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Angesichts der durch die Zensur reglementierten Pseudo-Öffentlichkeit der realsozialistischen<br />
Gesellschaft hat Wolfgang Emmerich - im Hinblick auf die aktuelle Debatte<br />
um die DDR-Literatur - den Autonomisierungsprozeß mit Rekurs auf Foucaults Diskursbegriff<br />
rekonstruiert.79 In den fünfziger und frühen sechziger Jahren, so Emmerich,<br />
habe die DDR-Literatur als eine Institution funktioniert, die der Vermittlung des<br />
sozialistischen Offizialdiskurses diente: Er war „mit ästhetischen Mitteln fortzuschreiben,<br />
auszuschmücken und für das Volk attraktiv zu machen, jedenfalls aber: zu<br />
bestätigen“80. Er stellt fest, daß der parteiliche und staatliche Leitdiskurs die Kriterien<br />
erfüllt, mit denen Foucault den Herrschaftsdiskurs beschreibt: „Er ist ein Diskurs<br />
der Monosemie, der unbefragbaren Eindeutigkeit unterworfen, dem Wahrheitszwang“.81<br />
Da die DDR-Literatur gemäß dem Regelkanon dieses Diskurstypus funktioniert<br />
habe, könne sie darunter subsumiert werden und sei so - als Literatur - zur<br />
Makulatur geworden.<br />
Mit dieser Wertung greift Emmerich im Rahmen seiner Rekonstruktionsskizze auf<br />
Foucaults Konzept der modernen Literatur zurück, der im Ensemble der Diskurse eine<br />
Sonderstellung zukommt.82 Dadurch, daß sie querstehe zur instrumentellen Funktion<br />
von Literatur, fungiere sie als potentieller „Gegendiskurs“. Indem er mit Recht unterstellt,<br />
daß die Autoren sich am Autonomie-Modell orientieren, liest er die Werke der<br />
kritischen DDR-Literatur seit Mitte/Ende der sechziger Jahre als „Gegentexte“. Dank<br />
einer intensiven Rezeption der ästhetischen Moderne und der damit korrespondierenden<br />
Beschleunigung des Autonomisierungsprozesses unterlaufen die DDR-Autoren in<br />
ihrer literarischen Praxis nicht nur die offizielle Funktionsbestimmung von Literatur,<br />
sondern suspendieren zugleich - und dies gilt für alle Gattungen bzw. Genres - die<br />
durch die Methode des sozialistischen Realismus legitimierte Schreibweise. Diese antihegemoniale<br />
Orientierung erklärt Emmerich vor allem aus der von den Autoren gemachten<br />
Erfahrung der gesellschaftlichen Entfremdung, dem Auseinanderklaffen von<br />
ideologischem Anspruch und gesellschaftlicher Wirklichkeit, anders gesagt, aus dem<br />
Verlust der sozialistischen Utopie.<br />
In Anbetracht der spezifischen Diskursverhältnisse sieht Emmerich das Dilemma der<br />
DDR-Autoren darin, daß sie sich trotz der Erkenntnis der Deformation des realen Sozialismus<br />
nicht vom „Sozialismus schlechthin“ verabschieden, sondern, im herrschenden<br />
Diskurs und seinen Regeln befangen, den „wahren Sozialismus“ als „Epochenillusion“<br />
konservieren.83 Die Ursachen für dieses Versagen erkennt er zum einen<br />
in der Verankerung im Antifaschismus als Ideologie, die zu einer Selbstfesselung der<br />
Autoren an das sozialistische System führen; zum anderen in den autoritären Strukturen,<br />
die die realsozialistische Gesellschaft und ihre Diskursverhältnisse determinieren.<br />
Daraus resultierte eine nur geringe Sensibilität für Menschen- und Bürgerrechte und<br />
demokratische Prozeduren bzw., in Anlehnung an A. Gorz, ein nur schwacher „kultureller<br />
Bezug zur Freiheit“84.<br />
In den frühachtziger Jahren unternimmt Braun den Versuch, seine ideologische und<br />
ästhetische Position neu zu bestimmen - vor dem Hintergrund der Erfahrung von Stagnation<br />
und (Selbst) Blockade sowie angesichts verschärfter Auseinandersetzungen<br />
mit der „byzantinischen Ästhetik“85 des SED-Regimes; diese literarische Debatte<br />
wird durch die Angriffe belebt und verschärft, die von jüngeren Autoren gegen die<br />
reformsozialistische Fraktion vorgetragen werden, zu der auch Braun zählt86. Diese<br />
Revision und Positionsbestimmung ist sowohl in der literarischen Praxis als auch in<br />
der poetologischen Reflexion als Ausdruck einer Radikalisierung des ästhetischen<br />
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