschaft („Wo unverkleidete Männer/ Deine Genossen sind“,<br />
5f.).<br />
Die skizzierte Kombination von sympathetischem und verfremdendem Zitatgebrauch<br />
kennzeichnet auch die Verwendung des zweiten Mignon-Zitats („Wo die Zitronen<br />
blühn, piff paff!“, 24). Das hier in Spitzenstellung plazierte Zitatfragment unterstreicht<br />
noch einmal das Sehnsuchtsmotiv, die hinzugefügte lautmalerische Interjektion<br />
verweist auf die bei der Reise in das utopische Land lauernde Gefahr. Doch während<br />
in Mignons Lied der Weg durch die Alpen, also die Beschaffenheit der Natur,<br />
8